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Das Licht des Steins

Mit letzter Kraft erreicht Mosi das Indianermädchen das Felsenlabyrinth. Fast nichts kann sie sehen.

Ein Sonnenstrahl leuchtet schwach über den Felsspalten. Schnell verschwindet sie hinter einer der Spalten der Felsenkluft in dem unübersichtlichen Labyrinth. Klein und zierlich wünscht sich das Mädchen nur noch, sie möge die Färbung des Felsens annehmen, hinter dem sie sich versteckt. Sambo, der Krieger eines anderen Stammes, war ihr gefolgt. Ihr Herz pocht so laut, dass sie glaubt, er könne es hören. Sogar über die Netzbrücke hoch oben über den Felsen ist er ihr gefolgt. Im Tal hört man das Rauschen des Wasserfalls.

Am Morgen war Mosi noch einmal losgelaufen, um unten am Fluss diese wundervollen Steine zu sammeln. Deren Farben schillern Smaragden gleich. Sie hält die Steine ins Sonnenlicht und bewundert das Farbenspiel. Weich fühlen sie sich an in ihrer Hand.

Sie lächelt, als sie an die mahnenden Worte des Vaters und der Geschwister denkt. „Wer die Steine finden will, muss vorsichtig sein.“

Gar nicht weit vom Fluss entfernt lebt der Stamm der „Wari“.

Oft genug war es Mosi gelungen, Steine zu sammeln und unbemerkt zu ihrem Dorf zurückzukommen. Leicht wie eine Feder und flink wie eine Gazelle, machte sie sich fast unsichtbar. Und jedes Mal wurde sie mit dem kostbaren Schatz unruhig erwartet.

Diesmal hatte Sambo, ein Krieger „der Wari“, ihre Spur gefunden. Und als Kinja, die Schlange, zischend das Weite sucht, wäre es fast zu spät gewesen. Deren zorniger Warnlaut hätte die Anwesenheit der Steine Sammlerin fast verraten. Der junge Krieger hält den Speer bereit, die Indianerin sofort zu töten. Sie wagt kaum zu atmen, spürt den Verfolger in unmittelbarer Nähe. Wie eine Ewigkeit kommt es ihr vor, bis Sambo die Suche im Felsenlabyrinth nach ihr aufgibt. Sein Stamm ernährt sich zwar auch von erlegten Vögeln oder Pumas und dem Ozelot. Aber am liebsten von Menschenfleisch.

Der letzte Sonnenstrahl ist längst hinter den Felsen verschwunden. Und Awilix, die Göttin der Nacht und des Mondes, ist als Halbmond am Firmament zu sehen. Sie ist auch die Schutzherrin der Wasser des Regenbogens und der Schwangeren. Dort, wo die Fledermäuse nach draußen fliegen, kann Mosi nun auch die Sterne leuchten sehen. Sie wird die Nacht hier verbringen müssen. Die junge Frau nimmt den Stein aus ihrem Haarband. Er leuchtet, wohltuend mit grünem Licht. Und ihr Atem wird ruhiger. Mosi hat keine Angst mehr, sie stellt sich vor, dass sie ihn als Schmuck tragen wird und ihr Stamm vor Freude tanzt. Sie nimmt den Geruch von im Feuer gegartem Fleisch wahr. Sambo hat also ein Tier getötet. Er wird sie diese Nacht nicht mehr suchen.

Zeit für ein Nachtlager. Vorsichtig bewegt sich die Indianerin aus der Felsspalte.

Unten im Berg, wo sich das Bergwasser bricht, haben die Brunnenwächter ihren Platz eingenommen. Es sind Katzen, die schon von den Mayas verehrt wurden. Längst haben die feinsinnigen Geschöpfe der Nacht wahrgenommen, dass es unruhig im Felsenlabyrinth wird. Und erspürt, dass sich jemand in Gefahr begeben hat. Diese Fähigkeit haben die Vorfahren von Generation zu Generation weitergegeben.

Immer noch vorsichtig und jeder Zeit bereit wegzulaufen, sucht sich Mosi ein Nachtlager. An einer mit Moos bedeckten Stelle hockt sie sich erschöpft auf den Boden, legt den Kopf auf die Hände. In der Dunkelheit der Nacht ist sie schwer erkennbar, sie liegt verborgen hinter einer Wand des Felsens. Und hofft, nicht entdeckt zu werden.

Im spärlichen kalten Nacht Licht, kann sie oben am Felsen die streunenden Fledermäuse gerade so erkennen. Lautlos kriechen Klapperschlangen neugierig um sie herum. Skorpione und Spinnen machen sich auf den Weg, nach Nahrung zu suchen. Mosi zittert vor Angst.

Der Stein bildet plötzlich grünes sanftes Licht um sie herum. Wie auf Kommando schwingen die Fledermäuse die Flügel, dass es klingt, als würden sie lachen. Die anderen Tiere suchen schnell das Weite.

Eine Stimme tönt im Felsenlabyrinth. Erschrocken blickt sich Mosi um. „Ich bin Cabvacan der Herrscher dieses Reiches und kann dich vor den Tieren schützen! Wenn du die Bedingung erfüllst und nach 7 Nächten meine Frau wirst.“ Wie erstarrt sieht sich Mosi um. Tapfer hält sie den Stein in der Hand. Und nimmt ein Geräusch wahr. Es hört sich an wie das Rauschen eines Wellenschlages.

Mosi entdeckt einen Brunnen. Der Stein hat sie hingeführt, leuchtet angenehm grün und es ist gar nicht mehr so dunkel. Seine Farben spiegeln sich im Klaren Wasser, wie die Farben des Regenbogens.

Mosi schaut hinein und schmunzelt, weil sogar ihre Haare im Brunnenwasser grün wirken.

Das Wasser bewegt sich sanft und sie hört plätschernde zarte Stimmen. „Mosi, spring in den Brunnen, hab keine Angst, der Stein bewahrt dich vorm Ertrinken“.

Der Felsengeist fordert grummelnd: „Rühr dich nicht von der Stelle, Mosi. Ich will dich zur Frau!“ Sein Echo wirkt im Felsenlabyrinth wie der Donnerschlag eines Gewitters.

Mosi zögert nicht lange und springt in den Brunnen. Dem rauen Felsengeist möchte sie nicht begegnen. Sie hält angestrengt die Luft an, aber der Stein bildet eine schützende grüne Aura um sie herum. Es fühlt sich an, als würde sie im Wasser wie von Händen hinab getragen.

Unten im Berg, wo sich die Schatten des Brunnenwassers brechen, lebte ein kleines Volk.

Vor tausenden von Jahren entdeckte ein Stamm der Maya diese Quelle, die sie als besonders rein und klar bezeichneten. Sie glaubten, dass die Mondgöttin hier ihren Krug mit Wasser über der Erde leerte, und bauten einen Brunnen. Ganz tief im Felsen gibt es eine Höhle. Mit Felsenmalerei, auf denen Katzen zu sehen sind. Kaum vorstellbar, dass hier einst Menschen gelebt haben.

Die Höhle wird seit Jahrhunderten von den Katzen bewacht. Keine Wassertropfen sollten, wie Tränen in die Höhle gelangen. Es wird vermutet, dass es von der Höhle aus einst noch einen Wasserlauf gab, der die Mayas mit Booten zu dem Wasserfall führte. Sie nannten ihn ihren „Smaragdsee“, weil sie dort die einzigartigen, von den Gezeiten erschaffenen Steine fanden.

Unbeschadet kommt Mosi unten im Bauch des Berges an. Kein Tropfen Wasser perlt von ihr ab. Die Katzen hatten vorsichtshalber ihre Schirme aufgespannt.

Es waren 2. Mit schwarz-orangem geflecktem Fell. Und mit gelb-orangenen Augen. Diese leuchteten wie 2 Sonnen. Die beiden schönen Katzen trugen jede eine Kette, ein Sonnenband mit einem Amethyst.

Magisch angezogen fühlt sich Mosi, als ihr Stein mit leuchtendem Grün die Steine der Katzen berührt. Diese sprachen zu ihr: „Sei herzlich willkommen Mosi, es ist schön, dass dein Mädchenname „Katze“ in der Indianersprache bedeutet“! Wir sind, „Zipacua“ und „Huracán“, stellten sie sich vor!“ Als sich Mosi verbeugen will, strecken ihr die Tiere die Pfoten entgegen. Sie zögert etwas, weil sie scharfe Krallen vermutet. Aber die imposanten Tiere sagen: „Hab keine Angst, wir wollen dir nichts Böses!“ Samtweich fühlen sich die Tatzen an.

Die junge Indianerin bestaunt die schönen Tiere. Und erzählt ihnen entspannt von dem Erlebnis mit dem Felsengeist. „Zipacua“ und „Huracán“ schauen gelangweilt vor sich hin. Sie kennen „Cabvacan“ Und sagen: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, bei uns bist du in Sicherheit.“ Schüchtern fragt Mosi die Katzen: „Darf ich von dem Quellwasser trinken. Ich habe großen Durst“. „Ja, tank auf und trink so viel du willst. Wir machen inzwischen ein Päuschen.“

Die Katzen legten sich auf 2 seidene Kissen, die mit kunstvollen Mustern der Mayas bestickt waren. Sie schnurrten leise vor sich hin, blieben aber wachsam, denn die Ohren bewegten sich kaum merklich hin und her. Mosi setzte sich auf ein Kissen, das ihr „Huracán“ fürsorglich hingelegt hatte. Sie fühlt sich beschützt und geborgen.

Mit einem Mal wurden die Katzen unruhig!

Und legten sich in Angriffs Position. Sie stellten die Ohren auf. Mosi hört von oben einen Schall mit einem großem Platsch, so als würde man Steine ins Wasser werfen. Gerade noch rechtzeitig zeigt ihr „Zipacua“ den schwer erkennbaren Gang zur Höhle. Schnell schlüpft die Indianerin in die Höhle, um sich zu verstecken. Ihr Smaragd leuchtet. Hier stellt sie sich vor, dass ihre Vorfahren mit Fackeln in der Höhle sitzen. Unheimlich wird es ihr. Aber sie war allein. Es ist warm in der Höhle. Sie spürt einen ganz geringen Luftzug. Mosi versucht, die Malerei an den Wänden der Höhle zu erkennen. Sie kann trotz des Leuchtens ihres Steines nur Umrisse entdecken. Der Luftzug streichelt sie warm. Sie fühlt sich fast, als würde ihr die Ferne Geschichte erzählen. Wieviel Zeit mag wohl vergangen sein? Fast glaubt Mosi, sie wäre in einem Stundenglas verronnen.

Nun doch wieder neugierig geworden schleicht die Indianerin so leise wie möglich den schmalen Gang zum Platz der Katzen zurück. Und kann kaum glauben, was sie sah.

Die Katzen leckten sich die Mäuler über den Überresten eines Gürteltiers. Sie sagten: „Entschuldige bitte Mosi, wir haben unser Festmahl schon beendet. Was denkst du wer in unseren Mägen verdaut wird?“ Die Katzen lachten, als sie Mosis Ratlosigkeit sahen. Und Zipacua sagte: „Cabvacan“ der Felsengeist“!

Du bist erlöst! Sprachlos sah Mosi die Katzen an.

„Wir sind ihm schon lange auf der Spur und wissen, dass „Cabvacan“ eitel ist und sich seine Hässlichkeit nicht eingestehen kann. Selbst die Skorpione und Schlangen des Felsenlabyrinths verschwinden, wenn sie ihn sehen! Daher schaut er sich immer wieder sein Spiegelbild im Brunnenwasser an. Doch diesmal ist es schiefgegangen und er ist in den Brunnen gefallen.“

„Der Felsengeist war nur ein Gürteltier“, bemerkt Mosi mit einem fragenden, lustigen Unterton in der Stimme. Und zeigt auf die Überreste des Unholdes.

Seine Stimme erschien ihr im Echo des Brunnens wie Donnergrollen …!

Die Katzen blickten plötzlich wie erstarrt, und verwandeln sich zu Statuen aus Stein.

Jemand ruft: „Mosi, Mosi bist du hier?“ Mosi horcht auf und reibt sich die Augen. Ist es noch Traum oder Wirklichkeit? Sie sieht im Dunkeln den Lichtschein einer Fackel. Als sie zu sich kommt, liegt sie immer noch auf dem Moos Bett.

Die junge Indianerin war am Abend zuvor vor Erschöpfung hier eingeschlafen. Der da ruft, ist ihr Vater, der jeden Winkel des Labyrinthes mit der Fackel, nach ihr absucht. Hastig steht Mosi auf, läuft auf ihn zu und hält dabei ihren Stein in die Höhe. Er funkelt wie ein Stern am Nachthimmel. Jetzt hat sie ihr Vater gesehen. Er läuft ihr entgegnen und nimmt sie in seine Arme. Glücklich, sie gefunden zu haben. „Ich habe dich einen ganzen Tag und auch des Nachts gesucht. Ich sah den Krieger Sambo mit seinem Speer gerade noch über die Netzbrücke huschen. Sofort wusste ich, dass du nur im Felsen Labyrinth versteckt sein kannst. Wir stärken uns erst mal.“

Ihr Vater hatte 2 Kaninchen erlegt. In der Höhle machten sie sich ein kleines Feuer. An der Quelle konnten sie ihren Durst löschen.

„Geh nicht mehr an den Smaragdsee, warnte sie ihr Vater.

„Der Stamm der „Wari“ hat keine guten Rituale mehr. Vom heiligen Berg habe ich gesehen, dass die Krieger aggressive Tänze vollführen. Im Sprechgesang gellende Schreie ausstoßen, wütend stampfen. Und ihre Bemalung sieht jetzt noch bedrohlicher aus.“

Die beiden wollen nun gemeinsam aufbrechen. „Es ist besser, du behütest die Steine, die du schon hast. Irgendwann zieht ihr Stamm vielleicht mal in ein anderes Gebiet des Regenwaldes. Fordere dein Glück nicht heraus. Bitte versprich mir, dass du nicht mehr nach den Steinen suchen wirst.“

Mosi umarmt ihren Vater, löst das Haarband und schenkt ihm ihren Stein.

Gib denen, die du liebst, Flügel, um wegzufliegen,

Wurzeln, um zurückzukommen,

Und Gründe, um zu bleiben.

(Dalai-Lama)

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