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Auf der Fährte des Wolfes

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Währenddessen saß Zwei Federn, der Vater von Kleiner Wolf, unbeweglich auf seinem Platz ganz hinten im Zelt.

Sein hageres Gesicht war finster und verbittert.

Die Augen waren zur Hälfte geschlossen.

Zwei Federn schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Er schien nicht bemerkt zu haben, daß Grauer Vogel und ihre Mutter gerade im Zelt gewesen waren.

Vor nicht langer Zeit war Zwei Federn als ein großer Jäger bekannt gewesen – und als ein guter Geschichtenerzähler.

Viele seiner Geschichten hatten fröhliches Gelächter hervorgelockt – besonders die über seinen Schwager Gelber Bär, den Vater von Grauer Vogel. Er hatte einmal versucht, einen großen Hirsch zu fangen, indem er ihn am Schwanz festhielt.

Dies war weit im Westen passiert, in den Wäldern unter den Hohen Bergen, dem Rückgrat der Welt.

Mit dem Wind im Gesicht war es Gelber Bär gelungen, ganz nah an einen riesigen Hirsch heranzukommen, der in einer Lichtung äste. Gelber Bär hatte schnell die Flinte zur Hand und schoß. Der Hirsch fiel zu Boden und blieb völlig unbeweglich liegen.

Doch Gelber Bär war ein schlechter Schütze. Die Kugel hatte nur den Kopf des Hirsches gestreift, und als Gelber Bär nun kam, um ihm das Fell abzuziehen, richtete sich das Tier plötzlich wieder auf.

Gelber Bär war so erstaunt, daß er sein Messer fallen ließ. Aber er konnte den Hirsch noch am Schwanz packen, gerade als dieser auf den Waldrand zu losspringen wollte.

Gelber Bär wollte doch seine schöne Beute nicht entkommen lassen.

Nie hat wohl ein Hirsch so wilde Sprünge gemacht, und nie hat ein Jäger jemals versucht, so schnell zu springen.

Der Hirsch raste Runde um Runde um die Lichtung mit Gelber Bär, der an seinem Schwanz hing ... Das Ganze endete damit, daß der tapfere Jäger auf dem Boden lag – mit aufgeschlagenen Knien und einem großen Haarbüschel in der Hand.

Diese Geschichte hatte Zwei Federn im warmen Feuerschein der alten Zeiten erzählt. Und alle hatten gelacht – auch Gelber Bär. Zu jener Zeit war Gelber Bär ein sehr eigenwilliger, aber lieber und wohlwollender Mann gewesen, der nichts dagegen hatte, wenn man über ihn lachte.

Hier jedoch, im Reservat, hatte er sich verändert – er und viele andere. Das Geister-wasser hatte ihn dazu gebracht, einen der Menschen, den er am meisten liebte, zu schlagen: seine eigene Tochter – Grauer Vogel.

Die bemerkenswerteste Geschichte von Zwei Federn hatte er jedoch selbst erlebt:

Eines Winters war er der Fährte eines sehr großen Wolfes gefolgt. Die Spuren führten ihn weit in die Ebene hinaus. Dies geschah im Monat der Großen Kälte. Der Kältemacher war plötzlich auf seinem weißen Pferd geritten gekommen, und sein kalter Mantel aus Schnee und rauhem Wind fegte über die Ebene hinweg.

Zwei Federn mußte rasch Schutz suchen. Schritt für Schritt kämpfte er sich durch das heulende Schneegestöber, und seine Füße wurden immer schwerer. Aber bevor es dem Kältemacher gelang, ihn zu besiegen, erreichte Zwei Federn einen Hügel, auf dem Büsche und Bäume wuchsen.

Hier war er vor dem Wind geschützt. Hier konnte er sein Büffelfell aufspannen und Feuer machen.

Als die Flammen schließlich loderten, sah er zwei leuchtende Punkte in der Dunkelheit auf der anderen Seite des Feuers.

Da stand der Wolf und starrte ihn an.

Zwei Federn hob seine Flinte und drückte ab – aber der Schnee hatte dem Pulver seine Kraft geraubt.

Der Wolf verschwand.

Zwei Federn zog einen brennenden Ast aus dem Feuer. Er wollte die Fährte des Wolfes verfolgen, bevor der Schnee sie verwischte. Später verstand nicht einmal mehr er selbst, warum er dies tat.

Die Fährte führte ihn zu einer toten, halb zugeschneiten Frau. Sie lag unter einem Baum, und an einem Ast über ihr hing ein Beutel aus zusammengenähten Fellen. Darin lag ein fast neugeborener Junge. Er lebte.

Und er lebte auch dann noch, als Zwei Federn mit ihm in das Lager von Häuptling Schwarzer Adler zurückgekehrt war.

Als die Ältesten des Lagers erfuhren, wie Zwei Federn den Jungen gefunden hatte, waren sie fest überzeugt: Zwei Federn war keinem gewöhnlichen Wolf begegnet.

Und aus Ehrerbietung gegenüber dem Geist des Wolfes gaben sie dem Jungen den Namen Kleiner Wolf. Zwei Federn und Sanftes Reh hatten keine eigenen Kinder und nahmen ihn als ihren Sohn bei sich auf.

Zwei Federn lehnte sich gegen die Lehne aus geflochtener Weide zurück und schaute mit großem Ernst auf den Jungen, zu dem der Wolf ihn vor bald zehn Wintern geführt hatte.

Kleiner Wolf war nicht sehr groß, aber kräftig und gut gewachsen. Sein Gesicht war schön. Er spielte selten mit den anderen Jungen im Lager und schien oft tief in seine Gedanken versunken zu sein.

Die Augen von Zwei Federn wurden größer, als er den Jungen betrachtete. Das Gesicht glättete sich, und er streckte die Hände gegen das Feuer, wie er es immer tat, wenn er etwas Wichtiges verkünden wollte.

An diesem Abend aber zog er seine Hände wieder zurück. Er kreuzte die Arme über der Brust und schwieg weiter.

Kleiner Wolf bemerkte dies, aber er wollte Zwei Federn nicht in seinen Gedanken stören.

Er wußte, daß das, was er befürchtete, bald geschehen würde.

An diesem Abend konnte Kleiner Wolf schlecht einschlafen. Sobald er die Augen schloß, sah er die blutigen Lippen von Grauer Vogel vor sich.

Kleiner Wolf und die sprechenden Zeichen

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