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2. Spanferkel und Schlauchbootlippen

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Mein persönliches Scheusal ist nicht irgendein Scheusal, sondern meine Strafe für alle schlechten, abgrundtief bösen Sünden, die in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft auf meine Rechnung gehen.

Anders kann ich mir dieses Phänomen »Chef« nicht erklären.

Wenn man das überhaupt so nennen kann. Mein Chef ist die Inkarnation von allem, was man sich an einem Vorgesetzten nicht wünscht: Er ist ein Nörgler, ein Langeweiler, ein Paragraphenreiter, er ist unfreundlich, sehreit gerne und oft und hält sich für Casanova höchstpersönlich. Man muss meinem Chef aber auch Gutes anrechnen: Er hält einen immer ganz schön beschäftigt, das lenkt mich dann wenigstens tagsüber etwas ab.

»Junge Frau! Wie schön, dass Sie uns auch wieder einmal beehren!«, poltert es auch schon ironisch hinter mir. Ach was, auch schon da. Ungewöhnlich früh, im Übrigen. Sonst taucht er immer erst so gegen zehn Uhr auf.

Dr. Tief engrund ist ein kleiner, dicker Mann mit einer Halbglatze, die er mit einem ungeheuer schlecht sitzenden Toupet stets zu kaschieren bemüht ist. Das Toupet fällt nicht nur durch die schlechte Passform auf, sondern auch dadurch, dass es heller ist als seine eigenen Haare. Schaut ein bisschen so aus wie Janoschs Tigerente, wenn ich es mir recht überlege. Dr. Tiefengrund ist wegen seines enormen Leibesumfanges immer außer Atem und hat, weil er immer atemlos ist, stets einen hochroten Kopf. Kann man nachvollziehen, finde ich. Atmen ist ja auch anstrengend!

Weil er unheimlich unfit ist und sich ständig am Rande eines Herzinfarktes bewegt, ist er stets übel gelaunt. Er sieht ein wenig aus wie ein Schwein, finde ich. Deshalb nenne ich ihn immer »Spanferkel«, wenn ich über ihn spreche, das verleiht ihm wenigstens einen Hauch von Humor. Böse Zungen würden sagen, dass ich die Reputation meines Vorgesetzten auf diese Weise zerstöre, aber es ist überhaupt nicht nötig, seinen Ruf zu schädigen. Der ist schon hin. Über mein Spanferkelchen quatscht man vom ersten bis ins sechste Stockwerk mehr als genug. Die Skandale kleben an ihm wie sein ständiger Mundgeruch.

Neulich beispielsweise hat er eine Kundin, die sich telefornisch beschweren wollte, furchtbar abgekanzelt. Sogar hinter verschlossener Tür war sein Gebrüll noch zu verstehen. Keine fünfzehn Minuten später ist jemand aus der sechsten Etage heruntergekommen. Die sechste kann man sich als unseren Olymp vorstellen, denn die Götter, denen wir huldigen, sitzen dort in tadellos sitzenden Nadelstreifenanzügen und beobachten uns mit Argusaugen. Dann gibt es noch die Halbgöttinnen, das sind die rechten Hände unserer Vorstände in der sechsten Etage, die makellosen Mega-Assistentinnen.

Und so eine gut gekleidete rechte Hand stolzierte ohne ein Begrüßungswort an mir vorbei, öffnete die Tür zum Spanferkel und verkündete mit arktischer Stimme: »Herr Dr. Salz möchte Sie unverzüglich sprechen.« Es stellte sich heraus, dass die Kundin, Frau Dr. Salz, die Frau des Vorstandsvorsitzenden gewesen war.

Lange erzählte man sich diesen Mythos hinter vorgehaltenen Händen und amüsierte sich königlich. Und mein Ferkelchen hatte von all den Gerüchten nie auch nur den Hauch einer Ahnung. Manchmal frage ich mich, ob er einfach nur ignorant ist und nichts merkt oder ob er das Getuschel im Flur gar nicht bemerken will.

»Guten Morgen«, grüße ich höflich.

»Kommen Se gleich in mein Büro, ja? Frau Baduse wird mich heute früh aufsuchen, und ich will dann nicht weiter gestört werden. Wie Sie ja bereits wissen, ist sie eine wichtige Klientin und verlangt meine volle Aufmerksamkeit«, schnauft Chefchen lokomotivartig und walzt dann in seine Gemächer. Aha! Daher weht der Wind! Morgendlicher Sex mit seiner Freundin ist angesagt. Also hatte das Spanferkelchen gestern Nacht Stress mit der Gattin. Was die an ihm gefunden hat, ist uns allen hier ein Rätsel. Frau Tiefengrund ist nämlich eine wirklich intelligente und schöne Frau. Man hätte ihr mehr als diese Art von Göttergatte zugetraut.

Der Vormittag fliegt dahin.

Ich lege Dokumente in Ordnern ab, nehme unzählige Telefonate entgegen, schreibe einige Briefe und beantworte die wichtigsten E-Mails. Die Tür, die das Büro des Spanferkels mit meiner verbindet, ist, wie üblich, geschlossen. Das empfinde ich durchaus als Wohltat. So kann er mich wenigstens nicht alle fünf Minuten nerven.

Was gibt es denn Neues? Aha, eine Kundenbeschwerde. Das Beantworten schriftlicher Beschwerden ist seit dem Vorfall mk Frau Dr. Salz mein Job.

»Sehr geehrter Herr ...«, beginne ich konzentriert. Nachdenklich kaue ich an meinem Bleistift. Vielleicht sollte ich doch besser anru ...

»Peng!«

Erschrocken lasse ich den Bleistift fallen. Das Spanferkel ist ja seines Titels ein würdiger »Creative-Director«, sein Erfindungsgeist kennt also folglich keine Grenzen. Er erfindet ständig neue Methoden, mich in sein Büro zu beordern. Vor einem Jahr beispielsweise hat er lauthals »Frrrraauuu Teuuuufeeeell!« durch die geschlossene Tür geschrien. Schwer zu ignorieren, so ein Gebrüll. Als ihm das nach einiger Zeit zu langweilig erschien, hat er einen Gong aus Messing geschlagen, den er neben seinem Tisch angebracht hatte. Der war ihm jedoch nicht laut genug, so dass ich das leise »Boiiing!« oft erfolgreich ignorieren konnte. Der Gong ist dann einer goldenen Kuhglocke gewichen. Deren Läuten hat mich immer stark an eine dahinsiechende Kuh im Todeskampf erinnert. Das »Peng« ist allerdings neu. Hört sich an wie ein Pistolenschuss. Ob er sich neuerdings ein Luftgewehr gekauft hat? Genervt seufzte ich auf und trete an die Tür, als ich dicht vor meinem Kopf ein erneutes »Peng« vernehme. Die Tür erzittert kurz und ich schrecke zurück und warte mit klopfendem Herzen einige Sekunden ab.

Zaghaft öffne ich die Tür und luge vorsichtig durch den Spalt.

Bin versucht, eine weiße Fahne zu schwingen, leider sind die Tempos gerade alle.

»Aaaahhh! Endlich! Sind heute wohl net ganz helle, was? Kommense rein, Frau, kommense rein!« Er winkt mich heftig herein.

Tapfer begebe ich mich ins Minengebiet und überschreite die Türschwelle. Um mich herum liegen fröhlich bunte Radiergummis auf dem Boden verstreut. Was denn, Radiergummigeschosse können so ’nen Radau verursachen?

»Also Se apportiern ma jetzt die Radiergummis in meine Schale hier,« er weist auf eine rote Glasschüssel, die randvoll mit Radiergummis ist, »un so nehmen Se jetzt immer ihre Order entgegen, ja?« Freudig reibt sich das Spanferkel die fetten Hände. Fehlt nur noch, dass er sich quiekend vor mir auf dem Teppich wälzt.

Während ich mich bücke, glotzt das Spanferkel mir abwechselnd in den Ausschnitt, auf die Beine oder den Hintern. Tja, was soll ich sagen? Er kann ja gar nichts dafür, schlechtes Benehmen liegt im Naturell aller Schweine. Nun weiß ich jedenfalls, warum er das mit den Radiergummigeschossen eingeführt hat. Schweinische Gelüste und so. Braucht wohl so etwas wie eine Warm-up Runde für Baduse.

Jedenfalls ist mir heute nicht danach, mich ansabbern zu lassen, nicht einmal mit der sicheren Schreibtischbarriere zwischen uns. Sonst bin ich ja nachsichtig und schiebe seine schlechten Manieren darauf, dass kein Schwein so etwas wissen kann, aber heute sollte er doch besser vorsichtig sein. »Wehe dem, der mir heute auf die Füße tritt!« sage ich nur. Noch ehe das Spanferkel eine Order loswerden kann, klingelt es vorne an meinem Schreibtisch. Ha! Schwein gehabt!

Der Elf-Uhr-Termin, Erika Baduse, die fleischgewordene Manifestation der puren Idiotie, wie sie wogt und bebt, steht vorne an meinem Schreibtisch.

Wenn es einen Preis für das dümmste Geschöpf der Welt gäbe, könnte sie keiner schlagen. Und wenn es einen Preis für die meisten Schönheitsoperationen gäbe, würde sie nur mit Pokalen in der Hand herumlaufen. Ob es wohl irgendeinen Bereich ihres deformierten Körpers gibt, an dem nicht irgendwie herumgenäht, gesaugt oder gepiekst oder gepumpt worden ist? Neeee, sicher nicht. Die Frau ist so prall gefüllt mit Silikon, dass sie stellenweise wie eine Wassermelone aussieht. Nehmen wir doch einmal Baduses Lippen. Ach was, das waren irgendwann einmal Lippen, aber jetzt sind sie aufgedunsen und bewegungsunfähig, wie zwei übereinander liegende, kirschrote Bananen. Offiziell ist sie eine Kundin, die Inhaberin einer Autogalerie, die ihr geschiedener Mann mit viel harter Arbeit aufgebaut hatte und die sie ihm dann im Scheidungsprozess abgeknöpft hat. Jeder in der Firma weiß, dass die Wasserstoffsuperoxyd-gebleichte Tussi mit dem Spanferkel mehr tut als sich über Werbekampagnen für Autos zu unterhalten.

Just in diesem Moment tritt Baduse durch die Tür.

Meine Güte! Sie sollte sich ihre Brüste besser nicht noch mehr auf pusten lassen, sonst werde ich Bleigewichte an ihren Beinen befestigen müssen, wenn sie zu uns in den vierten Stock kommt, damit sie nicht davonfliegt!

Baduse grüßt mich nicht, sondern nickt mir nur hochnäsig zu und tritt unaufgefordert in das Büro ein.

Naja, wie soll sie auch grüßen, es fällt ihr sicher schwer, die Lippen zu bewegen, womöglich platzen sie, denke ich hämisch.

»Hallo Ferkelchen!«, flötet Baduse geziert.

Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken. Na ja, was Spanferkels Namen angeht, scheinen wir uns doch wenigstens einig zu sein.

»Erika! Schön, dass de endlich da bist. Komm’ her, Süße, und lass dich anschauen. Toll siehste aus, wirklich! Keinen Tag älter als achtzehn!«, schmeichelt Dr. Tiefengrund salbungsvoll.

Erika lacht fiepend. Habe ich erwähnt, dass sie mich unglaublich an Spaghetti Napoli erinnert, mit dem tomatenroten Minikleidchen, das die solariengebräunten Schenkel gerade über der Schamachse bedeckt und den nudelgelben, spaghettidünnen Haaren, die im Verhältnis zum grellroten Mund und der tiefen Bräune ihres Gesichtes wie ein kosmetischer Unfall wirken?

Spanferkels Gesicht ist tiefrot angelaufen, seine Schweinsäuglein kullern glücklich über ihre Beine, den gelifteten Po und den drallen Busen.

»Schatzi, sach deiner Tippse, dass ich Latte will«, quengelt sie mit schmollend vorgeschobener, rotlackierter Lippe, was ich vom wissenschaftlichen Standpunkt her gesehen hochinteressant finde. Dachte wirklich nicht, dass ihre Schlauchboote so mobil sind! Ob sie platzen, wenn man da eine Nadel reinsticht?

»Frau Teufel! Ich will einen Latte Macchiato für Frau Baduse, aber dalli!«, schreit Dr. Tiefengrund wichtigtuerisch.

»Jaja«, knurre ich ungehalten. So’n Vollidiot! Wie wäre es mit »bitte« und »danke«? Das wäre ja wirklich mal eine innovative Verbesserung!

Missmutig bringe ich ihnen den Latte Macchiato, den ich frisch von der Maschine im Flur gezapft habe.

»Schatz, sach der, der Latte is nich heiß genuch. Ich will aber heißen Latte!«

»Warum bringen Se Frau Baduse kalten Kaffee, Frau Teufel?«, fragt Dr. Tiefengrund scharf.

»Schatzi, sach’ der, die soll dat wieda mitnehmen, jetzt mach ich ihn nimmer.«

»Nehmen Sie das Zeug gefälligst wieder mit! «, blafft er mich an.

»Schatzi, die kuckt mich bös’ an. Sach’ der, die soll nich’ so kucken!« Verängstigt kauert Baduse sich eng an ihn.

»Frau Teufel!«, donnert er wütend, »Was fällt Ihnen ein, eine derart wichtige Person wie Frau Baduse so unverschämt anzustarren? Hinaus mit Ihnen, aber ein bisschen dalli, dalli!«, schreit Dr. Tiefengrund.

Verblüfft schaue ich vom einen zum anderen, wobei mir der schadenfrohe Blick und das gemeine Lächeln der Baduse nicht entgehen. Schlecht gelaunt hoffe ich, dass ihr Lächeln in Tausend Silikonbläschen explodiert.

»Schon gut!«, knurre ich wütend und stolziere mit dem Latte Macchiato in der Hand davon.

»Bitte stellen Sie nun keine Anrufe durch und stören Sie uns in den nächsten beiden Stunden nicht mehr, Frau Teufel. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«, ruft er mir nach, während Baduse eifrig auf seinen Schoß klettert und ihr Silikon vertrauensvoll in seine Hände legt.

Laut knalle ich die Tür zu und stelle den Latte Macchiato so heftig auf den Tisch, dass er überschwappt und ein cremefarbener Schaum auf die Glasplatte tropft.

Was für ein Blödmann und was für eine elende Schlampe! Wofür hält die sich eigentlich? Als ob nicht jeder weiß, was er und Schlauchbootlippe da drinnen nun treiben! Lächerlich!

Ich schnappe mir einen Haufen Dokumente, die dringend durch den Kopierer gejagt werden müssen und schlendere in den Korridor, wo er steht, der niegelnagelneue Develop 2035, mit digitalem Display, automatischem Zoom und eleganter Loch- und Heftfunktion. Es gibt Kollegen, die finden, dass dies ein irre hochtechnologisches, supermodernes Gerät ist. Das sind dieselben Leute, die morgens auf ihrem Hollandrad in die Tiefgarage rollen und sich gebärden, als hätten sie gerade einen heißen Ritt auf einer Harley hinter sich. Mir ist das Ding jedenfalls nicht geheuer. Irre finde ich es auch, aber in einem ganz anderen Kontext. Der Kopierer kann mich nicht leiden, davon bin ich felsenfest überzeugt. Vorsichtig schleiche ich mich an ihn heran.

Sein Display blinkt gefährlich grün und rot auf. Ein wenig sieht er aus, wie der »Terminator« im Todeskampf. Behutsam lege ich die Seiten in das Fach und drücke den Knopf, der die Maschine in Gang setzen soll. Leider passiert nichts. Ich drücke noch mal und dann noch zwei weitere Male. Unsicher schaue ich mich um.

»Los, mach’ schon!«, rede ich ihm gut zu, als ich mich unbeobachtet fühle und tatsächlich gibt er nun kleine Lebenszeichen von sich. Er rattert eine Weile und spuckt dann ein kohlschwarzes Blatt Papier aus.

Ich streichele ihn und versuche es nochmal. Ist ja immerhin ein Anfang. Endlich wirkt er beschäftigt, doch er schluckt lediglich meine Originale und wirft quietschend viele weiße Blätter heraus. Dafür mag er meine Kopiervorlagen nicht mehr hergeben. Das komplette Display blinkt feuerrot und eine blecherne Stimme erklärt mir immer wieder: »Papierstau, Papierstau!«

Als wenn ich selbst nicht darauf gekommen wäre! Ich öffne die Plastikhaube und betrachte das Innenleben der modernen Technik. Glücklicherweise sehe ich die Originale, der Kopierer fand es wohl lustig, alles wie ein Akkordeon zusammenzufalten. Das Spanferkel wird das nicht lustig finden, da bin ich mir sicher. Ich streiche die Seiten geduldig glatt und lege sie dem Kopierer wieder ins Maul. Er spuckt wieder nur eine Seite aus.

Da höre ich schon die Stimme der Kollegin Meier, die hat mir gerade noch gefehlt! »Sie bekommen ja auch gar nichts auf die Reihe, Frau Teufel, nichts für ungut. Sie dürfen Kritik nicht negativ verstehen, ich meine es nur gut mit Ihnen.«

Ich ziehe eine Grimasse. Bestimmte Menschen auf unserem Planeten leben nur, weil es auch Klugscheißer geben muss.

»Lassen Sie mich mal ran, ich habe es eilig.« Frau Meier kann alles, weiß alles besser und ist perfekt. Das denkt sie jedenfallsj und ich finde es zu mühselig, sie eines Besseren zu belehren. Soll sie es doch versuchen, sie wird schon sehen, was sie davon hat! Ich trete stumm beiseite. Lässig legt sie ihre Blätter ein, drückt ein Knöpfchen und stellt sich abwartend daneben. Der Kopierer gibt vor so viel geballter Autorität nach und vervielfältigt sorgfältig ihre Seiten. Kaum zu fassen! Ich gehe lieber wieder an meinen Platz und verschiebe das Kopieren auf später.

Frustriert hacke ich auf meiner Tastatur herum, als das Telefon klingelt.

»Vorzimmer Dr. Tiefengrund, mein Name ist Teufel?«, melde ich mich automatisch.

»Hallo, Frau Teufel! Schön, dass Sie da sind! Ich bin gerade in der Stadt und wollte meinen Mann besuchen. Ist er da?« Frau Tiefengrund ist Mutter von drei Kindern, Präsidentin des Museums in der Nordstadt und eine ungeheuer kultivierte und erstaunlich nette Frau.

»Er ist ähm ... gerade in einer Besprechung ... kann er Sie nicht gleich zurückrufen?«, stottere ich unbeholfen. Wie, bitte, hält man eine Ehefrau davon ab, ihrem Mann einen spontanen Besuch abzustatten?

»Es ist ein äußerst wichtiges Meeting, wissen Sie, es geht da um die Fusion ... und, äh, es sind auch noch externe Gäste dabei, das ist immer eine ernste Sache, ich weiß nicht, ob sie bis zur Mittagszeit schon fertig sein werden ... «, versuche ich Zeit zu schinden.

»Ach, ich bin mir sicher, er wird nichts gegen eine nette Unterbrechung haben«, sagt seine Frau leichthin.

»Oh, na ja, nein, eigentlich nicht, aber vielleicht doch, aber wie wäre es denn ... wollen wir Sie nicht lieber zum Mittagessen einplanen, ja? Dann hätten Sie ihn ganz für sich und müssten nicht so zwischen Tür und Angel Hallo sägen, das ist doch eine echt tolle Idee, oder?«, frage ich atemlos. Allmählich gerate ich ins Schwitzen.

»Ach was! Ich stehe ja schon so gut wie vor der Tür. Ich wollte nur mal nach ihm sehen. Ich halte ihn schon nicht zu lange auf.«

»Aber er will auf gar keinen Fall gestört werden ...«

»Bis gleich!«, ruft die Ehefrau freundlich und legt auf.

Oh Gott! Ich muss Pipi. Was soll ich nun machen? Jetzt ist mir auch noch übel.

In panischer Angst greife ich noch einmal nach dem Telefonhörer, der durch meine nassen Finger gleitet und trotzig auf die Glasplatte meines Schreibtisches plumpst.

»Mistding!«, fahre ich den Hörer nervös an, klemme mir den Hörer zwischen Kinn und Brust und lasse das Telefon des Spanferkels Sturm klingeln.

»Jetzt nicht!«, schreit eine gedämpfte Stimme hinter der Tür.

Ich warte fünf Minuten, dann wähle ich noch einmal. »Jetzt nicht!«, wiederholt die dumpfe Stimme eine Spur ärgerlicher.

Nach weiteren fünf Minuten klopfe ich energisch an die Tür. Niemand antwortet. Ich klopfe wieder laut und werfe einen hektischen Blick auf die Uhr. Mistmistmist.

» Chef ...«, setze ich zaghaft an.

»Ich sagte, ich will nicht gestört werden! Sind Sie denn so schwer von Begriff?«, brüllt er.

»Aber Chef, es ist wichtig ...«, versuche ich es verzweifelt.

»Schnauze halten!«

So! Ende! Was nun? Ich muss diese nette, unschuldige Frau Tiefengrund unbedingt davor bewahren, ihren Mann in Flagranti zu ertappen! Es wird ihr das Herz zerreißen! Die armen Kinderchen werden ohne ihren Papa auskommen müssen! Ich habe null Zweifel daran, dass die Ehe und das traute Familienleben der Tiefengrunds schlagartig vorbei sein werden, wenn seine Frau ihn ertappt.

Was soll ich nur tun? Ich streiche mir immer wieder dieselbe Locke aus der verschwitzten Stirn und denke fieberhaft nach.

»Hallo Frau Teufel!« schreckt mich eine freundliche Stimme hinter mir auf.

Erschrocken kreische ich leise auf und wirbele herum.

Frau Tiefengrund lacht.

»Ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken. Alles in Ordnung?«

Nein, ich decke nur gerade Ihren Mann, der da drinnen schwer mit seiner Freundin beschäftigt ist, ich will gar nicht wissen, was und wie sie es da treiben, aber sicher treiben sie es doli, danke der Nachfrage, schießt es mir durch den Kopf.

»Ja, danke«, stottere ich stattdessen. Nicht sehr originell, ich weiß.

»Wo ist denn mein kleiner Querkopf?« Neugierig späht seine Frau über meine Schulter zur verschlossenen Bürotür.

»Der ist ... er hat ...«

»Die Besprechung dauert wohl noch an, ja?«

»Ja, so ist es.« Ich muss entsetzlich dringend für kleine Mädchen. Ich fühle mich als Verräterin an meinem Geschlecht. So muss das Spanferkel sich Tag für Tag fühlen.

»Er wird sicher nichts dagegen haben, wenn ich ihn störe.« Ich blockiere noch immer krampfhaft die Tür.

Frau Tiefengrund sieht mich verwundert an und ich gebe mich geschlagen. Soll es kommen, wie es kommen muss. Ich bin unschuldig.

Leichten Schrittes tritt Frau Tiefengrund an die Tür heran und klopft fröhlich.

»Hauen Sie gefälligst ab!«, stöhnt das Spanferkel.

Frau Tiefengrunds Lächeln gefriert sekundenschnell auf ihren Lippen. So stelle ich mir das Schockfrosten von Gemüse vor. Sie blickt von der Tür zu mir und ich merke, wie mir sehr heiß wird. Bestimmt bin ich wieder rot angelaufen, kein gutes Zeichen.

»Hat er Sie etwa damit gemeint?«, fragt sie zutiefst schockiert.

Ich nicke kleinlaut. Die Frau schnappt empört nach Luft.

»So wird er nie wieder mit Ihnen sprechen! Also ehrlich! Das ist ja unverschämt! Dem werde ich was erzählen!«, faucht sie energisch und öffnet mit einem Ruck die Tür. Oh Gott! Ich kann das nicht mit ansehen, wie diese nette Frau ins Verderben schreitet. Ich schließe die Augen und halte den Atem an.

Es ist zu still. Ich blinzle neugierig.

Die unheimliche, schrecklich lang anhaltende Stille, in der Frau Tiefengrund wortlos zusieht, wie die Baduse auf dem halb entblößten Spanferkel sitzt und seine schmalen Lippen mit ihren Schlauchbootlippen aufsaugt und helle Stöhner zum Besten gibt, besiegelt sein Schicksal.

Ich beobachte mit erschrockener Faszination, wie Baduses prall gefüllte Airbags vorne und hinten rhythmisch und vollkommen synchron auf und ab hopsen.

Frau Tief engrund dagegen schweigt noch immer.

»Hans-Jürgen!« Ihre Stimme durchschneidet endlich die Luft so scharf wie ein heißes Messer die Butter.

Endlich öffnet Dr. Tiefengrund seine Augen. Er wirkt zunächst verärgert über die Störung, dann erkennt er seine Frau und sein hochrotes Speckgesicht wird leichenblass.

»Schatzi, hat das kleine Ferkelchen wieder mal einen Durchhänger?«, flötet Baduse atemlos. Die dumme Kuh hatte die betrogene Ehefrau immer noch nicht gesehen! Kaum zu fassen!

»Ich mach’ das schon!«, säuselt sie eifrig und nestelt unter seiner Gürtellinie herum.

Er schaut perplex von Baduse zu seiner Frau und wieder zurück. Schließlich sieht es so aus, als ob die Angst vor seiner Frau das Rennen gemacht hätte.

»Was wollen Sie von mir, Sie Schlampe? Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!«, ruft er mit gespieltem Entsetzen und wirft die halbnackte Baduse in hohem Bogen polternd zu Boden.

Verwirrt und ein wenig verletzt schaut die Silikonfrau zu ihm auf. Ihre Nudelhaare sind ein Vogelnest auf ihrem Hinterkopf, das vom Sturz noch immer erschüttert auf und ab wackelt. Schließlich folgt sie seinem Blick und erblickt endlich seine Frau, die mit weit aufgerissenen Augen von Baduse zu ihrem Mann blickt. Nun zittern auch die verschmierten, kirschroten Lippen der Baduse verängstigt. Die betrogene Frau Tiefengrund holt tief Luft und sagt: »Mein Anwalt wird sich mit deinem in Verbindung setzen« und macht dann eine eindrucksvolle Kehrtwendung.

Frau Tief engrund stürmt ohne ein weiteres Wort an mir vorbei.

»Schatz! Die Frau hier hat mich vergewaltigt! Das ist sexuelle Belästigung! Ich wollte das nicht! Die hat mich ausgezogen und sich dann einfach über mich hergemacht! Ich war vollkommen wehrlos!«, jammert das Spanferkel und läuft seiner Frau halbnackt hinterher. Er trägt nur schwarze Socken, die seine kurzen, krummen Beinchen noch kürzer aussehen lassen und rosafarbene Boxershorts mit kleinen, roten Herzchen darauf, sein Toupet hängt auf der einen Seite hinunter und entblößt seine rosafarbene Glatze.

Aber seine Frau ist längst verschwunden. Ein lang gezogener Pfiff ertönt. »Wow! Chef, so sollten Sie öfter arbeiten kommen. Wirklich tolle Dessous, die Sie da tragen!«, ruft jemand. Alles lacht. Die Gesichtsfarbe des Spanferkels wechselte von weiß zu hochrot. Der Korridor steht voller Kollegen, die laut witzeln und brüllend lachen. In seiner Panik hat er weder seinen Aufzug bemerkt, noch hat er daran gedacht, dass die Türen zum Flur, auf dem er lief, aus Glas sind und er so für alle wunderbar sichtbar ist. Er schnappt heftig nach Luft.

Sicherheitshalber halte ich den Telefonhörer schon griffbereit in der Hand, um den Notruf zu wählen, denn es sieht so aus, als wäre nun der richtige Zeitpunkt für seinen ersten Herzinfarkt. Ich drücke ihm jedenfalls die Daumen, na, immerhin könnten viele seiner Probleme – und die hat er, das ist klar! – so gelöst werden. Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass seine Frau ihn in einem solchen Fall besuchen würde. Aber das Spanferkel denkt gar nicht daran, vor allen Kollegen halbnackt nach Luft japsend aus den schwarzen Nylonsocken zu kippen.

»Dafür werden Sie büßen!«, faucht er mich stattdessen wütend an, als er an mir vorbei zurück in sein Büro flüchtet und weiterhin lauthals fluchend die sehr undamenhaft zu Boden gekickte Baduse einsammelt, die ihrerseits fluchend und heulend ihre Siebensachen anzieht und dann den Rückzug antritt. Der Flur applaudiert ihr, und Pfiffe und Rufe begleiteten sie hinaus. Ich muss schon sagen, ich bin froh, wieder arbeiten gekommen zu sein. Habe in den letzten zwei Stunden nur drei Mal an Tom gedacht.

»Frau Teufel, dafür sind Sie allein verantwortlich!«, schreit Dr. Tiefengrund, während er und sein Bäuchlein wieder aus dem Büro hervorhüpfen. Er hat inzwischen sein weißes Hemd halb angezogen und nestelt vergeblich mit zitternden Fingern an den Knöpfen herum. Er schafft es irgendwie, sein Hemd an zwei verschiedenen Stellen zusammenzuknöpfen und streifte sich nun die Krawatte über.

»Ich?«, empöre ich mich, »Ich habe doch verzweifelt versucht, Sie zu warnen!«

»Dann hätten Sie es eben besser versuchen sollen!«, keift er atemlos. Inzwischen pocht eine blauviolette Ader auf seiner Stirn und seine Augen glupschen recht ungesund aus ihren Höhlen hervor.

»Nun machen Sie mal halblang, Sie ... Sie notgeiles Cocktailwürstchen!«, schreie ich. »Wenn Sie ihre Frau schon betrügen müssen, können Sie es wenigstens in einem Stundenhotel tun und nicht in ihrem gottverdammten Büro!« Das ist der reine Selbsterhaltungstrieb. Man muss sich nicht immer alles gefallen lassen und ich sowieso nicht.

»Solche Unverschämtheiten muss ich mir von einer kleinen Tippse nicht bieten lassen! Sie können nicht mal richtig Kaffee kochen!«, keucht er zornig.

Die Schar sensationslüsterner Kollegen hat sich zwischenzeitlich vor meiner Bürotür angesammelt. Fehlt nur noch Popcorn und Cola in Pappbechern, dann ist die Kinoatmosphäre perfekt.

»Kochen Sie sich Ihren verfluchten Kaffee doch selber! Oder lassen Sie ihn sich künftig von Ihrem silikongeblähten Kuheuter kochen!«, gebe ich schlagfertig zurück.

»Darauf können Sie Gift nehmen, Sie untalentierte Schnepfe!«

Das war’s! Das war mein Stichwort. Der rote Vorhang übernimmt die Regie und ich schnappe mir den Latte Macchiato, den die Baduse verschmäht hat und schütte ihn über das pinkglänzende Haupt des Spanferkels. Der Mann braucht unbedingt eine Abkühlung. Womöglich überhitzt er sich sonst.

»So! Jetzt sind Sie wenigstens ein Spanferkel mit Guss!«, erkläre ich tief befriedigt.

Für den Bruchteil eines Momentes schweigt Dr. Tiefengrund verblüfft. Er sieht wirklich zu komisch aus mit der rosaroten Glatze, dem schiefen Toupet und den Herzchenshorts, die missbilligend an seinen mageren Beinchen herabschlackern, und dem Latte Macchiato, der über dem gesamten Spanferkel verteilt ist und das weiße Hemd mit einem hippen Design schmückt und leise tröpfelnd auf den Boden fällt. Ich kann nicht anders. In die Stille hinein lache ich hell und laut auf. Längst schon haben auch die Kollegen in mein Lachen eingestimmt.

Mit vor Zorn und Hilflosigkeit bebendem Speckbäuchlein blickt Dr. Tiefengrund sich panisch um und flüchtet endlich in sein Büro. Während ich meine Habseligkeiten schon zusammenpacke schreit er noch: »Sie sind gefeuert!«

Der Teufel ist blond

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