Читать книгу Mirjam - Himbeerküsse - Swantje van Leeuwen - Страница 4

Оглавление

»Im Meer der Liebe kannst du nur schwimmen,

wenn du bereit bist, alle Ängste abzulegen

– vor allem die Angst vor dem Ertrinken.«

Verfasser unbekannt


Kapitel 1

M

irjam konnte sich an keinen Tag in ihrem Leben erinnern, an dem sie so nervös gewesen war. Denn heute, als neu ernannte Assistentin des ›Dream House – Luxury Estate & Financing‹-Managements würde sie endlich Rebecca van Benthem persönlich gegenübertreten, die in der niederländischen Immobilienbranche gleichermaßen gefürchtet wie verehrt wurde, und das aus gutem Grund.

Inzwischen waren ihr so einige Geschichten über sie zu Ohren gekommen. Die hatten vor allem Mitarbeiter in die Welt gesetzt, die unmittelbar nach der ersten oder zweiten Begegnung, von Rebecca direkt wieder gefeuert worden waren. Aber all diese doch recht einschüchternden Berichte und endlosen kritisierenden Serenaden hatten sie nicht sonderlich aus der Ruhe gebracht – vielmehr hatten sie sogar einen besonderen Reiz auf sie ausgeübt. Schon immer hatte sie Herausforderungen geschätzt und sich nie vor ihnen gedrückt. Nachdem sie sich bereits im Vorfeld des Vorstellungsgespräches umfassend über ihre Chefin informiert hatte, hatte sie ihren Lebenslauf einfach auf deren Schreibtisch landen lassen, um Gelegenheit zu bekommen, selbst herauszufinden, was an all diesen Gerüchten dran war oder eben nicht.

Worte konnten ihre Erregung nicht ausdrücken, als sie in der Woche zuvor auf eine ihr unbekannte Nummer auf ihrem Smartphone geantwortet hatte. So schnell hatte sie mit einer Rückmeldung nicht gerechnet, geschweige denn von einer Frau, die in der Branche eine echte Legende war. Sie hatte sich zusammenreißen müssen, um nicht direkt laut aufzuschreien und loszukreischen, als ihr bewusst wurde, dass sie die Position tatsächlich bekam und dabei aufgeregt auf und ab hüpfte. Und sie war sich sicher gewesen, dass Rebecca ihre unterdrückte Freude nicht entgangen war, als sie ihr direkt versprach, es nicht zu bereuen, ihr eine Chance gegeben zu haben, und versicherte, dass sie sich sehr auf den kommenden Montag freuen würde.

Entsprechend legte sie heute Wert darauf, sich von ihrer besten Seite zu zeigen und alles zu geben – noch weitaus mehr als in den zwei Jahren, die sie bereits für Rebeccas Firma arbeitete. Mit ihren typisch zerzausten braunen Locken, die sie mit einem Haargummi im Zaum zu halten versuchte, ihrem kanariengelben Lieblingsoberteil mit V-Ausschnitt und einem schwarzen Bleistiftrock, der ihre schmalen Hüften auf aparte Weise umschmeichelte, wollte sie bei ihr den Eindruck einer jungen Frau erzeugen, die nicht nur etwas von ihrem Job verstand, sondern auch äußerlich der neuen Position gerecht wurde – und nicht nur den einer anspruchsvollen College-Absolventin, wie so viele ihrer anderen Kolleginnen.

Sie eilte aus der Haustür des Mehrfamilienwohnhauses und auf ihren dunkelgrünen ›Nissan Pulsar‹ zu, den sie sich im letzten Jahr gegönnt hatte – in der Hoffnung, dass der aktuell verspürte aufgeregte Ansturm den ganzen Tag andauern würde, um sie für ihre immer anspruchsvolle Chefin auf Trab zu halten. Wer weiß schon zu sagen, was diese Erfahrung am Ende mit sich bringen wird? Sie versuchte über all die möglichen Optionen nachzudenken, die ihre neue Position mit sich bringen würden, um ihre innere Unruhe ein wenig in den Griff zu bekommen, die sie veranlasste bereits zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit in Rebeccas Büro einzutreffen.

Kaatje, Rebeccas Sekretärin, schaute überrascht auf, als Mirjam mit einem breiten Strahlen auf dem Gesicht schwungvoll ins Büro wirbelte. Soviel Elan und Freude war sie bereits zu Beginn eines Arbeitstages nicht gewöhnt. »Wow!«, entfuhr es ihr lächelnd. »Noch zehnmal überschwänglicher als ich es mir vorgestellt habe!«

Mirjam wusste, dass Kaatje auf ihr kurzes Gespräch anspielte, in dem sie in Rebeccas Namen einzelne Fakten ihres Lebenslaufs mit ihr durchgegangen und überprüft hatte, ob sie der neuen Aufgabe auch wirklich gewachsen war. Lächelnd stimmte sie ihr zu und dachte an ihr kicherndes, fast schon entzücktes Quietschen, dass ihr am Telefon über die Lippen gerutscht war.

»Ich werde Rebecca Bescheid geben, dass du da bist«, erklärte Kaatje und griff zum Telefonhörer. »Mirjam ist bereits hier, Rebecca. Soll ich sie schon zu dir reinschicken? … Okay. … Ja, ist gut.« Sie legte auf, schaute Mirjam an. »Rebecca kommt gleich.«


»Oh, mein Gott, bin ich so aufgeregt, heute als persönliche Assistentin anzufangen, Vrouw van Benthem«, rutschte es Mirjam heraus als sie Rebecca gegenüberstand. Sie hatte ihre Handtasche fest unter den Arm geklemmt, während sie mit der Hand des anderen Armes ihren ›Latte Macchiato‹ jonglierte, den sie sich zuvor in einem nahegelegenen Café geholt hatte.

»Das ›Vrouw van Bentheim‹ lassen wir mal direkt sein. Rebecca reicht völlig, wo wir uns in der Firma doch eh alle duzen, nicht wahr?!«, wies Rebecca sie direkt zurecht, während sie zu ergründen suchte, ob Mirjams Erregung eine Folge des Koffeins, gespielt oder echt war, und schaute sie recht ernst an. »Wie ich sehe, bist du bereits mit einem Becher Kaffee versorgt. Hast du unterwegs mal daran gedacht, mir vielleicht eine ›WhatsApp‹ oder SMS zu schicken oder mich anzurufen, um zu fragen, ob ich vielleicht auch gern einen hätte?«, ließ sie folgen. Ihre Stimme klang trocken, während sie bewusst auf Mirjams mangelnde Umsicht einging, nicht an die Bedürfnisse ihre Chefin gedacht zu haben.

Mirjam zuckte unwillkürlich leicht zusammen, denn das war definitiv nicht die Art und Weise, wie sie sich ihren Empfang vorgestellt hatte. Nur zu gern hätte sie als persönliche Assistentin einen besseren ersten Eindruck hinterlassen. Allerdings fragte sie sich, wie sie hätte wissen sollen, dass es Rebecca nach einer solchen Aufmerksamkeit verlangte.

Rebecca war in ihren Augen keineswegs unattraktiv. Aber mit ihren schmalen Lippen, dem kurzen schwarzen Bubi-Haarschnitt und ihrer langärmeligen Bluse, die sie bis zum Hals geschlossen hatte, wirkte sie auf sie eher wie eine gestrenge Lehrmeisterin als eine reife, erfolgsgewohnte Geschäftsfrau.

In diesem Augenblick erschien sie Mirjam trotz all der Attraktivität wie eine legendäre bösartige Königin aus einem Disney-Film: beunruhigend schön, aber zugleich von jener Schönheit, die eine geschmeidige Raubkatze verkörperte, jederzeit bereit zum Sprung, um sich aus einer Laune heraus – ohne jede Reue – auf ihr Opfer zu stürzen. Rebeccas Worte ließen sie ungewollt schlucken und auf der Stelle erstarren. »Ich … Ich bin nicht davon ausgegangen, dass …«, stammelte sie unbeholfen, »ich schon anfange, ehe du mir …«

»… es mich wissen lässt?!« Rebecca schnappte abrupt nach Luft. »Ich lasse es dich wissen! Hilft dir das? … Du hast dich um die Stelle als meine persönliche Assistentin beworben und deshalb erwarte ich so Einiges von dir! Bist du etwa unfähig vorrausschauend zu handeln?« Ihre Stimme klang immer noch so monoton und trocken wie zuvor.

Mirjam entging nicht, welcher herablassende Sarkasmus in der Stimme ihrer Chefin mitschwang. Trotz ihrer Art, Frustration vor Vorgesetzten generell zu verbergen, runzelte sie diesmal die Stirn. »Ich kann dir versichern: Ich bin nicht hohlköpfig und durchaus fähig, das zu tun, was erforderlich ist!« Mit festem Blick schaute sie Rebecca an. »Was steht für meinen ersten Tag auf dem Plan? Ich würde gern mit dem anfangen, wofür ich bezahlt werde!«

Wie frech ist das denn?! Also ehrlich! … Aber gut. Das ist zumindest mal etwas Neues, wenn ich an all die bisherigen Kriecher denke, mit ihrer selbstauferlegten, zuckersüßen Begeisterung!, dachte Rebecca still und wedelte mit einer Haftnotiz vor ihrer Nase, auf der sie all die Dinge aufgelistet hatte, die Mirjam als ihre neue Assistentin bis zum Ende des heutigen Tages für sie erledigen sollte. Dabei schritt sie zu dem ihr gegenüberstehenden freien Schreibtisch hinüber und heftete das Stück Papier an dessen Flachbildschirm.

Erst als sich Mirjam schweigend ihrem neuen Arbeitsplatz näherte, nahm sich Rebecca die Zeit sie sich genauer anzusehen. Sie registrierte deren leichtes Make-up, das unauffällige Lipgloss und die haselnussbraunen Augen. All das empfand sie, abgesehen von ihrer Jugend als nichts Besonderes. Allerdings machte ein kurzer Blick auf ihr Oberteil deutlich, dass entweder die Klimaanlage des Büros zu hoch eingestellt war oder ihr Körper in erregter Weise stark auf die erfahrene Mischung aus Aufregung und Wut reagierte.

Mirjams Brustwarzen hatten sich unter der gelben Bluse keck auf sie gerichtet, als sie sich ihr gegenüber auf Augenhöhe niederließ. Plötzlich durchfuhr sie eine merkwürdige Erregung, gepaart mit einem leichten Bedauern darüber, dass sie mit ihrer neuen Assistentin gerade so hart ins Gericht gegangen war. Ich bin jetzt Mitte vierzig und habe mich die letzten zwei Jahrzehnte ausschließlich dem Immobiliengeschäft gewidmet, ging es ihr durch den Kopf, als sie daran dachte, dass sie ihre Tage nicht mehr so hell und heiter erlebte wie früher. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit so viel Begeisterung zur Arbeit gekommen bin, wie dieses junge Ding … Und ich wüsste auch nicht, wann ich derart viel Mut aufgebracht hätte, wie sie, selbst die härtesten Hindernisse zu überwinden, um den Arbeitstag durchzustehen. Völlig unerwartet fragte sie sich plötzlich, wann sie zum letzten Mal etwas in einer so auffälligen Farbe getragen hatte: Hell und lebendig, wie ein Vogel, bereit jederzeit die Flügel auszubreiten, um in den blauen Himmel aufzusteigen.

Sie räusperte sich leise. »Du trägst eine hübsche Bluse«, bemerkte sie, als sie ihren festen Blick von Mirjams Brüsten über den Schreibtisch vor sich gleiten ließ und so tat, als würde sie etwas in ihrem ledergebundenen Terminplaner überprüfen, der etwas abseits von ihr lag. »Verrätst du mir, woher du sie hast?«

Mirjam hatte Rebeccas auf ihren Brüsten verweilenden Blick Sekunden zuvor nicht bemerkt, sondern ihre Augen aufmerksam über die Anweisungen auf der Haftnotiz huschen lassen. »Ich kann mich nicht mehr erinnern«, antwortete sie ohne zu ihr aufzusehen. »Ich habe sie schon eine ganze Weile.«

Rebecca nutzte das ausbleibende Aufsehen, um ihre neue Assistentin ein weiteres Mal eingehend zu betrachten. Dazu stand sie auf, schritt zum Kaffeeautomaten zur ihrer Linken hinüber und wandte sich ihr leicht zu, während das heiße Getränk in ihre Tasse lief. Ungeniert huschten ihre Augen über Mirjams wohlgeformte Beine und deren straffen Hintern bis hinauf zum recht unordentlichen Pferdeschwanz mit all seinen karamellfarbenen Locken. Sie bewunderte ihre neue Assistentin nicht nur wegen des schlanken Körpers und der zarten Gesichtszüge, sondern schwelgte dabei zugleich der liebenswerten Erinnerung daran, als sie selbst in diesem Alter war: So bereit und eifrig zu tun, was getan werden musste, und zugleich mutig genug, um das zu tun, wonach auch immer ihr der Sinn stand – ganz gleich, was andere darüber dachten und dazu sagten. Schon von ihrer Sekretärin hatte sie einen Hinweis auf Mirjams Hartnäckigkeit erfahren, die sie heute Morgen selbst bereits hatte erleben dürfen. Trotz der verbalen Attacke hatte sie es sich nicht nehmen lassen, ihr direkt die Meinung zu sagen – unabhängig davon, ihre Chefin vor sich zu haben. Sie hat nicht nur das Potenzial zu einer großartigen Assistentin, dachte sie, indessen sie still in sich hineinlächelte, sondern zu viel mehr … Zu einer heißen, äußerst attraktiven Freundin vielleicht? Vielleicht ist dieses süße Ding meine Chance endlich aus meinem Trott herauszukommen. Die Richtige, mit der ich all meine Pläne und Interessen teilen kann … Diejenige, die mir hilft, wieder ich zu sein?


Mirjam - Himbeerküsse

Подняться наверх