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Das tote Mädchen am Perlweiher

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Das Ziel bereits vor Augen, mobilisierte sie noch einmal ihre letzten Kräfte. Genau in diesem Moment öffnete der Himmel sämtliche Schleusen, was Smilla äußerst gelegen kam. Heute hatte sie für ihre obligatorischen zehn Kilometer nur fünfundvierzig Minuten gebraucht und das roch ganz herrlich nach einem neuen Rekord. Die Beine schmerzten und selbst die wenigen Zigaretten forderten ihren brennenden Tribut, trotzdem fühlte sie sich einfach nur großartig. Sie streckte die Arme gen Himmel, um das angenehm kühlende Nass zu empfangen. Das Vibrieren ihres Handys zerstörte die Aura dieses herrlichen Augenblicks. Nicht jetzt verdammt. Sie seufzte genervt, das waren die wenigen Augenblicke, in denen sie diese allumfassende Erreichbarkeit verfluchte. Sie suchte Schutz unter dem Terrassendach und schaute aufs Display. Ob sie nun wollte oder nicht, es gehörte definitiv zu ihren Pflichten diesem Anrufer Gehör zu schenken, „Ich wünsche dir einen wunderschönen guten Morgen, mein lieber Tiberius, … was kann ich denn so früh am Tag für dich tun?“

„Guten Morgen, Smilla. Tut mir leid, dass ich dich wobei auch immer störe“, in seiner rauchigen Stimme schwang dieser gewisse Hauch von Ernsthaftigkeit mit, den Smilla so gar nicht kannte. Nach einem kräftigen Räuspern fuhr er schließlich fort, „Aber wir haben einen Mord und deshalb ist deine geschätzte Anwesenheit gefragt.“

Smilla‘s Instinkte waren soeben aus einem bleiernen Tiefschlaf erwacht, „Die Langeweile hat also endlich ihr Ende gefunden. Wo soll ich hinkommen?“

„Ein Jogger hat die Leiche einer jungen Frau am Ufer des großen Perlweihers entdeckt. Weißt du, wo der ist?“

Eine überaus vertraute Gegend, die ihr Interesse sofort lichterloh entflammen ließ, „Ja, ich kenne den See. Bin so gut wie unterwegs, muss vorher nur noch schnell duschen.“

„Lass dir ruhig Zeit, die Kollegen von der Spurensicherung wurden auch gerade erst benachrichtigt.“ Tiberius musste niesen, „Verflixte Schilfallergie. Dann bis gleich, Smilla, wir sehen uns.“

Als sie die Haustür öffnete, schlug ihr der Duft von frisch gebrühtem Kaffee entgegen und lockte sie auf direktem Weg in die Küche. „Guten morgen, Irmchen.“

Die kleine untersetzte Frau mit den kurzen dunkelblonden Locken befüllte soeben einen Becher mit dem heiß geliebten Muntermacher, „Guten morgen, Smilla, … was möchtest du heute frühstücken?“ Die sechzigjährige Irmgard Wiesner war sozusagen die gute Seele des Hauses. Sie bewohnte das Dachgeschoss der großzügigen Villa und hatte sich all die Jahre ganz liebevoll um die Belange ihres Vaters gekümmert. Als er starb, bedachte er sie mit lebenslangem Wohnrecht, Lohnfortzahlung und einer angemessenen Abfindung fürs Alter. Smilla war glücklich über diese Entscheidung, denn nun durfte auch sie die Unterstützung und die Zuneigung dieser wunderbaren Freundin in vollem Umfang genießen. Irmchen schenkte ihr ein warmes Lächeln, „Soll ich dir ein paar Spiegeleier braten?“

Smilla gab ihr einen Kuss auf die Stirn, „Vielen Dank, Irmchen, aber heute habe ich keine Zeit zum Frühstücken. Die Arbeit ruft, ich muss gleich los.“

„Du musst aber unbedingt etwas essen, Kindchen, sonst kannst du nicht richtig denken. Ich werde dir eben schnell ein paar Sandwiches für unterwegs fertigmachen.“

Da ihr Magen bereits eindringlich rumorte, nahm Smilla das Angebot dankend an, „Das ist lieb von dir, ich springe in der Zwischenzeit kurz unter die Dusche.“ Nachdem sie sich vom hart erarbeiteten Schweiß befreit hatte, schlüpfte sie in Jeans und T-Shirt. Danach folgte der rituelle, überaus kritische Blick in den Spiegel. Vor ihr stand eine fast vierzigjährige, schlanke Frau mit kurzen strohblonden Haaren, stahlblauen Augen und einem entzückenden Schmollmund. All diese Attribute, inklusive der für ihren Geschmack viel zu üppigen Oberweite, hatte sie ohne jeden Zweifel ihrer schwedischen Mutter zu verdanken. Der optische Beitrag ihres deutschen Vaters hielt sich deutlich in Grenzen. Doch das spielte im Moment keine wirkliche Rolle, ihr Anblick erfüllte die gestellten Anforderungen und stimmte sie äußerst zufrieden. Da die Zeit inzwischen drängte, suchte sie eilig ihre Sachen zusammen. Keine zehn Minuten später lenkte sie ihren roten Mini Cooper Richtung Umgehungsstraße.

***

Der große Perlweiher lag, eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft, ein ganzes Stück außerhalb der Stadt. Als Smilla am Fundort eintraf, war dieser bereits großräumig abgesperrt und die anwesenden Kollegen wirkten allesamt sehr beschäftigt. Tiberius Preussner winkte sie zu sich rüber. „Ich muss dich warnen, Chefin, das Opfer bietet keinen schönen Anblick. So wie es aussieht, hat sie kurz vor ihrem Tod noch eine ganze Menge durchgemacht.“

Smilla hockte sich neben die junge Frau, um das Szenario genauer zu betrachten. Ihr vollkommen nackter Körper war mit blauen Flecken, Striemen und Schnittwunden übersät. Darüber hinaus gab es noch deutliche Fesselspuren an Fuß- und Handgelenken. Irgendjemand hatte seine niederen Instinkte auf übelste Weise an ihr ausgelebt und sie dann anschließend wie ein Stück stinkenden Müll entsorgt. Dieser sichtliche Wahnsinn und die unglaubliche Grausamkeit ließen Smilla regelrecht erschaudern. „Wissen wir schon, wer sie ist?“

„Paula Hankenfeld, einundzwanzig Jahre alt und Studentin der Medizin. Ihre Mitbewohnerin Erin Porschke hat sie vor zwei Tagen als vermisst gemeldet“, der mittlerweile knapp sechzigjährige Tiberius kämpfte mal wieder verzweifelt mit seinem Smartphone, „wie ich diese verdammten Dinger hasse.“ Nach einigen komplizierten Fingerübungen erreichte er endlich das angestrebte Ziel, „Hier ist ein Foto aus besseren Tagen. Bei der Linken handelt es sich um unser Opfer, die andere ist die bewusste Mitbewohnerin.“

Smilla blickte in das Gesicht einer augenscheinlich glücklichen jungen Frau. Sie sprühte regelrecht vor Lebenslust, was Smillas Wut gegen den Täter ordentlich schürte. Noch einmal saugte die Kommissarin jedes Detail in sich auf. Das getrocknete Blut an der Innenseite ihrer Schenkel sprach Bände. „Paula wurde definitiv sexuell missbraucht. Sobald der Obduktionsbericht vorliegt, will ich ihn auf meinem Schreibtisch haben.“ Sie begab sich wieder auf Augenhöhe mit ihrem Kollegen und fixierte ihn mit ernster Miene, „Das hier ist das Werk eines regelrechten Monsters und wir werden alles daran setzen, diesen verdammten Mistkerl zu kriegen.“

„Das werden wir, Smilla, das werden wir auf jeden Fall.“

Der aufkommende Wind kräuselte die Wasseroberfläche und spielte geräuschvoll mit den herunterhängenden Ästen der Trauerweide. Smilla schaute über die glitzernde Weite des mit Schilf bewachsenen Sees. Der herrliche Anblick entlockte ihr einen lang gezogenen Seufzer, „Ein wahrlich idyllisches Plätzchen zum Sterben, … findest du nicht?“

Tiberius hatte mit diesem natürlichen Krempel nicht viel am Hut, bestätigte ihre Aussage aber dennoch mit einem kurzen Nicken, „Ja, ja, ist ganz nett hier. Gestorben ist sie trotzdem woanders. Wo genau, gilt es herauszufinden.“

„Was ist mit den Eltern?“

„Es gibt nur noch die Mutter und die wohnt in Thüringen. Die Kollegen Dornhäuser und Krauschel kümmern sich bereits darum.“

„Gut“, Smilla schätzte die Eigenständigkeit ihrer Mitarbeiter und war stolz auf ihr kreatives Team. „Dann werden wir uns als Erstes mit ihrer Freundin Erin unterhalten. Vielleicht weiß sie ja, wo unser Opfer seine letzten Stunden verbracht hat.“

„Was im Klartext heißt, dass ich mich wieder in deinen popligen Mini quetschen muss.“ Bei einer Größe von immerhin einhundertneunzig Zentimetern in Kombination mit einer nicht unerheblichen Körperfülle benötigte Tiberius entsprechend viel Raum, um sich frei entfalten zu können. In dieser fahrbaren Sardinenbüchse fand er nicht einmal genügend Platz zum Husten. „Wann kaufst du dir endlich mal ein richtiges Auto?“

Smilla kam nicht umhin breit zu grinsen, „Wenn du die versprochenen zwanzig Kilo abgenommen hast.“

Tiberius seufzte schwermütig, „Also nie.“

„Bei deiner konsequenten Inkonsequenz im Umgang mit Nahrungsmitteln kann das ja auch nichts werden“, die Kommissarin deutete galant auf die Autotür, „na los, komprimier dich ein bisschen und steig ein.“ Während der Fahrt betrachtete Tiberius sein rundes Gesicht kritisch im Spiegel der Sonnenblende, was sich aufgrund der minimalen Größe der Glasfläche als äußerst schwierig erwies. Unablässig drehte er den Kopf in sämtliche Richtungen, ohne seine smaragdgrünen Augen davon abzuwenden. Diese für ihren Kollegen ziemlich ungewöhnliche Handlung rief sofort Smillas stark ausgeprägte Neugier auf den Plan, „Was ist, … suchst du Pickel oder Falten?“

Der strafende Blick von der Seite folgte prompt, „Weder, noch.“ Nach einem relativ kurzen beleidigten Moment des Schweigens räusperte er sich, „Sag mal, … findest, … findest du mich attraktiv?“

Mit seinen ausdrucksstarken Augen, der eleganten goldgefassten Brille und der stets auf Hochglanz polierten Glatze konnte man ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen. Auch wenn ihm ein paar Kilogramm weniger sicherlich gut zu Gesicht stehen würden. Für Smilla kam er als erotisches Objekt nicht infrage, was keinesfalls etwas mit dem Altersunterschied zu tun hatte. Sie stand einfach auf einen ganz anderen Typ Mann. Außerdem verband die beiden eine innige Freundschaft, die sie für nichts auf der Welt aufs Spiel gesetzt hätte. „Ja, … ja, ich halte dich für ein echt knuffiges Kerlchen.“ Sie ahnte die Bedeutung seiner Frage, hakte aber dennoch nach, „Sag mal, gibt es da vielleicht etwas, das ich wissen sollte?“

„Was, … nein, es hat mich einfach nur mal interessiert.“ Wenn dieser gestandene Berg von einem Mann errötete, dann steckte mit ziemlicher Sicherheit mehr dahinter.

Sie antwortete mit einem dreisten Grinsen, „Na los, Kojak, erzähl mir vom Traum deiner schlaflosen Nächte.“

Er winkte ab, „Ich kenne sie ja kaum.“

Geduld gehörte nicht zu ihren Stärken, „Ja und, … jetzt lass dir doch nicht jeden mickrigen Wurm einzeln aus der Nase ziehen. Wer ist sie, wie heißt sie?“

„Sie heißt Edwina Klum und ist meine neue Nachbarin. Wir haben uns bis dato nur ein paar Mal unterhalten, weiter nichts.“

„Aber sie gefällt dir ja offensichtlich. In welcher Altersliga spielt sie denn?“

Er zuckte mit den Schultern, „Keine Ahnung, ich kann nicht gut schätzen. Sie ist vielleicht so um die Fünfzig oder ein kleines Stück drüber. Und ja, … ja sie gefällt mir tatsächlich ziemlich gut.“

„Und worauf wartest du dann noch? Bagger sie an und lass deinen Charme ordentlich sprudeln.“

„Immer langsam mit den jungen Pferden, alles zu seiner Zeit. Ich kann ja nicht gleich mit dem Tor in die Scheune fallen. Aber keine Angst, ich werde dich diesbezüglich auf dem Laufenden halten.“ Tiberius deutete auf einen gerade renovierten Altbau, „Dort vorne ist es, Haus Nummer zwölf. Die WG wohnt bedauerlicherweise ganz oben unterm Dach.“

Der feuchte Geruch von frischer Farbe dominierte den Hausflur und Tiberius stöhnte schon einmal vorsorglich. Warum mussten die zu Befragenden grundsätzlich immer in der obersten Etage wohnen? Er schaute durch das Geländer in die schwindelerregende Höhe. Insgesamt galt es fünf Stockwerke zu bewältigen und diese knallharte Tatsache stimmte ihn nicht gerade fröhlich. Das Knarren der aufpolierten Holzstufen begleitete ihn bei seinem Aufstieg, machte ihn aber keinesfalls leichter. Endlich oben angekommen brauchte er einen größeren Moment zum Verschnaufen. Smilla wirkte ehrlich besorgt, „Geht’s wieder?“

Tiberius nickte, „Gib mir noch zwei Sekündchen.“

„Ich will dich nicht maßregeln, Tiberius, und das weißt du auch. Aber wenn du nicht bald etwas gegen dein Übergewicht unternimmst, dann wird dich das viele Cholesterin irgendwann dahinraffen.“

„Natürlich weiß ich das, deshalb habe ich ja auch schon einige Änderungen in die Wege geleitet“, er keuchte wie ein angeschossener Hirsch auf der Flucht, „ich bin bereits dabei meine Ernährung komplett umzustellen und ich treibe neuerdings sogar ein bisschen Sport.“

„Hey, das ist toll und wirkt auf mich ungemein beruhigend“, sie zwinkerte ihm zu, „ich verzeihe dir sogar, dass du es nicht für mich, sondern für eine andere Frau tust.“ Smilla brachte ihren Zeigefinger in Klingelposition, „Bist du so weit?“ Er antwortete mit einem erneuten Nicken und Smilla drückte den Knopf.

Es brauchte noch drei weitere hartnäckige Klingelversuche, ehe ein ziemlich verschlafen wirkender junger Mann die Tür öffnete und seinen Unmut deutlich kundtat, „Das ist ja wohl ‘ne absolute Frechheit. Hey, … wisst ihr eigentlich, wie spät es ist?“

Smilla versuchte ihn zu beschwichtigen, „Ja, wissen wir und es tut uns auch ehrlich leid, dass wir so früh stören. Aber wir müssen dringend mit Frau Porschke sprechen.“ Eine junge Frau im Bademantel kam aus einer der Türen und näherte sich mit fragendem Blick. Trotz Handtuchturbans erkannte Smilla sie sofort wieder, „Guten morgen, Frau Porschke. Mein Name ist Berggrün und das ist mein Kollege Preussner, wir sind von der Polizei und würden uns gerne mit ihnen unterhalten.“

In ihren dunkelbraunen Augen blitzte ein Hoffnungsschimmer auf, „Haben sie Paula gefunden, geht es ihr gut? Wo ist sie, kann ich sie sehen?“

Auch wenn Smilla ihre Arbeit über alles liebte, so hasste sie dennoch diesen einen Moment. Egal, ob es sich um ein Familienmitglied oder einfach nur um einen Freund handelte. Jemanden mit der Endgültigkeit des Todes konfrontieren zu müssen, war die mit Abstand schlimmste Pflicht, die der Job erforderte. „Dürfen wir reinkommen?“

„Natürlich“, sie gab den Weg frei, „zweite Tür rechts.“ Erin folgte den beiden in die für eine Wohngemeinschaft erstaunlich aufgeräumte Küche. „Bitte setzen sie sich. Möchten sie Kaffee, … ich habe ihn gerade frisch gekocht.“ Sie machte sich daran, die Tassen aus dem Schrank zu holen.

„Vielen Dank, aber wir möchten keinen Kaffee. Würden sie sich bitte zu uns setzen, Frau Porschke.“

Erin kam der Aufforderung nach und zündetet sich eine Zigarette an. Es folgten ein paar hastige Züge, ehe sie den Blick in Smillas Augen wagte, „Paula ist tot, … nicht wahr?“

Nur ungern bestätigte die Kommissarin ihre Frage, „Ja, sie wurde heute früh am Ufer des großen Perlweihers gefunden.“

Erste Tränen liefen über das Gesicht der zierlichen Frau, „Was ist passiert? War es ein Unfall?“

Glücklicherweise übernahm Tiberius den unangenehmen Part, „Nein, es war Mord und eben aus diesem Grund sind wir hier. Es mag ihnen gerade grausam erscheinen, aber wir müssen ihnen einige Fragen stellen. Wann genau haben sie Paula Hankenfeld zum letzten Mal gesehen?“

Erin Porschke starrte weinend ins Leere, „Am Freitagabend. Sie wollte auf eine Party und ist so gegen zwanzig Uhr aus dem Haus gegangen.“

Die Kommissarin hakte nach, „Was für eine Party war das und wo fand sie statt?“

„Ich, … ich habe keine Ahnung.“ Sie erhob sich vom Stuhl, zog ein Taschentuch aus der Verpackung und ging rüber zum Fenster. „Sie hat mir nicht gesagt, wo sie hinwollte.“

„Wir würden uns gerne mal in Paulas Zimmer umschauen.“

Erstaunlicherweise stieß Smillas Bemerkung auf Widerstand. „Aber wozu? Dürfen sie das denn einfach so?“

Die beiden Kollegen tauschten einen vielsagenden Blick und Tiberius kratzte sich nachdenklich am Kinn, „Wenn ich recht informiert bin, dann waren sie und Frau Hankenfeld sehr gute Freundinnen. Wollen sie denn, dass ihr Mörder am Ende ungeschoren davon kommt?“

Sie schüttelte den Kopf, „Nein, natürlich nicht.“ Mit einem lang gezogenen Seufzen deutete sie Richtung Flur, „Es ist das letzte Zimmer auf der linken Seite.“

Während sich Tiberius sofort auf den Schreibtisch inklusive Laptop stürzte, ließ Smilla den lichtdurchfluteten Raum auf sich wirken. Hübsche Gardinen, Grünpflanzen, Fotowand und Stofftiersammlung, der weibliche Einfluss war nicht zu übersehen. Alles in allem wurde das Ambiente einer jungen Medizinstudentin vollkommen gerecht. Sie musste demnach etwas tiefer graben und widmete sich dem Inhalt des Kleiderschranks. „Na schau mal einer an, was haben wir denn da?“

„Was meinst du?“ Er legte den Stapel Post beiseite und kam neugierig näher.

Die Kommissarin holte ein schwarzes, sichtlich tief dekolletiertes Cocktailkleid aus dem gut gefüllten Schrank, „Das hat mindestens zweihundert Euro gekostet und es gibt noch mehr davon. Auch ihre Schuhe und die edle Wäsche, der Kauf dieser hochpreisigen Luxusgegenstände übersteigt das Budget einer normalen Studentin bei Weitem. Das passt definitiv nicht ins Bild.“

„Vielleicht hatte sie ja einen wohlhabenden Freund. Einer von der Sorte, der sich neben der langweiligen Ehefrau noch ein frisches knackiges Betthäschen hält.“

„Glaub ich nicht“, Smilla machte sich daran, die Fotowand zu betrachten. Stück für Stück studierte sie die Momentaufnahmen aus dem Leben einer sichtlich glücklichen jungen Frau. „Es gibt keinerlei Hinweise auf einen gut betuchten Lover. Aber sicherheitshalber werde ich Frau Porschke gleich noch einmal dazu befragen.“ Da die weitere Durchsuchung keine neuen Erkenntnisse zutage förderte, schnappte Tiberius sich den Laptop und sie gingen zurück in die Küche. Erin stand noch immer am Fenster. „Sagen sie, Frau Porschke, hatte Paula eigentlich einen festen Freund oder möglicherweise sogar einen verheirateten Liebhaber?“

Die Angesprochene verharrte in ihrer Position, „Nein, sie hat sich voll und ganz auf ihr Studium konzentriert.“

„Tatsächlich? Dann stellt sich mir allerdings die Frage, wie sie den Inhalt ihres Kleiderschranks finanziert hat. Ebenfalls brennend interessieren würde mich der Zweck, dem er dient.“

Auch jetzt reagierte sie lediglich mit einem Schulterzucken, „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Smillas Geduldsfaden stand bereits unter extremer Spannung, „Frau Porschke, wären sie wohl so nett mich anzuschauen, wenn sie mit mir sprechen.“

Erkennbar widerwillig drehte Erin sich um und ihr Blick fiel sofort auf Tiberius’ Beute, „Was, … was wollen sie denn mit Paulas Computer? Dürfen sie den einfach so mitnehmen?“

Bei so viel gelebter Ignoranz musste einem der Kragen irgendwann platzen. Hier ging es schließlich nicht um ein geklautes Päckchen Zigaretten. Smilla wollte ihrer aufkeimenden Wut freien Lauf lassen, deshalb schlug sie ordentlich mit der geballten Faust auf den Tisch, „Verdammt noch mal, Erin, was soll diese Lügerei und dieses ganze Schmierentheater? Damit sie endlich kapieren, worum es hier geht, werde ich es ihnen jetzt noch einmal detailliert erklären. Ihre beste Freundin Paula Hankenfeld wurde brutal misshandelt, mehrfach vergewaltigt und auf grausame Weise getötet. Anschließend hat man sie wie stinkenden Abfall entsorgt. Derjenige, der ihr das angetan hat, läuft da draußen fröhlich umher und sucht sich vielleicht gerade das nächste Opfer. Es ist unsere heilige Aufgabe den Mörder zu finden, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Und das am Besten, bevor noch ein weiteres Mädchen ihr Leben verliert. Anstatt uns hier in einer Tour für dumm zu verkaufen, sollten sie uns lieber helfen.“

„Ich, … ich will nicht, dass sie schlecht über Paula denken. Sie ist, … sie war ein fleißiges und sehr anständiges Mädchen.“ Erin vermied jeglichen Blickkontakt, die Situation schien ihr äußerst peinlich zu sein.

Die von Smilla geduldete Schweigeminute war inzwischen überschritten, deshalb versuchte sie Erins schleppende Motivation ein wenig anzuschubsen „Warum sollten wir schlecht über Paula denken?“

Der Dramatik entsprechend begann sie ihre Ausführungen mit einem deutlich hörbaren Seufzer, „Sie wissen ja selber, wie das ist, ständig wird alles teurer. Strom, Lebensmittel, Busfahrkarten, … am Ende des Geldes ist meistens noch ein großes Stückchen Monat übrig. Bereits ein halbes Jahr vor Beginn der Renovierungsarbeiten haben die uns eine Verdopplung der Miete angekündigt. Für mich und den Tim kein großes Problem, weil meine, genauso wie seine Eltern die Kosten fürs Wohnen von Anfang an übernommen haben. Paulas Mutter konnte sich das aber nicht leisten, deshalb hat Paula auch in jeder freien Minute im Café Bernstein gearbeitet. Sie mochte diesen Job wirklich gerne, aber die drohende Mieterhöhung hätte sie damit auf keinen Fall auffangen können. Eines Tages kam dann dieser total reiche und gut aussehende Typ ins Café Bernstein. Er lud sie in ein richtig teures Restaurant ein und machte ihr ein ziemlich verlockendes Angebot. Er würde recht regelmäßig größere Partys veranstalten und bräuchte dringend noch eine attraktive Gesellschafterin für seine gut situierten Gäste. Pro Party sollte sie dreihundert Euro bekommen, mögliche Trinkgelder noch nicht inbegriffen. Als sie einwilligte, schob er ihr einen Umschlag mit zweitausend Euro für neue Kleider über den Tisch.“

Ein interessanter Ansatzpunkt, der in jedem Fall hinterfragt werden musste. „Wissen sie wie dieser Mann heißt und wo diese Partys stattfanden?“

Erin schaute der Kommissarin offen ins Gesicht, „Nein, Paula wollte nicht darüber sprechen. Ich weiß nur, dass sie vor jeder Veranstaltung eine E-Mail bekommen hat.“

Tiberius räusperte sich dezent, „Wissen sie, ob Sex auf diesen Partys eine Rolle gespielt hat?“

„Sie denken, dass sie sich prostituiert hat“, die junge Frau schüttelte energisch den Kopf, „nicht Paula, so etwas hätte sie niemals getan.“

Für den Moment hatten sie genug gehört. Smilla überreichte Erin ihre Visitenkarte, „Wenn ihnen noch irgendetwas Wichtiges einfallen sollte, dürfen sie mich jederzeit anrufen. Außerdem würde ich sie bitten, dass sie im Laufe des Tages im Präsidium vorbeikommen, damit wir ihre Aussage zu Protokoll nehmen können.“ Sie war bereits in Begriff zu gehen, „Ach ja, … die Kollegen von der Spurensicherung werden Paulas Zimmer noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Bitte lassen sie die Jungs ihre Arbeit machen.“

„Natürlich“, Erin Porschke begleitete die beiden bis zur Tür, „ich möchte mich auch noch für mein blödes Benehmen entschuldigen, es ist nur …“

„Ist schon gut, wir verstehen ihre Motivation.“ Smilla tätschelte ihre Schulter und verließ die Wohnung. Auf der Treppe hielt sie kurz inne, „Eines würde mich aber doch noch interessieren, … sind sie nie auf die Idee gekommen, es Paula gleich zu tun? Das hört sich schließlich nach leicht verdientem Geld an.“

„Paula hat ihm mal ein Foto von mir gezeigt, aber irgendwie passte ich wohl nicht in das gesuchte Profil“, sie seufzte erneut, „… wer weiß, wofür das gut war.“

„Das können sie laut sagen“, sie verabschiedete sich mit einem verhaltenen Lächeln, „vielen Dank, Erin, sie haben uns trotz der Anlaufschwierigkeiten sehr geholfen. Auf Wiedersehen.“

Zurück auf der Straße genehmigte sich Smilla die erste Zigarette des Tages. Als bekennender Nichtraucher reagierte Tiberius mit einem verständnislosen Kopfschütteln, „Ich kann echt nicht verstehen, was man daran finden kann. Bei diesen paar Glimmstängeln, die du rauchst, könntest du theoretisch auch aufhören.“

„Könnte ich, … aber du weißt doch selbst am allerbesten, dass zwischen Theorie und Praxis manchmal ganze Universen liegen. Also hör auf zu meckern“, sie provozierte mit einem besonders tiefen und genüsslichen Zug, ehe sie die Glut mit ihrem Schuh erstickte. „Ich werde jetzt in die Uni fahren, um mich dort mal ein bisschen bei ihren Kommilitonen und den Lehrkräften umzuhören. Du bringst bitte diesen Laptop ins Präsidium. Der Kollege Fischer soll sich umgehend darum kümmern.“

„Etwa zu Fuß? Das ist doch wohl nicht dein Ernst?“

„Und ob das mein Ernst ist. Von hier aus sind das höchstens fünfzehn läppische, aber dennoch cholesterinsenkende Minuten.“ Smilla konnte sich das Grinsen unmöglich verkneifen und bekräftigte es noch mit einer entsprechenden Handbewegung, „Tschakka, du schaffst das!“

Tiberius winkte ab, „Ja, ja, Smilla, … ich hab dich auch ganz furchtbar lieb.“ Fühlbar widerwillig machte er sich daran, seinen auferlegten Pilgerweg anzutreten. „Wir sehen uns dann später, du alte Sklaventreiberin, … ich wünsche dir trotzdem viel Erfolg.“

Eine knappe Viertelstunde später hatte auch die Kommissarin ihr Ziel erreicht. Da der morgendliche Kaffee sich inzwischen mit Hochdruck bemerkbar machte, suchte sie eilig die nächste Toilette auf. Während sie mit dem viel zu engen Knopfloch ihrer Jeanshose kämpfte, hüpfte sie nervös von einem Fuß auf den anderen. In einer solchen Situation zählte nun mal jede Sekunde. Sie zerrte hastig an ihrer Hose und wollte den Dingen gerade freien Lauf lassen, als ein plumpsendes Geräusch sie regelrecht erstarren ließ. Nein, bitte nicht! Bedauerlicherweise bestätigte der Blick in die Kloschüssel ihre schlimmste Befürchtung, denn ihr Handy lag auf dem unappetitlichen Grund derselbigen „Man, Smilla, so dämlich kann ein einzelner Mensch doch gar nicht sein!“ Etwas angewidert tauchte sie ihre Hand ins Becken, um zu retten, was hoffentlich noch zu retten war. Sicherheitshalber schaltete sie es erst einmal aus und versuchte es halbwegs trocken zu bekommen. Sie konnte nur hoffen, dass ihre nicht vorhandene Erreichbarkeit niemandem auffallen würde, denn sonst müsste sie sich am Ende womöglich noch selbst denunzieren. Doch jetzt zählten andere Prioritäten, jetzt sollte sie sich erst einmal um die wirklich wichtigen Dinge kümmern und das Umfeld der Toten genauer unter dem Mikroskop betrachten. Also tat sie, was getan werden musste und führte zahllose Gespräche. Sie kommunizierte mit Mentoren, Tutoren, Professoren, gemeinen Lehrern, Kommilitonen, echten Freunden und denen, die einfach gerne mal im Mittelpunkt einer Mordermittlung standen. Wirkliche Erkenntnisse blieben ihr allerdings verwehrt. Laut Aussagen sämtlicher Befragten handelte es sich bei Paula um ein freundliches, wissbegieriges, kluges und überaus beliebtes Individuum, das ausschließlich Anerkennung und uneingeschränkte Sympathien genoss. Nach vier extrem anstrengenden Stunden fuhr sie mit ausgefranstem Mund und glühend heißen Ohren zurück ins Präsidium.

Tiberius empfing sie mit vorwurfsvollem Blick, „Da bist du ja endlich, … ich habe schon zig Mal versucht dich anzurufen.“

Es wäre ja auch zu schön gewesen. „Entschuldige, aber mein Handy ist mir, … mein Handy ist irgendwie ein bisschen nass geworden …“

„Dein Handy ist irgendwie ein bisschen nass geworden?“ Sein Grinsen lud zum ultimativen Faustschlag ein, „Es ist ins Klo gefallen, … stimmt‘s?“ Da Smillas Blick tödliche Ausmaße annahm, zog es Tiberius vor das Thema zu wechseln. „Äh ja, … wie ist es denn bei dir gelaufen? Konntest du irgendetwas Hilfreiches in Erfahrung bringen?“

Jemand klopfte an die Bürotür und Smilla bat um Geduld. „Einen Moment bitte.“ Sie nutzte die Ecke des Schreibtisches als Sitzgelegenheit, „Leider nicht, alle haben Paula Hankenfeld als nettes und umgängliches Mädchen beschrieben. Wirklich weitergebracht hat uns das nicht. Was ist mit dir, … hast du in der Zwischenzeit was erreicht?“ Es klopfte erneut. „Rede ich vielleicht chinesisch oder was? Einen verdammten Moment bitte!“

Da Tiberius seine Vorgesetzte nicht länger auf die Folter spannen wollte, kam er direkt auf den Punkt, „Wir haben den Absender von Paulas E-Mails ausfindig gemacht.“

Smilla sprang auf und ihr erwartungsvoller Blick klebte wie zuckersüßer Honig an seinen Lippen, „Ja und?“

„Ich habe ihn telefonisch herbestellt und vermute stark, dass er derjenige ist, der da gerade klopfend um Einlass bittet.“

„Warum sagst du das denn nicht gleich? Herein!“

Er sah einfach fantastisch aus. Groß, schlank, wahnsinnig durchtrainierter Körper, schwarzes schulterlanges Haar und dunkelbraune Augen. Ein echtes Bild von einem Kerl. Tiberius übernahm die Vorstellung der Protagonisten mit den dazugehörigen Handbewegungen, „Smilla, … das ist Damian von Auersbach. Bei ihm war unser Opfer mehr oder weniger angestellt. Herr von Auersbach, … das ist Smilla Berggrün, die verantwortliche Hauptkommissarin in bewusstem Fall.“

Damian von Auersbach nahm die Hand der sichtlich verwirrten Hauptverantwortlichen in die Seine und bedachte sie mit dem Hauch eines Kusses, „Ich freue mich außerordentlich sie kennenlernen zu dürfen, Frau Berggrün. Obwohl der furchtbare Anlass sicherlich jeglicher Freude entbehrt.“

Die sonst so taffe Halbschwedin rang kurzzeitig nach Luft und zeigte sogar deutliche Anzeichen von anormaler Wangenröte. „Ja, … äh, … ist schön, sie kennenzulernen. Wie, … ich meine in welchem Verhältnis standen sie zu Paula Hankenfeld?“

Sein nahezu unwiderstehliches Lächeln brachte garantiert jeden Eisberg dieser Erde zum Schmelzen, „Nun, das ist schnell und einfach erklärt. Sie hat sich um das Wohlbefinden meiner geschätzten Partygäste gekümmert und ich habe sie für diesen Dienst angemessen entlohnt.“

„Bitte nehmen sie doch Platz“, Smilla deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch, „und erzählen uns ein bisschen mehr über ihre Partys. Welcher Art sind diese Veranstaltungen, und was kommen für Gäste?“

Während er ihrer Aufforderung nachkam, ließ er sie nicht eine Sekunde aus seinen faszinierenden Augen. „Nun ja, in der Regel handelt es sich um ganz normale Zusammenkünfte mit Freunden und Geschäftspartnern. Und damit es auf Dauer nicht langweilig wird, setze ich die eine odere andere Party unter ein gewisses Motto. Im Grunde stelle ich lediglich gewisse Räumlichkeiten zur Verfügung und sorge für das leibliche Wohl. Ich selbst befinde mich ausschließlich in der Rolle des stillen Beobachters.“

Die Hauptkommissarin sah sich nicht in der Lage seinem Blick standzuhalten, deshalb wühlte sie vollkommen unkoordiniert in einem Stapel älterer Akten, „Spielt Sex auf ihren Partys eine Rolle? Oder anders gefragt, haben sie Paula dafür bezahlt, dass sie mit den Männern schläft?“

Er warf seinen Kopf in den Nacken und lachte, „Das Wort Sex klingt so furchtbar banal, … finden sie nicht? Ich würde es eher als ein erotisches, spannungsgeladenes Miteinander bezeichnen. Was Paula betrifft, neben ihr gibt es noch sieben andere Mädchen, die ich ausschließlich dafür bezahle, dass sie gut aussehen und mit den Gästen flirten. Was hinter möglichen verschlossenen Türen geschieht, entzieht sich meiner Kenntnis. Eventuelle Fälle von sexueller Belästigung sind mir aber bis dato nicht zu Ohren gekommen.“

„Gut“, Smilla beendete ihr sinnloses Aktenwälzen, „ich brauche eine Liste mit den Namen aller anwesenden Partygäste und die Namen sämtlicher Mädchen. Und kommen sie mir jetzt bloß nicht mit irgendwelchem Gerede von Diskretion und Anonymitäten die gewahrt werden müssen. Zur Not besorge ich mir den nötigen Beschluss.“

„Warum sind denn so furchtbar garstig, Frau Hauptkommissarin? Selbstverständlich werde ich ihnen die gewünschten Listen umgehend per Mail zukommen lassen. Es ist schließlich auch in meinem Interesse, dass sie Paulas Mörder dingfest machen.“ Er schien zu überlegen, „Hm, … ich glaube, auf der letzten Party hat sie ihre Aufmerksamkeit dem guten alten Doktor Schrievers gewidmet. Der ist mindestens siebzig und tut garantiert keiner Fliege etwas zuleide.“

„Vielen Dank für ihre Einschätzung, aber es wird unsere Aufgabe sein, das zu überprüfen.“ Sie schob ihm ihre Visitenkarte über den Tisch, „Da steht die Mailadresse für die Listen drauf. Das wär’s dann auch fürs Erste. Falls wir noch Fragen haben, werden wir uns gegebenenfalls bei ihnen melden. Also halten sie sich bitte zu unserer Verfügung.“

Damian von Auersbach erhob sich vom Stuhl und verbeugte sich galant, „Es ist mir ein ganz besonderes Vergnügen, ihnen jederzeit zur Verfügung stehen zu dürfen, Frau Hauptkommissarin. Ich wünsche ihnen beiden noch einen wunderschönen und erfolgreichen Tag, … auf Wiedersehen.“ Er hielt die Türklinke bereits in der Hand, „Ach ja, … heute Abend findet auf meinem Gut ein Maskenball statt. Kommen sie doch einfach vorbei und machen sich ein persönliches Bild von dem Treiben.“

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, lehnte Smilla das Angebot ab, „Kein Interesse, vielen Dank.“

Jetzt fühlte sich Tiberius genötigt einzugreifen, „Ich finde, wir sollten uns dort auf jeden Fall mal umschauen und so ein Maskenball ist doch die perfekte Gelegenheit.“

Begeisterung hatte definitiv ein anderes Gesicht, „Wir werden es uns durch den Kopf gehen lassen. Auf Wiedersehen, Herr von Auersbach.“

Endlich allein stellte Tiberius sie zur Rede, „Sag mal, Smilla, was war das denn gerade?“

Sie fauchte wie eine in die Enge getriebene Katze, „Was?!“

„Erst benimmst du dich wie ein verlegener Teenager, dann wirst du plötzlich zur unfreundlichen Furie. Zuckerbrot und Peitsche, … so kenne ich dich gar nicht. Kann es sein, dass du dich ein wenig in diesen Typen verguckt hast?“

Sie verneinte energisch, „Blödsinn, mir sind solche Machos total zuwider. Der denkt doch, dass er jede haben kann.“ Es klopfte und Smilla seufzte genervt, „Man, was will der denn jetzt noch? Ja, bitte!“

Ein schlaksiger junger Mann betrat den Raum, „Hallöchen zusammen. Man hat mich beauftragt, ihnen den vorläufigen Obduktionsbericht von Paula Hankenfeld vorbeizubringen.“

Smilla nahm ihn entgegen und rang sich ein Lächeln ab, „Vielen Dank, Simon.“

„Gern geschehen. Ich geh dann mal wieder, … bis später.“

„Ach, Simon, dieses Handy hat einen Wasserschaden. Der Kollege Fischer soll sich das mal vornehmen und schauen, ob er es noch retten kann.“

Er nahm es äußerst behutsam entgegen und betrachtete es mit kritischem Blick, „Meins ist mir auch schon mal ins Klo gefallen, mit ein bisschen Glück bekommt man das wieder hin. Ich werde den Kollegen Fischer bitten sich zu beeilen, damit sie es so schnell wie möglich widerbekommen.“

Dass ihr die Dämlichkeit so offensichtlich ins Gesicht geschrieben stand, wurmte Smilla gewaltig. Dennoch zog sie es vor, sich einen diesbezüglichen Kommentar zu verkneifen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Obduktionsbericht und der las sich wie das Drehbuch für einen schlechten Splatterfilm. „Sie wurde sowohl vaginal als auch anal penetriert. Und das gleich mehrfach und unter Zuhilfenahme verschiedener Gegenstände. Man hat insgesamt fünfzehn tiefere und weniger tiefe Stichwunden gezählt. Dazu kommen unzählige Hämatome, Fesselspuren und Würgemale. Eigentliche Todesursache ist ein Stich in den rechten Lungenflügel, sie ist quasi an ihrem eigenen Blut erstickt. An ihrer Nase wurden Spuren von Ammoniumcarbonat gefunden, der Mörder hat sie mit Riechsalz schön brav bei der Stange gehalten. Die Kleine muss vor ihrem Tod durch die Hölle gegangen sein.“

„Was ist mit Sperma oder Fremd-DNA?“

„Ist beides nicht vorhanden, … der Täter wusste anscheinend ziemlich genau, was er tat und worauf er zu achten hatte.“ Die Kommissarin widmete ihre Aufmerksamkeit dem Computer, „Hm, … mal schauen, … hier haben wir ihn ja schon, Doktor Karl-Heinz Schrievers.“

„Was hast du vor?“

„Ich werde diesem Herrn Doktor mal einen Besuch abstatten, um zu sehen, wie der so tickt. Wenn uns die Listen von Herrn von Auersbach vorliegen, sollen sich Dornhäuser und Krauschel sämtliche Gäste einzeln vorknöpfen. Von der Unterhosengröße bis hin zur Höhe der Bankkonten, ich will wirklich alles von jedem wissen. Sobald ich zurück bin, werden wir zwei Hübschen uns um die anderen Mädels kümmern. Vielleicht gibt es ja einen Gast, der schon mal in irgendeiner Form unangenehm aufgefallen ist.“

Tiberius brummte ungnädig, „Und ich darf mir bis dahin die Eier schaukeln, … oder was?“

Sie grinste, „Tu, was immer dein Herz begehrt. Aber so wie ich dich kenne, fällt dir mit Sicherheit auch noch etwas Sinnvolleres ein.“

Er revanchierte sich mit einem noch breiteren Grinsen, „Stimmt, jetzt wo du es sagst. Ich muss uns für den heutigen Abend ja noch ein paar hübsche Masken besorgen, weil wir nämlich auf jeden Fall gemeinsam zu dieser Party gehen werden.“

Smilla winkte ab, „Schau’n wir mal, … ich fahr jetzt auf jeden Fall erst einmal zu Doktor Schrievers. Dann bis später, Kojak.“

„Bis später, Smilla, … und sei bitte vorsichtig.“

Sie musste einfach nur dem Geruch des Geldes folgen, denn das anvisierte Ziel lag im teuersten Viertel der Stadt. Nachdem sie ihren Mini in eine ordnungsgemäße Parkposition gebracht hatte, betätigte sie den Klingelknopf am Haupttor. Eine krächzende Stimme erkundigte sich nach ihrem Begehr. „Mein Name ist Berggrün. Ich bin von der hiesigen Kriminalpolizei und möchte mit Herrn Schrievers sprechen.“ Kurze Zeit später setzten sich die beiden Flügel des Tores in Bewegung und gaben den Blick auf ein beeindruckendes Grundstück mit einem noch beeindruckenderen Natursteinhaus frei. Smilla wandelte durch eine atemberaubende Blumenlandschaft bis zur Tür, wo sie bereits von einer kleinen, älteren Dame erwartet wurde. Die schlanke Frau führte sie in eine Art Bibliothek und bat um einen Moment Geduld.

Doktor Schrievers entpuppte sich als äußerst sympathische Erscheinung. Der untersetzte Mann mit dem schütteren Haar begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln, „Guten Tag, Frau Berggrün, … bitte, nehmen sie doch Platz.“ Seine stahlblauen Augen strahlten hinter der dunkelgrünen Nickelbrille, „Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten? Vielleicht einen Kaffee oder mögen sie lieber Tee?“ Als Smilla dankend ablehnte, setzte auch er sich und schaute ihr offen ins Gesicht, „Was kann ich denn für sie tun, Frau Berggrün?“

Die Hauptkommissarin legte Paulas Foto auf den Tisch, „Kennen sie dieses Mädchen?“

Er nahm das Bild in die Hand, um es genauer zu betrachten, „Ja, … ja, ich kenne sie. Das ist Natalia, sie hat mir letzten Freitag den Abend versüßt.“

„Im richtigen Leben hieß sie Paula Hankenfeld. Was meinen sie mit, den Abend versüßt? Hatten sie Sex mit Paula?“

Karl-Heinz Schrievers lachte, „Gott bewahre, nein. Sex hat für mich schon vor längerer Zeit seine Bedeutung verloren. Ich genieße es einfach, wenn mir eine junge hübsche Frau ihre Aufmerksamkeit schenkt, ein wenig flirtet und sich nett mit mir unterhält. Nach dem Tod meiner geliebten Marie hat es für mich keine andere mehr gegeben. Ab und zu gönne ich mir den Spaß und gehe zu einer dieser etwas ruhigeren Cocktailpartys, die Herr von Auersbach manchmal veranstaltet.“ Sein Gesichtsausdruck wurde plötzlich ernst, „Wenn ich mich nicht verhört habe, dann sprachen sie bezüglich Paula in der Vergangenheit. Soll das etwa heißen, dass sie nicht mehr unter den Lebenden weilt?“

Smilla nickte, „Paula wurde brutal vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Man hat ihre Leiche heute Morgen am großen Perlweiher gefunden.“

Seine Bestürzung war keinesfalls gespielt, in seinem Gesicht spiegelte sich ehrliches Entsetzen wieder, „Mein Gott, wie furchtbar, … das arme Mädchen. Wissen sie schon, wer das getan hat?“

Wie gerne hätte Smilla diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet, „Leider nicht, aber wir arbeiten daran. Wann haben sie die Party denn verlassen?“

Der Doktor überlegte, „Hm, … ich glaube so gegen halb zwölf. Natalia, … ich meine Paula hat mich noch zur Tür begleitet und sich mit einem Wangenkuss von mir verabschiedet.“ Er kam nicht umhin zu seufzen, „Sie war ein wirklich nettes, charmantes Wesen und hatte so unglaublich viel Stil. Der Gedanke, dass ihr jemand so etwas Schreckliches angetan hat, lässt mich richtiggehend erschaudern.“

Auch Smilla bereitete dieser Gedanke schmerzliches Unbehagen, aber für Gefühle fehlte ihr jetzt schlichtweg die Zeit, „Gab es vielleicht jemanden der Paula belästigt hat oder ist ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

Er zuckte etwas unbeholfen mit den Schultern, „Ich wünschte, mir wäre etwas aufgefallen, dann könnte ich ihnen wenigstens ein bisschen weiterhelfen. Aber bedauerlicherweise muss ich ihre Fragen verneinen.“

„Sie haben mir trotzdem sehr geholfen“, sie legte ihm ihre Visitenkarte auf den Tisch und unterstützte ihre Handlung mit dem dazugehörigen obligatorischen Spruch, „wenn ihnen diesbezüglich noch etwas einfallen sollte, dann rufen sie mich bitte an. Egal, wie unwichtig es ihnen erscheinen mag. Ich danke ihnen für ihre Kooperation und wünsche noch einen schönen Tag.“ Wie es sich für einen Gentleman der alten Schule gehörte, begleitete er sie noch bis zur Tür. Eine gute Gelegenheit für eine allerletzte Frage, „Sie sprachen vorhin von den etwas ruhigeren Cocktailpartys. Was genau darf ich darunter verstehen?“

Er wirkte fast ein wenig verlegen, „Nun ja, Herr von Auersbach bietet eine recht vielfältige Palette von ungewöhnlichen Partys an. Von der Mottoparty über exotische Events, bis hin zu diversen Maskenbällen, da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Das Klientel ist stets ein anderes. Das Beste wird sein, sie befragen ihn persönlich zu der Vielzahl seiner gut besuchten Veranstaltungen.“

„Vielen Dank, Herr Schrievers“, Smilla bekundete ihre Sympathie für den knuffigen alten Mann mit einem bezaubernden Lächeln, „wie gesagt, sie haben mir sehr geholfen und es war mir eine Ehre, sie kennenlernen zu dürfen. Auf Wiedersehen.“ Mit seiner Einschätzung bezüglich des Doktors hatte Damian von Auersbach recht behalten, der tat garantiert niemandem etwas zuleide. Auch sie verfügte über eine gesunde und gut ausgeprägte Menschenkenntnis, deshalb konnte sie ihn ruhigen Gewissens als Täter ausschließen.

„Ich verlasse mich da voll und ganz auf deinen Instinkt, liebste Smilla“, Tiberius befand sich bereits in den Startlöchern, „dann sind es ja jetzt nur noch schlappe zweihundertzweiundvierzig Personen, die überprüft werden müssen. Da möchte man wahrlich nicht mit den Kollegen Dornhäuser und Krauschel tauschen. Hier ist die Liste der Mädchen. Bei Lydia Scheel habe ich uns schon mal telefonisch angekündigt. Sie erwartet uns in einer knappen Viertelstunde im Café Bernstein. Sie möchte wohl vermeiden, dass ihre Eltern etwas von ihrem Nebenjob mitbekommen.“

„Wenn der Job doch so harmlos ist, wie dieser Auersbach behauptet, dann verstehe ich ihre Zurückhaltung nicht. Na dann los. Bin gespannt, ob diese Lydia uns mit fehlendem Wissen versorgen kann.“

Kaum hatte Tiberius sich umständlich in den Mini gequetscht, rieb er sich den wohlgenährten Bauch, „Die sollen da einen besonders leckeren Kartoffelsalat mit Würstchen haben. Wenn die Zeit es erlaubt, dann werde ich mir eine kleine Portion davon gönnen.“

Smilla wurde wütend, „Die Zeit wird es möglicherweise erlauben, dein Cholesterinspiegel sicher nicht. In meiner Gegenwart wirst du dieses Zeug garantiert nicht in dich reinstopfen, ich dulde nämlich keinen Selbstmord auf Raten.“ Sie schlug ihm mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, „Man, Tiberius, werd endlich vernünftig und tu was für deine Gesundheit.“

„Ist ja gut, … musst nicht gleich handgreiflich werden“, er rieb sich den brennenden Schenkel und hüllte sich für den Rest der Fahrt in beleidigtes Schweigen.

Das Café Bernstein bot in gemütlicher Atmosphäre eine breite Palette an Kuchen und Snacks. Der überaus gute Ruf sorgte für ständigen Zulauf, weshalb man hier auch nur schwer einen Platz bekam. Um diese Zeit dominierten eindeutig die älteren, schmuckbehangenen Damen mit Hut die Szenerie. Smilla schaute sich suchend um. Eine hübsche Frau mit langen schwarzen Haaren saß allein am Tisch und spielte nervös mit ihrer Servierte. Da alle anderen weiblichen Anwesenden aus ersichtlichen Gründen nicht infrage kamen, steuerte Smilla sie auf direktem Wege an. „Frau Scheel?“ Die Angesprochene nickte. „Guten Tag, mein Name ist Berggrün und das ist mein Kollege Preussner. Mit ihm haben sie vorhin telefoniert. Dürfen wir uns zu ihnen setzen?“ Sie nickte erneut und deutete auf die freien Plätze. Während Tiberius sich hingebungsvoll der Speisekarte widmete, brachte die Hauptkommissarin es umgehend auf den Punkt. „Kennen sie diese Frau?“

Lydia Scheel erkannte sie wieder, „Ja, aber nur flüchtig. Ich treffe sie hin und wieder bei den Partys auf Gut Auersbach. Letzten Freitag habe ich sie dort gesehen, da hat sie sich um den netten Herrn Schrievers gekümmert. Warum fragen sie nach ihr?“

„Weil sie vermutlich unmittelbar nach dieser Party entführt, gefoltert und ermordet wurde.“

„Das ist ja furchtbar“, der jungen Frau blieb nur ein kurzer Augenblick zum Verdauen, denn in diesem Moment trat die Bedienung an ihren Tisch.

Eine freundlich lächelnde Dame mit weißem Häubchen und frisch gestärkter Schürze erkundigte sich nach ihren Wünschen. Tiberius bestellte sich ein Schwarzbrot mit Salat und Hähnchenbrust zum Mitnehmen inklusive eines kleinen Wassers, Smilla lehnte dankend ab. Sie konzentrierte sich lieber wieder auf ihr Gegenüber. „Wurden sie auf einer dieser Partys schon mal zum Geschlechtsverkehr aufgefordert oder hatten sogar welchen?“

Sie wies diese Vermutung mit weit aufgerissenen Augen von sich, „Gott bewahre, nein. So etwas würde ich niemals tun.“

Smilla fixierte sie mit festem Blick, „Und warum möchten sie dann unbedingt verhindern, dass ihre Eltern etwas von diesem Job erfahren?“

Lydia zog es vor den Ihren zu senken, ihr schien diese Situation ziemlich peinlich zu sein. „Wir wohnen in einer ländlichen Gegend. Meine Eltern sind streng gläubig und äußerst konservativ. Sie würden es nicht verstehen. Ich bin nicht Stolz auf diese Lügerei, aber es ist leicht verdientes Geld und …“

„Hey, ich mache ihnen keinen Vorwurf, ich wollte es einfach nur wissen. Ist ihnen schon mal jemand unangenehm aufgefallen? Jemand der rumgepöbelt hat oder möglicherweise aufdringlich wurde? Vielleicht hat ihnen ja eine Kollegin mal etwas erzählt.“

Ohne großartig darüber nachzudenken, schüttelte die junge Frau ihren Kopf, „Nein, nicht dass ich wüsste.“

„Was können sie mir über ihren Arbeitgeber erzählen?“

Ein fast schon verträumt anmutendes Lächeln huschte über Lydias feine Gesichtszüge, „Nur Gutes. Herr von Auersbach ist ein sehr netter und höflicher Mann. Und er überweist immer pünktlich mein Geld. Also ich mag ihn ganz gerne.“

Die Kommissarin hatte sich eindeutig mehr erhofft. Sichtlich enttäuscht zog sie eine Visitenkarte aus ihrer Tasche, „Hier, falls ihnen noch etwas einfällt. Sagen sie, gehen sie heute Abend zu diesem Maskenball?“

„Nein, unsere Partys finden ausschließlich am Wochenende statt.“

„Vielen Dank, Frau Scheel, ich wünsche ihnen einen schönen Tag und passen sie auf sich auf.“

Die junge Frau erwiderte ihr Lächeln und nickte, „Ich wünsche ihnen ebenfalls einen schönen Tag.“

Wieder im Auto angekommen, wirkte Smilla sichtlich angespannt, „Das ist mir alles eine Spur zu glatt.“

Tiberius wollte eigentlich gerade in sein Brot beißen, ließ sein Vorhaben aber schweren Herzens für einen kurzen Moment ruhen, „Was meinst du?

„Na ja, ein paar gut situierte Böcke feiern mit jungen Mädchen Partys, bei denen es angeblich nicht um Sex geht. Worum geht es dann?“

Der Anblick dieser sogar gesunden Köstlichkeit ließ seinen Magen lautstark rumoren. Es galt zu befürchten, dass sich die Rinnsale in seinem Mund jeden Augenblick in regelrechte Sturzbäche verwandeln könnten. Er hatte Hunger und wollte endlich dieses Prachtstück genießen. „Du glaubst wohl auch, dass jedes männliche Wesen ausschließlich mit seinem Geschlechtsteil denkt. Ich kann dir aber versichern, dass das nicht so ist. Die haben einfach ein bisschen Spaß, lachen, flirten, trinken und unterhalten sich. Kann es sein, dass du sauer bist, weil du diesem Herrn von Auersbach nicht ans Bein pinkeln kannst?“

„Blödsinn“, noch ehe Tiberius reagieren konnte, schnappte sich Smilla das Brot und biss hinein.

„Hey, kauf dir gefälligst selber eins“, er entriss ihr das Objekt seiner Begierde und signalisierte seine Bereitschaft, es mit seinem Leben zu verteidigen, „wenn du das noch mal versuchst, muss ich dich leider töten.“

Sie grinste, „Seit wann stehst du auf gesundes Essen?“

„Seit du mir den Kartoffelsalat vermiest hast. Ich habe Hunger, verdammt noch mal. Mein Magen schleift bereits seit Stunden über den Boden.“ Tiberius verschaffte sich endlich Erlösung und sein Gesichtsausdruck verriet die angenehme Überraschung, „Mmh, schmeckt ja richtig gut das Zeug.“ Er versuchte die einzelnen Bestandteile zu analysieren, „Salat, Kresse, Tomaten, Radieschen, Lauch und Hähnchenfleisch mit einem Hauch von Joghurtdressing. Ich muss nachher unbedingt noch einkaufen.“

„Na siehst du, geht doch.“ Smilla nahm die Liste zur Hand, „Dann können wir uns ja jetzt ganz entspannt der nächsten Dame, einer gewissen Kerstin Lohenbrink zuwenden. Sie wohnt nur fünf Minuten von hier entfernt.“

Dieser Job schien überaus lukrativ zu sein, denn Kerstin Lohenbrink verbrachte gerade einen zweiwöchigen Urlaub auf den Malediven. Auch die anschließende Befragung von drei weiteren Mädchen führte nicht zu neuen Erkenntnissen. Tiberius schaute auf seine Armbanduhr, „Wenn wir noch auf diesen Maskenball wollen, dann sollten wir uns langsam fertigmachen.“

Ihre Hoffnung, er könnte den blöden Ball vielleicht doch vergessen, verpuffte im Nichts. Sie verspürte nicht die geringste Lust an diesem Event teilzunehmen, konnte jetzt aber unmöglich kneifen. Ihr entfuhr ein lang gezogener Seufzer, „Na gut, wenn’s denn sein muss. Ich bringe dich nach Hause und hole dich dann in einer Stunde wieder ab.“

Ein tödlicher Job

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