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3. Mia leistet erste Hilfe

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Scheißtypen! Allesamt! War ja klar, dass mir früher oder später so etwas passiert. Pech kommt doch immer im Doppelpack! Nehmen wir doch mal das Beispiel Tom. Ich dumme Kuh gehe mit ihm aus, in der festen Annahme, einen Antrag zu bekommen, und er will mich bloß abservieren. Und das, wo wir schon seit vier Jahren ein Paar sind. Ich kann es kaum fassen.

Das Einzige, was jetzt noch hilft, ist Mia.

»Hallo?«, piepse ich ins Telefon.

»Lisa, bist du das?«

»MIIIIIIHIIIIAAAA!«, schluchze ich. Mit einem Mal kann ich einfach nicht mehr. Es ist mir alles zu viel und die Welt ist ein großer Misthaufen.

Mia sagt sofort alarmiert: »Bleib’ im Schuhkarton. Ich bin gleich da. Und stell bloß keinen Blödsinn an, verstanden?« Sie legt auf.

Als wenn ich jetzt noch in der Lage wäre, zu Molly nach oben zu gehen und einen Streit wegen Rottweiler »Püppi« vom Zaun zu brechen. Er hat zwar neulich einen großen Haufen in den Hauseingang gesetzt, aber ich habe gerade keine Energie, um die beiden ordentlich anzubrüllen. Ich bin so am Ende mit den Nerven, dass ich sie vermutlich eher umarmen und ihre Schulter mit meinem Rotz durchweichen würde.

Mia ist, wie schon zuvor erwähnt, meine beste Freundin.

Bei all meinen prägenden guten und schlechten Erfahrungen in meinem Leben war sie stets dabei. Oder wir haben einander intensiv bei der Verarbeitung der Nachwehen von Trennungen beigestanden.

Egal, ob gerade eine von uns einen heißen Typen an der Angel hatte, mit dem Fallschirm von der Zoobrücke sprang oder mit Dünnpfiff auf dem Klo hockte. Wir zwei haben uns schon durch so manche Krise geschlemmt und gesoffen und dabei geheult, was das Zeug hält.

Als Mias Zwergkaninchen Pluto beispielsweise das Zeitliche gesegnet hat, war Mia vollkommen am Boden zerstört.

Wir beide waren etwa acht, ich, fasziniert von Knetgummi und Buntstiften, wollte schon damals eine große Künstlerin werden. Mia dagegen hatte da noch völlig andere berufliche Ambitionen. Sie wollte unbedingt Astronautin werden. Deshalb hieß Pluto ja auch Pluto.

Mias Zimmer war gespickt mit Bildern von Sternchen, Planeten, Milchstraßen und Postern von Astronauten auf dem Mond. Sie hatte vor Kurzem sogar den »Moonwalk« gelernt und war irre stolz darauf. Es waren die Achtziger und Michael Jackson war noch hip. Aber der Moonwalk reichte ihr noch nicht aus.

Mia wollte zum Mond fliegen und verschlang alles, was im Fernsehen so über Astronauten an Beiträgen gebracht wurde.

Irgendwann hatte sie im Fernsehen einen Simulator gesehen und in diesem Simulator saß ein Affe. Der Simulator drehte sich, er wurde wild von einem großen Metallarm geschleudert. Der Affe sollte sich so an den Raketenstart gewöhnen.

Großzügig beschloss Mia, den armen Pluto auch an einem Astronauten-Programm teilhaben zu lassen.

Sie setze ihn in ihren rosaroten Barbiekoffer und schloss den Deckel. Am Griff befestigte sie ein Springseil. Dann summte sie ehrfurchtsvoll die Nationalhymne und ließ ihren selbstgebastelten Simulator starten.

Sie wirbelte das Springseil mit dem Köfferchen begeistert wie ein kleiner Cowboy durch die Luft. Wie lange genau sie das durchgehalten hat, weiß ich nicht, aber es muss wohl eine ganze Weile gedauert haben, denn als sie den Koffer öffnete, schwankte Pluto noch kurz heraus, ließ ein paar Köttel fallen und fiel um. Sie hat den Verlust ganz gut verarbeitet, finde ich im Nachhinein. Wir haben nur vier Tafeln Schokolade dafür gebraucht.

Heute sieht das allerdings anders aus.

Ohne Merlot und Häagen Dazs können wir Krisen heutzutage gar nicht mehr bewältigen.

Man denke nur an meine Trennung von Florian zurück.

Flo Kerlchen war meine erste große Liebe. Im Rückblick ist mir noch heute schleierhaft, was ich je an ihm gefunden habe. Flo war zwar groß und auf den ersten Blick intelligent. Er hatte weiche Gesichtskonturen, ein wenig wie einer von Botticellis Engeln, mit etwas zu eng beieinander stehenden, blauen Augen und blonden Samtlöckchen. Auf den ersten Blick ein wahrhafter Hingucker. Auf den ersten Blick.

Flos Hauptbeschäftigung war nämlich das Aufräumen.

Wo er ging und stand, räumte er auf. Am Anfang war es noch ganz angenehm, dass mein Freund meine Wohnung so rührend putzte und schrubbte. Auch, dass er ständig versuchte, mich selbst aufzuräumen, fand ich irgendwie süß. Wann immer wir uns leidenschaftlich knutschten, merkte ich, wie er versuchte, meine Haare glattzustreichen, meine Bluse ordentlich zuzuknöpfen und glänzende Partien an meiner Stirn mit Puder abzudecken. Okay, jetzt übertreibe ich gerade. Das mit dem Puder stimmt nicht. Alles andere aber schon. Der Mann hat pausenlos aufgeräumt, gebügelt, gewienert und poliert.

Nicht dass ich da sonderlich pingelig wäre. Jedem das seine.

Am schlimmsten aber war das dauernde Geschiebe meiner Möbel im Schuhkarton. Da bin ich wirklich empfindlich. Ich mag meine Möbel immer gerne quer. Das ist Gift für einen neurotischen Pedanten, sage ich euch!

Immer, wenn er zu mir kam, hat er sich erst einmal seine blaukarierte Schürze umgebunden, mit dem Wedel unangenehmen Hausstaub verjagt und alles gerade gerückt. Seeeehr zeitaufwändig und seeeehr lästig. Danach steht einem nicht mehr so der Sinn nach einer heißen Liebesnacht.

Irgendwann habe ich Flo schließlich dabei erwischt, dass er die Deckenecken mit einem feinen Haarpinsel und Deckweiß nachgezogen hat, weil das seiner Meinung nach ordentlicher wirkte. Hier habe ich noch eisern geschwiegen. Man muss die Schwächen seines Partners ja auch tolerieren.

Als ich dann meinen Alibertschrank im Bad öffnete und meine Make-up-Utensilien alphabetisch nach Markennamen wie Zinnsoldaten in Reih und Glied aufgestellt sah, stürmte ich wutentbrannt ins Wohnzimmer, wo ich zu meinem Schrecken bemerkte, dass die Couch von einem durchsichtigen Plastikschonbezug erstickt wurde.

Kam mir fast so vor, als würde die Plastikdecke mir die Luft zum Atmen nehmen. Aber ich wollte noch immer nicht vorschnell urteilen.

Ich ließ mich also zwecks Probesitzen und damit Beweis meiner Großmut vorsichtig auf dem Plastikbezug nieder, auf dem ich quietschend nach vorne rutschte. Es war Sommer und als ich wenig später aufstehen wollte, klebten meine beiden Pobacken auf dem Plastikbezug fest, und die verdammte Folie hinterließ einen schwitzigen, roten Abruck auf meiner Kehrseite. Äußerst unangenehm.

Also machte ich kurzen Prozess, überging meine tiefen Gefühle für Flo, warf den Plastikbezug, Flo und sein Putzzeug ins Treppenhaus und wünschte alle zum Teufel. Dann haben Mia und ich das ganze Wochenende lang die Bude auf den Kopf gestellt und Junkfood in uns hineingeschüttet, dass die Waage krachte. Flo ist nun professioneller Aufräumer und verdient zweitausendfünfhundert Euro am Tag, während ich noch immer im Schuhkarton mit den quergestellten Möbeln hocke und mich frage, warum alles in meinem Leben schief läuft.

Es klingelt.

Mia muss mit einem Affenzahn durch die Stadt gefahren sein, um so schnell zu mir zu kommen. Ich wanke zur Tür und wische mir dabei die laufende Nase an meinem Arm ab, was zugegebenermaßen unappetitlich aussieht und sehr undamenhaft ist. Meine Augen brennen und ich fühle mich heiß an, als hätte ich Fieber. Gut, ist vielleicht auch ein bisschen Einbildung dabei, will ich nicht leugnen.

Das Schloss klickt zwei Mal, als ich den Schlüssel herumdrehe, und leise quietschend öffnet sich die Tür.

Mia blickt auf und versucht, ein zuversichtliches Lächeln zu Stande zu bringen.

In dem Moment, als sie mich sieht, gefriert das Lächeln auf ihren Lippen, und sie starrt mich ungläubig an.

»Lisa, was ist passiert?«, fragt Mia erschrocken.

Mit sanfter Gewalt schiebt sie mich einen Schritt ins Wohnzimmer und hievt den schweren Korb, den sie mitgebracht hat, auf den Couchtisch.

»So, es sieht ganz danach aus, als müssten wir deine Nerven erst einmal etwas beruhigen«, erklärt sie energisch und packt eine Familienpackung Macadamia-Nuss-Eis und zwei Flaschen Merlot aus. Dann legt sie mir eine rote Wolldecke um meine Schultern, gießt den Wein in zwei Gläser und steckt zwei Löffel in das Eis. Mia und ich essen das Eis grundsätzlich sofort aus der Packung, das spart Zeit, denn wir essen es immer gleich bis auf den letzten Splitter auf. Wir sind da sehr kompromisslos.

»Trink das«, befiehlt sie mir sanft und reicht mir ein Glas.

Weil ich so verzweifelt und überhaupt ein armes Würstchen bin, leere ich den gesamten Inhalt in einem Zug. Kommentarlos schenkt Mia mir nach.

»... und er hat mich ausgelacht, Mia, stell’ dir das vor, und die ganze Zeit hat er herumgedruckst, obwohl ich es ihm doch so leicht gemacht hatte ...« Ich fühle, wie sich in meinen Augen wieder kleine Seen sammeln, die sofort aus meinen geschwollenen Lidern herausquellen und ärgere mich darüber, eine heulende, dumme Kuh zu sein. Aber es tut trotzdem gut. Mia lauscht aufmerksam und beschimpft an genau den richtigen Stellen Tom mit absolut standesunkonformen, richtigen Kraftausdrücken.

Nachdem wir mit dem Spanferkel auf ähnliche Weise verfahren sind, schweigen wir einige Minuten lang.

»Also hör’mal, wenn Tom dich nicht heiraten möchte, dann ist das eben so. Er verdient dich einfach nicht«, versucht Mia mich zu trösten. »Und wegen des Spanferkels mach’ dir nicht so viele Gedanken. Du mochtest den Job doch sowieso nicht, oder?«

»Du verstehst das nicht.«

»Doch, klar, jeder versteht das«, meint Mia verständnisvoll.

Ich starre nur trübsinnig vor mich hin.

»Ach, Lisa, sicher lernst du bald einen anderen Mann kennen, der sich nichts Schöneres vorstellen kann, als dich zu heiraten, davon bin ich fest überzeugt, und es kann doch gar nicht schwer sein, einen neuen Job zu finden«, versucht Mia mich zu überzeugen.

»Nun lass’ doch mal das Spanferkel beiseite«, brause ich auf.

Mia schaut mich verdattert und mit großen Augen an.

Ich atme tief durch und beginne zögernd: »Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich mir geschworen, niemals eine Familie zu gründen, ohne den passenden Mann gefunden zu haben.« Meine Unterlippe zittert heftig.

»Du hast doch noch jede Menge Zeit, eine Familie zu gründen, Süße«, tröstet Mia.

»Nein. Habe ich nicht.«

Mias Augen weiten sich.

»Wie meinst du das?«, fragt sie.

Ich schaue sie direkt an und ziehe die Brauen hoch.

»Lisa, bist du ... du bist doch nicht ... etwa schwanger?«, fragt sie ungläubig.

Ich starre Mia lange stumpf an und merke, wie meine Nase läuft.

»Also?«, fragt Mia scharf und ihre braunen Augen glänzen besorgt. Ich sage nichts. Wozu auch?

»Du bekommst also ein Baby!«, stellt Mia sprachlos fest.

Ich heule schon wieder. »Ich bin mir ja noch gar nicht wirklich sichter, ich meine ...« aber Mia unterbricht: »Wann hattest du deine letzte Periode?«

»Vor sechs Wochen.«

»Heiliger Torpedo, Lisa! Hast du schon einen Test gemacht?«

»Nein«, erwidere ich kleinlaut.

»Ein Schwangerschaftstest hat so etwas Endgültiges. Wenn ich einen mache und er ist negativ, bin ich wahrscheinlich erleichtert, aber irgendwie sicher auch traurig, denn eigentlich mag ich Babys und hätte gerne auch selbst Kinder. Und wer weiß, ob ich jemals wieder eine Chance bekomme, schwanger zu werden. Und wenn der Test positiv ausfällt, werde ich schockiert sein und in helle Panik ausbrechen, weil ich dann allein erziehende Mutter wäre und damit nicht besser als meine Mutter, und die kennst du ja. Ich wüßte ja gar nicht, ob ich es schaffen würde, ein Baby allein großzuziehen. Deshalb habe ich noch keinen Test gemacht, weil das Ergebnis auf jeden Fall schockierend und beängstigend wäre und ich vor beiden Resultaten Angst habe. Und nun wäre es gleich doppelt schlimm, schwanger zu sein, weil ich nicht nur keinen Vater für das Baby hätte, sondern auch keinen Job mehr habe!«, sprudelt es aus mir hervor.

»Ich verstehe.«

Mia schaut mich einige Minuten lang schweigend an, dann zieht sie mich ins Bad, setzte mich unsanft auf den hölzernen Klodeckel und lässt Wasser in die Wanne einlaufen.

»Ein heißes Bad wird dir gut tun. Wir reden später weiter.« Das hört sich eher an, als würde sie versuchen, sich selbst zu beruhigen.

Ich bedanke mich und strecke mich kurze Zeit später in der Wanne aus, dann ziehe ich den zartrosa Flanellpyjama an, den meine Freundin mir hereinreicht.

Nach dem Bad lasse ich mich müde in mein Bett führen.

»Schlaf’ jetzt«, flüstert sie freundlich. »Morgen wird alles besser aussehen.« Ich höre noch, wie die Tür ins Schloss fällt, dann lasse ich mich in den Sog wilder Träume hinabgleiten.

Irgendwann muss ich auf die Toilette.

Also gebe ich meine strapazierten Augen dem Sonnenlicht preis, das warm und grell meine Bettdecke zu entzünden scheint. Wie spät es wohl ist? Plötzlich erinnere ich mich an gestern und setze mich abrupt auf. Im selben Moment durchzuckt mich ein intensives Schwindelgefühl und mir wird speiübel. Stöhnend schaffe ich es gerade noch, den Klodeckel anzuheben, bevor ich kraftlos niederknie, den Kopf in die Kloschüssel stecke und mich krampfhaft erbreche. Oh Gott, ist mir schlecht! Suchend taste ich nach einem Handtuch.

»Hier.« Mia steht plötzlich in der Tür und reicht es mir.

»Danke«, krächze ich kleinlaut.

»Komm’ erst mal in die Küche und trink’ einen Tee. Der wir dir gut tun.«

Tröstend hilft sie mir auf die Beine und schleift mich bis zum hübsch gedeckten Frühstückstisch. In solchen Momenten bin ich überaus dankbar, eine so tolle beste Freundin zu haben. »Setzen, essen und trinken! « befiehlt Mia streng.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist acht. Ich kann mich kaum erinnern, wann ich an einem Dienstag zum letzten Mal so spät aufgestanden bin. Mia scheint schon eine ganze Weile auf den Beinen zu sein. Frische Vollkornbrötchen und Croissants, die geradewegs vom Bäcker kommen, ruhen friedlich im Brotkorb.

»Hattest du eigentlich Verwandte, die SS-Offiziere waren?«, stichele ich übellaunig.

»Was glaubst du, wofür mein zweiter Name ›Adolfa‹ steht? Du bist schwanger, das Baby braucht Nahrung, also essen!«, ordnet Mia an.

Ich lächele gepresst und knabbere Mia zuliebe wortlos an einem Vollkornbrötchen.

»Brav!«, lobt Mia.

»Hast du eigentlich hier übernachtet?«

»Nein, ich war zwar zu Hause, habe aber kaum geschlafen. Da dachte ich, ich könnte genauso gut Brötchen holen, um mit dir zu frühstücken«, erklärt sie sachlich.

Mia beobachtet mich aufmerksam. »Hör’ zu: Das mit Tom war bestimmt nur ein Missverständnis. Ich bin mir sicher, dass sich alles aufklären wird, wenn du Tom anrufst. Hier.« Sie hält mir den Telefonhörer vor die Nase.

»Nein! Mag’ ja sein, dass ich mir falsche Hoffnungen gemacht habe, blöde wie ich war, aber die Tatsache, dass er mit mir Schluss gemacht hat, ist ein Fakt und kein Missverständnis. Ich habe mich selbst zum Idioten gemacht und das wird mir sicher kein zweites Mal passieren!«, wehre ich mich heftig.

»Aber ...«, wendet Mia ein.

»Kein aber! Ich will mit Tom nichts mehr zu tun haben! Jedenfalls werde ich mir nie wieder idiotische Hoffnungen auf einen Schein-Antrag machen!«, schreie ich energisch.

Mia schweigt betroffen.

»Aber du ... du bist wahrscheinlich schwanger, bald seid ihr eine Familie, du, Tom und das Baby. Ich meine, okay, heirate ihn nicht, meinetwegen geht getrennte Wege, aber er sollte doch wissen, dass du sein Baby erwartest. Meinst du nicht auch, dass das sein Recht als Vater ist?«, fragt Mia ratlos.

»Nein! Wenn ich schwanger sein sollte, darf er es auf keinen Fall erfahren, hörst du, Mia? Das sieht doch so aus, als wäre das Baby nur Mittel zum Zweck, ihn zurückzubekommen! Das ist erbärmlich und eindeutig unter meiner Würde! Versprichst du mir, es ihm niemals zu sagen, egal, was passiert?«, verlange ich entschieden.

»Okay, okay!« Mia schüttelt vorwurfsvoll den braunhaarigen Kopf. Für sie scheint es schon festzustehen, dass ich Mutter werde.

»Du wirst sehen, bestimmt bekomme ich morgen oder übermorgen meine Tage und die Sache hat sich erledigt«, erkläre ich.

Nach dem Frühstück geht Mia, nicht, ohne angedroht zu haben, bald wieder vorbeizukommen. Bin total kaputt. Könnte mich sofort wieder hinlegen, obwohl ich gerade erst aufgestanden bin. Warum eigentlich nicht? Ich trotte zurück in mein Schlafzimmer. Kurz entschlossen sperre ich den strahlenden Junitag aus und ziehe die Rollos herunter. Ein Blick in die Küche: Der Käse trocknet an den Ecken schon an. Sieht verdammt ekelig aus. Egal! Lasse die Küche so, wie sie ist, aufräumen kann ich auch später noch.

Ich lege mich in mein Bett und frage mich nach dem Sinn des Lebens, meines Lebens. Ich verstehe die Welt noch immer nicht. Ich fühle mich furchtbar.

Der Fairness halber sollte ich klarstellen, dass Tom von meiner Vermutung, dass ich schwanger bin, nichts weiß. Ich wollte es eigentlich niemandem erzählen, bevor ich sicher bin, was ich tun soll. Ich meine, ein Baby zu bekommen ist ja nicht allein eine Sache des guten Willens. Ich habe ja nicht einmal genug Geld, mich selbst über Wasser zu halten, wie sollte ich mich da um ein Kind kümmern? Dass ich Mia gestern Abend von einer bloßen Vermutung erzählt habe, ärgert mich ein wenig. Es kommt doch immer mal vor, dass sich meine Periode mal verspätet, was ist denn schon dabei? Bestimmt kam das nur durch die Aufregung wegen Mias Hochzeit und dem Stress auf der Arbeit. Sicher merke ich jeden Moment, dass ich falsch liege und kann mein Leben erleichtert und ohne vor dem Zwang einer wichtigen Entscheidung zu stehen, wieder neu sortieren. Aber selbst, wenn ich nicht schwanger bin, sitzt der Schmerz, den Tom mir zugefügt hat, doch erstaunlich tief. Es ist auch so schon alles schwer genug, ohne schwanger und arbeitslos zu sein.

Ich stutze.

Da liegt etwas auf meinem Nachttisch. Ein rosafarbenes Buch.

Ich lese niemals rosafarbene Bücher. Das sind entweder schwülstige Liebesromane oder, genau, schwülstige Liebesromane. Ich hasse schwülstige Liebesromane. Folglich kenne ich das Buch da auch nicht. Folglich gehört es mir auch nicht.

Trotzdem bin ich neugierig. Ich nehme das Buch in die Hand. »Schwangerschaft und die ersten Babyjahre«, erklärt mir das Cover wichtigtuerisch. Ich schlage es auf, und eine kleine Anne-Geddes-Postkarte fällt mir entgegen.

»Ich bin mir sicher, du triffst die richtige Entscheidung«, lautet der einfache Satz in Mias Handschrift.

Anscheinend hat sie heute früh nicht nur Brötchen mitgebracht.

Naja, wo ich so ein Buch schon hier habe, kann ich es ja einmal durchblättern, oder?

Die Bilder auf den ersten Seiten zeigen die ersten drei Monate der embryonalen Entwicklung. Interessant.

Was wäre denn, wenn ich tatsächlich ein Baby bekäme?

Ich möchte nicht, dass mein Kind einmal sagen muss: »Meine Mama ist Sekretärin und sie hasst ihren Job. Einen Papa habe ich nicht.« Zwei wirklich unschöne Aussagen, mit denen ich auch nicht gut leben könnte

Außerdem liebe ich schöne Klamotten. Hätte ich ein Kind, könnte ich mir erstens aus Platzgründen und zweitens aus finanziellen Gründen keine neuen Kleider mehr leisten, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Immer vorausgesetzt, ich finde wieder Arbeit. Und ich müsste dem Kind ständig neue Kleider kaufen. Ich meine, die wachsen doch sehr schnell, oder?

Und was wäre mit dem Schuhkarton? Den müsste ich auch aufgeben. Mehr als einer kann hier nicht leben. Die Wohnung würde ich wegen ihrer zentralen Lage und wegen der günstigen Miete wirklich nur sehr ungern verlassen. Und wer stellt überhaupt eine schwangere Frau ein?

Aber Abtreibung?

Das ist ein unheimlicher Gedanke, finde ich. Wenn ich schwanger sein sollte, dann gibt es für mich nicht denselben Unterschied, den die Mediziner uns weismachen möchten, dass ein Embryo bis zum dritten Monat noch kein richtiger Mensch ist, meine ich. Woher wollen die das denn bitteschön wissen? Es ist ja nicht so, als würde das Baby von da drinnen an Mamas Bauch klopfen und sagen: »Halooohhooo, ich bin jetzt auch ein Mensch!«

Mit diesen und ähnlichen Gedanken gleite ich allmählich in die warme Dämmerung eines sommerlichen Mittagsschlafes.

Als ich erwache, ist mir schwindelig. Ich sehe auf den Wecker. Es ist acht Uhr. Ich blinzele noch einmal und sehe wieder auf das Zifferblatt. Acht Uhr! Das kann unmöglich wahr sein! Als ich mich hingelegt habe, war es zehn, da bin ich mir sicher. Ich schalte den Fernseher und den Videotext an.

Mein Wecker tickt richtig, es ist nun eine Minute nach acht. Es ist Mittwoch morgen und ich haben beinahe vierundzwanzig Stunden geschlafen.

Im Fünfminutentakt renne ich auf die Toilette und schaue nach, ob ich endlich meine Periode bekommen habe. Vergeblich.

Ans Telefon gehe ich schon lange nicht mehr. Der Anrufbeantworter sammelt fleißig alle Nachrichten, die ich ohnehin nie beantworten werde.

Das Telefon klingelt. Zum achtunddreißigsten Mal. Bestimmt ist es Mama. Oder wieder Tom. Mein treuer Anrufbeantworter schaltete sich ein und verkündet mit meiner Stimme fröhlich: »Gleich piept’s!«

»Lisa ... bitte nimm’ ab«, bittet Tom. Er hört sich auch müde an. Soll er doch! Geschähe ihm ganz recht!

»Lisa, wir müssen reden. Bitte, ich weiß, du bist zu Hause, also lass’ den Quatsch und geh’ endlich ans Telefon.«

Neee, das kannst du vergessen, immerhin geht es mir wegen dir schlecht, und zwar in jeder Hinsicht! Ich werde den Teufel tun und dir dein Gewissen erleichtern, indem ich den Hörer abnehme.

Tom wartet einige Sekunden ab.

»Na gut, Lisa, du lässt mir keine Wahl. Dann reden wir also nicht. Dann ist es also zu Ende.«

Pah! Hat der einen Grund zum Traurigsein? Er ist ja nicht in den Wind geschossen worden, weil er ein Störfaktor in meiner Karriere ist!

»Willst du das? Sind wir nun Feinde bis an unser Lebensende?« Also der Spruch ist typisch Mann. Wehn er nicht mehr weiter weiß, appelliert er an mein Gewissen. Naja, wenn er das tut, dann hilft das sogar manchmal. Aber dieses Mal nicht!

Er wartet einen Augenblick, bevor er fortfährt.

»Bitte, Lisa, versuchen wir doch, uns wie zwei erwachsene Menschen zu verhalten. Sprich mit mir. Bitte ruf’ mich an. « Er legt auf und ein lang gezogenes »Piiiiiep« ertönt.

Dreckskerl!

Wie soll ich ihn vergessen, wenn er andauernd hier anruft? Was will er überhaupt? Sich trennen, aber ab und zu mal Spaß haben, was? »Gute Freunde« bleiben. Toll! Das könnte ihm so passen! Dass er dauernd anruft, ist lediglich ein Beweis seines schlechten Gewissens, nicht mehr und nicht weniger! Ein schlechtes Gewissen ist ja wohl das Mindeste an Rache, das er verdient.

Irgendwie tut er mir auch Leid ... Quatsch mit Vanillesoße! Das kommt auf keinen Fall in Frage! Fehlt noch, dass er mir Leid tut, diese Knalltüte! Er wollte sich von mir wegen einer weiteren Ziffer auf seinem Gehaltsscheck trennen, das sollte man nicht vergessen. Ich lösche kurzerhand alle Nachrichten.

Durch meine Wut wieder ein wenig lebendiger, tapse ich im Pyjama in die Küche und schnappe mir eine Tafel Schokolade, die ich in rekordverdächtiger Zeit verschlinge. Was Salziges wäre jetzt nicht schlecht.

Das Telefon klingelt schon wieder, es ist Tom.

Wie soll das enden? Immer, wenn er anruft, esse ich etwas schrecklich Unvorteilhaftes für meinen Po. Wenn ich weiter so dafür sorge, dass er anschwillt, kann ich bald nicht mehr auf dem Rücken liegen. Da ist noch eine Tüte Chips mit Curry in der Schublade. Die Mischung Schokolade und Chips ist ja bekanntlicherweise tödlich.

Mia und Mama haben nicht angerufen. Mia, weil sie mich gut genug kennt, um zu wissen, wann ich meine Ruhe brauche und Mama, weil sie wieder einmal eine aberwitzige Reise unternimmt. Diesmal ist sie in Indonesien. Zum Surfen. Man stelle sich eine surfende Großmutter vor!

Genau in diesem Moment klingelt mein Handy.

»Lisa, es ist etwas Schreckliches passiert, du musst sofort herkommen!«, ruft Mia aufgeregt.

Der Teufel ist blond

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