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Das »Politische« und das »Ökonomische« in der marxschen Klassentheorie
ОглавлениеDie Grenzen dieses Artikels liegen auf der Hand. Ein umfassender oder systematischer »Überblick« über die marxsche Klassentheorie kann hier nicht geboten werden. Erstens, weil Klassen, Klassenverhältnisse und Klassenkampf Begriffe sind, die im Zentrum von allem standen, was Marx geschrieben hat – einschließlich natürlich des Kapitals, seinem Hauptwerk über die »Bewegungsgesetze« der kapitalistischen Produktionsweise, in dem das Thema »Klassen« ganz ans Ende verlegt ist und auf geradezu peinigende Weise unvollständig bleibt. Eine umfassende Würdigung von »Marx zum Thema Klassen« würde daher auf die Rekonstruktion seines gesamten Werkes hinauslaufen. Zweitens, weil es die »Klassentheorie« im Sinne einer homogenen Einheit oder eines homogenen Gegenstandes bei Marx gar nicht gibt. Marx hat in jeder wichtigen Phase seiner Arbeit über Klasse und Klassenkampf geschrieben. Wir wissen, dass diese Texte einen unterschiedlichen Stellenwert haben und mit unterschiedlichen Absichten geschrieben wurden, und dass dies entscheidend dafür ist, auf welcher Ebene, unter welchem Aspekt und auf welchem Abstraktionsgrad die Frage behandelt wurde. Die Polemik gegen den Linkshegelianismus in der Deutschen Ideologie, die programmatische Absicht und rhetorische Vereinfachung im Kommunistischen Manifest, die Analyse der politischen Konstellation in den Klassenkämpfen in Frankreich, die theoretische Arbeit in den Grundrissen und im Kapital – in jeder dieser Schriften wird das Problem der Klassen aufgrund der verschiedenen Stoßrichtungen und Adressaten in unterschiedlicher Weise gestellt.
Aus Marx’ eigenen Kommentaren und seiner Korrespondenz – zum Beispiel in Bezug auf den unterschiedlichen Aufbau in den »Arbeitsheften« der Grundrisse und im Kapital – wissen wir, dass er die Frage der Darstellungsweise sehr ernst nahm. So schrieb er z.B. in seinem Brief an Weydemeyer am 1. Februar 1859 über die beabsichtigte Publikationsfolge der ersten vier Abschnitte des ersten Bandes des Kapital:
»Du begreifst die politischen Gründe, die mich bewogen, mit dem 3. Kapitel über ›Das Kapital‹ zurückzuhalten, bis ich wieder Fuß gefasst habe.« (Marx/ Engels 1972, 195)
Drittens wissen wir, dass all diese verschiedenen Texte bis zu einem gewissen Grad auch durch die Problematiken begrenzt und geprägt wurden, in deren Rahmen Marx zum jeweiligen Zeitpunkt dachte und schrieb. Mit der Entwicklung des marxschen Denkens wandelten und veränderten auch sie sich. Althusser konstatiert zu Recht, dass Marx’ »Entdeckungen« zum Teil entscheidend mit den »Brüchen« zwischen den jeweiligen Problematiken zusammenhängen. Wir müssen nicht unbedingt die Rigidität und Totalität akzeptieren, in der Althusser mit Hilfe des »epistemologischen Einschnitts« das marxsche Werk »periodisiert« – zumal sich Althusser selbst später davon distanziert hat (vgl. die Haupt»revisionen« in Althusser 1976). Aber seine Intervention verhindert, dass wir Marx jemals wieder in einer Weise lesen, die, mittels eines prospektiv-retrospektiven Taschenspielertricks, einen einzigen, homogenen »Marxismus« konstituiert, der sich stets auf einer vorgezeichneten Bahn bewegt, von den ökonomisch-philosophischen Manuskripten über den Bürgerkrieg in Frankreich bis zu seinem vorgegebenen teleologischen Ziel. Eine derartige Lesweise tut nicht nur Marx Unrecht, sie gibt auch ein falsches und irreführendes Bild von der Art, wie theoretische Arbeit auszusehen hat, und sie verschleiert die Rückzüge und Umwege, durch die diese voranschreitet und sich entwickelt. Sie fördert in uns einen »faulen« Marxismus, da sie ja nahelegt, für uns gäbe es keine kritische Arbeit mehr zu leisten, wir brauchten uns nicht ernsthaft mit den Differenzen und Entwicklungen im marxschen Werk auseinanderzusetzen – alles, was uns zu tun bleibt, ist, uns auf die »Offensichtlichkeit« des »Marxismus« zu verlassen, die in allen Texten von Marx latent schlummert. Diese Art marxistischen »gesunden Menschenverstandes« hat dem Marxismus als einer lebendigen und sich entwickelnden Praxis enorm geschadet, ebenso dem notwendigen Streit innerhalb der Theorie selbst.
Teilweise wird es also um eine spezifische Praxis des Lesens gehen – eine, die versucht, die Logik der Argumentation und des Aufbaus eines Textes festzuhalten, und zwar vor dem Hintergrund der Thesen und Begriffe, die den Diskurs des Textes ermöglichen, ihn hervorbringen. Vieles von dem, was anhand einer begrenzten Anzahl von Passagen und Texten hier diskutiert werden wird, beruht auf der Entwicklung einer solchen theoretischen Arbeitsweise. Sie beinhaltet auch, einen Text nicht einfach als solchen, als etwas Geschlossenes hinzunehmen. Das gilt sowohl für die Stellen, an denen der Text offensichtlich »ins Auge springt«, als auch für die, an denen er offensichtlich komplex oder dunkel ist. Der Klassenkampf ist in jeder Zeile und in jedem Abschnitt des Kommunistischen Manifests geradezu handgreiflich präsent. Aber der Klassenbegriff, auf dem dieser Text beruht, ist, wie wir hoffentlich werden zeigen können, nicht von der glänzenden Oberfläche her unmittelbar fassbar. Das Kapital ist das genaue Gegenteil – ein komplexer theoretischer Text, dessen zentraler Gegenstand die kapitalistische Produktionsweise ist, und der über weite Strecken hinweg den Klassenkampf auf eine andere Ebene, auf ein anderes Moment »verschoben« zu haben scheint. Es gehört mit zu den schwersten Übungen, aus dem Manifest herauszu»lesen«, wie das Verhältnis von Klassen und Produktionsweise gefasst wird, und umgekehrt die Gesetze und die Bewegung des Kapitals im Kapital unter der Perspektive des Klassenkampfes zu »lesen«. Was Letzteres angeht, so gibt uns Marx selbst (wiederum in einem Brief, diesmal an Engels vom 30. April 1868) einen wunderbaren Einblick in die Art der Beziehung beider zueinander. Im Wesentlichen fasst er seine Argumentation aus dem dritten Band zusammen. Er geht einige der komplexesten – technischen – Theoreme durch: die Konstituierung der »Durchschnittsprofitrate«, das Verhältnis zwischen den verschiedenen Produktionszweigen, das Problem der Transformation »von Wert in Produktionspreis«, den tendenziellen Fall der Profitrate. Danach kehrt er schließlich zu dem zurück, was den »Ausgangspunkt der Vulgärökonomie« ausmacht: zur berühmten Trinitarischen Formel (deren vernichtende Entlarvung in extenso im dritten Band eine der reichhaltigsten Abschnitte dieses Werkes ist). Gemeint ist die Formel, die die Verteilung des Profits als harmonischen Rückfluss jedes seiner Teile zu dem ihm zugehörigen Faktor in der kapitalistischen Produktion »erklärte«: die Grundrente entspringt dem Boden, der Profit (Gewinn) dem Kapital, der Lohn aus der Arbeit. Indem Marx die »wirkliche« Bewegung hinter dieser Verteilung enthüllte, entlarvte er ihre »Erscheinungsform«; aber das ist keine bloße »theoretische« Entmystifizierung:
»Endlich, da jene drei (Arbeitslohn, Grundrente, Profit [Zins]) die Einkommensquellen der drei Klassen von Grundeigentümern, Kapitalisten und Lohnarbeitern – der Klassenkampf als Schluss, worin sich die Bewegung und Auflösung der ganzen Scheiße auflöst.« (Marx/Engels 1972, 172)
Althusser hat uns vorgeführt, wie theoretische Texte zu »lesen« sind – mit der Methode des »symptomatischen Lesens«. Meine eigenen Anmerkungen oben gehen nicht so weit. Die Idee des »symptomatischen Lesens« ist natürlich Freuds Theorie der Symptombildung im Diskurs des Patienten entnommen, wie er sie in seinem wichtigen Werk über Die Traumdeutung entwickelt hat. Wendet man diese ausgereifte Theorie nun auf theoretische Texte an, dann entsteht das Problem ihrer Kontrollierbarkeit. Es ist eine Sache, einen komplexen Text mit einem stets offenen Auge für die Matrix der begrifflichen Prämissen und Sätze zu lesen, die diesen Text tragen und ihm seine wie auch immer geartete theoretische Konsistenz geben – und uns helfen, sein »Schweigen«, seine Leerstellen, zu identifizieren. Das Herauslesen von Leerstellen ist mit Sicherheit ein tragendes Fundament einer kritischen theoretischen Praxis. Eine ganz andere Sache aber ist es, das »symptomatische Lesen« als eine Art theoretischer Guillotine zu benutzen, mit der jeder Begriff, der die Tollkühnheit besitzt, vom vorgezeichneten Weg abzuweichen, einfach geköpft wird. Leider ist die Grenze zwischen beiden Lesarten fließend.
Es ist nicht immer leicht, zwischen einem »symptomatischen Lesen« zu unterscheiden, mit dem wir die theoretische Struktur eines marxschen Textes aus den Oberflächenformulierungen herauslesen können, in denen die Begriffe in ihrem – wie es manchmal etwas dubios genannt wird – »praktischen Zustand« erscheinen, und einem »symptomatischen Lesen«, das in Wirklichkeit nur einen Deckmantel dafür liefert, diese »praktischen Begriffe« in ihren »reinen« theoretischen Zustand zu versetzen, so dass der Text dazu gebracht wird, auch »tatsächlich« das zu sagen, was immer der Leser von vornherein hören wollte. Das Kapital lesen (Althusser 1971), das sich dieser Methode in ihrer radikalsten und extremsten Form bedient, bewahrt uns einerseits vor einem »unschuldigen« Lesen von Marx, andererseits aber macht es sich selbst schuldig, das, »was Marx wirklich gesagt hat«, so zu transformieren, dass es – natürlich – das produziert, was die Autoren von Anfang an entdecken wollten. Um es ganz klar zu sagen: Wenn »praktische Begriffe« bei Marx mit Hilfe strukturalistischer Instrumente und Begriffe systematisch auf eine abstraktere theoretische Ebene gehoben werden, dann ist es nicht weiter schwierig, am Ende einen »strukturalistischen« Marx zutage zu fördern. Die Frage – die enorm wichtige Ausgangsfrage von Das Kapital lesen –, was für ein »Strukturalist« der reife Marx denn tatsächlich gewesen ist, kann nicht in dieser zirkulären Weise beantwortet werden. Althusser selbst weiß das. Schließlich war er es, der – in Für Marx – die notwendig geschlossene Zirkularität eines »Lesens«, das seine »Antworten« bereits in Form der Fragestellung vorwegnimmt, klipp und klar demonstriert hat. Er nannte diese Zirkularität – ideologisch.
Im Folgenden werde ich versuchen, beides zu vermeiden – die »Unschuld« eines »Lesens«, das an der Oberflächenform der Argumentation kleben bleibt, und die spezifische »Schuld«, die einer Interpretationsweise anhaftet, die schlicht meine vorgefasste Meinung bestätigt. Mein Ziel ist eine bestimmte Art der Befragung einiger zentraler Passagen bei Marx darüber, was sie über Klassen und Klassenkampf aussagen. Ich spreche von Klassen und Klassenkampf im Zusammenhang, weil mich diese Verknüpfung in diesem Artikel am meisten interessiert und sie die Auswahl der Passagen bestimmte, die ich untersuchen will. Mir wird es speziell darum gehen, zu zeigen, warum und worin sich Marx Vorstellungen von Klassen und Klassenkampf in verschiedenen Phasen seiner Arbeit verändert haben und welche Entwicklung sie durchliefen. Ich möchte einige der Frühschriften und Texte des »Übergangs« neu überdenken – viele von ihnen wurden allzu rasch auf den begrifflichen Schrotthaufen geworfen. Aber ich werde sie natürlich aus dem Blickwinkel der reifen und entwickelten marxschen Theorie untersuchen – ich werde versuchen, sie nicht »unschuldig«, sondern im Lichte des Kapitals zu betrachten.
I
Das Kommunistische Manifest wurde von Marx und Engels für den Bund der Kommunisten verfasst:
»um ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen dar[zu]legen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenzustellen.« (MEW 4, 461)
Es wurde am Vorabend der großen revolutionären Erhebung von 1848 veröffentlicht – zum Zeitpunkt seines Erscheinens befand sich Marx bereits auf Einladung der liberal-radikalen Regierung von Frankreich, die Louis-Philippe gestürzt hatte, in Paris. Es sollte eine revolutionäre Sturmglocke sein; viele, wenn nicht alle der darin enthaltenen Vereinfachungen müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden. Im Sommer 1848 begann die Konterrevolution sich zu entfalten; Marx und Engels waren zu der Einsicht gezwungen, dass sie die Geburtswehen der bürgerlichen Gesellschaft als deren Totengeläut missverstanden hatten. Marx änderte seine Ansichten, und zwar über weitaus mehr als über die Geschwindigkeit, mit der es zum revolutionären Endkampf kommen sollte. Gwyn Williams (1976) hat gezeigt, wie dieser »Einschnitt« in der Perspektive – ein politischer Einschnitt – seinen Niederschlag in der theoretischen Struktur eines der wichtigsten Texte von Marx fand, im Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte. Ja, man kann, ohne die Zusammenhänge vereinfachen zu wollen, durchaus sagen, dass der historische Zusammenbruch der Achtundvierziger Revolution einen enormen theoretischen Fortschritt im marxschen Verständnis von Klassen und ihrem Verhältnis zum politischen Kampf bewirkt hat. Welche Entfernung er zurückgelegt hat und welche Entdeckungen er gemacht hat, lässt sich ermessen, wenn man die Unterschiede – und Gemeinsamkeiten – bei der Darstellung von Klassen im Manifest von 1847 einerseits und im Achtzehnten Brumaire und den Klassenkämpfen in Frankreich von 1850 und 1852 andererseits herausarbeitet.
»Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.« (MEW 4, 462)
»(…) mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das Proletariat; es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft wächst, und es fühlt sie mehr. Die Interessen, die Lebenslagen innerhalb des Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt und den Lohn fast überall auf ein gleich niedriges Niveau herabdrückt. Die wachsende Konkurrenz der Bourgeois (…) machen den Lohn der Arbeiter immer schwankender; die immer rascher sich entwickelnde, unaufhörliche Verbesserung der Maschinerie macht ihre ganze Lebensstellung immer unsicherer; immer mehr nehmen die Kollisionen zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem einzelnen Bourgeois den Charakter von Kollisionen zweier Klassen an. Die Arbeiter beginnen damit, Koalitionen gegen die Bourgeois zu bilden; (…)« (Ebd., 470)
»Die Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie entsteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger: Sie erzwingt die Anerkennung einzelner Interessen der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt. So die Zehnstundenbill in England.« (Ebd., 471)
Was diesen Text so fatal verführerisch macht, das ist sein vereinfachender revolutionärer Schwung – sein Elan und die zuversichtliche Gewissheit, mitten in der heranrollenden unaufhaltbaren Welle revolutionären Kampfes und proletarischen Sieges zu sein, und vor allem sein ungebrochener Glaube an die historische Zwangsläufigkeit. Diese Äußerungen reiben sich mit unserem inzwischen geläuterten Wissen über die unendlich »lange Verzögerung« der Revolution – und unserem Wissen, um wie viel komplexer und ungewisser ihr Ausgang geworden ist. Damit verbunden ist die Ablehnung einer der zentralen Thesen, die diese Vorstellung der Entwicklung-durch-Revolution offenbar befördert und stützt: die fortschreitende Vereinfachung der Klassenantagonismen (entlang eines gradlinig gezeichneten Geschichtsverlaufes) in zwei prinzipiell feindliche Lager – Bourgeoisie und Proletariat, die sich in einem »Auflösungsprozess« von einem »so heftigen, so grellen Charakter« (MEW 4, 471) gegenüber stehen. Die gesamte Logik in diesem Teil des Textes ist durch die historische Konstellation, in der er verfasst wurde, überdeterminiert. Die Klassen werden in diesem Text zweifellos, auf recht simple Weise historisch konstruiert: Auflösung des Feudalismus, revolutionäre Rolle der aufkommenden Bourgeoisie, »freie Konkurrenz« und »freie Arbeitskraft«, bei Marx die beiden Voraussetzungen für die Errichtung der kapitalistischen Produktionsweise auf erweiterter Stufenleiter, gigantische Entwicklung der produktiven Möglichkeiten des Kapitals, dann die Industrie- und Handelskrisen, fortschreitende Verelendung, Klassenpolarisierung, revolutionärer Bruch und Umsturz.
Diese Linearität, dieser unverhüllte historische Evolutionismus, wird wesentlich nur durch das Spiel eines einzigen Widerspruchs unterbrochen oder verschoben: durch den Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den »fesselnden« Produktionsverhältnissen, in die sie eingebettet sind. Dieser Grundwiderspruch bestimmt die Zuspitzung des Klassenkampfes in der kapitalistischen Produktionsweise. Sein Verlauf ist natürlich auch Verzögerungen unterworfen, aber seine Haupttendenz strebt vorwärts – zum Zusammenstoß. Das liegt daran, dass die beiden Ebenen zusammengespannt werden – der Klassenkampf »reift« in dem Maße, wie der Kapitalismus sich »entwickelt«. Ja, Letzterer entwickelt und vollendet den Ersteren: der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber. Der Kapitalismus produziert also seine eigene »Negation«: die unterdrückten Klassen, deren aufstrebende Kämpfe diese Phase zu ihrer Vollendung und die Gesellschaft vorwärts in das nächste Stadium ihrer Entwicklung treiben. Da die Konstellation Bourgeoisie versus Proletariat als die »allgemeinste« Form des Klassenkampfes bestimmt wird – das Proletariat als die letzte zu emanzipierende Klasse, als die, die »nichts zu verlieren hat als ihre Ketten« –, umfasst die proletarische Revolution zugleich die Emanzipation aller Klassen oder die Abschaffung der Klassengesellschaft an sich.
Die Grundproblematik des Manifests ist klar. Ihre Präsenz scheint durch die Transparenz der Schreibweise hindurch – eine stilistische Transparenz, die wiederholt, wie die Verhältnisse und Zusammenhänge, von denen der Text handelt, aufgefasst und weiterentwickelt werden: Das Manifest behandelt Klassen als »ganze« Subjekte – kollektive Subjekte oder Akteure. Die Übertragung des Klassenkampfes von der ökonomischen auf die politische Ebene wird als völlig problemlos behandelt. Beide Ebenen sind austauschbar: die eine führt unweigerlich auf die andere. Ihr Zusammenhang stellt sich über das her, was Althusser die »transitive Kausalität« genannt hat. In ihr wird die Geschichte als eine sich entfaltende Abfolge von Kämpfen gefasst – eingeteilt in Epochen, zugespitzt durch den Klassenkampf, der ihr Motor ist. Sie fasst die kapitalistische Gesellschaftsstruktur als eine ihrem Wesen nach einfache Struktur: Ihre unmittelbaren Formen mögen zwar komplexer Art sein, ihre Dynamik und Gliederung werden jedoch als einfach und essenzialistisch begriffen. Ihre Gliederung ist grundsätzlich durch einen einzigen Widerspruch (Produktivkräfte versus Produktionsverhältnisse) »gegeben«, der sich von der ökonomischen »Basis« aus problemlos, gleichmäßig und unverändert durch alle verschiedenen Ebenen der Gesellschaft hindurch entfaltet. Von daher führt der Bruch auf einer Ebene früher oder später zu einem parallelen Bruch auf anderen Ebenen. Diese Auffassung wurde als »historizistisch« definiert (Althusser 1969), da sie eine gesellschaftliche Formation als eine, wie Althusser es nannte, »expressive Totalität« auffasst. Aber hinter diesem »Historizismus« findet sich noch die Spur einer früheren Problematik – die Auffassung der proletarischen Revolution als Befreiung der ganzen Menschheit, als der »Moment«, in dem die Herrschaft der Vernunft in der Geschichte errichtet wird. Diese Problematik erinnert an die humanistische Stoßrichtung z.B. im Abschnitt »Über den Kommunismus« in den Manuskripten von 1844 mit seinen unverhüllt feuerbachschen und hegelschen Obertönen. Eine heroische, humanistische Vision, die sich aber sowohl in ihren wesentlichen Voraussagen als auch in der Art ihrer Begriffsbildung als brüchig erwiesen hat.
Die klarste und entschiedenste Demontage dieser gesamten Problematik findet man ohne Zweifel in Althussers Aufsatz »Widerspruch und Überdeterminierung« in Für Marx (1986). Das Manifest lässt sich heute nicht mehr anders als im Lichte dieser Intervention lesen. Althusser legt darin, kurz gesagt, dar, dass in der konkreten Analyse eines jeden historisch spezifischen Augenblicks der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise – der zwischen den Produktivkräften und den sie »fesselnden« Produktionsverhältnissen – zwar »letztendlich« determinierend ist, dass aber dieser Widerspruch allein nicht ausreicht, um zu erklären, wie die verschiedenen Ebenen des Klassenkampfes zu einem revolutionären Bruch führen. Denn da sich die Ebenen einer Gesellschaftsformation nicht so glatt aneinanderfügen wie das Manifest unterstellt, entfalten sich auch die Widersprüche nicht unmittelbar und unvermittelt von der ökonomischen Basis aus, um einen auf allen Ebenen gleichzeitig stattfindenden Bruch zu initiieren. Ja, wie Lenin zu Recht im Hinblick auf 1917 meinte, die entscheidende Frage ist eher, wie sich »völlig verschiedene Ströme, völlig ungleichartige Klasseninteressen, völlig entgegengesetzte politische und soziale Bestrebungen vereinigten, und zwar bemerkenswert ›einmütig‹ vereinigten« als Resultat »einer außerordentlich originellen historischen Situation« (LW 23, 316). Diese verschiedenen Ströme lassen sich also nicht auf die determinierenden »Gesetze« der ökonomischen Basis reduzieren. »(…) der Widerspruch Kapital-Arbeit (ist) niemals einfach (…), sondern (…) immer durch die Formen und die konkreten historischen Umstände spezifiziert (…), in denen er sich auswirkt. Spezifiziert durch die Formen des Überbaus (…), durch die äußere und innere historische Situation (…), da eine Reihe dieser Phänomene vom ›Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung‹ im leninistischen Sinn abhängen kann.« (Althusser 1986, 72)
Das bedeutet, wir müssen uns verschiedene Widersprüche vorstellen, von denen jeder seine eigene Spezifik hat, sein eigenes Entwicklungstempo, eine eigene innere Geschichte und eigene Existenzbedingungen – zugleich »determiniert und determinierend« ist, womit, kurz gesagt, die Frage nach der relativen Autonomie und der spezifischen Wirksamkeit der verschiedenen Ebenen einer Gesellschaftsformation gestellt ist. Bezogen auf das oberste Prinzip des Marxismus – ohne das er theoretisch nicht von irgendeiner anderen »Soziologie« unterscheidbar wäre –, nämlich der »Determination in letzter Instanz durch die (ökonomische) Produktionsweise«, heißt das: Man kann eine entscheidende Wende im Kräfteverhältnis einer Gesellschaftsformation nicht adäquat als Reduktion aller Nebenwidersprüche auf den Hauptwiderspruch »denken«. Kurz, der Marxismus braucht eine Form der Determination, die nicht gleichzusetzen ist mit einem ökonomischen Reduktionismus. Die »Vereinigung« dieser »heterogenen Ströme«, so Althusser, sollte man sich nicht als Reduktion, sondern als einen komplexen Effekt »denken« – eine Anhäufung aller Instanzen und Wirksamkeiten, eine »Fusion«, ein Bruch – eine »Überdeterminierung«. Daraus folgt, dass eine Gesellschaftsformation keine »Totalität« im essenzialistischen Sinne ist, in der eine einfache »Identität« zwischen ihren verschiedenen Ebenen besteht und die Überbauebenen bloße »Epiphänomene«, bloße Begleiterscheinungen der objektiven Gesetze sind, die »die ökonomische Basis« regieren. Es handelt sich vielmehr um eine notwendig komplexe Einheit – ein »Ensemble«, das selbst bereits das Resultat vieler Determinationen ist, eine Einheit, die vor allem durch ihre Ungleichheit charakterisiert ist.
In seiner 1857 geschriebenen Einleitung zu den Grundrissen erklärt Marx, dass, obwohl das Kapital für seinen anhaltenden Kreislauf sowohl der Produktion als auch der Distribution und des Austausches bedarf, diese nicht als »gleiche«, sondern als verschiedene »Momente« eines Kreislaufs zu denken sind, die in eine »Einheit« eingegliedert [articulated into] sind – eine Einheit, die ihre notwendigen Unterschiede nicht verwischt, sondern »in ihren Unterschieden« zu »denken« ist. Und obwohl es die »Produktion« ist, die letztendlich den Gesamtkreislauf determiniert, ist jedes einzelne »Moment« selbst determinierend, spielt seine notwendige, nicht-reduzierbare Rolle im Prozess der Selbstverwertung des Kapitals und gehorcht seinen eigenen Existenzbedingungen. Auch und vor allem das Verhältnis des Ökonomischen zum Politischen muss begrifflich gefasst werden als das Verhältnis zweier Momente, die durch ihre notwendigen Unterschiede und Verschiebungen in eine Einheit eingegliedert sind. Von daher gibt es keine notwendige, unmittelbare Entsprechung zwischen der »ökonomischen« und der »politischen« Konstituierung der Klassen. Die Begriffe, in denen man diese »komplexe Einheit« denken konnte, waren freilich noch zu entwickeln. Zweifellos führte dies dazu, dass das Terrain der weiteren Arbeit von Marx sich radikal von dem im Manifest unterschied.
So wichtig es ist, die Grenze zu markieren, die diejenige Phase des marxschen Denkens, die ihren definitiven Ausdruck im Manifest findet, von seiner späteren Entwicklung trennt, so wichtig ist es auch, uns an das zu erinnern, was wir nicht preisgeben dürfen. Es wird erkennbar, wenn wir das Manifest ein wenig aus seiner unmittelbaren Umgebung herauslösen und seine »Fortschritte« im, wie ich es auszudrücken versucht habe, »Licht des Kapitals« neu bedenken. Nehmen wir erstens die Erklärung, dass »die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften (…) die Geschichte von Klassenkämpfen (ist)«; sie ist heute ein ebenso selbstverständlicher Bestandteil des Marxismus wie sie damals, als sie zum ersten Mal vorgebracht wurde, eine »aufsehenerregende These« war. Ohne sie ist der Marxismus undenkbar. Die Betonung liegt hier fast genauso stark auf »Klassen« wie auf »Kämpfe«. Die unmittelbar darauf folgende, knappe Entwicklung dieser These – Freier und Sklave, Feudalherr und Leibeigener, Bourgeois und Proletarier – ist ein absolut notwendiger Ausgangspunkt, wenn auch keine adäquate Darstellung der komplexen Klassenstrukturen der Produktionsweisen, auf die sie sich jeweils beziehen. Die Vorstellung, dass »die Menschen« zuerst biologische Individuen oder »nackte Individuen« der Marktgesellschaft sind und sich erst dann zu Klassen zusammenschließen – Klasse als eine sozusagen sekundäre Formation –, lässt sich durch diesen Text oder durch irgendeinen späteren Text von Marx nicht stützen. Dies deutet deshalb bereits auf die vielen späteren Passagen hin, in denen Marx den scheinbar natürlichen und selbstverständlichen Rekurs auf die »Individuen« als Basis einer Klassentheorie entthronte.
Vom Standpunkt des Marxismus sind die Menschen stets durch das antagonistische Klassenverhältnis, in das sie hineingeworfen werden, präkonstituiert. Historisch gesehen sind sie nie in ihrer unergründlichen und einzigartigen Individualität, sondern stets durch das »Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« artikuliert – das heißt als Träger des Klassenverhältnisses. Diese vorangegangene Konstituierung bringt unter spezifischen Bedingungen als Resultat einen spezifischen Typ von Individualität hervor: das nach Besitz strebende Individuum der bürgerlichen politischen Theorie, das bedürftige Individuum der Marktgesellschaft, das Verträge schließende Individuum der Gesellschaft der »freien Arbeit«. Außerhalb dieser Verhältnisse kann das Individuum (dieser »Robinson Crusoe« der klassischen politischen Ökonomie, der selbstgenügsam in seiner Welt lebt, die nur vom Standpunkt »seiner« Bedürfnisse und Wünsche betrachtet wird), das der natürliche, enthistorisierte Ursprungsort der bürgerlichen Gesellschaft und Theorie bildete, in keiner Weise einen theoretischen Ausgangspunkt bilden. Es ist nichts als die »Zusammenfassung vieler Bestimmungen«. Die Geschichte seiner Produktion ist, wie Marx bemerkte, »in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer« (MEW 23, 743). Und weiter:
»Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen, sondern drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehen. Als ob einer sagen wollte: Vom Standpunkt der Gesellschaft aus existieren Sklaven und Citizens nicht: sind beide Menschen. Vielmehr sind sie das außer Gesellschaft. Sklave sein und Citizen sein, sind gesellschaftliche Bestimmungen, Beziehungen der Menschen A und B. Der Mensch A ist als solcher nicht Sklave, Sklave ist er in der und durch die Gesellschaft.« (Grundrisse, 176)
»Wie alle seine Vorgänger, geht der kapitalistische Produktionsprozess unter bestimmten materiellen Bedingungen vor sich, die aber zugleich Träger bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse sind, welche die Individuen im Prozess ihrer Lebensproduktion eingehen. Jene Bedingungen, wie diese Verhältnisse, sind einerseits Voraussetzungen, andererseits Resultat und Schöpfungen des kapitalistischen Produktionsprozesses; sie werden von ihm produziert und reproduziert.« (MEW 25, 827)
Diese Formulierungen widersprechen allem, was sich als soziologischer »gesunder Menschenverstand« über Gesellschaftsklassen äußert – und ihre Kernaussage ist implizit bereits im Manifest vorhanden.
Wichtig ist zweitens die Prämisse, die Marx selbst als springenden Punkt seines eigenen Beitrages sah (Marx an Weydemeyer, 5.3.1852, Marx/Engels 1972) und die Marx und Engels in ihrem gemeinsamen Vorwort zur deutschen Ausgabe des Manifestes von 1872 erneut bekräftigten:
»(…), dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist« (ebd., 59).
Die Produktionsbedingungen und -verhältnisse sowie ihre Spezifik in verschiedenen Phasen der widersprüchlichen Kapitalentwicklung bilden den grundlegenden und zentralen Rahmen der marxistischen Klassentheorie. Diese Prämisse unterscheidet den Marxismus als »wissenschaftliche« Theorie von allen vorangegangenen und folgenden Formen des utopischen Sozialismus. Von nun an war der Klassenkampf nicht mehr länger eine moralische Aussage über die Unmenschlichkeit des kapitalistischen Systems, und die Zerstörung des Kapitalismus wurde nicht mehr länger als bloßes Wünschen und Hoffen von außen auf das System projiziert.
So verstanden, produziert und reproduziert sich der Kapitalismus selbst als eine antagonistische Struktur von Klassenverhältnissen; er spaltet die »Bevölkerung« unerbittlich wieder und wieder in antagonistische Klassen. Man beachte aber gleichzeitig, dass es die Entwicklungsphasen in der Produktionsweise sind, die für eine marxistische Klassentheorie die notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Bedingungen bilden – es ist nicht »das Ökonomische« im handgreiflichen Sinne, das hier »determiniert«. Hier ist die marxsche Theorie absolut konsistent: von den ersten Formulierungen über die Deutsche Ideologie bis zum Schluss. Da aber die Herrschaft des gesunden, bürgerlichen Alltagsbewusstseins derart mächtig ist und derart hartnäckig immer wieder aufs neue bis ins Herz der marxistischen Theorie selbst vordringt, sollten wir diesen Punkt nochmals klarstellen: Es sind die materiellen und sozialen Verhältnisse, in denen die Menschen ihre materiellen Existenzbedingungen produzieren und reproduzieren, die »determinierend« sind – wie, das bleibt zu klären. Die ungleiche Verteilung von ökonomischem Reichtum, Gütern und Macht, die die Grundlage für eine »sozio-ökonomische« Auffassung der »Gesellschaftsklassen« bildet, ist für Marx nicht die Basis, sondern das Resultat der vorausgegangenen Einteilung der Träger der kapitalistischen Produktion in Klassen und ihre Einordnung in Klassenverhältnisse sowie die vorangegangene Verteilung der Produktionsmittel zwischen »Eigentümern« und »Enteigneten«.
Auch die Vereinfachung der Klassen, eine Grundthese des Manifestes, ist nicht ganz so simpel, wie sie aussieht. Das Argument, im Kapitalismus sei der Kampf Bourgeoisie versus Proletariat die grundlegende Form des Klassenkampfes, bedeutet nicht – wie manchmal gesagt wird –, dass im Manifest die Existenz anderer Klassen und Klassenfraktionen vernachlässigt wird. Tatsächlich findet sich ein summarisches Urteil über das revolutionäre Potential, zu dem unter anderem »die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer« ebenso wie »das Lumpenproletariat« gehören, von dem Marx niemals abweichen sollte. Was er sagt, ist, dass »von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, (…) nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse (ist)« (MEW 4, 472). Eine problematische Aussage, die weiterer Analyse bedarf.
Marx gründet seine Aussage auf der objektiven Stellung des Proletariats innerhalb einer Produktionsweise, die auf der Enteignung der Produktionsmittel und der Ausbeutung seiner Arbeitskraft beruht. In diesem Sinne hat der Satz seine Gültigkeit: die revolutionäre Stellung des Proletariats ist durch seine Verortung in einer bestimmten Produktionsweise »gegeben« (spezifiziert). Damit aber lässt sich das Proletariat tendenziell als ein homogenes und undifferenziertes »Klassensubjekt« auffassen – ein Subjekt, das eine Rolle in der Geschichte spielt, aber selbst keine eigene, innere, widersprüchliche Geschichte hat, zumindest nicht in der kapitalistischen Epoche. Diese Prämisse, die von Marx später modifiziert wurde, muss von uns zurückgewiesen werden. Man kann diese Passage freilich auch noch anders lesen, so, als behaupte sie, dass, weil das Proletariat in der ökonomischen Struktur der kapitalistischen Produktion eine objektiv revolutionäre Stellung einnimmt, es deshalb auch und immer empirisch ein revolutionäres politisches Bewusstsein und eine revolutionäre Form politischer Organisation aufweisen muss. Diesen weiteren »Schritt« machte Lukács in Geschichte und Klassenbewusstsein; und wo er anerkennen muss, dass dieses Proletariat sich »empirisch« nicht immer zu der ihm zugewiesenen Bewusstseinsform emporschwingt, behandelt er sie »abstrakt«, als sei sie ein ihm zugeschriebenes Schicksal – sein »potentielles Bewusstsein« –, angesichts dessen die tatsächlichen, konkret historischen Divergenzen bloße zeitweilige Irrtümer sind. Von dieser Position aus lässt sich das für den Marxismus gewaltige historische Problem des »Ökonomismus«, des trade-unionistischen Bewusstseins und des Eingebundenseins der westeuropäischen Arbeiterbewegungen in die Schranken des sozialdemokratischen Reformismus nicht systematisch erklären. Damit kehren wir zu einer der entscheidendsten Schwächen des Manifestes zurück, die in der einen oder anderen Form immer wieder im Text auftaucht, eine Schwäche, die man jetzt zusammenfassend kennzeichnen kann:
Das Manifest hat recht mit seiner (offenkundig und notwendig schematischen) Behandlung der ökonomischen Konstitution der Klassen im Rahmen der Entwicklungsphasen der Produktionsweise. Aber es hat fatale Mängel, wo die Beziehungen zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen systematisch behandelt werden. Hier erhält man entweder nur unbefriedigende Antworten (z.B., Politik und Ökonomie seien mehr oder weniger richtungsgleich, würden sich mehr oder weniger »entsprechen«), oder es bleibt eine Lücke stehen, die dann später immer wieder mit der fehlerhaften Abstraktion eines Lukács’schen Historizismus gefüllt werden kann. Kurz, all das, was notwendig ist, um die Spezifik des politischen Klassenkampfes und seine Beziehung zur ökonomischen Sphäre zu denken – wovon unsere Fähigkeit, »das Ensemble« als ein Ganzes zu erklären, abhängt –, ist zu diesem Zeitpunkt im marxschen Denken als verwendbares begriffliches Instrumentarium noch nicht vorhanden. Die »Entdeckung« dieser Begriffe wurde geradezu erzwungen durch die historische und politische Konstellation, zu deren Erklärung sie benötigt wurde – den Zusammenbruch der 1848er Revolution. Ihre klarste und gehaltvollste Formulierung findet sich denn auch in den Schriften über Frankreich, eher flüchtig (und weniger befriedigend) in den Randbemerkungen zu England – Texte, die, ausgelöst durch die Niederlage der Revolution, in einem Augenblick der theoretischen Reflexion und Klärung geschrieben wurden. Hier befinden wir uns auf dem Boden wirklicher Entdeckungen und eines revolutionären theoretischen Durchbruchs. Dieser Durchbruch findet zwar »im Denken« statt, lässt sich aber wohl kaum angemessen als »epistemologisch« bezeichnen.
Wir sind jedoch dem Manifest, diesem Text mit seiner blendenden Oberfläche, noch nicht auf den Grund gegangen. Warum und wie haben Marx und Engels sich diese »Klassenvereinfachung« als impliziten Bestandteil der sich entfaltenden kapitalistischen Entwicklung vorgestellt (mit den entsprechend folgenschweren Konsequenzen für die Entzifferung der Bewegungen des Klassenkampfes)?
II
Diese »Vereinfachung« wird durch den wachsenden Umfang und die steigende Stufenleiter der kapitalistischen Produktion hervorgerufen. Es ist nützlich, die Umstände, die das Proletariat zunächst hervorbringen, dann entfalten und schließlich alle Mittelschichten in seine wachsenden Reihen treiben, kurz aufzulisten (vgl. MEW 4, 468f.): a) die Formierung einer Klasse ohne Eigentum an den Produktionsmitteln, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen hat, den »Wechselfällen der Konkurrenz und allen Schwankungen des Marktes« ausgesetzt; b) die Arbeitsteilung als Folge der extensiven Anwendung von Maschinerie, die den Arbeiter »dequalifiziert«, ihn zum bloßen Zubehör der Maschine degradiert; c) die wachsende Ausbeutung der Arbeitskraft, »sei es durch Vermehrung der in einer gegebnen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigten Lauf der Maschine usw.«; d) die Zusammenfassung der Arbeiterschaft als »industrielle Armee« in der Fabrik unter dem Kommando von »Unteroffizieren und Offizieren des Kapitals«; e) die Entwertung der Arbeit durch die Senkung des Wertes der Arbeitskraft – die Einstellung von Frauen und Kindern zu niedrigeren Löhnen; f) die Auslieferung der Klasse zur Ausbeutung auf dem Subsistenzmittelmarkt – durch den Hausbesitzer, den Krämer, den Pfandleiher. In diesem Kontext steht g) die These, dass die untere Schicht des Mittelstandes schrittweise »ins Proletariat hinabfällt« – teilweise durch ihren verlorenen Kampf gegen h) das konzentrierte Großkapital. Die Mittelschichten sind das, was Gramsci die »subalternen« Fraktionen der Mittelklassen nennen würde. Sie sind ihrem Wesen nach konservativ und reaktionär, es sind diejenigen, die »suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen«. »Revolutionär« sind oder werden sie nur »im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat« (MEW 4, 472) – im Hinblick auf ihre »Proletarisierung«.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass alle diese rasch skizzierten Gedanken im 13. Kapitel des ersten Bandes des Kapital, dem Kapitel über »Maschinerie und große Industrie«, wieder auftauchen und dort ausführlich entwickelt werden. Die historische Bildung einer Klasse »freier Lohnarbeiter«, die nichts zu verkaufen hat als ihre Arbeitskraft und aus dem Geflecht der feudalen Beziehungen hervorgegangen ist, ist im Kapital beständiger Bezugspunkt als die »historische Basis« des Kapitals. Die zunehmende Reduktion des Arbeiters auf ein »Zubehör der Maschine« steht im Mittelpunkt der marxschen Beschreibung des Arbeitsprozesses und seiner qualitativen Unterscheidungen zwischen der Phase der »Maschinerie« und der der »großen Industrie«. Die Beschreibung der wachsenden Ausbeutung der Arbeitskraft deutet auf die wichtige Unterscheidung im Kapital zwischen absolutem (Verlängerung des Arbeitstages) und relativem Mehrwert (Zunahme der »toten« im Verhältnis zur »lebendigen« Arbeit) hin. Die Darstellung der zunehmenden Hierarchisierung und des wachsenden »Despotismus« des Kapitals führt dann weiter zur Unterscheidung zwischen »formeller« und »reeller« Subsumtion der Arbeit. Die »Entwertung« der qualifizierten Arbeitskraft und die Bildung einer »Reservearmee« sind zwei entscheidende, dem »tendenziellen Fall der Profitrate« »entgegenwirkende Ursachen«, die beide im ersten Band des Kapital (z.B. in Kapitel 24) diskutiert werden und dann wieder im dritten Band, in dem die wachsenden Konzentrations- und Zentralisationsprozesse des Kapitals ausführlicher dargestellt sind. In diesem Kontext wird auch die Entstehung des »Gesamtarbeiters« beschrieben und zum ersten Mal auf die Ausbreitung der neuen Zwischenschichten als Folge der sich entwickelnden Arbeitsteilung verwiesen, da das alte Kleinbürgertum und seine materielle Basis in »Klein«- und Handelskapital zerfallen. Im Rahmen dieser ausführlichen theoretischen Darstellung wird die Skizze im Manifest, die kaum mehr als einen Hinweis darauf enthält, wie die kapitalistische Produktion die Grundlage für diese Bildung und Neugruppierung der Klassen bildet, erweitert und transformiert. Wir müssen also wiederum die für die Entwicklung einer Theorie der Klassen notwendigen Kontinuitäten und Brüche beachten.
Die von Marx im Kapital verwandten Formulierungen, dort, wo er die allgemeine Tendenz der ganzen Entwicklung – in konzentrierter Form – darstellen will, sind denen, die er im Manifest anwendet, auffallend ähnlich. Man braucht sich nur dem zusammenfassenden Überblick in dem kurzen Abschnitt über die »Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation« im 24. Kapitel des ersten Bandes zuzuwenden, um die vertrauten Sätze erneut zu hören:
»Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leidenschaften im Gesellschaftsschoße, welche sich von ihr gefesselt fühlen. (…) Sobald dieser Umwandlungsprozess nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit (…) eine neue Form. (…) Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. (…) Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewusste technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts (…)« Damit zugleich aber »wächst (…) auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse.« (MEW 23, 789ff.)
Das ist das Echo, die »Stimme« des Manifestes im Kapital. Aber neben dieses Resümee müssen wir die Einzelheiten setzen, mehr noch, wir müssen uns die Methode ansehen, mit der die einfache Skizze im Manifest in die Ausdrücke und Begriffe der im Kapital dargestellten Untersuchung übersetzt wird. Ein »Lesen« des Textes, das den Gehalt dieser theoretischen Transformation im Einzelnen nachweisen könnte, ist im Rahmen dieses Artikels unmöglich. Aber anhand von einigen Beispielen lässt sich zeigen, wie der im Manifest skizzierte Prozess – der dort größtenteils als eine lineare Entwicklung konzipiert ist, die sich durch die Beschleunigung des Klassenkampfes zuspitzt – in seiner Umarbeitung im Kapital durch die konsequente Anwendung der Konzeption des Widerspruchs und durch ein dialektisches Entwicklungsdenken von Grund auf transformiert wird.
Zwei Beispiele sollten ausreichen. Im ersten Unterabschnitt des 13. Kapitels markiert Marx den technischen Unterschied zwischen einerseits der Natur der Arbeitswerkzeuge (und der daraus folgenden Arbeitsteilung im Arbeitsprozess selbst), durch die die erste Phase der kapitalistischen Entwicklung – die Maschinenära – gekennzeichnet ist, und andererseits der weiteren qualitativen Entwicklung – der des Maschinensystems –, in dem nicht der Arbeiter die Maschinen, sondern umgekehrt, die Maschinen den Arbeiter »anwenden«, charakteristisch für die Phase der »großen Industrie«. Im vierten Unterabschnitt über »Die Fabrik« untersucht Marx dann die vielfältigen und widersprüchlichen Auswirkungen dieses Übergangs auf die materielle Basis des Kapitalismus. Er erläutert unter anderem die Zerlegung der traditionellen Qualifikationen der Arbeiterklasse, die zunehmend auf die Maschinen selbst »übergehen« – an dieser Stelle spricht er von der »Tendenz der Gleichmacherei oder Nivellierung der Arbeiten« (442). Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation der Produktion: Sie zieht eine Neugliederung der Produktion in »Hauptarbeiter« und »bloße Handlanger« nach sich, und parallel dazu entsteht eine neue »höhere, teils wissenschaftlich gebildete (…) Arbeiterklasse«, die »mit der Kontrolle der gesamten Maschinerie und ihrer beständigen Reparatur beschäftigt ist« (443).
Wo die Maschinerie die Organisation des Arbeitsprozesses zu diktieren beginnt, bringt sie weitere widersprüchliche Entwicklungen hervor: die leichtere Ersetzbarkeit einer Arbeiterschaft durch eine andere; die Einführung des kontinuierlichen Produktionsprozesses und des Schichtsystems (des »Relaissystems«); die Entwertung der Arbeitskraft und die Erosion der traditionellen Qualifikationen, die aus einer früheren Arbeitsteilung stammen – »traditionelle Gewohnheiten« werden jetzt »systematisch umgeformt«. Die Einverleibung des Arbeiters in die Maschine, das systematische »Auspumpen« der lebendigen Arbeit durch die tote Arbeit schreitet in einem enormen Tempo fort: »Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind« (446). Und auch das hat weitere Konsequenzen für die Arbeitsdisziplin, die Hierarchie und das Kommando über die Arbeit – die Spaltung der Arbeiter in »Handarbeiter und Arbeitsaufseher« (in »gemeine Industriesoldaten und Industrieoffiziere«, 447) – und für die Verwaltung eines differenzierteren und auf Zwang beruhenden Fabriksystems. Dr. Andrew Ure selbst, der »Poet« der großen Industrie, sah, wie die Revolutionierung der Produktionsmittel die Wegnahme aller Arbeiten, welche spezifische Qualifikationen und ein spezifisches Geschick verlangten, aus den »Armen des zu geschickten und oft zu Unregelmäßigkeiten aller Art geneigten Arbeiters« und »ihre Verlagerung auf einen sich selbst regulierenden Mechanismus«, den sogar ein Kind überwachen kann, ebenso erforderte wie ermöglichte. Auf diese Weise hatte die »technische« Revolutionierung der Arbeitsmittel unerwartete Auswirkungen auf die Regulierung der Arbeit, die Unterdrückung von Streiks und anderen »periodischen Arbeiteraufständen« gegen die Lebensbedingungen (456, 459). Und erneut mit den Worten von Ure konstatiert Marx, »dass das Kapital, indem es die Wissenschaft in seinen Dienst presst, stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit zwingt« (460).
Schon in diesem Abschnitt können wir sehen, wie das, was im Manifest als einfacher Antagonismus erscheint, hier zu einem komplexen und widersprüchlichen Antagonismus verknüpft ist: notwendige Bedingungen erweisen sich als nicht intendierte Effekte, die selbst wiederum widersprüchliche Auswirkungen haben; Auswirkungen auf Ebenen, an die man nicht gedacht hatte; Tendenzen, die sofort von ihrem Gegenteil durchkreuzt werden; Fortschritte, die an anderer Stelle zu Rückschritten werden. Vor allem aber ist das das Proletariat, das in dem früheren Text als eine wesentlich homogene Kraft vorgestellt wurde, nunmehr selbst dauernd und unablässig den Einwirkungen der widersprüchlichen Kapitalgesetze ausgesetzt, wird umdefiniert, reorganisiert und umgeformt. Bereits im Manifest hatte Marx vorausgesehen, wie die wachsende Vereinheitlichung des Proletariats unter den Bedingungen der Fabrikarbeit beständig durch die tendenzielle »Konkurrenz der Arbeiter untereinander« durchbrochen wird. Aber nur, wenn wir den Entwicklungsprozess, der zur Grundlage der wachsenden Vereinheitlichung wird, genauer untersuchen, können wir verstehen, warum das Kapital notwendig beides hervorbringt: die Tendenz zur Vermassung und »Vereinfachung« der Arbeit und, genauso »notwendig«, die Tendenz zur inneren Spaltung in gelernte und ungelernte ArbeiterInnen, die Verteilung der Qualifikationen auf verschiedene Produktionszweige, von denen die »große Industrie« ungleichmäßig Besitz ergreift und sie ungleichmäßig transformiert. Und wir können sehen, wie durch die »Entwertung« der traditionellen Arbeitskraft auf Grund der massenhaften Einstellung von Frauen und Kindern (eine Entwicklung, die ausschließlich durch die Revolutionierung des Arbeitsprozesses selbst möglich wurde) eine Gruppe von Arbeitskräften gegen die andere gestellt und ein weiterer Widerspruch eingeführt wird: »die natürlichen Unterschiede des Alters und Geschlechts«, das heißt die Einführung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in die gesellschaftliche Arbeitsteilung; und wieso das Kapital dazu in der Lage ist, diese neuen Formen der Arbeitsteilung (oder die parallel dazu verlaufende zwischen Aufsehern, der »qualifizierteren Arbeiterklasse«, und Maschinenarbeitern) zu seinem Vorteil zu nutzen. Kurz, wie die Produktion zweier gegensätzlicher Tendenzen in der widersprüchlichen Entwicklung des Kapitals jeder simplen Vorstellung von dem »zwangsläufigen Zusammenhalt des Proletariats« zuwiderläuft und stattdessen die wirkliche Realisierung dieses Zusammenhalts unter den historisch neuen Bedingungen der kapitalistischen Organisation auf die Tagesordnung setzt.
Ein für Form und Charakter des Klassenkampfes unter den modernen Produktionsbedingungen absolut zentrales Element findet sich bereits in der folgenden, scheinbar einfachen Bemerkung:
»Soweit in der automatischen Fabrik die Teilung der Arbeit wiedererscheint, ist sie zunächst Verteilung von Arbeitern unter die spezialisierten Maschinen und von Arbeitermassen, die jedoch keine gegliederten Gruppen bilden, unter die verschiednen Departements der Fabrik, wo sie an nebeneinander gereihten gleichartigen Werkzeugmaschinen arbeiten, also nur einfache Kooperation unter ihnen stattfindet. Die gegliederte Gruppe der Manufaktur ist ersetzt durch den Zusammenhang des Hauptarbeiters mit wenigen Gehilfen.« (442f.)
Diese Tendenz bringt die andere nicht zum Verschwinden – sie bereitet sowohl die wachsende Basis für die »Vergesellschaftung der Arbeit« als auch für die technische Abhängigkeit der verschiedenen kapitalistischen Produktionszweige voneinander, und sie ist die gesellschaftliche Grundlage für die Bildung des modernen Proletariats. Die Entwicklung des Kapitalismus reproduziert beide Tendenzen zugleich: Indem das Kapital, kurz gesagt, seine »technischen« Grenzen hinter sich lässt, indem es eine der materiellen Schranken überwindet, die seiner revolutionierenden Selbstexpansion im Wege stehen, produziert es neue Widersprüche auf einer höheren Entwicklungsstufe. Sein Fortschreiten ist – ganz im Gegensatz zum Haupteindruck, den das Manifest vermittelt – im vollen Sinne dialektisch.
Das lässt sich auch an einer anderen Stelle zeigen, an der ebenfalls ein scheinbar direktes »Echo« aus dem Manifest widerhallt. Im Manifest erwähnt Marx die beiden »Wege«, die dem Kapital offen stehen – Verlängerung des Arbeitstages und »Vermehrung der in einer gegebenen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigter Lauf der Maschinen usw.« (MEW 4, 469) In einem anderen Zusammenhang erwähnt er auch die wachsende politische Stärke des Proletariats – »sie entsteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger« (471) –, die die Anerkennung »einzelner Interessen der Arbeiter« erzwingt; in diesem Kontext führt er dann die Zehnstundenbill in England an. Wieder ist nicht zu übersehen, welche tiefe und durchgehende Transformation diese Vorstellungen erfahren haben, wenn sie im Kapital wieder auftauchen. Die erweiterte Anwendung von Maschinen hat eine Zunahme der Arbeitsproduktivität zur Folge – »Verkürzung der für die Produktion einer Ware notwendigen Arbeitszeit«. Sie hat aber auch zur Folge, dass der Widerstand der Arbeiter gegen die Verlängerung des Arbeitstages abnimmt. Hier entsteht sofort ein Widerspruch, da die Maschinerie, »indem sie von den beiden Faktoren des Mehrwerts, den ein Kapital von gegebener Größe liefert, den einen Faktor, die Rate des Mehrwerts, nur dadurch vergrößert, dass sie den andren Faktor, die Arbeiterzahl verkleinert« (MEW 23, 429). Diese Wirkungen sind daher ebenso widersprüchlich wie »unbewusst« (Fn. 153, 430). Wenn die Maschinerie den Arbeitstag verlängert, »die Arbeitsweise selbst wie den Charakter des gesellschaftlichen Arbeitskörpers in einer Art umwälzt, die den Widerstand gegen diese Tendenz bricht, produziert sie andrerseits, teils durch Einstellung dem Kapital früher unzugänglicher Schichten der Arbeiterklasse, teils durch Freisetzung der von der Maschine verdrängten Arbeiter, eine überflüssige Arbeiterpopulation«. (430) Diese schrankenlose Ausbeutung der Arbeitskraft ruft in Teilen der herrschenden Klasse »eine Reaktion« hervor, die zur »Spaltung der Bourgeoisie selbst« führt, eine Spaltung, die die Arbeiter in ihrem Kampf ausnutzen, indem sie die Fabrikgesetzgebung mit der gesetzlichen Beschränkung des Arbeitstages erzwingen. Ferner erwähnt Marx, dass die Kapitalisten diese Begrenzung politisch vehement bekämpften; sie erklärten, die Produktion sei unter diesen Umständen »unmöglich«. Aber es war genau der Zwang zur Begrenzung, zu der »die anschwellende Empörung der Arbeiterklasse den Staat zwang« (432), der das Kapital dann dazu antrieb, »durch gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen, mit derselben Arbeitsausgabe in derselben Zeit mehr zu produzieren« (432). Damit überschritt das Kapital – in unterschiedlicher Weise und ungeplant – die entscheidende Schwelle von der Ära des absoluten zur Ära des relativen Mehrwerts.
Die Auswirkungen sind ungeheuer: Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals; Senkung des Wertanteils in jeder einzelnen Ware; Intensivierung des Arbeitsprozesses; »dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit« (432); »erhöhte Anspannung der Arbeitskraft« (ebd.); Beschleunigung des Produktionsprozesses; gewaltiger Anreiz zum technischen Fortschritt und zur Anwendung der Wissenschaft als materieller Produktivkraft; die Vorteile, die die Herrschaft der »Regelmäßigkeit, Gleichförmigkeit, Ordnung und Kontinuität der Arbeit« für das System der Kontrolle hat. Soweit nur einige der Auswirkungen, wie Marx sie beschreibt. 1858, hält Marx fest, berichtete der Fabrikinspektor: »Die großen in Maschinen jeder Art eingeführten Verbessrungen haben die Produktivkraft sehr gesteigert. Ohne allen Zweifel gab die Verkürzung des Arbeitstags (…) den Stachel zu diesen Verbessrungen.« (438) Am Ende des 13. Kapitels kehrt Marx zu den Auswirkungen der um die Jahrhundertmitte verabschiedeten Fabrikgesetzgebung zurück; hier beschäftigt er sich ausführlich sowohl mit ihren technischen als auch mit ihren sozialen Folgen (Erziehung, Kinder, Familie). Was also im Manifest als eine einfache Abkoppelung der Ebene der Produktionsweise von der des politischen Kampfes erscheint, wird hier in eine widersprüchliche »Einheit« zusammengebracht: eine Einheit, die zeigt, wie, während sich das Wertgesetz durchsetzt, das Kapital blind und unbewusst voranschreitet, wie es gezwungen ist, sich weiterzuentwickeln, indem es seine eigenen selbstgesetzten Grenzen und Schranken durchbricht; wie sein »politisches« Bewusstsein oftmals von seinem inneren Trieb und seinen inneren Notwendigkeiten abweicht. Damit ist die Regenerationsfähigkeit des Kapitals sehr anschaulich beschrieben: Wie es permanent dazu gezwungen ist, seine eigenen widersprüchlichen Impulse mit sozialen und ökonomischen Organisationsformen zu verknüpfen, die es zum Vorteil seiner eigenen »Logik« entsprechend zurechtbiegen kann. Damit zeigt sich auch, wie das Kapital, um die Interessengegensätze innerhalb der eigenen Reihen zu meistern – vor allem aber auch, um jene »spezifischen« Fortschritte, die die Arbeiterklasse ihm aufzwingen kann, im Rahmen seines Systems zu halten und unter Kontrolle zu bringen –, ein anderes Repertoire entwickelt: es entdeckt neue »Lösungen«. In diesem Kapitel verabschiedet sich Marx entschieden von jeder Vorstellung, die die »Logik des Kapitals« als ein simples, gradliniges, funktionales »sich Entfalten« sieht, oder als etwas, das von der »Logik des Klassenkampfes« zu trennen sei, als handele es sich um zwei unverbundene Fäden.
Aus dieser historisch-analytischen Darstellung löst Marx den fruchtbaren theoretischen Keim heraus, um ihn im folgenden Kapitel in einer theoretisch »reineren« Form zu entwickeln: die »Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts«. Die gesamte Entwicklungstendenz wird knapp und präzise zusammengefasst:
»Die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse« – das Ergebnis eines unmittelbar politischen Kampfes – »verallgemeinert und beschleunigt (…) die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprozesse auf Zwergmaßstab in kombinierte Arbeitsprozesse (…), also die Konzentration des Kapitals und die Alleinherrschaft des Fabrikregimes.« (525f.) »Sie zerstört alle altertümlichen und Übergangsformen, wohinter sich die Herrschaft des Kapitals noch teilweise versteckt, und ersetzt sie durch seine direkte, unverhüllte Herrschaft. Sie verallgemeinert damit auch den direkten Kampf gegen diese Herrschaft.« (526)
Sie erzwingt Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung und Ökonomie, spornt zu technischen Innovationen an und steigert damit auch die Intensität der Arbeit und die »Konkurrenz der Maschinerie mit dem Arbeiter« (ebd.). Sie zerstört die materielle Basis des Kleinbetriebes und der häuslichen Produktion. »Mit den materiellen Bedingungen und der gesellschaftlichen Kombination des Produktionsprozesses reift sie die Widersprüche und Antagonismen seiner kapitalistischen Form« (ebd.). Wenn dies aussieht wie eine in letzter Minute erfolgte Rückkehr zum Manifest, dann nur, weil der widersprüchliche, doppelte Druck der kapitalistischen Entwicklung und sein ihm innewohnendes antagonistisches Wesen den Kern in beiden Konzepten ausmacht. Der Fluchtpunkt Kapital zeigt, dass die sogenannte »Vereinfachung der Klassen und des Klassenkampfes« – oder das, was wir jetzt die komplexe Vereinfachung der Klassen und die Logik des Klassenkampfes innerhalb der »Logik« der historischen Entwicklung des Kapitals nennen müssen – vollständig und unwiderruflich transformiert wurde. Was die marxistische »Klassentheorie« angeht, haben wir damit ein ganz neues Terrain betreten.
III
Wie wir gesehen haben, ist das Verhältnis zwischen dem ökonomischen und dem politischen Aspekt des Klassenkampfes einer der wichtigen Punkte, die im Manifest nicht zufriedenstellend geklärt werden. Marx fragt tatsächlich nach der »Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei« (MEW 4, 471) – als seien die politischen Aspekte nur eine fortgeschrittenere Form des »Ökonomischen«, als bedürften sie keinerlei begrifflicher Veränderung oder Ausweitung des theoretischen Rahmens. In der Deutschen Ideologie sagt Marx über die Kapitalistenklasse, dass »die einzelnen Individuen nur insofern eine Klasse (bilden), als sie einen gemeinsamen Kampf gegen eine andere Klasse zu führen haben; im übrigen stehen sie einander selbst in der Konkurrenz wieder feindlich gegenüber.« (MEW 3, 54) Im Elend der Philosophie bezeichnet Marx den utopischen Sozialismus als typisch für eine Zeit, in der »das Proletariat noch nicht genügend entwickelt ist, um sich als Klasse zu konstituieren und daher der Kampf des Proletariats mit der Bourgeoisie noch keinen politischen Charakter trägt« (MEW 4, 143). Er nennt das Proletariat »diese Masse«, die bereits als Klasse im Gegensatz zum Kapital steht, aber noch keine »Klasse für sich« ist. Im Achtzehnten Brumaire schreibt Marx:
»Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung von denen der andern Klassen trennen und ihnen feindlich gegenüberstellen, bilden sie ein Klasse. Insofern ein nur lokaler Zusammenhang unter den Parzellenbauern besteht, die Dieselbigkeit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt, bilden sie keine Klasse. Sie sind daher unfähig, ihre Klasseninteressen im eigenen Namen (…) geltend zu machen.« (MEW 8, 198) 1871 schrieb Marx in einem Brief an Friedrich Bolte, der wiederum die Frage der Fabrikgesetzgebung berührte:
»Das political movement der Arbeiterklasse hat natürlich zum Endzweck die Erobrung der political power für sie, und dazu ist natürlich eine bis zu einem gewissen Punkt entwickelte previous Organisation der working class nötig, die aus ihren ökonomischen Kämpfen selbst erwächst.
Andrerseits ist aber jede Bewegung, worin die Arbeiterklasse als Klasse den herrschenden Klassen gegenübertritt und sie durch pressure from without zu zwingen sucht, ein political movement. Z.B. der Versuch, in einer einzelnen Fabrik oder in einem einzelnen Gewerk durch strikes etc. von den einzelnen Kapitalisten eine Beschränkung der Arbeitszeit zu erzwingen, ist eine rein ökonomische Bewegung; dagegen die Bewegung, ein Achtstunden-etc. Gesetz zu erzwingen, ist eine politische Bewegung. Und in dieser Weise wächst überall aus den vereinzelten ökonomischen Bewegungen der Arbeiter eine politische Bewegung hervor, das heißt eine Bewegung der Klasse, um ihre Interessen durchzusetzen in allgemeiner Form, in einer Form, die allgemeine gesellschaftlich zwingende Kraft besitzt. Wenn diese Bewegungen eine gewisse previous Organisation unterstellen, sind sie ihrerseits ebensosehr Mittel der Entwicklung dieser Organisation.« (MEW 33, 332f.)
Marx ging es hier darum, bestimmte Beschlüsse des Generalrats der Internationale, dessen Statuten er formuliert hatte, zu klären. Wenige Tage später schrieb Engels mit einer ähnlichen Absicht in der Turiner Zeitschrift Proletario Italiano:
»(…) dass die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse der große Endzweck ist, dem jede politische Bewegung, als Mittel, unterzuordnen ist. (…) dass in dem streitenden Stand der Arbeiterklasse ihre ökonomische Bewegung und ihre politische Betätigung untrennbar verbunden sind.« (MEW 17, 468f.)
Marx und Engels überdenken hier also genau das, was sie im Manifest zu vereinfacht skizziert hatten: die notwendigen Verschiebungen und die Konstellationen im Verhältnis zwischen den politischen und den ökonomischen Formen des Klassenkampfes. Die Zeitspanne, die dazwischen liegt, ist ziemlich lang – vom Elend der Philosophie bis zur Pariser Kommune, ein Zeitraum, in dem das marxsche Nachdenken über dieses entscheidende Thema »weiteren Schwankungen« – wie Poulantzas (1973, 58) es genannt hat – unterlag. Diese ›Schwankungen‹ sind sorgfältig zu betrachten.
Die in dem obigen Zitat aus dem Elend der Philosophie gezogene Unterscheidung zwischen Klasse »an sich« und Klasse »für sich« erstarrte später zu einer Art Standardformel. Sie setzt das Ökonomische und Politische auf falsche Weise ins Verhältnis. Sie unterstellt, dass es eines Tages einen Moment geben könnte, in dem das ganze Proletariat das revolutionäre Klassenbewusstsein entwickelt haben wird, das ihm durch eine gegebene, ökonomisch-objektive Bestimmung vorgeschrieben ist; und dass man überhaupt erst dann von einer Existenz der Klasse auf der Ebene des politischen Kampfes sprechen kann. Wir haben bereits zuvor auf die Schwächen dieser säuberlichen Aufspaltung hingewiesen: einer Aufspaltung, die den »politischen Klassenkampf« ausschließlich für diesen Moment erfüllten Bewusstseins zu reservieren scheint; die dieses Bewusstsein zu direkt aus der ökonomischen Determiniertheit der Klassen ableitet; die das Erlangen einer »autonomen« Form von Klassenbewusstsein zum einzigen Prüfstein der politischen Existenz, einer Klasse macht und die Klassen als einheitliche historische Subjekte fasst.
Die Unterscheidung zwischen »an sich/für sich« ist dann nützlich, wenn unterschiedliche Momente und Formen des Klassenbewusstseins definiert werden sollen, und vielleicht sogar dann, wenn man in ganz großen Zügen die Entwicklung weg von einer »korporativen« Form des Klassenkampfes markieren will. Dann müssten wir aber eine gelegentliche Äußerung von Marx in einer Weise weiterentwickeln, die mit der Stoßrichtung dieses Passus im Widerstreit läge. Denn die Unterscheidung zwischen »korporativ« und dem, was Marx später einen Kampf nennt, der eine »allgemeine, gesellschaftliche zwingende Kraft besitzt« (MEW 33, 333) ist keine Unterscheidung zwischen der Anwesenheit oder Abwesenheit von politischen Kämpfen und der »entsprechenden« Form von Klassenbewusstsein, sondern das genaue Gegenteil: eine Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Formen des Klassenkampfes, zwei Arten von Klassenbewusstsein, von denen jedes seine eigenen determinierenden Bedingungen hat, die in den materiellen Verhältnissen der Klassen im Kapitalismus begründet sind. Wie Marx und Engels gesehen haben – und wie Lenin noch genauer ausführte –, hat der Reformismus der Arbeiterklasse, das »trade-unionistische Bewusstsein« (oder was Lenin in Was tun? die »bürgerliche Politik der Arbeiterklasse« nannte [LW 5, 452]), seine eigenen Existenzbedingungen, seine eigene materielle Basis in der ökonomischen Lage der Arbeiterklasse im Kapitalismus. Es ist keineswegs eine Ebene oder Form des Klassenkampfes sozusagen »unterhalb« des politischen Horizontes; man könnte eher sagen, dass es die natürliche – oder wie Lenin es nannte, die »spontane« – Form des Kampfes der Arbeiterklasse ist, und dann, wenn es keine Mittel gibt, diesen Kampf auf eine »allgemeinere« Ebene zu heben. Wie solche Bedingungen allerdings aussehen, und wodurch die Formen des ökonomischen und politischen Kampfes auf ihre »allgemeinere« Ebene gehoben werden könnten, das ist in der Unterscheidung »an sich/für sich« nicht erfasst.
Der Brief an Bolte hat einen ganz anderen Ansatzpunkt. Hinter der Formulierung »die Erobrung der political power« (MEW 33, 333) durch die Arbeiterklasse steht die marxsche Überzeugung, dass die politische Macht des von der Bourgeoisie errichteten Staates gebrochen werden müsse; und seine Betonung der »Diktatur des Proletariats«, die aus seiner Analyse der Pariser Kommune stammte, erhielt im Bürgerkrieg in Frankreich konkrete Gestalt. Aber noch interessanter ist, dass die Begriffe »ökonomisch« und »politisch« hier offenbar dazu verwandt werden, um zu kennzeichnen, wo der Klassenkampf in jeder spezifischen Konstellation sich jeweils auswirkt. Die Organisierung des Proletariats in der Produktion, zur Abwehr von Versuchen des Kapitals, die Ausbeutung durch die Verlängerung des Arbeitstages zu intensivieren, wird als eine »ökonomische Bewegung« definiert, während Versuche, das Gesetz über die Beschränkung des Arbeitstages zu verändern (deren Adressat daher der bürgerliche Staat selbst sein muss), eine »politische Bewegung« konstituieren. Hier wird alles in eine konkrete, historisch-spezifische Situation übersetzt, in der der Klassenkampf »wirksam wird«. Es fehlt jede Spur von Automatismus, wo über die Bewegung von einer Ebene zur anderen gesprochen wird. In allen diesen Zitaten wird die Frage auf die Tagesordnung gesetzt, unter welchen weiteren Bedingungen – und in welchen Formen – die antagonistischen Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise auf die Bühne der Politik treten und die jeweils entsprechende Wirkung haben können. Die Begriffe, die es uns ermöglichen, die Quellen und die Mechanismen der »relativen Autonomie« der politischen Ebene des Klassenkampfes im Verhältnis zur ökonomischen zu begreifen, finden wir vor allem in Klassenkämpfe in Frankreich und im Achtzehnten Brumaire.
Die ersten Kapitel der Klassenkämpfe wurden unmittelbar nach 1848 geschrieben. Obwohl Marx bereits hier davon überzeugt war, das Proletariat sei noch nicht »reif« zum Sieg, konzentriert sich dieser Teil der Analyse darauf, wie die bürgerlichen politischen Kräfte durch ihre eigenen inneren Widersprüche dazu getrieben werden, die Basis ihrer »reifen« politischen Herrschaft – das allgemeine Männerwahlrecht – zu zerstören und sich in der Folge vor der einzigen Alternative wiederfinden: Rückzug unter den Schutz von Napoleons Bajonetten oder proletarische Revolution. Das letzte Kapitel wurde jedoch später entworfen und veröffentlicht; sein Wechsel der Perspektive markiert einen zentralen und unumkehrbaren »Einschnitt«, den Fernbach den »vielleicht wichtigsten (Einschnitt) seiner gesamten politischen Arbeit als Kommunist« bezeichnet. Den Kern dieses Einschnitts hat Gwyn Williams so zusammengefasst:
»Im Sommer 1850 kehrte Marx zu seinen ökonomischen Studien zurück, die ihn viele Jahre lang im British Museum untertauchen ließen. Er kam zu dem Schluss, dass der Revolutionskreis von 1848 durch eine spezifische Krise der neuen kapitalistischen Gesellschaft in Gang gesetzt worden war (…), dass die Rückkehr zum Wachstum eine neue Welle von Revolutionen extrem unwahrscheinlich machte, und, wichtiger noch, dass eine proletarische Revolution auf dem Kontinent so lange unmöglich sei, wie sich die kapitalistische Ökonomie und die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht viel vollständiger entfaltet hätten. (…) Seine neue Perspektive gründete sich auf eine bedeutend reichhaltigere, die Strukturen mehr ins Zentrum rückende Analyse, die dann siebzehn Jahre später im Kapital ihren Höhepunkt erreichen sollte.« (1976, 112)
Der Unterschied zu den Ausführungen im Manifest – wohl am klarsten ersichtlich in der Analyse, die Marx im Achtzehnten Brumaire bietet – liegt nicht darin, dass nunmehr die »Politik« auf Kosten der »objektiven Bedingungen«, die durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse im Kapitalismus bestimmt sind, hervorgehoben wird. Das Gegenteil ist der Fall. Die objektiven Determinationen und die Schranken dafür, welche Lösungen auf politischer Ebene »möglich« sind und welche nicht, werden in den späteren Arbeiten weitaus rigoroser formuliert, zusammenhängender erfasst und systematischer zur Geltung gebracht als in den früheren Texten. Die Herausarbeitung des »praktischen Begriffs« des Politischen, für die der Achtzehnte Brumaire zu Recht berühmt ist, wird durchgehend strukturiert von der Bedeutung, die Marx der »Determiniertheit« der politischen Entscheidungen durch die objektiven Bedingungen gibt. An dieser Stelle bricht Marx mit der Annahme, die beiden Ebenen würden einander genau entsprechen, so dass die Formen und Inhalte der einen vollständig im Rahmen der Bedingungen und Schranken der anderen gegeben seien. Indem Marx die Formen, die der Klassenkampf bei (wie Gramsci es nannte) »seinem Übergang auf die Ebene des komplexen Überbaus« annimmt, im einzelnen und auf provozierende Weise verfolgte, gebrauchte er zum ersten Mal jene Begriffe, die uns allein dazu befähigen, die Spezifik des Politischen zu »denken«.
In knappen Worten: Die Krise von 1851 wird, in ihrer Gesamttendenz und ihrem Verlauf, grundlegend und entscheidend durch die objektive Entwicklung des französischen Kapitalismus überdeterminiert. Dieser setzt den äußeren Rahmen, innerhalb dessen die Formen des Politischen entstehen und auftreten. Die französische Gesellschaftsformation befindet sich noch in einem relativ frühen Stadium der kapitalistischen Entwicklung. Das Proletariat steht mit seinen Parolen und Forderungen bereits »auf der Bühne«, aber es kann noch keine entscheidende, vor allem keine autonome Rolle spielen. Die Bourgeoisie hat sich bereits voll herausgebildet und ist in ihren Hauptfraktionen auf der politischen Bühne vertreten, wobei jede Fraktion bald die eine, bald die andere Partei oder Gruppierung gegeneinander ausspielt, bald die eine, bald die andere mögliche Lösung ausprobiert. Sie hat ihre historische Rolle jedoch noch lange nicht erfüllt; vor allem hat sie bis jetzt noch keineswegs jene Klassen, die aus früheren Produktionsweisen hervorgegangen sind, in ihren hegemonialen Bann »geschlagen«. Von daher ist die Bourgeoisie noch nicht in der Lage, von sich aus und auf eigene Faust von der französischen Gesellschaft Besitz zu ergreifen und deren kulturelle und politische Strukturen den Bedürfnissen der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise »anzupassen«. So stolpert die Republik von einer instabilen Koalition zur anderen; sie durchläuft das gesamte Repertoire der republikanischen und demokratischen Formen: gesetzgebende Versammlung, parlamentarische Demokratie, bürgerlich-republikanische, republikanisch-sozialistische Demokratie. Jede »Form« ist der Versuch einer der Fraktionen der Bourgeoisie, ihre jeweilige politische Hegemonie – stets im Rahmen eines zeitweiligen Bündnisses – zu sichern. In dem Maße, wie sich die einzelnen Bündnisse erschöpfen oder besiegt werden, verringert sich die soziale Basis für eine mögliche Lösung – das Proletariat ist in jedem dieser Bündnisse entweder ein zweckdienlicher und untergeordneter Partner oder – als sich das Ende nähert – die isolierte Kraft. Und schließlich, nachdem sich alle möglichen Lösungen erschöpft haben, wirkt das labile Gleichgewicht der Kräfte auf der Bühne zugunsten von Napoleon Bonaparte, der »gerne als der patriarchale Wohltäter aller Klassen« auftreten möchte, aber nur weil er sie bereits besiegt hatte: »Frankreich braucht vor allem Ruhe.«
Wir müssen uns hier auf zwei Aspekte dieser Beweisführung beschränken: auf die Frage der Klassen und ihrer politischen »Erscheinungsformen« sowie auf das Problem der »Determination in letzter Instanz« der Formen und Ergebnisse des politischen Kampfes durch die ökonomische Produktionsweise.
Zunächst fällt auf: Obwohl die Strukturanalyse der Hauptklassen der kapitalistischen Produktionsweise durchgehend den analytischen Rahmen der gesamten Darstellung bildet – das und nichts anderes verleiht der gesamten, verwirrenden und dramatischen Erzählung ihren logischen Zusammenhang –, treten auf dieser Bühne keine »Klassen als solche« auf. Das Proletariat ist die Klasse, die am häufigsten als »Block« vorgeführt wird, aber selbst hier durchkreuzt die Bestimmung der spezifischen und problematischen Rolle des »Lumpenproletariats« die Tendenz, das Proletariat im Zusammenstoß der Positionen als eine einheitliche Kraft darzustellen. In Bezug auf das Kapital unterscheidet Marx stets dessen vorherrschende Fraktionen: »das große Grundeigentum«, »die große Industrie«, »der große Handel« (MEW 8, 138f.), die »zwei großen Interessen« des Kapitals (ebd.), »Finanzaristokratie«, »industrielle Bourgeoisie« (121) etc. Das Kleinbürgertum – »eine Übergangsklasse, worin die Interessen zweier Klassen sich zugleich abstumpfen« (144) – wird de facto zum Dreh- und Angelpunkt. Und wenn Marx schließlich zur Kennzeichnung der Klassenposition Napoleons kommt, verweist er auf die Präsenz einer Klasse, die eigentlich eine niedergehende historische Kraft war, und schält ihre Hauptfraktion heraus: die »kleinen Parzellbauern«.
Zweitens muss erwähnt werden, dass keine dieser Fraktionen auf der politischen Bühne jemals isoliert agiert. Der Schlüsselbegriff, der die verschiedenen Klassenfraktionen mit den politischen und konstitutionellen Formen verbindet, ist das Bündnis oder, genauer gesagt, das wechselnde und sich ständig neu zusammensetzende Bündnis oder der Klassenblock. Die erste verfassungsmäßige Form der »Krise« ist die der bürgerlichen Republik. Sie wurde durch den Juni-Aufstand des Pariser Proletariats hervorgerufen, das aber, obwohl es die Hauptlast des Kampfes trug, in dem politischen Bündnis nur eine untergeordnete Rolle spielte. Eine Zeitlang sind die führenden Fraktionen des Bündnisses die Finanzaristokratie und die industrielle Bourgeoisie mit Unterstützung des Kleinbürgertums.
Auf der politischen Bühne stehen noch andere entscheidende Kräfte, die klassenmäßig nicht eindeutig einzuordnen sind: die Armee, die Presse, Intellektuelle, die Priester, die ländliche Bevölkerung. Gelegentlich deutet Marx den Klasseninhalt dieser unterstützenden Schichten und Cliquen an: So nennt er zum Beispiel die Mobilgarde das »organisierte Lumpenproletariat« (121). Hier taucht das Pariser Proletariat zum letzten Mal als ein bestimmender Faktor auf; danach wird die Sache »hinter dem Rücken der Gesellschaft« geregelt. Das Proletariat befindet sich jedoch bereits in einem Bündnis, dessen führende Fraktion aus einer anderen Klasse herkommt. Die Republik offenbart somit nur »die uneingeschränkte Despotie einer Klasse über andre Klassen« (122). Dennoch hat diese instabile politische Form eine strukturelle und historische Funktion: Sie ist die klassische »politische Umwälzungsform der bürgerlichen Gesellschaft« (ebd.). Ihre »Geschichte« ist zu diesem Zeitpunkt die »Geschichte der Herrschaft und der Auflösung der republikanischen Bourgeoisfraktion« (124). In Opposition zu ihr steht die »Partei der Ordnung«, die sich hinter den alten Parolen von Eigentum, Familie, Religion und Ordnung sammelt. In dieser Situation tritt dieses Bündnis in seiner zweifachen royalistischen Verkleidung auf– als legitimistische Bourbonen und als Orleanisten. Indes hat auch dieser labile Block seine Klassenzusammensetzung: Hinter den »verschiedenen Schattierungen des Royalismus« vereinigen sich die »großen Grundeigentümer« mit ihren Cliquen und Truppen (Pfaffen und Lakaien), »die hohe Finanz, die große Industrie, der große Handel, d.h. das Kapital mit seinem Gefolge von Advokaten, Professoren und Schönrednern« (138f.). Auch hier versteckt sich der Kampf um die Vorherrschaft hinter der notwendigen Einheit angesichts der »Partei der Anarchie«. Was sie grundsätzlich spaltet – und sie dazu trieb, »jedes seine eigne Suprematie und die Unterordnung des anderen zu restaurieren« (139) – waren nicht nur ihre materiellen Existenzbedingungen (»zwei verschiedene Formen des Eigentums«), sondern auch die ideologischen Traditionen, durch die sie jeweils geformt worden waren. Das ist eine von vielen Stellen, an denen Marx die spezifische Wirkung der jeweiligen ideologischen Dimension des Klassenkampfes auf das Politische zeigt, wobei er allerdings noch eine weitere komplexe Ebene hinzugefügt hat: »Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenzbedingungen erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen.« (139) Man muss ferner klar »die Phrasen und Einbildungen der Parteien von ihrem wirklichen Organismus und ihren wirklichen Interessen, ihre Vorstellung von ihrer Realität unterscheiden« (ebd.). Was diese Fraktionen von sich selbst in der Situation des Mai »dachten«, lässt sich zwar in letzter Instanz auf ihre materielle Existenzgrundlage zurückführen, hatte aber reale und eigenständige Auswirkungen – wie der Achtzehnte Brumaire auf dramatische Weise vorführt. Marx führt für jedes »Moment« der Situation im Brumaire die gleiche Analyse durch: die Bildung komplexer Koalitionen, die auf Klassenfraktionen beruhen, ihre inneren Widersprüche, die »Notwendigkeit« der politischen Positionen, zeitweiligen Programme und ideologischen Formen, in denen jene »Interessen« auftreten.
Der dritte Punkt bezieht sich auf die Frage, wie diese politischen Fraktionen und Schichten im Verlauf des Kampfes sich politisch darstellen. Die beiden Hauptfraktionen der Großbourgeoisie erscheinen auf der politischen Bühne in ihren jeweiligen royalistischen Gewändern, aber das »Stück«, das dieses Bündnis objektiv auffuhrt, ist nicht die Restauration ihrer jeweiligen Herrschaftshäuser. Ihre Vereinigung zur »Partei der Ordnung« und ihre Repräsentation durch diese Partei wirft die Frage nach der Herrschaft der Klasse »als solcher« auf und nicht die nach der Vorherrschaft einer Fraktion über die andere. Objektiv gesehen macht gerade diese zeitweilige und unheilige Allianz sie zu »Repräsentanten der bürgerlichen Weltordnung«. Marx kehrt immer wieder zu dieser zentralen Frage des »Klasseninhaltes« und seiner politischen Repräsentationsweise zurück. Es geht nicht einfach darum, dass die Repräsentation von Klasseninteressen durch politische Bündnisse und »Parteien« niemals eine geradlinige Sache ist. Das politische Interesse einer Klassenfraktion kann auch durch die Rolle, die eine andere Fraktion auf der politischen und ideologischen Bühne spielt, vertreten werden. Marx’ Darstellung der Koalition zwischen Proletariat und Kleinbürgertum in der »sogenannten sozial-demokratischen Partei« (141) bietet dafür ein hervorragendes Beispiel. Diese »Partei« handelt zunächst unmittelbar im Interesse derjenigen, die durch die erzwungene Umgruppierung der bürgerlichen Truppen zu kurz gekommen waren. Ihre innere Struktur ist widersprüchlich: Indem es sich einordnet, wird dem Proletariat »die revolutionäre Spitze« gebrochen und seine sozialen Forderungen erfahren »eine demokratische Wendung«. Die »Sozial-Demokratie« hat auch einen objektivenpolitischen Inhalt, der nicht darin besteht, »Kapital und Lohnarbeit (…) aufzuheben, sondern (…) ihren Gegensatz abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln« (141). Eine »demokratische« Reform im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft.
In diesem Zusammenhang warnt Marx uns vor einer allzu reduktiven Auffassung der politischen Repräsentation. Diese zeitweilige »Lösung« ist nicht deshalb kleinbürgerlich, weil sie die engen Interessen dieser Übergangsklasse vertritt. Ihre »Repräsentanten« lassen sich analytisch nicht fassen, wenn man sie auf ihre Klassenzugehörigkeit reduziert – sie sind nicht alle »Krämer«. Dieses Bündnis hat deshalb einen »kleinbürgerlichen« Charakter, weil, zumindest übergangsweise, die allgemeine Lösung der Krise, die sie anstrebt und verkörpert, mit den objektiven Schranken der besonderen materiellen Interessen und der besonderen sozialen Lage des Kleinbürgertums als Klasse korrespondiert. Die politischen Repräsentanten, wer immer sie sind und was immer ihre eigene besondere materielle Bestimmung ist, nehmen in jenem Moment die politische Position des Kleinbürgertums ein; sie spielen eine kleinbürgerliche politische Rolle und tragen kleinbürgerliche politische Lösungen vor. Von verschiedenen Ausgangspunkten aus findet im Rahmen objektiver Schranken ein Zusammentreffen statt, das – so Marx – die Grundlage für die Entzifferung des »Verhältnisses der politischen und literarischen Vertreter einer Klasse zu der Klasse, die sie vertreten«, bildet (142). Obwohl also die sozialen und materiellen Schranken sowie der objektive Klasseninhalt die Bedingungen und den Horizont bestimmen, innerhalb dessen in einer bestimmten Situation eine »kleinbürgerliche Lösung« entstehen kann, so hängt doch alles von den Mitteln und Bedingungen ab, die es einer solchen Lösung erst erlauben, in den Vordergrund zu treten und im Krisentheater ah politische Kraft konkrete Gestalt anzunehmen.
Dieser Begriff der Repräsentation – die Analyse der Repräsentation objektiver Klasseninhalte einander entgegengesetzter Kräfte und der Mittel und Bedingungen des politischen Kampfes, eines Kampfes mit eigenen Erscheinungsformen und eigener, spezifischer Wirksamkeit –, erlaubte es Marx, eine verblüffende Antwort auf die zentrale Frage des Achtzehnten Brumaire zu geben. Wen repräsentiert Napoleon, wer wird von dieser außergewöhnlichen Form, den Kampf zu beenden (mittels Staatsstreich) repräsentiert? Wir wissen, zu welcher Erklärung sich Marx entschloss: Napoleon »vertritt« den Parzellenbauern – den konservativen, nicht den revolutionären Bauern, den Bauern, der nicht über den Status quo hinausgehen, sondern ihn befestigen will. Wir können hier die Art, wie diese »Lösung« konstruiert wird, nur grob umreißen (vgl. 198ff.). Sie umfasst, erstens, eine Untersuchung der spezifischen bäuerlichen Produktionsweise, die auf der kleinen Parzelle gründet, und der Form des gesellschaftlichen Lebens, das aus ihr hervorgeht: die Isolierung voneinander, die erzwungene Selbstgenügsamkeit, die Struktur der Dorfgemeinschaft, die fehlende Entwicklungsvielfalt, die Armut der gesellschaftlichen Beziehungen. Marx verfolgt die entscheidende Transformation der ökonomischen Rolle der Bauernschaft – vom halbhörigen Bauern zum freien Grundeigentümer – unter der Regentschaft Napoleon I. und ihre unmittelbaren Folgen: die Zersplitterung des bäuerlichen Eigentums, den Durchbruch von freier Konkurrenz und Marktwirtschaft, die Rolle von Wucherern, Hypothek und Schulden in diesem zurückgebliebenen, traditionellen Sektor. Marx zeigt hier detailliert die verheerenden Auswirkungen der durch den kapitalistischen Einbruch auf dem Land hervorgebrachten Desorganisierung der bäuerlichen Gesellschaft. Dieser Vorgang bereitete den Boden für den zunehmenden Antagonismus zwischen Bauernschaft und Bourgeoisie – ein Antagonismus, der Napoleon zu seiner »Unabhängigkeit« verhalf. Die Parzellenbauern werden nicht nur in ein Meer von Schulden gestürzt, die versteckte Steuerlast verbindet ihre Verelendung schicksalhaft mit den erstarkten Armen der Regierung und dem staatlichen Exekutivapparat.
Im Weiteren stellt Marx auf meisterhafte Weise dar, wie die ideologischen Anschauungen der Bauernschaft in der Ideologie von Louis Napoleon – in den »idées napoléoniennes« – weniger eine Entsprechung als einen ergänzenden Widerhall finden. Ihrem objektiven Gehalt nach sind die »idées napoléoniennes« nichts als »Ideen der unentwickelten, jugendfrischen Parzelle« (203). Es gibt eine »Homologie der Formen« zwischen ihnen. Bedeutet dies nun, dass Napoleons Lösung letztendlich nicht der sich entwickelnden bürgerlichen Produktionsweise in Frankreich entspricht, kein Rettungsanker der Bourgeoisie ist? Tatsache ist, so Marx, dass Napoleon nicht mehr einen bestimmten Teil der Bourgeoisie vertreten kann, denn er ist nur durch die sukzessive Niederlage oder den sukzessiven Rücktritt der einzelnen Hauptfraktionen der Bourgeoisie an die Macht gekommen. Diese fortschreitende Liquidierung bietet nur eine unsichere und widersprüchliche Grandlage für einen Staatsstreich. Das führt Napoleon dazu, seine politischen Ansprüche am Ende auf die Klasse der Parzellenbauern zu stützen, die »sich nicht vertreten (können), sie müssen vertreten werden. Ihr Vertreter muss zugleich als ihr Herr, als eine Autorität über ihnen erscheinen, als eine unumschränkte Regierangsgewalt, die sie vor den anderen Klassen beschützt und ihnen von oben Regen und Sonnenschein schickt« (198f.). An genau dieser Stelle aber – an der eine ganze Klassenfraktion politisch nur durch die politische Ausnahmeform einer Ein-Mann-Diktatur in Erscheinung tritt – vollzieht Marx eine letzte ironische Wendung. Denn durch Napoleon gerät die Parzellenbauernschaft in direkte Abhängigkeit von der Exekutivgewalt – vom Staat.
Durch diesen Reifeprozess der Staatsmacht, die Schaffung einer aufgeblähten aber »unabhängigen« Staatsmaschinerie, die durch das Napoleonische Regime perfektioniert wird, und gestützt auf die widersprüchliche Basis seiner »Unabhängigkeit« kann Napoleon schließlich nicht dieser oder jener Fraktion der Bourgeoisie, sondern der Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse in Frankreich überhaupt dienen.
»Aber das materielle Interesse der französischen Bourgeoisie ist gerade auf das innigste mit der Erhaltung jener breiten und vielverzweigten Staatsmaschinerie verwoben. Hier bringt sie ihre überschüssige Bevölkerung unter und ergänzt in der Form von Staatsgehältern, was sie nicht in der Form von Profiten, Zinsen, Renten und Honoraren einstecken kann. Andererseits zwang ihr politisches Interesse sie, die Repression, also die Mittel und das Personal der Staatsgewalt, täglich zu vermehren (…). So war die französische Bourgeoisie durch ihre Klassenstellung gezwungen, einerseits die Lebensbedingungen einer jeden, also auch ihrer eignen parlamentarischen Gewalt zu vernichten, andererseits die ihr feindliche Exekutivgewalt unwiderstehlich zu machen.« (150f.)
Das ist langfristig ihre »Leistung«, und sie wird durch die »Krise« von 1851, durch Umschwünge und Umwege, durch Fortschritte und Rückschritte hindurch zur Reife gebracht und vollendet, zugunsten der sich entfaltenden kapitalistischen Kräfte der französischen Gesellschaft. Das ist die objektive Leistung der Revolution, die sie »auf der Reise durch das Fegefeuer« vollbringt (196).
Der politische Klassenkampf hat also seine eigene Wirksamkeit, seine eigenen Formen und Existenzbedingungen, sein eigenes Moment, sein Tempo und seine Richtung, seine eigenen inneren Widersprüche, seine »eigentümlichen« Ergebnisse und Resultate. Auch wenn alles in letzter Instanz durch den Entwicklungsstand der materiellen und gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt ist, durch die sich die vorherrschende Produktionsweise reproduziert (wie auch die untergeordneten oder überlebenden Produktionsweisen, die in jeder konkreten Gesellschaft mit der in ihr vorherrschenden Produktionsweise verbunden existieren), können nur sehr wenige der tatsächlichen Verschiebungen in den politischen Beziehungen der Klassenkräfte dadurch entziffert werden, dass man sie auf die abstrakten Bedingungen des »Hauptwiderspruchs« reduziert. Das Politische ist mit der Ebene des Ökonomischen verknüpft; und beide sind – um die Unterscheidung ganz klar zu machen – durch die mit der »Produktionsweise« verbundenen Kräfte und Verhältnisse überdeterminiert (grundlegend durch sie konstituiert und in den möglichen Varianten und Ergebnissen durch sie begrenzt).
Sie als etwas Unverbundenes zu betrachten, als etwas, was in keiner Weise miteinander »korrespondiert«, hieße das oberste Prinzip des historischen Materialismus aufzugeben: das Prinzip der Gesellschaftsformation als »komplexe Einheit«, als »Ensemble der Verhältnisse«. Zu dieser Artikulation aber kommt es nur über eine Reihe von Verschiebungen und Desartikulationen. Zwischen die Klassen, die in den ökonomischen Produktionsverhältnissen konstituiert werden – sei es in ihrer »reinen« Form (da, wo die Produktionsweise als ein analytischer Rahmen fungiert) oder ihrer konkret-historischen Form (wo sie in komplexen Formen auftreten, verbunden mit den Formationen früherer Produktionsweisen), tritt eine Reihe von Formen, Prozessen, Bedingungen und Voraussetzungen (die mit einem spezifischen Satz von nicht reduktiven Begriffen fassbar werden), die die Ebene des Politischen in einer Gesellschaftsformation »ausfüllen«. Die Repräsentation des »Ökonomischen« auf der Ebene des »Politischen« läuft über diese Formen und Prozesse. Ohne diesen Prozess, diesen komplexen Zusammenhang von Praxen des politischen Klassenkampfes gäbe es überhaupt keine »politische« Ebene. Und sobald der Klassenkampf auf der Bühne des politischen Klassenkampfes dem Prozess der »Repräsentation« unterworfen ist, verewigt sich diese Verbindung: Sie gehorcht nicht nur den auf sie wirkenden Determinationen, sondern auch einer eigenen, inneren Dynamik; sie hält sich an ihre eigenen, spezifischen Existenzbedingungen. Sie wird unumkehrbar. Diese Transformation ist es, die die notwendige Ebene des Politischen produziert und stützt. In dem Moment, in dem die Klassenkräfte als politische Klassenkräfte auftreten, haben sie politische Konsequenzen; sie bringen »Lösungen« hervor – Resultate, Ergebnisse, Konsequenzen –, die nicht in die Ausgangsbedingungen rückübersetzt werden können.
Natürlich gewinnt der politische Klassenkampf seine einzelnen Elemente aus dem »Rohmaterial« der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse – auf der Ebene der Produktionsweise. Und die politischen Resultate und Folgerungen, die auf der Ebene des Politischen »gewonnen« oder gesichert werden, dienen nicht nur dazu, »das Politische« als eine dauerhafte Praxis in jeder Gesellschaftsformation zu verankern – eine Praxis, die niemals mehr ein »leerer Ort« sein kann –, sondern sie wirken sich auch auf die Weiterentwicklung der Kräfte und Verhältnisse der materiellen Existenzbedingungen selbst aus. Das heißt, sie wirken auf das zurück, was sie konstituiert: sie haben ihre eigenen Wirkungen. Die spezifische politische Form, in der der »Kompromiss« mit dem Staatsstreich 1851 geschlossen wurde, ist sowohl für das Tempo als auch für den Charakter der kapitalistischen Entwicklung in Frankreich wichtig. Sie beeinflusst sowohl das politische als auch das ökonomische Leben der französischen Gesellschaft. Diese »Rückwirkung« der politisch-ideologischen Überbauten auf die »Basis« bewegt sich nicht in einem »luftleeren Raum«. Aber ihre genaue Richtung und Tendenz ist nicht ausschließlich durch die Kräfte und Verhältnisse an der Basis, sondern auch durch die Kräfte und Verhältnisse des politischen und ideologischen Kampfes vorgegeben und durch alles, was an ihnen spezifisch – relativ autonom – ist. Die Auswirkungen des Überbaus können auf die Entwicklung der Basis entweder fördernd oder behindernd »zurückwirken«. So schrieb Althusser, »dass der ›überdeterminierte Widerspruch‹ überdeterminiert sein mag entweder im Sinn einer historischen Hemmung, einer echten Sperrung (…) oder im Sinn eines revolutionären Bruchs, dass er sich aber unter diesen Bedingungen nie im ›reinen‹ Zustand darbietet.« (1968, 72f.) In seinem berühmten Brief an Conrad Schmidt sprach Engels genau diese Frage an und erklärte: »Die Rückwirkung der Staatsmacht auf die ökonomische Entwicklung kann dreierlei Art sein: Sie kann in derselben Richtung vorgehen, dann geht’s rascher. Sie kann dagegen angehn, (…) oder sie kann der ökonomischen Entwicklung bestimmte Richtungen abschneiden und andre vorschreiben (…)« (MEW 37, 490f.) »Die Charakteristik der beiden Grenzsituationen«, so Althusser, »ist hier gut aufgezeigt« (1968, 73, Fn. 32). (Man beachte, dass dieser Begriff von »Determinierung« sich von der weiter ausgebauten aber »formaleren« Konzeption einer Determination durch »strukturale Kausalität« unterscheidet, die Althusser und Balibar in Das Kapital lesen übernommen haben. Diese formalistischere Fassung war eine der Hauptquellen der »theorizistischen Abweichung« Balibars.)
In der Einleitung zu den Grundrissen schreibt Marx, dass, sobald wir das Verhältnis zwischen den verschiedenen »Momenten« eines Prozesses nicht mehr als ein identisches denken, wir notwendig von Gliederung sprechen müssen (Grundrisse, 29). Als Gliederung wird ein Beziehungstyp bezeichnet, in dem zwei Prozesse, die ihre jeweilige Spezifik behalten und ihren eigenen Existenzbedingungen gehorchen, sich zu einem »komplexen Ganzen« verschlingen. Dieses Ganze ist daher das Ergebnis »vieler Bestimmungen«, wobei die Existenzbedingungen des einen nicht genau mit denen des anderen zusammenfallen (Politik nicht mit Ökonomie, Zirkulation nicht mit Produktion), auch wenn Ersteres der »bestimmte Effekt« des Letzteren ist; denn Politik und Zirkulation haben auch ihre eigenen inneren »Bestimmungen«.
Die Begriffe, die Marx im Achtzehnten Brumaire zum ersten Mal herausarbeitet und einsetzt – Bündnis, Block, konstitutionelle Formen, Regime, politische Repräsentanten, politische Ideologien oder »Ideen«, Fraktionen, Gruppierungen etc. –, sind Begriffe, mit deren Hilfe wir die Komplexität dieser doppelten Determination »denken« können. Da diese politischen Formen und Verhältnisse ihrerseits durch die antagonistischen Klassenverhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise, in der sie auftreten, konstituiert werden, sind sie selbst die konkreten Objekte der Praxen des Klassenkampfes – des Klassenkampfes auf der »politischen Bühne«. Der repräsentative Aspekt dieses Verhältnisses wird durch den Ausdruck »Bühne« und die durchgängige Dramaturgie der Darstellung im Achtzehnten Brumaire noch unterstrichen. Diese Ebene ist in jeder entwickelten Gesellschaftsformation präsent, sie wird stets auf die eine oder andere Weise »ausgefüllt«. Sie erfüllt für die Gesellschaftsformation als Ganzes eine »Funktion«, indem hier die Formen und Verhältnisse des Politischen auftauchen, in denen die verschiedenen Kapitalfraktionen und ihre jeweiligen politischen Verbündeten kämpfen können – sowohl gegeneinander als auch gegen die unterdrückten Klassen. Vermittels dieser Formen beherrschen sie den Klassenkampf und bringen die Kulturgesellschaft, Politik, Ideologie und den Staat mit den breiten »Grundbedürfnissen« der sich entfaltenden Produktionsweise in Einklang. Aber diese »Bedürfnisse« erscheinen nie in »Reinform«. Am Beispiel Großbritannien konnte Marx sogar sehen, dass die Hauptklassen des Kapitals nie in ihrer ganzen Pracht und vereint auftreten, um selbst und in ihrem eigenen Namen »für das Kapital« »die Aufsicht über die Gesellschaftsformation« zu übernehmen. Die Unterscheidung zwischen der »ökonomisch herrschenden Klasse« und der »politisch führenden oder regierenden Kaste« in den Schriften von Marx und Engels über Großbritannien wiederholt in knapper Form die Unterscheidungen, die im Achtzehnten Brumaire ausführlich dargestellt wurden; sie liefern den Schlüssel zur Entzifferung des Klassenkampfes in Großbritannien: »Die regierende Kaste (…) ist unter keinen Umständen mit der herrschenden Klasse identisch« (»Parties and Cliques«, in: Survey From Exile, 279). Die politische Ebene bietet daher auch den notwendigen Repräsentationsraum, in dem die Verhandlungen stattfinden, die Koalitionen und »labilen Gleichgewichte« gebildet und aufgelöst werden, die den »Kapitalgesetzen« ihre einschlägigen Auswirkungen ermöglichen. Folglich kann die Arbeiterklasse auch in diesem »Raum« – aber auch dessen spezifische Formen und Beziehungen nutzend – mit ihren politischen Kräften und Repräsentanten darum kämpfen, die Kapitalmacht zu kontrollieren, um so in einer günstigen politischen Situation die ökonomische Struktur der Gesellschaft zu transformieren. Dabei wird sie genau den Punkt zum Gegenstand ihres Kampfes machen, in dem sich die Struktur verdichtet – in der Form des bürgerlichen Staates, das heißt in der politischen Macht. Wir dürfen uns also »den Klassenkampf« nicht so vorstellen, als seien die Klassen auf der Ebene des Ökonomischen zunächst als einfache und homogene Einheiten konstituiert und erst auf der Ebene des Politischen gespalten. Die politische Ebene ist »abhängig« – determiniert –, denn ihr »Rohmaterial« stammt aus der Produktionsweise als Ganzer. In einem Prozess der »Repräsentation« muss etwas zu repräsentieren sein. Aber die Konstituierung der Klassen ist ein komplexer Vorgang, der auf allen Ebenen der Gesellschaftsformation stattfindet – auf der ökonomischen, der politischen, der ideologischen. In der spezifischen Situation einer konkreten historischen Formation den »Stand« des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen zu erfassen, bedeutet, die notwendige Komplexität und die notwendigen Verschiebungen in dieser »Einheit« zu erfassen. Nur in der einzigartigen Ausnahmesituation eines revolutionären Bruchs werden die Instanzen auf diesen verschiedenen Ebenen einander entsprechen. Man kann also die »Einheit« des so konstituierten Klassenkampfes nur dann erfassen, wenn man die Klassenfrage in ihrer widersprüchlichen Form begreift.
IV
Zwanzig Jahre liegen zwischen dem Achtzehnten Brumaire und dem Bürgerkrieg in Frankreich, wo Marx einige der damals entwickelten Begriffe ausbaut. Die begrifflichen Weiterentwicklungen in diesem Text stehen in direktem Zusammenhang mit einer revolutionären politischen Konstellation, die einer ernsthaften Analyse bedurfte (die Pariser Kommune), wie auch unter dem starken Einfluss der erneuten politischen Arbeit von Marx und Engels im Rahmen der Internationalen (einschließlich des Kampfes gegen Bakunin und die Anarchisten). An dieser Stelle können nur drei wichtige Punkte aus dem politischen Schrifttum angeführt werden, die innerhalb der marxistischen Bewegung viel zu wenig bedacht und studiert werden.
Der erste Punkt betrifft die absolute Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, sich als »Partei« zu konstituieren, deren Ziel »die Eroberung der politischen Macht« ist, deren Zweck das Zerbrechen des bürgerlichen Staates und der Staatsmacht ist: dieses »nationale[n] Kriegswerkzeug[s] des Kapitals gegen die Arbeit«, dieser »öffentliche[n] Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse«, dieser »Maschine der Klassenherrschaft« (MEW 17, 336f.). Diese »Lektion« wurde nachdrücklich im Vorwort zur deutschen Ausgabe des Manifests von 1872 festgehalten: »Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann.« (MEW 4, 574) Die detaillierte Analyse der Kommune ist nicht nur Marx’ ausführlichste Schrift über die Formen der politischen Macht des Proletariats, sie enthält auch das entscheidende Argument für das, was Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms die »revolutionäre Diktatur des Proletariats« (MEW 19, 28) nennt, die einzige und notwendige Form, in der die Arbeiterklasse »lange Kämpfe und eine Reihe historischer Prozesse durchlaufen muss, in denen sie die Verhältnisse und die Menschen verändert.« (MESW, 291, aus dem engl. Orig. übersetzt)
In diesem Kontext kehrt Marx zu der bereits im Achtzehnten Brumaire aufgeworfenen Frage zurück, welche Klassenkräfte durch die Gestalt und Formation des Napoleonischen Staates repräsentiert wurden und in welcher Beziehung die napoleonische »Lösung« zur ökonomischen Entwicklung des Kapitalismus in Frankreich stand. Im Bürgerkrieg in Frankreich arbeitet Marx ausführlich die zunehmende Verselbständigung der »zentralisierten Staatsmacht« heraus (MEW 17, 336f.); er fasst die konstitutionellen Formen der 1851er Krise zusammen, in denen diese Staatsmacht heranreifte und sich entwickelte – das »objektive Werk« der Revolution und das politische Werk der Herrschaft über die unterentwickelten Fraktionen, die es Napoleon ermöglichten, das Werk zu vollenden.
Hier findet sich die Grundlage für jene Theorie, die den Staat als »Klassenstaat« fasst, als politische Verdichtung; eine Theorie, der Lenin später zu einem so hohen Stellenwert verhelfen sollte (durch seinen Kommentar in Staat und Revolution zu den fragmentarischen Einsichten von Marx und Engels). Auf eine der Konsequenzen, die diese neue Theorie für unser Verständnis vom Verhältnis zwischen dem politischen und dem ökonomischen Aspekt des Klassenkampfes hat, werde ich sogleich eingehen.
Zunächst aber kehrt Marx zur Frage der »Repräsentation« zurück. Napoleon, so schreibt er, »gab vor, sich auf die Bauern zu stützen, auf jene große Masse der Produzenten, die nicht unmittelbar in den Kampf zwischen Kapital und Arbeit verwickelt waren« (MEW 17, 337). Dieses Klasseninteresse, das scheinbar außerhalb des unmittelbaren Schauspiels der Hauptklassen stand, diente dazu, das vermeintliche Kampfgeschehen zu bestätigen – es sicherte seinem Staatsstreich den Schein der Autonomie. Damit war es ihm möglich, seine politische Intervention als Verwirklichung des »Allgemeininteresses« auszugeben – eine klassische ideologische Funktion des Staates –, als »Repräsentation« aller Klassen (weil sie keine einzelne vertrat), »der Nation«. Napoleons Intervention »gab (…) vor, alle Klassen zu vereinigen durch die Wiederbelebung des Trugbildes des nationalen Ruhms« (ebd., 338).
Marx weist dann darauf hin, auf welche Weise und warum diese politische Lösungsform mit dem direkten Kräfteverhältnis im Zentrum des Kampfes verknüpft war: auf indirekte Weise, als eine Repräsentation, als ihre eigene Zurückstellung. »In Wirklichkeit war es die einzig mögliche Regierungsform zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte.« (Ebd.) Die »Zurückstellung« einer politischen Lösung, die auf dem politischen Feld als einstweilige aber verschobene »Herrschaft« einer abwesenden Klasse auftritt (einer Klasse, die nicht in ihrem eigenen Namen auftreten konnte), war eine Form, die dem unterentwickelten Stand der Klassenverhältnisse in der kapitalistischen Produktion Frankreichs entsprach (aber keineswegs »unmittelbar«). Denn dieses »labile Gleichgewicht« war die Bedingung dafür, dass der Staat »scheinbar hoch über der Gesellschaft schweben« (338) konnte – als Verkörperung, aber zugleich auch Maskierung des Klassenkampfes. Und in genau dieser Form – der Form eines »nationalen Kriegswerkzeugs des Kapitals gegen die Arbeit« (337) – entwickelte sich der Kapitalismus in Frankreich, natürlich mit all seinen widersprüchlichen Auswirkungen. Diese Auswirkungen zeigen sich noch heute in der eigentümlichen Form des »Etatismus«, in der sich die kapitalistische Entwicklung in der französischen Gesellschaftsformation manifestiert hat. Deutlicher lassen sich die mächtigen Auswirkungen des Politischen auf das Ökonomische kaum zeigen. Und ebenso deutlich zeigt sich, dass das Politische und das Ökonomische miteinander verkoppelt sind, aber nicht im Sinne einer identischen Beziehung.
In diesem Zusammenhang sollten wir erwähnen, dass Marx zu einer Stelle im Manifest zurückkehrt, die wir oben angeführt haben, und einen Punkt klarstellt, der – im Licht des Achtzehnten Brumaire – zugleich eine notwendige Korrektur ist. In seiner Kritik des Gothaer Programms geht Marx auf Lassalles Fehlinterpretation ein, alle anderen Klassen bildeten gegenüber der Arbeiterklasse »nur eine reaktionäre Masse« (MEW 19, 22) (das heißt, die These von der »Vereinfachung der Klassen« im politischen Kampf). Er führt zur Klarstellung zwei Punkte an. Erstens wiederholt er, dass die Bourgeoisie aufgrund ihrer historischen Rolle »als Trägerin der großen Industrie« zu der revolutionären Klasse gegenüber den feudalen Klassen wurde. Auch das Proletariat erhält seine revolutionäre Stellung durch seine objektive Lage. Das aber heißt nicht, dass man alle anderen Klassen auf einen Haufen zusammenwerfen kann. Die Überreste der feudalen Klassen können objektiv reaktionär sein, aber »sie bilden (…) nicht zusammen mit der Bourgeoisie nur eine reaktionäre Masse« (ebd., 23). Das heißt, kurz gesagt: Die politische Analyse erfordert eine Theorie der komplexen Formierung von Klassenfraktionen zu Klassenbündnissen. Diese Bündnisse – und nicht eine undefinierbare Verschmelzung ganzer Klassen – konstituieren das Terrain des politischen Klassenkampfes. – Marx und Engels betonen immer wieder – auf Grundlage der Thesen der Internationale – die Notwendigkeit »der politischen Bewegung« als Mittel zur »ökonomischen Emanzipation der Arbeiterklasse« (Rede auf der Feier zum siebten Jahrestag der Internationale, MEW 17, 432). Je mehr die Theorie des Staates und die der zentralen Bedeutung der Staatsmacht für die Expansion des Kapitalismus weiterentwickelt wurde, desto wichtiger wurde die Rolle des politischen Kampfes im Vorfeld der »Sozialen Revolution«. Fernbach hebt zu Recht hervor, dass Marx und Engels keine Theorie der korporativen Formen des politischen und ökonomischen Kampfes der Arbeiterklasse ausgearbeitet haben. Und er hat Recht, wenn er ihr Fehlurteil über das Wesen der Arbeiterbewegung in Großbritannien dieser theoretischen Lücke zuschreibt (Fernbach 1973, 22-24). Man muss sich schon Lenins Polemik gegen Martynow und die »Ökonomisten« zuwenden, um eine adäquate Theoretisierung dieser Tendenz zu erhalten. Das gesamte Kapitel über »Trade-unionismus und sozialdemokratische Politik« in Lenins Was tun? sollte im Zusammenhang mit diesem Problem gelesen werden – denn die Verwirrung, der Lenin dort entgegentritt, ist heute eher noch gewachsen (LW 5, 409-455). Lenin demontiert überzeugend die Ansicht, dass der Kampf, der auf der Ebene des Ökonomischen geführt wird, das (wie Martynow erklärt hatte) »weitest anwendbare Mittel« sei, nur weil die Formen und Ergebnisse des Klassenkampfes in letzter Instanz durch die ökonomischen Grundlagen und Verhältnisse bestimmt werden. Lenin nennt diese Behauptung die »Quintessenz des Ökonomismus«; und diese Bestimmung führt ihn zur Analyse des korporativen Charakters eines Kampfes, der sich auf den Kampf »für günstige Bedingungen des Verkaufs der Arbeitskraft, für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeit« beschränkt, was direkt ins Zentrum des sozialdemokratischen Reformismus und »Ökonomismus« führt – zu dem »gründlich gelehrten (und ›gründlich‹ opportunistischen) Ehepaar Webb« und zu den englischen Gewerkschaften (ebd., 471). Lenins Intervention (und die folgende Weiterentwicklung seiner Position im Rahmen seiner Imperialismustheorie) markiert weitaus klarer als die marxsche den Schaden, der – von Marx und von späteren Marxisten – dadurch angerichtet wurde, dass sie den selben Begriff – »das Ökonomische« – dazu benutzten, zwei völlig unterschiedliche Dinge zu bezeichnen: die Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte der Produktionsweise und den Ort der Praxen und Kampfformen, deren spezifischer Gegenstand ökonomische Beziehungen sind (wie etwa Arbeitsbedingungen oder Lohn).
V
Zum Schluss will ich kurz skizzieren, wie wir diese Begriffe und ihre Auswirkungen auf die Konstituierung von Klassen und Klassenkampf fassen könnten. »Hauptbegriff« ist der Begriff der Produktionsweise. Die »Produktionsweise« ist zunächst die begriffliche und analytische Matrix, die es uns erlaubt, die Grundstrukturen der Verhältnisse zu denken, in denen die Menschen – unter bestimmten historischen, determinierenden Bedingungen – ihre materiellen Lebensbedingungen produzieren und reproduzieren. Sie besteht aus »Kräften« und »Verhältnissen« – was allerdings nur eine zusammenfassende Formulierung ist. Mit diesen scheinbar simplen Bestimmungen werden verschiedene Gruppen von Verhältnissen erfasst: Verhältnisse sowohl zwischen den Agenten der Produktion und ihren Werkzeugen als auch unter den Produktionsagenten selbst: die technische und gesellschaftliche Arbeitsteilung unter den sich entwickelnden kapitalistischen Bedingungen, wobei Marx dem »Gesellschaftlichen« gegenüber dem »Technischen« den Vorrang gibt. Aber die »gesellschaftlichen« Verhältnisse sind nicht einfach: Sie verweisen sowohl auf das Eigentum an den Produktionsmitteln, die Organisation des tatsächlichen Arbeitsprozesses und auf die Macht, Menschen und Produktionsmittel auf bestimmte Weise miteinander zu kombinieren.
Unsere Zusammenfassung des 13. Kapitels des Kapital über »Maschinerie und große Industrie« sollte ausreichend gezeigt haben, auf welche verschiedenen Gruppen von Verhältnissen, in verschiedener Kombination, die griffige Formel »Kräfte und Verhältnisse« hinweist. Hinzuzufügen wäre noch das »korrespondierende Verhältnis« zwischen Zirkulation und Austausch, das den Kreislauf zur Realisierung des Kapitals vervollständigt. Wenn wir sagen, der Begriff »Produktionsweise« sei zunächst eine analytische Matrix, dann meinen wir damit nur, dass Bedingungen und Verhältnisse, Orte und Umstände näher bestimmt sein müssen, wenn wir einen Vorgang als »Produktion unter kapitalistischen Verhältnissen« erkennen wollen. Er bezeichnet die zentralen Orte und Räume, auf die die Produktionsagenten und -mittel verteilt werden und wo sie miteinander kombiniert werden müssen, damit die kapitalistische Produktion voranschreiten kann. Er bezeichnet die ökonomische Struktur des Kapitalismus, als den zentralen Ort des Klassenverhältnisses, weil hier jede Position antagonistische Beziehungen beinhaltet. Antagonismen, für die Marx in der Analyse im Kapital die »Personifikationen« von Kapitalist und Lohnarbeiter anfuhrt. Die Klassenpositionen beinhalten keine Bestimmung »ganzer« Klassen als empirisch einheitlicher Gruppen von Männern und Frauen; sie verweisen vielmehr auf eine Funktion. Wie jede durchdachte Theorie über die Anatomie von Klassen in verschiedenen Phasen der kapitalistischen Entwicklung eindeutig zeigt, können Klassen in Bezug auf ihre Funktion zumindest einige ihrer Positionen verschieben, oder, anders ausgedrückt, sie können sozusagen »Funktionen« auf beiden Seiten des Klassenantagonismus ausüben.
Dieser Punkt spielt zum Beispiel bei der Bestimmung der neuen Mittelklassen eine große Rolle, die nicht alle, aber einige Funktionen sowohl des »weltweiten Kapitals« als auch »des Gesamtarbeiters« (um Carchedis Begriffe einmal zur Illustration zu benutzen, Carchedi 1975) ausüben. In der tatsächlichen, konkreten Funktionsweise einer spezifischen Produktionsweise in einer historisch konkreten Gesellschaft oder Gesellschaftsformation und in jeder spezifischen Phase ihrer Entwicklung ist also die Konstituierung von Klassen bereits auf dieser »ökonomischen« Ebene ein komplexer und in einigen, zum Teil entscheidenden Aspekten widersprüchlicher Vorgang. Die Vorstellung, wir könnten irgendwie durch die Verwendung des Begriffes der »Produktionsweise« empirisch konstituierte, »einheitliche Klassen« auf der Ebene des Ökonomischen zu Tage fördern, ist unhaltbar.
Es gibt noch zwei weitere Gründe, warum das so sein muss. Erstens erscheinen in realen, konkret-historischen Gesellschaftsformationen die Produktionsweisen nicht selbständig und in »reiner Form«. Sie sind stets mit vorangegangenen und untergeordneten Produktionsweisen – und deren korrespondierenden politischen und ideologischen Verhältnissen – auf komplexe Weise verknüpft, womit jede Tendenz einer »reinen« Produktionsweise, eine Reihe von »reinen« Klassen zu produzieren, durchkreuzt und überdeterminiert wird.
Der zweite Grund wurde bereits angesprochen. Gesellschaftsformationen bestehen nicht ausschließlich aus miteinander verknüpften Produktionsweisen, sie enthalten immer auch Überbauverhältnisse – das Politische, das Juristische, das Ideologische. Und da diese nicht bloße Blüten der »Basis« sind, haben sie auch eigene Auswirkungen – sie komplizieren die Konstituierung der Klassen zusätzlich. Sie haben in zweierlei Hinsicht einen überdeterminierenden Effekt: Zum einen haben das Politische, das Juristische und das Ideologische Auswirkungen innerhalb dessen, was wir grob »das Ökonomische« nennen. In bestimmten Phasen der kapitalistischen Entwicklung fallen das reale und das rechtliche Eigentum an den Produktionsmitteln zusammen. Aber im Monopolkapitalismus fallen die beiden Funktionen zum Beispiel nicht zusammen. Das Körperschaftseigentum kann juristisch gesehen gesellschaftlichen Gruppen »gehören«, die aber nicht die »reale« Macht besitzen, die Instrumente dieses Eigentums in der Produktion einzusetzen. Zum anderen aber haben das Politische, Juristische und Ideologische auch ihre eigenen Auswirkungen, wie sie auch ihre eigenen bestimmten Existenzbedingungen haben, die nicht auf »das Ökonomische« reduzierbar sind. Wie wir zu zeigen versucht haben, sind sie zwar aufeinander bezogene, aber »relativ autonome« Praxen, und damit die Orte bestimmter Formen des Klassenkampfes mit ihren eigenen Kampfzielen, die selbst wiederum relativ unabhängig auf die »Basis« zurückwirken. Deshalb haben die Formen, in denen Klasse, Klasseninteresse und Klassenkräfte auf jeder dieser Ebene auftreten, keineswegs notwendig ein und dieselbe Bedeutung oder entsprechen einander. Das Beispiel der Bauernschaft, Napoleons, der Pattsituation zwischen den Hauptklassen, der Expansion von Staat und Kapital im Achtzehnten Brumaire sollte uns genügend von der Nicht-Unmittelbarkeit, der Nicht-Transferierbarkeit zwischen beiden Ebenen überzeugt haben. Die Verallgemeinerbarkeit der Theorie über Klassen und Klassenkampf in ihren verschiedenen Aspekten wird von unserer Fähigkeit abhängen, die globale Auswirkung dieser komplexen, widersprüchlichen Auswirkungen zu erfassen. Das impliziert die These von der Nicht-Homogenität der Klassen, einschließlich etwa der Nicht-Homogenität des Kapitals, einem Kürzel für die verschiedenen Kapitalformen. Seine innere Zusammensetzung und jeweils unterschiedliche Stellung im Kreislauf führt dazu, dass es selbst auf der ökonomischen Ebene kein einheitliches, eindeutiges »Interesse« verfolgt. Von daher ist es höchst unwahrscheinlich, dass es auf der politischen Bühne als einheitliche Kraft auftritt, ganz zu schweigen davon, dass es auf der ideologischen Ebene erscheinen könnte, wenn es sich sozusagen »selbst dazu entschlossen hat«.
In den vorangegangenen Kapiteln habe ich versucht nachzuzeichnen, wie Marx bei den Bestimmungen dieser »Nicht-Homogenität« anlangte und dann, wie er sie begrifflich ausfüllte. Um die praktische Relevanz dessen zu sehen, brauchen wir nur an die Zeiten in der jüngeren europäischen Geschichte zu denken, in denen »das Kapital« auftrat und seine unwiderstehliche ideologische Gewalt ausübte, indem es (um zwei Bilder aus dem Achtzehnten Brumaire zu benutzen) sich die Maske des Kleinbürgertums aufsetzte bzw. sich in das Gewand des Kleinbürgertums kleidete (der Klasse, die, frei nach Marx, nichts zu verlieren hatte als ihre moralische Rechtschaffenheit).
Diese ideologischen Verschiebungen und Maskierungen sind keineswegs auf die Vergangenheit beschränkt. Man könnte die ökonomische und politische Situation in Großbritannien seit den frühen 60er Jahren als eine sich vertiefende Krise der ökonomischen Strukturen begreifen, die auf der politischen Ebene ihren »natürlichsten« Ausdruck in der Form einer Labour-Regierung annimmt – eine paradoxe Situation, in der die in Krisenzeiten vom Kapital am meisten favorisierte Partei die »Partei der Arbeiterklasse« ist. Das mag aber auch mit dem zu tun haben, was diese Partei tut, wenn sie an der Macht ist: Sie hält sich fast wörtlich an die Beschreibung, die Marx im Achtzehnten Brumaire von der historischen Rolle der Sozialdemokratie gegeben hat: Sie verlangt »demokratisch-republikanische Institutionen als Mittel (…), nicht um zwei Extreme, Kapital und Lohnarbeit, aufzuheben, sondern um ihren Gegensatz abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln« (MEW 8, 141). Wenn die Sozialdemokratie versucht, sowohl dem Kapital zu dienen als auch die Arbeiterklasse zu vertreten, dann geschieht das oft dadurch, dass sie das »Allgemeininteresse« zum Prinzip ihrer Macht erhebt: In der Rhetorik der Sozialdemokratie erscheint dieses Interesse dann in der ideologischen Personifikation »des Konsumenten«. Auf der anderen Seite der parlamentarischen Szene sehen wir die Thatcher-Führung, wie sie sich auf die Macht vorbereitet und einen autoritativen Massenkonsens konstituiert, indem sie versucht, das Kapital in der »ehrwürdigen Verkleidung und mit der erborgten Sprache«, mit den »Namen, Parolen und Kostümen« einer verschwindenden Klassenfraktion zu »vertreten« – denen der kleinen »Ladenbesitzer«. Das mag zwar anachronistisch anmuten, ist aber nichtsdestoweniger effektiv. Für jeden, der versucht, den roten Faden zu finden, der diese widerstreitenden Erscheinungen im Klassenkampf verbindet, kann es wohl kein zwingenderes Argument für die Entwicklung einer Theorie des Klassenkampfes geben. Und zwar einer Theorie, der »Einheit« dieser widersprüchlichen und verschobenen Repräsentationen der Klassenverhältnisse auf verschiedenen Ebenen oder in verschiedenen Instanzen: des Ökonomischen, des Politischen, des Ideologischen. Kurz, es geht um die Notwendigkeit einer marxistischen Theorie der Repräsentation, der Darstellung.
In dem Bemühen, auch den letzten Funken von Reduktionismus aus dem Marxismus zu verbannen, scheint Hirst die These der Nicht-Übertragbarkeit, der Nicht-Homogenität zwischen den ökonomischen und politischen Ebenen des Klassenkampfes in ihr extremes Gegenteil zu verkehren. Daraus folgt Hirsts verwegene Formulierung der »notwendigen Nicht-Entsprechung« – ein Begriff, der sich erheblich von dem der »nicht notwendigen Entsprechung« unterscheidet. Und mir scheint, der Unterschied zwischen beiden ist der zwischen Autonomie und relativer Autonomie. »Relative Autonomie« scheint – im Hinblick auf die von uns untersuchten Texte – die Richtung auszugeben, in der Marx die komplexe Einheit einer Gesellschaftsformation denkt (wobei Komplexität und Einheit gleichermaßen wichtig sind). »Autonomie« oder die »notwendige Nicht-Entsprechung« dagegen, scheint mir aus dem theoretischen Rahmen des Marxismus vollständig herauszufallen. Marx gelangte – so haben die von mir untersuchten Passagen gezeigt – nicht auf irgendeine einfache, reduktionistische oder vereinheitlichende Weise zur Vorstellung der Nicht-Entsprechung. Er entwickelte die Begriffe, mit deren Hilfe wir in den historisch spezifischen Konstellationen die Verschiebungen denken können. Ebenso klar ist, dass Marx – wie auch Althusser (1975) offen anerkannt hat – nach wie vor die ökonomische Struktur als »determinierend« denkt, wenn auch nicht im reduktionistischen Sinne, und dass damit das – neue und originelle – Problem einer »Einheit« aufgeworfen wurde, die sich nicht als eine einfache oder reduktionistische fassen lässt. Diese doppelte Bewegung ist das Thema des Achtzehnten Brumaire.
Dieses Theorem braucht die marxistische »Topographie« von Basis und Überbau. Ohne sie verliert der Marxismus seine Spezifik und wird zu etwas anderem – zu einer Theorie der absoluten Autonomie von allem und jedem. Im Lichte dieser fortdauernden Debatten schien es sinnvoll zu untersuchen, wie Marx selbst das Feld des Essentialismus und der Vereinfachung verlassen hat und wie er gezwungen wurde, Begriffe zu entwickeln, die es ihm – und im Gefolge uns – ermöglichten, die notwendig komplexe Praxis des Klassenkampfes zu begreifen.
Übersetzung: Gabriela Mischkowski