Читать книгу Erfolg ist ein Mannschaftssport - Stephanie Borgert - Страница 18
»Ich sehe was, was du nicht siehst«
ОглавлениеSie selbst sind just in diesem Moment ein Beobachtender 2. Ordnung, denn Sie lesen die hier aufgeschriebenen Ergebnisse meiner Beobachtungen. Ich schreibe über etwas, das für Ihren Arbeitsalltag relevant ist (sonst hielten Sie vermutlich dieses Buch nicht in den Händen), aber eben aus meiner Perspektive. Sie lesen in diesem Buch über Ihren Alltag mit einem anderen Blick, mit anderen Interpretationen und Schlussfolgerungen. Für Sie als Leser oder Leserin entsteht eine eigene Realität, die sich von Ihrer eigentlichen unterscheidet. Die Realität wird quasi gedoppelt, und das führt dazu, dass Ihre gewohnte infrage gestellt werden kann. Das, was für Sie bisher nicht hinterfragbar war, wird mit der Möglichkeit zur Veränderung versehen, allein dadurch, dass Sie meine Beobachtungen beobachten. Denn Sie werden irritiert und es taucht die Frage nach der »richtigen« Sichtweise auf. Die Irritation rüttelt an Ihren Vorurteilen und Überzeugungen, was zu Erkenntnissen, Aha-Erlebnissen und aktualisierten mentalen Modellen führen kann. Aber eben kann. Eine klare Ursache-Wirkungs-Relation lässt sich natürlich nicht aufmachen. Was Sie, liebe Leserinnen und Leser, als komplexe Systeme, die Sie sind, daraus machen, kann ich nicht vorhersagen. Warum aber ist es wichtig, den Prozess des Beobachtens hier zu erwähnen? Weil er immer stattfindet und enorm wichtig ist, wenn es darum geht, Systeme zu verstehen und passende Interventionen zu finden.
»Das Ideal der zweiwertigen Logik, wonach Aussagen entweder ›wahr‹ oder ›falsch‹ zu sein haben bzw. sind und etwas Drittes nicht möglich ist, ist ein typisches Landkartenphänomen, d. h. ein Merkmal des Zeichensystems, ein Artefakt, das durch den Beobachter produziert wird; die tatsächlich existierende Welt ist immer voller Widersprüche, Antagonismen, Unklarheiten, Vieldeutigkeiten und Oszillationen; daher ist Ambivalenz eigentlich die für Beobachter angemessene Normalverfassung; das macht es für den Beobachter nötig, immer wieder neu zu entscheiden, obwohl es keine sicheren Kriterien für die ›Richtigkeit‹ der Entscheidung gibt; das gilt für Entscheidungen über Beschreibungen von Phänomenen ebenso wie für Entscheidungen über ihre Erklärung und Bewertung und schließlich auch und vor allem für die daraus abzuleitenden Handlungskonsequenzen.« (Fritz B. Simon 2020, S. 116)
Um das Wie der Realitätskonstruktion geht es bei der Beobachtung 2. Ordnung, also bei dem, was Sie gerade tun, während Sie hier lesen. Sie erkennen meine Wirklichkeitskonstruktion und vollziehen meine Interpretationen nach. Es ist die zentrale Beobachterperspektive, wenn wir Organisationen beeinflussen wollen. Ohne Beobachtung (und Benennung) keine Hypothesen. Ohne Hypothesen keine Interventionen. Ohne Interventionen keine Irritation. Beobachten kann jeder, Beobachtete beobachten ebenfalls. Aber niemand hat den vollständigen Blick auf alles, wir betrachten immer nur Ausschnitte. Und dabei, das sei noch einmal deutlich erwähnt, sind alle Beobachtungen bzw. ihre Ergebnisse Konstruktionen. Sie sind unvollständig und subjektiv, also kritisierbar. Dieser Punkt lässt sich nicht auflösen, was aber auch nicht weiter schlimm ist. Lassen sich Beobachtungen so doch hervorragend für einen konstruktiven Diskurs nutzen.
Meiner Erfahrung nach können Menschen sehr gut Auskunft über das Was geben. Die Fakten und das Fachliche stehen in der Kommunikation miteinander klar im Vordergrund. Die Reflexion auf das Wie darf gerne noch mehr Übung bekommen. Man beginnt am einfachsten mit der Eigenreflexion als Übung zur Beobachtung.