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PROLOG

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Als ich noch ein junges Mädchen war, das gerade lesen und schreiben gelernt hatte, fragte ich einmal meine Großmutter, wer über die meiste Macht in der Welt verfüge.

Sie ließ die Näharbeit sinken. »Denk nach!«, forderte sie mich auf.

Ratlos knetete ich meine Hände. »Der Papst?«, schlug ich unsicher vor. Man erzählte sich, dass er in einem weitläufigen Palast voller Gold und Edelsteine wohne.

Großmutter schüttelte den Kopf.

»Der König?«, wagte ich den nächsten Versuch. Er besaß schrecklich viele Pfalzen, die kostbar ausgestattet waren. Jedermann sank tief in den Staub, wenn er sich näherte.

Erneut schüttelte Großmutter den Kopf.

Nun wusste ich nicht mehr weiter. Wer konnte denn noch mächtiger sein als Papst und König?

Bedächtig nahm Großmutter ihre Näharbeit wieder auf. »Es gibt Menschen, die mit ihren Händen über Leben und Tod gebieten.”

Ich verstand. »Die Ritter mit ihren riesigen Schwertern sind es!”

»O nein, Rotrud. Die mächtigsten Menschen der Welt haben zarte Hände, aber niemand kann sich der Kraft, die in ihnen steckt, entziehen. Sie herrschen über unsere Seelen, läutern oder verderben sie, bannen und lösen. Sie bringen uns unsägliches Glück und tiefsten Schmerz.«

Großmutter senkte ihre Stimme. »Und wenn unser letzter Atemzug naht, dann kommen sie, uns zu holen. Mit Flöten und Fiedeln bringen sie die Sterbenden zum Tanzen, erst sanft, dann immer wilder, links herum im Kreis, bis sich alles dreht und sie ihnen willenlos ins Jenseits folgen.«

Ihre Stimme war nur noch ein Wispern, hauchzart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. »Aber unter ihnen sind auch einige, die uns das Leben zurückbringen können. Mit ihren schmeichelnden Stimmen entreißen sie dem Tod die unglücklichen Seelen, die er schon in seinen Klauen hatte.«

Ich hob die Hände. »Großmutter, wer sind diese mächtigen Menschen?«

Ihre grünen Augen leuchteten. »Man nennt sie Spielleute.«

Der Knochenpoet

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