Читать книгу Perry Rhodan Neo 196: Entscheidung auf Kahalo - Susan Schwartz - Страница 6

2.

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Ich fürchtete mich inzwischen vor dem Erwachen, denn es brachte jedes Mal nur grausamen Schmerz. Selbst wenn man durch Ausbildung und Erfahrungen hart im Nehmen war – und ich glaubte mich zu erinnern, dass das bei mir zutraf –, zermürbte das pausenlose Stechen, Ziehen, Pochen und Hämmern irgendwann. Vor allem, wenn man – so wie ich – nicht wusste, was es für ein Schmerz war, anders als bei einem Unfall oder während des Heilungsprozesses. Es war personifizierte Pein, die meine sämtlichen Nervenbahnen in Flammen versetzte und mich pendeln ließ zwischen Ohnmacht – wenn mein Gehirn entschied, dass es zu viel war, um noch ertragen werden zu können – und vorsichtigem Erwachen.

Diesmal jedoch war es anders, war das Stakkato an Nervenimpulsen zwar noch vorhanden, aber erträglich. Nachdem einige bange Sekunden vergangen waren, erlebte ich das Bewusstwerden wie einen warmen Sonnenaufgang nach langer, eisiger Nacht. Unterschwellig lauerte nach wie vor die Angst, dass es nur ein Aufschub wäre. Doch mein allmählich einsetzender Verstand zeigte als Erstes seinen gewohnten Optimismus: Nichts kommt so schlimm, dass es nicht besser werden könnte.

Diese Zuversicht wurde indes sofort grausam erschüttert, als ich feststellte, dass ich mich zwar daran, aber nicht an mehr erinnerte. Weder an mich noch an meine Vergangenheit.

Ich schob es auf den Stress durch die Schmerzen, dass mein Gedächtnis noch nicht auf vollen Touren lief. Immerhin gab es nur eine partielle Störung. Ich wusste um meinen Optimismus, um den Leitspruch, und ich sah Gesichter vor mir. Unter anderem eine faszinierend schöne Frau mit langen, weißen Haaren und goldroten Augen. Mein Herz pochte bei dieser Erinnerung, und ich begriff, dass sie mir viel bedeutete. Nein, das stimmte nicht: unendlich viel. Aber ... ich konnte mich nicht an ihren Namen erinnern. Auch nicht daran, wer sie war.

Panik stieg in mir auf, mein Herzschlag beschleunigte sich, ich schwitzte stark. Eine kühle Brise wehte mir ins Gesicht und schuf Linderung; der erste Außenreiz, den ich bewusst wahrnahm. Bisher war ich nach innen gerichtet gewesen.

Das dämpfte die kreatürliche Panik einigermaßen. Ich befand mich also nicht im Zustand eines Wachkomas, sondern war tatsächlich bei Bewusstsein. Meine Sicht funktionierte noch nicht gut, ich sah nicht mehr als verschwommene Schlieren, vor allem nur in roten Farben. Das lenkte mich zu sehr ab, und ich schloss die Augen wieder.

Mein Gehör funktionierte, kein Rauschen oder Klingeln darin, doch meine Umgebung erwies sich als nahezu still, abgesehen von einem fernen Geräusch, das ich nicht zuordnen konnte und das künstlich wirkte. Vermutlich die Anlage, die mich versorgte, wie etwa mit der Temperaturregelung bei meinem Schweißausbruch.

Ich konzentrierte mich auf mein Gespür und meinen Tastsinn. Es kam mir vor, als sei ich in einen speziell für mich angepassten Sitz eingebettet. Ja, ich wurde geradezu umhüllt. Ein Schutzmechanismus oder eine Art Gefängnis für mich? Ich konnte mich nicht bewegen. Den Kopf drehen, die Arme heben – unmöglich. War ich ein Gefangener und wurde gefoltert?

Die Panik wollte zurückkehren, aber das ließ ich diesmal nicht zu. Es gab sicherlich eine passende Erklärung für das alles. Und eine solche erhielt man im Normalfall, indem man eine Frage stellte, und zwar laut ausgesprochen.

Mein erster Versuch ging jämmerlich daneben. Ich krächzte, musste husten, rang nach Luft. Erneut raste mein Puls, mein Kopf wurde heiß und schien sich aufzublähen. Da spürte ich etwas an und/oder in mir, das unverkennbar regulierend eingriff. Das Schwindelgefühl verging, als mein gefährlich hoher Blutdruck wieder auf Normalwert sank. Abermals trocknete kalter Schweiß auf meiner Stirn.

»Was ist mit mir geschehen?«, brachte ich schließlich hervor. »Wo bin ich? Ich kann mich nicht erinnern ...«

»Initiiere Protokoll Erinnerung«, erklang daraufhin eine unpersönliche weibliche Stimme. »Start der Holoaufzeichnung ... jetzt.«

»Moment!«, rief ich. »Wenn ich etwas anschauen soll, brauche ich zuerst meine voll wiederhergestellte Sehkraft.«

»Öffne die Augen!«

Ich folgte der Aufforderung und blinzelte mehrfach. Ein Bild schwebte vor mir, das nicht meiner Erinnerung entsprang. »Es ist zu verschwommen!«

»Fixiere den Punkt und folge seinen Bewegungen.«

Erneut wollte ich protestieren, da erblickte ich plötzlich einen runden, schwarzen Fleck. Hastig hielt ich ihn mit meinem Blick fest und folgte den Bewegungen, als er vor mir herumtanzte. Nach und nach normalisierte sich meine Sehkraft, und Konturen schälten sich aus der Verschwommenheit, die rasch an Schärfe gewannen.

Ich starrte auf einen Mann mit einem schmalen Gesicht, graublauen Augen, blonden Haaren und einer winzigen Narbe an der Nase.

»Das bin ich!«, entfuhr es mir spontan. Ja, dieses Gesicht sah ich, wenn ich morgens in den Spiegel schaute. Genauso wenig wie ich lächelte das Holobild. Sondern wirkte sehr angestrengt, der Blick war müde.

»Wenn du dies hörst«, sagte ich zu mir, »hast du wahrscheinlich schwere Gedächtnislücken. Das habe ich befürchtet und zeichne deshalb diese Botschaft auf. Es wird die einzige sein, denn ich werde vermutlich kein zweites Mal mehr dazu imstande sein. Wundere dich nicht, wenn du gerade eine Hölle an Schmerzen durchgestanden hast. Es war nicht das erste Mal und ist wahrscheinlich noch nicht zum letzten Mal geschehen. Falls du vergessen hast, wer du bist: Du bist Perry Rhodan, Protektor der Erde des heimatlichen Solsystems. Du befindest dich auf einer Reise. Onkel Karl hätte sie wahrscheinlich als ›Quest‹ bezeichnet.«

Onkel Karl? Oh, ja ... ja. Danke, Holo-Ich, das war ein absichtlich eingestreutes Schlüsselwort. Jetzt weiß ich wieder, ich bin Perry Rhodan von der Erde, und ich wollte zum Mond und den Sternen fliegen. Wie es aussieht, ist es mir gelungen.

»Deine Aufgabe als Zeitträger lautet, nach Kahalo zu fliegen und die Transmitterkette zu aktivieren, um die Große Ruptur zwischen Creaversum und Einsteinraum zu versiegeln.«

Das ist ein bisschen viel auf einmal, aber ich denke, ich verstehe einigermaßen. Das Creaversum ist ein anderes Universum, stimmt's? Und es bedroht das Universum, in dem ich lebe. Große Ruptur ... ein Riss. Ja. Ich soll ihn versiegeln, und weil das nicht auf direktem Weg geht, nennt Onkel Karl es Quest ... hätte er es so genannt.

»Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn wie es für diese Art Reisen typisch ist, kannst du nicht direkt dorthin, sondern musst zuvor einige Transmitterruinen neu kalibrieren. Du kannst die Station auf Kahalo final erst aktivieren, wenn die Kette geschlossen ist.«

Sagte ich es nicht gerade? Und es klingt einleuchtend. Ich verstehe es!

»Du bist allein unterwegs an Bord eines Situativs, einem Kleinstraumschiff der Meister der Insel. Mirona Thetin hat es dir zur Verfügung gestellt. Das Situativ befähigt dich als Zellaktivatorträger dazu, Situationstransmitter zu benutzen – allerdings zu einem sehr hohen Preis.«

Zellaktivator? Stimmt, mir wurde die relative Unsterblichkeit zuteil. Nur deswegen bin ich überhaupt noch am Leben.

»Deine Gedächtnislücken haben jedoch nichts damit zu tun, das ist eine zusätzliche Komponente. Die Aktivierung der Transmitterstrecke fordert dir alles ab, und ich habe keine Ahnung, ob du eine reelle Chance hast, diese Mission zu überleben. In meinem jetzigen Zustand bin ich nicht mehr hundertprozentig davon überzeugt. Und du wirst vermutlich noch schlechter aussehen als ich. Trotzdem werden wir es tun, nicht wahr?«

An dieser Stelle hielt mein Ich aus der Vergangenheit inne. »Ich spreche, als ob du ein anderer wärst ... seltsam. Oder ich möchte das Gegenteil bewirken – ich will nicht seltsam erscheinen, weil ich auf diese Art Selbstgespräche führe.«

Dieser lahme Scherz brachte keinen von uns beiden zum Lachen und entspannte auch nicht die Situation.

»Wenn du irgendetwas brauchst – das intelligente Versorgungssystem, genannt Amme, steht dir zur Verfügung. Aber stell nicht zu viele Fragen, vor allem nicht nach deiner Vergangenheit; darüber weiß die Amme nichts. Sie ist auf Heilung spezialisiert und kein allwissender Computer. Sie wurde zwar mit speziellen Informationen für diese Mission ausgestattet, grundsätzlich ist ihr Wissen aber sehr begrenzt. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, das ist jetzt nicht wichtig. Konzentriere dich darauf, deine Aufgabe zu erfüllen, solange du dazu noch in der Lage bist. Solltest du am Ende wider Erwarten doch überleben und nach Hause zurückkehren, ist immer noch Zeit genug, die Vergangenheit zurückzuholen.«

Danke für die Aufmunterung. Ich hoffe, sie wird sich bewahrheiten.

»Die Amme kümmert sich während deiner Biorefraktionszeit nach jedem Durchgang um dich und hält dich am Leben. Deine Ziele sind im Situativ einprogrammiert, dafür brauchst du nichts zu tun.«

Nun lächelte mein Holobild mir doch schwach zu. »Glück auf! Hoffentlich ist es das alles wert.«

Das Bild erlosch, und es wurde wieder still.

Die holografische Gedächtnisstütze hatte mir einigermaßen geholfen, mich an meinen Auftrag zu erinnern. Vage geisterte der Name ANDROS durch meine Gedanken, die Bedrohung meiner Heimat und überhaupt der Milchstraße durch diese Entität. Gegenspieler von ES, richtig?

Und der Zellaktivator, den hatte ich auch nicht vergessen. Damit konnte ich den Zusammenhang zu dem seltsamen Gefühl vorhin herstellen, als mein Blutdruck reguliert wurde. Wie es aussah, nahm mich diese »Quest« so stark in Anspruch, dass selbst dieses Unsterblichkeitsding Mühe hatte, mich am Leben zu erhalten.

»Amme, wie ist mein Zustand?«

»Deine Vitalwerte haben sich im Normalbereich stabilisiert. Die Biorefraktion ist beinahe abgeschlossen.«

Ich verspürte einen Druck am Arm und hörte ein leises Zischen. Wahrscheinlich wurde mir gerade eine umfangreiche Muntermacher-Medikation verabreicht.

»Ich erinnere mich an vier glühende Punkte, einen roten Weltraum, mir wurde sterbensübel, weil ich auf der schlimmsten Achterbahn meines Lebens unterwegs war. Zumindest nehme ich das meinem Gefühl nach an. Ich wiederhole meine Frage: Wo befinde ich mich?«

»Wir haben Kahalo fast erreicht, den einzigen Planeten der Komponente A von Ras Algethi, etwa dreihundertsechzig Lichtjahre von der Erde entfernt. Ras Algethi A ist ein Doppelstern, ein heller Roter Riese, den ein Weißer Zwerg umkreist. Komponente B ist ebenfalls ein Doppelstern und ...«

»Muss mich das interessieren?«, unterbrach ich. Diese Informationsflut strengte mich zu sehr an, ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Dennoch blieb da eine unterschwellige Irritation. Es hing irgendwie mit dem Namen zusammen: Kahalo. »Nur das Wesentliche, bitte. Verstehe ich das richtig, wir haben das Endziel erreicht?«

»Ja.«

Das wiederum war eine reichlich karge Auskunft. Täuschte ich mich, oder klang die Amme verschnupft? Wahrscheinlich bildete ich mir das ein, weil ich einsam war, von Fesselfeldern gehalten. Körperlich und in meinem Kopf. Ab und zu blitzten Bilder auf, Erinnerungsfetzen an mein früheres Leben. Ich sah ein kleines Mädchen. Zwei hochgeschossene Jungs. Einen rothaarigen Mann. Und ein Paar wie gemeißelt, in Schwarz und Weiß ... Bin ich zum Mond geflogen? Hat so nicht alles begonnen? Außerdem war da ein komischer kleiner Kerl, der aussah wie eine zu dick geratene Maus auf zwei Beinen, der eine Möhre futterte und mich dabei unverschämt angrinste.

Da musste mehr als nur der Mond gewesen sein. Ja, natürlich – Creaversum, Einsteinraum, Große Ruptur. Protektor. Ich hatte schon einige Reisen hinter mir, und ich erinnerte mich vage an ein gewaltiges Raumschiff in Form einer Kugel. Sogleich zogen einige Bilder an meinem geistigen Auge vorbei, die ich nicht zuordnen konnte und die mich verwirrten.

Ich zwang mich, bewusst zu atmen. Konzentration! Mein vergangenes Ich hatte es richtig formuliert: Was früher war, hatte keinerlei Priorität. Ich hatte eine Aufgabe, die ich erledigen musste, bevor mein Verstand den Dienst vollständig quittierte. Und vielleicht auch mein Körper, Zellaktivator hin oder her. Die Amme hatte behauptet, meine Werte wären normal. Nur leider fühlte ich mich ganz und gar nicht so.

Du hast eine Pflicht. Das ist dein Wesen: Verantwortung zu übernehmen. Du willst dein Volk retten. Und mehr.

So sprach mein Ich! Eine Grundeigenschaft meines Charakters, wie mir klar wurde. Eine Amnesie, selbst wenn sie vollständig war, konnte den ursprünglichen Charakter nicht auslöschen. Die Grundanlagen blieben übrig, sogar wenn Erfahrungen, Glücksmomente und Traumata, eben alles Erlebte, das einen geformt hatte, verloren waren. Es musste schließlich einen Grund geben, weshalb gerade ich auf diese Mission geschickt worden war. Allen Verlusten zum Trotz würde ich bis zum bitteren Ende gehen. Niemals aufgeben.

Hinzu kam, dass ich ein »Zeitträger« war und es vermutlich kein anderer tun konnte. Was das wohl genau bedeutete? Einen Zellaktivator zu tragen, reichte für diese Würde allein wohl nicht aus – und für diese »Quest«. Onkel Karl. Mir war warm ums Herz geworden, als der Holo-Perry ihn erwähnt hatte, und auch im Moment fühlte ich mich gut bei dem Gedanken an ihn. Ich konnte sein Bild nicht vor mir sehen, damals musste ich ein Kind gewesen sein. Aber er hatte mir gutgetan und mich vorwärtsgebracht. Zum Mond und ...

Konzentration!

Dauernd schweifte ich ab. Ich war müde und aufgedreht zugleich. Hoffentlich hatte mein Gehirn keinen bleibenden Schaden erlitten, dessen Folgen sich erst nach und nach einstellen würden. Ich presste fest die Lippen zusammen, spürte das Pochen der kleinen Narbe an meiner Nase. De...bo...rah?

»Was erwartet mich auf Kahalo?«, fragte ich barscher, als ich es beabsichtigt hatte. Ich wollte nicht die Amme anschreien, sondern mich endlich zur Ordnung rufen.

Kahalo. Den Namen hatte ich schon mal gehört, ich musste bereits früher damit zu tun gehabt haben. Kurzzeitig huschte das Bild eines gigantischen, dreiäugigen Wesens durch meine Gedanken, das ich energisch verdrängte. Sagte ich nicht gerade etwas von »zur Ordnung rufen«?

»Ein erdähnlicher Planet in der habitablen Zone«, lautete die nüchterne, emotionslose Antwort. »Seine Rotationsachse wird durch einen Mond stabilisiert. Bedingt durch die stark elliptische Bahn um den Hauptstern schwankt das Klima stärker als auf der Erde.«

»Und wie ist es im Moment? Erträglich?«

»Gut erträglich, es ist Spätsommer, die Temperatur bei unserem Zielort liegt im mittleren Bereich. Nicht zu kalt, nicht zu warm. Wir befinden uns im Anflug auf die Station.«

Das irritierende Gefühl im Hinterkopf, dass etwas nicht stimmte, war wieder da. Hinzu kam das Bild des schwarzhäutigen Riesen.

»Bildübertragung, bitte.« Ich war endlich konzentriert.

Perry Rhodan Neo 196: Entscheidung auf Kahalo

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