Читать книгу kein einziges unbeschriebenes blatt - Sylvia Krismayr - Страница 5
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ОглавлениеSelten hat sie als Kind ihren Namen, der in der Geburtsurkunde steht, gehört. Seit er, Frau geworden, in ihrem Pass steht, kaum öfter; er ist ihr fremd.
Fünf Morgen in der Woche sitzt die Frau im Zug. Draußen ist es dunkel. Im Fenster spiegelt sich das Innere der Bahn und ein Gesicht. Freundlich ist der Spiegel, er zeichnet weich.
Im frühen Herbst den rötlichen Glanz auf den kaum beschneiten Bergen zu sehen, später dann das Gold der Lärchen inmitten abgegraster, maigrüner Weiden, das liebt sie, wie das Funkeln des Schnees, den Linolschnitt beschneiter Bäume, den Firnglanz im frühen Frühling auf den Schneefeldern auf den Bergen, lediglich der Sommer erscheint ihr unaufgeregt, fast eintönig in seiner knisternden Hitze, obwohl, ja, den Heuduft, ja, den mag sie auch, und den Mohn zwischen dem Korn – das Feuer in den zarten, geruchlosen Blütenblättern.
Auf dem Nachhauseweg zwischen zwei Bahnstationen, setzt sich die Frau gern so unter Bäume, dass ihr Blick das Gold der Lärchen gegen das Himmelblau einfängt und glaubt zu verstehen, warum königlichkaiserlicher Prunk mit den Farben Gold und Royalblau nebst Purpur prahlt. Die Frau setzt sich gern auf jene Bank, die vom Tourismusverband über ein Bächlein erbaut und als Naturschauplatz ausgezeichnet worden ist, und lauscht. Auch an freien Tagen fährt sie mit dem frühen Zug ins Tal, um sich am stillen Morgen auf jene Bank zu setzen und zu lauschen.
In einer Frühstückspension hat die Frau Arbeit gefunden. Sie putzt die Zimmer und deckt das Frühstück auf. Sie mag ihre Arbeit: Unordnung zu ordnen, müffelnde Bettwäsche gegen wohlriechende zu tauschen, Bettlaken glatt zu streichen, Kissen und Bettdecken zu arrangieren, Kleidung vom Boden aufzuheben, zu falten und auf Stühle zu legen, Hosen und Hemden oder Blusen drapiert sie über Stuhllehnen, das Bad auf Hochglanz zu polieren – darauf legt sie besonderen Wert, dass Chrom und Fliesen und die Duschkabinenwände tropfenfrei glänzen, das Weiß der Kloschüsseln und der Badewannen, die es in den drei größeren Zimmern im obersten Stockwerk gibt, an Blütenweiß, den Stolz der tüchtigen Hausfrau, zu erinnern. Sie liebt den Duft von Putz - und Waschmittel, den Geruch von Sauberkeit; sie liebt den Knall, mit dem sich waschmaschinenfeuchte Wäschestücke mit einer ruckartigen Bewegung ihrer kräftigen Arme aus dem Knäuel befreien, zu dem der Waschvorgang sie zusammengedrückt hat. Dann bauschen sich Laken, Bett- und Kopfpolsterbezüge weiß im Wind, ihr Duft nach Luft und Sonne entfaltet sich trocken im Bügelzimmer, wenn sich die knittrigen Wäscheberge frisch von der Leine unter ihren Händen mit Hilfe der Bügelmaschine in ordentlich gefaltete Wäschestapel verwandeln.
Sorgfältige Aufmerksamkeit schenkt die Frau auch den Details im Arrangement des Frühstücksbuffets und dem Tischgedeck. Fast zärtlich faltet sie Servietten, steckt Blüten in kleine Vasen, im Winter getrocknete, im Frühjahr, Sommer wie Herbst lässt sie es sich nicht nehmen, Blumen und Blüten fast wöchentlich zu erneuern, zu pflücken, von Sträuchern zu brechen. Sie beweist Geschick, Geschmack und Freundlichkeit in ihrer Tischdekoration.
Nachdem sich die Chefin an die Schweigsamkeit der Frau gewöhnt hatte, ist sie ausnahmslos dankbar für diese stille, verlässliche Arbeitskraft – noch keinen Tag hat sie gefehlt, noch nie gab es etwas zu beanstanden – Lob ist ihr unangenehm. Nie hat die Frau anderes begehrt, als in Ruhe gelassen zu werden und Sauberkeit und Ordnung – ja Schönheit – in die Welt zu bringen.
Heute wird die Frau in einem Nachtkästchen eine Pistole finden. Sie wird sie in der Hand halten, ihr Gewicht abwägen und, was sie mit ihr tun soll, während sich die Wärme ihrer Hand dem schwarzen Hartplastik mitteilt, wird sie nicht mehr an die Frau denken, die sie vor einer Woche flüchtig durch den Türspalt gesehen hat, auch nicht an deren Reizwäsche, die nachlässig aus einer halb geöffneten Reisetasche gehangen war, und die sie befühlt hatte. Vorerst steckt sie die Pistole in ihre Schürzentasche, spürt sie in ihrer Lendenbeuge, betastet sie von Zeit zu Zeit und allmählich wird die Überlegung, die Pistole der Chefin oder der Polizei auszuhändigen, von einem Gefühl verdrängt, das der Frau noch fremd ist: Es geht von der Pistole in ihrer Tasche aus, es richtet sie auf, es öffnet ihren Brustkorb, es lässt sie Atem holen, sie spürt, wie ihr Blut ungehindert strömt. Sie verstaut die Pistole in ihrer Handtasche.
Selten begegnet sie Gästen, die sind meistens schon unterwegs, wenn sie die Zimmer putzt. Während sie mit der Pistole in der Lendenbeuge das Bad auf Hochglanz für die nächsten Gäste poliert, erinnert sie sich an die Tiegelchen und Töpfchen, die Fläschchen und Bürsten und Haarnadeln, die sie für den vorhergehenden Gast auf die Seite schieben musste, denkt sie daran, dass die Pistole der Frau gehört haben muss, denkt an die Kleider über dem Stuhl und an die Reizwäsche die nachlässig aus der halb offenen Reisetasche herausgehangen hat – vorsichtig hat sie einen Blick in die nicht ganz geöffnete Reisetasche gewagt, sogar ein bisschen genauer nachgesehen, die Spitzenwäsche herausgenommen, gegen das Fenster gehalten, bewundert, über einen Unterarm gebreitet, die durchschimmernde Haut betrachtet, dann sorgfältig wieder in die Tasche zurückgestopft. Es war nur ein Bett benutzt worden – und das war sauber, sie hätte es eigentlich gar nicht frisch beziehen müssen, aber vor einem Wechsel wird nun mal alles frisch bezogen. Sogar die Dusche hatte die Unbekannte sauberst hinterlassen.
Noch im Bahnle auf dem Nachhauseweg wird sie von diesem Gefühl, von diesem neuen Gefühl, das sie nicht in Worte fassen kann, getragen, besonders, wenn sie verstohlen und immer wieder die Pistole in ihrer Handtasche mit ihren Fingerspitzen befühlt. Es ist ihr nach Juchzen, das sie unterdrückt. Beschwingt steigt sie an der nächsten Haltestelle aus – sie möchte ein Stück gehen in dem noch jungen Frühling.
Die Sonne wirft die Schatten der Wolken auf glänzende Schneeflächen zwischen dunkle Felsen und bringt Farbe in die Landschaft: als ob das helle Grün ins Himmelblau wogte und Wolken und Blüten wie Gischt schäumten – und ein süßlicher Duft noch schwer von feuchter Erde. Am Morgen war noch dichter Nebel und natürlich schemenhaft griffen Äste aus dem Nichts ins Leere.
Jetzt wollen und treiben pralle Spitzen zartgrün ins Sonnenlicht, werden bald von Schatten und Nächten eingeholt.
An der nächsten Haltestelle steigt die Frau wieder ein. Ihr Vater wartet. Sie bewohnt mit ihm ein kleines Haus, einen kleinen Hof, eine unerwartete Erbschaft einer kinderlosen, verwitweten Schwester von Oma. Einmal, kann sich die Frau erinnern, hat sie diese Großtante gesehen, viel mehr gerochen, als sie noch Kind war. Ihre Hände waren weiß und gepflegt und rochen nach Creme. Überhaupt ging ein feiner Duft von ihr aus – ganz anders wie von Oma. Ihr Haar trug sie zu einem Tutt aufgesteckt, der Stoff ihres Kostüms, ihrer Bluse schimmerte und ihre Schuhe waren aus schwarzem glänzenden Leder mit halbhohen Absätzen. Es war nicht zu übersehen, dass Oma sie verachtete und umgekehrt. Auch suchte die Großtante keineswegs Kontakt zu dem Kind, wobei keine Gefahr bestand, eingeschüchtert von den Wohlgerüchen und der vornehmen Erscheinung drückte sich das Kind in die Ecke der Sitzbank in einer fremden Küche. Die Erwachsenen hatten etwas zu besprechen. Das Kind verstand nichts. Erst als sein Vater den Hof erbte und es, inzwischen erwachsen, mit ihm dort hinzog, klärte sich auf, dass damals beredet wurde, ob Vater den Hof nicht bewirtschaften könnte, weil die Großtante keine Lust hatte, auf dem Hof zu arbeiten – die Mutter wollte aber auch nicht. `De is sich z´nobl´, mag wohl die Oma kommentiert und damit beide gemeint haben. Auch die Großtante hatte ihn geerbt von Verwandtschaft ihres verstorbenen Mannes und dann verpachtet. Nach ihrem Tod fiel der Hof dem Vater zu. Die Oma war schon vor einer Weile gestorben, die Mutter auch und gern verließen Vater und Tochter die kleine, dunkle Dienstwohnung, sie zogen um. In dem Weiler kennen sie niemanden und werden für ein Paar gehalten.
Vater ist in Pension, sie halten sich Ziegen und ein paar Hühner. Vater mäht die Wiesen, harkt die kleinen Kartoffelfelder, hackt Brennholz für den Feuerherd in der Küche und den Stubenofen, während die Frau zur Arbeit geht und die Gemüsebeete mit den Blumenrändern pflegt und auf dem Feuerherd kocht. Sie leben beinahe bedürfnislos, sind froh, niemanden zu kennen, bleiben unter sich. Rituale haben sich über Jahre etabliert.