Читать книгу Der vertrocknete Walser Birnbaum und die Erben - Stephane Rambicourt - Страница 5

Urlaub und die geheimnisvolle Alte

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Endlich Urlaub. Jacob Countz und seine Frau Magdalena freuen sich auf den lang ersehnten Urlaub, den sie im südlichen Bayern, in Berchtesgaden verbringen wollen. Ein Urlaub, der sie wieder fit für ihre Arbeit machen und regenerieren soll. Deshalb hatten sie sich ein sehr gutes Hotel mit einem hervorragenden Wellness-Bereich ausgesucht. Auf ihren Wanderungen wollen sie Neues entdecken und vom Alltag abschalten; einfach ihre Sinne wieder für das Wesentliche schärfen.

Jacob Countz, 55 Jahre alt, und von Beruf leitender Manager eines großen Konzerns im Elsass, wohnt mit Magdalena, seiner Ehefrau seit über 20 Jahren in dem kleine idyllischen Ort Eschbach, nur wenige Kilometer von Straßburg entfernt. Er ist einmeterundachtzig groß, grauhaarig und körperlich gut in Schuss. Als Hobby betreibt er Ahnenforschung. Diesen Urlaub hatte er sich redlich verdient.

Magdalena Countz, eine geborene Countz, 54 Jahre alt und von Beruf Lehrerin an der kleinen Grundschule in Eschbach, hat blonde, halblange Haare, ist knapp einmetersiebzig groß, schlank und engagiert sich, neben ihrer beruflichen Lehrtätigkeit, ehrenamtlich in der örtlichen katholischen Kirche und der Erwachsenenbildung. Auch sie ist mit Leib und Seele gerne in der Ahnenforschung tätig. Auf die Gleichheit ihres Ehenamens mit ihrem Geburtsnamen angesprochen, entgegnete sie immer laut lachend, sie sei weder mit ihrem Ehemann verwandt noch verschwägert oder sonst in irgendeiner Art und Weise „verbandelt“.

Das Ehepaar Countz ist, wie man gerne sagt, geerdet und logisch pragmatisch ausgerichtet. Sie wohnen am Ortsrand des kleinen idyllischen Wasgauer Dorfes, in ihrem eigenen Haus mit einem schönen großen Garten, den vor allem Magdalena wie ihren Augapfel hütete.

Die Stammbäume beider Familien ließen sich aus dem Wasgau herleiten. Das hatten Jacob und Magdalena herausgefunden, ließen sich bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen und verliefen parallel. Die erste nachweisbare Erwähnung ihrer Vorfahren, die Grafen Veiox Countz von Wasgau und Joannes Veiox von Steinseltz, erfolgte, als beide Urahnen zur gleichen Zeit von Kaiser Karl dem Großen zu Rittern geschlagen und in den Grafenstand erhoben worden sind. Die beiden Familien waren auch seit Jahrhunderten eng befreundet. Der Wasgau erstreckt sich vom Pfälzerwald, mit Pirmasens, bis tief in das Elsass, bis Saverne, hinein.

Den Adelstitel hatten ihre Vorfahren bereits Ende des 18. Jahrhunderts, zur Zeit der französischen Revolution, abgelegt und die Familienschlösser waren von den Jakobinern enteignet und niedergebrannt worden. Dies hatten Jacob und Magdalena gemeinsam bei der Erforschung ihrer Stammbäume herausgefunden. Sie legten aber auch keinen Wert darauf bekannt werden zu lassen, dass sie eigentlich von Adel sind, sondern hielten die Familiengeschichte für sich in einer Familienchronik fest.

Ihre Kinder, Niclas und Maria, hatten auch kein großes Interesse an der Familiengeschichte und rümpften oft die Nase, wenn Jacob oder Magdalena von ihrer Forschung erzählten. Nur wenn Jacob seine Frau ärgern wollte, sagte er „Frau Gräfin“ zu ihr.

Besonders amüsiert hatten sie sich, als sie feststellten, dass ihre Familien bereits seit dem 8. Jahrhundert sehr eng miteinander befreundet waren und es erst durch sie im 20. Jahrhundert zu einer Hochzeit, einer Vermählung beider Familien, gekommen ist.

Magdalena und Jacob hatten zwei Kinder, Maria 25 Jahre alt und Niclas, 28 Jahre alt und zwei Enkelinnen. Beide sind aus dem Haus; Maria lebt mit den beiden Töchtern und Ehemann Tom in England und Niclas mit seiner Frau Jenny in Amerika.

Jetzt stand zunächst einmal der verdiente Urlaub von Jacob und Magdalena an, der sie nach Bayern in Deutschland führen sollte. Weit weg von ihrer Arbeit und ihren ständigen Bemühungen, etwas über ihre Ahnen heraus zu bekommen. Die Urlaube der letzten zehn Jahre hatten sie damit verbracht entweder ihre Kinder zu besuchen oder ihre Ahnenforschung zu betreiben und dabei in staubigen Archiven sehr viel Zeit zu verbringen. Der diesjährige Urlaub sollte aber einzig und alleine der Wellness für Körper und Geist dienen.

„Magdalena, sag mal, weißt du wo meine Wanderschuhe sind. Ich find die Dinger nicht“, ruft Jacob seiner Frau zu.

„Die sind bestimmt im Keller, noch von unserer letzten Wanderung und bestimmt auch mit dem alten Dreck dran. Wenn du sie hast, wäre putzen nicht schlecht“, lachte Magdalena.

„Keller? Ich geh mal nachsehen, die brauche ich doch, sonst können wir ja nicht in die Berge“, brummte Jacob und ging missmutig in den Keller. Magdalena hörte von der Wohnung aus ein Gerumpel aus dem Keller.

„Und wie sieht es aus? Du räumst dein Chaos unten aber selber wieder auf“ rief sie ihrem Mann im Keller zu.

Kurze Zeit später antwortete Claude von unten: „Ich hab sie. Ist ja gut. Ich räume die Sachen wieder zusammen. Und sauber sind sie auch.“

„So das war jetzt das Letzte was ich noch gebraucht habe für unseren Urlaub. Ich freu mich schon total drauf“, lachte Jacob gelöst, als er mit seinen Wanderstiefeln aus dem Keller zurück kam.

„Ich bin auch gleich fertig. Wann wollen wir morgen los fahren?“ erkundigte Magdalena.

„Ich denke, wenn wir gegen 10 Uhr losfahren, sind wir zum Abendessen in unserem Hotel. Also reine Fahrzeit sind es etwa 3 bis 4 Stunden. Aber ich will es geruhsam angehen, Stress hatten wir genug“, überlegte Jacob.

„Stimmt. Außerdem hat es auf der Strecke immer jede Menge Staus“, murmelte Magdalena, „in Ordnung, wir fahren gegen 10 Uhr los und lassen uns Zeit. Wir können dann auch noch schön und ausgiebig frühstücken. Holst du morgen früh noch Croissants? Wer weiß wie die in unserem Hotel Kempinski schmecken.“

„Ja, klar mach ich und für unterwegs nehmen wir ein paar Baguette mit und natürlich Kaffee“, lächelte Jacob.

„Du und dein Kaffee“, lachte Magdalena.

Sie packten ihre Koffer fertig und Jacob verstaute sie im Auto. Anschließend legten sie sich vor den Fernseher und gingen frühzeitig zu Bett.

Am nächsten Morgen ging die Fahrt pünktlich los. Jacob fuhr und Magdalena hatte die Straßenkarte und einen Reiseführer auf ihrem Schoss liegen, in den sie immer wieder mal rein sah. Plötzlich fing sie an heftig zu lachen.

„Jacob, stell dir vor. In Berchtesgaden, da gibt es einen Berg, in dem immer wieder Menschen spurlos verschwinden sollen. In dem Berg soll Kaiser Karl der Große, in einer Art Spiegelwelt, über ein Volk aus Bauern, Zwergen, Ritter und Adeligen herrschen. Karl der Große ist doch schon seit mehr als 1000 Jahren tot. So einen Blödsinn hab ich noch nie gehört“, lachte Magdalena laut heraus.

„Uh, das hört sich ja gruselig an“, grinste Jacob.

„Ja und stell dir vor, es wird erzählt, dass in den 14 Kirchen des Untersbergs Unbekannte nachts Gottesdienste feiern würden. Und diese Unbekannten sollen von dem Volk der Untersbergler, aus einer anderen Welt, stammen. Ich glaub die spinnen“, lachte Magdalena laut.

„So ein Quatsch. Das sind doch nur Märchen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es Leute gibt, die diesen Blödsinn glauben, andererseits wird der Name Untersberg am 28. Juni 1306 erstmals urkundlich erwähnt, als Berg des Lichts, was auf seine Lichtphänomene und auf seine Sonnenphänomene zurückzuführen sein soll. Zeitreisen am Untersberg wurden erstmals schriftlich im Jahre 1521 festgehalten. Eine silberne Platte mit einem Templerkreuz wurde gefunden, die 500 bis 600 Jahre alt sein soll. Alles sehr mysteriös“, grinste Magdalena.

„Bestimmt“, lachte auch Jacob, „wir haben jetzt knapp die Hälfte des Weges hinter uns. Wollen wir eine Pause machen?“

„Ja, gerne bei der nächsten Raststätte, da kann ich dann auch schnell zu Toilette gehen“, antwortete Magdalena grinsend.

Nach nur 5 Kilometern bog Jacob zu einer Raststätte ab und parkte das Auto ein.

„Schatz, pass aber auf, nicht dass dich noch Außerirdische entführen“, lachte Jacob und küsste seine Frau.

Magdalena stieg aus und ging direkt zur Toilette, während Jacob den Picknickkorb holte und alles für ihr zweites Frühstück im Freien herrichtete. Als Magdalena wenige Minuten später zurück war, ließen sie es sich richtig gut schmecken.

„Unsere Baguette fehlen mir jetzt schon, wenn ich nur daran denk, dass wir wohl dieses Roggenbrot oder so essen werden müssen“, brummte Jacob, während er ein Stück Käse und Brot aß.

„Ja Schatz, glaub ich dir. Aber dieses andere Brot soll ja sehr gesund sein“, lächelte Magdalena.

„Klar, Lebertran soll auch sehr gesund sein, und wer bitteschön isst freiwillig Lebertran?“ lachte Jacob laut heraus.

„Niemand, wir werden sehen. Unser Hotel ist ja ein internationales Luxushotel, da werden die bestimmt auch für uns ein vernünftiges Brot haben. Und jetzt beeil dich mal, damit wir weiter kommen“, grinste Magdalena ihren geliebten Ehemann an.

Kurze Zeit später fuhren beide weiter, nur jetzt saß Magdalena hinter dem Lenkrad und fuhr, während Jacob die Karte studierte.

Gegen 17 Uhr erreichten sie entspannt ihr Hotel mitten in der Berchtesgadener Innenstadt und bezogen ihr gebuchtes Zimmer, eine schöne geräumige Suite. Magdalena hatte dieses Hotel ausgewählt, weil hier das beste und umfangreichreichste Wellness-Angebot vorhanden ist und das Hotel nicht den Eindruck eines seelen- und charakterlosen Betonklotzes machte. Magdalena und Jacob waren mit ihrer Auswahl sehr zufrieden. Fröhlich lachend und frotzelnd räumten sie ihr Gepäck ein und gingen anschließend gut gelaunt zum Abendessen in das hoteleigene Restaurant. Zuvor buchten sie an der Hotelrezeption noch für die nächsten Tage ihre ersten Wellnessanwendungen, Massagen und Kosmetikbehandlungen.

Das Abendessen übertraf ihre Erwartungen um Längen und so speisten sie sehr ausgiebig.

Es war ein warmer Sommerabend. Jacob schlug seiner Frau vor, noch etwas spazieren zu gehen und unterwegs eventuell noch ein Gläschen Wein oder auch ein Glas Bier zu trinken.

Sie spazierten durch die Geschäftsstrasse, sahen sich die Auslagen an und fanden ein nettes kleines Weinlokal, das auch eine Gartenwirtschaft betrieb. Das Lokal war trotz des wunderschönen Wetters nur schwach besucht. Sie bestellten sich ihren Lieblingsrotwein, den Jacob auf der Getränkekarte entdeckt hatte und unterhielten sich leise.

Sie waren so sehr in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie sich langsam hinter Magdalena eine sehr alte Frau, mit einem knorrigen Ast als Gehstock, langsam den beiden näherte. Die Frau trug sehr altertümliche Kleidung und ein schwarzes Kopftuch, das ihre grauen, fast weißen, Haare bedeckte. Erst als die Frau direkt neben Magdalena stand, wurde das Ehepaar auf sie aufmerksam.

„Ich bin die Moserin von der Vierkaser-Alm und habe eine Botschaft für euch. Hört gut zu. Hütet euch vor dem Berg. Geht nicht zu dem Berg. Er bringt euch nichts Gutes“, sagte die alte Frau geheimnisvoll leise, legte ihren schrumpligen Finger über ihren Mund, ging vom Tisch weg und war urplötzlich verschwunden.

Jacob und Magdalena schauten sich sofort um und dann sich fragend an, weil die alte Frau so plötzlich verschwunden wie aufgetaucht war.

„Was war denn das?“ fragte Magdalena erschrocken.

„Keine Ahnung. Hab ich das gerade richtig verstanden? Wir sollen uns vor dem Berg hüten? Nicht zu dem Berg gehen? Er bringt uns nichts Gutes?“ entgegnete Jacob leicht verwirrt, „Von was für einem Berg sollen wir uns fernhalten? Hier gibt es ja sehr viele davon. So ein Blödsinn.“

Magdalena dreht sich um und winkte einen Kellner herbei, der nur zwei Tische hinter ihnen ein anderes älteres Ehepaar bediente.

„Da war eben eine alte Frau an unserem Tisch, kennen sie die zufällig?“ fragte sie arglos.

„Bitte? Was für eine alte Frau?“ antwortete der Kellner verwirrt um sich blickend.

„Na so eine kleine alte Frau mit einem Stock?“ sagte Jacob fragend.

„Entschuldigung, ich habe niemanden gesehen“, sagte der Kellner erstaunt, „wurden sie belästigt? Ich war die letzten Minuten hinter ihnen an dem Tisch und habe bedient, aber ich habe absolut niemanden gesehen.“

„Nein, nein, alles gut“, sagte Magdalena lächelnd.

Der Kellner ging kopfschüttelnd zu einem Bartresen, von dem aus die Gäste der Gartenwirtschaft versorgt wurden.

„Ich hab die Frau doch genau gesehen“, erklärte Jacob angesäuert.

„Ja Schatz, ich doch auch. Ach was soll es. Wir machen Urlaub und lassen uns von niemandem verunsichern“, lachte Magdalena, „Spinner gibt es überall. Und das war bestimmt so eine Spinnerin.“

„Na gut, aber komisch ist es trotzdem“, lächelte Jacob.

„Egal, hast du dir überlegt, was wir morgen unternehmen wollen?“ erkundigte sich Magdalena.

Jacob überlegte kurz. Seine Gedanken kreisten noch immer um die alte Frau.

„Vorschlag, wir sind ja drei Wochen hier. Wie wäre es, wenn wir in der ersten Woche die Wellness-Angebote unseres Hotels und die Geschäfte hier in der Stadt genießen, gut essen und trinken und in der zweiten Woche Wandern. Dann könnten wir die letzte Woche noch zum Erholen und Entspannen nutzen“, schlug Jacob vor.

„Hört sich gut an. Aber denke bitte daran, ich möchte unbedingt nach Salzburg und auch nach München, und nicht nur der Kultur wegen“, erwiderte Magdalena lachend.

„Oder wir könnten auch abwechseln zwischen Wellness, Wandern und Kultur, dann nach Salzburg und so weiter. Wäre ja auch nicht schlecht“, schlug Jacob vor.

„Ja. Ich denke, so sollten wir das auch so machen. Ich mag alles, mach auch alles mit, aber nur keinen Stress, verstanden“, lachte Magdalena fröhlich und Jacob nickte vielsagend.

„Gut, also morgen beginnen wir mit Wellness im Hotel, einige Anwendungen haben wir ja schon gebucht und vom Concierge lassen wir uns ein paar Wanderrouten vorschlagen und die notwendigen Karten besorgen. Stadtpläne oder Reiseführer für München und Salzburg gibt es bestimmt auch im Hotel“, legte Jacob fest, „Magst du noch was trinken oder sollen wir langsam wieder zurück ins Hotel gehen?“

„Hotel. Bin ziemlich müde. Die Fahrerei und so, war doch ganz schön anstrengend“, antwortete Magdalena.

Jacob bezahlte, ging mit seiner Frau plaudernd, Arm in Arm zurück zum Hotel und dort direkt in ihre Suite. Sie machten sich auch sofort bettfertig.

Kurze Zeit später, kurz nach 23 Uhr, beide waren tief und fest eingeschlafen. Ihr Schlaf war allerdings weder ruhig noch erholsam. Beide hatten den gleichen Alptraum, in dem ihnen die kleine alte Frau aus dem Weinlokal erneut erschien.

„Hütet euch vor dem Berg. Der Kaiser wird euch zu sich holen. Wenn euch euer Leben lieb ist, geht nicht auf den Berg. Wenn er euch erwischt, wird nichts mehr so sein wie es vorher war. Es ist kein Zufall, dass ihr ausgerechnet jetzt, wenige Tage vor dem 15. August, hier her gekommen seid. Das ist genau so vorbestimmt. Ihr könnt euch aber retten, indem ihr nicht zu dem Berg geht. Folgt nicht der Bestimmung“, erklärte die alte Frau mit monotoner Stimme und verschwand wieder aus den Träumen von Jacob und Magdalena.

Jacob und Magdalena erwachten beide verwirrt und schweißnass zeitgleich aus ihrem Alptraum. Obwohl jeder bemerkte, dass der andere auch wach war, sprachen sie kein Wort und schliefen kurze Zeit später erneut ein. Am nächsten Morgen erwachten beide und fühlten sich wie gerädert. Später beim Frühstück, kam die Unterhaltung zwischen beiden nur sehr langsam in Gang.

„Wie hast du denn geschlafen?“ fragte Magdalena müde.

„Nicht so gut. Und du?“ antwortete Jacob brummig.

„Auch nicht. Vermutlich waren wir von der Fahrt überanstrengt“, mutmaßte Magdalena, „deshalb ist heute Wellness und totales Ausspannen genau richtig für uns.“

„Ja, denk ich auch. Wir gehen gleich nach dem Frühstück an die Rezeption und buchen auch die weiteren Anwendungen“, erwiderte Jacob.

Keiner sprach über seinen Alptraum. Nur langsam löste sich die innere Anspannung, die jeder in sich hatte, und es kam die heitere Unbeschwertheit der beiden zurück.

An der Rezeption ließen sie sich über die Erweiterung ihres bisherigen Wellness-Programms beraten und buchten gleich ihre zusätzlichen Anwendungen. Arm in Arm, wie frisch Verliebte schlenderten die beiden in Richtung der Wellness-Abteilung. Eine freundliche Hotelmitarbeiterin empfing das Ehepaar und führte es in einem kleinen Rundgang durch den Wellness-Bereich des Hotels. Zunächst nahmen beide ein Fangobad, anschließend ließen sie sich massieren. Sie hatten sich für eine klassische Massage entschieden, besuchten anschließend die große Saunalandschaft und das Dampfbad. Zwischendurch entspannten sie sich in der sommerlichen Sonne und am großen Außenpool auf dem Dachgeschoss des Hotels.

Magdalena schloss sich Jacob an und nahm zusätzlich noch einen großen Kosmetiktermin wahr.

Der Tag verging wie im Flug und auch die Alpträume waren vergessen. Beide fühlten sich wieder pudelwohl und erholt.

Am Abend ließ sich Jacob vom Concierge eine schöne und wenig anstrengende Wandertour vorschlagen. Die Tour sollte über knapp 20 Kilometer von der Bahnstation Hallthurm in Bischofswiesen nach Bad Reichenhall führen. Für das elsässische Ehepaar der richtige Einstieg, wie der Concierge meinte. Das Highlight der Tour sollte der Abstieg über den steilen Waxriessteig sein.

Am nächsten Tag frühstückten sie frühzeitig und ließen sich dann mit einem Taxi zu ihrem Ausgangspunkt, der Bushaltestelle Hallthurm in Bischofswiesen bringen. Von dort aus wanderten sie gemütlich durch Wälder, vorbei an am Signalkopf, dem Rotofenturm bis zur Steinbergalm, wo sie eine längere Rast machten. Von dort aus gingen sie den Steig hinauf und erreichten den Gipfel des Dreisesselbergs. Auf der Schlegelmulde-Alm machten sie auf fast 1.800 Höhenmetern ihre Mittagspause. Am Nachmittag erreichten sie den Waxriessteig, der mit vielen Kehren und steilen Stücken bergabwärts führte, um später die Stadt Bad Reichenhall zu erreichen.

Magdalena und Jacob sprachen auf ihrer Wanderung sehr viel miteinander, unterhielten sich über ihre Kinder und über Gott und die Welt. Den gemeinsamen Alptraum, mit dem Erscheinen der Moserin von der Vierkaser-Alm aus der vorletzten Nacht, hatten sie bereits wieder vergessen und keiner sprach die seltsame Begegnung im Weinlokal mit der alten Frau an.

Nach einer kleinen Ruhepause bummelten sie Arm in Arm durch Bad Reichenhall, aßen in einem sehr guten italienischen Restaurant ihr geliebtes Saltimbocca alla Romana und tranken dazu einen hervorragenden Barolo.

Erst am späten Abend fuhren sie mit einem Taxi zu ihrem Hotel zurück. Dort ließen sie den schönen Tag an der Hotelbar bei einem Cocktail ausklingen und überlegten sich noch ihr Programm für den nächsten Tag.

„Wollen wir morgen nach Salzburg oder eher nach München fahren?“ fragte Jacob lächelnd.

„Ich würde Salzburg bevorzugen, aber mir ist es egal“, grinste Magdalena, „schöne Dinge gibt es hier wie dort.“

„Oh, mein Schatz. Ich hab es gewusst. Morgen wird ein teurer Tag. Aber wenn du magst, fahren wir zuerst nach Salzburg“, lachte Jacob und küsste seine Frau.

„Wieso wird der Tag teuer werden?“ grinste Magdalena neckisch, „in Salzburg gibt es doch sehr viele Sehenswürdigkeiten wie die Festung, Schlösser, Parks und Museen.“

„Klar und jede Menge Boutiquen, Läden und soweit ich weiß auch ein Outlett-Center“, frotzelte Jacob seine Frau.

„Nein, wirklich?“ lachte Magdalena und nahm Jacob liebevoll in die Arme.

„Diesen Blick kenne ich. Ich hab es befürchtet. Aber wenn ich ehrlich bin, war mir das schon vor unserer Reise klar“, grinste Jacob und küsste seine Frau.

Die Barkeeperin, die das Gespräch der beiden Eheleute mitbekommen hatte, lächelte und stellte neue Cocktails vor Magdalena und Jacob.

Bevor sie in ihr Zimmer gingen, ließ sich Jacob an der Rezeption noch einen Reiseführer für Salzburg geben, den er auf dem Weg in ihr Zimmer flüchtig durchblätterte.

Am nächsten Morgen fuhren sie nach einem sehr ausgiebigen Frühstück mit ihrem Auto nach Salzburg, das sie bereits nach einer knappen Stunde erreichten.

Ihr erster Weg führte sie in das historische Zentrum der Stadt, das auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO steht. Natürlich mussten sie den Mozartplatz mit dem Mozartdenkmal besuchen, sowie den Dom und auch eine Reihe von Schlössern. Im barocken Mirabellgarten mit dem Heckentheater, dem Zwergelgarten und dem Bastionsgarten machten sie eine längere Pause, um dann anschließend in die Altstadt zurückzukehren, um dort ein wenig zu shoppen.

Jacob hatte Recht behalten. Es wurde ein teurer Tag. Magdalena erstand eine Designerhandtasche, passende Schuhe und ein wunderschönes Kleid eines italienischen Nobellabels. Aber Jacob freute sich, als er in die leuchtenden Augen seiner Magdalena sah.

In einem Bräustüberl ließen sie den Tag bei einem guten Essen ausklingen und fuhren zurück in ihr Berchtesgadener Hotel.

An den folgenden Tagen ruhten sie sich auf ihrem Zimmer oder am Dachpool des Hotels aus und nahmen ihre Wellness-Termine wahr. Ayurveda-Behandlungen, Massagen mit heißen Steinen, Sauna, Whirlpool, Yoga, Fitnessstudio oder auch nur das Ausspannen am Swimmingpool standen auf dem Programm. Beide nahmen auch Gesichtsbehandlungen, Peeling oder Gesichtsmasken, so dass sie bereits nach wenigen Tagen gut erholt aussahen. Statt Wein oder Bier tranken sie Fruchtcocktails und aßen viel Salat.

Abends schlenderten sie verliebt durch die Einkaufsstraßen der Stadt. Gingen gemeinsam Essen, Magdalena achtete bei den Bestellungen sehr auf eine vitaminreiche Kost, und sie unterhielten sich sehr viel.

Jetzt waren sie schon knapp über eine Woche in Berchtesgaden und saßen in einem gemütlichen Café, als Jacob vorschlug eine größere Wandertour über 2 oder 3 Tage hinweg zu machen. Magdalena war von der Idee total begeistert.

„Hast du dir schon überlegt welchen Weg wir gehen könnten?“ fragte Magdalena lächelnd.

„Nein, ich kenne mich hier ja nicht aus. Aber ich denke, wir könnten entweder zum Königssee oder auch nach Hallein gehen. Zum Königssee zu wandern, finde ich andererseits nicht ganz so spannend“, überlegte Jacob laut.

„Gut einverstanden. Gehen wir nach Hallein. Ich hab in einer Zeitschrift gelesen, das soll eine schöne kleine Stadt auf der österreichischen Seite sein und außerdem müssen wir dann nicht über die ganz großen Berge laufen, wenn ich richtig orientiert bin“, entgegnete Magdalena.

„Stimmt“, grinste Jacob, „das ist natürlich auch ein Argument. Wir sind ja hier um Urlaub zu machen und nicht auf der Flucht oder um Kraftsport zu machen und uns auszupowern. Nein, ich denke Hallein könnte eine wunderschöne Tour für uns beide sein. Ich frag mal nachher im Hotel den Concierge, ob es vernünftig ausgeschilderte Touren gibt oder ob es besser wäre, wenn wir einen Tourguide buchen.“

„Ein Führer wäre gut, vor allem wenn wir einen Weg nehmen, der früher von Schmugglern gegangen wurde“, lachte und feixte Magdalena enthusiastisch, „Puhhhh, weißt du so einen gruseligen Weg, den die Schmuggler und Wilddiebe aus Angst vor der Polizei oder den Jägern gegangen sind. Gruselig und super spannend.“

Jacob lachte mit seiner Frau. Er wusste genau was sie meinte und fand diese Idee auch sehr interessant.

Sie machten sich sofort auf den Weg in ihr Hotel und gingen dort direkt zum Concierge.

„Guten Abend. Wir möchten gerne wieder eine Wanderung machen, aber diesmal über zwei oder drei Tage. Ich weiß nicht wie die Wanderwege hier so ausgeschildert sind, vielleicht wäre es am besten die Wanderung mit einem Führer zu machen. Können sie uns da weiter helfen?“ erkundigte sich Jacob freundlich.

„Ja klar. Haben sie sich schon einen Zielort überlegt?“ antwortete der Concierge lächelnd, der bereits vermutete, was Magdalena und Jacob so vorschwebte.

„Ja. Unser Ziel soll Hallein sein. Wir haben uns überlegt, vielleicht gibt es da eine alte Schmugglerroute, die wir gehen könnten oder etwas in der Art“, mischte sich Magdalena ein.

„Das bedeutet, dass sie den Untersberg überqueren wollen. Richtig?“ überlegte der Concierge, „wann soll es denn los gehen?“

„Nun wir und bestimmt auch der Tourguide müssen uns erst noch vorbereiten. Ich denke wenn wir am 13. oder 14. August losgehen, also übermorgen oder einen Tag später, wäre das gut“, sagte Jacob freundlich lächelnd.

„Sie wollen am 14. August den Untersberg überqueren? Sind sie sich da sicher?“ fragte der Concierge nach.

„Ja, warum? Ist das ein Problem?“ erwiderte Magdalena.

„Problem nicht, aber der 14. August ist Maria Himmelfahrt und hier in Bayern und auch in Österreich ein hoher Feiertag. Außerdem ist an diesem Tag die Kräuterweihe in ganz Bayern und Österreich. Sie würden da vielleicht etwas verpassen, denn das ist sehr sehenswert. Außerdem erwarten wir zu diesem hohen Feiertag den Besuch des emeritierten Papstes Benedikt XVI“, grinste der Concierge.

„Ich denke, wenn sie keinen Tourguide finden, der uns begleitet, können wir uns immer noch diese Kräuterweihe und den Papst ansehen. Aber lieber wäre mir die Wanderung. Wir hätten dann noch eine Woche Regeneration hier in ihrem schönen Hotel mit dem wundervollen Wellness-Angebot“, erklärte Magdalena bestimmt.

„Gut ich werde gleich einige Wanderführer fragen, ob sie bereit sind mit ihnen die Tour zu machen. Ich melde mich dann bei ihnen“, entgegnete der Concierge freundlich.

Magdalena und Jacob gingen auf ihr Zimmer um sich umzuziehen und dann noch etwas Zeit am Swimmingpool und der Saunalandschaft des Hotels zu verbringen.

Bereits zwei Stunden später kam der Concierge zu ihnen an den Pool.

„Ich hab den Sepp Haderer aus Obergern erreicht. Der würde mit ihnen gehen. Sepp ist ein Original, eine Legende der Gegend hier unter den Bergführern und schon über 70 Jahre alt. Er kennt sich aus wie kein Zweiter und ist wohl mit jedem Stein der Gegend befreundet. Hat zwar seinen eigenen Kopf, aber das ist manchmal ganz gut so. Er wird morgen früh herkommen, dann können sie alles direkt mit ihm besprechen“, erklärte der Concierge freundlich und verabschiedete sich von dem Ehepaar.

„Spatzl, ich freu mich schon auf die Wanderung“, lachte Jacob und nahm seine Magdalena in die Arme.

„Ich auch. Mal sehen, was dieser Sepp für einer ist und ob der uns auch über so eine alte Schmugglerroute führt. Ich fände das spannend“, lachte Magdalena und sprang mit einem Kopfsprung direkt ins Wasser.

„Aber Schatz, bergsteigen werden wir nicht“, rief Jacob seiner Frau zu, als diese wieder aufgetaucht war.

Am nächsten Morgen, Jacob und Magdalena saßen noch gemütlich beim Frühstück, kam der Concierge mit einem älteren Mann an ihren Tisch.

„Herr Countz, Frau Countz. Ich möchte ihnen gerne Sepp Haderer aus Obergern vorstellen. Er wird sie auf Ihrer Wandertour führen“, erklärte der Concierge freundlich lächelnd.

Sepp Haderer entsprach dem Klischee eines typischen alpenländischen Urbayern. Er hatte einen dichten Vollbart, war etwa einmeterundsiebzig groß und trug eine kurze Lederhose mit einem rot-weiß karierten Hemd. Auf dem Kopf hatte er einen Hut mit einem großen Gamsbart. Jacob und Magdalena reichten dem alten Mann die Hand.

„Frühstücken sie aber bitte erst noch zu Ende. Sepp wird sie in unserem kleinen Besprechungsraum, gleich neben der Rezeption erwarten. Sie können dort in Ruhe über die Einzelheiten ihrer Tour sprechen“, sagte der Concierge, „wir wünschen ihnen noch einen guten Appetit. Ich hoffe es ist alles in Ordnung?“

„Ja, danke. Wir werden gleich bei Ihnen sein“, lächelte Jacob freundlich.

Der vertrocknete Walser Birnbaum und die Erben

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