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3.

Wie man sich als Imperator bewirbt

»Bist du bereit, Sohn?« Mascudar da Gonozal kam herein.

»Ja. Ich hoffe, du hast gut geschlafen?« Atlan da Gonozal traf letzte Vorbereitungen für den Auftritt. Genau wie sein Vater trug er eine blütenweiße arkonidische Uniform mit holografischen Insignien.

Mirona Thetin prüfte, ob sich noch irgendwo ein Stäubchen festklammerte, und zupfte die eine oder andere Falte gerade. Sie hatte schwarz-grüne Kleidung angezogen, die hervorragend zu ihren Haaren und den Augen passte, mit einem transparenten Schleier, den sie locker um den Hals gelegt hatte. Als Schmuck trug sie lediglich ein breites, opalisierendes Armband, das zugleich eine Vielfalt technischer Multifunktionen barg, sowie einen breiten Siegelring, eins der letzten Erbstücke ihres Familienschmucks.

Sie verkniff sich ein Schmunzeln, als sie sah, wie Mascudars Augen sich bei ihrem festlich ausstaffierten Anblick verengten. »Sie ... kommen mit, meine Liebe?«

»Selbstverständlich«, antwortete sie betont freundlich.

»Aber Sie wissen, dass es sich hierbei um eine rein arkonidische Angelegenheit handelt?«

»Das geht schon in Ordnung«, sagte Atlan ruhig und schloss den Kragen, bevor er sich seinem Vater zuwandte. »Der Zwölferrat hat nichts dagegen, das habe ich geklärt. Du bist derjenige, der sich um das Amt bewirbt, nicht ich – ich bin lediglich dein Begleiter und, zur Klärung bei Fragen zu deiner Vergangenheit, die ich beantworten kann, auch Leumund. Mirona kann mich bis zum Vorzimmer begleiten. Es ist nur eine einfache Befragung, bevor das Ritual beginnt.«

Mascudar presste kurz die Lippen zusammen, dann lächelte er zuvorkommend. »Wenn das so ist – natürlich gern«, äußerte er. »Ich würde Ihnen meinen Arm anbieten, Teuerste, aber ich befürchte, der Hof könnte das als Affront betrachten.«

»Das sehe ich ein.« Diesmal verbarg sie ihren ironischen Tonfall nicht. Es amüsierte sie durchaus – sie gehörte schließlich dem älteren Volk der Liduuri an, den Vorfahren der Arkoniden. Vielleicht waren sogar ein paar ihrer Gene in ihm? Mascudar schien sich in seiner ignoranten Haltung Frauen gegenüber gar nicht bewusst zu sein, welch ein bedeutender Unterschied zwischen ihnen beiden bestand. »Haben Sie keine Sorge, ich werde mich in gebührendem Abstand hinter Ihnen halten.«

Schon allein deswegen, weil sie die Hofschranzen mustern wollte, ohne dass alle Augen auf sie gerichtet waren.

Mascudars blendende Erscheinung würde ohne Frage alle Blicke auf sich ziehen. Natürlich wollte sich jedermann ein Bild davon machen, wer so unerwartet aus dem Nichts heraus den Thron für sich beanspruchte. Die Erwartungen konnte er gut erfüllen. Er war groß und stattlich, sah mit seinem wallenden, weißen Rauschbart ehrwürdig aus, väterlich und vertrauenswürdig.

Mirona musste anerkennen, dass er bereits wie ein Herrscher wirkte – vor allem wie einer, der sich um die Belange seines Reichs sorgte und kümmerte. Er wollte den Thron, doch er wollte auch seiner Aufgabe nachkommen. Sicherlich würde er dabei manchmal kompromisslos und gewiss auch skrupellos vorgehen. Er war, wie Atlan da Gonozal angemerkt hatte, »ein harter Knochen«. Mirona Thetin zweifelte nicht daran, dass er buchstäblich über Leichen gehen würde, um ein gestecktes Ziel zu erreichen – doch nicht aus persönlichen Motiven, sondern immer im Sinne des Imperiums und des Volkes. »Der Zweck heiligt die Mittel«, lautete ein Sprichwort der Menschen. Und ein weiteres besagte, dass der Einzelne Opfer bringen mussten für die Gesamtheit.

Ob nun freiwillig oder nicht.

Immerhin schien Mascudar da Gonozal die Fehler der Vergangenheit, beispielsweise seinen Sohn als Versager abzustempeln, nicht mehr wiederholen zu wollen. Seine Zuneigung war nicht gespielt, der Neuanfang sollte komplett sein, ohne Altlasten.

Theta hatten sie auf der MAGELLAN gelassen, es wurden Anschläge befürchtet – oder auch Befreiungsversuche, denn noch immer hatte sie Anhänger. Deshalb sollte Theta vorerst außer Reichweite bleiben, um unnötige Unruhen zu vermeiden. Die Inthronisation sollte möglichst würdig vonstattengehen, ohne Konflikte, bevor man sich dem Tagesgeschäft zuwandte und die Probleme von selbst hereinstürzten.

Der Kristallpalast war noch nicht vollständig fertig, doch die wichtigsten Räume zeigten sich bereits in dem strahlenden Pomp, den die Arkoniden so liebten. Hohe Räume mit prachtvoller Ausstattung, Säulen, viel farbenfrohes Funkeln und Glitzern. Zugleich nicht überfrachtet, sondern stilvoll. So präsentierte sich auch der Hofstaat. Das Gedränge im großen Thronsaal war enorm, niemand wollte Mascudar da Gonozals Antrittsbesuch verpassen. Manche schwebten in Antigravsesseln über den anderen, die sich auf ihren eigenen Füßen herbemüht hatten.

Mirona Thetin fiel auf, dass die Arkoniden geradezu farblich sortiert wirkten. Die Gewandungen vor allem bei den Frauen waren aufwendig und sehr unterschiedlich, jedoch schienen die jeweiligen Khasurne Lieblingsfarben zu haben oder sie als Statussymbol ihres Hauses zu beanspruchen, wodurch man viele Personen klar ihrer jeweiligen Sippe zuordnen konnte. Sie wusste, dass es um die fünftausend Khasurne gab, und die uralten Familien des Hochadels waren derzeit komplett zerstritten.

Mascudar würde es trotz seiner Erfahrung, seiner Dominanz und seiner Heldenpose keineswegs leicht haben, da Frieden hineinzubringen und seinen Anspruch durchzusetzen. Im Gegensatz zu seinem Sohn schien er sich allerdings sogar darauf zu freuen.

Der Weg in der Mitte war freigehalten; am Ende des Spiegelsaals war die Tür zu den Arbeits- und Besprechungsräumen erkennbar, in denen der regierende Zwölferrat tagte und Audienzen stattfanden. Der Saal selbst wurde nur für außergewöhnliche Ereignisse genutzt. Die hinteren Räumlichkeiten hatten von außen eigene Zugänge, über die man üblicherweise dorthin gelangte.

Doch für diesen besonderen Moment musste Mascudar da Gonozal durch den Saal schreiten und sich allen präsentieren, damit das Volk eine erste Ahnung bekam, wen es als künftigen Herrscher erwarten sollte. Bis zum niederen Adel hinab machten die Oberhäupter selbst und Vertreter ihre Aufwartung, einschließlich einiger nichtadliger Arkoniden, die von einem Khasurn adoptiert worden waren. So wie einst Thora da Zoltral, Perry Rhodans Ehefrau.

Huldvoll lächelnd, ging Mascudar in kerzengerader Haltung voraus. Er hielt keine Ansprache, das entsprach nicht der Sitte, wie Atlan Mirona zuflüsterte. Doch durch einige wenige Gesten brachte er dennoch seine Freude zum Ausdruck, an diesem Ort zu sein – und von so vielen begrüßt zu werden. Da und dort klang höflicher Applaus auf, auf manchen Gesichtern zeigte sich sogar echte Hoffnung. Doch es gab auch unhöfliche Zwischenrufer aus den hinteren Reihen, die »Usurpator!« und »Thronräuber!« riefen.

Mascudar zeigte darauf keinerlei Reaktion, aber Mirona war sicher, dass er den Saal mit Mikrokameras komplett überwachen ließ und anschließend seine Gegner herausfiltern würde. Im besten Fall würde sie danach nur »verschwinden«. In diesen Dingen kannte sich Faktor I bestens aus.

Der Weg durch den etwa hundert Meter langen Saal ging an den 24 Marmorstufen entlang, die auf das Podest mit dem Kristallthron hinaufführten, und strebte dem großen Portal auf der rechten Seite zu. Es wurde von zwei Livrierten mechanisch bedient und gab einen tief nachhallenden, metallischen Klang von sich, als die mächtigen Flügel aufschwangen.

Mirona war überzeugt, dass der ganze Auftritt in den Raum des Berlen-Than übertragen wurde und die Räte sich dort eifrig Notizen machten sowie die Fragen zurechtlegten, die sie gleich zu stellen beabsichtigten. So konnte jeder einen ersten Eindruck von dem Thronanwärter gewinnen – und Mascudar machte eine durchaus gute Figur. Die neutrale bis positive Stimmung in der Kristallhalle überwog. Kein schlechter Anfang.

Die an den Thronsaal angeschlossenen Räumlichkeiten waren überraschend schlicht; dort herrschten helle Töne, zahlreiche Lichteinlässe und echte Pflanzen in Innenhöfen vor, die für Pausen und kleine Beratungen gedacht waren. Ein echter Arbeitsbereich ohne Ablenkung.

Mascudar da Gonozal und sein Gefolge waren nicht zum Saal der Weisen geladen worden, dieser würde erst zur Dheraam dama Zhdopanthi geöffnet werden. Stattdessen wies ein schlanker, zylindrischer, silbrig glänzender Roboter die Gäste an, ihm zu einem der vielen anderen Besprechungs- und Konferenzräume zu folgen.

Vor dem Versammlungssaal des Zwölferrats standen nicht nur zwei livrierte Diener, sondern auch vier schwer bewaffnete Naatwachen. Der Zugang war gesichert, dahinter lag der Vorraum, von wo aus man diverse Zimmer erreichen konnte: Arbeitsräume, Konferenzräume, aber auch Ruhe- und Erholungsbereiche mit robotischer Küche, in der die meisten gewünschten Mahlzeiten frisch zubereitet wurden. Natürlich gab es permanent auch eine große Auswahl an Getränken, die von Servorobotern eifrig zu den übrigen Arbeitsbereichen transportiert wurden.

Eine livrierte Arkonidin kam auf Mirona Thetin zu, verneigte sich kurz und bat die Liduuri höflich, ihr zu folgen. »Ich bin sicher, dass ich Ihnen jeden Komfort bieten kann, bis die Beratung beendet ist«, äußerte die Bedienstete zuvorkommend. »Wenn Sie möchten, können wir uns in einen der Gärten begeben.«

»Gern«, stimmte Faktor I lächelnd zu. Das Wetter und die Temperaturen auf Arkon I waren sehr angenehm, wie es auch Liduuri bevorzugten. »Eine Erfrischung könnte ich gut vertragen – und sicherlich können Sie mir Fragen zur aktuellen arkonidischen Lebensweise beantworten, da meine Kenntnisse womöglich etwas veraltet sind.« Sie nickte ihrem Gefährten zu und verließ die beiden Männer.

*

»Bist du nervös?«, fragte Atlan da Gonozal seinen Vater leise.

»Nicht sonderlich«, antwortete Mascudar da Gonozal. »Was soll schon passieren? Sie haben niemanden, sie brauchen jemanden, und der Beste bin ich.«

Die Tür ging auf, sie traten ein.

Der Raum lag im Halbdunkel. Der Antigravsessel, in dem Mascudar Platz nehmen sollte, war heller beleuchtet. Die Ratsmitglieder waren bereits anwesend, alle trugen Spiegelfelder und keinerlei Insignien, um ihren jeweiligen Khasurn und Rang zu verschleiern. Sie würden sich erst offen zu erkennen geben, wenn Mascudar akzeptiert war.

Unter dem Vorsitz des Imperators entschieden im Berlen-Than elf mächtige Arkoniden über die Regierungsgeschäfte des Großen Imperiums. Die Anzahl der Ratsmitglieder entsprach somit üblicherweise exakt jener der mythischen Berlen Taigonii, der Zwölf Heroen aus den arkonidischen Legenden. Derzeit allerdings waren nur zehn Personen zugegen. Die Imperatrice Emthon V. war ja vom Thron gestürzt worden, und das Ratsmitglied Kristallmarschall Bethan da Gonozal war kurz nach diesem Ereignis zusammengebrochen.

Bei ihm war, wie Atlan erfahren hatte, eine Infektion mit einem ständig mutierenden, besonders aggressiven Kronenvirus diagnostiziert worden. Die Ärzte hatten ihn deshalb in ein tiefes Heilkoma versetzt. Es war bislang unklar, ob dies ein zufälliges Ereignis darstellte oder ob der Kristallmarschall einem heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen war. Womöglich wollte ein konkurrierender Khasurn dem ungewöhnlichen Ehrgeiz dieses eigentlich eher unbedeutenden Angehörigen des Hauses Gonozal einen Riegel vorschieben. Die Untersuchungen liefen ... und würden wie meist beim Intrigenspiel der Kelche wahrscheinlich ohne Ergebnis enden.

Atlan war nicht bekannt, wer genau derzeit die Regierungsgeschäfte führte, doch er war sicher, dass es ausschließlich Vertreter der mächtigsten arkonidischen Khasurne waren, der Familien des Hochadels.

Von seiner eigenen Familie gehörte seit dem Ausfall von Bethan da Gonozal jedenfalls niemand mehr zu dem illustren Kreis. Charron, der gegenwärtige Patriarch des Khasurns Gonozal, war sogar schon seit Längerem schwer krank. Doch er wartete nicht einfach zu Hause auf seinen Tod, sondern war weiterhin auf Forschungsreisen unterwegs, wo er bei bester medizinischer Versorgung entschlossen war, noch eine große Entdeckung zu machen. Er hatte sich einst vor allem damit einen Namen gemacht, gegen den ausdrücklichen Willen des Regenten die Forschungsreise der AETRON finanziert zu haben. Heutzutage mochte der Khasurn von der Anzahl der Familienmitglieder her klein sein, sein Vermögen jedoch war nach wie vor beträchtlich, und Charron hatte es trotz seines aufwendigen Lebensstils geschafft, es zu mehren und damit seine Position zu festigen. Vielleicht hatte er inzwischen sogar schon einen oder mehrere Erben.

Es gab einen zweiten Sessel für Atlan, in dem er sich ohne Aufforderung niederließ. Bequem war er immerhin.

Auch Mascudar setzte sich.

Sogleich erklang eine unpersönliche Stimme. »Fürs Protokoll: Der Berlen-Than ist zusammengetreten, um über die mögliche Inthronisation von Mascudar da Gonozal, einst Imperator Gonozal der Siebte, zu entscheiden. Sind Sie damit einverstanden, sich uns zu offenbaren, nach bestem Wissen und Gewissen?«

»Ja, das bin ich«, antwortete Mascudar.

»Bitte erläutern Sie, wer Sie sind.«

»Ich bin ein Tarkanchar-Duplikat des Imperators Gonozal des Siebten und verfüge über sämtliche Erinnerungen und Charaktereigenschaften des Originals. Ich bin in jeder Hinsicht genau gleich. Ich habe vor rund zehntausend Jahren den Thron innegehabt, zur Zeit der Methankriege, die von mir beendet wurden. Meine Herrschaft war lang und positiv.«

»Und welches Ziel verfolgen Sie jetzt?«

»Das Tai Ark'Tussan durchlebt eine sehr schwierige Phase, die zum Niedergang führen könnte. Vorangetrieben durch Imperatrice Emthon die Fünfte, aufgrund vieler falscher Entscheidungen und zusehends radikalerer Handlungen, wie etwa dem Anschlag auf mein Leben, der Hunderte weitere Leben auf sinnlose Weise mit in den Tod gerissen hätte. Ich verfüge über nicht weniger als zweihundert Kampfeinheiten einer hervorragend ausgerüsteten Flotte, die ich dem Imperium zur Verfügung stelle. Ich habe die Erfahrung und Kompetenz, das arkonidische Reich wieder zur Blüte zu führen. Eine Alternative zu mir kann ich derzeit nicht erkennen – und der Zwölferrat hat sie auch nicht, ansonsten wäre Emthon die Fünfte längst unwiderruflich entmachtet und ein neuer Imperator eingesetzt worden.«

»Sie erzählen uns nichts Neues, diese Daten finden wir in den Archiven, und Ihr Profil lässt auch keinen anderen Schluss zu als das, was Sie uns preisgeben. Teilen Sie uns etwas mit, was nicht im Archiv steht.«

»Nun ... hier kann ich vielleicht auf meinen Sohn verweisen.« Mascudar zeigte huldvoll auf Atlan. »Mascaren wurde von Yagthara Agh'Hay-Boor geboren, meiner Ehefrau, die ich über alles wertgeschätzt und verehrt habe. Sie hat mich verstanden und unterstützt, und ich bedaure es, dass sie nicht mehr an meiner Seite sein kann.«

»Und wen gab es da sonst noch in der Familie, Mascaren ausgenommen?«

»Sie meinen, wen Erwähnenswerten? Nun, wir adoptierten Crysalgira da Quertamagin ...«

»Zhdopan Mascaren, können Sie das bestätigen?«

»Ja, sie war meine Ziehschwester«, antwortete Atlan. »Wir wurden zusammen erzogen. Auch ihre Geschwister lebten bei uns.«

Und als ihr alt genug wart, habt ihr euch von Brüderlein und Schwesterlein zu etwas anderem entwickelt, spottete der Extrasinn.

Halt die Klappe. Sie war ... etwas ganz Besonderes. Und das weißt du! Reiße keine Wunden auf.

Sind wir heute aber wieder sensibel ...

Kurzes Schweigen, die Räte verständigten sich lautlos untereinander. Dann erklang die unpersönliche Stimme erneut.

»Dann möchten wir noch um Aufklärung über die Umstände Ihres Todes bitten.«

»Das ist das Einzige, was ich nicht beantworten kann«, bekannte Mascudar. »Darüber gibt es nichts in den Archiven – genauso wenig, wie sich in meinem Kopf eine Erinnerung daran befindet. Über die letzte Zeit meines Lebens weiß ich nichts mehr.«

Er redet sich raus, meldete sich der Extrasinn.

Atlan nickte innerlich. Ich habe ihn auch schon danach gefragt, und er ist mir ausgewichen. Er verbirgt etwas. Als ich seinerzeit Forschungen anstellte, wies alles darauf hin, dass die Aufzeichnungen manipuliert wurden.

Ein finsteres Geheimnis, darauf wette ich.

Mascudar fuhr fort: »Ich habe keine Ahnung, was aus meiner Gemahlin wurde oder aus Crysalgira, und auch aus mir. Bis zu unserem Wiedersehen vor wenigen Tagen war mir nicht einmal das Schicksal meines Sohns bekannt. Ich hatte natürlich angenommen, dass er genauso wie der Rest der Familie in der Vergangenheit verstorben war.«

Was für eine dreiste Lüge!, ereiferte sich der Extrasinn. Er weiß garantiert noch, was aus Crysalgira wurde!

Dessen war sich auch Atlan sicher. Mascudar hatte sie damals verstoßen und als »verrückt« bezeichnet, weil sie sich vehement für einen Friedensschluss mit den Maahks eingesetzt hatte. Atlan hatte nichts für sie tun können, weil er selbst – nicht zum ersten Mal – in Ungnade gefallen war und zu einer unbedeutenden Expedition – sprich einem Strafexil – nach Larsaf III geschickt worden war; zu der Welt namens Erde, die zu seinem Schicksal wurde. Erst vor wenigen Jahrzehnten hatte er auf Arkon von Crysalgiras Freitod erfahren und wo ihr konservierter Leichnam seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.

Sie hatte noch etwas Kostbares bei sich gehabt, einen Tarkanchar-Erinnerungskristall, den Atlan an sich genommen hatte – und den der damalige Regent unbedingt hatte besitzen wollen, weil er gehofft hatte, darin die Konstruktionsdaten für die Konverterkanone zu finden. Genauer gesagt, war es ein Duplikat des Regenten gewesen, das diese Daten begehrt hatte, aber das offenbarte sich Atlan erst später. Erst nachdem er den Regenten erschossen hatte, weil dieser Crysalgiras Garten zerstört und ihren Leichnam desintegriert hatte.

Eines Tages, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde Atlan seinem Vater von diesen Ereignissen berichten. Es war eins der vielen Dinge, die zwischen ihnen noch offen waren.

»Mascaren, können Sie noch etwas hinzufügen?«

»Nur das, was ich selbst durch Nachforschungen herausfand und was sich in den Archiven befindet. Mascudar galt während seiner recht langen Regierungszeit als kompromissloser, aber gerechter Herrscher. Sein Halbbruder Veloz da Gonozal bestieg nach dem Tod meines Vaters als Orbanaschol der Dritte den Thron. Zu dem Zeitpunkt war ich längst nicht mehr im Imperium, sondern auf Larsaf Drei.«

»Sie sagten kompromisslos. War die Regierungszeit demnach nicht konfliktfrei?«

»Welche war das schon?«, erwiderte Atlan.

»Da gab es den Gattarom-Zwischenfall kurz nach meiner Inthronisation«, warf Mascudar da Gonozal ein. »Ich habe den Mond mit einer Arkonbombe zerstört, weil sich dort eine große Gruppe Aufständischer verbarg, die sich als bedrohliche Macht entwickelte.«

»Sie haben also den ganzen Mond zerstört, nur um ein paar Rebellen zu vernichten? Was berechtigt Sie dann zu den Vorwürfen gegen Emthon die Fünfte?«

»Ganz einfach, auf dem Mond lebten keinerlei Zivilisten. Ich habe getan, was notwendig war. Danach herrschte Frieden im Reich, die Khasurne unterstützten meine Politik, und es gab keine weiteren Zwischenfälle mehr. Wir konnten vereint gegen die Methans vorrücken. Nur so konnte dies gelingen. Ein Aufstand gegen den Thron ist nicht hinnehmbar.«

Wir sind alle nicht frei von Schuld, nicht wahr?, kommentierte der Extrasinn.

Macht korrumpiert, das brauche dir wohl nicht zu erklären, entgegnete Atlan da Gonozal lautlos. Und manchmal kann man nur durch hartes Durchgreifen etwas erreichen – es gibt einfach zu viele, die mitreden und die selbst an die Macht wollen.

Und das wird diesmal anders sein?

Ja, behauptete Atlan. Sie werden Mascudar freudig begrüßen, ich merke es doch schon. Und ich glaube daran, dass er aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat.

Dein Wort in den Ohren der Sternengötter, alter Narr.

*

Mirona Thetin konnte es kaum erwarten, endlich mit Atlan allein zu sein, um alles von ihm zu erfahren. Doch sie musste sich gedulden, denn im Anschluss an die Anhörung vor dem Zwölferrat wollte Mascudar da Gonozal mit seinem Sohn unter vier Augen sprechen.

Genau das hatte sie vermeiden wollen – sie hatte vorher mit ihrem Gefährten sprechen wollen, bevor Mascudar sämtliche Register zog, um seinen Sohn auf seine Seite zu ziehen.

Und das schien Mascudar gelungen zu sein, war ihr Eindruck, je länger Atlan ihr berichtete, nachdem er endlich in ihr Privatgemach gekommen war. Es sah ganz danach aus, als würde er bereits auf Mascudars Seite stehen und dessen Absicht, sich zum Imperator ausrufen zu lassen, vorbehaltlos unterstützen.

»Du weißt, was dein Vater vorhat?«, fragte sie angespannt, sobald sie über alles Bescheid wusste.

»Ich weiß vor allem, was ich will«, sagte Atlan da Gonozal. »Den Frieden in der Milchstraße.«

»Und Andromeda gehört dazu – nicht wahr?«

Atlan zögerte. »Du wärst eine große Unterstützung«, sagte er langsam.

»Aber das ist doch das Gegenteil von dem, was du in Andromeda erreichen wolltest!«, rief Mirona. Sie ging aufgewühlt hin und her. »Durch dich bin ich auf den richtigen Weg zurückgekommen ...«

»Du warst von ANDROS beeinflusst, nun kannst du frei entscheiden.«

»Aber ich habe doch die Anlagen in mir, machen wir uns nichts vor! Ich bin Faktor Eins, ich habe mit Gewalt und Unterdrückung geherrscht, und ich habe es genossen! Ja, du hast mir gezeigt, dass meine persönliche Befriedigung nicht das ist, was mein Reich braucht. Wir beide stehen aber erst am Anfang! Andromeda hat noch einen weiten Weg vor sich, bis es zur Demokratie gelangt! Das System ist fragil, und ich muss ständig schwanken zwischen hartem Durchgreifen und gerechter Güte. Was das betrifft, habe ich eine Menge zu lernen – und du hilfst mir dabei.« Sie näherte sich ihm. »Ich kenne das alles nur zu gut. Ich mache dieses Spiel schon Zehntausende von Jahren länger als ihr. Dein Vater kann schöne Worte benutzen, er ist charismatisch und charmant, und er wickelt dich um seinen Finger. Mich jedoch täuscht er nicht. Er strebt eine Militärdiktatur an – und er will mit Andromeda ein Superimperium mit ihm an der Spitze schaffen!«

»Ich werde nicht zulassen, dass er dich entmachtet«, widersprach Atlan nicht minder heftig. Dann bezwang er sich. Behutsam legte er eine Hand an ihren Arm. »Mirona ... mein Volk muss zur Ruhe kommen. Ich kann nicht überall im Universum Frieden schaffen wollen und mich dabei nicht um meine Heimat kümmern. Das geht einfach nicht, verstehe das doch! Und ich werde Mascudar bremsen.«

»Denkst du, er hört auf dich?«

»Es wird ihm nichts anderes übrig bleiben. Den Rat hat er auf seiner Seite, keine Frage. Diese Hochadligen wollen die alten Traditionen wieder aufleben lassen, weil sie sich davon Stabilität versprechen. Mascudar verkörpert all das, wonach sie sich sehnen – die glorreiche alte Zeit. Und deswegen werden die Fehden auch bald enden. Wenn Mascudar das Richtige tut. Und dafür werde ich sorgen. Er braucht mich – und das Volk braucht mich genauso. Ich stehe zwischen Thron und Volk und muss versuchen, das Gleichgewicht wiederherzustellen.«

»Der Herr der Waage«, spottete sie.

»Ich möchte den Frieden in die Milchstraße bringen«, beteuerte er. »Und das ist keine idealistische Vorstellung, sie kann real umgesetzt werden. Mit dir! Ich brauche dich.«

»Wen willst du eigentlich mit diesen Worten beruhigen? Dich selbst? Das ist Schönreden, und das weißt du. Du bist zu alt, um derart naiv zu sein.« Sie strich ihr Haar zurück und lächelte schwach. »Ich weiß, dass du Frieden willst. Aber auf welcher Basis soll das geschehen? Aus Angst? Mascudar herrscht nicht freundlich, er unterdrückt. Er erschreckt die Leute so lange, bis sie vor Angst keinen Widerspruch mehr wagen. Niemand kennt sich mit einer solchen Politik besser aus als ich.«

»Auch er will nur das Beste.«

»Aber mit welchen Mitteln? Du kannst doch nicht den Frieden von einem Mann dominieren lassen, der mit Gewalt droht, wenn man ihm nicht gehorcht. Dann wäre ich dafür in jedem Fall besser geeignet als er! Und du weißt, dass das kein Scherz ist.« Sie schüttelte den Kopf, wandte sich ab, ging zu der großen Fensterfront.

Eine blühende Welt breitete sich vor ihr aus, mit ästhetischen Kelchbauten, umgeben von bunt gesprenkeltem Grün. Die Sonne ging in einem prächtigen Farbenspiel unter. Rund um den Kristallpalast gab es keinerlei Flugverkehr, die Sicht war völlig frei. Diese Welt war äußerlich ein Paradies, doch innerlich faulig. Die Schäden der Maahkinvasion vor vierzig Jahren waren aus Mangel an Ressourcen bis zum gegenwärtigen Tag nicht vollständig beseitigt worden, sie wurden vielerorts lediglich kaschiert.

Langsam fuhr sie fort. »Atlan, du hast Andromeda von der Militärdiktatur befreit, die ich verschuldet habe. Genau das, was dein Vater tun wird, habe ich getan. Für meine Verbrechen hast du mich zu Recht verurteilt, aber nicht gerichtet, sondern mir im Gegenteil geholfen, mich zu ändern. Du hast mich dabei unterstützt, Einsicht zu gewinnen und all die schrecklichen Taten, an denen ANDROS beteiligt war, all das Unrecht zumindest teilweise wiedergutzumachen. Ich will und werde nicht mehr so weitermachen wie früher, ich bleibe bei unserem Ziel. Aber darin ist keine Vereinigung mit dem Imperium der Arkoniden enthalten. Ich bin und bleibe Faktor Eins, ich bin und bleibe selbstbestimmte Herrscherin.«

Er schwieg für einen Moment, dann sagte er ruhig: »Es ist falsch, auf einem Weg zu beharren, wenn man erkennt, dass es bessere Möglichkeiten gibt. Man muss sich anpassen und Chancen ergreifen.«

Sie fuhr zu ihm herum. Es war genug. »Das habe ich getan! Aber Mascudar ist keine Chance! Du irrst, wenn du glaubst, einen besseren Weg gefunden zu haben! Und wenn du das nicht erkennst, bist du geblendet von deiner Sehnsucht, ihm zu Gefallen zu sein! Schau in den Spiegel, und erinnere dich daran, wer du bist!«

»Mirona ... wir sollten uns nicht streiten, ich bitte dich! Mein Vater will wirklich nur das Beste für sein Reich.«

»Für sein Reich – daran zweifle ich nicht. Die Frage lautet aber, ist dies auch das Beste für alle anderen?«

Er presste die Lippen zusammen.

Sie empfand fast Mitleid, nicht mehr weit entfernt von Verachtung. Das änderte nichts an ihren Gefühlen für ihn, aber die Hörigkeit seinem Vater gegenüber trieb nun einen Keil zwischen sie, und für Mirona war es keine Frage, ob sie sich ihm zuliebe selbst aufgeben würde. Und noch weniger das vorgesehene Ziel für ihre Heimat. Notfalls musste sie es eben allein erreichen, sollte ihr Gefährte nicht zur Vernunft kommen.

»Ich kann vor allem eins nicht außer Acht lassen«, fügte sie hinzu. »Mascudar ist ein Duplikat, ein Produkt der Allianz. Das ist eine fatale Kombination.«

»Er kann sich doch ändern, genau wie du«, hielt er dagegen.

»Vielleicht kann er das«, räumte sie ein. »Aber warum sollte er das tun? Er hat keine Veranlassung dazu, da er hier offene Türen einrennt. Du ... Du bist so sehr in deiner Wunschvorstellung gefangen, dass du keine rationale Sichtweise mehr zulässt. Das sollte dir dein Extrasinn bereits mitgeteilt haben, nicht wahr? Er ist dein rationales Gewissen. Und wenn ich ihn bestätige, muss doch etwas dran sein, oder? Du kennst deinen Vater besser als ich. Wie kommt es, dass ich ihn realistischer einschätzen kann als du?«

Er schwieg.

Sie seufzte. »Ich musste niemals um die Gunst meines Vaters buhlen. Er hat mich und meine Schwester ermuntert und gefördert, niemals ... zurückgewiesen.«

»Das ist vorbei«, stieß er schroff hervor.

»Das sollte es sein!«, rief sie. »Du bist nicht mehr Mascaren. Du bist Atlan, über zehntausend Jahre alt. Du hast dich seit langer Zeit zu einem eigenständigen Mann entwickelt, dem die Unsterblichkeit zuteilwurde. Falle nicht in alte Rollenmuster zurück, das zerstört nur alles, was du dir erkämpft und erreicht hast! Und eins wollen wir hier und jetzt klarstellen, nur damit kein Missverständnis entsteht: Ich lebe mit Atlan zusammen, nicht mit Mascaren, der nach der Flöte seines Vaters tanzt.«

Betroffen wich Atlan da Gonozal zurück. »Ist das dein letztes Wort?«

Sie nickte. »Für heute, ja.«

»Dann ist es wohl besser, wenn wir ... jeder für sich erst mal in uns gehen.« Schmerz lag in seinen Augen, doch dabei konnte sie ihm nicht helfen.

»Dieses Gelass ist groß. Such dir ein Zimmer aus, oder auch mehrere. Mir gefällt es in diesem Raum.« Mirona Thetin wandte sich ab, wieder dem Fenster zu, die Hände an die Unterarme gelegt.

Perry Rhodan Neo 225: Der neue Imperator

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