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Vorwort

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Landwirtschaft muss sich immer neuen Herausforderungen stellen. Dabei sind die meisten Probleme hausgemacht. Seit Jahrzehnten werden die Böden mit Mineraldünger oder Chemikalien gegen Schädlinge und Unkräuter gefüttert.

Längst ist nachgewiesen, dass das Insektensterben den Pestiziden geschuldet ist, dass überbordende Güllemengen das Grundwasser mit Nitrat vergiften. Weil Böden falsch bearbeitet werden, weht vielerorts die fruchtbare Ackerkrume fort, sofern sie nicht schon von Starkregen weggespült wurde. In der Summe nimmt die Bodenfruchtbarkeit flächendeckend ab. Kosmetische Nachbesserungen in Form von Ackerblühstreifen sind gut gemeint. Doch so lange das ganze System nicht geändert wird, gehen Artensterben, Bodenerosion und Vergiftung des Grundwassers weiter.

Dazu kommt: Die Agrarindustrie ist nicht nur Mitverursacher des Klimawandels, sondern auch dessen Opfer. Im Sommer leiden immer mehr landwirtschaftliche Betriebe unter wochenlangen Dürreperioden mit zunehmenden Ernteeinbußen.

Seit Anfang des Jahres 2020 stören überdies Corona-Maßnahmen die saisonalen Arbeitsprozesse: Weil ausländische Saisonarbeiter nicht einreisen durften, standen im Frühjahr letzten Jahres zu wenig Erntehelfer zur Verfügung. Mit einem Mal wurde der Selbstversorgungsgrad in Deutschland wieder diskutiert. Zwar nutzen wir längst Flächen im Ausland, um unseren Bedarf an Nahrungsmitteln und Tierfutter zu decken. Dass diese Böden der einheimischen Bevölkerung vor Ort zum Anbau der eigenen Nahrung fehlen, hat uns dabei selten gestört. Doch die Bodenfruchtbarkeit sinkt - auch in anderen Weltregionen.

Die vorliegenden Texte, die innerhalb der letzten drei Jahre entstanden, diskutieren die Widersprüche, Konflikte und Schwachstellen der agrarischen Lebensmittelproduktion - angefangen bei den Interessen der Gentechnik-Industrie über EU-Fördermaßnahmen bis hin zu Verflechtungen von Aufsichtsräten und Verbänden. Bei dem Versuch, sie in sinnvolle Themenbereiche zu gliedern, wurde schnell klar, wie eng Landwirtschaft auch mit Umwelt, Wirtschaft, Politik und Sozialem verbunden ist.

Ein Beispiel ist der Schlachtbetrieb Tönnies, der im Juli 2020 kurzzeitig schließen musste, weil Arbeiter sich mit Covid-19 infiziert hatten. Zum einen brachte die Schließung die durchgetaktete industrielle Sauenzucht und Schweinemast durcheinander, was Tierschützer zum Anlass nahmen, die inakzeptalen Zustände in der Nutzierhaltung erneut anzuprangern. Zum anderen rückten die prekären Arbeitsbedingungen osteuropäischer Werksarbeiter in den medialen Fokus. Wie weit darf ein Konzern mit der Ausbeutung seiner Arbeiter gehen, um den eigenen Profit zu maximieren?

Was Marx bereits vor 150 Jahren diskutierte, erhielt eine Aktualität, die nicht nur für die Tiermastindustrie und ihre nachgelagerten Bereiche gilt, sondern für alle Industriezweige. Ohne die Corona-Infizierten hätte die Öffentlichkeit die Missstände bei Tönnies wohl kaum wahrgenommen. Dank des Virus kam hier also neuer Schwung in die Diskussion.

Auf der einen Seite sollen die Bauern immer neue Auflagen erfüllen, auf der anderen Seite diktieren ihnen Molkereien und Discounter Ramschpreise, die eher zum Sterben der Betriebe beitragen als zu deren Weiterexistenz. Auch deshalb ist die Abhängigkeit von Subventionen groß. Und immer noch erhalten die größten Großgrundbesitzer mit den meisten Flächen das meiste Geld. Sofern sie nicht längst aufgegeben haben, demonstrieren Landwirte immer öfter vor den Ministerien, um ihren Unmut gegen einschränkende Maßnahmen Ausdruck zu verleihen.

In bestimmten Regionen ist das Landschaftsbild besonders stark von artenarmen Agrarwüsten geprägt. Der fortwährende Input an Chemiecocktails stört die natürlichen Kreisläufe empfindlich. Doch Abfallprodukte sind in der Natur nicht vorgesehen. Und der Mensch mitsamt Ackerbau und Viehhaltung ist ein Teil der Natur, auch wenn er das immer wieder gerne ausblendet.

Landwirtschaft muss also wieder in geschlossenen Stoffkreisläufen stattfinden: Ungenutzte Biomasse muss ins Bodensystem zurückgeführt werden. Je besser die Bodenlebewesen gefüttert werden, desto höher die Fruchtbarkeit, umso größer ist aber auch die Artenvielfalt. Eine Agrarwende hin zu einer artgerechten Tierhaltung und zu umwelt- und sozial verträglichen Anbaumethoden ist mehr als überfällig.

Susanne Aigner März 2021

Agrarwende jetzt! (Telepolis)

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