Читать книгу Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an - Susanne Rüster - Страница 9

Gier

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„Süßer die Glocken nie klingen, als zu der Weihnachtszeit“, von klaren, hellen Knabenstimmen gesungen, locken Uwe Pfeifer an das Wohnzimmerfenster seiner Altbauwohnung. Von hier aus hat er einen wunderbaren Ausblick auf den Gendarmenmarkt. Er liebt die geschichtsträchtige Kulisse, von der schon Goethe schwärmte und in Knüttelversen pries: „Prophete links, Prophete rechts, das Weltkind in der Mitten“. Pfeifer sieht das Schauspielhaus, eingerahmt vom Französischen und vom Deutschen Dom. Er liebt diesen Platz, diese Gegend, auch unter einem kulinarischen Aspekt. Für ihn, den Viel- und Gutesser ein märchenhaftes Umfeld. Im Café Möhring frühstückt er und lässt sich oft nach einem langen Arbeitstag im Restaurant Lutter und Wegener mit Köstlichkeiten der internationalen Küche und deliziösen Weinen verwöhnen.

Alle Jahre wieder wird unter seinem Fenster der schönste Weihnachtsmarkt der Stadt aufgebaut. Düfte von Zimt, Anis, Glühwein und gebrannten Mandeln füllen die Luft und schweben zu ihm hinauf in den dritten Stock seiner Wohnung und locken ihn täglich in das Schlaraffenland. Schwedische Elchsteaks, französische Spezialitäten wie Crêpes, Käse und Trüffel, auch holländische Puffertjes, Nürnberger Lebkuchen und Bratwürste aus deutschen Landen kostet er dann und genießt.

Ganz bewusst hat Uwe Pfeifer sich jetzt, in der Adventszeit, für eine Abmagerungskur entschieden. Zu genau kennt er seine Schwächen. Er muss seiner Völlerei entfliehen, denn er ist dick, sehr dick und felsenfest entschlossen abzunehmen. Ein schwerer Entschluss, wie er aus Erfahrung weiß, denn schon viele Male haben qualvolle Diäten nie das gewünschte Ergebnis gebracht. Sie endeten immer so, dass er, meist ein umgänglich heiterer Junggeselle, in tiefe Depressionen fiel.

Für eine Diät in den eigenen vier Wänden ist die Vorweihnachtszeit so gar nicht geeignet, aber in diesem Jahr will er seine Genußsucht bändigen.

Er hat sich eine Klinik im Berliner Bezirk Zehlendorf ausgesucht. Hier wird nach dem Motto „Schlank macht glücklich“ eine ganzheitliche Behandlung angeboten, eine Erfolg versprechende Lösung seiner Probleme: Heilfasten mit Säften und Kräutertees, Gymnastik und Massagen, ein vielseitiges Programm.

In einer Villa am kleinen Wannsee, umgeben von einem Park mit alten Buchen und Kiefern, die bis zum Wasser reichen, weitab von den vielen Weihnachtsmärkten, hungert er nun seit einer Woche nach der dürftigen Gemüse- und Säftekur von Frau Doktor Elisabeth Schönstett.

Der anstrengende Aufenthalt wird ihm durch Genüsse besonderer Art jedoch verschönert und erleichtert. Vom Fenster seines Zimmers hat er Ausblick in ein Reihenhäuschen, das der Klinik gegenüber liegt, in dem ein junges, hübsches Wesen in einer Küche herumläuft. Der Anblick entzückt ihn, denn trotz Novemberkälte ist die Frau immer leicht bekleidet. Sie ist vollschlank und rotgoldene Haare umspielen ihr Gesicht wie eine Abendhimmelwolke.

Uwe Pfeifer beginnt sich für sie lebhaft zu interessieren.

Er hat sich einen Feldstecher besorgt, um einen besseren Einblick zu haben.

Hungrig sitzt er in der anwendungsfreien Zeit am Fenster seines Zimmers und beobachtet die junge Frau bei ihren häuslichen Verrichtungen. Dabei vertieft er sich auch in die bunten Etikettenaufschriften der Konserven, die ihm verführerisch ins Auge stechen. Nachts träumt er von der Nachbarin. Sie füttert ihn mit deftigem Sauerkraut und Schweinskrustenbraten, und zum Nachtisch steckt sie ihm kleine Kuchen in den Mund. Als er erwacht und zum Frühsport gerufen wird, gerät sein seelisches Gleichgewicht mächtig ins Wanken.

Er richtet das Vergrößerungsglas auf das Haus gegenüber.

Die junge Frau aus seinem Traum sitzt bereits bei einem üppigen Frühstück.

Ein Klopfen an seiner Zimmertür schreckt ihn auf. Eine Schwester meldet den Besuch der Klinikleiterin an. Das verheißt nichts Gutes. Und so ist es dann auch. Frau Doktor Schönstett, eine superschlanke Vierzigerin mit gebirgsbachkalten Augen, die ihn böse anblitzen, tritt ein. „Was ist das?“ Sie weiß natürlich selbst, was sie da auf den Tisch geschleudert hat.

„Keine Ahnung, noch nie gesehen“, antwortet er mit unschuldiger Miene.

Die Ärztin antwortet scharf: „Das ist eine Tafel Schokolade – Vollmilch – Traube – Nuss! Ich habe sie in der Deckelvase im Speisesaal entdeckt“, zischt sie. „Ihnen ist doch bekannt, dass ich Sie ermahnen muss. Der Verzehr von Schokolade ist während der Fastenkur verboten.“

Pfeifer lächelt überlegen. „Diese Vase ist für jedermann frei zugänglich.“

Frau Doktor entgegnet kopfschüttelnd: „Das weiß ich. Dieses Argument benutzen alle, die sich dort ein Nahrungsdepot einrichten.“

Pfeifer ist geschockt, er hat verstanden. „Diese blöde Vase ist eine gemeine Falle. Unschuldige Patienten, die vor Hunger fast umkommen, nicht aus und ein wissen, werden durch sie verführt.“

„Wenn ich Sie daran erinnern darf, sind Sie doch freiwillig hier und können, wenn Sie sich nicht an die Hausordnung halten, die Klinik sofort verlassen, bitte schön.“

Pfeifer knirscht mit den Zähnen. Er hat verloren. Frau Doktor Schönstett mustert ihn noch einige Sekunden und verlässt mit einem resignierten Seufzer das Zimmer.

Vorbei sind nun die Nächte, als er die erbärmlich dünne Brühe-Diät mit Schokolade etwas erträglicher gemacht hatte. Es blieb der quälende Hunger und noch drei Wochen liegen vor ihm. Er braucht jetzt seine ganze Kraft, um nicht wieder in eine depressive Stimmung zu verfallen. Natürlich will er abnehmen, wer will denn schon zwei Zentner wiegen. Aber doch nicht so radikal und unmenschlich.

Alles was ihm nun bleibt, ist die dralle Nachbarin. Pfeifer greift wieder zum Feldstecher und sieht, wie sie an einem Hühnerschenkel kaut und sich genüsslich alle zehn Finger ableckt. Ihm wird ganz flau, doch dann hat er eine Idee.

Das Häuschen der Nachbarin grenzt an den rückwärtigen Teil des Klinikgartens, der mit majestätischen Buchen und einer dichten Haselnusshecke bewachsen ist. In dieser Hecke ist ein Durchgang, den er ja schon für seine Beobachtungen nutzt. Diese Lücke will er noch besser nutzen und einen persönlichen Besuch vorbereiten. Im Park schlendert er, wie in Gedanken versunken, unter den Buchen auf und ab und beobachtet die Fenster der Klinik. Keiner der Patienten scheint sein Spannerhobby zu teilen. Brav gehen wohl alle zu ihren zehrenden Anwendungen. Der erste Frost lässt die Blätter unter seinen Füßen knacken. Uwe Pfeifer schlüpft durch die Hecke und überquert eine kopfsteingepflasterte Straße. Der Wind lässt Plastikbecher und Papiertüten um seine Beine tanzen, dann steht er vor dem Reihenhäuschen. Das Küchenfenster, durch das er so oft gespäht hat, liegt wenige Meter vor ihm. Sein Mut verlässt ihn. Was wird geschehen, wenn die schöne Nachbarin ihn für einen Einbrecher hält?

Der Zufall kommt ihm zu Hilfe. Eine Windböe schleudert einen trockenen Ast mit einem lauten Krachen gegen das Küchenfenster. Die junge Frau kommt erschreckt aus dem Haus gelaufen.

„Nur keine Aufregung“, ruft er und schwingt seine Fülle über den niedrigen Gartenzaun, wobei seine Gelenke bedenklich knirschen. Behände, wie ein Gummiball, hüpft er durch den kleinen Vorgarten und zerrt den Ast in Richtung eines Komposthaufens. Die Frau sieht seinem Treiben zu und versucht ihre Bluse über die Schenkel zu ziehen. Pfeifer lächelt verbindlich, reicht ihr seine Hand und stellt sich vor.

„Pia Vogel“, erwidert sie verwirrt.

„Es wird gleich zu schneien beginnen, ziehen sie sich lieber etwas über.“

Dankbar nimmt sie diesen Rat an, eilt ins Haus. Mit einem dicken Wollpullover und einem Schlabberrock kommt sie zurück und streckt die Hand nach dem Ast aus, den Pfeifer noch immer umklammert.

„Wenn Sie eine Säge haben, mache ich ihn schnell klein.

„Mein Mann wird im Werkzeugkasten vermutlich eine haben. Ich schau mal nach.“

Was, ein Mann? Seit fast einer Woche nimmt er am Leben der Pia Vogel teil und hat noch nie ein männliches Wesen gesehen. Sich auf einen Herrn Vogel einzustellen, damit hat er nicht gerechnet.

Pia Vogel reicht ihm einen Fuchsschwanz.

Pfeifer bückt sich und beginnt den Ast zu zersägen.

„So, das hätten wir“, ruft er, nachdem er ihn in kamingerechte Stücke zerlegt hat. Mühsam richtet er sich wieder auf und unterdrückt ein Stöhnen. Die ungewohnte Anstrengung hat ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Er räuspert sich.

„Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser hätten?“

Pia steht betreten neben ihm, weiß nicht so recht, was sie mit dem fremden Helfer anfangen soll. Pfeifer geht aufs Ganze.

„Wissen Sie, eine Tasse Tee wäre schön bei diesem Wetter.

„Ich wollte mir gerade einen Earl Grey aufgießen.“

„Prächtig, dann mache ich ja keine Umstände.“

Kurz darauf sitzt Pfeifer an dem gedeckten Küchentisch, den er so viele Male sehnsüchtig beobachtet hat.

Pia Vogel öffnet eine Keksdose, deren bunten Aufdruck er bereits kennt, und zaubert aus dem Küchenschrank weiß bepuderte Windbeutel.

Uwe Pfeifer fühlt sich so wohl wie lange nicht und ist endlich wieder mit sich und der Welt versöhnt. Er lässt die Köstlichkeiten auf der Zunge zergehen und verdreht vor Wonne die Augen.

„Ganz vorzüglich“, sagt er zu seiner Gastgeberin, die ihn freundlich mustert. Während er sich die zweite Tasse Tee eingießen lässt, ermahnt er sich zu einer Plauderei, denn oft ist er unfähig, ganz zwanglos ein Gespräch zu beginnen. Was soll er sagen oder fragen. Er hofft, dass ihm etwas einfällt, und dann hat er wieder eine Idee. „Einen schönen Garten haben Sie. Man sieht das auch bei diesem Novemberwetter, wenn die Natur vor dem Winter zu schlafen beginnt.“

Und dann, als wäre der letzte Satz von Uwe Pfeifer ein ‚Sesam-öffne-dich‘ gewesen, beginnt Pia Vogel zu reden. Sie spricht von der Arbeit, die ein noch so kleiner Garten macht. Er hätte es ja selbst erlebt, denn Äste würden bei jedem Windstoß von den alten Bäumen geweht. Sie erzählt von Besuchern, die sie am Tag der ‚Offenen Berliner Gärten‘ begrüßen konnte, auch von ihrer Kindheit auf einem Bauernhof bei Lübars, von Nachbarn und von Hunden, die überall hinpinkeln, und streunenden Katzen, die ihr die Vögel vertreiben.

Pfeifer genießt es. Eine Antwort wird nicht erwartet. So kann er sich ganz ungeniert dem Genuss der verbotenen Nürnberger Lebkuchen hingeben und lauscht versonnen ihrem Redefluss. Ihr berlinischer Akzent hat etwas Vertrautes.

Jäh schreckt er auf, als ein Kuckuck krächzend aus einer Uhr hervorschnellt und sechsmal seinen Ruf ertönen lässt.

18.00 Uhr! Zu dieser Zeit wird in der Klinik die sehr übersichtliche Mahlzeit serviert.

„Wir haben uns verplaudert. Ob ich wohl morgen wiederkommen darf?“

„Gern“, gibt sie ohne Zögern zur Antwort. Pfeifer verabschiedet sich, wählt wieder den Weg über die Straße durch die Hecke und schleicht, nun in der Dunkelheit, zurück in die Klinik.

Am folgenden Tag steht er pünktlich um 16.00 Uhr vor Pia Vogels Haus. Von seinem Frühstückstisch hat er das kleine Tannengesteck mitgenommen.

„Wie hübsch“, sagt sie.

Der Tisch, diesmal im Wohnzimmer, ist schon gedeckt. Es gibt Kaffee, dazu einen guten Cognac und Uwe Pfeifer weiß es schon, er hat die Nachbarin am Vormittag beobachtet, Apfelkuchen mit Sahne. Pia Vogel schenkt Kaffee ein, setzt sich ihm gegenüber und schweigt. Wieder überlegt Pfeifer krampfhaft, was er sie fragen kann.

„Vermissen Sie eigentlich den Bauernhof und die Tiere mit denen Sie aufgewachsen sind?“

Mit dieser Frage hat er ins Schwarze getroffen. Sie lehnt sich in ihrem Sessel zurück, lässt ihren Blick in die Ferne schweifen, und beginnt zu erzählen. Pfeifer lauscht ihren Erinnerungen, für ihn eine melodiöse Tischmusik, die seine Mahlzeit, später serviert sie ihm noch gefüllte Schinkenröllchen mit Melonenstücken und Käse, dezent begleitet.

Wieder meldet der krächzende Kuckuck die Stunde des Klinikabendbrotes. Wie selbstverständlich verabschiedet er sich diesmal mit den Worten: „Dann bis morgen.“

Am nächsten Tag kann er es kaum erwarten, denn er hat Pia Vogel wieder beobachtet, hat gesehen, wie sie für ihn kocht. Sie ist ein Geschenk des Himmels. Seine Pfunde scheinen sie nicht zu stören, im Gegenteil, sie ist dabei, sie zu vermehren. In seinem Hungermartyrium erscheint sie ihm als eine Fee mit einem übergroßen Füllhorn.

„Ich habe eine Überraschung für Sie“, begrüßt Pia ihn geheimnisvoll. „Sie können sie erriechen.“

Pfeifer, der kein Spielverderber sein will, zieht geräuschvoll die Kochdüfte durch die Nase ein und stellt sich unwissend.

„Gulasch?“, fragt er, obwohl er den saftigen Braten schon vor der Linse gehabt hat.

„Fast richtig, und was gibt es dazu?“

„Vielleicht Pilze?“

Pia Vogel klatscht in die Hände. „Sie sind ein Feinschmecker!“

Sein Blick schweift durch den Raum und bleibt auf einem Bild mit einem Männerkopf hängen. „Ihr Mann ist wohl selten zu Hause?“, fragt er.

Sie schweigt und Pfeifer läuft es plötzlich eiskalt über den Rücken, die falsche Frage am richtigen Ort. Er sieht alle Köstlichkeiten im Kühlschrank verschwinden und sich selbst wieder an der widerlichen Brühe in der Klinik nippen. Pia Vogel blickt ihm fest in die Augen.

„Ich bin froh, dass Sie mir diese Frage stellen. Mein Mann und ich führen keine Ehe mehr. Er hat eine Freundin, die ganz schlecht kocht. Darum kommt er jedes Wochenende zu mir, räumt den Kühlschrank aus, nimmt alle Lebensmittel, auch meine gebackenen Kuchen, mit zu dieser neuen Frau.

„Hmm“, macht Pfeifer und schiebt sich genüsslich eine Gabel Pilze in den Mund. Sie sind ein Gedicht und schmecken nach Wald und Erde, dann sieht er sie mitfühlend an.

Pia Vogel spricht bewegt. „Sie glauben gar nicht, wie gut es mir tut, einen Menschen zu haben, der mir zuhört. Sie geben mir neuen Lebensmut, und ich weiß jetzt endlich, wie ich mich verhalten muss.“

Uwe Pfeifer ist gerührt, nimmt trotzdem wahr, dass sie von einem Plan spricht, den sie am Nikolaustag in die Tat umsetzen will.

„Pia Vogels Mann“, denkt er, „ist bestimmt für viele Gespräche der kommenden Nachmittage tauglich.“

Er lauscht ihren Worten und fragt sich, ob er nicht schon um Kaffee bitten kann oder ob es höflicher ist, damit zu warten.

Pia Vogel setzt Kaffeewasser auf. Pfeifer findet es wunderbar, wie sie ihm die Wünsche von den Augen abliest.

„Bis morgen“, sagt sie, als der Kuckuck die Trennungsstunde meldet.

Nach dem Überqueren der Straße wird aus dem Lustesser Pfeifer wieder der Patient, der frustriert vor der Kalorienkiller-Brühe sitzt.

Dank Pia Vogels Kochkunst schläft er in der Nacht tief und fest. Fast hätte er seinen Frühsport versäumt.

„Pia Vogel hat einen Plan, einen Plan, der ihren Mann betrifft“, überlegt er, während er mit zwanzig anderen Dicken durch den Park keucht.

Aber Pfeifer kann es nicht lassen, sich auf das nachmittägliche Mahl einzustimmen. Er guckt durch das Fernglas und was er da sieht, erregt ihn. Die schöne Nachbarin verrührt Eier, Zucker und Mehl. Viele leckere Backzutaten liegen auf dem Küchentisch. Er erkennt Hagelzucker, Vanillestangen, Kokosraspeln, Rosinen, Nüsse und Mandeln, alles, was eine gute Hausfrau für die Weihnachtsplätzchenbäckerei braucht.

Dunkel schweben ihm noch ihre Gesprächsfetzen von gestern durch den Kopf. Ist heute nicht Sonnabend, der Tag an dem Herr Vogel den Kühlschrank ausräumen wird, um den Inhalt mit seiner neuen Frau zu verzehren?

Siedendheiß kommt ihm der Gedanke, dass dieser Mensch, dieser Unmensch, alle Plätzchen einpacken wird. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn. Am liebsten wäre er sofort losgelaufen, um wenigstens ein paar der Köstlichkeiten zu retten, doch er zwingt sich zur Ruhe, der Ehemann wird bestimmt erst am Abend auftauchen. Pfeifer sitzt am Fenster und wartet. Die Zeit schleicht. Er drückt das Glas an die Augen. Die Plätzchen müssten längst fertig sein. Da, endlich holt Pia Vogel das Kuchenblech aus dem Ofen und trägt es zum Tisch. Knusprig und braun lachen ihn die süßen Leckereien an. Seine Gier wächst. Punkt 16.00 Uhr steht Uwe Pfeifer vor Pias Tür und stürmt in die Wohnung. „Seien Sie nicht so ungeduldig“, flüstert sie. „Bald koche und backe ich nur noch für Sie.“

Er hört ihre Worte nicht, denn er muss sehen, ob die Plätzchen für ihn bestimmt sind.

Auf dem Küchentisch liegt ein großer Stoffstiefel, geschmückt mit grüner Tanne und roten Schleifen, prall gefüllt mit den leckeren Backwaren.

„Na, was sagen Sie dazu? Die Überraschung wird meinem Mann sicher gefallen.“

Pfeifer erstarrt, er hat es geahnt, die Köstlichkeiten waren nicht für ihn bestimmt. Nein, der Rohling wird sie mit seiner Geliebten verzehren, und er wird leer ausgehen.

Da klingelt das Telefon.

„Bin gleich wieder da“, ruft Pia und verlässt die Küche.

Jetzt oder nie.

Pfeifer öffnet den Nikolausstiefel, stopft sich mehrere Plätzchen in die Taschen, einige schiebt er sofort in den Mund. Er kaut und schluckt gierig. Und plötzlich ist ihm, als explodiere etwas in seinem Magen, gleißendes Weiß füllt seinen Kopf, dann breitet sich die Helligkeit in seinem ganzen Körper aus.

Er sackt auf den Bodenfliesen der Küche zusammen.

Pia Vogels entsetzte Schreie sind in seinem Schmerz die letzte Wahrnehmung. „Diese Kekse habe ich doch für meinen Mann gebacken!“ Laut und hysterisch ruft sie es mehrere

Male, so, als könne sie Uwe Pfeifer dadurch wieder lebendig

machen.

Dann wird es still.

Nur das Rattern der S-Bahn ist von Ferne zu hören.

Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an

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