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Yenren
Die unsichtbare Wand
Wähle dir einen Reisebegleiter und dann erst den Weg.
Spruch der Yenranko
Ich träume vom Tag der Einheit. Ist das verwerflich? Kein Sandkorn gleicht dem anderen, und so wie sie unzählbar sind, so sind unsere Gedanken frei, und es ist alles möglich. Was wir tun ...
»Obyn! Jinirali, schläfst du?«
»Ich schlafe nicht, Khyarat, ich meditiere.«
»Für mich hörte sich das wie schlafen an.«
»Ich lasse meine Augen ruhen, und meine Gedanken schweifen. Das ist nicht schlafen, wiederhole ich.«
»O Lichthand, erhöre mich! Sie ist zur Philosophin geworden. Ich falle in Schande!«
Obyn erkannte, dass ihr Hilfesteller keine Ruhe geben würde. Er war unendlich treu, doch unverbrüchlicher Traditionalist. Sie öffnete die Schlusslider, die kein Licht mehr durchließen, dann schloss sie die durchsichtige Wischhaut, die vor dem Sand schützte und die Augen feucht hielt, und richtete sich solchermaßen blinzelnd auf.
»Den Sand kümmert deine Schande nicht, sie sickert in ihn ein und vergeht bedeutungslos«, erwiderte sie.
»Aber warum sind wir überhaupt auf dem Sand und nicht darunter?«
»Du hättest mich nicht begleiten müssen.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Obyn stemmte sich hoch. Es war nicht mehr so leicht wie früher, die Muskeln anzuspannen und die Knorpel in eine andere Richtung als der augenblicklichen Lage zu bewegen. Nichts war mehr so leicht, bis auf Khyarats Genörgel, das fiel ihm zunehmend leichter.
»Du kennst die Antwort. Ich möchte die Oasen besuchen, bevor ich sterbe.«
»Aber sterben, das tun wir doch nicht, Jinirali. Du bist höchstdekoriert, eine lebende Legende, die größte Kriegerin, die je gelebt hat!«
»Und du der berühmteste Hilfesteller. Du könntest die Jugend unterhalten und sie lehren, was es bedeutet, diese schwere Aufgabe wahrzunehmen. Warum folgst du einer dummen alten Frau, die zur Philosophin degeneriert?«
»Ich gebe die Hoffnung niemals auf, dass dich die Lichthand erleuchten möge.« Er winkte ihr. »Und jetzt komm, bevor ich das Essen wegwerfe, weil es deinetwegen verschmort.«
*
Obyn erhob sich für den kurzen Weg gar nicht erst, sie robbte auf den mit dicker Hornhaut besetzten Kniegelenken näher an das Feuer heran und musste zugeben, die Wärme tat gut. Yomira war untergegangen und spendete noch ein wenig Licht ohne Wärme, der Himmel verblasste zu Grauweiß und schattierte weiter bis zu Dunkelgrau. Ganz finster wurde es nie, immer herrschte am Horizont ein dünner Streifen mattes Zwielicht des riesigen bläulich weißen Lebensspenders.
Schnell wurde es kühler, und Obyn wickelte die vielen Stoffbahnen ihrer Gewänder fester um sich. Die Wärme konnte nicht gespeichert werden, der Sand erkaltete sofort. Der warme Goldton verblasste zu Mattbeige.
Sie lagerten in einer Senke, geschützt von den Dünen ringsum. Khyarat führte getrocknete Moose und Pilzflechten im Gepäck, die er mit einem gasbetriebenen Feuerzünder entfacht hatte. Darauf hatte er Steinholz geschichtet, und als das genug angebrannt war, die Wärmesteine daraufgelegt. Ein wohliges Gefühl breitete sich aus, das Obyn die ganze Nacht davor bewahren würde, in Kältestarre zu fallen.
Für Notfälle hatten sie einen Gaskocher dabei, aber dessen Einsatz war nur begrenzt möglich, und Obyn hatte nicht gesagt, wie lange sie unterwegs sein wollte. Khyarat war stets auf Sicherheit bedacht.
In einer Glutschicht wurde ein Teigfladen ausgebacken, und in einem Kessel über der Feuerstelle brodelte ein Eintopf. Khyarat schöpfte daraus nacheinander in zwei Schalen und reichte eine an Obyn weiter, zusammen mit einem prächtig verzierten Holzlöffel. Einsiedler aßen mit den Händen, in den Gefilden wurden zumeist Tonbestecke verwendet. Metallschmelzen wurden dafür nicht eingesetzt.
Ein Holzlöffel war eine Ehrengabe und sehr kostbar. Obyn war das nicht so wichtig, aber als sie in der Schale rührte, stellte sie freudig überrascht fest: »Da ist ja Fleisch drin!«
Das war ihr mehr wert als jeder Besitz.
»Du weißt es nicht mehr, oder? Als wir heute Mittag angehalten haben, um Wasser zu schöpfen, entdeckte ich einen Darameti in der Düne.«
Obyn erinnerte sich, aber sie hatte nicht darauf geachtet, dass ihr Begleiter den Darameti mitgenommen hatte. Khyarats Augen waren schärfer als ihre, er bemerkte selbst in seinem Alter jede noch so kleine Bewegung im ewigen Sand. Ihm war aufgefallen, dass fast am Fuß der Düne neben dem Wasserschacht eine fingernagelgroße Veränderung zu erkennen war, eine dunklere Stelle. Das bedeutete, ein Tier grub sich durch den Sand und transportierte Körner aus den tieferen Schichten nach oben. Obyn hatte überhaupt nicht darauf geachtet, erst als Khyarat es ihr gezeigt machte.
Der Hilfesteller hatte sich flink darauf zubewegt, kurz gezögert – und dann blitzschnell zugepackt. Triumphierend hatte er die Hand aus dem Sand zurückgezogen und eine sich windende grüne Echse hochgehalten, deren langer Schwanz wild peitschte. Seine beiden Außendaumen schlossen sich um den Hals des Darameti und drückten zu. Sofort erschlaffte das Tier – und nun bildete es eine wohlschmeckende Ergänzung zum abendlichen Einerlei. Der Eintopf bestand normalerweise aus eingekochten und sauer eingelegten Pflanzenfasern, Blättern, Knollen, ein paar Zuckerfrüchten, und nur sehr selten einmal Fleisch. So wie in dieser Nacht.
»Du sorgst so gut für mich, und ich kann es dir nicht vergelten«, sagte Obyn gerührt.
»Ich profitiere davon genauso wie du, Jinirali.«
Die Heimatwelt Yenren bestand an der Oberfläche nur aus mächtigen, zumeist lebensfeindlichen Wüsten, doch in den Tiefen existierten riesige Wasserreservoire, die über ein Netz aus Adern miteinander verbunden waren, aus denen die Flora, die Fauna und die Yenranko schöpften. Manche Adern verliefen so knapp unter dem Sand, dass Pflanzenwurzeln hineinstoßen konnten, die den Grundstein der großen, üppigen Oasen bildeten. Wenn man dort ein bisschen im Sand wühlte, stieß man auf Feuchtigkeit, nicht selten sprudelte sogar Wasser hervor.
»Es schmeckt ausgezeichnet«, lobte die Veteranin, die es nicht sonderlich mochte, Jinirali genannt zu werden, da sie schon lange nicht mehr im aktiven Militärdienst war. Gewiss, der Rang stand ihr zu, aber sie wollte nichts mehr von Krieg und Kampf wissen. Sie war in ihrem Alter nicht mehr stolz auf ihre Leistungen, die ihr Ruhm und Bewunderung und hohe Ehren wie den Holzlöffel eingebracht hatten.
Vielmehr wünschte sie sich, von allen vier Wüsten den Sand zu tauschen und zu einem farbenfrohen Gemenge zu mischen. Der Sand jeder der vier Wüsten unterschied sich deutlich in den Farben, und ihn zu vermengen, statt starre Grenzen zu schaffen, war Obyns Alterstraum. Endlich Frieden zu schaffen und gemeinsam technische Erleichterungen weiterzuentwickeln. Gemeinsam Ressourcen schöpfen und Anbau betreiben, damit niemand mehr darben oder einem anderen den Besitz neiden musste.
Darüber durfte sie auf keinen Fall öffentlich sprechen, denn man würde ihr gar nicht erst zu Ende zuhören, sondern ihr augenblicklich vorwerfen, sie wolle den eigenen Sand wegwerfen und das Volk von Yacol verraten, das zu verteidigen sie vor langer Zeit geschworen hatte. Die Strafe für Verräter lautete auf lebenslange Verbannung, man wurde ohne Kleidung und ohne Hilfsmittel zum Einbruch der Nacht an der Oberfläche in der Wüste ausgesetzt. Viele überlebten nicht einmal die erste Nacht.
Es würde selbst Khyarat das Herz brechen, würde Obyn ihm im Vertrauen ihre wahren Gedanken offenbaren. Er würde annehmen, dass sie Sand unter den Lidern hatte und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, wenn nicht senil geworden war. Und er würde sie anklagen und die Höchststrafe fordern, ohne Rücksicht auf ihr Alter und ihre Verdienste. Aus Traditionsbewusstsein und Enttäuschung.
Sie kannten einander lange, waren vertrauter miteinander als mit ihren jeweiligen Verwandten, ja selbst den Nachkommen. Sie waren die besten Freunde. Doch es gab Grenzen. Obyn stand stets im Rang über Khyarat, und er diente ihr. Das war die eine Marke. Die andere betraf ketzerische Gedanken, die besser im Sand verborgen blieben.
Obyn konnte nicht einmal in diesen Tagen, da sie spürte, wie die Wärme von ihr wich, offenbaren, was sie schon ihr halbes Leben lang beschäftigte. Ihr Traum würde nichts weiter als ein Hirngespinst bleiben. Das bedauerte sie am meisten.
*
Obyn war geboren und aufgewachsen in Gefilde-1, der Hauptstadt der Wüste Yacol. Der goldenen Wüste, wie manche sagten, wegen der Farbe des Sandes. Ein unbeteiligter Besucher würde lange brauchen, um den Zugang zu der unterirdischen Stadt zu finden, denn die Yacol wussten sich zu schützen.
Gefilde-1 war sehr groß, gut 35.000 Yenranko lebten darin. Bis mindestens 15 Meter Tiefe waren Gänge und Tunnel in den Sand gegraben worden und verfestigt durch den Leim, ein Drüsensekret, das alle Yenranko auf dem Rücken absondern konnten.
Die Baumeister hatten gelernt, besonders viel von dem bläulichen Sekret herstellen zu können. Und so hatten sie einst zuerst Gänge angelegt und Tunnel, dann Belüftungsschächte und Kanäle, zuletzt Höhlen, und diese Höhlen schließlich erweitert. Behausungen wurden hineingemörtelt, Sektionen angelegt – zum Wohnen, zum Arbeiten und ganz besonders in der Nähe einer selbst hergeleiteten und angelegten Zisterne zum Anbau von Nahrungsmitteln.
Wenn man tief genug grub, fand man Felsgestein mit Adern von Erzen, Mineralien und Metallen, die für Flugzeugantriebe und Ähnliches verwendet wurden.
Den kostbarsten Stoff bildeten die Karynti, biolumineszente Pilze, die nicht nur äußerst nahrhaft waren, sondern die durch ihre Kappen und die Myzele in der Lage waren, ein schwaches Licht zu verströmen, das die unterirdischen Gefilde erhellte. Die korngroßen Sporen waren das wertvollste Zahlungsmittel neben dem Tauschhandel und heiß begehrt, je nach Qualität. Zehn schwarze Karynti wogen hundert ockerfarbene auf.
Sämtliche Abfälle, auch Ausscheidungen, wurden täglich abtransportiert und in einer abseits gelegenen Höhle getrennt und zum großen Teil der Wiederverwertung zugeführt – als Dünger, als Beimengung zu Ton, für die Herstellung von Glas und Metalllegierungen. Auch Gaserzeugung aus natürlichen Abfällen spielte eine enorme Rolle, um die Randzonen der Großstadt mit ausreichend Wärme zu versorgen.
In den üppigen Oasen waren die Anpflanzung und Obhut der enorm stabilen Hohlbäume die wichtigsten Aufgaben, denn die Stämme konnten mit Fluggas befüllt werden, das vor langer Zeit in riesigen Gaskammern in den tieferen Gesteinsschichten gefunden worden war und seither abgebaut wurde. In weiteren, höher gelegenen Kammern, die durch ein ausgetüfteltes Schachtsystem Lichteinfall hatten, wuchsen Gräser mit einem besonders hohen Ölgehalt, das unter anderem als Grundlage für Treibstoffe diente. Man hatte nach vielen Fehlversuchen gelernt, Treibstoffe herzustellen, die nicht sofort explodierten und in einfachen Tanks über Leitungen und Pumpen den Antrieb des Motors versorgten. Damit war es möglich, sich in die Luft zu erheben und die Reisen auf weite Distanzen erheblich zu verkürzen. Auch der Krieg bekam damit eine neue Qualität. Truppentransporter, Beschuss, Granaten ...
Die Yacol lebten in einer Einheit, jeder hatte seine Aufgabe und diente der Gemeinschaft. Das bedeutete jedoch nicht nur den produktiven Nutzen aus handwerklicher Tätigkeit; auch Philosophen und Künstler waren hochgeschätzt, speziell die Sänger.
Obyns Vater war ein hochberühmter Acht-Terza-Sänger, ihre Mutter arbeitete als Architektin an der Modernisierung von Gefilde-1. Von allen Kindern war Obyn die Einzige, die überhaupt nichts von ihren Eltern geerbt zu haben schien. Schon früh wurde ihr Talent für die Kriegsführung erkannt, was zum ersten Mal in der Familie vorkam. Sie war eine herausragende Strategin und Kämpferin in allen Disziplinen, sodass ihr die Wahl der Ausbildung leichtfiel. Man sollte dem nachkommen, was man am besten konnte.
Obyn fühlte sich verpflichtet, dem Schutz des Volkes zu dienen, und akzeptierte ihre Berufung. Es gab zwar die eine oder andere Allianz auf verschiedenen Gebieten mit den anderen drei Wüsten, aber diese waren brüchig.
Es herrschte immer Knappheit an Ressourcen. Und deswegen gab es stets Krieg. Das Militär stellte die größte Gruppe innerhalb der Zivilisation und daher genossen alle seine Angehörigen, ob nun Stratege, Soldat, Waffenschmied oder Flugzeugkonstrukteur, die meisten Privilegien.
Ihren größten Triumph erlebte Obyn im Siebenten Yacol-Yakurschen Krieg. Er machte sie zur Legende, und man erwartete von ihr als nunmehr alter Frau, dass sie, wenn sie schon nicht in der Großstadt bleiben wollte, von Gefilde zu Gefilde zog, um von dem großen Sieg zu erzählen und die Jugend dazu anzuhalten, die Yacol zu schützen und in eine moderne Zukunft zu bringen.
*
»Ich verstehe es immer noch nicht, Jinirali«, sagte Khyarat zwischen zwei Bissen. »Warum willst du ausgerechnet von Oase zu Oase ziehen?«
Er schob mit einem Stock die Glut beiseite und holte das Fladenbrot heraus. Gleichzeitig stellte er eine kleine Kanne hinein, die er mit Wasser gefüllt und einige Kräuter hineingeworfen hatte.
»Sie bedingen unser Überleben, mein Hilfesteller«, antwortete sie. »Dort leben Angehörige unseres Volkes, wie Verbannte, weil die Städter sie meiden, und sie brauchen Zuspruch. Wo wären wir ohne sie? Nicht in der Luft, ohne Holz, ohne Energie. Sie haben nur die Karawanen, um Kontakt zu uns zu halten. Da ist es das Mindeste, dass ich sie wenigstens einmal aufsuche und ihnen danke. Ohne sie wäre der Sieg nicht unser gewesen.«
»Und deine Kinder willst du nicht besuchen?«
»Das kann ich anschließend tun. Diese Reise wird kürzer sein und soll den Abschluss bilden, denn meine Kinder werden mir danken, wenn ich schnell weiterziehe. Sie haben Angst, ich würde ihnen zur Last fallen, weil ich gebrechlich werden könnte.« Obyn lachte glucksend. »Ich bin sehr stolz auf sie alle, was sie erreicht haben. Und ich will ihnen nicht zur Last fallen, aber ein letzter Besuch wäre schön. Wir könnten dies mit deinen Besuchen verbinden, Khyarat.«
»Ja, ich habe meine Kinder lange nicht mehr besucht, das ist wahr.«
»Wir vergessen unsere Ursprünge«, murmelte Obyn.
Dass sie zu einer Yacol-Oase zog, war nur ein schwacher Trost für das, was sie eigentlich wollte: in die Wüste Yagerm reisen, denn dort sollten die Yenranko einst entstanden sein und sich anschließend ausgebreitet haben. Dies hatten die Wissenschaftler herausgefunden, allen voran Pyrest, auf den Obyn große Stücke hielt, und den sie leider nie persönlich getroffen hatte.
Aber wie sollte sie es anstellen, nach Yagerm zu reisen? Sie benötigte dafür Ausrüstung, ein Flugzeug, Begleitung. Und damit würden ihre geheimen Gedanken offenbart, und sie würde in die Wüste hinausgeschickt, aber anders als gewünscht.
»Die Lichthand Yomira hat uns am Tage der Glut aus Sand und Seelenlaib gebacken und mit dem Strahl der Einsicht versehen!«, dozierte Khyarat voller Eifer. »Wie könnten wir das als unseren Ursprung vergessen? Und die Lichthand leitet noch heute unsere Geschicke.«
»Ich bin kein Lichthandreicher wie du, Khyarat, und ich werde nie einer sein.«
»Aber ich bin gewiss, du wirst endlich überzeugt sein, wenn wir das nächste Mal von der Lichthand berührt werden. Das geschieht, und zwar exakt alle 58,83 Jahre, das ist wissenschaftlich erwiesen! Und du glaubst schließlich der Wissenschaft, oder? Du und ich, wir werden es erleben, denn bald ist es so weit!« Khyarat steigerte sich immer mehr in Begeisterung.
»Ich glaube eher, dass diese Berührung eine Massenhysterie ist, du mögest mir verzeihen«, erwiderte Obyn.
»Ach ja? Und wieso ist dann dieser exakte Zeitraum in der Historie verzeichnet?«
»Vielleicht liegt es an einer Periodizität unseres Lebensspenders? Ein besonderer Glutsturm, oder diese seltsamen Flecken ...«
»Die Lichthand Yomira ist unser Lebensspender, wie du sagst, ganz ohne Zweifel muss es damit zusammenhängen! Doch wir werden zu dem Zeitpunkt auf besondere Weise berührt, und ich bin froh, dabei zu sein, wenn auch du es erlebst und bekehrt wirst!«
»Dann ist es ja gut, dass wir zwischen den Oasen unterwegs sind, denn, ich darf zitieren, die Wege der Weisheit führen durch die Wüste.«
»Oh! Jinirali, mich mit meinen Waffen zu schlagen, ist nicht nett!«
»Ich bin nicht nett, Hilfesteller, der du einst mein Erster Offizier gewesen bist. Wäre ich je nett gewesen, hätte ich niemals eine Waffe in die Hand genommen.«
Ich habe gekämpft und Blut vergossen, nur um am Ende zu erkennen, wie sinnlos das alles ist, und dass unser Volk nicht dadurch groß werden kann, indem wir unter unseresgleichen zu Feinden werden, indem wir Kriege führen und uns dezimieren, anstatt weiterzuwachsen und mehr Technik zu entwickeln. Nur so kann Khyarats Glaube Wirklichkeit werden, nach Höherem zu streben und berührt zu werden.
Sie sagte ihrem Begleiter nicht, welche Albträume von den Schlachtfeldern sie nachts quälten; als Kriegsheldin war das ausgeschlossen. Ums Überleben zu kämpfen, damit hatte sie kein Problem, auch nicht mit dem Töten. Aber die Gründe für einen Krieg waren zumeist absurd und die Konflikte meist auf friedliche Weise lösbar.
Dass die glühende Lichthand dort oben all dies zulassen sollte, war ein Grund für Obyn, sich von ihr abzuwenden, denn sie sah keinen Sinn darin. Und sie glaubte auch nicht, geformt und gebacken worden zu sein wie Fladenbrot. Es gab Hinweise, Überreste aus uralter Zeit, die zeigten, dass die Yenranko sich einst aus einem einzigen Stamm entwickelt hatten, bevor sie die Wüsten unter sich aufteilten und Grenzen zogen.
Die Welt war keineswegs so einfach, wie sie meist dargestellt wurde, sondern ein komplexes Gefüge, das eines Tages auseinanderbrechen konnte, sollte es je eine Störung von außen geben. Und ausgerechnet wegen der herbeigesehnten Berührung hegte Obyn diesbezüglich Befürchtungen. Sie konnte aber nicht erklären, warum das so war.
Es musste wohl damit zusammenhängen, dass sie von Kindheit an, seit sie bewusst denken konnte, das seltsame Gefühl gehabt hatte, am Rand zu stehen. Sie hatte sich stets mittendrin aufgehalten durch ihre Wahl des Militärs und ihren rasanten Aufstieg, doch nie hatte sie den Eindruck gehabt, dazuzugehören. Als gäbe es eine hauchdünne, unsichtbare Wand zwischen ihr und der Welt.
Sie hatte es nie in Worte kleiden können und hätte es ohnehin nie gewagt, darüber zu sprechen. Yacol waren eine Einheit, das durfte niemals infrage gestellt werden.
Deshalb war sie auf dieser ungewöhnlichen Reise unterwegs und suchte nach einem Weg aus ihrem lebenslangen Konflikt, endlich ihre wahren Gedanken offenbaren zu dürfen. In all der langen Zeit hatte sie nie jemanden getroffen, der auch nur den Hauch einer Andeutung gemacht hätte, dass er so ähnlich dachte wie sie. Nicht einmal in der Wissenschaft hatte sie Hilfe gefunden.
Was war es, das sie von ihrem eigenen Volk trennte? Fand sie die Antwort in einer der Oasen? Das waren schließlich geheimnisvolle Orte, die nur von Karawanen bereist wurden, und wer sich dort niederließ, war von seltsamem Charakter. Schließlich verbrachte man den Großteil seines Lebens auf dem Sand, nicht darunter. Dafür waren nicht alle geschaffen.
»Das Brot schmeckt ebenfalls sehr gut«, sagte Obyn versöhnlich und brach ein Stück ab.
»Aber wohl kaum ohne Tee.« Khyarat goss zwei kleine Tonbecher aus dem Kännchen voll und reichte ihr das dampfende Gefäß. »Es wird eine klare Nacht und sehr kalt. Rück näher zum Feuer!«
Die warme Flüssigkeit tat gut und wärmte innerlich. Sie schmeckte frisch, genau so, wie Obyn sich das Ambiente einer Oase vorstellte, die man nicht vor Augen sehen konnte – würzig, leicht scharf, klar, duftend.
Während Khyarat zusammenräumte und das, was am Morgen nicht mehr gebraucht würde, schon in dem Sandgleiter verstaute, prüfte Obyn ihren gebundenen Kopfschutz, schlug dann die Kapuze über und schob den Gesichtsschutz bis zu den Augen hoch. Das Wüstengewand hatte eine perfekte Klimatisierung – es kühlte bei Tage und wärmte bei Nacht. Sie kauerte sich bequem hin; in ihrem Alter legte sie sich nicht mehr hin, sondern schlief halb im Sitzen. Khyarat, der es sich ihr gegenüber auf der anderen Seite des Feuers gemütlich machte, hielt es genauso. Seine Schlusslider waren bereits geschlossen.
Obyn betrachtete noch eine Weile träumend den Himmel. Das ewige Glühen des Horizonts zwischen den Dünenfeldern war tröstlich, es versprach einen hellen neuen Tag.
Der große Byo und der kleinere Kleyco gingen soeben auf, ein seltenes Schauspiel, dass sie gleichzeitig die Nacht durchwanderten. Kleyco ließ Byo bald hinter sich, ein silbrig schimmernder Punkt, der es immer eilig hatte. Byo war gut zu erkennen, eher bläulich und zeigte geheimnisvolle dunkle Flecken, die wie Symbole aussahen.
Die Wissenschaftler hatten schon vor langer Zeit errechnet, dass Yenren rund war und nicht nur um sich selbst, sondern auch um Yomira kreiste, so wie Byo und Kleyco um Yenren als Trabanten reisten. Daraus war die Zeitrechnung entstanden, die nach wie vor gültig war, eine ziemlich exakte mathematische Formel.
Obyn überlegte, dass die Distanz zu den beiden Trabanten dort oben das ausmachte, was zwischen ihr und ihrem Volk stand. Der Gedanke gefiel ihr besser als diese unüberwindliche Wand, von der sie bisher immer ausgegangen war, so hauchdünn und sogar gläsern sie auch sein mochte.
Khyarat war bewusst, dass Obyn auf der Suche nach sich selbst war, denn warum sonst sollte man eine derart seltsame Reise unternehmen? Doch er stellte nie Fragen – weil er Angst vor den Antworten hatte.
Er hielt sich an das Sprichwort: Wer sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen, hört Dinge, die ihm nicht gefallen.
Khyarat wusste, dass es so sein würde.
Und Obyn schwieg aus Rücksicht, wie immer.
Es wird bald eine große Veränderung geben, dachte sie besorgt. Wenn es zur Berührung kommt.