Читать книгу Das geheimnisvolle Schloss - Susan Asher - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеGleich nach dem Frühstück lief sie in die riesige alte Bibliothek, um dort nach Unterlagen und Hinweisen zu suchen, die ihr helfen konnten, das Rätsel des blassen Mädchens zu lösen, dass ständig in ihren Albträumen auftauchte und sie um Hilfe anflehte. Ohne sich von der Vielzahl der Bücher abschrecken zu lassen, die in hohen Regalen an den Wänden aufgereiht waren, kletterte Marleen geschickt die Stufen der Leiter hinauf, um ihre Suche in der obersten Reihe der Bücherregale zu beginnen. Obwohl sie befürchten musste, für den Rest ihres Lebens mit der Suche beschäftigt zu sein, arbeitete sie sich Buch für Buch voran, bis es Zeit war, zum Mittagessen zu erscheinen. Rasch leerte sie ihren Teller und trank ein Glas Mineralwasser, ehe sie erneut in der vollgestopften Bibliothek verschwand, auf die Leiter stieg und das nächste Buch herauszog.
„Suchst du was Bestimmtes?“ fragte Lilli.
„Nein“, log Marleen, die ihre Schwester auf keinen Fall über ihre Träume informieren wollte. „Ich will nur mal sehen, was hier für Bücher stehen.“
„Sind doch nur alte Schinken, die niemanden interessieren“, behauptete Lilli und nahm gelangweilt ein Buch aus dem Regal, um es sogleich an seinen Platz zurückzustellen.
„Mich interessieren sie aber“, antwortete Marleen und rückte weiter, um das nächste Regal in Angriff zu nehmen.
„Komm lieber mit zum See“, schlug Lilli vor. „Da ist es schöner, als in diesem muffigen Raum.“
„Na gut“, gab ihre ältere Schwester nach, weil ihre Augen brannten und sie ohnehin kaum noch etwas aufnehmen konnte.
„Klasse“, rief Lilli aus, drehte sich erfreut im Kreis und hielt sich an einem Regal fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Ups!“ Knirschend gab das Regal nach, drehte sich unerwartet und gab einen Gang frei, der tief ins Innere des Schlosses zu führen schien.
„Wie hast du das gemacht?" fragte Marleen aufgeregt, nachdem sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte und vorsichtig einen Blick in den finsteren Gang hinter dem Regal wagte.
„Ich weiß nicht“, erwiderte Lilli ratlos und beobachtete nervös, dass ihre Schwester bereits einen Schritt in den Gang machte. „Geh da lieber nicht hinein!“
„Schon gut“, beruhigte sie Marleen, obwohl sie vor Neugier platzte und genau wusste, dass sie den Gang inspizieren würde, sobald sie erkannt hatte, wie der Mechanismus funktionierte. „Überleg bitte noch mal, was du gemacht hast“, forderte sie ihre Schwester auf.
„Eigentlich habe ich mich nur gedreht und am Regal abgestützt“, erklärte Lilli und hoffte, dass Marleen damit zufrieden war und sie nun endlich an den See gehen konnten.
„Na, toll“, murrte Marleen. „Ein bisschen genauer kannst du es wohl nicht sagen?“
„Nein, kann ich nicht“, bockte Lilli, der langsam klar wurde, dass sie sich den See aus dem Kopf schlagen konnte. Offenbar war der geheime Gang wesentlich interessanter für Marleen, denn sie begann bereits aufmerksam die Buchreihen im Regal in näheren Augenschein zu nehmen, bis sie Lilli heranwinkte und sie bat, sich vor das Regal zu stellen und die Arme auszustrecken.
„Wozu soll das gut sein?“ fragte Lilli ärgerlich, während sie gehorsam die Arme in Richtung Bücher hielt.
„Wenn du dich abgestützt hast, muss der Mechanismus irgendwo in deiner Armhöhe ausgelöst worden sein“, erklärte Marleen und merkte sich die Reihen, die Lilli problemlos erreichen konnte. Erwartungsvoll bewegte sie einen umfangreichen Wälzer und seufzte enttäuscht, weil sich das Regal keinen Millimeter rührte. Nachdem sie alle dicken Werke mit festem Einband erfolglos ausprobiert hatte, versuchte sie es ebenso erfolglos mit Büchern mittleren Umfangs.
„Das kann ja ewig dauern“, beschwerte sich Lilli, zog gelangweilt das dünnste Buch nach vorne und stellte überrascht fest, dass sie es nicht ganz herausziehen konnte und sich das Regal mit einem Ruck wieder in Bewegung setzte.
„Lass bitte nicht los“, beschwor Marleen sie flüsternd, als ob sie befürchtete, ihre Schwester sonst zu erschrecken und diese sodann die Hand zurückzog. Rasch stellte sie sich neben ihre Schwester, um sich genau einzuprägen, welcher Titel auf dem Einband stand und in welcher Reihe sich das Buch befand. „Jetzt schiebe das Buch zurück“, bat sie und beobachtete fasziniert, dass sich die Geheimtür knirschend schloss und einen Moment später nicht mehr zu erkennen war, dass sich das Regal jemals bewegt hatte. „Ist das irre“, freute sie sich und machte kehrt, um die Bibliothek eilig zu verlassen.
„Wo willst du hin?“ rief Lilli ihr nach und beeilte sich, sie einzuholen.
„Ich ziehe mir etwas Praktischeres an, besorge mir eine Taschenlampe und etwas zu trinken und dann...“
„Du willst wirklich in den Gang gehen?“ unterbrach Lilli sie besorgt, während sie neben ihr her hastete und überlegte, ob sie Marleen begleiten oder lieber zu ihren Eltern gehen und alles berichten sollte.
„Natürlich gehe ich hinein“, erwiderte Marleen fest und lief in ihr Zimmer, um ihr luftiges Sommerkleid gegen Shorts, Turnschuhe und ein T-Shirt auszutauschen. Hektisch durchsuchte sie ihren Schreibtisch, bis sie ihre Taschenlampe gefunden hatte und sie anschaltete, um die Batterie zu prüfen.
„Bitte, Marleen, überlege es dir“, bat Lilli, während sie das Tun ihrer Schwester unruhig beobachtete. „Lass uns lieber eine Nacht darüber schlafen.“
„Mir ist egal, ob du eine Nacht darüber schlafen willst oder nicht“, wehrte Marleen ab. „Ich gehe jetzt. Wenn du willst, kannst du mitkommen, aber versuche nicht, mich aufzuhalten.“
„Okay, warte auf mich, ich hole meine Taschenlampe. Ich lasse dich auf keinen Fall allein gehen“, entschied ihre jüngere Schwester und hastete in ihr Zimmer, um ebenfalls ihr Kleid abzulegen und sich praktischer anzuziehen, ehe sie einen verstaubten Rucksack unter ihrem Bett hervorzog und in die Küche lief. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Mutter nicht in Sichtweite war, packte sie zwei Flaschen Mineralwasser, einige Äpfel, eine Packung Kekse und zwei Scheiben Brot in den Rucksack, verstaute sorgfältig ihre Taschenlampe und kehrte zu ihrer Schwester zurück, in der Hoffnung, dass diese nicht ohne sie im Geheimgang verschwunden war.
„Na endlich“, sagte Marleen, die bereits ungeduldig geworden war und befürchtet hatte, dass Lilli mit ihren Eltern zurückkam, um ihr die Sache auszureden.
„Ich habe für Proviant gesorgt", erklärte Lilli. „Wir wissen schließlich nicht, wohin der Gang führt und wie lange wir brauchen, um ihn zu erkunden.“
„Gut, dann lass uns gehen“, forderte Marleen und ging forsch voraus, während ihre Schwester nur schleppend folgte, weil sie nicht sicher war, ob sie das Richtige taten.
Mit Spannung zog Marleen das Buch heraus, das sie sich gemerkt hatte und trat zur Seite, damit das Regal aufschwingen und ihnen den Weg freigeben konnte. Obwohl sie das Abenteuer lockte, zögerte sie, den ersten Schritt zu machen, nachdem sie ihre Taschenlampe eingeschaltet und in den Gang geleuchtet hatte.
„Mama und Papa werden sicher bald nach uns suchen“, gab Lilli zu bedenken und war nahe daran, einen Rückzieher zu machen.
„Vor dem Abendessen vermissen sie uns nicht“, erwiderte Marleen siegessicher und ging ein paar Schritte voran, damit Lilli folgen konnte. „Ich schlage vor, dass wir heute nur die nähere Umgebung erkunden. Wenn wir sicher sind, dass wir uns nicht verlaufen, gehen wir morgen weiter, in Ordnung? Sollte es zu gefährlich oder unheimlich werden, vergessen wir diesen Geheimgang.“
„Einverstanden“, seufzte Lilli erleichtert, ehe sie kurz darauf verzweifelt den Namen ihrer Schwester rief, als das Regal hinter ihnen plötzlich mit lautem Krachen zufiel und die Taschenlampe das einzige Licht in der Dunkelheit war.