Читать книгу ZU HASS ERZOGEN - rebelliert - IN LIEBE AUFGENOMMEN - Stephane Rambicourt - Страница 4

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Es ist wieder ein wunderschöner Frühlingstag mit strahlendem Sonneschein. Deutschlandsberg, die kleine Stadt in der südlichen Steiermark, erwacht langsam aus dem winterlichen Tiefschlaf. Der lange und harte Winter hat der Natur ordentlich zugesetzt, aber endlich jetzt im Mai hat die Sonne mit viel Kraft die Oberhand gewonnen und Kirschbäume, die in großer Anzahl ihre weißen und rosafarbenen Blüten gen Himmel recken, aus dem Winterschlaf erweckt. Die ganze Natur ist aus dem Tiefschlaf erwacht.

Der Betrachter, der das Erwachen der Natur verfolgt, fühlt und spürt die Schwingungen der Frühlingsmusik Vivaldi’s aus den vier Jahreszeiten. Kurz gesagt alles blüht und die Natur will, auf Teufel komm raus, den langen Winter vergessen machen.

Auch die Menschen der kleinen steirischen Stadt sind aufgetaut. Aus dem mürrischen Steirer wurde mit den ersten Sonnenstrahlen wieder der weltoffene „Südländer“.

Deutschlandsberg, unweit der Grenze zu Slowenien gelegen, hat knapp 11.000 Einwohner, eine außerordentlich schöne Landschaft mit Bergen, Burgen, Schlössern, Weinbergen, großen Obstplantagen und natürlich fehlen auch die großen für die Steiermark typischen Kürbisfelder und die riesigen Maisfelder nicht.

Eben an diesen Maisfeldern musste Alexandre Meijer mit seinen beiden Cousinen Ilse und Resi vorbeiradeln um zum nächsten Freibad in Gams zu kommen.

Hoppla, ein kleiner Fauxpas meinerseits, fast hätte ich vergessen mich ihnen vorzustellen.

Mein Name ist Alexandre Meijer und ich bin heute, im April 1971, siebzehn Jahre alt. Ich lebe seit einigen Jahren in einem kleinen elsässischen Dorf, in der Nähe der Hauptstadt Europas, Strasbourg, bei meiner Oma Else. Eigentlich stimmt das nicht so wirklich. Meine „Oma Else“ ist, ich muss sagen leider, nicht meine leibliche Oma. Oma Else heißt mit vollem Namen Else Meijer. Sie ist für mich eine richtige Bilderbuchoma geworden und ich liebe sie mehr als meine, sagen wir mal gesetzliche, Familie.

Ich bin im deutschen, genauer im badischen, Karlsruhe geboren worden. Zu meinen gesetzlichen Eltern, also meinen Erzeugern, hatte ich eine ganz extrem schlechte Beziehung und bin deshalb vor ein paar Jahren von dort abgehauen.

Meine Kindheit habe ich bei meinen Erzeugereltern verbracht. In der Zeit meiner Kindheit hatte ich die Auffassungen des Vaters und der Mutters als normal empfunden. Erst mit der Zeit fiel mir immer mehr auf, dass ich eigentlich dressiert oder gar abgerichtet werde. Widerspruch wurde nicht geduldet und endete grundsätzlich mit dem Ledergürtel in der Hand des Vaters oder dem Rohrstock der Mutter, die damit jeden Körperteil meines noch sehr jungen Körpers trafen. Sogar das reden mit ausländisch aussehenden Menschen oder mit Personen, die eine andere politische Meinung vertraten als meine Eltern, hatten heftige Schläge zur Folge.

Fatal wurde es jedoch, als der stellvertretende Rektor meiner Schule, in den Stadtrat gewählt wurde. Erst später stellte ich fest, dass der als Kommunist bezeichnete Mann, nur als Mitglied der Sozialdemokraten gewählt wurde. Die Folge war ein zunächst verbaler Kleinkrieg zwischen Vater und Lehrer. Als der Lehrer aber plötzlich nicht mehr in die Schule kam, weil er auf das Übelste zusammengeschlagen wurde, begann langsam mein Gehirn an zu arbeiten.

Einen weiteren beispielhaften Zwischenfall gab es, als ich vor dem Haus von einem sehr freundlichen jungen, aber farbigen Mann nach der Uhrzeit gefragt wurde. Meine Mutter erschien mit einem dicken Holzknüppel und schlug auf den Mann ein.

Gott sei Dank bekam ich in der Schule einen Deutsch-Lehrer, Herrn Groß, dem ich noch heute dankbar bin, dass er mir Werte wie Respekt und Toleranz vermittelt hat. Er war es dann auch, der mir die mir eigentlich verbotenen Bücher von Hermann Hesse (wie z.B. Steppenwolf oder das Glasperlenspiel), Thomas Mann oder Siegfried Lenz zum lesen gab. Besonders die Bücher von Hermann Hesse haben mich im Alter von elf Jahren sehr inspiriert und nachdenklich gemacht; ich konnte sie ja leider nur nachts unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe lesen.

Besonders eine Stelle in Hermann Hesses „Steppenwolf“ ist mir immer im Gedächtnis geblieben:

„...Ein Mensch, der fähig ist, Buddha zu begreifen, ein Mensch der eine Ahnung hat von den Himmeln und den Abgründen des Menschentums, sollte nicht in einer Welt leben, in welcher common sense, Demokratie und bürgerliche Bildung herrschen. Nur aus Feigheit lebt er in ihr, und wenn seine Dimensionen ihn bedrängen, wenn die enge Bürgerstube ihm zu eng wird, dann schiebt er es dem –Wolf- in die Schuhe und will nicht wissen, dass der Wolf zuzeiten sein bestes Teil ist. ...“

War es der Reiz des Verbotenen, oder war dies der erste Aufstand gegen meine biologischen Erzeuger? Ich weiß es nicht, vielleicht war es auch mein innerer „Wolf“.

Eines weiß ich sicher, dass Hermann Hesses Bücher in unserer Familie strengstens und massiv verboten waren. In den Augen meiner Eltern war das entartete Kunst. Mit dem Begriff konnte ich damals allerdings noch nicht besonders viel anfangen. Erst später ging mir ein Licht auf. Nein eigentlich war es ein ganzer Kronleuchter, der mir aufging.

Ab dieser Zeit ließ ich mich nicht mehr von meinen Eltern dressieren und abrichten. Und dank meines Deutschlehrers ging ich auf Konfrontation, zeigte den „Wolf“ in mir. Dabei war es mir egal, dass ich körperlich immer den Kürzeren zog und grün und blau geschlagen zur Schule gehen musste. Intellektuell sah ich mich aber vollkommen im Recht und wusste, dass meine Stunde kommen wird.

Ich kann mich auch an die vielen Besucher in unserem Haus sehr gut erinnern, weil diese aus aller Welt kamen und mit denen mein Erzeuger oft über meine Aufmüpfigkeit sprach. Tenor war immer “Du musst ihn auf Kurs bringen“, oder auch „schick ihn mir mal nach Argentinien. Ich bekomme den schon auf Kurs.“

Auch zu meinen Geschwistern, Hedwig und Marius, habe ich gar keinen Kontakt, aber das ist mir ganz recht so. Für die bin ich bestimmt ein Spinner und linker Quertreiber. Meine Eltern hatten das zumindest von mir immer behauptet.

Die schlechte Beziehung zu meinen Eltern, ganz besonders zu meinem Vater, rührt nicht aus seiner Brutalität mir gegenüber, sondern aus dessen Vergangenheit aus der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Rolle, die er in dieser Zeit einnahm und sogar heute noch in gewissen Kreisen einnimmt. Ich konnte diese Vergangenheit durch Fotografien, Briefe und natürlich auch Lauschaktionen in einer jugendlichen Detektivarbeit für mich aufdecken. Dass diese Rolle sein und auch mein Leben bis heute beeinflusst und prägt oder geprägt hat ist mir vorher nie aufgefallen, aber eine Realität.

Mag wohl daran liegen, dass ich mich dank meines Deutschlehrers zu einem kritischen Menschen entwickelt habe, gegen den erklärten und schlagkräftig bekundeten Willen meines Vaters und meiner Mutter. Ich möchte hier an dieser Stelle nicht weiter auf seine Rolle in der Zeit zwischen 1940 und 1945 eingehen, die auch die NS-Vergangenheit meiner Mutter betraf. Der geneigte Leser kann sich aber sicherlich denken welche Rolle er wohl eingenommen haben könnte.

Mein endgültiger Widerstand gegen meine Familie und Bruch der Beziehungen begann eigentlich damit, dass mir zufällig aufgefallen ist, dass mein „Erzeuger“ einen anderen Nachnamen hatte, als sein Bruder in Deutschlandsberg, der Brunner heißt. Nachfragen nach dem Grund blieben, mit schlagkräftigen Argumenten – ist Schlagen ein Argument? Nein, ist es nicht - unbeantwortet.

Ein sehr weiser Mann sagte einmal zu mir, als ich ihm erzählte, dass ich die Vergangenheit meiner Eltern erforschen und für mich aufarbeiten möchte: „Bua, lass den Geist ruhen. Es hilft heute niemandem mehr, wenn du was heraus bekommst. Und vielleicht wird dir das nicht sehr gefallen, was du da heraus bekommst“.

Nun, als sehr wissensdurstiger junger Mensch habe ich den Geist ruhen lassen, aber erst als ich herausgefunden hatte, was ich wissen wollte. Und ehrlich, es hat mir nicht wirklich gefallen, was da zum Vorschein gekommen ist.

Die Folge, als ich zwölf sehr aufmüpfige Jahre alt war, trat der „Wolf“ in mir, um in der Sprache von Hermann Hesse zu bleiben, hervor. Ergo, war der sofortige Abbruch sämtlicher Verbindungen zu meiner gesetzlichen Familie für mich der einzige Ausweg.

Mein heimlicher „Auszug“ aus dem elterlichen Haus, richtig ausgedrückt, bin ich abgehauen, geflohen und nach tagelangem umherstreunen, in einem alten Heuschober im Elsass gelandet, der meiner heutigen, von mir adoptierten, „Großmutter“ gehörte. Sie hat mich gefunden, aufgepäppelt (klar nach einigen Tagen ohne Essen oder Trinken) und nachdem sie meine Geschichte kannte, bei sich behalten und zu einem aufgeschlossenen, toleranten jungen Menschen erzogen.

Seit diesem Tag ist sie meine geliebte Oma Else.

Oma Else war damals bereits sechzig Jahre alt und bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof mit einer kleinen Milchwirtschaft und Tabak- und Maisfeldern, von denen sie gut leben konnte. Ich half ihr und helfe ihr noch heute natürlich sehr gerne tatkräftig bei der Arbeit. Sie hat zwei Töchter die knapp zehn Jahre älter waren als ich.

Ihr Ehemann Francois verstarb an einer Krebserkrankung.

Während des 2. Weltkrieges war ihr Ehemann mit General de Gaulle im Exil in England und sie in der elsässischen Ressistance sehr aktiv. Seit dieser Zeit hatte sie die allerbesten Verbindungen zu den Behörden des kleinen Dorfes in dem sie wohnte, aber auch zur Präfektur des Departements Bas-Rhin im Elsass. Sie organisierte für mich „echte“ französische Papiere, sogar mit amtlicher Geburtsurkunde aus meinem Geburtsjahr, auf den Namen Alexandre Meijer.

Der eigentliche Besitzer der Papiere ist als Kind von marodierenden SS-Truppen auf der Flucht erschossen worden, ebenso wie Oma Else’s Tochter Salomé und deren Ehemann Charles.

Ihre Tochter Marie überlebte die Kriegswirren unbeschadet und lebt mit ihrem Ehemann Joseph im gleichen Dorf wie Oma Else, nur drei Häuser weiter und betreibt ebenfalls eine kleine Landwirtschaft.

Oma Else ist eine groß gewachsene schlanke Frau mit grau-blonden Haaren und ein herzensguter Mensch. Sie trägt in der Regel, wie es in der Zeit üblich war ihre Kittelschürze und hat die Haare zu einem kleinen Dutt zusammen gebunden. Diese wundervolle Frau war das Beste das mir hatte passieren können.

Heute im Jahr 1971, mit noch nicht ganz 17 Jahren, habe ich vorzeitig mein Abitur am Gymnasium in Strassbourg machen können, weil ich mehrere Klassenstufen überspringen konnte. Ich habe sogar eine Auszeichnung für mein Abitur bekommen.

Oma Else wünscht sich sehnlichst, dass ich Jura studieren würde, um Menschen in Not helfen zu können. Allerdings sagte sie auch sofort dazu:

„Deinen Vater und deine Mutter lässt du aber in Ruhe. Und halte dich zurück, sollte etwas über deine Eltern bekannt werden. Es würden sonst Dinge geschehen die dir und mir nicht gefallen werden. Versprochen?“

„Ja Oma, ich verspreche es dir. Die können mir total gestohlen bleiben und außerdem sind die für mich alle gestorben, außer meinem Onkel Wendel in Deutschlandsberg, in der Steiermark“, erklärte ich mit sehr ernster Miene.

Oma Else fragte mich anfangs total über meinen Onkel Wendel aus, und schrieb dann mit ihm mehrere Briefe, bevor sie mich erstmals zu ihm fahren ließ und sie sich sicher war, dass ich in Deutschlandsberg auch wirklich absolut sicher war.

Seither darf ich meine Urlaube bei meinem Onkel Wendel verbringen. Er hatte Oma Else versprochen, mich von seinem Bruder, meinem Erzeuger, in Deutschland fernzuhalten und auch nichts über meinen Aufenthaltsort verlauten zu lassen. Dieses Versprechen abzugeben, war für Onkel Wendel und seine Familie, ein leichtes, da auch sie große Probleme mit der aktuellen politischen Haltung und Vergangenheit meiner Eltern hatten und der Kontakt sich nur auf schriftliche Geburtstagsgrüße oder Kurzbesuche begrenzte. Für die Nachbarschaft war ich der französische Brieffreund von seiner Tochter Ilse. Nur eine Nachbarin, die Juristin und Politikerin Bulthaupt wusste Bescheid, da sie auch meinen Onkel unterstützte und beriet.

Onkel Wendel war ein drahtiger Endvierziger und hatte so gar nichts gemein mit meinem Erzeuger. Er war sehr lustig und auch immer für einen Spass zu haben. Von Beruf war er Polier auf dem Bau und Kranführer. Trotz meiner erst 17 Jahre war ich einen Kopf größer als er, aber er hatte eine wahnsinns Kraft in seinen Armen.

Mit meinen Cousinen Resi und Ilse, beide in meinem Alter, hatte ich immer eine riesen „Hetz“, wie sie in der Steiermark sagen und bin auch ständig mit ihnen und den Nachbarmädchen Anita und Bärbel unterwegs gewesen. Sei es mit dem Fahrrad zum Schwimmbad nach Gams, der aufmerksame Leser erinnert sich bestimmt noch an die eingangs erwähnten Maisfelder, oder heimlich mit dem blauen Motorroller meines Onkels in die Stadt oder zum Schloss Hollenegg. Wenn uns Onkel Wendel dabei erwischte, bekam in der Regel Ilse ein kleine Abreibung und Hausarrest oder so ähnlich. Resi, sie war immer die brave unter uns, und ich kamen in der Regel ohne Bestrafung davon. Das machte mir oft ein schlechtes Gewissen, aber Ilse meinte es sei schon okay so. Alles in allem hatte ich in Deutschlandsberg immer eine wunderschöne Zeit.

Heute, im Rückblick, wundere ich mich, warum ich immer noch so schlank geblieben bin, denn meine Tante Maria bekochte und bebackte mich mit den herrlichsten Leckereien. Und sie konnte kochen und backen, Wahnsinn. Hier nur einige kleine Beispiele, der Leckereien, deren Aroma ich sogar heute noch an meinem Gaumen spüre. Der gesundheitsbewusste Leser möge jetzt kurz weg schauen, aber Powidldatschkerln, Käsestrudel, Apfelstrudel, Mohnstrudel, Zwetschgenknödel oder Palatschinken sind nur einige wenige Beispiele, die mir schmeckten und die ich regelrecht in mich hinein schaufelte. Nicht, dass meine Oma nicht gut kochen würde, nein, sie kochte außergewöhnlich gut, aber anders. Bei meiner Tante standen vor allem Mehlspeisen im Vordergrund, während es bei meiner Oma die typische elsässische Küche, mal deftiges, mal mediterranes Essen gab. Oma Else ist bis heute für mich die beste Köchin der Welt.

Aber das soll nicht die Geschichte sein, die ich erzählen möchte.

Eine unbeschwerte Jugend- und Teenagerzeit hatte ich nur im Elsass bei meiner „Oma“ und meiner geliebten „neuen“ Patentante Marie, der Tochter von Oma Else, oder eben in der Steiermark bei meinem Onkel Wendel mit Familie. Aber egal, meine Oma, Tante Marie und die Familie meines Onkel Wendel sind für mich die wichtigsten Menschen meiner Jugendzeit.

Dass ich selbst vielleicht eine schwierige Natur sein könnte, ist bestimmt eine unzutreffende Annahme (grins)- ein Schelm der etwas Gegenteiliges behaupten würde.

Ich bin eben ich, ein Kind seiner Zeit, den wilden Sechziger und siebziger Jahren.

ZU HASS ERZOGEN - rebelliert - IN LIEBE AUFGENOMMEN

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