Читать книгу Perry Rhodan Neo 221: Ein neuer Feind - Susan Schwartz - Страница 7
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Inspektion
Die Mehandor erreichten Aarakh Ranton via Kira Ariela, von der »Öden Insel« kommend, und staunten nicht schlecht über das, was sie nach dem Hyperraumsprung am Rand des Zielsystems vorfanden.
»Hat es das letzte Mal schon so ausgesehen?«, fragte Somsat Meykara verwirrt.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals so ausgesehen hat«, antwortete Thrione Meykara. Sie stand vor dem hohen Hologlobus im Arbeitsbereich ihrer Gemächer. Sie war per Bordfunk mit der Zentrale verbunden. »Astrogator, haben wir uns verflogen?«
»Nein, Matriarchin, ich zeige es Ihnen.«
Verschiedene neue Bereiche wurden in das Hologramm eingeblendet, und tatsächlich – da war Aarakh Ranton, der vierte Planet der Sonne Dor. »Dor« bedeutete auf Arkonidisch »Volk«, »Aarakh Ranton« stand für »zweite Heimat«.
Hoch über der Zufluchtswelt, durch einen Orbitallift mit der Planetenoberfläche verbunden, schwebte das Gespinst der Mehandor, eine Raumstation aus unzähligen ineinander verschlungenen, durchsichtigen Röhren. Dort bildeten Arbeit und Entspannung eine harmonische Symbiose, als riesiger Handelsplatz und Vergnügungsbereich.
Die gesamte über die drei Raumschiffe der Mehandorkarawane verteilte Meykarasippe hatte sich schon darauf gefreut, den guten Geschäftsabschluss von Kammuroh zu feiern und den Sold oder Tauschware im Gespinst zu »investieren«.
Und nun präsentierte sich das gesamte System, bis hinaus zum achten Planeten, geradezu als Hinterlassenschaft einer großen Schlacht. Hunderte, wenn nicht Tausende Raumschiffe trieben als Wracks umher, zumeist in lockeren Ballungen konzentriert.
Insbesondere die Außenzonen des Systems präsentierten sich als Aufmarschgebiet für arkonidische Kampfraumer und -plattformen.
»Wenigstens das Gespinst scheint unversehrt«, bemerkte Somsat erleichtert. Ihre Finger huschten über das holografische Bedienfeld der Schiffspositronik. »Aber auf dem Planeten wurde die Überwachung verdoppelt. Nein, eher verdreifacht.«
Thrione studierte noch immer den gewaltigen Raumschiffsfriedhof im Außenbeobachtungsholo. »Ich kenne ein paar dieser Modelle ...«, murmelte sie. »Ortungsstation, sofortige Analyse, was das für Wracks sind. Übersenden Sie mir die Informationen als codierte und nur durch mich persönlich einsehbare Datei.«
Sie beachtete den verwunderten Blick ihrer Nichte nicht. Wenn sie mit ihrer Vermutung recht hatte, war da Ungeheuerliches im Gange. Möglicherweise eine ... Sie wagte es nicht mal, das Wort zu denken.
Die Lage im Großen Imperium war schwieriger denn je, das wussten auch die Mehandor. Mochten sie noch so weit draußen unterwegs sein, sie hielten sich immer auf dem Laufenden. Sie wussten, dass Imperatrice Emthon V. entmachtet und zur Flucht gezwungen worden war. Intrigen, Verschwörungen und Anschläge hatten im Spiel der Kelche zwar schon seit jeher zur Tagesordnung gehört, derzeit jedoch ein Ausmaß erreicht, welches das gesamte arkonidische Reich zum Einsturz bringen konnte. Dazu die prekäre wirtschaftliche Lage – die Zeiten waren keineswegs rosig.
Doch der Anblick dieser Wracks zeigte, dass hinter all dem sehr viel mehr steckte als bloße Usurpationsbestrebungen rivalisierender Adelshäuser.
»Hat es hier eine Schlacht gegeben?«, fragte Somsat.
»Nein«, gab Thrione einsilbig Antwort und erwartete kein Nachhaken.
Ihre Nichte hatte ein feines Gespür und erkannte, wenn Thrione nicht auskunftsfreudig war. Immer wenn sie zurückhaltend war, gab es einen sehr triftigen Grund dafür.
Und Thrione würde sich hüten, irgendwelche Vermutungen zu äußern, solange sie keine Beweise hatte. Die Arkoniden von Tiga Ranton duldeten die Mehandor zwar als bedeutsame Verbündete, achteten sie jedoch ansonsten nicht höher als die Kolonialarkoniden. Dass die Mehandor ebenso wie die Kolonialen von den Hauptweltarkoniden abstammten, spielte keine Rolle beim Standesdünkel der Adligen. Es zählten allein die Khasurne – und diese wiederum übten sich fortwährend in Ränkespielen. Ihr Kampf um den Thron strebte augenscheinlich gegenwärtig einem finalen Höhepunkt zu.
Thrione vertraute ihrem Schatten – aber zu schweigen, diente im vorliegenden Fall ihrer beider Schutz.
Die Daten trafen ein, Thrione studierte die Informationen und spürte einen eiskalten Schauer ihren Rücken hinunterlaufen. Sie befahl dem diensthabenden Ortungsspezialisten, die Analyse sofort zu löschen. Um das Systemprotokoll würde sie sich gesondert kümmern. Und um denjenigen, der diese Analyse erstellt hatte, würde sie sich auch kümmern. Niemand durfte erfahren, dass sie mit ihrer Vermutung richtiggelegen hatte. Obschon sie keine Ahnung hatte, wofür das alles diente, würde sie sich und ihre Sippe keinesfalls darin verwickeln lassen.
»Sie gehören nicht alle zum Militär«, erkannte Somsat und vergrößerte mit einer Geste mehrere Wracks im Hologlobus. »Diese hier wurden ausgeschlachtet. Aber sieh mal, dort in den Aufmarschgebieten«, sie deutete auf den Rand des Systems, »werden sie aufgerüstet!«
Thrione Meykara wischte alles mit einer Geste weg. »Das geht uns nichts an«, beschied sie barsch. »Wir sind nicht hier, um uns um irgendwelche arkonidischen Belange zu kümmern. Wo kämen wir da hin! Wir sind auf dem Weg zum Gespinst, um eigene Geschäfte zu tätigen.«
»Selbstverständlich«, stimmte Somsat Meykara sofort zu. Sie wirkte sogar erleichtert, denn fraglos zog auch sie ihre Schlüsse. Sie hatte einen messerscharfen Verstand und konzentrierte sich auf die oberste Priorität: Mehandorangelegenheiten.
Der Meykarakonvoi bildete mit nur drei X-Stammschiffen eine eher kleine Karawane, aber das würde sich nach dem jüngsten Geschäftserfolg alsbald ändern.
Doch auch so boten die modernen Modulschiffe einen beeindruckenden Anblick und zeigten, dass es mit der Meykarasippe steil aufwärts ging. Die traditionelle Grundform der Walze war geblieben, aber jedes der drei Stammschiffe war erheblich größer als herkömmliche Mehandorraumer. Die Frachtkörper waren mehrere Kilometer lang, um so viel Ware aufnehmen zu können wie möglich. Hinzu kamen extern angeflanschte Frachtcontainer.
Durch die Modulbauweise war dieser Schiffstyp extrem flexibel. Generatorenringe, Antriebsmodule, Kommandoteile und Habitate wurden jeweils exakt dort positioniert, wo sie gebraucht wurden und am effektivsten waren. Während der Reise von Stern zu Stern befanden sich Zentrale und Habitate normalerweise am Bug, die Generatoren und Antriebsmodule am Heck. An den hinteren Walzensektionen wurden die externen Container angekoppelt, vorn die Beiboote, darunter Kampfeinheiten, die bei Bedarf zum Schutz des Konvois eingesetzt werden konnten.
In den Lagerbereichen im Schiffsinnern ruhten die Warencontainer stabil verstaut in Wabenhallen mit riesigem Fassungsvermögen. Alles gruppierte sich rings um einen zentralen Verladegang, der die Längsachse der kompletten Walzenzelle durchlief.
Die Habitate waren so ausgestattet, dass sie großzügigen Raum und geschmackvolle Einrichtungen boten, sodass sich jeder an Bord wohlfühlte, egal welchen Rang er bekleidete. Schließlich waren die Sippenmitglieder die meiste Zeit im Weltraum unterwegs, und für die Matriarchin war es wichtig, dass ihre Leute nicht gleich an der erstbesten Raumstation die Flucht ergriffen. Man war aufeinander eingespielt, konnte sich aufeinander verlassen – und vor allem war es wichtig, zusammenzuhalten.
So wie derzeit.
Nicht nur Thrione Meykara fuhr zusammen, als auf dem offenen Kanal eine herrische Stimme durch das Raumschiff schallte.
»Achtung, X-MEYKAR! Sofort in Parkposition gehen und weitere Anweisungen abwarten!«
Darauf folgte Stille.
Thrione Meykara lauschte dem Hall eine Weile nach. Somsat hatte es die Sprache verschlagen.
Der Kapitän meldete sich aus der Zentrale: »Das waren die Arkoniden ...«
»Dessen bin ich mir bewusst.« Die Matriarchin strich ihre Kleidung glatt und prüfte mit sensiblen Fingern den Sitz ihrer Frisur. Sie griff in eine Seitentasche und drückte einen Empfänger in ihr Ohr. Zu ihrem Schatten Somsat Meykara gewandt, sagte sie: »Du wirst diese Leute begleiten, sobald sie an Bord sind. Denn sie werden an Bord kommen, da bin ich mir sicher.«
»Können wir uns nicht dagegen verwahren? Immerhin haben wir einen wichtigen Termin und sind sogar für Arkon unterwegs, um die weiteren Schritte des Kammuroh-Geschäfts zu arrangieren.«
»Das interessiert diese Randzonenkeimlinge nicht. Du wirst sehen.«
Somsat nickte und grinste hintergründig. »Die werden auch sehen.« Sie verließ den Raum, um sich vorzubereiten.
»Funkstation, stellen Sie den Außenkontakt zu mir durch!«, befahl die Matriarchin. Augenblicke später aktivierte sich vor ihr ein Akustikfeld, mit dem sie auf Sendung oder Stumm gehen konnte. »An wen auch immer da draußen: Wir haben die anonyme Nachricht erhalten. Ohne korrekte Identifizierung kommen wir aber überhaupt keiner Aufforderung nach!«
In ihrem Ohr hörte sie eine leise Stimme. »Matriarchin, eins der Kampfschiffe aus der Wachflotte in unserer Nähe kommt direkt auf uns zu. Es aktiviert die Waffensysteme.«
Sie schaltete die Mikrofonfunktion der Außenkommunikation kurz ab. »Die scheinen entweder extrem übereifrig oder extreme Anfänger zu sein. Nun gut, seine besten Leute schickt man nicht auf so einen öden Außenposten, selbst wenn er hochtrabend auch Aarakh Ranton heißt. Wachdienst zu schieben, ist keine besondere Aufgabe, bei der man sich profilieren kann. Auch nicht, wenn man sich vorgeblich als Zollbehörde ausgibt.«
»Aha, jetzt meldet er sich.« Die leise Stimme klang amüsiert.
»X-MEYKAR, hier spricht Kommandant Tronep Sha von der MONDAD. Ganz recht, das Schiff, das Sie auf sich zukommen sehen.« Im Kommunikationshologramm erschien das Konterfei eines jungen Arkoniden, der unzweifelhaft von der Kristallwelt stammte. Sehr glatte Haut, markant geschnittenes Gesicht, fast weiße Haare und rötliche Augen. Er trug eine blütenweiße Uniform mit nur wenigen Abzeichen an der linken Brustseite und eine arrogante Miene zur Schau, die Thrione keinen Moment über seine Nervosität hinwegtäuschen konnte. Wahrscheinlich war er erst frisch im Dorsystem eingetroffen und gleich für diesen Posten eingeteilt worden. Nun, dann würde er eben im Schnelldurchgang lernen müssen.
»MONDAD, hier antwortet X-MEYKAR I, die Matriarchin Thrione Meykara persönlich. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie befinden sich in einem Sperrgebiet.«
»Reden Sie keinen Unsinn, wir sind Mehandor, und dort vorn ist unser Gespinst. Das ist Mehandorgebiet, nicht arkonidisch.«
»Nun, dennoch muss man sich ordnungsgemäß und rechtzeitig ankündigen und ...«
»Kommandant Sha, ich bin angekündigt, und ich habe einen Termin!«, unterbrach sie scharf, um sogleich liebenswürdig lächelnd fortzusetzen: »Am besten besprechen wir das persönlich. Bitte kommen Sie doch an Bord, und bringen Sie Ihr Enterk... Ihre Zollfachleute gleich mit.«
Das brachte ihn für einen Moment außer Fassung. »Sie ... bitten mich an Bord? Freiwillig?«
»Nun ... Was sollte ich denn sonst tun?«
»Ich dachte, weil ... Ihre Fracht ...«
»Ich bitte Sie! Vergessen Sie diese absurden Schmugglergeschichten aus romantischen Dichtungen oder Holoabenteuern – die Realität sieht ganz anders aus. Nüchtern gesagt, Zeit ist Geld. Und mich interessiert nur der Profit, den ich wegen so einer Lappalie nicht gefährden werde. Wir sind doch alle zivilisiert und bestrebt, einen guten Handel zu tätigen. Ich erleichtere Ihnen daher die Arbeit und kann dafür pünktlich meinen Termin wahrnehmen. Dass ich den verpasse, möchten Sie nämlich nicht riskieren. Keinesfalls!«
Sie legte nahtlos wieder Autorität in ihre Stimme und Haltung. Der junge Kommandant wirkte nun deutlich verunsichert.
»Er desaktiviert die Waffen«, säuselte es in ihrem Ohr.
»Schicken Sie ein Beiboot, wir übermitteln Ihnen die erforderlichen Koordinaten zwecks Einschleusung in unserer Habitatmodul. Mein Schatten Somsat Meykara wird Sie empfangen und in allen Fragen unterstützen.«
Sie beendete die Verbindung, ohne eine Antwort abzuwarten. Somsat kehrte soeben zurück, und die Matriarchin musterte sie streng.
Ihre Nichte hatte zwischenzeitlich die Kleidung gewechselt und ein eng anliegendes, schwarzes Oberteil angezogen, das wie eine zweite Haut wirkte. Darüber trug sie einen farbigen Überwurf, der ihre Augenfarbe betonte, mit nackenhohem, umgestülptem Kragen, unterhalb der Brust bis zur Taille war er geschlossen. Ab der Taille schwang er offen glockenförmig ausgestellt bis zu den Knöcheln. Dazu hatte sie enge, schwarze Hosen mit fein eingewebten Silberfäden gewählt, die ihre langen, schlanken Beine betonten, sowie schwarze Stiefeletten mit Stulpen und halbhohem Absatz. Ihr Schmuck an Ohren, Hals, Handgelenken und Fingern war ebenfalls auf das Outfit abgestimmt. Lediglich ihr tizianrotes Haar mit den derzeit schwarzen und blauen Strähnen trug sie schmucklos wie immer. Es war kurz, mit beiderseitig rasierten Schläfen, und vom Hinterkopf entsprang ein dicker Zopf, der über den Kragen bis zu den Lendenwirbeln hinabfiel. Ihre ätherische, elegante Figur ließ nicht erahnen, dass sie genauso wie Thrione jeden Tag ein intensives Kraft- und Ausdauertraining absolvierte. Mehandor in hoher Position zu sein, erforderte eine eiserne Gesundheit und jede Menge Durchhaltevermögen.
»Sehr gut«, lobte Thrione. »Schone ihn nicht!«
Diese Aufforderung war eigentlich nicht notwendig, das wusste sie. Somsat Meykara nahm gern jede Gelegenheit wahr, den hochnäsigen Arkoniden einen nachhaltigen Dämpfer zu verpassen.
Mehandor waren durch ihre halbnomadische Lebensweise extrem freiheitsliebend. Bevormundungen, insbesondere seitens der Arkoniden, brachten ihre ohnehin temperamentvollen Gemüter schnell in Wallung. Um nicht zu sagen, Mehandor hassten jede Form der Einschränkung und Einmischung. Und noch mehr hassten sie es, vor einem wichtigen Termin aufgehalten zu werden.
Es mochte ja sein, dass die Meykara sich in arkonidischem Hoheitsgebiet aufhielten – aber sie wollten ja nur zum Gespinst, das zweifelsfrei allein den Mehandor gehörte. Thrione Meykara und ihre Sippe interessierten sich nicht im Geringsten für den Planeten oder das, was in dem System vor sich ging. Aus der allgemeinen Politik hielten sie sich heraus, die Thronkämpfe der Kelche boten für sie eher Anlass zu Spott.
*
Somsat Meykara erwartete das Zollkommando – oder was auch immer es sein mochte – an der Schleuse zum Konferenz- und Gästebereich.
Sie wandte den Kopf, als sie jemanden herbeieilen sah – Lawwassatt in seinem Raumanzug!
»Hast du das gesehen?«, rief der Fantan. Sein ganzer Körper wackelte vor Aufregung. »Da draußen? Besun! So viel Besun! Haufenweise Besun!«
Die junge Frau unterdrückte ein Schmunzeln. »Und du denkst, darunter ist auch dein besonderes Besun?«
»Ja! Nein. Weiß nicht. Ich muss es herausfinden!«
Er war völlig außer sich. Fantan konnten angesichts einer Menge Besun schon mal die Fassung verlieren – insbesondere wenn sie sich entscheiden mussten, was sie denn nun auswählen sollten.
Somsat runzelte die normalerweise völlig glatte Stirn. »Lawwassatt, mach keinen Unsinn! Zieh den Raumanzug aus, und geh in deine Unterkunft. Wir können keinen Ärger gebrauchen, und du könntest uns eine Menge davon bereiten, wenn du da draußen herumirrst, Besun schreist, und versuchst, die Arkonidenschiffe auseinanderzunehmen.«
»Aber das merken die doch gar nicht!«
»Lawwassatt!«
»Somsat?«
Da erst fiel ihr auf, dass ihre Namen ähnlich endeten. Das erzeugte in ihr das Gefühl, dass der Fantan zur Sippe gehörte. Sie wusste, dass es sinnlos war, dennoch unternahm sie einen weiteren Anlauf, an seine Geduld zu appellieren: »Du wirst noch jede Menge Besun bekommen, ich verspreche es dir. Und ich werde dir auch helfen, nach dem wahren Besun zu suchen. Aber bitte vermassle es uns nicht! Die Arkoniden mögen dich noch weniger als uns. Wenn du denen etwas stiehlst, sind die imstande, dich aus der Luftschleuse zu stoßen. Vermutlich ohne Raumanzug.«
Sie sah ein seltsames Aufblitzen in einer der Gruben. »Meinst du wirklich? Ohne Raumanzug? Und ich dachte, die wären zivilisiert!«
»In solchen Belangen nicht. Da kennen die nichts. Glaub mir.«
»Aber ich stehle doch gar nicht, ich ...«
»Lawwassatt!«
Er zuckte vor dem unerbittlichen Tonfall zurück und neigte sich dann leicht zu ihr, eine Hand tätschelte unbeholfen ihren Arm. »Nur mal kurz schauen ...?«
»Auf gar keinen Fall! Geh bitte, das sage ich zum letzten Mal. Sie sind jeden Moment da, und sie sollten dich gar nicht erst zu Gesicht bekommen. Andernfalls kann ich so viele Unterlagen zeigen, wie ich will, die werden nur noch Angst haben, dass du herausfinden könntest, was sie hier treiben.«
»Und das wäre schlecht?«
»Sehr schlecht. Die Matriarchin verlangt absolutes Schweigen darüber und nicht den Hauch einer Vermutung. Es ist sehr ernst, glaub mir. Das könnte uns alle in Lebensgefahr bringen. Und wir Mehandor halten uns aus solchen Dingen raus, das weißt du genau – so halten die Fantan das schließlich auch.«
Lawwassatt zog die Hand zurück. »Also gut.« Im wahrsten Sinne des Wortes geknickt schlich er von dannen.
Somsat atmete auf – und hoffte, dass sein Gehorsam wenigstens so lange anhielt, bis die Arkoniden wieder abgezogen waren. Sie machte sich allerdings keine Illusionen darüber, dass Lawwassatt bei der nächstbesten Gelegenheit verschwinden würde, um Besun zu finden – vielleicht sogar das ganz besondere. Die Meykarasippe hatte es ihm offensichtlich nicht bieten können, und nachdem er nun am Ziel angekommen war, benötigte er sie nicht mehr.
Obwohl man mit so etwas immer rechnen musste, wenn man einen Fantan mitnahm, tat es Somsat Meykara fast leid, ihn zu verlieren. Sie mochte dieses schrullige Fremdwesen. Das ging nicht so weit, dass sie ihn als Freund oder gar »Besun« erachtete, dennoch ... er würde ihr fehlen.
Der Kommandant wurde von vier weiteren Arkoniden begleitet, die dunkel gewandet waren und wie Buchhalter wirkten. Die sehen doch alle gleich aus, egal von welchem Volk, dachte Somsat Meykara. Mit solchen Gestalten mussten sich die Mehandor leider oft mehr herumschlagen als mit Ungeziefer, das man irgendwie immer mit an Bord brachte.
So wie diese Triblets, daumennagelgroße, eigentlich knuffig wirkende Biester, die sich aber bei gutem Futter alle paar Zentitontas dreiteilten und extrem gefräßig über sämtliche Arten von Stoffen herfielen. Dummerweise waren sie mit einer gewaltigen Ladung kostbarer Stoffe an Bord gekommen, und der Schaden, den sie in den betroffenen Frachtarealen angerichtet hatten, war rasch in astronomische Höhen gewachsen, im selben Maße wie die Triblets sich zigfach vermehrten. Thrione Meykara hatte einen professionellen Schädlingsbekämpfer beauftragen müssen, um ihrer Herr zu werden, aber da war schon kaum mehr etwas zu retten gewesen.
Zufälligerweise war den Mehandor aber ein aufstrebender, wenngleich erfolgloser Modedesigner über den Weg gelaufen, als sie die löchrige Ware auf einem schäbigen Markt für ein geringes Entgelt hatten entsorgen wollen. Der Mann hatte ihnen das gesamte Kontingent abgenommen. Geld hatte er nicht bezahlen können, aber er hatte den Meykara eine Umsatzbeteiligung angeboten.
Thrione mit ihrem unbeirrbaren Sinn für ein gutes Geschäft hatte eingewilligt – sehr zum Entsetzen der restlichen Sippe. Einer der Entsorgungshändler hatte immerhin eine – wenn auch extrem geringe – Barsumme in Chronners geboten, also etwas Handfestes und nicht bloß die vage Idee eines Träumers.
Doch warum war sie wohl die Matriarchin? Thrione hatte das Talent des jungen Manns erkannt, in unverbrüchlichem Optimismus aus dem Schlimmsten das Beste zu machen. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Lochmuster-Kleider, -Röcke, -Hosen und -Umhänge zum großen Renner der Modesaison. Der Träumer wurde zum Star, erwies sich als vertrauenswürdig und in seinem Dank sogar großzügiger als vereinbart, was den Verlust durch den Tribletfraß mehrfach wettmachte.
Derzeit indes hatten die Meykara enorm wertvolle Fracht an Bord, für die es jede Menge Interessenten gab – sofern sie ihre Verpflichtungen einhielten! Blieb also zu hoffen, dass die Arkoniden vernünftig waren.
Somsat Meykara prustete beinahe los über den Witz, der ihr unwillkürlich einfiel. Ein beliebter Spruch unter den Mehandor lautete: »Was ist der Unterschied zwischen einem Arkoniden und Vernunft? Nun, die Vernunft siegt immer – und das andere ist ein Arkonide!«
Endlich öffnete sich das Schott, und Somsat Meykara musste insgeheim grinsen. Sie hatte das Schleusenpersonal angewiesen, die Arkoniden gründlichst unter die Lupe zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass die Mehandor ebenso auf Sicherheit bedacht waren und nicht arglos einfach jeden an Bord ließen, der behauptete, etwas kontrollieren zu dürfen.
Der junge Kommandant Tronep Sha – er mochte höchstens ein oder zwei Jahre älter sein als Somsat – zeigte eine entsprechend erboste Miene, als er sich ihr mit seinen Leuten näherte.
»Wir hatten uns doch bereits bei der Matriarchin legitimiert!«, beschwerte er sich grußlos.
Also konnte Somsat gleichfalls auf gekünstelte Höflichkeiten verzichten, was ihr sehr recht war. Jemanden willkommen zu heißen, der nicht willkommen war, rangierte bei ihr auf der diplomatischen Skala ganz unten. Allerdings fühlte sie ein kurzes Bedauern, dass er dem falschen Volk und Beruf angehörte, denn er sah wirklich recht akzeptabel aus.
»Oh, Sie ahnen nicht, was die Konkurrenz alles unternimmt, um Spionage zu betreiben. Es ist immer ein Wettlauf gegen die Zeit, beim neuesten Trend ganz vorn zu sein. Wir sind geprägt von Misstrauen – ein Wesenszug, der dem Ihren nicht unähnlich ist, nicht wahr? Somit sollten wir uns alle prächtig verstehen.«
Er starrte sie verblüfft an; vermutlich wunderte er sich darüber, dass sie ganz allein fünf Arkoniden gegenübertrat. Seine Begleiter verzogen indigniert das Gesicht und machten keinen Hehl aus ihrer Herablassung.
Damit hatte Somsat überhaupt kein Problem. Wen sie nicht ernst nahm, der konnte sie auch nicht beeindrucken.
»Folgen Sie mir bitte«, forderte sie die Gruppe mit verführerischem Lächeln auf. »Nebenan gibt es einen Besprechungsraum, in dem wir ungestört alle Formalitäten klären können. Gestatten Sie, dass ich vorangehe.«
Sie drehte sich um und bewegte sich in einer einstudierten Weise, von der sie wusste, dass sie auf Arkoniden wirkte. Jedem Volk gegenüber mussten Gebärden, Haltung und Stimmlage stimmen, um seine Vertreter für sich einzunehmen.
»Können wir auch noch mit der Matriarchin sprechen?«, wollte Sha wissen, während sie sich auf die Sitze um den runden Tisch im Besprechungsraum verteilten.
»Ich bin für diese Angelegenheit zuständig, das hat Thrione Meykara verständlich ausgedrückt, wenn ich mich recht entsinne«, erwiderte Somsat. »Die Matriarchin verkehrt nur mit höheren Rängen. Auch ich normalerweise, aber aufgrund der Dringlichkeit der Situation nehme ich mich der Sache lieber selbst an. Sie wissen ja, wie wenig Verlass auf Personal ist, und dass gute Leute rar sind.«
Die Arkoniden nahmen die Spitzen reglos hin. Somsat übergab ihnen ohne weiteres Geplänkel die benötigten Unterlagen.
»Sie sehen«, sagte sie, während die Buchhalter alles gründlich studierten, »dass nicht der geringste Grund zum Misstrauen besteht. Unser Aufenthalt hier ist völlig legal, unsere geschäftlichen Termine finden im Gespinst statt. Unsere Fracht ist bereits am Verladeort ordnungsgemäß verzollt worden.«
»Es sieht zumindest danach aus«, gab einer der Buchhalter zu, der es genauso wenig wie seine Kollegen für nötig erachtete, sich vorzustellen.
Deswegen überhörte Somsat seine Bemerkung und ignorierte ihn durch eine deutliche Haltung, indem sie ausschließlich dem Kommandanten zugewandt blieb.
»Wir sind Ihnen sehr großzügig entgegengekommen und werden nun den Flug zum Gespinst fortsetzen«, sagte sie lächelnd. »Sollen wir Sie noch ein Stück mitnehmen? Wollen Sie sich dort eine Pause gönnen? Es gibt jede Menge Angebote.«
Damit zeigte sie Anstalten, sich zu erheben.
»Sobald wir die Fracht kontrolliert haben.«
Somsat überhörte auch dies, weil es nicht von Sha kam, und verließ den Tisch.
Der Kommandant schien zu begreifen, dass es auf ihn ankam. »Wir müssen leider Ihre Fracht kontrollieren.«
Somsat hielt auf dem Weg zur Tür inne und drehte sich ihm halb zu. »Wie bitte?«
»Wir müssen ...«
»Sie müssen gar nichts. Hier in den Unterlagen sehen Sie, dass die Fracht bereits kontrolliert und mit Siegel versehen wurde!« Nun ließ sie jegliche Diplomatie fahren. Das ging zu weit.
»Aber wir wissen nicht, ob unterwegs nicht ein Austausch stattgefunden hat ...«
Sie merkte dem Arkoniden an, dass ihm die Unterhaltung allmählich unangenehm war – und dass er überhaupt keine Lust auf eine Inspektion hatte. Das war normalerweise nicht Bestandteil seines Aufgabenfelds. Aber die Buchhalter bestanden darauf.
»Ein Austausch ...?« Somsats Stimme wurde sehr leise. »Wollen Sie uns damit des ...« Sie brachte das Wort kaum über die Lippen, musste es geradezu herauswürgen. »... Vertragsbruchs bezichtigen?«
»Wenn du einen Vertrag mit einem Mehandor machst, lies ihn zehnmal durch«, zitierte einer der Buchhalter.
»Der Vertrag ist unterzeichnet.« Ihre Stimme war nur noch ein kaltes Flüstern.
»Gewiss. Und wir werden uns davon überzeugen, dass er eingehalten wird«, beharrte der Arkonide.
»Sie können Roboter zum Scannen hereinschicken, das nimmt höchstens eine oder zwei Tontas in Anspruch.«
»Nein, wir müssen auch persönliche Kontrollen vornehmen.«
Somsat war nahe dran, die Geduld zu verlieren. »Das ist Schikane, und das wissen Sie!«
»Sie können selbstverständlich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen«, fuhr der Buchhalter ungerührt fort. »In diesem Fall werden wir den Konvoi beschlagnahmen und unter Bewachung halten, bis die Lage geklärt ist.«
Somsat musste sich ihm nicht zuwenden, um zu wissen, dass er höhnisch lächelte. Sie zwang sich, Haltung zu bewahren, schluckte den Zorn über diese Demütigung hinunter und drehte sich abrupt um.
»Wie Sie wünschen!«, sagte sie lächelnd, aber so scharf, dass nun doch ein paar der Arkoniden zusammenzuckten. »Ich hoffe, Sie haben genügend Leute für diese Herausforderung! Denn wenn Sie dabei so gründlich sein werden, wie Sie es offenbar vorhaben, wird das Wochen in Anspruch nehmen. Kein Problem für uns! Was bis dahin verdirbt oder anderweitig unbrauchbar und unverkäuflich wird, wird Ihre Behörde problemlos ersetzen, laut den Statuten, die Sie bestimmt auswendig kennen. Wir haben nichts zu verbergen! Aber lassen Sie sich gesagt sein ...«
Sie machte einen Schritt in drohender Haltung auf den Tisch zu. »Sie werden sich ausschließlich im inneren Frachtraum und an den Außencontainern aufhalten, Sie werden keine sonstigen Räumlichkeiten betreten, Sie werden mit niemandem sprechen, außer mit Ihresgleichen, Sie werden sich nur zur Kontrolle hier aufhalten, nichts mitbringen, nichts zu sich nehmen, und werden bei jedem Kommen und Gehen in unseren Schleusen durchsucht, gescannt und dekontaminiert. Außerdem werden Sie sich jedes Mal legitimieren, und wir werden bei Ihrer Behörde Rückfrage halten, ob Sie die sind, als die Sie sich ausgeben. Egal wie oft Sie kommen und gehen. Bezüglich Ihrer Amtsanmaßung werde ich mit der Matriarchin sprechen und ihr empfehlen, ihre sehr guten Kontakte zu einigen Adelsfamilien von Arkon zu nutzen. Außerdem werde ich unsere Anwälte beauftragen, die Lage zu prüfen, und vorsorglich eine Klage wegen Schadensersatzforderung aufsetzen lassen, bei der Sie alle miteinander persönlich in die Pflicht genommen werden.«
Sie hielt inne, um Luft zu holen, und zeigte nun ihr schönstes kaltes Lächeln. »Haben wir uns verstanden? Ausgezeichnet! Dann können wir anfangen.«
Damit rauschte Somsat Meykara hinaus.
*
Wie sich bald herausstellte, wurde die Möglichkeit der Robotscans unter Aufsicht einiger Arkoniden am Ende doch als effizienter erachtet. Die drei Mehandorraumschiffe sollten zudem gleichzeitig kontrolliert werden, was dennoch mehrere Tontas in Anspruch nehmen würde.
Dies waren die neuen Vorschriften im Dorsystem, daran ließ sich nichts ändern. Dass sich in diesem besonderen Fall jemand auf die überpenible Durchsetzung dieser Regularien versteifte, um seine Karriere voranzutreiben, stand zweifelsfrei fest. Dennoch hatte Thrione Meykara keine Lust, ihre Energie darauf zu verschwenden, den Arkonidenkommandanten noch mehr in die Schranken zu weisen. Es hatte genügt, keine Angst zu zeigen und klarzustellen, dass man nicht irgendwer war, der sich von jedem dahergelaufenen Anfänger einschüchtern ließ, nur weil ihm ein Kriegsschiff unterstand.
Die Matriarchin war zufrieden mit ihrem Schatten. Sie bereitete sich nun auf ihre wichtigen Termine vor und beschloss, sollte die Zeit zu knapp werden, mit einem Beiboot einfach vorauszufliegen und schon mal das Wichtigste zu erledigen.