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Unterwegs nach Hause
Persönliches Tagebuch, 27. April 2047 NGZ – Die Tschubai-Chroniken, Folge 534.
Wir haben das Schwerkraftfeld der Balkenspiralgalaxie NGC 1169 nahezu verlassen und reisen nun weiter nach Hause. Immer noch liegen 112 Millionen Lichtjahre vor uns. Eine für mich heute noch kaum vorstellbare Entfernung.
Soeben ist die Durchsage gekommen, dass wir in einer Stunde in den Hypertrans-Progressormodus gehen können.
Das bedeutet, dass die RAS TSCHUBAI sich dann mit fünfhundertmillionenfacher Überlichtgeschwindigkeit fortbewegen wird.
Damit sollten wir um den 10. Juli die Milchstraße erreichen können. In 80 Tagen durchs Universum, haha.
Viele mögen diesen kleinen Scherz gar nicht verstehen, denn das Originalzitat dazu ist Tausende von Jahren her.
Doch ich bin recht gut bewandert in unserer Vergangenheit, und das aus guten Gründen. Falls diese Datei in der Zukunft als einzige übrig bleibt, eine kurze Vorstellung: Ich bin Col Tschubai, Sprecher des Bordrats der RAS TSCHUBAI, außerdem Medienwart. Mein Hauptjob, der momentan ein wenig brachliegt.
Meine Namensgleichheit in Bezug auf den Nachnamen dieses Schiffes ist nicht zufällig. Ich bin tatsächlich ein Nachfahre des legendären Teleporters Ras Tschubai, einem der ersten Mutanten, die Perry Rhodan zu Beginn der Dritten Macht im frisch gegründeten Mutantenkorps um sich geschart hatte. Ich sehe meinem Vorfahren sogar ähnlich, nur dass ich blaue Augen habe.
Ich freue mich auf zu Hause, auch wenn es dort nicht mehr so ist wie früher. Rund 500 Jahre haben wir verloren, nachdem wir zu unserem eigenen Erstaunen unseren Einsatz auf Wanderer überlebt hatten und entgegen aller Erwartungen in die Milchstraße zurückkehren konnten. Der Weltenbrand war gelöscht worden, aber dafür waren andere Katastrophen eingetreten.
Terra und Luna galten nur noch als Mythos, das Solsystem war von den Cairanern abgeriegelt, Datensintflut und Posizid hatten dafür gesorgt, dass die Historie praktisch ausgelöscht war. Und dazu Hunderttausende technische Entwicklungen und Patente, Medikamente und so vieles mehr – verloren.
Ich weiß, ich wiederhole mich. Natürlich habe ich das schon mehrfach notiert – vor allem in Berichten an offizieller Stelle –, doch ich möchte es vor allem mir selbst mal wieder in Erinnerung rufen. Und eine Zwischenzusammenfassung für mich privat bringen, da ich das Tagebuch in letzter Zeit sträflich vernachlässigt habe.
Sind wir inzwischen damit fertiggeworden, fast fünfhundert Jahre später in einer fremden Welt herauszukommen, in der mittlerweile ein außergalaktisches Volk nunmehr das Sagen hat? Die Cairaner sprechen von Frieden und sorgen für seine Einhaltung mit Gewalt und Unterdrückung.
Nicht alle von uns haben den Schock schon vollständig verarbeitet. Es ist eine Sache, sich für immer zu verabschieden, weil man glaubt, nicht zu überleben. Das hat so etwas wie Heldenstatus – »ich opfere mich für dich und alle anderen.« Aber überleben und Jahrhunderte später in eine Zeit zurückzukehren, in der niemand mehr lebt, den man einst kannte, und wo der gesamte Heimatplanet verschollen ist – das ist etwas ganz anderes. Das ist eine extreme Situation für die Psyche, die man nicht nach ein paar Tagen bewältigt hat. Und auch nicht nach ein paar Monaten oder eineinhalb Jahren, in denen man aufgrund der Anforderungen kaum zum Durchatmen gekommen ist.
Die Unsterblichen mögen damit zurechtkommen, sie sind es ja nicht anders gewohnt, um es salopp zu sagen. Sie haben im Verlauf der mehr als 3000 Jahre währenden terranischen Geschichte seit Beginn der Dritten Macht schon Millionen Jahre irgendwo festgesteckt und immer wieder Jahre oder Jahrhunderte verloren. Doch bei uns Normalsterblichen ist das etwas anderes.
Selbstverständlich sind wir alle Profis, und daher haben es nicht wenige gut weggesteckt. Die anderen tun so, als ob.
Gerade deswegen ist es für uns so eminent wichtig, hoffen zu dürfen, dass Perry Rhodan es mit der TESS QUMISHA durch die Zerozone geschafft hat, und dass er einen Weg findet, Terra und Luna nicht nur zu finden, sondern auch zurückzubringen.
Das wäre ein gewaltiger moralischer Schub, wenigstens nicht der Heimat vollständig verlustig gegangen zu sein.
*
Die Tschubai-Chroniken, Fortsetzung.
Die Rückreise von Ancaisin mit der Zwischenstation NGC 1169 gibt uns immerhin ein wenig Gelegenheit, durchzuatmen. Und ich habe Zeit, die Aufzeichnungen auf den neuesten Stand zu bringen.
Wir haben in der Heimatgalaxis der Cairaner, Ancaisin, die Superintelligenz VECU aus dem Abyssalen Verlies befreit, aber Synn Phertosh, Advokat der Kandidatin Phaatom, wollte die Völker Ancaisins auf uns hetzen und unseren Raumer samt Inhalt in Milliarden Teile zerschießen. Im Prinzip alles wie immer, selbst 270 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt.
Damit nicht genug! Die VECU dankte uns ihre Befreiung schlecht, indem sie uns samt Schiff gefangen nahm. Es ist immer eine miese Lektion, wenn derjenige, dem man hilft, einem genau dann in den Rücken fällt, wenn man schon genug andere Probleme am Hals hat. Hindert uns das in Zukunft? Nein, natürlich nicht. Vertrauen ist Perry Rhodans herausragende Eigenschaft, und wer mit ihm unterwegs ist, muss das auch haben, sonst wird das nichts.
Immerhin kam dann doch verspäteter Dank, als wir der VECU trotzdem halfen, wiedergeboren zu werden. Sie ließ uns frei, sodass wir die Heimreise antreten konnten.
Also, wenn mich jemand fragt: Mit Superintelligenzen will ich in Zukunft so wenig wie möglich zu tun haben.
Ich weiß. Kaum möglich, sollte Perry Rhodan zurückkehren, wieder Expeditionsleiter sein und ich an Bord bleiben. Trotzdem habe ich vorerst genug von diesen Wesen.
Ein direkter Heimflug war allerdings nicht möglich, da wir unterwegs das Hüllensalkrit durch Sonnenzapfung aufladen mussten, und NGC 1169 bot sich dafür an.
Dort gerieten wir in den nächsten Schlamassel, diesmal nicht von außen, sondern von innen verursacht: Icho Tolot, unser derzeitiger Expeditionsleiter, geriet in Drangwäsche. Private Anmerkung: Die hätte er doch gegenüber der VECU ausleben können!
Daher flog Tolot aufs Geratewohl los, zusammen mit Onker Dou, dem Posbi Gustav und dem Zain-Konstrukt Annba, im Robotkreuzer MINERVA-12 – und geriet mitten in einen Krieg.
Während wir an Bord der RAS TSCHUBAI auf das Ende der Sonnenzapfung warteten, stürzte sich Tolot zusammen mit dem Epsaler Onker Dou in eine Auseinandersetzung kriegswütiger Pseudo-Blues gegen Pseudo-Villanova-Terraner, auf Kosten der vogelähnlichen Spavnos. Die Cairaner hatten in NGC 1169 Klon-Experimente ins Leben gesetzt, über die ein Niemands-Konsul auf seiner Ägidenwelt herrschte.
Im Zuge des Aufstands der Villanova-Terraner kam der Cairaner ums Leben, und die politische Lage wurde neu aufgestellt. Das Zain-Konstrukt Annba blieb auf der Ägidenwelt zurück, um als Mentor für die Villanova-Terraner da zu sein und bei dem Wagnis »Unabhängigkeit« zu helfen.
Jedenfalls: Unser halutischer aktueller Expeditionsleiter ist wieder in alter Form zurückgekehrt. Und jetzt setzen wir die Reise fort.
*
Die Tschubai-Chroniken, Fortsetzung.
Ich habe ein wenig Angst, was wir bei unserer Ankunft vorfinden werden. Es mögen diesmal zwar keine 500 Jahre verloren sein, aber wir waren sehr, sehr weit fort und wissen nichts über die aktuellen Vorgänge.
Und Perry Rhodan, unser eigentlicher Expeditionsleiter, ist noch weiter fort. Möglicherweise ohne Wiederkehr. In seinem grenzenlosen Optimismus, dessen bin ich sicher, ging er nicht nur davon aus, Terra und Luna zu finden, sondern auch zurückzubringen. Damit endlich alles wieder da ist, wo es hingehört. Jeder an seinem Platz.
Ob auch NATHAN als Bestandteil des Mondes zurückkehren wird? Als Medienwart habe ich ein Faible für dieses faszinierende Konstrukt auf Luna. NATHAN ist bisher mit allem fertiggeworden und hat über seine Menschheit gewacht. Ich wünsche mir und uns allen, dass NATHAN den Transfer überstanden hat. Und den Rücktransfer ebenso überstehen wird. Wie alle anderen, die jetzt auf Terra und Luna leben werden.
Nun klinge ich schon genauso optimistisch wie Perry Rhodan. Es ist seltsam, aber ich befinde mich tatsächlich in Aufbruchstimmung. In angespannter Erwartung. Vielleicht sind sie sogar schon zurück, bis wir eintreffen? Ich halte seit Antritt meines Dienstes auf diesem Riesenschiff alles für möglich.
Wen werden wir auf der Erde antreffen? Nachkommen der Terraner, die versetzt worden sind? Oder ganz andere Völker? Was hat sich verändert? Werden wir Terra wiedererkennen? Und wird es noch Homer G. Adams geben, der als einziger Unsterblicher mitgegangen ist?
Vor allem aber: Wohin sind Terra und Luna vor viereinhalb Jahrhunderten versetzt worden?
Weitere Fragen ergeben sich aus dem Vorgang: Falls sie zurückversetzt werden, was geschieht dann mit Iya und seinem Mond? Den stationierten Cairanern? Den freundlichen Ayees? Haben sie alle eine Zukunft?
Nun, das vermutlich durchaus – schließlich hatte es die Ayees schon vor ihrer Versetzung hierher gegeben. Vermutlich. Wahrscheinlich wird es einfach ein Rücktausch sein. Also bleibt nur die Antwort auf die Frage: Wohin kehren sie zurück?
Da die Technik der Ayees noch nicht sehr hoch entwickelt ist, konnten sie uns nicht sagen, wo sie vorher gelebt hatten. Es gab Sterne, es gab den Mond, es gab die Sonne – also alles wie bei uns und Millionen anderer Systeme auch.
Oh. Es ist so weit.
Weiter geht's nach Hause!
Wieder einmal bin ich im Reisefieber.
*
Die Tschubai-Chroniken, Fortsetzung.
Viele Fragen werden mich die nächsten beiden Monate beschäftigen, die wir im Hypertrans-Progressorflug verbringen werden. Das Angenehme dabei? Wir müssen nicht mehr in Suspension gehen.
Das verdanken wir der Wechselwirkung unserer Schiffshülle mit der Proto-Eiris in der Cetus-Kleingalaxis. Atlan hatte damals die Hoffnung gehegt, mit ihr die Pseudo-Biophore in der Milchstraße zu neutralisieren und den Weltenbrand zu verhindern.
Seit diesen Tagen – also seit 1552 NGZ – ist das Schiffsinnere gegen die schädlichen Strahlungskomponenten während des Flugs abgeschirmt, was die Suspension überflüssig macht. Das ist überaus angenehm. Wenngleich sich bei dem einen oder anderen während der zwei Monate gleichförmigen Flugs natürlich auch Langeweile einstellen mag. Bei mir jedenfalls nicht. Ich werde nicht nur alle Daten auf den neuesten Stand bringen, meiner Funktion als Medienwart nachkommen und mein Tagebuch weiterführen, ich werde auch jede Menge Fitness betreiben, denn herumsitzen macht dick, und ich werde bestimmt auch die eine oder andere Verabredung haben und Freundschaften pflegen.
Schließlich ist unser Omniträger-Fernschiff wie ein Miniaturplanet. Na gut: eher eine Hohlwelt von 3000 Metern Durchmesser plus einer Menge Beiboote, die ebenfalls bewohnt sind. Aber das ist durchaus eine kleine Welt für sich. Wir sind 35.000 Mann Besatzung, das sind mehr Menschen, als in einer historischen Kleinstadt lebten, in der nicht jeder jeden kennen kann. Es besteht also während einer langen Reise die Möglichkeit, jemand Neues kennenzulernen. Das finde ich sehr spannend. Ich mag zwar nicht der forscheste, kontaktfreudigste Mensch an Bord sein, aber ich arbeite daran, leichter mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Aber ich habe vorhin von zwei Effekten gesprochen – es gibt also einen weiteren: den Fernblick.
Ich selbst habe ihn nicht ausprobiert ... ich weiß nicht, warum ich bisher davor zurückgeschreckt bin, es wenigstens mal zu versuchen. Diese grenzenlose Weite ... allein der Gedanke daran jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Vielleicht hole ich das eines Tages nach, jetzt aber nicht.
Es gibt jedoch andere, die diesen Ausblick lieben, und mit denen werde ich mich in Kürze treffen. Ich habe soeben die Einladung zu einer Gesprächsrunde erhalten. In meiner Funktion als Vorsitzender des Bordrats. Es heißt, dass es etwas Neues gibt ...
*
Icho Tolot fühlte sich wieder ausgeglichen. Auf seinem Weg zur Außenhülle bemerkte er durchaus die zweifelnden Blicke mancher Besatzungsmitglieder, die ihm begegneten. Obwohl es ihn dazu drängte, erlaubte er sich keinen Scherz. Kein Knurren und Zähnefletschen und kein wildes Dreinblicken bei vollständig ausgefahrenen Augenstielen.
Im Gegenteil: Er beugte sich leicht, um nicht zu wuchtig zu wirken, und bewegte sanft die linke Handlungshand, zeigte die leere Fläche. Menschen nickten einander normalerweise grüßend zu, aber dazu war er physisch nicht in der Lage. Sein halbkugelförmiger Kopf konnte mangels Hals nicht geneigt werden.
Man akzeptierte seine Handbewegung allerdings als friedfertige Geste, beantwortete sie mit dem erwähnten Nicken – und ging beschleunigt an ihm vorbei.
Nicht jeder mochte bereits eine persönliche Begegnung mit einem dreieinhalb Meter hohen und in der Schulter zweieinhalb Meter breiten Giganten mit vier Armen und drei knallroten Augen gehabt haben, um unbelastet damit umgehen zu können. Sicherlich wuchsen die meisten in einem Vielvölkergemisch auf, aber Haluter waren nun einmal außergewöhnlich, selten und lebten zurückgezogen. Die Wahrscheinlichkeit, einem zu begegnen, war sehr gering, sogar an Bord, falls man nicht zur Zentralebesatzung gehörte.
Seit der Haluter-Pest hatten sich die Haluter noch rarer gemacht, allenfalls reisten einige als Forscher einzeln durch die Milchstraße.
Icho Tolot aber war schon sehr lange ein Begleiter der Terraner und vor allem Perry Rhodans. Er fühlte nach wie vor den Drang, seine »Kleinen« zu beschützen und damit die heimatliche Galaxis.
Nun war er unterwegs zum äußeren Rand des Gigantraumers, um den Fernblick zu genießen.
Wenn man während des Hypertrans-Progressorflugs unter zehn Meter an die Außenhaut herantrat, bekam man einen besonderen Einblick in den Kosmos. Und davon konnte der Haluter nie genug bekommen.
Sobald er die Distanz unterschritten hatte, schien die Außenhülle schlagartig transparent zu werden, übergangslos, als würde ein Tuch weggezogen. Gerade für ein so außergewöhnliches Wesen war der Anblick noch erhebender, denn der Haluter verfügte über zwei durch eine horizontale Knochenplatte getrennte Gehirne.
Das Ordinärhirn kümmerte sich um die körperlichen Funktionen, Emotionen, Empathie und dergleichen. Das darunter liegende Planhin war am ehesten einem organischen Computer vergleichbar, dessen Leistungsfähigkeit mit einer Positronik mithalten konnte. Damit war ein Haluter in der Lage, innerhalb zehn Nanosekunden stattfindende Ereignisse wahrzunehmen und zu berechnen. Ihm entging damit praktisch nichts ab zehn Milliardstelsekunden.
Und genau deswegen war er in der Lage, den Fernblick auf einzigartige Weise wahrzunehmen und die Schönheit und Komplexität des Kosmos zumindest ein Stück weit zu erfassen und zu verstehen.
Seinen drei Augen offenbarte sich ein hochkomplexes Gemälde von Linien, Kraftfeldern und Strukturen, nicht zu vergleichen mit dem »normalen« Blick ins All, das die Schiffskameras über Holoprojektionen vermittelten.
Sämtliche Linien waren in Bewegung, als strebten sie in alle Richtungen auseinanderstreben und hätten dennoch ein gemeinsames Ziel.
Der Fernblick durch die Hülle der RAS TSCHUBAI schien wie ein Auge zu sein, das ins Universum blickte und es so sah, wie es gedacht war. Nicht verfremdet, nicht selektiert, eine Erweiterung aller Sinne.
Das war nicht jedem zuträglich. Icho Tolot war derzeit nur eine weitere Person am Bord bekannt, die den Ausblick genauso liebte wie er. Den anderen wurde schon nach wenigen Sekunden übel, oder sie wandten sich sofort ab. Man brauchte offenbar gewisse Fähigkeiten dafür.
Glücklich schaute Icho Tolot hinaus, ohne die noch vor kurzer Zeit drängende Wildheit in sich, völlig ausgeglichen, dem Anblick hingegeben.
Bis er es sah.
Sofort geriet er in Unruhe und aus dem Gleichgewicht. Er fixierte. Und noch einmal. Sein Blick irrte dann umher, um sich davon zu überzeugen, dass er sich nicht täuschte.
Schließlich sagte er in die Stille: »ANANSI?«
Nur eine Sekunde später erschien der Avatar der Semitronik, eine junge Frau mit großen, fragenden Augen. »Wie geht es dir, Taravat?«
Taravat, auf Halutisch »der Herausragende« oder »der Ehrwürdige«, aber auch »der, vor dem man sich in Acht nehmen sollte«, war Icho Tolots Ehrentitel. Warum ANANSI ihn so ansprach, konnte Tolot nicht bestimmen. Aber Name oder Titel spielten ohnehin keine Rolle für den Unsterblichen.
»Es geht mir gut«, antwortete er höflich, obwohl die Semitronik gar keine Antwort erwartete. Es war nur eine Begrüßungsformel ohne jeglichen Hintergrund.
»Hast du eine Frage an mich? Ist etwas vorgefallen?«
Dessen war Tolot sich nicht sicher. Er war irritiert durch etwas; deswegen hatte er ANANSI hinzugezogen.
»Etwas stimmt nicht mit dem Bild, das mir der Fernblick vermittelt«, sagte er. »Trotz meiner drei Augen kann ich eine bestimmte Galaxis nicht richtig fokussieren.«
»Inwiefern?«
»Ihre Ränder scheinen im zweistelligen Nanosekundenbereich zu schwanken.«
»Das ist eine sehr ungewöhnliche Beobachtung.«
»Gewiss. Niemand an Bord außer mir kann das wahrnehmen. Oder fast niemand. Du vielleicht ...?«
»Bedaure«, antwortete ANANSI. »Aber der Fernblick ist mir nicht zugänglich. Ich bewege mich nicht selbst durch das Schiff, ich sende nur Holos meines Avatars.«
ANANSI »wohnte« in der acht Meter durchmessenden Kugel im Bereich von Deck 16-06 und 16-07, oberhalb der Zentrale, in der Kommandant Cascard Holonder schaltete und waltete.
Das Innere dieser Kugel wirkte wie von Abertausenden hauchfeiner Spinnfäden durchzogen, an denen Millionen Tropfen wie Diamanten funkelten. Mitten darin saß der wie eine Statue aus bläulichem Glas wirkende Avatar von ANANSI.
»Du kannst nicht so modifizieren, dass dir die Sicht möglich wird?«, hakte Tolot nach.
»Nein, das ist nur körperlichen Wesen möglich. Dies ist anscheinend Voraussetzung, sobald man näher als zehn Meter kommt. Mit meinen Ortern kann ich den Fernblick auch nicht simulieren. Ich konnte bisher nicht einmal herausfinden, woran das liegt, da mir nicht genug Daten vorliegen.«
»Dann kann ich dir nur davon erzählen, und das wird uns nicht weiterhelfen.«
»Um welche Galaxis handelt es sich denn?«, wollte ANANSI wissen.
Die Antwort lautete prompt: »Um die Milchstraße.«
*
Obwohl es ihm normalerweise nicht schwerfiel, musste Tolot diesmal nach Worten suchen. »Es macht den Eindruck auf mich, als wäre die Milchstraße nicht mehr ganz eingebettet ins Universum.«
»In der Normalsicht fällt das nicht auf«, erklärte ANANSI. »Es wirkt alles wie immer. Ich kann den Blick auf die Milchstraße auch nicht nahe genug heranholen, um Einzelheiten zu erkennen.«
»Aber der Fernblick erlaubt es mir, bis dorthin zu sehen, und ich erkenne im besagten Nanobereich eine Irritation, eine Schwankung, eine ...«
»Unruh ...«, ergänzte ANANSI. Plötzlich tauchte ein zusätzliches kleines Holo auf, das eine antike mechanische Uhr zeigte. »... wie in einem solchen Uhrwerk?«
»Unruh. Das kommt in etwa hin«, sagte Tolot erleichtert, weil die Semitronik annähernd zu begreifen schien, was er meinte – dann konnte sie auch damit arbeiten.
ANANSI fragte nicht nach, ob er dessen sicher war, sie wusste Bescheid über sein Planhirn.
Deshalb vergingen zwei Sekunden, ehe sie vorschlug: »Wir sollten die Schiffsführung alarmieren.«
Sie nahm es ernst. Sehr ernst.