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Der Umzug auf die Station 1 A ist schwer. Die Mitpatienten der Station 31 haben mich nur schweren Herzens gehen lassen, und die neue Station ist so groß, so anders, so fremd.

Ich beziehe mein Zimmer, das ist schön, nur noch zu zweit, ein Fensterplatz mit Blick auf das Gelände, das so herrlich ist. Die Wälder umranden die Klinik, ein Gelände das riesig ist, beinahe endlos erscheint. Inzwischen genieße ich das Hier sein, allein der Natur wegen. Ich laufe täglich meine Runde durch das Gelände, etwa eine Stunde kann man hier laufen ohne wieder den Ausgangspunkt zu erreichen. Es ist herrlich. Es ist Juni und warm und die Luft ist so klar, wie ich sie lange nicht mehr gerochen und genossen habe. Für so etwas hatte ich nie Zeit.

Nach der Trennung von meinem Exmann 1997 arbeitete ich sofort in Vollzeit, damit er keinen Unterhalt für mich zahlen musste. Die Kinder gingen in den Kindergarten und wurden mittags von einer Tagesmutter betreut. Erst 2000, als Cindy in die Schule kam, stellte ich meinen Chef vor die Wahl: entweder ich gehe, oder er bietet mir einen Job an, in dem ich nur am Vormittag und an zwei Nachmittagen die Woche arbeiten muss. Zu meinem Erstaunen bot er mir diesen Job an, sagte, das Gehalt bliebe so wie es ist, ichwürde hervorragende Arbeit leisten und sei das wert. Nun mussten die Kinder nur noch Montag- und Dienstagnachmittag zu einer Tagesmutter, an den anderen Tagen war ich ja zu Hause. Doch an diesen Tagen war ich die Taxi-Mami, vom Fußballtraining meines Sohnes zum Tanztraining meiner Tochter, zur Kirche, zu den zahlreichen Kaffeeklatschmittagen der ich-bin-Hausfrau-und-habe-viel-Zeit-Frauen, zum Handballtraining beider Kinder, natürlich nacheinander, nicht gleichzeitig. Am Wochenende nehme ich als Animiermami an Aktivitäten bei Fußballspielen und Handballspielen teil, das Kuchen backen wird vorausgesetzt und der Verkaufsstand muss auch von einer freiwilligen Mami besetzt werden, ich melde mich natürlich freiwillig, meine Kinder sollen ja stolz sein, um dann festzustellen, dass schon wieder Montag ist und ich den ganzen Tag arbeiten muss. Wenn die Kinder dann abends im Bett liegen, bin ich platt. Dann ist es halb neun und ich koche noch vor und bügle und wasche und räume auf, da die Kinder nicht dabei sind, wie es sich gehört, damit sie nicht vernachlässigt werden. Und ich habe keine Zeit, mir was Gutes zu gönnen. Wie denn auch, das gehört sich ja nicht, die Kinder sind Wunschkinder und erfordern meine ganze Aufmerksamkeit, wenn sie einst groß sind, dann habe ich genug Zeit für mich. Auch Männer haben kein Glück bei mir, sobald sie das große wir-ziehenzusammen-und-heiraten-Gerede aufziehen beende ichdie Beziehung schnell, wir brauchen keinen Mann, wir sind alleine glücklich!

Und nun bin ich hier, in der Irrenanstalt in Hirsau, und genieße mich und die Natur und stelle fest, dass es schwer ist, mich so alleine auszuhalten. Irgendwie kenne ich mich eigentlich gar nicht. Nach und nach stelle ich fest, dass das bisherige Gerede über die Irrenanstalt nicht stimmt. Natürlich gibt es hier auch von Verfolgungswahn Geplagte, aber der überwiegende Teil der Menschen hier ist depressiv und hat Schlimmes erlebt.

Auf der Station 1 A tue ich mich schwer. Alle sind miteinander verschworen und hocken im Raucherzimmer und ich, seit vier Jahren Nichtraucherin, bin fast alleine im Nichtraucherzimmer, genannt Wohnzimmer. Ich bin einsam. Meine Ärztin Frau Gutfrau ist eine ganz liebe Person, ich denke, mit ihr kann ich. Das Personal ist gemischt, da gibt es Feldwebel, ganz Liebe, wieder andere schauen, als wollten sie sagen, geh lieber zum Kollegen, der kann das besser…ich fühle mich fremd. Mein Clown will doch auch irgendwo leben. Aber wo? Ohne ihn fühle ich mich einsam, nackt…ich halte es hier nicht aus.

Der Tagesplan auf der Station ist heftig. Bereits um 7.20 ist Morgenrunde. Da sitzen alle einträchtig gähnend dem Personal gegenüber. Die große Frage desPersonals: „Was steht von Ihrer Seite an?“, ein Gähnen antwortend werden wir in einen „schönen Tag” geschickt. Von 7.30 bis 8.15 ist Frühsport bei Feldwebel Frau Kanne. Eine ganz Liebe, wenn man ihr liegt, wenn sie einen mag und wenn man sich für ihren Hochleistungssport begeistert. Ich bin ein braves Mädel, lächle immer, keuche nur verdeckt, und renne und mache was das Zeug hält, nur um von ihr ein „Toll, Frau Küppers” zu erhaschen und gemocht zu werden. Die völlig Unsportlichen legen sich permanent mit ihr an und werden von ihr gefoppt, das könnte ich nicht ertragen. Also schön brav mehr leisten als ich kann, dann ist alles gut.

Nachdem ich nun zwei Wochen hier bin, fühle ich mich immer einsamer. Ich erzähle Frau Gutfrau, dass ich hier weg will, das Einsame nicht aushalte und Heimweh habe, doch zu meinem Entsetzen redet sie mir nicht bestätigend zu, sondern sagt, sie sei quasi der Anwalt der Klinik und versuche mir klar zu machen, dass der Aufenthalt wichtig für mich sei. Äh, hab ich da was verpasst? Ich will heim!

Frau Gutfrau redet mir zu, in der Morgenrunde doch mal zu sagen, dass ich im Wohnzimmer einsam bin, vielleicht kommen ja dann ein paar der Raucher ab und zu mal rüber. Ich und etwas fordern? Wie denn, ich mache doch so etwas nicht! Ich doch nicht!! Aberdas Personal ermutigt mich ebenfalls…also gut, Augen zu und durch, irgendwas wird schon über meine Lippen kommen. Und dann kommt der Morgen, ich sitze da, mein Herz klopft bis zur Decke, ich bin hochrot, mit piepsiger Stimme enthuscht mir ein verzweifeltes „ich bin so einsam im Wohnzimmer, ihr Raucher könntet doch auch im Wohnzimmer fernsehen, wenn ihr mir nicht helft, dann schaffe ich das hier nicht…” Oh Gott, wie peinlich, was stammle ich da für wirres Zeug, das wollte ich doch gar nicht sagen, aber wie sollte ich es auch anders machen. Ich habe nie gesagt, was ich mir wünsche…

Das Ende vom Lied ist, dass sie über mich schimpfen und mich natürlich missverstehen und so entsteht das perfekte Chaos. Ich bin noch einsamer und nur wenige geben mir trotzdem eine Chance, sehen, dass ich doch niemandem etwas Böses wollte, sondern nur zu doof war zu sagen, was ich will und empfinde.

Die Pein ist noch nach zwei Wochen vorhanden, aber das Tagesprogramm mit Musiktherapie, Gruppen- und Einzeltherapie, Pflegegesprächen etc. ist so intensiv, dass ich sowieso kaum Zeit habe, darüber nachzudenken.

Leben mit Borderline

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