Читать книгу Teilhabe älterer Menschen - Susette Schumann - Страница 6
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Vorwort
Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Teilhabe
Die Überschrift der gesamten Buchreihe »Altenhilfe verstehen und umsetzten« bietet eine willkommene Möglichkeit, die Unterstützung älterer Menschen trotz körperlicher, psychischer und sozialer Einschränkungen nicht aus der Perspektive ihrer Schwäche heraus zu beschreiben, sondern vielmehr aus ihrer Position der Stärke. Sie findet ihren Ausdruck in der eingehenden Beschäftigung mit ihren Kompetenzen, die sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung im Laufe ihres Lebens erworben haben und von der die Pflegenden in der Altenhilfe profitieren können, um Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Teilhabe im Rahmen des Möglichen zu verwirklichen und durch Anstöße zur persönlichen Weiterentwicklung nachhaltig zu sichern.
Fokussierung auf Selbstständigkeit
Es scheint kein Zufall zu sein, dass auch pflegewissenschaftliche Veröffentlichungen und sozialpolitische Vorgaben den Fokus auf die Kompetenzen älterer Menschen und damit die Gestaltung der Lebenspanne Alter, die sich zwischen persönlicher Abhängigkeit und Unabhängigkeit bewegen kann, richten. Am deutlichsten wird dies an der wissenschaftlich-systematischen Entwicklung des noch »neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes«, der treffender als der »umfassendere Pflegebedürftigkeitsbegriff« beschrieben werden könnte. An seinem Beispiel wird deutlich, dass sich Altenpflege zukünftig inhaltlich mehr auf die zentralen Begriffe wie individuelle Ressourcen, Kompetenzen und in der Folge mit der Betonung der Selbstbestimmung bei älteren Menschen durch die Fokussierung auf ihre Selbstständigkeit konzentrieren wird. Selbstbestimmung und Selbstständigkeit bilden wiederum die Basis, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, was sich als ökonomische, politische, soziale und kulturelle Teilhabe äußern kann.
Altenpflege befasst sich von daher nur in Ausnahmesituationen und vorrübergehend, wie z. B. bei akuten gesundheitlichen Einschränkungen oder bei Phasen von körperlicher und geistiger Abhängigkeit von Dritten, mit der Kompensation von Defiziten, die auch die Kompensation der unterschiedlichen oder aller Teilhaben der älteren Menschen betreffen kann. Die eingehende Beschäftigung mit der Teilhabe lenkt dabei den Fokus auf ältere Menschen als soziale Personen und ergänzt dabei die Sicht auf das Alter, welches ggf. von kognitiven und körperlichen Einschränkungen geprägt ist.
Reflexion der eigenen Teilhabebedürfnisse und -bedarfe
Die Fokussierung auf die verschiedenen Facetten der Teilhabe von älteren Menschen hat möglicherweise auch Auswirkungen auf das gängige Altersbild der Schwäche und zu erduldender Einsamkeit und Interessenlosigkeit, was gerade professionelle Personen in ihrem Handeln beeinflussen und so Auswirkung auf die Gestaltung der pflegerischen Versorgung haben kann. Damit verbunden ist die Reflexion der eigenen Teilhabebedürfnisse und Teilhabebedarfe als ein wichtiger Schritt für die Gestaltung der pflegerischen Versorgung für ältere Menschen.
Die reflektierte Gestaltung von Teilhabe liegt sicherlich auch im Interesse der älteren Menschen, die ihre Lebenszufriedenheit eher aus einer von persönlicher Autonomie und dem Eingebundensein in das gesellschaftliche Leben geprägten Lebensgestaltung ziehen können und deshalb die Phasen der persönlichen Abhängigkeit auf das absolute Minimum reduzieren möchten. Wünschenswert wäre, dass ihre Perspektive Eingang in zukünftige Empfehlungen zur qualitätsorientierten pflegerischen Versorgung finden würde und auf diesem Weg ihre subjektiven Bedürfnisse und subjektiven Bedarf an Teilhabe Gegenstand des pflegerischen Aushandlungs- und Gestaltungsprozesses werden.
Vorbereitung auf die eigenständige Gestaltung der Teilhabe
Die Förderung und die Gestaltung der Teilhabe können nicht unbedingt als eine pflegerische Anforderung gesehen werden. Sie sind in erster Linie in der Rehabilitation und der Behindertenarbeit beheimatet, dennoch ist es sinnvoll, sich aus einer pflegerischen Perspektive damit zu beschäftigen und ggf. Anregungen in die eigene Arbeit zu integrieren. Schließlich sind pflegerische Anforderungen wie die Förderung der Selbstständigkeit und damit der Selbstbestimmung die Vorbereitung auf die eigenständige Gestaltung der Teilhabe älterer Menschen. Die pflegerische Notwendigkeit, sich mit Teilhabe und Teilhabeplanung auseinanderzusetzen, ergibt sich aus dem neuen Pflegeberufereformgesetz, welches Teilhabe, insbesondere die soziale Teilhabe, bei allen pflegerischen Interventionen mitdenkt und teilweise auch schon prospektiv mitgestaltet.
Ältere Menschen gehören nicht unbedingt zur Zielgruppe der Menschen, die Anspruch auf Teilhabeleistungen haben. Das Bundesteilhabegesetz richtet sich in erster Linie an Menschen mit Behinderung und erwerbstätige Menschen. In die Gruppe der Menschen mit Behinderung gehören nur die älteren Menschen, deren Pflegebedürftigkeit anerkannt wurde, denn sie gelten mit ihrem vorliegenden Pflegegrad gleichzeitig als behindert. Das Kriterium der Erwerbstätigkeit trifft für ältere Menschen selten zu, aus diesem Grund entfallen evtl. Ansprüche auf Teilhabeleistungen. Allerdings sprechen Gerontologen von der Lebensspanne Alter als dem »produktiven Alter«, was sich aus den zahlreichen Aktivitäten älterer Menschen herleitet, z. B. ihrem ehrenamtlichen Engagement.
Verknüpfung von pflegerischem Wissen und methodischer Vorgehensweise
In der vorliegenden Buchreihe »Altenhilfe verstehen und umsetzten« finden sich zum einen die Aufbereitung von aktuellem Wissen zur Teilhabe bei älteren Menschen und zum anderen ein Überblick über Vorgehensweisen, ihre Möglichkeiten und Grenzen der Teilhabe zu identifizieren, sie mit ihnen gemeinsam und aus einer professionellen Perspektive zu bewerten, um im Anschluss daran Interventionen zu verabreden, die den Wünschen und Zielen der älteren Menschen entsprechen. Die Verknüpfung von pflegerischem Wissen und methodischer Vorgehensweise verbindet Theorie mit pflegewissenschaftlichen Inhalten und der persönlichen Bedeutung für den einzelnen älteren Menschen.
Fachkompetenz
Die Aufbereitung des aktuellen Wissens zur Teilhabe erfolgt durch eine breit angelegte Darstellung der Inhalte mit dem Ziel der Erweiterung der eigenen Fachkompetenz. Darunter können inhaltliche Fakten, Grundsätze, Grundprinzipien, aber auch Konzepte oder Theorien verstanden werden (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, 2011). Mit dieser Basis wird es möglich, professionelle Aufgaben zu bewältigen, die sich aus den individuellen Bedürfnissen nach Teilhabe der älteren Menschen ergeben. Eine professionelle Aufgabe bewältigen bedeutet in diesem Kontext die Identifikation der Einschränkung und Potentiale der Teilhabemöglichkeiten bei der Einzelperson, die angemessene und gemeinsame Erarbeitung einer persönlichen Entscheidung unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Wünsche und Ziele der älteren Menschen und die begründete Darstellung eines pflegefachlichen Lösungsangebots. Die sich anschließende Umsetzung des Lösungsangebots, ggf. mit personeller Unterstützung anderer professioneller oder auch nicht professioneller Personen, und die Evaluation des erzielten Ergebnisses runden diesen Prozess ab (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, 2011).
Methodenkompetenz
Die Orientierung am person-orientierten pflegerischen Ansatz erfordert die Verfeinerung der eigenen Methodenkompetenz im Sinne professioneller Vorgehensweisen, sich den Möglichkeiten der Teilhabe der älteren Menschen systematisch zu nähern. Sie beinhaltet die Kenntnis um ein an Systematiken oder Prinzipien orientiertes reflektiertes Handeln. Beides stellt in den Mittelpunkt, professionelle Gestaltungs-, Entscheidungs- und Handlungsoptionen unter Einbeziehung der älteren Menschen zu erkennen und zu nutzen (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, 2011).
Pflegerischer Qualifikationserwerb
Es ist zu begrüßen, dass mit dem Pflegeberufe(-reform-)gesetz im Jahr 2020 die Qualifikationserfordernisse des Deutschen Qualifikationsrahmens darin Eingang finden. Mit diesem Schritt basieren der berufliche und der hochschulische pflegerische Qualifikationserwerb aller zukünftigen Pflegenden auf einheitlichen Anforderungen, die den Dialog und die Kooperation zwischen den Absolventen beider Qualifikationswege zum Nutzen der älteren Menschen verbessern helfen.
Vorbehaltstätigkeiten
Die dazu unterstützend eingeführten Vorbehaltstätigkeiten müssen von beruflich pflegenden Personen ausgeführt werden, die eine Berufserlaubnis, d. h. ein Examen, erworben haben (vgl. Bundesgesetzblatt Juli 2017), und umfassen:
• Die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs.
• Die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses.
• Die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung von Qualität der Pflege (vgl. Bundesgesetzblatt Juli 2017).
Konkretisiert werden die pflegerischen Vorbehaltstätigkeiten durch die Beschreibung des zukünftigen Ausbildungsziels, das im Rahmen der Ausbildung zu erreichen sein wird, um als professionell Pflegende tätig werden zu dürfen.
Die Ausbildung soll Pflegende insbesondere im Umgang mit der sozialen bzw. gesellschaftlichen Teilhabe der älteren Menschen dazu befähigen, die Vorbehaltstätigkeiten im Detail auszuführen. Dazu gehören:
• Die Bedarfserhebung und Durchführung präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen.
• Die Beratung, Anleitung und Unterstützung von älteren Menschen bei der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit sowie bei der Erhaltung und Stärkung der eigenständigen Lebensführung und Alltagskompetenz unter Einbeziehung ihrer sozialen Bezugspersonen.
• Die Erhaltung, Wiederherstellung, Förderung, Aktivierung und Stabilisierung individueller Fähigkeiten der zu pflegenden Menschen insbesondere im Rahmen von Rehabilitationskonzepten sowie die Pflege und Betreuung bei Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten (vgl. Bundesgesetzblatt Juli 2017).
• Dies kann die Gestaltung von biografie- und lebensweltorientierten Angeboten zur Ausführung von Alltagsaktivitäten sowie das Schaffen von Gelegenheiten zur sozialen und kulturellen Teilhabe umfassen. Dabei sind die Selbstbestimmungsrechte der zu pflegenden Menschen und ihrer Bezugspersonen zu achten (vgl. Rahmenlehrplan, 2019).
Ausbildungsziel
Das in Zukunft zu erreichende Ausbildungsziel, welches seine Konkretisierung im sog. Rahmenlehrplan findet, orientiert sich im Bereich der Fachkompetenz an Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege, an der Befähigung älterer Menschen zu einer eigenständigen Lebensführung und zur Wiedererlangung verlorengegangener Kompetenzen durch einen Rehabilitationsprozess. Das Ziel der künftigen Ausbildung fokussiert die Gestaltung der gesellschaftlichen Teilhabe, die pflegerischen Prozesse der Ressourcen- und Kompetenzförderung, welche Förderung von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung vorbereiten.