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1 | Schlag Eins – Der befreite Geist

Worin wir erzählen, wie der Geist in die Welt kam und sich vom Geschwätz befreite. Wir teffen den neuen philosophus gloriosus in der Gefolgschaft des maior digitus und feiern mit ihm Platons Vermächtnis.

Ganz so wie das Nichts überall nichten kann, weht auch der Geist, wo er will. Jahrtausende brachten gelehrte Männer damit zu, den genauen Standort des Geistes auszumachen. Das war schwieriger als sie dachten, und sie mussten sich dabei auf immer gefährlicheren Graten in immer dünnerer Luft bewegen. Nicht ohne Risiko suchten sie weiter und weiter, gingen über Berg und Tal und sogar in Höhlen, um Licht in die Dunkelheit der Welt zu bringen. Der Geist ließ sich so schwer fassen wie der berüchtigte Schnark. Dieses Wesen trieb im 19. Jahrhundert sein Unwesen auf den britischen Inseln und konnte niemals dingfest gemacht werden. 2 Wie sein Kumpan, der Geist, trieb auch er tapfere Männer auf der Suche nach ihm zum Äußersten.

Da hatten die edlen Männer eine Idee. „Wir werden den Geist nie finden“, hatten sie erkannt. Also verschworen sie sich miteinander zu einer kleinen Gruppe Eingeweihter. „Wir brauchen diesen Geist für unsere Zwecke. Also warum ihn nicht einfach erfinden? Dann nennen wir ihn ‚frei‘, damit uns die lästige Wirklichkeit nicht in die Quere kommt. Sie ist die ohnehin viel zu kompliziert.“

Also taten sie wie beschlossen und freuten sich ungemein über ihren „Geniestreich“, wie sie es nannten. Natürlich konnte man den „Geist“ nicht sehen. Aber die Menschen des Altertums (wie sich herausstellen sollte, nicht nur sie) waren an mythische Wesen gewöhnt, die man ebenfalls nicht sehen konnte. Das war also kein nachhaltiges Hindernis. Der „Geist“ machte Karriere vor allem unter denjenigen Männern, die einen starken Drang zum Unsichtbaren hatten. Eine später hinzugekommene Organisation, die sich intensiv mit Körpergeißelung und -verachtung (Das Weib ist böse ...) sowie variablen Unsichtbarkeiten beschäftigte, war im Zuge dieser Entwicklungen enorm hilfreich. Bald war der „Geist“ überall bekannt, wenn auch nicht überall verstanden. Im 20. Jahrhundert schließlich wurde die Erfindung auch bekannt unter der Bezeichnung „Geist-im-Gefäß“. Wie schon der Original-Geist hatte auch er keinerlei Verbindung zur Welt. Und wie sein Ahne sprach auch er über die ganze weite Welt, ohne sie je gesehen zu haben. Ein Franzose namens Latour beschrieb diese größte aller Erfindungen diffamierend als „Kantschen Science-Fiction-Alptraum“. 3 [Nicht umsonst wird den Franzosen eine Neigung zu körperlichen Genüssen nachgesagt. Zum Glück gibt es auch andere Franzosen. Wir kommen dazu.] Doch trotz dieser schändlichen Bemühungen hatte die grandiose Erfindung längst gewonnen. Hier der Geist, da der Rest, Leib und Weib. Die gelehrten Männer hingegen übten sich in gepflegten Neurosen und der Einhaltung vorgeschriebener abgezehrter Magerkeit.

Sprache ist Weiberkram

Womit wir nun zur Sprache kommen. Sprache ist Weiberkram. Das ist bekannt. Die Wahrheit setzt sich immer durch, und zwar ohne all den Süßkram, den Rhetoriker einem ständig aufschwatzen wollen. Ein Mann, ein Wort. Ein Geist. Es wäre natürlich schön gewesen, hätte diese Rhetorikplage damals durch Platons Wirken das endgültige Ende gefunden, das dieser große Mann sich selbst erhofft hatte. Aber wir wollen ihm keinen Vorwurf machen. Er hat sein Bestes getan. Immerhin gelang es ihm, einen der notorischen sophistischen Schwätzer seiner Zeit zusammen mit seiner ganzen Branche so nachhaltig zu diffamieren, dass sämtliche Bemühungen, die Bande später zu rehabilitieren, glücklich an die Wand fuhren.

Die Römer machten sich in der Folge noch einmal wichtig (typisch!) in Sachen Rhetorik, besonders die Herren Cicero und Quintilian, indem sie behaupteten, in der Rhetorik ginge es nicht um formale Sprachbeherrschung, sondern um Sprachdenken und um Sprachhandeln als Teil eines umfassenden Bildungsprogramms.

Als ob Platon das nicht selbst gewusst hätte, als er diese Rhetoriker öffentlich diskreditierte! Aber Geschäft ist nun einmal Geschäft. Man lebte schließlich vom Schulgeld.

Das Wenige, das im Verlauf der Jahrhunderte dann noch übrig blieb vom schwatzhaften Weiberkram, konnte in der sogenannten Aufklärung erfolgreich bekämpft werden. Die großen Geister dieser Epoche hoben die überlegene Ratio auf den Schild und verbannten Flausen wie Sprachdenken und Sprachhandeln erfolgreich in die Domäne der irrationalen Kreaturen: der Frauen und der Wilden, ihrer bevorzugten Gegenbilder. Danach blieben nur noch die Schwundstufen der Geschwätzpraxis übrig. Wir begegnen ihnen heute als „Rhetorik für Manager“ oder „Rhetorik für Nachwuchswissenschaftler“. Besonders gut gefiel uns „Die Magie der Rhetorik“. Das hätte sicher auch Platon gut gefallen. Wie, so fragen wir, hätte diese Bande sich selbst besser diskreditieren können?

Der neue philosophus gloriosus digitus

Wie bereits angedeutet, gab es seitens gewisser Teile der Öffentlichkeit Versuche, etwas über das Wesen von Wissenschaft und Management zu erfahren. Einige von ihnen begehrten sogar etwas über Verbleib und Verwendung ihres Geldes zu erfahren. Der Druck wurde ein wenig unangenehm. Also verständigte man sich höheren Orts darauf, gewisse Lehren der „Kommunikation“ zum Einsatz zu bringen. Zu Brot und Spiel gesellte sich fortan das Wortspiel. Rhetorik light sozusagen. Unangenehm, gewiss. Aber das ist nur eine Übergangsphase. In Wahrheit wird der Geist sich niemals beugen. Dafür ist er zu gut erfunden. Der Geist ist gesichert, das Patent hat sich amortisiert. Dennoch fragen einige bedauernswerte Geister, wo der philosophus gloriosus geblieben sein mag. Sie leben in der irrigen Angst, er hätte den Angriffen nicht standhalten können und es existiere nur noch eine Ahnung vergangener Größe und besserer Zeiten. Aber nein, möchten wir Euch zurufen. Er lebt! Er ist noch da. Der philosophus gloriosus unserer Tage ist der Nerd. Wir müssen nachsichtig sein mit dem sonderbaren Wort. Es ist schließlich der Inhalt, der zählt, nicht die Form.

Der Nerd ist in Wissenschaft und Management gleichermaßen weit verbreitet, die Management-Version ist zumeist besser gekleidet (aber nicht immer), trägt mehr Bart nach Salafistenart und Tolle, wohingegen in der wissenschaftlichen Rolle der Pferdeschwanz dominiert. Aber abgesehen von den kleinen Unterschieden eint sie ein gemeinsames Ziel. Während die einen sich mit todesmutiger Tapferkeit abmühen, den freien Geist „in den Roboter zu stopfen“ (nicht unsere Formulieruung), arbeiten die anderen unter geschickter Aufbietung der neuesten Plastikwörter daran, die Menschen dazu zu bringen, den menschlichen Bindungen zu entsagen, das hinderliche Kreatürliche loszuwerden, um nur noch dem Major Digitus zu folgen.

So kann sich der Geist im Digitalen vollends befreien. Platons Traum geht in Erfüllung. Vollfinanziert. Erledigt der Weiberkram, erledigt die Rhetorik, erledigt die Sprache. Endlich frei.

[Neuere „Erkenntnisse“, dass der Verstand angeblich einen Körper brauche und Intelligenz ein sozialer Prozess sei und also doch wieder Sprache benötige, bringt unsere Helden nicht aus dem Konzept. Alles eine Frage der Zeit, des Geldes und des richtigen Storytelling.]


Das Nichts nichtet und die Follwerschaft der Influencer

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