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Vorwort

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Seit nunmehr drei Jahrzehnten spielt Stuart Hall eine führende Rolle im Spektrum der britischen Linken. Anders als seine etwas älteren Mitstreiter Raymond Williams oder E.P. Thompson hat ihn allerdings nicht die Veröffentlichung eines Klassikers – der Kulturtheorie oder Sozialgeschichtsschreibung – bekannt gemacht. Die publizistische Tätigkeit des 1932 auf Jamaika Geborenen, erst als Stipendiat Anfang der fünfziger Jahre nach England Gekommenen verlief weniger spektakulär, ohne deswegen weniger ertragreich oder anregend zu sein. Ob als Zeitschriftenherausgeber oder Projektleiter, stets wusste Hall seine Person in den Hintergrund zu stellen. Mit selbstverleugnender Bescheidenheit reihte er sich in Arbeitszusammenhänge und Autorenkollektive ein, weil, wie er es einmal in einer Bilanz seiner Tätigkeit am Centre for Contemporary Cultural Studies formulierte, ihm die »einsame, isolierte, individualisierte und konkurrenzbesessene Arbeitsweise« ein Gräuel war. Ähnlich dem Prinzip des »forschenden Lernens«, mit dem hierzulande in den siebziger Jahren einzelne Reformuniversitäten angetreten sind, organisierte und praktizierte er die Arbeit in Projekten und Forschungsgruppen, im strikten Gegensatz zu jener verbreiteten Spezies Einzelkämpfer unter den Geisteswissenschaftlern, »die ihre Arbeitsthemen wie Schlagstöcke im Gepäck herumtragen«. Diese Einstellung erklärt zum Teil, weshalb es auch in Großbritannien bis 1988 nicht ein einziges Buch gab, in dem der Autor als Alleinverfasser firmierte.

Als sich im Gefolge der krisenhaften Ereignisse des Jahres 1956 (20. Parteitag der KPdSU mit der berühmten Chruschtschow-Rede, Suez-Invasion, Ungarnaufstand) die New Left herauskristallisierte, gehörte Stuart Hall zu den Aktivisten der ersten Stunde. Dank seiner glänzenden Rhetorik war der Mitbegründer und -herausgeber der Oxforder Universities and Left Review ein gefragter Redner auf vielen Tribünen und Veranstaltungen. In der New Left kamen ehemalige Kommunisten – die britische Partei hat 1956-58 fast zehntausend Mitglieder verloren – und Labour-Linke zusammen, Kritiker der Konsumgesellschaft und Anhänger der Kampagne für nukleare Abrüstung, engagierte Schriftsteller und radikale Akademiker. Als sich die Universities and Left Review 1960 mit dem u.a. von Thompson edierten New Reasoner zur heute noch erscheinenden New Left Review zusammenschloss, hieß der Herausgeber wiederum Stuart Hall.

Die erste akademische Position, die Hall bekleidete, war eine Dozentur für Medienwissenschaft am Chelsea College in London (1961-64). Hier entstand das gemeinsam mit Paddy Whannel geschriebene Buch The Popular Arts (1964), eine Gegenstandsbeschreibung und Analyse massenhaft verbreiteter Kulturformen von Film und Fernsehen bis zu Groschenheften und Popmusik, unter Berücksichtigung ihrer möglichen Einbindung in den schulischen und universitären Unterricht. Anlage und Ergebnisse dieses Werks ebenso wie die Teilnahme an den Kulturdiskussionen der New Left prädestinierten Hall für die Arbeit an dem 1964 von Richard Hoggart an der Universität Birmingham eröffneten Centre for Contemporary Cultural Studies.1 Die Untersuchungen von Hoggart (The Uses of Literacy, 1957) und Williams (Culture and Society 1780–1950, 1958, sowie The Long Revolution, 1961) hatten das materiale und theoretische Fundament gelegt, die Aufbruchsstimmung der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre das geistige Klima geschaffen, in dem gegen beträchtliche Widerstände ein kulturwissenschaftlicher Aufbaustudiengang und ein neues Forschungsparadigma inauguriert werden konnten. Die inhaltliche Ausrichtung und der konzeptionelle Rahmen von Cultural Studies, wie wir sie heute in Großbritannien an vielen Polytechnics und einigen wenigen Universitäten finden, sind jedoch untrennbar mit dem Namen Stuart Hall verbunden. Erst unter seiner Leitung – Hoggart war 1969 zur Unesco nach Paris gegangen – hat das Centre die an seine literaturwissenschaftliche Herkunft gemahnende Orientierung an »Texten« zugunsten der Konzeptualisierung von kulturellen Praxen abgelegt, die Gesellschaftstheorie gegenüber der funktionalistischen Soziologie in den Vordergrund gerückt und die Parteinahme zugunsten marginalisierter und unterprivilegierter sozialer und ethnischer Gruppen an den Tag gelegt, die vielen argwöhnischen Beobachtern ein Dorn im Auge war und ist.

Mit der Entstehung einer neuen pluralen marxistischen Kultur in Großbritannien, entschieden gefördert durch den massiven Import kontinentaler Denkansätze seitens der neuen Mannschaft der New Left Review um Perry Anderson, wuchs dem Centre zumindest im Bereich der Kulturanalyse eine Avantgarde-Position zu. Es gab eine Zeit, in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, als das Erscheinen eines Heftes der Institutszeitschrift Working Papers in Cultural Studies an manchen linken Fachbereichen besonders der Polytechnics mit der gleichen Ungeduld erwartet wurde wie hier während der Studentenbewegung das Neueste aus den Redaktionszimmern des Argument, der alternative oder des Kursbuch. Zwar hatten die Working Papers zunächst eine ungleich niedrigere Auflage. Das sollte sich jedoch in dem Augenblick ändern, als die Bände in das Verlagsprogramm von Hutchinson übernommen wurden: Der erste Titel Resistance through Rituals (1976) – deutsch in veränderter Fassung 1979 als Jugendkultur im Widerstand – musste gleich mehrfach nachgedruckt werden.

Eingeleitet worden ist die Rezeption der Arbeiten Stuart Halls in der BRD durch ein vom WDR ausgestrahltes Rundfunkinterview 1977, das noch im gleichen Jahr in Gulliver 2 (Argument-Sonderband 18) abgedruckt wurde. Frühere Präsentationen des Centre in Ästhetik und Kommunikation 24 (1976) und Literaturmagazin 5 (1976) hatten weniger Resonanz. Waren es zunächst die ethnographischen Arbeiten, die hier in die Jugendkulturdiskussion Eingang fanden, so hat Das Argument (seit Heft 118, 1979) vor allem an die Ideologieforschung angeknüpft. In On Ideology (1978; zugleich auch zehnter und letzter Band der Working Papers, 1977) hatten Hall und seine Mitarbeiter Althussers Bestimmung von Ideologie als real existierendes gesellschaftliches Verhältnis, verankert und reproduziert in Institutionen, zwar gewürdigt, zugleich aber auch wegen ihrer funktionalistischen Schlagseite, die kaum Platz für Widerspruch und Opposition ließ, kritisiert.

Für das Projekt Ideologie-Theorie (1977–1985) wurden diese Arbeiten zu einer Art von Gründungstexten. Von hierher las man Althusser und Gramsci neu, arbeitete schließlich die marxistischen Positionen in der Ideologiefrage auf. In den daraus resultierenden Theorien über Ideologie (1979, Argument-Sonderband 40) ist Stuart Halls Einfluss nicht nur durchweg zu spüren, sondern von ihm stammt auch der historische Abriss über Ideologie und Wissenssoziologie in bürgerlicher Tradition (Kapitel 7). In der Camera obscura der Ideologie (1984, Argument-Sonderband 70), einem Band mit drei Bereichsstudien des Projekts Ideologie-Theorie über Philosophie, Ökonomie und (Natur-) Wissenschaft, taucht Stuart Hall wiederum als einer der drei Autoren auf. Man kann sagen, dass die Veröffentlichung des vorliegenden Bandes eine späte Folge dieser Zusammenarbeit ist.

In der Kampagnenanalyse, die das Buch Policing the Crisis: Mugging, the State, and Law and Order (1978) liefert, verbindet sich das den Jugendkulturarbeiten eignende Moment der Empathie mit der These von den hegemonialen Strukturen der Ideologietheorie. Ausgangspunkt war hier die in den britischen Medien geschürte, rassistisch besetzte Hysterie vor der gewalttätigen Straßenkriminalität, die hauptsächlich jungen Schwarzen angelastet wurde. Hall, wie erwähnt selbst Westinder, und seine Ko- Autoren zeigen, wie der durch die Wirtschaftskrise brüchig gewordene gesellschaftliche Konsens durch die Panikmache vor dem mugging zusammengekleistert wird, wobei reale Erfahrungen und irreale Ängste gerade auch »kleiner Leute« mobilisiert und zielverschoben eingesetzt werden: In der Abschottung von den stigmatisierten schwarzen Jugendlichen wird die Nation erneut auf die staatstragende Eigentumsideologie eingeschworen, so als hätten die Mugger mit ihren bei brutalen Überfällen entwendeten Brieftaschen die Institution des Privateigentums überhaupt in Frage gestellt. (Begriffe wie »Konsens« und »Hegemonie« signalisieren den Bezug auf Gramsci, der hier gewissermaßen als Korrektiv zu Althusser fungiert.)

Staatstheoretische Ableitung und aktuelle politische Analyse fließen auch in den Schriften über den Thatcherismus zusammen, den Hall schon früh als äußerst ehrgeiziges Projekt begriffen hat, die gesamten sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit zurückzurollen und unter geschicktem Einsatz populistischer Rhetorik längst residual geglaubte viktorianische Werte wie Eigeninteresse, Konkurrenz, Strebsamkeit, Nation, Familie, Pflichtgefühl usw. wiederzubeleben und aggressiv durchzusetzen. Zunächst in der Zeitschrift Marxism Today erschienen, deren ständiger Mitarbeiter Hall ist, sind diese Aufsätze zum Teil in The Politics of Thatcherism (1983) gesammelt. Durch die Zugehörigkeit zum »advisory board« von Marxism Today, der attraktiv gestalteten und monatlich in 17000 Exemplaren vertriebenen Zeitschrift des eurokommunistischen Mehrheitsflügels der britischen KP, bekennt Hall auch politisch Farbe, wobei sich die Einschätzung, eine sozialistische Alternative zum Stalinismus wie zur Sozialdemokratie zu finden, bis auf das gemeinsam mit Williams und Thompson 1967/68 verfasste May Day Manifesto zurückverfolgen lässt.

Februar 1989 H. Gustav Klaus

1 Stuart Hall blieb bis 1979 am CCCS in Birmingham. Seither ist er Professor für Soziologie an der Open University

Ideologie, Kultur, Rassismus

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