Читать книгу Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten - Susanne Pavlovic - Страница 8

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Dort, wo die Katze geplatzt war, hielt sich ein merkwürdiger Geruch im Garten. Studenten mieden den Bereich, was ihn zum idealen Übungsplatz für Galina machte. Entweder hatte sie inzwischen etwas gelernt, dann konnte sie hier niemanden verletzen, oder nicht, dann gab es hier keine Zuschauer, deretwegen er sich für seine unfähige Schülerin schämen musste.

Kritisch beäugte Yuriko die Bank und setzte sich dann doch lieber daneben ins Gras.

»Na, dann zeig mal, was du kannst.«

Galina nahm Aufstellung, atmete durch und schloss in tiefer Konzentration die Augen.

»Eldingr!«

Sie riss die Hände nach vorne. Anstrengung verzerrte ihr Gesicht. Dann leuchteten ihre Fingerspitzen zart auf. Ein Flämmchen hüpfte in die Luft und verging.

»Eldingr!«

Ihre Arme zitterten, sie sah aus, als wolle sie eine unsichtbare Wand wegschieben. Nichts passierte.

»Das war’s schon?«, sagte Yuriko. »Was hast du gemacht, fünf Jahre lang?«

»Nicht viel, ohne meinen Lehrmeister!« Sie ließ die Hände sinken, lockerte die Finger, nahm erneut Aufstellung.

»Eldingr, verdammt noch eins!«

Ein Flämmchen, kaum spannenlang und so schnell weg, dass Yuriko sich fragte, ob er es wirklich gesehen hatte.

»Lächerlich!«, polterte Yuriko. »Und hör auf, den Zauberspruch herumzukrähen! Das ist unelegant und völlig unnötig!«

»Es hilft mir! Ich kann mir dann das Feuer besser vorstellen! Du hast doch immer gesagt, ich soll es fisa – fisali …«

»Visualisieren!«

»Genau!«

»Das Arkanum, das in deine Hände fließt, sollst du visualisieren. Wie es sich aufheizt und sich schließlich entzündet. Wie du es von deinem Körper trennst und es wirfst. Oder spuckst. Zeig mir das doch mal. Vielleicht bist du mit dem Mund besser als mit den Händen. Was bei einer Frau nie ein Schaden ist, im Übrigen.«

»Eldingr, du alter Sack!«

Immerhin diesmal eine kräftige Flamme, die aus Galinas Handfläche schlug und Padda so heftig zurückzucken ließ, dass er von Yurikos Schulter fiel.

»Aha«, sagte Yuriko ungerührt. »Wut hilft also. Das Ergebnis ist allerdings immer noch unterirdisch, und ich kann dich nicht jedes Mal reizen, wenn du einen Feuerzauber werfen willst.« Er kramte in seiner Tasche, bis er sein Fässchen mit Arkantinte und den Federkiel gefunden hatte. »Hand.«

»Wie bitte?«

Yuriko winkte ungeduldig, und Galina hielt ihm zögernd die Hand hin. Er tunkte die Feder ein und malte ihr einen Fokus auf die Handfläche, wiederholte den Vorgang mit Galinas anderer Hand und lud beide Siegel dann mit Arkanum auf.

»Versuch’s nochmal.«

Während Galina Aufstellung nahm, klaubte Yuriko Padda aus dem Gras und behielt ihn in der Hand. Mit dem Zeigefinger strich er ihm beruhigend über den Kopf. Padda quakte ungnädig.

»Ich weiß«, murmelte Yuriko. »Ich kann auch nichts dafür.«

»Eldingr!«

Die Flamme, die Galina zustande brachte, war immerhin so lang wie ihr Unterarm und hielt sich für die Länge eines Atemzuges. Als sie vergangen war, krümmte Galina sich und rieb sich die Arme.

»Muss sich das so anfühlen?«, fragte sie. »Als würden einem alle Blutgefäße zu den Fingern rausgezogen?«

»Lässt gleich nach. Das ist der arkane Unterdruck, den du spürst.«

Galina schüttelte die Arme aus und machte sich erneut bereit.

»Warte«, sagte Yuriko. »Lass uns sehen, wie es um die Siegelzauberei steht. Vielleicht fällt dir die leichter.«

Wie gut, dass er vorhin in der Bibliothek ein paar Bögen Papier hatte mitgehen lassen. Er holte sie heraus, faltete sie zurecht und hielt sie Galina hin. Die ließ sich neben ihm im Gras nieder und nahm das Papier ohne rechte Begeisterung entgegen.

»Siegel des Endlosen Raumes«, sagte Yuriko. »Kennst du noch?«

Galina nickte, tunkte die Feder ein und begann zu malen. Es geriet ihr ein wenig krakelig, aber alle Elemente waren vorhanden. Dann machte sie ein mühsames Geschäft daraus, das Siegel mit Arkanum aufzuladen. Yuriko pflückte ein Gänseblümchen und gab es ihr. Sie legte es auf das Siegel. Die Tintenlinien leuchteten auf, das Gänseblümchen erzitterte. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde es in den Endlosen Raum gezogen, doch dann wich jeglicher Saft aus der kleinen Pflanze, sie blieb schlaff und bräunlich verfärbt auf dem Siegel liegen.

Galina ließ sich nach hinten umfallen und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht.

»Mach dir nichts draus«, tröstete Yuriko. »Du musst dir dein Geld nicht als Zauberin verdienen. So hübsch, wie du bist, findest du bestimmt einen netten Mann.«

»Darum geht’s doch nicht«, sagte Galina hinter ihren Händen. »Ich will die Zauberei beherrschen! Ich gehöre zu den Begabten, das sieht man doch!«

»Du gehörst nicht nicht zu den Begabten«, sagte Yuriko vorsichtig. »Aber es ist schwer, die Zauberei zu erlernen, wenn man so wenig Arkanum kanalisieren kann wie du. Dir fehlt es schon an den Grundlagen.«

»Dann bring mir bei, es zu kanalisieren. Für irgendetwas musst du doch gut sein.«

»Ich habe im Land hinter den Mandelbäumen einige Meditationstechniken gelernt, die dir vielleicht helfen. Und ich könnte den Fokus weiterentwickeln. Verstärken. Ein wenig zumindest. Ich will nicht riskieren, dass ein harmloser Zauber dir die Hand abreißt.«

»Das klingt doch gut. Also, bis auf die abgerissene Hand.«

Yuriko betrachtete seine Schülerin. Das Fünkchen Begabung war kaum mehr als ein übler Scherz der Götter. Es war nicht viel damit anzufangen, gleichzeitig ließ es sie nicht zur Ruhe kommen.

Er bewunderte ihren Ehrgeiz, es als Erste in einer durch und durch unbegabten Familie zur Zauberin zu bringen, fragte sich aber gleichzeitig, ob der Zeitpunkt nicht gekommen war, an dem sie diesen Traum besser begrub.

»Starrst du mir auf die Brüste?«, sagte Galina, immer noch die Hände vor dem Gesicht.

»Du hast sie nun mal, da kann ich sie auch ansehen«, sagte Yuriko. »Geh doch einstweilen und kümmere dich um deine Hausmeister-Pflichten. Ich probiere ein bisschen mit dem Fokus herum. Heute Mittag kannst du mich zum Essen einladen und ich zeige dir meine Ergebnisse.«

Galina brummte, rappelte sich aber auf und klopfte sich Gras vom Kleid. Sie hatte gerade zwei Schritte auf dem Weg in Richtung Haupthaus gemacht, als Arkadis ihr entgegenkam, in Begleitung von jemandem, der nach Yurikos Einschätzung selten genug aus seinem Keller kroch.

»Hier bist du«, sagte Frakis, Galina völlig ignorierend. »Ich habe dich schon überall gesucht.«

»Hast du Neuigkeiten zum Siegel?«

Frakis holte einen Zettel aus der Tasche und hielt ihn Yuriko hin. Der nahm ihn entgegen und las.

»Wissen, Ursprung, Sprache, Fragezeichen, Fragezeichen, Wurzel, Tod. Ja, alles klar. Ergibt Sinn.«

»Unter Vorbehalt«, sagte Frakis. »Es handelt sich um Wortschriftzeichen, aber für genau diese habe ich keine Quelle gefunden. Es gibt ein paar Handvoll, die von alten Kulturen auf dem Südlichen Kontinent für arkane Zwecke verwendet wurden. Gebräuchlich sind die alle nicht mehr. Deshalb habe ich die Bedeutung aus Ähnlichkeiten abgeleitet. Aber in dem Prozess sind so viele Unschärfen, dass du dich auf das Ergebnis kaum verlassen kannst.«

Ratlos sah Yuriko auf den Zettel.

»Was hattest du erwartet?«, fragte Frakis. »Wer das liest, ist doof?«

»Das Siegel ist ein Arkanspeicher, aber nicht so, wie wir ihn kennen. Ich hatte gehofft, etwas über den Zweck zu erfahren.«

»Der Zweck eines Arkanspeichers ist ziemlich selbsterklärend.«

Yuriko seufzte. »Du hast die Katze nicht gesehen.«

Frakis machte ein fragendes Gesicht. Yuriko winkte ab. »Keine Sorge. Sie ist an einem besseren Ort.«

»Warum klemmst du dich so hinter diesen Fall?«, fragte Frakis. »Arbeiten ist doch sonst nicht dein bevorzugter Zeitvertreib.«

»Jemand muss dem Mädchen doch helfen«, versuchte Yuriko es, doch Frakis schüttelte den Kopf. »Du hilfst dir in erster Linie selbst. So sehr kann eine Reise dich nicht verändert haben.«

Yuriko zögerte. »Ich will ihr wirklich helfen«, sagte er schließlich. »Aber wenn meine Reputation an dieser Arkania sich verbessern würde, indem ich die Siegelkunde voranbringe – etwas entdecke, ein Rätsel löse – und wenn man mir daraufhin wieder eine Anstellung gäbe … ein regelmäßiges Einkommen … dann … du weißt, dass Florine ihren dusseligen Ehemann los ist?«

»Dass sie ihn lieber behalten hätte, weiß ich. Gute Güte, du machst dir doch nicht etwa immer noch Hoffnungen? Hat deine lange Reise dich nicht kuriert?«

»Getröstet, mannigfaltig. Aber nicht kuriert. Florine jedenfalls hat durchblicken lassen, dass sie möglicherweise doch mehr als nur freundschaftliche Gefühle für mich hegt.«

»Nachdem sie dir einen Korb nach dem anderen verabreicht hat, seit wir Kinder waren?«

»Späte Erkenntnis.«

Frakis sah erheitert aus, im Rahmen seiner Möglichkeiten.

»Sie muss ja sehr verzweifelt sein.«

»Warum sie mich nimmt, ist mir egal, solange sie mich nur nimmt. Aber ich brauche ein regelmäßiges Einkommen, damit ich ihr den Hof machen kann.«

»Kraka wird seinen Stuhl nie wieder räumen«, sagte Frakis. »Der bleibt, bis sie ihn tot aus seiner Schreibstube tragen. Da kannst du erfinden, was du willst.«

»Meinen Stuhl. Aber du bringst mich auf eine Idee – es steht nicht zufällig in einem deiner Bücher etwas darüber, wie man sein Ableben vorzeitig herbeiführen kann?«

Frakis sah Yuriko über den Rand seiner Augengläser hinweg an.

»Du beliebst zu scherzen.«

»Ja, natürlich.«

»Gut. Du planst keine Dummheit, oder?«

»Ich? Nein! Niemals!«

»Gib mir dein Wort.«

»Frakis, was denkst du? Ich müsste der größte Dummkopf sein, wenn ich versuchen wollte, gegen Kraka vorzugehen.«

Mit leichter Hand klopfte Frakis auf Yurikos Brust.

»Dein Kopf ist es nicht, der mir Sorgen macht, mein Freund. Aber dein Herz hat noch nie gewusst, was gut für dich ist.«

Frakis ging davon, und Yuriko sah sich mit seiner erwartungsvollen Schülerin konfrontiert.

»Verschwinde«, sagte er ungnädig. »Such dir eine Beschäftigung. Ich muss nachdenken.«

Galina seufzte schwer und schlurfte davon. Yuriko wartete, bis sie außer Sichtweite war, dann ließ er sich ins Gras fallen, setzte sich Padda auf den Bauch und starrte in den Himmel.

Eine Lösung für Galinas Zaubereiproblem. Ein Siegel, das Arkadis´ Stummheit kurierte. Eine Festanstellung, egal, wo. Sein Haus, das er dringend instand setzen musste. Und alles, woran er denken konnte, war Florine.

***

Von hier oben sah das Dach erschreckend aus: zerbrochene Dachziegel überall, Moos und Moder, und erstaunlich, was so alles in einer Dachrinne wachsen konnte. An einer Stelle lag der Dachbalken bloß. Yuriko kratzte mit einem Fingernagel daran und löste lange, schwammige Holzspäne. Das konnte nicht gut sein. Ob sich das reparieren ließ, oder musste das Dach komplett neu gedeckt werden? Für das eine wie das andere fehlte ihm das Geld, aber klar war: Den nächsten Regen konnte er auf dem Grund seines Teichs abwarten und würde auch nicht nasser werden. Kein Wunder, dass Arkadis sich unter die Treppe verkrochen hatte. Das war im Zweifelsfall der einzige trockene Platz im Haus.

Er blinzelte in den Himmel. Durchsichtiges Blau, kaum ein Schleierwölkchen. Es wurde Abend. Heute Nacht würden sie mutmaßlich trocken bleiben, und das Wetter war stabil um diese Jahreszeit. Und bis der regnerische Herbst kam, geschah vielleicht noch ein Wunder.

Vorsichtig ließ Yuriko sich auf dem Dachfirst nieder und begann, sich eine Pfeife zu stopfen. Der Rest im Beutel reichte gerade so. Morgen würde er Frakis um Geld bitten müssen. Oder tatsächlich einen Auftrag vom Anschlagsbrett durchführen. Ob die Hochzeit noch zu haben war? Da gab es Essen, Musik und schöne Frauen.

Padda krabbelte auf seiner Schulter herum, presste sich gegen seinen Hals und machte sich steif. Yuriko schnipste sich eine Flamme an den Daumen und zündete seine Pfeife an.

»Tut mir leid, Padda. Ich hätte dich unten lassen sollen. Aber dir passiert nichts. Versprochen.«

Der Kröter stemmte sich, so hoch er konnte, und prallte gegen Yurikos Wange. Er nahm in von der Schulter und behielt ihn in der Hand, doch Padda wollte sich nicht beruhigen. Yuriko klemmte sich die Pfeife zwischen die Zähne und legte beide Hände um den Kröter, damit der ihm nicht auskam. Padda zappelte und werkelte herum und reckte den Hals, was ulkig aussah, da er ja praktisch keinen hatte.

»Schau«, sagte Yuriko leise. »Man kann das Meer sehen. Weißt du, dass ich es vermissen werde? Das Reisen. Wenn ich mich einmal zu Florine bekannt habe, komme ich dazu nicht mehr. Aber vielleicht hat sie irgendwann die Nase voll von Letis. Dann nehme ich sie mit und zeige ihr die Welt. Nur sie und ich. Und du natürlich, aber das mit uns beiden ist ja etwas völlig Anderes. Wusstest du übrigens, dass Kröten im Land hinter den Mandelbäumen als Symbol für Reichtum gelten? Was das betrifft, könntest du noch über dich hinauswachsen.«

Erst als unten der Lärm begann, begriff Yuriko, dass Paddas Unruhe womöglich nicht allein von der Höhe kam. Es klang, als würde jemand mit einem Panzerhandschuh gegen seine Tür klopfen, und derjenige wollte gar nicht mehr damit aufhören. Die Nachbarin lehnte sich über den Zaun und starrte hinüber zu seinem Haus.

Auf der anderen Straßenseite gingen auch schon die Fenster auf. Yuriko seufzte schwer, klopfte seine Pfeife aus und krabbelte hinunter bis zur Dachrinne, sich mit einer Hand abstützend, mit der anderen hielt er Padda umfasst. Er bemaß die Entfernung nach unten mit einem Blick, lenkte Arkanum in seine Beine und sprang. Er kam hart auf, federte tief in die Knie, ignorierte heldenhaft das Knirschen seiner Gelenke und kam in die Höhe wie ein Junger.

»Schönen guten Abend«, sagte er heiter. »Besuch. Das ist aber nett.«

Arkadis stand in der offenen Tür, weiß wie ein Leintuch. In der Hand hielt sie einen Stein, mit dem sie soeben noch gegen seine arme Tür gehämmert hatte. Ihr gegenüber standen zwei fremde Personen. Die drehten sich nun zu Yuriko, und Arkadis verschwand mit einem Satz im Haus.

Und wie fremd die waren. Die linke war eigentlich ganz hübsch – groß, schlank, weizenblond – doch dass sie ein Schwert trug, dessen Spitze sie jetzt auf Yuriko richtete, zerstörte den positiven Eindruck. Das Schwert nahm seine Aufmerksamkeit so gefangen, dass er der zweiten Besucherin kaum Aufmerksamkeit schenken konnte. Sie war nicht sichtbar bewaffnet und verbarg die Vorzüge, die sie womöglich zu bieten hatte, unter einer formlosen Kutte.

Yuriko machte einen Schritt zurück. Die Schwertkämpferin rückte nach.

»Wir nehmen sie«, sagte sie. »Niemand muss sterben.«

Sie griff auf einen Sprachverständnis-Zauber zurück, der vermutlich in dem schmalen Silberring verankert war, den sie am Finger trug.

»Ich hatte nicht vor zu sterben«, sagte Yuriko. »Heute nicht. Und eine so junge, hübsche Dame wie du sollte sich schon gar nicht mit dem Tod beschäftigen. Also steck das Schwert weg und lass uns reden.«

»Wir nehmen die gefiederte Schlange«, sagte die Blonde. »Du bleibst uns aus dem Weg.«

»Wie bitte? Hier gibt es keine Schlangen, Mädchen, und schon gar keine gefiederten.«

Der Griff ihres Schwerts war mit Leder umwickelt. Das war blöd, Leder isolierte zu gut. Yuriko konzentrierte sich auf den Sprachenring – das einzige Stück Metall, das sie auf der Haut trug. Er schlug eine arkane Brücke, überwand den Sprachenzauber – ein sehr merkwürdiges, fremdes Spruchgewebe – und schickte Arkanum über die Brücke. Die Schwertkämpferin schrie und schüttelte ihre Hand. Mit einem Krötensprung brachte Yuriko sich außer Reichweite der Waffe.

»Ich lasse mich nicht gerne bedrohen«, sagte er laut. »Also steck die Waffe weg, oder wir geraten in eine sehr hitzige Auseinandersetzung. Und die wird nicht gut für dich ausgehen, Kleine.«

Die Blonde hatte ihr Schwert fallenlassen und riss sich nun den Ring vom Finger. Dann bückte sie sich nach dem Schwert. Yuriko sah sich um. Die Nachbarsfrau hing noch immer staunend über dem Zaun.

»Halt mal meine Kröte.«

»Wie bitte?!« Die Nachbarin sah schockiert drein, doch Yuriko drückte ihr ohne weitere Umstände Padda in die Hand.

»Gut auf ihn aufpassen, ja? Ich hole ihn gleich wieder.«

Beide Hände frei zu haben, fühlte sich besser an. Yuriko richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf.

»Hast du dich entschieden, Blondchen? Noch können wir die Angelegenheit friedlich regeln.«

Die Blonde hatte ihr Schwert wieder von sich. Dort, wo sie den Ring getragen hatte, war ihr Finger schwarz verschmort, die Haut warf Blasen. Wenn sie Schmerzen hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie war ein halbes Dutzend Schritte von ihm entfernt und kam nun lauernd auf ihn zu. Ihre Schwertspitze zuckte wie der Kopf einer Schlange in Richtung seines Gesichts. Ein Krötensprung brachte Yuriko über sie hinweg und auf die Schwelle seiner Haustür. Eiliger Blick über die Schulter – Arkadis war nirgends zu sehen. Yuriko zog sich einen Feuerball auf die Hand, aus dessen Größe hervorgehen musste, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Die Blonde drang auf ihn ein. Ein weiterer Krötensprung brachte ihn außer Reichweite. Er ließ den Feuerball anschwellen und bedrohlich wabern, zögerte aber, ihn zu werfen. Er machte sich bestimmt nicht beliebt in seiner Heimatstadt, wenn er gleich ein ganzes Viertel abbrannte. Er brauchte eine gute Gelegenheit.

Er ließ die Schwertkämpferin an sich vorbei, sprang über den Zaun in den Garten der Nachbarin und ein paar Schritte weiter wieder hinaus auf die Straße. Er sah sich um. Die Blonde kam auf ihn zu. Er bewegte sich in die Mitte der Straße, um das Risiko für die Häuser so gering wie möglich zu halten, und holte aus.

Plötzliche arkane Spannung brachte ihn aus dem Konzept. Seine Haare schlugen Funken. Staub wirbelte neben ihm auf, Asche, Fetzen einer farblosen Substanz, alles zog sich in rasender Geschwindigkeit nach oben und zu einer festen Masse zusammen – die Kuttenfrau. Ein Geruch nach Stein und Moos und Feuchtigkeit ging von ihr aus. Angeekelt machte Yuriko einen Schritt zurück. Sie öffnete den Mund und zeigte seltsam spitze Zähne, dann schnellte ihr Kopf nach vorne und sie spuckte ihm ins Gesicht.

Yuriko war zu verblüfft, um erschrocken zu sein. Sein Feuerball erlosch. Er wollte sich die Wange abwischen, doch seine Hand blieb auf halber Strecke in der Luft hängen. Eine Körperklammer hinderte seine Bewegungen. Er ließ Arkanum daran entlang fließen, um die Schwachstelle zu suchen, die jede Körperklammer hatte – diese jedoch nicht.

Der Mund der Kuttenfrau verzog sich zu einem abstoßenden Lächeln. Yurikos Hände hoben sich ganz ohne sein Zutun – es war, als hinge er an Fäden. Panik wallte in ihm auf. Das war keine Körperklammer, das war schlimmer.

Seine Hände legten sich auf sein Gesicht. Seine Daumen suchten seine Augen und drückten zu. Yuriko warf seinen Willen gegen den der Kuttenfrau, aber er hatte vollständig die Kontrolle über seinen Körper verloren. Seine Daumen bohrten sich in seine Augen, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Vermutlich war das erst der Anfang. Wenn die Kuttenfrau es wollte, würde er sich in das Schwert der Blonden stürzen. Das konnte doch nicht sein Ende sein – eine entstellte Leiche vor seiner eigenen Haustür. Dafür war er nicht zurückgekommen.

Er ließ ein unsichtbares arkanes Band hervorschnellen wie eine Krötenzunge, verankerte sich in Padda und wechselte.

Sofort befiel ihn beklemmende Atemnot. Die Nachbarin hielt den plumpen Krötenkörper viel zu fest umfasst, da half auch die höchst interessante Nähe zu ihren Brüsten nichts. Aber er war wieder Herr seines eigenen Willens. Yuriko strampelte so vergeblich wie Padda zuvor. Immerhin gelang es ihm, den Krötenkopf so weit zu drehen, um Padda ins Blickfeld zu bekommen. Der, plötzlich in den Körper seines Meisters versetzt, war auf allen Vieren und augenscheinlich auf der Flucht zum Teich. Yuriko fing ihn mit der arkanen Krötenzunge ein, ehe er außer Reichweite war, und wechselte zurück.

Über ihm tauchte die verblüffte Kuttenfrau auf. Er wischte sich ihren Speichel von der Wange, ehe sie den mentalen Zugriff wiederherstellen konnte, dann schnellte er mit aller Kraft aus den Knien in die Höhe.

Knochen knirschten unter seiner Faust. Die Kuttenfrau wurde von der Wucht seines Schlags von den Füßen gehoben, segelte durch die Luft und landete leblos wie ein Getreidesack auf der Straße. Yuriko wirbelte herum und hielt Ausschau nach der Schwertkämpferin. Die war nirgends zu sehen.

Nicht gut. Yuriko stürmte durch die offene Tür ins Haus, bremste schlitternd auf den modrigen Fliesen und sah sich um.

»Arkadis? Arkadis!«

Der Raum war leer, der Staub auf der Treppe unberührt. Er machte zwei vorsichtige Schritte, beugte sich vor, damit er um die Treppe herum zur Hintertür sehen konnte, und tatsächlich, das leise Knirschen von Lederstiefeln, der Zipfel eines Schattens. Er klaubte ein Stuhlbein aus dem Haufen zerbrochener Möbel, die sein ganzer Besitz waren, und schlich zur Hintertür. Der Dielenboden knarrte unter seinem Gewicht, es gelang ihm nicht, die Füße lautlos zu setzen. Vielleicht war Blondchen ja abgelenkt, und er konnte von hinten –

War sie nicht. Sie schnellte durch den Türrahmen, als hätte sie auf ihn gewartet. Ihr Schwert züngelte in Richtung seines Kopfes. Der Stich verpasste ihn knapp. Sofort setzte sie nach. Er riss das Stuhlbein hoch und parierte ihren nächsten Schlag. Splitter flogen, sie hatte seine Behelfswaffe sauber halbiert, aber immerhin riss der verbliebene Schwung ihren Schwertarm zur Seite, und Yuriko erkannte diese Ahnung einer Blöße. Er warf sich nach vorne, seine Faust kollidierte mit ihrem Kinn. Sie stürzte hart, überschlug sich und blieb im Türrahmen liegen, ihr Schwert immer noch umklammert. Während sie noch Sterne sah, setzte er nach und trat ihr mit vollem Gewicht auf die Schwerthand. Sie wand sich vor Schmerz, gab aber keinen Laut von sich.

»Lass es gut sein«, sagte er, in der Hoffnung, sie könne den Sinn seiner Worte aus dem Tonfall entnehmen. »Ich mag kein Blutvergießen. Wir reden wie vernünftige Leute, einverstanden?«

Sie rollte sich zur Seite, auf ihn zu, holte aus und hieb ihm ein Messer bis zum Heft in die Wade. Er schrie auf und stolperte rückwärts, gab damit ihre Schwerthand frei, und da war sie auch schon wieder auf den Füßen, das Schwert in der Rechten, das Messer in der Linken, von dessen Klinge sein Blut tropfte.

Er bemühte sich, den Schmerz auszublenden, der sich sein Bein hinauffraß. Es gelang ihm schlecht. Immerhin hatte sich der Kampf nun ins Freie verlagert, und er konnte tätig werden, ohne sich sein Dach über dem Kopf anzuzünden. Oder was davon übrig war.

Sie kam auf ihn zu, aber ihr Angriff ließ Entschlossenheit vermissen. Vermutlich hatte sie sich auch frischer gefühlt, bevor seine Faust ihr eine mittlere Gehirnerschütterung verpasst hatte. Er wich zurück. Eine ausholende Bewegung, und eine Flammenwand erhob sich zwischen ihm und seiner Gegnerin – mannshoch und nicht allzu heiß, um das Haus zu schonen. Durch die Flammen sah er, wie Blondchen zurückwich. Gleich darauf hatte er sie in einem Feuerzirkel eingeschlossen. Sie drehte sich um sich selbst, festgenagelt an dem einen Punkt, den er ihr zugestand.

Yuriko stöhnte theatralisch und bückte sich zu seiner Stichverletzung. Jede Bewegung schmerzte höllisch. Blut lief ihm in den Stiefel. Verflucht, und einiges an Blut.

»Das war nicht nötig, Kleine!«

Statt einer Antwort steckte sie sich zwei Finger zwischen die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus.

»Deine Freundin liegt vorne auf der Straße und hat Kopfschmerzen«, beschied Yuriko sie. »Wir zwei sind ganz allein miteinander.«

Eine arkane Druckwelle, typisch für eine Beschwörung. Ein sehr tiefes Knurren.

»Oder auch nicht.«

Yuriko sah von seiner Verletzung auf. Stellte das Atmen ein, erstarrte vollständig. Der Hund ihm gegenüber war groß genug, um einen Krötenmeister am Stück zu schlucken.

Das Ungeheuer kauerte sich nieder und starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Zeigte sein Gebiss, von dem der Sabber troff. Reißzähne, so lang wie Yurikos Hand.

Yuriko schluckte trocken. »Guter Hund«, flüsterte er.

Jetzt nur nicht nervös werden. Hunde witterten Nervosität, und dann griffen sie an. Keine plötzlichen Bewegungen. Der Hund duckte sich, Muskeln zuckten unter seinem dünnen Fell. Yuriko übersprang die Nervosität und verfiel direkt in Panik. Im nächsten Augenblick bruchlandete er auf dem Dach, das schauerliche Schnappen der Kiefer noch im Ohr, hemdsärmelig, während das Monster unten seine Jacke totschüttelte.

Er kauerte sich gegen die brüchigen Dachschindeln und spähte vorsichtig nach unten. Der Hund trampelte gerade die Fetzen seiner Jacke in den Staub. Das Feuergefängnis um die Schwertkämpferin war erloschen, sie selbst verschwand gerade unter ihm im Haus. Nicht gut. Gar nicht gut.

Das Bedürfnis, sich im Teich in Sicherheit zu bringen, wurde übermächtig. Er klammerte sich an die Dachschindeln und bekämpfte den Impuls mit aller Macht. Arkadis und Padda hingen von ihm ab. Wenn Arkadis schlau war, hatte sie sich über den Zaun und die Böschung hinab zur Straße abgesetzt. Was allerdings hieß, dass er hier allein mit den beiden Furien festsaß.

Rumpeln und Krachen drangen aus dem Inneren des Hauses, begleitet von einem Schrei. Staub wölkte durch die Dachsparren. So musste es sich anhören, wenn eine Treppe zusammenbrach.

Vorsichtig erklomm er den Dachfirst, um einen Blick auf die Straße werfen zu können. Wenn die Kuttenfrau noch im Traumland war, konnte er nach vorne auf die Straße, Padda von der Nachbarin retten und vielleicht Arkadis irgendwo aufspüren.

Die Kuttenfrau war weg. Verflucht. Von der Hintertür drang wüstes Gebell zu ihm. Die Jacke hatte wohl nicht ausreichend gesättigt.

Er bemaß die Entfernung zum Dach der Nachbarin. Im Normalfall hätte er sich den Sprung zugetraut, allerdings nicht jetzt, wo sein verletztes Bein ihn nicht richtig tragen wollte.

Blick nach unten. Wie schnell konnte er mit der Verletzung rennen? Schneller, als der Riesenköter den Weg nach vorne auf die Straße fand? Ob der sich wohl vor Feuer fürchtete?

Oh, anderes Problem. Die Kuttenfrau war in seinem Blickfeld aufgetaucht. Sie sah mit ihren eigentümlich toten Augen zu ihm hinauf, dann öffnete sie den Mund und fasste sich hinein, als hätte sie einen Essensrest zwischen den Zähnen stecken und wüsste nicht sich zu benehmen. Sie förderte etwas zutage – etwas Kleines, Weißes – ein Steinchen? Wieso hatte sie …?

Mit Grauen begriff Yuriko, dass die Kuttenfrau sich soeben einen Zahn aus dem Kiefer gezogen hatte und ihn jetzt von sich warf. Dort, wo der Zahn seinen Vorgarten berührte, wölbte sich die Erde, brach auf und entließ eine Gestalt ans Tageslicht, die sich mit jeder Bewegung weiter zusammensetzte: ein kahler, brauner Totenschädel, Halswirbel, ein verfaulter Brustkorb, Knochenarme, gekrümmte Klauen. Das tote Ding richtete sich auf und schlurfte zum Haus. Seine Knochenfüße verursachten ein Geräusch auf dem Kiesweg, das Yuriko alle Haare aufstellte.

Dass er möglicherweise ein größeres Problem hatte als seine Frisur, begriff er, als das tote Ding begann, sich am Efeu in die Höhe zu ziehen. Und da, wo es herkam, wuchsen neue nach. Eins ums andere entstiegen sie dem Erdreich und gesellten sich zu ihrem kletterfreudigen Anführer. Eine knochige, klapprige Masse schob sich da seine schöne Fassade hoch. Manchen fehlte ein Arm oder ein Unterkiefer, aber das bremste ihren Tatendrang nicht.

Und flink waren sie. Yuriko hatte sich kaum von seinem Schreck erholt, da krallten sich die ersten Knochenfinger in die Dachrinne. Yuriko schnellte in die Höhe, machte einen Schritt rückwärts das Dach hinauf und holte tief Luft.

Eine gewaltige Flammenwolke empfing die ersten Toten, die ihre kahlen Schädel über die Dachrinne erhoben. Rauch stieg auf. Yuriko atmete Feuer aus, bis nichts mehr kam. In der Dachrinne brannte ein Vogelnest. Die toten Dinger brannten nicht. Sie schoben sich unbeirrt aufs Dach, hielten sich aneinander fest, kletterten übereinander hinweg und verursachen mit ihren toten Knochen ein grauenvolles Scharren auf den Dachschindeln. Yuriko rettete sich auf den Dachfirst. Unter ihm im Haus rumorte es. In seinem Garten bellte der Höllenhund. Vielleicht brannte der ja besser?

Yuriko rutschte auf der Gartenseite das Dach hinunter, das dürre Kratzen der toten Dinger im Nacken. Unter seinem Gewicht wackelten die Dachschindeln. Er stemmte einen Fuß in die Dachrinne und beugte sich vor, um nach unten zu sehen. Da war das Hinterteil des Monsterhundes. Scheinbar versuchte er, sich unter dem Haus durchzugraben. Warum waren Hunde angeblich die besten Freunde des Menschen? Vermutlich, weil der Mensch gerne jemanden um sich hatte, der dümmer war als er selbst.

Yuriko zog sich einen Feuerball auf die Hand, erhitzte ihn bis zur Weißglut und ließ ihn auf den Hund fallen. Der jaulte fürchterlich auf und begann, seinen brennenden Schwanz zu jagen. Yuriko warf einen zweiten Feuerball, verfehlte den Hund aber und setzte stattdessen Gestrüpp in Brand. Funken stoben in den Abendhimmel, doch Yuriko blieb keine Zeit, um sich Sorgen zu machen. Die toten Dinger quollen über den Dachfirst und wälzten sich auf ihn zu, klappernd, raschelnd, knirschend und knackend. Das Dach gab ein hölzernes Stöhnen von sich. Ohne nachzudenken, holte Yuriko Luft und blies eine gewaltige Flammenwolke gegen seine Angreifer, größer und viel heißer als die erste. Reste von Haut, Haaren und Organen fingen Feuer. Es stank fürchterlich. Doch dass sie brannten, machte ihnen ebenso wenig zu schaffen wie die Tatsache, dass sie tot waren.

Der erste verlor den Halt und stürzte dachabwärts auf Yuriko zu. Der passte ihn mit einem Faustschlag ab und beförderte ihn über die Dachrinne nach unten. Ein zweiter folgte, den Yuriko einfach an sich vorbei in die Tiefe schlittern ließ. Doch es waren zu viele. Knochenfinger griffen in Augenhöhlen, Schienbeine verhakten sich mit Rippen, Knochenfüße benutzten Wirbel als Steighilfe, Beckenschaufeln dienten als Stütze für Schlüsselbeine.

Blick über die Schulter nach unten. Der brennende Hund raste durch den Garten. Beinahe war Yuriko versucht, das Wagnis einzugehen und zu springen. Er blies eine weitere riesige Flammenlohe über die toten Dinger und trieb sie damit zumindest eine Armlänge zurück. Von der anderen Seite des Daches jedoch drängten neue nach. Beide Wogen trafen sich über dem Dachfirst, türmten sich zu einem grausigen Mahnmal der Sterblichkeit, reglos für den Bruchteil eines Augenblicks, dann sich langsam nach vorne neigend.

Yuriko suchte Halt am Dach. Der Hund war immer noch da und sah schrecklich wütend aus. Der Firstbalken gab ein hässliches Knirschen von sich. Plötzlich hing das Dach durch. Ziegel verabschiedeten sich klappernd und klirrend nach unten. Löcher taten sich auf, dann gab es einen Knall wie von gespaltenem Holz und eine gewaltige Staubwolke.

Das Mahnmal der Toten stürzte ein. Nein, das ganze Dach stürzte ein. Fassungslos sah Yuriko zu, wie es vor ihm einfach versank – Sparren und Schindeln und Strohdämmung und alles. Der große Firstbalken, schwarz verkohlt und in der Mitte gebrochen, streckte seine beiden Enden anklagend in den Abendhimmel, bevor er mit gewaltigem Lärm im Haus verschwand. Plötzlich hatte Yuriko freie Sicht zum Horizont. Er beugte sich vor und spähte in das Loch, das sich vor seinen Füßen auftat.

»Glück geh… hups!«

Ein Ruck unter seinen Füßen, dann sackte das restliche Dach unter ihm weg.

Durch reines Glück wurde er im Fall nicht von den Resten des Firstbalkens aufgespießt. Er landete auf allen Vieren, richtete sich auf und sah sich um. Es war ungewöhnlich hell in dem, was einmal sein Wohnzimmer gewesen war. Unter seinen Füßen befand sich ein Berg von Schutt – der gesamte Dachstuhl, Teile der Treppe sowie der gesamte Zwischenboden, der einmal das Obergeschoss getragen hatte. Im Schutt war Bewegung – was tot war, ließ sich offenbar von einer Kleinigkeit wie einem eingestürzten Dach nicht aufhalten. Grell glühender Zorn packte Yuriko.

»Mein Haus! Mein schönes Haus!«

Mit aller Wucht kickte er einen Totenschädel gegen die Wand. Der Totenschädel zerbrach. Die Wand ebenfalls. Fassungslos starrte Yuriko auf den Riss, der durch den aufgeplatzten Putz zickzackte. Dann umklammerte plötzlich eine Knochenhand seinen Fuß und zog heftig, und Yurikos Geduld war aufgebraucht.

Kurz darauf brannten die Reste seines Hauses wie eine Fackel. Alles, was sich in den Trümmern noch regte, zerfiel zu Asche. Glühend heißer Wind brannte ihm die Kleider vom Leib und ließ seine Haare flattern, er selbst brannte lichterloh, atmete, schluckte und spie Feuer gleichermaßen, bestand aus nichts anderem mehr, bis seine Wut sich aufgebraucht hatte.

Der Schmerz im Bein kehrte zurück. Yuriko schwankte, hielt sich an einem brennenden Dachbalken. Unter seinen Füßen glühten die Trümmer. Aschewolken aufwirbelnd, rutschte er von den Resten des Schuttberges und tastete sich durch die Türöffnung ins Freie. Über Trümmer hinweg stolperte er auf die Straße. Stimmen drangen zu ihm – hektisches Geschrei und das wilde Bimmeln einer Alarmglocke. Er wrang sich Feuer aus den Haaren und sah sich um.

Sein Haus war eine schwarz verkohlte Ruine. Feuer zwinkerte durch die leeren Fensterhöhlen ins Freie. Hitze strich ihm übers Gesicht. Der Birnbaum der Nachbarin stand in Flammen, sie selbst war nirgends zu sehen. Immerhin hatte sie vorhin Wäsche aufgehängt, und die war durch all das Feuer auch schon beinahe trocken. Eilig stieg er über den Zaun und pflückte Hemd und Hose von der Leine. Beides war ein wenig zu kurz und zu eng, aber immerhin besser, als wieder einmal die Sitte im Genick zu haben.

Ein etwas mühsamer Krötensprung brachte ihn auf das Nachbardach. Die steinernen Wände seines Hauses hielten den Funkenflug in Schach, aber die schiere Hitze hatte das Dach des zweiten Nachbarn die Straße runter in Brand gesetzt. Er konzentrierte sich, so gut es ging, und nahm die arkane Energie des Feuers in sich auf, bis es in sich zusammenfiel. Zuletzt löschte er noch den Birnbaum. Ein letzter Funken arkaner Energie bremste seinen Sturz vom Dach. Auf allen Vieren schleppte er sich zum Teich. Auf dem Steg brach er zusammen. Um ihn drehte sich alles. Stechender Kopfschmerz quälte ihn, und seine arkanen Bahnen im ganzen Körper fühlten sich an, als hätte er sie mit der Stahlbürste durchgekehrt.

Das Feuer war nicht bis hier vorgedrungen. Der Schatten vom Haus fehlte, und scharfer Brandgeruch lag über allem. Abgesehen davon war hier die Welt noch völlig in Ordnung. Libellen schwirrten durch die Abendsonne, eine Kröte quakte, im Schilf verborgen. Zarte Wellen liefen über die Wasseroberfläche. Yuriko blinzelte. Vor ihm hob Arkadis den Kopf aus dem Wasser und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um.

»Schlaues Mädchen, gut gemacht«, murmelte Yuriko. Sie sah ihn abwartend an, und er winkte schlapp. »Kannst rauskommen.«

Plätschernd stemmte Arkadis sich auf den Steg. Sie legte die Hand über den Mund und zeigte auf das Haus.

»Ich weiß«, sagte Yuriko müde. »Ich könnte heulen.«

Arkadis kauerte sich neben ihn und berührte ihn tröstend an der Schulter.

»Danke für das Mitgefühl«, sagte Yuriko. »Einigermaßen gern geschehen. Könntest du mir doch bloß sagen, was sie von dir wollten.«

Arkadis hielt ihm die Hand vors Gesicht und spreizte nacheinander drei Finger ab. Dazu machte sie ein fragendes Gesicht.

»Zwei«, sagte Yuriko. »Eine Trulla mit einem Schwert und eine mit sehr schlechten Zähnen. Zauberin. Sie hat mir lebende Leichen aufs Dach gehetzt.«

Drei Finger.

»Nur wenn du den Hund mitzählst.« Großer Krötengeist, der Hund. Yuriko richtete sich auf und sah sich um. Aber nein. Die Schwertfrau hatte ihn beschworen, damit er ihr im Kampf beistand. Die Beschwörung war mit ihrem Tod abgerissen, das Vieh also mutmaßlich zurück in dem Ewigen Raum der Dämonen, aus dem er gekrochen war.

Vorne rief jemand seinen Namen. Yuriko ließ sich auf den Rücken fallen.

»Wenn sie was wollen, sollen sie kommen.«

Arkadis erhob sich und lief davon. Der direkte Weg zur Straße war durch die Ruine abgeschnitten, von der gewaltige Hitze ausging. Vereinzelt schlugen noch die Flammen aus den Fensterhöhlen. So dauerte es geraume Zeit, bis sie zurückkehrte, gefolgt von einer sichtlich schockierten Galina.

»Meister Yuri! Was hast du gemacht!«

»Ich habe unseren Gast gerettet. Und einen ganzen Straßenzug davor bewahrt, bis auf die Grundmauern abzubrennen.«

»Nachdem du ihn zuerst angezündet hast!«

»Wir wollen mal nicht kleinlich sein, oder?«

Galina hockte sich neben ihn und betrachtete besorgt sein Bein, die blutdurchtränkte Hose und den dunklen Blutfleck, der sich langsam auf den Brettern unter ihm ausbreitete.

»Du brauchst einen Arzt.«

Sie beugte sich über ihn und befühlte seine Stirn. Yuriko simulierte Schwäche, um den Ausblick auf den zarten Ansatz ihrer Brüste länger genießen zu können.

»Kannst du mir sagen, was passiert ist?«, fragte Galina. Yuriko berichtete und verfolgte, wie sie immer ungläubiger dreinsah, je weiter er mit seiner Erzählung kam.

»Lebende Tote«, sagte sie schließlich und sah zweifelnd zu Arkadis. Die nickte und hob gleichzeitig die Hände zur Seite.

»Sie hat’s nicht gesehen«, übersetzte Yuriko. »Sie war im Teich. Aber wenn du Zeugen brauchst, damit du deinem Meister Glauben schenkst, dann frag doch die Nachbarn. Oh, und wenn du schon dabei bist, hol Meister Padda von der Nachbarin mit dem Birnbaum, ja? Und schick mir einen Arzt.«

»Sonst noch was?«

»Ein neues Haus, ein Sack voll Gold und ganz viel Liebe.«

Galina verdrehte die Augen, stand aber gehorsam auf und trabte davon. Yuriko kratzte seine letzte Kraft zusammen, wälzte sich zur Seite und ließ sich in den Teich fallen.

***

»Lebende Tote«, sagte Frakis und schob sich die Augengläser nach oben, bis sie an der Nasenwurzel anstießen.

»Glaub es oder nicht«, sagte Yuriko müde. Seine Wade schmerzte, obwohl Frakis extra einen Arzt hatte kommen lassen, der die Wunde genäht und eine betäubende Salbe aufgetragen hatte. Der Arzt hatte ihn ermahnt, Ruhe zu halten, aber Yuriko dachte immer nur an das Anschlagsbrett in der Arkania und daran, wie viele Aufträge er erledigen musste, bis er wieder zu einem Dach über dem Kopf kam. Florine zu freien war immer ein fernes Ziel gewesen, doch jetzt war es am Horizont hinter den Sieben Meeren verschwunden.

»Ich glaube dir«, sagte Frakis. »Es wäre nicht das erste Mal, dass ich Nekromantie wirken sehe. Und wenn es wirklich so viele waren, wie du sagst …«

»Bezichtigst du mich der Lüge?«

»Der Hochstapelei. Also, wenn es wirklich so viele waren, lässt das auf eine außerordentlich kompetente Nekromantin schließen. Das wirft die Frage auf, warum dein Schützling so mächtige Feinde hat, findest du nicht?«

»Ich habe noch eine andere Frage für dich.«

»Hm?«

»Hast du Bier? Wein? Etwas, worin ich mein Leid ertränken kann?«

Frakis seufzte und erhob sich. »Dir mein Gästezimmer anzubieten, hat also nicht gereicht. Du nimmst gleich den Weinkeller und die Speisekammer dazu.«

»Danke, Frakis, mein liebster, bester, ältester Freund.«

»Der letzte, der dir in dieser Stadt geblieben ist.«

Frakis ging nach draußen, und Yuriko lagerte sein Bein um und rückte Padda auf seiner Schulter zurecht. Der Kröter schien Yurikos Stimmung zu spüren und lehnte sich gegen seinen Hals. Die kleine Berührung gab Yuriko Trost. Zumindest war niemand zu Schaden gekommen. Niemand außer ihm selbst und all seinen Zukunftsplänen.

Yuriko ließ den Kopf nach hinten auf die Sofalehne fallen. Das Leben kehrte erst in ihm zurück, als er Frakis´ Schritte hörte und das leise Klingeln von Glas.

Frakis gab ihm einen seiner kostbaren Glaskelche in die Hand, bis zum Rand gefüllt mit dunkelrotem Wein, schenkte sich selbst ein und prostete Yuriko zu.

Sie tranken schweigend. Der Wein war dick und süß.

»Du hast mir gefehlt«, sagte Frakis irgendwann. »Ich hatte plötzlich niemanden mehr, der mich ab und zu aus meinem Keller holt. Warum hast du dich nicht zumindest verabschiedet?«

»Ich wollte nicht so lange wegbleiben. Ursprünglich dachte ich, ich bin zurück, ehe du meine Abreise überhaupt bemerkst. Und dann ergab eines das andere.«

Frakis setzte den Weinkelch ab, wich Yurikos Blick aus und drehte sich eine lange Haarsträhne um den Finger. Dass er mit diesen schneeweißen Haaren schon zur Welt gekommen war, in einer kalten Nacht, während draußen ein Schneesturm tobte, hatte nun zur Folge, dass er immer noch aussah wie früher: seltsam alterslos, blass und mager, aber im Gesicht von einer beinahe weiblichen Schönheit, mit diesen irritierend hellen, eisblauen Augen hinter den Gläsern, ohne die er praktisch blind war.

Yuriko erinnerte sich an unzählige Prügeleien, die er ausgetragen hatte, damit die Anderen Frakis in Ruhe ließen. Schneemann hatten sie ihn genannt, Made, Abschaum. Immerhin war Yuriko so schon früh zu einem tauglichen Faustkämpfer geworden.

»Hatte deine Reise denn ein Ergebnis?«, fragte Frakis schließlich. »Du hast die halbe Welt gesehen. Konntest du etwas über deine Eltern in Erfahrung bringen?«

»Das hab ich nicht versucht«, sagte Yuriko erstaunt. »Das wäre ja inzwischen auch schwierig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gar nicht mehr leben, ist ziemlich hoch.«

»Und sie steigt mit jedem Jahr. Meinst du nicht, du wirst es irgendwann bereuen, wenn du diese Gelegenheit verstreichen lässt?«

»Und immer noch bist du besessener von meinem Familiengeheimnis, als ich es jemals war.«

Frakis ließ den Wein im Glas kreisen.

»Ich beobachte, dass die Herkunft in den frühen und in den späten Jahren von besonderer Bedeutung ist. In den frühen, um zu wissen, woher man kommt, und in den späten, um zu wissen, wohin man geht.«

»Ich bin nicht in meinen späten Jahren! Ich habe alles noch vor mir! Fast alles! Na, jedenfalls noch genug!«

Frakis lächelte und schwieg.

»Du kannst die Hoffnung begraben«, sagte Yuriko. »Ich bin kein heimlicher Königssohn oder Alleinerbe eines Erzzauberers. Obwohl ein Erbe egal welcher Art gerade wirklich gelegen käme. Und ich weiß, der Gedanke ist für einen Geschichtswissenschaftler schwer zu ertragen, aber es gibt Leute, die leben ganz gut damit, ohne ständig in der Vergangenheit herumzustochern.«

»Du stocherst nicht nur nicht, du tust so, als hättest du nicht keine.«

»Ich habe eine Vergangenheit«, sagte Yuriko. »Sie ist eng verknüpft mit dir und deiner wunderbaren, großzügigen Familie. Mehr hätte ich mir doch damals gar nicht wünschen können.«

Frakis sah zweifelnd drein. Yuriko bekämpfte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Nicht zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass er allein Frakis zuliebe mehr Interesse an seiner Herkunft hätte zeigen können.

Zu seiner Erleichterung ließ Frakis das Thema fallen.

»Arkadis«, sagte er. »Was passiert nun mit ihm? Er kann ja nicht für immer bei Galina bleiben.«

»Für immer nicht, aber vorerst, bis unsere Forschung irgendein Ergebnis bringt.«

»Was, wenn – wer auch immer – noch einmal versucht, ihn zu holen?«

»Zum einen, wie ich bereits erwähnte, sind die beiden Grazien in meinem Haus verbrannt, zusammen mit dreihundert lebenden Leichen. Zum anderen, wie ich bereits erwähnte, habe ich Galinas Haus komplett versiegelt. Da kommt niemand rein oder raus, der dort nichts zu suchen hat.«

»Da kannst du dir nicht sicher sein. Wir wissen überhaupt nicht, mit wem wir es hier zu tun haben.«

»Hör mal! Der Zauberer, der eines meiner Siegel brechen kann, muss erst noch geboren werden!«

Frakis seufzte und schenkte sich nach. Yuriko hielt ihm sein Glas entgegen, und Frakis kam der Aufforderung nach und füllte es bis zum Rand.

»Ich glaube, deine Schülerin geht ein schwer kalkulierbares Risiko ein, indem sie Arkadis bei sich aufnimmt. Wir sollten Arkadis an einen besser geschützten Ort bringen. Vielleicht aus der Stadt. Rüber nach Gaanth. Einer meiner Vettern dritten Grades arbeitet dort in einer Schreibstube. Wir könnten ihn dort unter falscher Identität verstecken.«

»Erstens. Er ist eine Sie.«

»Hast du das überprüft?«

»Man hat mich nicht gelassen. Zweitens. Sie wurde verfolgt, von wo auch immer sie herkommt, und das ist ganz schön weit weg. Halber Erdball, wenn ich schätzen soll. Die haben sie hier aufgestöbert. Wenn noch jemand hinter ihr her ist, meinst du, der lässt sich von einer Perücke und einem falschen Namen in die Irre führen?«

»Hm«, machte Frakis und trank einen Schluck Wein.

»Siehst du«, sagte Yuriko. »Glaub mir. Sie ist dort am sichersten, wo wir sie im Blick haben.«

»Ist die Arkania informiert?«

»Nein, warum?«

»Na, weil wir dort auf ganz andere Sicherheitsmaßnahmen zurückgreifen könnten.«

»Die werden von mir ohnehin eine Erklärung haben wollen, warum eine Abteilung Najaden ausrücken musste, um einen Stadtbrand zu verhindern. Obwohl das gar nicht so war. Ich hatte alles im Griff.«

Frakis lächelte in sein Glas. »Immerhin der Beweis dafür, dass die Abteilung Katastrophenschutz immer noch gut funktioniert, obwohl sie die letzten Jahre so wenig zu tun hatte.«

»Hast du mich gerade Katastrophe genannt, sag mal?«

Jetzt lachte Frakis, was selten genug vorkam, und hob sein Glas.

»Auf dich, mein Chaoszauberer.«

Der Wein hatte seine Schleier noch nicht ganz aus seinem Kopf zurückgezogen, als Yuriko am nächsten Tag inmitten der Trümmer seines Hauses stand. Frakis hatte ihn beschworen, zumindest nach Beweisen zu suchen, dass die beiden Angreiferinnen wirklich umgekommen waren. Der Schwertkämpferin war ein halbes Haus auf den Kopf gefallen. Der Verbleib der Kuttenfrau hingegen war nicht ganz geklärt – Yuriko ging davon aus, dass sie eines der Gerippe auf diesem Berg von Knochen war, konnte aber nicht völlig sicher sein. Was er Frakis nicht gesagt hatte. Frakis neigte zum Grübeln und dazu, sich unnötige Sorgen zu machen.

Yuriko packte einen verkohlten Dachbalken, spannte alle Muskeln an und bewegte das schwere Ding ein Stück zur Seite. Wenn er Glück hatte, fand er das Schwert der Angreiferin. Das ließ sich für ein paar Goldschwäne verkaufen. Knochen, spröde vom Feuer, knirschten unter seinen Stiefeln. Verkohlte Reste seiner Treppe kamen zum Vorschein, noch mehr Knochen, Rippen, Totenschädel. Yuriko fragte sich, woher die alle stammten. Die Siedlungsgeschichte der Stadt reichte zehntausend Jahre zurück, das wusste er von Frakis. Sicher waren in dieser langen Zeit eine Menge Leute gestorben. Hatte die Kuttenfrau die alle von den Toten geholt? Oder hatte sie sie erschaffen?

Er durfte sich hier nicht zu lange aufhalten. Er musste an die Arkania, das Anschlagsbrett nach zumutbaren Aufträgen kontrollieren. So war das also, wenn man wieder ganz von vorne anfing.

Er nahm sich ein Brett und stocherte damit zwischen den Knochen herum. Kein Schwert, keine Gürtelschnalle, nur Asche und Ruß und beißender Gestank. Dann gab Padda auf seiner Schulter ein tiefes Quaken von sich. Yuriko sah auf. In den Resten des Türrahmens stand Florine.

»Hast du Pläne, von denen ich nichts weiß?«

»Flori! Was machst du denn hier?«

Er stolperte von seinem Schuttberg und auf sie zu. Auf ihrer ausgestreckten Hand ruhte der Zauberring, den er der Schwertkämpferin vom Finger geglüht hatte. Er war voller Ruß und hatte schon einen schwarzen Abdruck auf Florines Handschuh hinterlassen. Sie lächelte zu ihm auf.

»Hab ich gerade auf deiner Schwelle gefunden. Gehst du auf Freiersfüßen, Herr Krötenmeister?«

»Nur für dich, meine Sonne, das weißt du doch. Nein. Ich hatte gestern ungebetenen Besuch, und eine der Beiden hat ihn verloren. Es liegt ein Sprachenzauber darauf.«

Sie ließ den Ring in seine Hand gleiten, und er steckte ihn ein.

»Galina hat mir erzählt, was vorgefallen ist«, sagte Florine. »Geht es dir gut?«

»Blendend, seit ich dich sehe.«

»Schmeichler. Ich mache mir Sorgen. Da kommen irgendwelche Frauen aus einem fernen Land und wollen dir ans Leben.«

»Aber ich habe nur Augen für dich, das weißt du doch.«

Florine presste sich ein Taschentuch gegen ihre Nase. Es war so blütenweiß wie ihr Handschuh. Beides wirkte seltsam fehl am Platz in der schwarz verbrannten Ruine.

Yuriko räusperte sich.

»Ich würde dich ja reinbitten, aber seit das Dach runtergekommen ist, macht das nicht mehr viel Unterschied.«

»Die Trümmer sind auch immer noch ziemlich heiß. Du spürst das vielleicht nicht, aber wir Normalsterbliche halten das schlecht aus.«

»Warte. Ich habe eine Idee.«

Ohne sie zu berühren, geleitete er sie aus dem Haus und um die Ruine herum, über verbranntes Gras hinüber zum Teich.

»Bitte, nimm doch Platz.«

Er machte eine einladende Geste auf den Steg, und sie ließ sich nieder und zog die zierlichen Füße unter ihre Gewänder. Er setzte sich ihr gegenüber und fühlte sich unbeholfen wie ein Klotz. Padda hüpfte von seiner Schulter und verschwand platschend im Teich.

»Wenn ich könnte, würde ich dir Tee anbieten, und Likör, und Marzipan. Und mein Herz. Aber wie du siehst, kann ich nicht. Ich bin wahrscheinlich der ärmste Mann der ganzen Stadt.«

»Dein Herz ist nicht verbrannt in diesem Haus.«

»Nein, aber …«

Sie griff nach seiner Hand. Die Worte erstarben auf seinen Lippen. Sie hielt seine Hand umfasst, mit zarten, leichten Fingern, der Ruß von seiner Haut rieb auf das feine Leder ihrer Handschuhe ab, es schien sie nicht zu stören.

»Ich bin gekommen, um deine Einladung anzunehmen. Ich möchte sehr gerne mit dir ausgehen. Wenn du allerdings dafür gerade keinen Sinn hast, nach allem, was war, bin ich dir nicht böse.«

»Keinen Sinn? Ich ließe mich von den Toten zurückholen, um mit dir auszugehen!«

Sie warf einen unbehaglichen Blick zum Haus, und ohne nachzudenken, fasste er ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zum Teich.

»Verzeih mir. Dumme Bemerkung.«

Seine Finger hinterließen einen Schatten aus Ruß auf ihrer weißen Haut.

Er überlegte, das Missgeschick mit dem Ärmel zu beseitigen, aber der war mindestens so schmutzig wie seine Hände, und dann vergaß er ohnehin alles, weil sie lächelte.

»Ich nehme das als Zustimmung«, sagte sie. »Wir könnten am Tag der Götter durch den Stadtgarten spazieren und danach irgendwo einkehren. Ich möchte so gerne wieder einmal auswärts essen. Und mach dir keine Sorgen um das Geld. Ich bin keine ganz arme Frau.«

»Aber das ziemt sich doch nicht«, sagte er niedergeschlagen. »Ich kann mir bestimmt etwas von Frakis leihen.«

»Hör auf, die Leute anzupumpen«, sagte sie. »Und hör auf, dir Gedanken zu machen, was sich ziemt und was nicht. Das ist doch sowieso nicht deine Art.«

»Ich will einfach alles richtig machen, verstehst du. Der Mann sein, den du dir wünschst.«

»Dazu musst du mich doch nur weiterhin so ansehen.«

Vorsichtig strich sie ihm eine Haarsträhne hinters Ohr. Er wagte nicht zu atmen.

»Ich habe dich vermisst«, sagte sie. »Und ich kam mir schrecklich selbstsüchtig dabei vor. Dich zu vermissen, obwohl meine Nähe dich leiden ließ. Und das schlechte Gewissen, dass du womöglich wegen mir alles hingeworfen hast.«

»Ich wollte nicht so lange wegbleiben. Aber als ich einmal unterwegs war, wollte ich so schnell nicht zurück. Der Abstand tat mir gut. Und als ich dann wollte, konnte ich nicht mehr. Die Welt ist wirklich ganz erstaunlich groß.«

Vorsichtig umschloss er ihre Hände mit den seinen. Die Sehnsucht, ihre Haut zu spüren, wurde übermächtig, und er begann, an den Fingerspitzen ihres Handschuhs zu zupfen, halb darauf vorbereitet, dass sie ihn zur Ordnung rufen oder sich ihm entziehen würde, doch sie tat nichts dergleichen.

»Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht«, sagte sie leise. »Vielleicht hätte ich mich damals schon für dich entscheiden sollen.«

»Danilo hatte Geld und Umgangsformen und eine gute Familie. Er lag dir zu Füßen. Ich war ein riesiger, peinlicher Trottel mit einem erfundenen Namen und einer schlecht bezahlten Hilfslehrerstellung. Er war eindeutig die bessere Wahl.«

»Damals schien es so.«

Der Handschuh löste sich von ihren Fingern, ein bisschen widerstrebend, was Yuriko gut verstehen konnte. Er spürte ihre warme, weiche Haut an seiner und verging beinahe in der Berührung.

»Du musst denken, ich nähere mich dir aus Verzweiflung«, sagte sie, ohne ihn anzusehen. »Nur um wieder an einen Mann zu kommen. Aber dem ist nicht so. Ich konnte damals wirklich nicht. Ich war nicht stark genug für dich.«

»Und ich war nicht gut genug für dich. Bin ich heute immer noch nicht.«

»Ach, sei still, du riesiger Trottel.«

Ihre Finger auf seinen Lippen. Sein gesamtes Fühlen zog sich um diesen einen Punkt zusammen. Er lehnte sich ein wenig in die Berührung, dann war der Moment vergangen, und sie hielt ihm die Hand hin, damit er ihr hoch half. Er kam der unausgesprochenen Bitte nach und sah zu, wie sie sich den Handschuh überstreifte.

»Ich muss los«, sagte sie. »Ich treffe mich mit dem Komitee zur Unterstützung des städtischen Waisenhauses. Ich darf ja froh sein, dass sie mich nicht ausgeschlossen haben, als Danilo fort war. Eine der wenigen Gelegenheiten für mich, unter Leute zu kommen.«

»Ist das immer noch das gleiche Waisenhaus?«

»Das, aus dem du ein Dutzendmal abgehauen bist, ja. Nur inzwischen mit besseren Lebensbedingungen für die Kinder.«

Die Spur seiner Berührung war immer noch in ihrem Gesicht zu sehen. Er suchte in seinen Taschen nach einem Taschentuch, fand aber keines.

»Du hast Ruß am Kinn«, sagte er befangen. »Tut mir leid.«

Sie lächelte ihr sanftes Sonnenaufgangslächeln.

»Damit muss ich rechnen, wenn ich mich mit einem Salamander einlasse. Holst du mich am Tag der Götter mittags ab?«

»Mit dem größten Vergnügen.«

Sie raffte ihre Röcke um sich und deutete einen Knicks an. Er erwiderte den Gruß mit einer leichten Verbeugung, sah ihr dann hinterher, wie sie mit wiegenden Hüften davonging, und konnte sein Glück kaum fassen.

***

Das Mittagsläuten war längst verklungen, als Yuriko durch die Eingangshalle der Arkania schlenderte. Am Anschlagsbrett hielt er kurz inne. Die Hochzeit war weg, dafür bat der Gastwirt der Goldenen Schlange um die Beseitigung von gepanzerten Riesenspinnen, die seinen Keller besiedelt hatten. Yuriko nahm den Zettel mit. Der gegrillte Fisch in der Goldenen Schlange war vorzüglich.

Ein wenig mühsam, das verletzte Bein nachziehend, arbeitete er sich die Treppe hinauf, humpelte dann die obere Galerie entlang, widerstand der Versuchung, sich auf eine der steinernen Bänke in die Sonne zu setzen – der Arkane Rat hatte seine Zeit sicher auch nicht gestohlen – querte dann über den Laubengang hinüber in den Altbau, nickte unterwegs freundlich einigen Schülern zu, die ihn vor lauter Ehrfurcht gar nicht grüßten, sondern nur anstarrten, und machte sich dann schließlich an den Aufstieg den Weißen Turm hinauf. Manche Dinge änderten sich nie, und dazu gehörte, dass der Arkane Rat im ältesten, kältesten, höchsten Turmzimmer zum Gespräch bat.

Sein verletztes Bein schmerzte höllisch, als er die Treppen endlich hinter sich gebracht hatte. Am Treppenaufgang erwartete ihn ein junger Hilfszauberer.

»Meister Frost? Ihr seid reichlich spät dran. Der Rat hat bereits mehrfach nach Euch gefragt.«

»Ich weiß. Tut mir leid. Ich bin nicht sehr gut zu Fuß, seit ich die Stadt vor größerem Unheil bewahren musste.«

Er zeigte auf sein Bein, wo tatsächlich gerade Blut durch den Verband sickerte.

»Darüber möchten die hochverehrten Ratsmitglieder mit Euch sprechen«, sagte der Hilfszauberer. »Also – über das Unheil, das Ihr beinahe heraufbeschworen habt.«

»Das ist eine Verwechslung, Junge, aber mach dir keine Sorgen. Ich kläre das.«

Er zog sich ein freundliches Lächeln aufs Gesicht, marschierte an dem Hilfszauberer vorbei, der noch den Mund öffnete und eine Hand nach ihm ausstreckte, riss die Tür zum Besprechungsraum auf und trat ein.

»Bin ich hier richtig? Anhörung zum Zwecke, keine Ahnung, das sagt Ihr mir bestimmt gleich?«

Drei Personen hinter einem mächtigen Tisch musterten ihn. Zwei davon waren Yuriko von früher vage bekannt: ein sauertöpfisch dreinblickender Zauberer mit faserigem braunem Haar und ein Greis mit spiegelnder Glatze, der in seinen Roben schier versank und ihm kurzsichtig entgegenblinzelte. Der dritte war Ksantho Malrandir Kraka.

Yuriko wusste nicht, was ihn mehr anfasste – die Tatsache, dass man sich wegen ihm nicht einmal die Mühe gemacht hatte, den kompletten Rat einzuberufen, oder dass der schmucke Speichellecker sich nicht nur Yurikos Posten, sondern auch gleich noch einen Ratssitz gekrallt hatte.

»Schön, dass Ihr es einrichten konntet, Meister Frost«, sagte Flusenhaar ohne spürbare Wärme. »Seid so gut und schließt die Tür hinter Euch.«

Einen Stuhl hatten sie ihm nicht hingestellt. Sie wollten, dass er vor diesem Gremium stand und seine Finger knetete wie ein Lehrling, der seinen ersten Auftrag versaut hatte.

»Momentchen«, sagte Yuriko heiter. Er ging raus in den Vorraum, schnappte sich den Stuhl des Jungzauberers ungeachtet dessen Protests, nahm den Stuhl mit in den Besprechungsraum, schubste die Tür hinter sich ins Schloss wie gewünscht, schob den Stuhl über den polierten Fliesenboden an den Riesentisch und ließ sich darauf fallen, dass das Holz krachte. Er faltete die Hände auf der Tischplatte und strahlte die versammelte Mannschaft an.

»Bin ganz Ohr«, sagte er.

Thronräuber Kraka räusperte sich und raschelte in ein paar Papieren. Vermutlich nur, um ihn jetzt seinerseits warten zu lassen, aber er hatte ja Zeit.

»Yuriko Mandorak Frost, Geburtsdatum und -ort unbekannt, ehemaliger Zirkelmeister für Siegelkunde, Inhaber des siebten Arkanen Gradienten … wie immer Ihr den erworben habt …«

»Durch angeborene Genialität und unermüdlichen Fleiß«, sagte Yuriko. »Aber versucht ruhig, es mir nachzutun. Vielleicht reicht Fleiß allein ja auch.«

»Wie auch immer«, sagte Kraka. »Euretwegen ist gestern eine Abteilung Wasserelementaristen vom Katastrophenschutz ausgerückt. Ihr habt im Dritten Quartier, Südlicher Hang, ein Anwesen niedergebrannt ...«

»Mein eigenes.«

»… sowie erheblichen Schaden an den umliegenden Häusern angerichtet.«

»Wenn Ihr einen Birnbaum und ein Dach als erheblichen Schaden bezeichnen wollt. Und alles war gelöscht, bevor auch nur ein Elementarist vor Ort war. Die hätten sich das Ausrücken sparen können.«

»Sie wurden von besorgten Anwohnern verständigt.«

»Dafür kann ich nichts.«

»Eine kleine Frage, Meister Frost, wenn Ihr gestattet«, ließ sich der Greis mit papierdünner Stimme vernehmen. »Was ist das da auf Eurer Schulter?«

»Das ist Meister Padda, mein Tiergefährte. Eine Grünblatt-Erdspringkröte.«

»Aha, interessant. Kommt näher, kommt näher.« Eine knöchrige Greisenhand unterstrich die Aufforderung, und Yuriko erhob sich, beugte sich zu dem Alten und setzte Padda vor ihn auf den Tisch.

Kraka wich angewidert zurück.

»Die Frage sollte eher lauten, was Euch bewogen hat, Euer eigenes Anwesen niederzubrennen«, sagte er.

»Ganz einfach«, sagte Yuriko freundlich. »Sorge ums Gemeinwohl. Ich hatte dreihundert Untote auf meinem Dach. Wenn die sich im Quartier verteilt hätten – nicht auszudenken.«

»Prachtvolles Tier«, murmelte der Greis, der sich inzwischen Aug in Aug mit Padda befand. »Aber ungewöhnliche Wahl. Nimmt man sich heutzutage nicht mehr Hunde, Hirsche oder Falken zum Begleiter?«

»Wo die Liebe hinfällt«, sagte Yuriko. »Und so ein Hirsch ist ja auch schrecklich unhandlich.«

»Da habt Ihr recht«, sagte der Greis und kitzelte Padda mit einem dünnen Finger am Kehlsack, was dieser ungerührt über sich ergehen ließ.

»Können wir bitte beim Thema bleiben«, sagte Kraka ungeduldig. »Dreihundert Untote?«

»Schätzwert.«

»Und woher sollen die gekommen sein?«

»Die hat eine Zauberin beschworen, die unangemeldet auf meiner Schwelle auftauchte. Aus sehr fremden Landen, wenn ich ihr Äußeres richtig deute.«

»Abrantes?«, warf der Greis ein. »War dort nicht auch einmal eine Frau Vorsitzende des Arkanen Rates? Unfassbar. Wie war noch ihr Name? Mathilda … Mechthild … von …«

»Minna von Leuenstein«, half Kraka aus. »Aber zurück zu der Zauberin auf Eurer Türschwelle, Meister Frost.«

»Die kam jedenfalls nicht aus Abrantes. Dafür waren die beide viel zu fremd. Ihre Kleidung, ihre Art zu zaubern. Und sie bedienten sich eines Sprachenzaubers. Den hätten Abrantiner auch nicht gebraucht.«

»Also eine Feindschaft, die Ihr Euch auf Eurer Reise zugezogen habt«, sagte Kraka zufrieden und lehnte sich zurück. »Und die Ihr jetzt als dunkle Gefahr über Eure Heimatstadt bringt – diese Stadt, der Ihr so viel zu verdanken habt. Findet Ihr das nicht fahrlässig, geradezu verwerflich?«

»Moment mal«, sagte Yuriko ungehalten. »Ich hatte mit den beiden Grazien überhaupt nichts zu schaffen! Hab die nie zuvor gesehen! Sie wollten im Übrigen auch gar nicht zu mir, sondern zu einer jungen Frau, der ich Unterschlupf gewährte und die … oi.«

Die Art, wie sie ihn plötzlich alle anstarrten, verriet ihm, dass er sich gerade um Kopf und Kragen redete.

»Es ist nicht, was Ihr denkt«, beeilte er sich zu versichern. »Sie ist ein Studienobjekt, nichts weiter.«

»Die Studien, die Ihr an jungen Frauen vornehmt, sind hinlänglich bekannt«, sagte Kraka.

»Und keine der Damen hat sich je über meine Methoden beschwert«, hielt Yuriko dagegen.

»Ihr lebt also in kupplerischen Verhältnissen mit einer Frau unter einem Dach?«, setzte der Flusenhaarige nach.

Eine unsichtbare Schlinge legte sich um Yurikos Hals und zog sich zu. Es hielt ihn nicht länger auf seinem Stuhl. Er stand auf, brachte Padda an sich und maß mit einem Blick die Entfernung zum Fenster ab. Der Turm war höher als die umliegenden Gebäude. Drei, vier Mannslängen mochte es zum nächsten Dach hinuntergehen. Das war bei bester Gesundheit riskant, mit einem verletzten Bein halsbrecherisch.

»Hätte ich nur ein Dach«, sagte er bemüht ruhig. »Aber das habe ich ja dem Gemeinwohl geopfert. Es sind im Übrigen genug Knochenreste übrig, falls Ihr einen Beweis für meine Worte braucht. Arkadis – die, äh, Person, die ich bei meiner Rückkehr in meinem Haus vorfand - die im Übrigen genauso gut ein junger Mann sein könnte, das ist nicht ganz eindeutig …«

»Schwacher Versuch«, sagte Flusenhaar. »Ganz schwach.«

»Sie trägt ein Siegel, das zu untersuchen sie mich bat. Unsere Beziehung ist rein geschäftlich.«

»Siegel?«, fragte Kraka interessiert. »Was für ein Siegel?«

»Ein fremdartiges. Keine Ahnung, was es bewirkt.«

Kraka bohrte seinen Blick in den von Yuriko. Yuriko machte ein unschuldiges Gesicht.

»Meister Frost, Ihr habt nicht die Verpflichtung gespürt, der Arkania Meldung zu machen?«

»Wem? Ach, Ihr meint, dem Laden, der mir den Stuhl vor die Tür gesetzt hat, nur weil ich eine Weile weg war? Nein, da hab ich gar nichts gespürt.«

»Natürlich nicht. Stattdessen beschwört Ihr Unheil über einen ganzen Straßenzug herauf, was sag ich, über eine ganze Stadt!«

»So war das doch überhaupt nicht!«

»Dreihundert Untote!«

»Mit denen ich spielend fertiggeworden bin, und das ist nur einer von vielen Beweisen für meine Größe!«

»Wo ist die Frau mit dem Siegel jetzt?«, unterbrach Flusenhaar.

»Sag ich nicht«, sagte Yuriko trotzig.

»Ihr seid dem Rat Rechenschaft schuldig, das wisst Ihr.«

»Gar nichts bin ich.«

Flusenhaar hob beschwichtigend die Hände.

»Verehrte Anwesende, lasst uns nicht streiten. Seht, Meister Frost, was Ihr uns über diese Siegelträgerin berichtet, ist höchst interessant, und umso bedauerlicher, dass Ihr damit so lange zurückgehalten habt. Und wenn tatsächlich sie es ist, die Gesindel in unsere schöne Stadt lockt – und nicht etwa Ihr selbst – dann ist es Euch nicht zuzumuten, ganz alleine und jederzeit für ihre Sicherheit einzustehen.«

Frakis´ Worte geisterten durch Yurikos Kopf. Wenn es nach ihm ginge, hätte Yuriko schon längst Meldung gemacht. Andererseits – wer wusste schon, was mit Arkadis passierte, wenn die Arkania sie einmal verschlungen hatte. Frakis war vielleicht zu nah dran, um die Gefahr zu erkennen.

»Die junge Dame steht unter meinem Schutz und hat die Arkania überhaupt nicht zu interessieren«, sagte er. »Wen ich unter meinem Dach aufnehme, ist mein Privatvergnügen.«

»Die junge Dame trägt ein Siegel und wird von machtvollen fremdländischen Zauberern verfolgt«, sagte Flusenhaar und betonte jedes Wort. »Zauberinnen zu allem Überfluss. Selbstverständlich sind ihre Belange von höchstem Interesse für uns.«

»Ich kann gelegentlich Bericht erstatten, wenn’s Euch so interessiert.«

Kraka legte die Fingerspitzen aneinander.

»Das wird nicht genügen, Herr Kollege. Aber ich will Euch eine Brücke bauen. Ihr verratet uns den Aufenthaltsort dieser Siegelträgerin, und wir werten das als Zeichen Eures guten Willens und verzichten darauf, die Sittenkommission von den näheren Umständen Eures … Zusammenlebens mit dieser Person … zu informieren. Wie es eigentlich unsere Pflicht wäre.«

»W… was?« Yuriko stand wie mit kaltem Wasser übergossen. »Die Sitte? Euer Ernst? Für ein paar Nächte unter einem Dach mit jemandem, von dem ich nicht mal sicher weiß, ob’s eine Frau ist?«

»Das könnt Ihr dann ja dem Sittenkommissar erklären.«

In Yurikos Kopf wirbelten die Gedanken, zerstoben dann wie Funken und ließen einen Namen zurück, mit Feuerschrift in sein Herz gebrannt.

Florine.

»Sie ist bei meiner Schülerin. Ich habe das Haus versiegelt, sie sollte dort wirklich sicher sein. Wenn … wenn es Euch beliebt, kann ich ein Treffen in die Wege leiten.«

Kraka wechselte einen Blick mit Flusenhaar, und Yuriko hatte das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein, aus der es kein Entrinnen gibt.

»Habt Dank für Eure Zeit«, sagte Flusenhaar. »Wir werden Euch benachrichtigen, welche Vorgehensweise wir wünschen.«

Die Audienz war beendet. Kraka erhob sich. Flusenhaar tat es ihm gleich und half dem Greis in die Höhe, der sich noch irritiert umsah und mit brüchiger Stimme nach der Kröte fragte. Yuriko schluckte hitzige Wut und brennende Hilflosigkeit. Er drehte sich auf dem Absatz um und stürmte grußlos nach draußen, die Schmerzen im Bein missachtend. Die Treppe hinunter, einmal quer durch die Arkania wie im Nebel, ins Vordergebäude, Säulengang, Kellertreppe, Torbogen, letzte Tür ganz hinten im Gang.

Auf Frakis´ Besucherstuhl brach er zusammen, presste die Hände gegen das Gesicht und stöhnte durch die Finger.

»Keine Feuerzauber. Keine freilaufenden Tiere. Kein Blut auf meine kostbaren Dokumente. Was ist eigentlich los?«

»Sie haben mir mit der Sitte gedroht, und ich habe ihnen verraten, wo Arkadis ist. Ich bin ihnen auf den Leim gegangen. Das ist los.«

Frakis´ leichter Schritt, dann das Rascheln seiner Gewänder direkt neben Yuriko.

»Hast du denn etwas getan, was die Sitte verärgern könnte?«

»Du meinst, außer zu existieren?«

»Guter Punkt.«

»Ich kann mir keinen Zwischenfall mit der Sitte erlauben, Frakis. Florine will, dass ich mit ihr ausgehe. Am Tag der Götter im Stadtgarten. Sie kann sich doch nicht mit einem Mann sehen lassen, dem die Sitte in den Nacken atmet!«

Er hörte Frakis leise seufzen. Spürte die Hand seines Freundes auf seiner Brust.

»Dein Herz, Yuri. Immer dein Herz.«

Yuriko nahm die Hände vom Gesicht und ließ sie hilflos in den Schoß fallen.

»Wie haben sie denn überhaupt von Arkadis erfahren?«, erkundigte Frakis sich.

»Ich habe mich verplappert«, sagte Yuriko dumpf.

Frakis schüttelte den Kopf. »Du Trottel. Aber vielleicht ist es nicht zum Schlechtesten. Wenn mehr Zauberer sich für das Siegel interessieren, kommt die Entschlüsselung vielleicht schneller voran. Und ich denke immer noch, dass wir sie hier in der Arkania besser vor Angriffen schützen können als in Galinas Dachkammer.«

»Ich hoffe so sehr, dass du recht hast.«

»Das habe ich meistens, mein Freund.«

***

Die Spinnen im Keller der Goldenen Schlange erwiesen sich als gleichermaßen wütend wie widerstandsfähig. Dass sie am Ende einer hitzigen Schlacht außen knusprig und innen zart waren, tröstete den Wirt wenig. Der lamentierte lieber, weil Feuer und Rauch den Großteil seiner Vorräte unbrauchbar gemacht hatten.

Yurikos Frage, wer denn schon Dinge essen wolle, auf denen eine katzengroße, haarige Spinne draufgesessen habe, ließ der Wirt unbeantwortet. Stattdessen leerte sich der Gastraum sehr plötzlich.

Die Entlohnung für all die Plackerei fiel mehr als spärlich aus. Yuriko versenkte die paar Eisernen in seiner Tasche und zog von dannen, der festen Überzeugung, dass er einfach nicht geschaffen sei für niedere Arbeiten.

Tragisches Unglück nur, dass er für Florine geschaffen war, und sie für ihn, auch wenn sie ein halbes Leben Jahre gebraucht hatte, um das einzusehen.

Erfolgversprechender schien ihm der Auftrag, das Wasser im öffentlichen Badehaus auf die richtige Temperatur zu bringen, solange dort die Heizrohre erneuert wurden. Ein wenig zu spät wurde ihm klar, dass seine Aufgabe ihn nicht dazu berechtigte, das Frauenbad zu betreten, solange es benutzt wurde. Ein Eimer hinterließ bleibenden Eindruck auf seiner Stirn, und er beschloss, seinem angeborenen Zartgefühl zu folgen und sich zurückzuziehen. Vermutlich reichte die hitzige Entrüstung der Damen ohnehin, um das Wasser in ihrem Bottich zum Kochen zu bringen.

Eine Tümpelfee, die sich an die Steinerne Brücke gekettet hatte und nun Brückenzoll von jedem verlangte, der vorbeikam, bot endlich die passende Herausforderung. Sie war ganz ansehnlich, und ihre boshaften Zauber prallten dank einiger klug angebrachter Siegel von ihm ab. Er diskutierte einen ausgedehnten Nachmittag mit ihr darüber, ob sie sich nun an die Brücke gekettet hätte oder die Brücke sich an sie, und genoss dabei den Anblick ihrer üppigen Brüste, die von ihrem Blätterkleid kaum bedeckt wurden. Schließlich, entnervt genug, hexte sie sich von dannen. Leider gab es kein Geld für die Heldentat, nur einen herzlichen Händedruck vom Brückenwächter.

Die nächsten Tage brachten nichts Besseres. Den Auftrag, eine junge Adelige zu bewachen, vergab man an jemanden, der angeblich kein stadtbekannter Schwerenöter war. Die Nachforschungen um einen mysteriösen Nebel, der nächtens die Bewohner des Bergquartiers ängstigte, verliefen im Sande, weil es einfach nicht nebelte. Und um verlorene Katzen zu finden, war er sich dann doch zu schade.

Frakis hatte sich bereiterklärt, Yuriko sein Gästezimmer auf unbestimmte Zeit zu überlassen. Am Abend nach dem Spinnendesaster, der Geruch nach Angebranntem hing noch penetrant in Yurikos Haaren, kam Galina zu ihm. Frakis holte Yuriko, dem nach nichts weniger war als nach Bewegung, aber Galina konnte schließlich nicht ohne Begleitung das Haus zweier Junggesellen betreten, und so stellte sich Yuriko schließlich zu ihr auf die Straße. Galina wirkte aufgelöst. Ein paar störrische blonde Strähnen widersetzten sich ihrer Haube, und sie sah aus, als hätte sie geweint.

»Wo warst du?«, fuhr sie ihn an. »Du hast dich den ganzen Tag nicht blicken lassen! Einmal, wenn man dich braucht!«

»Ich war arbeiten«, sagte Yuriko erstaunt. »Ich dachte, das wäre in deinem Sinne. Was ist denn passiert?«

»Sie haben Arkadis abgeholt«, sagte Galina und hatte schon wieder Tränen in den Augen.

»Wer?«, fragte Yuriko. »Der Arkane Rat?«

»Woher weißt du das?«

»Ich. Äh.«

»Ich war nicht zu Hause«, schluchzte Galina. »Ich war arbeiten. Und als ich zurückkam, war dein Siegel gebrochen und …«

»Was?!«

»… und Arkadis war weg und ich hatte einen Schrieb auf dem Küchentisch. Die sind bei mir eingedrungen und haben ihn rausgeholt.«

»Die haben mein Siegel überwunden?!«

»Das ist alles, was dich interessiert?«

»Nein, aber …«

»Warum hast du es gewusst? Wer hat es dir gesagt?«

»Galina, hör auf, so herumzuschreien, ich bitte dich.«

Sie schluchzte laut auf und rieb sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Dann sah er, wie die Erkenntnis sie traf wie ein Faustschlag.

»Du hast ihn verpfiffen«, sagte sie. »Du hast dem Arkanen Rat von ihm erzählt. Du hast denen gesagt, wo sie ihn finden können. Du gewissenloses, kaltherziges Monster.«

»Also hör mal, so war das doch überhaupt nicht!«

»Was hast du für ihn bekommen? Geld? Haben sie dir einen guten Preis gemacht?«

»Galina! Jetzt reicht’s!«

Er hatte die Stimme erhoben und die Fäuste in die Seiten gestemmt. Sie wich zurück, und er machte einen Schritt auf sie zu und streckte beschwörend die Hände nach ihr aus.

»Ich wollte das nicht. Sie hatten mich in der Mangel wegen der siebenhundert Untoten, und da ist es mir so herausgerutscht. Meister Fyr ist aber der Ansicht, es sei am besten so. Falls noch jemand hinter ihr her ist, ist sie in der Arkania gut aufgehoben.«

»Wir hatten unsere Gründe, ihn bei mir einzuquartieren und nicht in der Arkania«, sagte Galina mit zitternder Stimme. »Falls du dich erinnerst. Wir wollten sicherstellen, dass niemand ihn als Forschungsobjekt missbraucht. Und es hat im Übrigen schon angefangen. Sie lassen mich nicht zu ihm. Warum lassen sie mich nicht zu ihm? Er muss solche Ängste ausstehen! Wenn ich nur daran denke, er könnte glauben, dass ich …«

Ihre Stimme versagte. Sie kramte ein Taschentuch hervor und putzte sich geräuschvoll die Nase. Yuriko räusperte an seiner Stimme herum.

»Bist du sicher, dass Arkadis ein Mann ist? Also, hast du … nachgesehen? Habt ihr …?«

»Ich hasse dich«, sagte Galina zitternd. »Diesmal wirklich. Komm mir einfach nie wieder unter die Augen.«

Sie drehte sich um und ließ Yuriko stehen.

»Warte!«, rief Yuriko ihr hinterher. »Wo haben sie Arkadis untergebracht? Ich kümmere mich! Versprochen!«

Doch Galina blieb nicht stehen und gab auch keine Antwort. Bedrückt kehrte Yuriko zum Haus zurück, wo Frakis unter der Tür auf ihn wartete.

»Du dachtest nicht wirklich, du seist besser als Ksantho Kraka«, sagte er, nahm Yuriko bei der Schulter und schob ihn ins Innere.

»Tatsächlich dachte ich das«, sagte Yuriko geknickt. »Immerhin hab ich den Siebten, und er nur den Fünften.«

»Den Sechsten inzwischen. Aber du weißt selbst, dass alles jenseits des Vierten nur noch akademische Spielerei ist. Ihr seid euch ebenbürtig. Du hast mehr Talent, aber er ist fleißig und genau.«

»Ich muss los«, sagte Yuriko. »Mich wird man ja wohl zu Arkadis vorlassen.«

»Du musst nirgendwohin«, sagte Frakis. »Die haben doch alle schon Feierabend. Du musst morgen in die Verwaltung und einen Antrag ausfüllen. Ein paar Beziehungen spielen lassen. Da wird doch noch irgendjemand sein, mit dem du es dir nicht verdorben hast?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube, der Meister für Zauberei­geschichte mag mich ganz gerne.«

Frakis verzog das Gesicht.

»Das Einzige, was du mit dem spielen kannst, ist Schach im Garten. Weiter reicht sein Einfluss nicht. Aber komm. Trinken wir ein Glas Wein und gehen die Möglichkeiten durch. Etwas wird sich finden.«

Schweren Herzens folgte Yuriko seinem Freund ins Haus.

***

Trotz ihres Schwurs, ihn nie wieder sehen zu wollen, wich Galina ihm nicht aus. Sie hörte auf zu kehren, klammerte sich an ihren Besen und starrte ihm kämpferisch entgegen.

»Ich weiß, wo sie ist«, sagte er ohne Umschweife. »Aber sie lassen mich auch nicht zu ihr. Ich habe versucht, einen Besucherpass zu beantragen, an drei verschiedenen Stellen, aber die in der Verwaltung sind offenbar alle auf Linie gebracht.«

»Und wo ist er?«

»In der Ana.«

»Was? Als wäre er ein Störfall? Ein misslungenes Experiment?«

»Du hast jetzt im Übrigen keine Zeit, dich aufzuregen. Du hast dort unten dringend etwas zu putzen.«

»Hab ich?«, fragte Galina verwirrt. Yuriko nahm sie beim Ärmel und zog sie mitsamt dem Besen mit sich.

»Wir müssen uns beeilen. Ich habe sicher ein paar Leute misstrauisch gemacht mit meinem auffälligen Interesse.«

Die Abteilung für arkane Nachsorge war ein flacher steinerner Bau mit kleinen Fenstern, abseits auf dem Gelände, noch hinter den Stallungen der Abteilung für arkane Mischwesen. Padda wurde zu einem harten Klumpen ängstlicher Anspannung, als sie die Stallungen passierten. Der Geruch, der von dort kam, war auch wirklich merkwürdig.

In Sichtweite des Gebäudes, unter ein paar Bäumen, blieb Yuriko stehen.

»Geh rein und sieh dich um«, sagte er. »Zähl vor allem die Wachen. Halte Ausschau nach Siegeln.«

»Aber wenn sie dich nicht zu ihm lassen, dann doch mich erst recht nicht«, widersprach Galina. Yuriko verdrehte die Augen.

»Du willst ja auch gar nicht zu ihr. Du willst doch nur Papierkörbe ausleeren oder was auch immer. Jetzt geh.«

Endlich begriff Galina, packte ihren Besen und marschierte davon. Im Sichtschutz der Bäume sah Yuriko ihr nach. Das Gelände um die Abteilung war verlassen. Niemand war an den Fenstern. Ungehindert verschwand Galina durch die Tür nach drinnen.

Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkam.

»Ich wurde sofort weggeschickt«, berichtete sie. »Bis auf weiteres soll ich in der Ana nicht saubermachen, hieß es.«

»Was hast du gesehen?«

»Es ist auffällig leer. Die Ärztezimmer sind abgeschlossen. Wenn man reingeht, rechts den Gang hinter, steht ein Wachmann. Der hat mich auch weggeschickt. Im Übrigen kannte ich ihn nicht, und ich kenne eigentlich jeden in der Arkania, zumindest vom Sehen.«

»Bewaffnung?«

»Schwert, aber er hat es abgegürtet. Er sieht ziemlich gelangweilt aus.«

»Perfekt. Warte hier.«

Yuriko ließ die protestierende Galina unter den Bäumen zurück. Beschwingt marschierte er hinüber zum Haus, stieß die Tür auf und ließ sie lärmend hinter sich ins Schloss fallen. Rein und rechts, hatte Galina gesagt. Durch einen gemauerten Bogen betrat er einen langen Gang, von dem zur Linken lauter gleichförmige Türen abgingen. Krankenzimmer, vermutete Yuriko, und dann sprang auch schon der Wachmann von seinem Stuhl auf. Yuriko zauberte sich das breiteste Grinsen aufs Gesicht.

»Ah! Inthisira Alistis! Ein Glück, dass ich Euch hier antreffe! Ich soll Euch von Eurer Frau ausrichten – bezauberndes Wesen im Übrigen, ganz ungemein reizvoll …«

Während er sprach, hielt er Padda seine Handfläche hin. Padda fuhr die Zunge aus und beleckte das, was sich darin befand. Dann war Yuriko an dem überraschten Wachmann dran.

»Das muss eine Verwechslung sein«, sagte der Wachmann. »Ich bin nicht …«

»Macht nichts«, sagte Yuriko strahlend und hielt dem Wachmann die Hand hin. »Freut mich sehr, Eure Bekanntschaft zu machen.«

Unwillkürlich ergriff der Wachmann die dargebotene Hand. Das mit Krötenspucke versehene Siegel klebte sofort an ihm fest. Die Körperklammer wirkte so plötzlich, dass Yuriko Mühe hatte, sich aus dem Zugriff zu befreien.

An dem erstarrten Wachmann vorbei betrat er den Gang. Die Türen zu seiner Linken waren aus dicken Holzbohlen gefertigt und mit schweren Schlössern versehen. Im oberen Bereich hatten sie Klappen, die vom Gang aus einen Blick in den Raum ermöglichten.

»Arkadis?«, sagte Yuriko laut. »Bist du hier?«

Ein rasches, leichtes Klopfen war die Antwort. Es kam von einer Tür weiter hinten.

Yuriko öffnete die Klappe. Hinter der Klappe waren Gitterstäbe, und hinter den Gitterstäben war Arkadis, blass und mit großen, angsterfüllten Augen. Sie klammerte sich ans Gitter und starrte Yuriko beschwörend an.

»Geht es dir gut?«

Sie schüttelte den Kopf und rüttelte demonstrativ am Gitter.

»Ich kann dich nicht rauslassen. Ich müsste die Tür abbrennen, und dann kämen wir niemals vom Gelände runter, am helllichten Tag. Ich bin nur gekommen, um …«

Ja, warum eigentlich?

»Galina macht sich Sorgen. Sie hat Angst, du würdest denken, sie hätte dich verpfiffen. Aber sie ist unschuldig. Ich war’s. Unabsichtlich, das schwöre ich. Und wir arbeiten daran, dich hier rauszuholen. Haben sie dir etwas getan? Haben sie an dem Siegel herumgespielt?«

Arkadis schüttelte den Kopf. Eine steile Falte hatte sich über ihrer Nasenwurzel gebildet. Sie streckte die Zunge heraus, das Siegel war unverändert.

»Gut. Brauchst du etwas? Soll ich dir etwas bringen lassen?«

Arkadis machte eine ausholende Geste, von der Yuri durch die Klappe nur einen Teil sehen konnte, die sich aber offenbar auf die Gesamtheit ihrer kleinen Zelle bezog.

»Ja, Freiheit. Ich verstehe. Mir tut das schrecklich leid, Arkadis.«

Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, tröstete sie das wenig.

»Ich kümmere mich«, versprach Yuriko. »Ich kriege dich hier raus. Es kann nur noch ein paar Tage dauern. Und ich glaube nicht, dass ich dich nochmal besuchen kann – der Trick funktioniert bestimmt kein zweites Mal. Aber wir finden einen Weg. Wir lassen dich nicht hängen.«

Arkadis nickte zögernd. Yuriko machte einen Schritt rückwärts und wollte schon die Klappe schließen, als ihr dünner Arm zwischen den Gitterstäben hindurchfuhr. Sie packte ihn am Schopf und zog ihn näher.

»Aua«, presste Yuriko hervor. »Haare! Was habt ihr nur immer!«

Arkadis ließ ihn los, hielt sich die flache Hand vors Gesicht und bewegte leicht den Kopf hin und her. Eine zweite Geste – sie wischte – nein, sie blätterte ein unsichtbares Buch um.

»Lesen? Ich soll dir Bücher bringen lassen?«

Heftiges Nicken, flehender Blick.

»Das lässt sich bestimmt einrichten. Heute noch. Ich kümmere mich darum.«

Nachdrückliches Nicken. Dann entfernte Arkadis sich vom Gitter, und Yuriko schloss die Klappe.

Der Wachmann stand noch am gleichen Fleck, die Hand zum Gruß nach vorne ausgestreckt. Yuriko fischte ein zweites Siegel aus der Tasche, ließ Padda es anlecken und klebte es über das Körperklammersiegel. Dann verließ er die Abteilung für arkane Nachsorge und schloss zu Galina auf, die ihn ungeduldig erwartete.

»Und?«

»Es geht ihr gut. Sie ist körperlich unversehrt, nur sehr gelangweilt. Sie wünscht sich Bücher. Kümmer dich drum, ja?«

Galina nickte. »Was hast du mit dem Wachmann gemacht?«

»Körperklammersiegel. Und einen Auflöser, der inzwischen anfangen sollte zu wirken, also stehen wir hier besser nicht unnötig herum.«

»Aber was, wenn er Bericht erstattet? Er hat uns beide gesehen und kann uns sicher beschreiben.«

Yuriko grinste und setzte sich in Bewegung. »Und dabei zugeben, dass er sich von einem alten Mann hat übertölpeln lassen? Ich wette, dafür hat er seine Arbeit viel zu gern. Nein. Wenn er schlau ist, schmeißt er die Siegel weg und verrät niemandem ein Sterbenswörtchen.«

»Ich hoffe, du hast recht«, brummte Galina. »Sonst bin ich meine Anstellung los. Dir kann das ja egal sein, du hast ja sowieso keine.«

»Macht es dir eigentlich Spaß, mir ständig Salz in offene Wunden zu reiben?«

»Das ist der einzige Spaß, der mir geblieben ist, Meister Yuri.«

Einigermaßen einträchtig kehrten sie zurück zum Hauptgebäude. Ehe sich ihre Wege im Innenhof trennten, deutete Yuriko auf Galinas Besen.

»Weißt du, wo du dringend saubermachen solltest? Und so oft wie möglich?«

»Als würde ich von dir Anweisungen entgegennehmen!«

»In Krakas Schreibstube«, sagte Yuriko ungerührt. »Ich will wissen, was er mit Arkadis vorhat. Er hat mehr als akademisches Interesse an ihr. Aus Forschungsgründen sperre ich niemanden ein und lasse ihn bewachen. Wir brauchen Informationen.«

»Kommt aus deinem Mund, ist aber trotzdem sinnvoll«, sagte Galina. »Ich sehe, was ich tun kann.«

Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten

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