Читать книгу Leben, frisch gestrichen - Susanne Fülscher - Страница 7
3.
ОглавлениеDer Morgen fing schon reichlich chaotisch an. Kurz nach sechs platzte Anna in Irenes Zimmer und riss sie aus einem wunderschönen Traum, in dem sie mit Tomasz ... ja, was hatte sie bloß mit Tomasz angestellt? Auf jeden Fall irgendetwas Verrücktes, Verbotenes.
»Herzchen, ich schlafe noch«, murrte Irene. Sie schaffte es kaum die Augen zu öffnen.
»Darauf kann ich jetzt leider keine Rücksicht nehmen.« Anna war mit einem Satz im Zimmer, riss die Gardinen zurück und das Fenster auf. »Dein Schnuckelchen Gnot hat beim Duschen das ganze Bad unter Wasser gesetzt!«
»Tomasz ist schon auf?«
»Das ist alles, war dir dazu einfällt?«
»Anna, mach dich fertig und geh in die Schule. Ich rede mit ihm, ja? Aber lass mich jetzt hitte, bitte weiterschlafen!« Sie zog sich die Decke über den Kopf, wollte noch einmal ins Reich der Träume abtauchen, um mit dem Polen an einen Ort zu fliegen, wo sie kein Pillendöschen brauchte und so aussah, wie sie sich von früher in Erinnerung hatte. Stattdessen drang wieder Annas genervte Stimme an ihr Ohr:
»Wenn ich aus der Schule zurück bin, will ich, dass die Sache geregelt ist. Oder der sympathische Handwerker kann gleich wieder seinen Koffer packen.«
»Hab ich nicht gerade gesagt, dass ich mich darum kümmern werde?«
»Und überhaupt«, ließ ihre Tochter nicht locker, »wieso steht dieser Mensch so früh auf?«
»Vielleicht, weil dieser Mensch arbeiten will?«
»Vor halb sieben hat er aber nichts im Bad zu suchen! Richte ihm das bitte auch aus. Andernfalls kann ich ziemlich ungemütlich werden.«
»Aye-aye, Sir.«
Annas Schritte entfernten sich, tapsten die Treppe hinunter und verklangen. Irene wälzte sich wie ein Walross auf die andere Seite und versuchte, indem sie der wohligen Bettwärme nachspürte, den Traum zurückzuholen, doch es war nichts mehr zu machen. Er hatte sich bereits durch das offen stehende Fenster verflüchtigt.
Warum um Himmels Willen reagierte Anna bloß so aggressiv auf den Handwerker und gab ihm nicht mal eine Chance? Er schien doch der reinste Hauptgewinn zu sein! Fleißig – weshalb stand er sonst so früh auf? – gut aussehend, charmant und vor allem: ein Mann! Von der östrogengeschwängerten Luft in ihrem Haus hatte Irene langsam die Nase voll. Bei ihrem Malkurs in Südfrankreich war sie auf ein wunderbar bunt gemixtes Völkchen gestoßen. Jung und alt, Mann und Frau, hetero, homo, bi, alles war dabei gewesen und hatte dem Tag Schwung verliehen. Statt biestiger Zickereien gab es anregende Diskussionen, statt Fernsehen prickelnde, weingeschwängerte Tête-à-Têtes.
Sie musste wieder eingeschlafen sein, denn plötzlich riss sie eine helle Mädchenstimme aus einem traumhaft erfrischenden Bad im Marokkanischen Meer. »Omama, ich glaub, der Handwerker will los! Hey, er will los! Los!« Es war Lydia, die an ihrer Schulter rüttelte und mit schrillem Singsang dafür sorgte, dass sie gleich noch einen Hörsturz bekam.
»Wer? Was?«
»Tomasz Gnot – so heißt er doch, oder? Ich hab ihm Frühstück gemacht, aber jetzt will er in den Baumarkt. Damit er endlich mit der Arbeit anfangen kann.«
»Sag ihm, ich komme gleich.« Irene schwang sich aus dem Bett, absolvierte halbherzig zwei Yogaübungen – ihr komplettes Programm wäre ihr lieber gewesen –, dann duschte sie in aller Eile, schminkte sich nur flüchtig und zog eine geblümte Tunika zur frisch gebügelten weißen Leinenhose an. In den neuen Ballerinas, wie sie bei der Jugend gerade in Mode waren, lief sie die Treppen hinab und freute sich, dass sich das Herzstolpern der letzten Tage in Wohlgefallen aufgelöst hatte. Diese dummnussige Kardiologin hatte offenbar nicht die geringste Ahnung.
»Tomasz?! Wo steckst du?«
Ersticktes Ächzen drang aus der Ferne.
»Wo bist du?«
»Hier! Auf der Tarrasse!«
Irene durchmaß das Wohnzimmer mit langen Schritten zur angelehnten Terrassentür und fand Gnot in einer ausgewaschenen Jeans und in einem engen, weißen T-Shirt auf den verwitterten Fliesen im Sonnenlicht kauernd.
»Du arbeitest schon?«
»Nein, ich ...«
Er kam lächelnd hoch, morgenblass, die Augenbrauen wirr, und Irene sah jetzt, dass er seine Fußnägel geschnitten hatte, hier, mitten auf ihrer Tarrasse. Das ging ihr nun doch gegen den Strich, aber Tomasz lächelte noch eine Spur bezaubernder und entschädigte sie zudem mit dem Anblick seiner schönen Füße. Ja, sie waren tatsächlich schön. Schlank, die Zehen gerade, wie mit der Wasserwaage angeordnet, gepflegte perlmuttfarben schimmernde Nägel – so sahen Füße in Bestform aus.
»Wir jetzt fahren zu Baumarkt.«
»Lass mich nur noch rasch einen Kaffee trinken, in Ordnung?«
Aus dem nur noch rasch einen Kaffee trinken wurde ein längeres Frühstück inklusive Plauderstündchen, zu dem sich erst Lydia, später auch noch Nina gesellte und Irene, obwohl sie Naschereien gar nicht zugetan war, eine polnische Praline nach der anderen verputzte. Es musste an Tomasz liegen, dass sie plötzlich Heißhunger auf Süßigkeiten bekam.
Der Zeiger bewegte sich bereits auf die zwölf zu, als sie endlich ihren alten Citröen aus der Garage lenkte. Er fauchte und wie ein Drache, fuhr dann aber brav los. Tomasz saß neben ihr, den Stadtplan auf seinen Knien ausgebreitet.
»Ich hoffe, du kannst mich führen. Mein Orientierungssinn ist hundsmiserabel. Und wir wollen ja wohl noch heute im Baumarkt ankommen, nicht wahr?«
»Ich sehr gut liese Stadtplane«, erklärte Tomasz und lachte sein lautes, röhrendes Lachen, mit dem er schon am gestrigen Abend die ganze Familie unterhalten hatte.
In der Tat lotste er Irene zielsicher auf die Stadtautobahn. Eine ganze Weile zuckelten sie auf der rechten Spur dahin, wurden selbst von Kleinstwagen und Lastern überholt, aber da die Wörter zwischen ihnen nur so hin- und herflogen, spielte es keine Rolle. Sie redeten über das Leben, über die Liebe, über alles und nichts. Irene kam es so vor, als hätten sie die Philosophie neu erfunden, als sie sich mit einem Male außerhalb der Stadtgrenzen befanden, wo sie sich nun gar nicht mehr auskannte, dafür aber jede Menge frische Luft und der Duft von Kuhdung durch die leicht geöffneten Wagenfenster hereinwehte. Sie nahmen die nächste Ausfahrt – irgendwo würden sie schon ankommen.
»Oh, tut mir wirklich leid!« Tomasz berührte sanft ihre Schulter. »Wir sind nicht auf der richtige Stelle.«
Irene war ihm gar nicht böse, ganz im Gegenteil, sie fand es eher amüsant, wie er sich mit dem Ungetüm von Stadtplan abmühte und doch nicht zurechtkam. Überhaupt, was war gegen eine Spritztour mit einem jungen, hübschen Mann auch einzuwenden?
»Weißt du was?« Irene bremste vorsichtig und lenkte den Wagen an den Straßenrand. »Wie wäre es mit einer Landpartie? Wo wir schon mal hier draußen in der Natur sind. Die Einkäufe erledigen wir am Nachmittag und morgen fängst du dann ausgeruht mit der Arbeit an.«
»Das ist sehr gut!« Tomasz schlug sich begeistert auf die Oberschenkel und Irene dachte: Oui! Dieser schöne, sonnendurchflutete Tag ist ebenso wie der Handwerker ein Hauptgewinn! Wolken glitten wie dickbäuchige Schafe über den azurblauen Himmel, Bäume und Sträucher standen in hellem, flirrendem Grün und überall blühten die Rapsfelder. Kilometer um Kilometer arbeitete sich der Citröen die kurvige Straße entlang, die sich durch die brandenburgische Landschaft schlängelte. Vergessen waren ihre Tochter, ihre Enkelinnen, Ärzte, Pillen, das Alter. Doch ausgerechnet in dem Moment, als sie über eine kleine Landstraße an einen See gelangt waren und Irene das Auto vor einem backsteinfarbenen Gasthaus parken wollte, klingelte ihr Handy.
»Mutter, wo seid ihr denn?« Anna klang reichlich ungehalten, und Irene war froh, dass es sich bei dieser keifenden Frau am anderen Ende der Leitung nicht um ihre Vorgesetzte oder Lehrerin, sondern bloß um ihre Tochter handelte. Bestimmt war sie gerade von der Schule nach Hause gekommen und wunderte sich über das gähnend leere Haus, in dem kein einziger Spachtel und kein Farbeimer vorzufinden war. Nur der Frühstückstisch, den Irene frei nach ihrem Motto Was du später kannst besorgen ... unabgeräumt zurückgelassen hatte.
»Liebchen, mach dir keine Sorgen«, flötete sie. »Tomasz und ich, wir nur sind nur ein bisschen ... unterwegs.«
»Unterwegs? Wie unterwegs?« Annas Stimme tönte so durchdringend, dass Irene ihr Telefonchen, wie sie es bisweilen liebevoll nannte, ein Stück vom Ohr weghalten musste. Aber so war sie schon immer gewesen: Bei dem geringsten Anlass plusterte sie sich auf, dass die Federn flogen.
»Kümmere dich einfach nicht um uns, in Ordnung?«
»Was soll das, Mutter? Ich ...«
»Jetzt hör mir mal zu«, unterbrach Irene ihre Tochter. »Du gestaltest deinen Nachmittag einfach so, wie du es immer tust, und freust dich darüber, dass Tomasz heute noch keinen Dreck im Haus macht, verstanden? Gegen Abend sind wir wieder da.«
»Mutter ...!«, hörte Irene ihre Tochter noch in den Hörer krähen, doch da hatte sie ihren Daumen schon auf der Aus-Taste.
»Hast du Problem?«, erkundigte sich Tomasz, seinen kleinen Bauchansatz massierend.
»Nein, alles in bester Ordnung. Und jetzt genießen wir die frische Luft. Die gibt es hier nämlich gratis.«
»Tak!«
Der Handwerker seufzte selig auf, dann sprang er aus dem Wagen und lief schon den sandigen, von Schlehenbüschen gesäumten Weg zum See hinab. Als Irene etwas außer Atem nachkam, saß er am Ende eines kleinen Stegs und ließ die nackten Füße ins Wasser baumeln.
»Hier ist sehr, sehr gut!«, rief er aus.
»Ja, es ist wunderschön.« Irene ließ sich neben ihm nieder und streifte ihre Ballerinas ab. Vorsichtig tauchte sie ihren Zeh ins Wasser. »Ihh, kalt!«
»Aber ist wärmer als Leben oft –« Tomasz sah sie durchdringend an. Es war dieser Blick, den alle Männer beherrschten, wenn sie mehr im Sinn hatten, als bloß ihre frisch pedikürten Zehen zu baden. Himmel, was ging hier vor sich? Tomasz war jung, sie hingegen ...
»Wie alt bist du, Irene?«, erkundigte er sich just in diesem Moment, als könne er Gedanken lesen.
»Wie alt bist du denn?«, wich Irene aus.
»Ich ... ach ... ich bin alt wie der Wolf aus dem Buch Czerwony kapturek.« Tomasz paddelte mit den Füßen, lachte. »Ich nicht weiß for die alles Märchen. Aber ... Manchmal bin ich zu alt oder zu jung oder richtig.«
»Das trifft sich gut. Ich nämlich auch!« Sie musterte Tomasz von der Seite und hatte nicht übel Lust, ihm mütterlich über den Kopf zu streichen. Doch sie ließ es lieber bleiben, blinzelte ins Sonnenlicht und hoffte, dass ihm ihr Damenbärtchen durch den womöglich ungünstigen Lichteinfall nicht allzu sehr ins Auge stechen würde.
»Was du arbeiten?«
»Schauspielerin.«
»Ach so? Ja?« Er pfiff anerkennend, ließ seine Augen über ihren Körper wandern.
Ja, sie konnte stolz auf sich sein. Ein paar Nebenrollen in anspruchsvollen Filmen waren schon dabei gewesen. Wenn auch jede Menge Trash und einige Erotikfilmchen in den 70er Jahren. Später hatte sie an kleinen Theatern gespielt, in München, Bochum, Wiesbaden, Hamburg und Berlin, und sich in den vergangenen Jahren vor allem als Synchronsprecherin über Wasser gehalten. Ihre letzte große Rolle war das Biest Amanda in einer amerikanischen Soap gewesen; leider hatte ihr Alter Ego in Folge 1237 das Zeitliche segnen müssen. Seitdem war zugegebenermaßen wenig gelaufen. Was Irene fast noch mehr ausmachte als der Gedanke, demnächst von Pillen abhängig zu sein.
»Lydia zu mir gesagt, du bist fruhar eine Hippie Mädchen?«
»Diese kleine Petze!«, ereiferte sich Irene, wobei sie daran lediglich die Offenbarung ihres Alters störte. Eigentlich erinnerte sie sich nur allzu gerne an den Sommer, in dem sie mit ihrer Freundin Anita im VW-Bus über Ibiza und Marokko bis nach Kathmandu gereist war. Lächelnd erzählte sie Tomasz von damals. High sein, frei sein, überall dabei sein – es war eine herrlich unbekümmerte Zeit gewesen. Man lebte nachts, verschlief den Tag, frei nach dem Motto Le temps n’existe plus. Daneben gab es aber auch die Sehnsucht nach Spiritualität, nach Sinn, existentieller Tiefe – keine Frage, denn was hätte das Christentum ihrer Generation nach Auschwitz und Hiroshima schon noch zu bieten gehabt? Nichts als schwergewichtige Priester, verknöcherte Pfarrer, die in ungeheizten Kirchen Märchenstunden abhielten. Vielen ihrer Weggefährten hatte Hesses Siddhartha die Bibel ersetzt, andere hatten sich intensiv mit dem Buddhismus befasst, wieder andere sich häppchenweise das für sie Passende rausgepickt. Und dann die freie Liebe! Fabelhaft war es gewesen – eine einzige Hymne an die Libido. Ohne Ansprüche, ohne dieses ganze Besitzdenken, das die Beziehungen heutzutage vergiftete und jede zweite Ehe scheitern ließ ...
Tomasz sah sie mit schreckgeweiteten Augen an; vielleicht hatte er in in dem Labyrinth ihrer Worte schlicht die Orientierung verloren. Aber wie sollte er es auch verstehen? Er war zu jung, seine Kindheit vom Sozialismus geprägt, seine Jugend von Solidarność, vielleicht war er auch durch und durch von katholischen Werten infiltriert. Kathmandu, Summer of love – das kannte er allenfalls vom Hörensagen.
»Bist du eigentlich katholisch, Tomasz?«
Er nickte.
»Und ... du glaubst an Gott?« Irenes Worte schwirrten wie Libellen durch die Luft, schienen jedoch nicht bei ihm anzukommen, erst nach einigen Sekunden erhellte ein Lächeln sein Gesicht und er sagte: »Tak ... Nie ... Tak ... Ich nicht weiß.«
»Also ja oder nein?«
Tomasz beugte sich vor und beobachtete ein kleines Plastikteil, das auf den Wellen tanzte. Irene nutzte den Moment, seinen muskulösen Rücken genauer zu betrachten. Das T-Shirt war hochgerutscht und entblößte einen Streifen weißer, von einem Flaum dunkler Härchen bedeckter Haut, der Gummizug seiner hervorlugenden Boxer war mit kleinen, grinsenden Delphinen bedruckt. Ihr Blick wanderte den Rücken aufwärts bis zu seinem babyzart erscheinenden Hals, erreichte seinen Schopf, der von weißen Strähnen durchzogen war, was seinem Aussehen einen seriösen Touch gab. Vielleicht war Tomasz Mitte 30, vielleicht aber auch schon Anfang 40, so genau ließ sich das nicht einschätzen. Plötzlich fuhr sein Kopf fuhr herum. Hoffentlich hatte er ihren taxierenden Blick nicht bemerkt.
Mit ernster Miene antwortete er: »Ich glaube mich und meine Mutter und das Leben ist for mich gut.«
»Du glaubst an deine Mutter?« Irene konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen.
»Ja.« Er senkte den Kopf und schabte auf dem ausgeblichenen Jeansstoff an seinen Knien herum. »Meine Mutti ist krank, wo ich ersten Mal zur Schule gekommen. Sie hat kaputtes Bein.«
»Oh, das tut mir leid.« Wie hatte sie bloß so spitz nachhaken können, ohne die Hintergründe zu kennen.
»Meine Schwester und ich ... die Kinderzeit wie leben bei unserer Tante.«
»Und dein Vater?«
»Muss arbeiten in Katowice.«
Irene forschte nicht weiter nach. Ihre natürliche Neugier war einem Gefühl von Respekt gewichen, der es ihr verbot, gleich am ersten Tag all die kleinen und großen Tragödien seiner Kindheit aus ihm herauszupressen. Zudem interessierte sie sich mehr dafür, wie er heute lebte. »Hast du eigentlich eine Frau?«
Die Frage danach mochte ihm wie ein Überfall vorkommen, Irene registrierte genau, wie er zusammenzuckte, doch dann streckte er seinen Rücken durch und sagte zu dem im Wasser dümpelnden Plastikstück: »Ich bin allein. Ich bin nicht heiraten. Aber ich hab eine Freundin. Sie ist älter als ich. Sie macht Illustration für Kinderbücher.«
»Und Kinder? Hast du Kinder?«
Er verneinte mit knappem Kopfschütteln und da er auch bei diesem Thema eher wortkarg zu sein schien, schlug Irene ihm vor, im Gasthaus nebenan einen Happen essen zu gehen.
Tomasz war nicht nur freundlich, sondern auch pflegeleicht. Es machte ihm nichts aus, dass trotz des herrlichen Wetters lediglich in der Wirtsstube eingedeckt war, und als Irene ihm empfahl, den Räucherfisch zu probieren, der direkt aus dem See stammte, willigte er sogleich ein. Kein kapriziöses Gehabe, wie sie es nur allzu gut aus ihrem Frauenhaushalt kannte. Und dazu besaß er eine Menge Sexappeal. Je länger Irene mit ihm zusammen saß, desto mehr musste sie sich am Riemen reißen, um ihre Gedanken im Zaum zu halten. Denn eins lag klar auf der Hand: Egal wie alt er selbst beziehungsweise seine Freundin sein mochte, zählte sie in seinen Augen gar nicht mehr zu den sexuell aktiven und begehrenswerten Frauen. Möglich, dass er sie schätzte – ganz gewiss schätzte er eine Arbeitgeberin, die gleich am ersten Arbeitstag eine Landpartie mit ihm unternahm –, nur war sie damit nicht automatisch für ihn attraktiv.
Die Zeit verrann viel zu schnell für Irenes Geschmack. Ihren Kaffee tranken sie unterwegs, und nach einigem Stop-and-Go-Gekurve durch die Stadt schafften sie es sogar noch in den Baumarkt, den sie erst eine gute Stunde später schwer bepackt wieder verließen. Mit Gnot ließ es sich prima aushalten, das stand für Irene fest, als sie gegen acht erschöpft und glücklich wie ein Kind, das den ganzen Tag an der frischen Luft gespielt hatte, die Haustür aufschloss. Mit ihrer Tochter weniger. Die saß in einem grauen Schlabberpulli mit verkniffener Miene am Küchentisch, vor sich ein Käsebrot und einen Stapel Klassenarbeiten, und würdigte sie und den Handwerker keines Blickes.