Читать книгу Pfad der Jäger - Sylwester Dr. Minko - Страница 7

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Pfad der Jäger

Da es sich vermuten ließ, dass die Party bei Gerry reichlich mit einer Auswahl an besten Alkoholgetränken versehen sein würde, wurde eine Münze geworfen und es traf die Korbachs. Der alte Rechtsanwalt Korbach nörgelte zwar, es sei besser, ein Taxi zu nehmen. Er wusste, dass sein Sohn Edward sich nicht überreden ließe, den Mercedes des Vaters nach Hause zurückzufahren.

Doch Liv blieb standhaft. Sie hätte mit ihrem Mann Thomas keinen Münzwurf riskiert, um sich dann bei der Morgendämmerung auf das Erbarmen eines Taxifahrers zu verlassen. Ansonsten wäre es unsportlich, jetzt den Wettgegenstand auf Tragen der Taxikosten zu ändern. Edward war wie immer derselben Meinung wie Liv. Seit Monaten verfolgte er sie mit seinen Annäherungsversuchen und fand keine bessere Methode, ihre Zuneigung zu gewinnen, als ihr in jeder Angelegenheit zuzustimmen. Thomas sah und tolerierte seine Aufdringlichkeiten, weil er seine Erfolgsaussichten sehr gering einschätzte. Sie wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft, daher die Idee des gemeinsamen Fahrens.

Edward sah bereits Gerrys Haus und bezeugte, dass in dieser Gegend solch prächtige Häuser kaum anzutreffen waren. Obwohl die Männer einer gut eingespielten Jägergruppe angehörten, kannte Liv den Gastgeber bisher nicht. Sie war gespannt, nicht nur auf ihn, sondern auch auf seine sagenhafte Villa, auf die Atmosphäre und auf alles rundherum. Vor allem als sie hörte, dass niemand wusste, wer die Dame des Hauses war.

Thomas kannte seine Frau gut und warnte sie drei Stunden vor der vereinbarten Zeit, dass sie nun jede Minute würden rausgehen müssen. Er ahnte schon, dass sie das neue Make-up zur Verzweiflung bringen würde, dass sie allein für ihre Augen eine gute Stunde brauchte und zwischendurch in Tränen ausbräche. Natürlich hatte sie inzwischen gemäkelt, als sie ihn noch in der alten Hose und der Strickjacke sah.

„Wir haben ja Zeit versuchte er sie zu beruhigen, und wunderte sich nicht, als sie verkündete: „Wir werden uns verspäten“, denn sie würde es nicht rechtzeitig schaffen.

Liv war aufgeregt. Sie vertrieb sogar ihren geliebten Cockerspaniel aus dem Badezimmer - Taxi, die sie aufdringlich begleitete. Thomas tröstete die Hündin. Er sah es als Ungerechtigkeit des Schicksals, dass Taxi sich so an Liv anlehnte. Er fürchtete die gegenseitige Loyalität der beiden weiblichen Geschöpfe. Er wusste bereits davon, dass ein Hund meistens eine Replik des Eigentümers darstellte; das rotgoldene, seidene Haar der Hündin entsprach der Schönheit seiner Frau. Als er bei Abwesenheit seiner Gattin Besuch einer Dame empfangen hatte, war er noch eine Woche danach nervös gewesen – Taxi war Zeugin geworden. Jetzt, den Geräuschen aus dem Badezimmer lauschend, spielte er mit der Goldhaarigen.

„Mach dich fertig“, kam endlich die Warnung von jenseits der geschlossenen Tür. Offenbar waren die Make-up-Probleme gelöst worden. Beim Binden der Krawatte hörte er das Brummen des Mercedes-Motors.

Warum hatte ihr Gerry so gefallen? Eigentlich zeugte alles, was sie vorfand, vom schlechten Geschmack des Gastgebers. Zu viel Marmor im Wohnzimmer, das eigentlich ein zentraler Saal des Palazzo Prozzo war. Und das nervige Mädchen – die Hausherrin. „Knopf“, stellte sie sich vor und reichte ihre Hand, als würde sie erwarten, dass selbst die Frauen sie ihr küssten. Schön, aber sonst nichts. Und schließlich „Gerry“.

„Warum nennen Sie sich so, Herr Gerhard?“, fragte sie provokativ, nachdem er sie nach mehreren Wodkas zum Tanz aufgefordert hatte.

„Meinen Sie, das ist zu prätentiös? Und wie ist es mit Liv?“, entgegnete er und schob seine Hand hinunter, ihren Rücken entlang. „Oliv würde mir besser gefallen“, er berührte leicht die Spitze ihres Ohres mit seiner Zunge.

Sie hatte sich zurückgelehnt und war erbost, dass eine Hitzewallung durch ihren Körper ging. Ich bin betrunken, dachte sie. Deshalb reagiere ich so! Doch gleich sah sie sich um, neugierig, wo seine „Assistentin“ war.

„Sie hat nichts zu sagen“, beruhigte er sie, der Alleswissende. „Es ist alles so unkompliziert“, lachte er.

„Was ist unkompliziert?“

„Ihr Frauen.“ Sie spürte seine Hand, die ihren Nacken immer stärker hielt, und die andere, die er an ihrem Gesäß schob. Sie war wütend auf sich selbst und auf den Alkohol, der ihren Kreislauf aufwühlte und ihre Haut unter dieser schamlosen Hand so vergnüglich erwärmte. Sie drehte sich instinktiv mit dem Rücken zur Wand, so, dass sie die ganze tanzende Gesellschaft beobachten konnte. Sie bemerkte den aufmerksamen Blick von Thomas und genoss ihre offensichtliche Untreue, was eine sinnesfreudige Schwäche ihrer Oberschenkel bewirkte. Gerry schien all das zu registrieren und seine Hand …

„Du hattest dieses schelmische Lächeln, das ich nicht beim Namen nennen darf“, murmelte später ihr betrunkener Ehemann, als er versuchte, ihr das Kleid auszuziehen. Einmal sagte er: „Dieses sexsüchtige Lächeln“, und sie hatte danach eine Woche lang nicht mit ihm geredet. Doch das würde erst nach einigen Stunden geschehen.

Momentan führt Gerry sie auf die erste Etage, um ihr seine Bibliothek zu zeigen. Unterwegs auf dem Podest begegnen sie einem Pärchen. Sie sitzt etwas tiefer und zieht den Spaghettiträger hoch, um das Dekolleté etwas abzudecken.

Liv geht mit, betrunken und wütend. Sie schwört, sie gibt ihm gleich eine Ohrfeige, doch jetzt wartet sie darauf, was als Nächstes geschieht und der vermutete Grund ihrer gedachten Reaktion sorgt für Hyperventilation. Gerry geht vor – eine schlanke, sportliche Figur – öffnet die Tür. Es ist dunkel.

Liv zögert, er schaltet das Licht an. Sie befinden sich in einem kleinen, schön ausgestatteten Arbeitszimmer. Vom Sofa springt ein Hund herunter. Er begrüßt das Herrchen wie nach langer Abwesenheit. Gerry befiehlt kurz: „Otto zurück!“, und der Foxterrier springt erneut auf das Sofa. „Nicht dort!“, tadelt ihn Gerry und Liv ahnt, für wen das breite Sofa gedacht ist. Sie versucht, mit sich zu kämpfen.

Thomas sollte in so einem Arbeitszimmer seine Drehbücher schreiben, denkt sie und weiß schon, dass sie sich würdevoll verhalten wird. Doch er schiebt ihr einen Sessel zu und setzt sich auf einen anderen. Sie ist desorientiert. Ist so angespannt, dass sie das Geräusch ihres seidenen Kleides hört, als sie ein Bein über das andere legt. Er fragt sie, ob er eine Pfeife rauchen darf. Was für eine Frage! Natürlich darf er das, aber wozu sind sie hierhergekommen?

Die Pfeife duftet. Von unten kommt betörende Musik, Stimmen … Er hat die Tür offen gelassen. Liv steht plötzlich auf, doch bevor sie einen Schritt machen kann, ergreift er ihre Hand und setzt sie auf seinen Schoß. Sie will sich befreien und die geahnte erotische Aggression stoppen. Das Geräusch von leisen Schritten zwingt Gerry, seinen Griff zu lockern.

„Kein Koitus, dennoch interruptus“, sagt er so laut, als hätte er gewollt, dass das Mädchen am Zimmereingang ihn hört.

„Ich suche dich überall“, sagt das Mädchen, und ignoriert Livs Anwesenheit. „Das Eis für den Whiskey fehlt. Was wollen wir nun tun?“

Liv war verwirrt. Sie hatte am Oberschenkel ein brennendes Gefühl genau an der Stelle, wo ihr Kleid den Oberschenkel berührte. Vor dem Abschied hatte sich der Gastgeber zu der an einem breiten Sofa sitzenden „Mercedes-Gruppe“ gesetzt. Vor aller Augen hatte er seine Hand auf ihr Knie gelegt. „Wie ein Löwe über die erjagte Antilope“, so hieß es in der vorgestern gesehenen Dokumentation über Wildkatzen. Sie nahm diese „Pfote“ und legte sie auf die lederne Lehne, nachdem sie ihre Fingernägel in sie gekrallt hatte. Warum hatte diese Berührung ein angenehmes Glühen hinterlassen? War wirklich ein Funke von seiner Hand auf die ihre übergesprungen, als sie ihm ihre Hand zum Abschied reichte? In der Ecke des Wagens horchte sie auf das langweilige Gerede von Edward, ihrem ewigen Verehrer. Ihr Mann saß aufrecht neben dem Wagenlenker. Sie fuhren zurück nach Hause.

Sie spielte zur Begrüßung noch mit der Hündin, als Thomas anfing sie auszuziehen.

„Du sollst den Pelz lassen.“ Sanft, jedoch bestimmend lenkte sie sein Interesse nach unten. Sie streichelte gebeugt die springende Hündin, während er sie eilig kniend entkleidete. Instinktiv genoss sie seine schweigende Eifersucht. Sie spürte seinen beschleunigten Atem auf ihrem Nacken, als er sie zum Tisch drängte. Gleich, auf die Ellenbogen gestützt, unterwarf sie sich seinem Tätscheln. Sie war betrunken und plötzlich, als sie an den anderen dachte, spürte sie, dass sie dieses Lächeln auf ihrem Gesicht haben musste, das ihn so köstlich reizte. Sie wollte ihm ihr Gesicht zeigen, drehte sich um und stürzte ihn aus dem Sattel. Sie lachte kurz, als er hektisch versuchte, seinen Griff zu verstärken.

„Denk nicht an ihn“, hörte sie seine raue Stimme, die Stimme eines Betrunkenen.

„Wunderbar“, flüsterte sie, den Kopf in der Dunkelheit verloren, spürte den Pelz kitzelnd an ihrer Wange. Endlich war Thomas der Mann, der er sein sollte.

„Es geht nichts über Eifersucht“, dachte sie und nahm ihn wieder mit dem Aufstöhnen des Vergnügens an.

Vier Jahre waren seit ihrer Hochzeit vergangen, doch ihre gemeinsame „Initiation“ lag bereits zehn Jahre zurück. Es waren Jahre voller Sex, Angst und Neugier; so konnte sie jetzt ihre Gefühlszustände aus dieser naiven Zeit beschreiben, der Zeit der Ausschweifungen. Es war zuerst Sex der Berührungen, die Begegnung der bekleideten, heißen Oberschenkel eines auf der Bank sitzenden Paares. Des beschleunigten Atmens und der schmerzhaften Anwesenheit des Unterleibes, während des scheinbar unschuldigen Tanzes in einer Diskothek, schließlich der Erfahrung der neugierigen Zunge beim Küssen.

Liv war noch die Olivia aus der vorletzten Stufe des Gymnasiums, als Thomas (er war immer der Thomas) begonnen hatte, sie ins Kino zu begleiten. Die Dunkelheit des Kinosaals war viel aufregender als die Anwesenheit dieser Schatten auf dem weißen Bildschirm. Die Küsse und die beim Einschlafen aufdringliche Neugier, was kommen würde … Was würde demnächst geschehen?

Die gemeinsame Zeit am Strand, plötzliches Erstarren auf dem Sand, selbst das Herauspflücken ihrer Brüste aus dem BH während des Küssens reichten nicht mehr. Eines Abends, bei Abwesenheit ihrer Mutter, standen sie sich nackt gegenüber, wie Modelle in der Kunsthochschule. Sie hatten vereinbart, dass sie sich ohne Kleider zeigen und dass es dabei zu keiner Annäherung kommen würde. Sie wusste eigentlich nicht, warum es nicht dazu kommen sollte, doch sie wusste, dass sie vor Scham sterben würde. Und es kam tatsächlich zu nichts. Sie standen nebeneinander, Thomas zitterte wie ein Rekrut vor dem ärztlichen Auswahlausschuss, sie sah Gänsehaut auf ihren Brüsten und spürte, dass ihr Herz tiefer als sonst pulsierte; schließlich senkte sie ihren Blick und betrachtete lange seine erhobene Männlichkeit; dann berührte sie diese und flüchtete mit einem nervösen Lachen ins Bad. Das war das kindische erste Mal.

Sie verloren sich aus den Augen. Er begann ein Studium in Berlin und eines Tages begegneten sie sich zufällig auf der Straße. Er – ein vielversprechender Schriftsteller, sie eine Praktikantin. Ein überraschendes Gemeinsamkeitsgefühl. Vielleicht verlangte das nicht Abgeschlossene nach Fortsetzung, und sie trafen sich öfter.

Sie war in dieser Beziehung die Bestimmende. Sie verfügte, wo und wann sie sich verabredeten. Bei einem Treffen im Park Friedrichshain setzte sie sich auf seine Knie und überraschte ihn mit einem leidenschaftlichen, tiefen Kuss. Sie lachte und mit überraschendem Kennerattest sagte sie: „Du küsst so ungeschickt.“ Bald sollte sich zeigen, dass sie die Erfahrenere war. Als sie endlich bei ihm zu Hause war, erfuhr er von ihr, dass es ihr erstes Mal sein würde. Sie erzählte ihm nichts über die Ängste und die Alpträume, die ihr ihre Großmutter, die sie großgezogen hatte, eingeimpft hatte. Sie gab nicht zu, dass er vielleicht deshalb der Auserwählte war, weil sie schon einmal dieses schreckliche Ding berührt hatte. Dafür gab es im Pyjama ihrer Großmutter diesen Schlitz, damit der göttliche Akt der Befruchtung ohne überflüssige Berührung der Körper stattfinden konnte. Jaja, dieses Mädchen, das beim Rock’n’Roll den Jungen beim Tanzen mit beiden Beinen umklammerte, war eine Jungfrau.

Der Alptraum dieser Begegnung zog sich lang in die Nacht hinein.

„Es wird nichts daraus“, sagte sie scheinbar gleichmütig nach zwei Stunden der vergeblichen Mühe und zog sich wieder an.

„Wie soll es auch, wenn du ständig zurückweichst?“, beklagte er sich hilflos. Ihre Schreie – „Nein!“ –, das Gezerre, ihre Rückzüge, als er sie gerade erreichen sollte. Ein Alptraum, das männliche Verzweifeln und Erlahmen …

Davon wurde sie schnell von einem bekannten, zwei Meter großen Basketballspieler geheilt.

„Was nein?“, fragte er, als sie leise quiekte, sich unter ihm beruhigte und die Befreiung vom jungfräulichen Komplex genoss. Er hielt sie fest am Nacken und bewegte sich hartnäckig, ohne auf ihr leises Miauen und ihre Bitten Rücksicht zu nehmen. Das, was dieser Junge mit ihr in einer schrecklich sachlichen und herrlich brutalen Weise tat, war genau das, was sie brauchte.

Wie konnte man erklären, dass sie, als sie Thomas erneut begegnete, einen gemeinsamen Ausflug nach Potsdam vorschlug? Dass es nun mit Thomas ernst wurde? Vielleicht, um den gemeinen Basketballer, der sie wie ein Gänserich sein langhalsiges Weibchen am Nacken festhielt, zu demütigen und ihn endgültig aus ihrem Leben zu vertreiben.

Der erste, demütigende, grausame Abend in Potsdam, wo sie ihm erzählt, dass sie schon zur Frau geworden ist. Ganz präzise, mit allen Einzelheiten wie. Bis er sie wütend und ermüdet vom langen begehrlichen Warten aufs Bett wirft und ihre Unterwäsche zerreißt. Jedes Mal, wenn sie erregt ist und es nicht geht, sieht sie diese Szene immer wieder vor ihren inneren Augen.

Wie kann es sein, dass sie bestimmen und sich gleichzeitig übermannen lassen will? Eines davon reicht ihr nicht. Der Basketballer wird aus ihrem Gedächtnis ausradiert und Thomas kommt zurück, wie er eigentlich ist. Er wird sanft, voller Komplexe – und langweilig. Wie dieser eheliche Sex nach der Dusche an den ungeraden Tagen. Thomas ist systematisch in jedem Aspekt des Lebens, so wie das Leben eben ist. Und so wie im Leben, kommt es zu dieser Party im neuen Haus von Gerry.

Drei Tage später ist sie wieder dort.

„Einem Mann seine Telefonnummer zu geben, ist wie den Schlüpfer auszuziehen“, sagte er nach einer weiteren Liebesannäherung, als sie ihn fragte, warum er sich so sicher war.

„Du kanntest doch Thomas’ Telefonnummer.“

„Deshalb eben habe ich dich um deine Nummer gebeten. Damit ich sicher sein konnte.“

Er war so zauberhaft ungehobelt. Eindeutig schubste er den Otto vom Sofa hinunter.

„Wir wurden an dieser Stelle unterbrochen“, erinnerte er sie und setzte sich auf den Sessel, nahm ihre Hand und zog sie zu sich, bis sie sich auf seine Knie niederließ. Er griff sie am Nacken und obwohl sie wusste, weshalb sie hierhergekommen war, war sie sich sicher, dass sie das Richtige tat und dass es so sein musste.

Sie erwartete überhaupt nicht, dass ihr Abenteuer sich in eine dauerhafte Romanze verwandeln würde. Dass das, was eine wunderbare Überraschung war, zu einem aufregenden Ritual wurde. Dass das erste Treffen „nur mit Ohrringen“ zu einer Tradition werden würde.

„Ich will dich nur mit Ohrringen sehen“, bat er am Telefon und sie schaute die Tür von Thomas’ Arbeitszimmer an, als sie die Uhrzeit vereinbarte. Ihr Ehemann arbeitete gerade an einem Drehbuch zur nächsten Folge des Fernsehkrimis. Er war nicht nur begabt, sondern auch enorm fleißig.

„Du kannst dir nicht vorstellen, was für benediktinische Arbeit notwendig ist, um ein perfektes Verbrechen auszutüfteln, doch ich kann es.“

Sie küsste ihn auf die Stirn. „Ja, du kannst es.“

Sie war loyal.

„Thomas soll damit nichts zu tun haben“, unterstrich sie immer dem Liebhaber. Sie lehnte es ab, zusammen mit ihm ins Theater zu gehen. Sie wollte Thomas nicht blamieren. Keine öffentlichen Auftritte, keine Partys. Nicht mal ins Kino waren sie gegangen, damit sie keiner sah. Doch es gab keine Langeweile. Niemals. Nicht mal einen Augenblick. Es dauerte den ganzen Winter, Frühling, Sommer …

„Mein Gott, ich ziehe mich immer mittags aus“, stöhnte sie einmal. Die Abende verbrachte sie zu Hause.

Sie war wütend. Ihre Schneiderin hatte ihren Hosenanzug versaut, dazu hatte sie noch zu wenig Zeit. Das erste Mal trennten sie sich, ohne es zu tun.

Er soll nicht denken, ich sei sein Eigentum, dachte sie, als er sie am nächsten Tag anrief. „Ich bin nicht zu Hause“, sagte sie rüde und beendete das Gespräch.

Eine halbe Stunde später stand er vor der Tür.

„Ich komme nicht zu dir, ich komme zu Thomas“, sagte er und schob sie auf die Seite, weil sie wie eine Salzsäule im Wege stand.

„Du weißt, dass er nicht da ist.“

„Deshalb komme ich zu ihm. Ich werde warten.“

„Wahrhaftig eigenartige Sitten“, neckte sie ihn über seine neureichen Brauchtümer, kombinatorischen Geschäfte und Börsenspekulationen. Er blieb unbeeindruckt. Ohne Vertraulichkeiten zu versuchen, machte er es sich in einem Sessel bequem.

„Ich denke, dass man dem Freund des Ehemannes ein Glas Whiskey aus Höflichkeit anbieten darf“, suggerierte er.

„Ich muss leider gehen.“

„Macht nichts. Du kannst mich einschließen, ich werde nichts mitnehmen. Ich habe wirklich etwas mit Thomas zu besprechen.“

Sie verspürte eine unbestimmte Besorgnis. Als sie vor Kurzem über ihre Befürchtung gesprochen hatte: „Thomas könnte etwas ahnen“, sagte er gelassen: „Wir beide haben Waffen, wir beide wollen dich haben, wir gehen in den Wald und klären die Angelegenheit.“

„Ein Höhlenmensch …!“

„In diesen Angelegenheiten sind wir alle Höhlenmenschen“, lachte er und zeigte ihr das abgedunkelte Zimmer mit zugezogenen Vorhängen. Dunkel wie in einer Höhle.

„Was hast du mit Thomas zu besprechen?“, fragte sie, gedemütigt durch ihre Angst und Neugier. Er hatte vor einigen Tagen gesagt, sie solle sich scheiden lassen. Was konnte er schon wissen, was sie mit Thomas verband?

„Mit dir habe ich immer dasselbe.“ Er stand nahe bei ihr und sie hatte keine Kraft mehr, zu widerstehen. Sie waren schon mehrere Tage nicht zusammen gewesen.

„Es geht nicht“, flüsterte sie, als sie wieder sprechen konnte. Mit einem Kuss brachte er sie zum Schweigen.

„Er kann wirklich jederzeit zurückkommen“, schaffte sie noch zu sagen, während er sie zum Fenster führte.

„Du wirst sehen, wenn er zurückkommt“, wisperte er, während er ihre Dessous hinunterschob. Auf die Ellenbogen gestützt, stöhnend, empfing sie seine zornigen, mächtigen Stöße. Die Erfüllung kam schnell, sie vereinte die beiden wie immer in derselben Sekunde.

„Es war abstoßend“, beklagte sie ohne Überzeugung, während sie ihren Slip heraufzog.

„Ich will es wirklich nicht. Ich wollte es nicht“, verbesserte sie sich. „Du hast mich vergewaltigt.“

„Gibst du mir endlich den Whiskey“, er versuchte seinen Atem zu beruhigen, immer noch unverschämt.

„Vergewaltigt?“, fragte er dann mit einem Glas in der Hand. „Tu nicht so als ob. Übrigens eine Frau ist auf eine Vergewaltigung angewiesen. Sie findet bei ihr eine physiologische Genehmigung. Ich könnte es nicht tun, wenn du nicht vorbereitet wärst. Ärgere dich nicht, sonst wiederholen wir es gleich.“

„Thomas“, flüsterte sie ratlos, denn sie wusste, sie würde tun, was er wollte.

„Nun gut, doch du kommst morgen …“

„Um zwei“, antwortete sie und spürte diese köstliche Unruhe des Unterleibs.

Gerry wartete artig auf Thomas.

„Hey, mein Alter, ich habe eine wunderbare Nachricht“, begrüßte er ihn in der Tür. „Wir gehen zusammen auf Hirschjagd.“

***

Sie hatte sich überreden lassen. Natürlich von Gerry. Der Wald, die fantastische Jagdhütte. Wir werden zusammen sein.

„Wir? Und Thomas?“

„Was soll’s, in Berlin gibt’s ihn ebenfalls“, sagte er lässig.

Und so kamen sie zusammen. Die Jagdhütte war wirklich ausgezeichnet. Unten ein großes Jägerzimmer. Hirschgeweihe, Leder, vier Sofas. Sie hatte sich nicht von Gerry überreden lassen und bezog zusammen mit Thomas ein kleines Zimmer im Dachgeschoss. Schließlich sollten auch die beiden Korbachs bald kommen.

Sie war sich nicht sicher, ob es nur an Gerry lag, dass ihr das Ganze angefangen hatte zu gefallen. Der Wald, der glücklicherweise die ganze Zeit in der Septembersonne ruhte. Diese Männer, die unermüdlich hinter dem liebestollen Hirsch her waren. Sie hörte abends sein Gebrüll und empfand eine nicht näher definierte Erregung. Gerry war ständig bei ihr, doch sie war immer noch für ihn unerreichbar. Dieses tolle Gefühl eines Weibchens, das das Aufbrausen des Männchenblutes verspürte. Thomas, obwohl er eigentlich nichts ahnte, war eifersüchtig. Jeden Abend, nach den erschöpfenden Versuchen, den Hirsch aufzuspüren, beschäftigte er sich mit ihr in einer Weise, die sie aus den ersten Flitterwochen in Erinnerung hatte. Und Gerry, der ahnte, was im Zimmer da oben vor sich ging … Eines Tages flüsterte er, er höre dort unten alles, was da oben geschähe.

„Wie du deine Schlappen abwirfst. Gestern nur einen.“ Er drückte ihre Hand bis an die Schmerzgrenze.

„Thomas war so leidenschaftlich.“

Sie liebte diese Rache an ihrem Liebhaber. Sie rettete die Würde ihres Mannes, indem sie den Liebhaber auf die Folter spannte. Und sie blieb ebenfalls nicht von den Wellen der Regsamkeit verschont. Als sie neben ihm auf einem Sessel vor der Hütte saß und sah, wie der Gänserich nah an ihren Füßen sich mit seiner Partnerin beschäftigte und fest ihren Hals mit dem Schnabel hielt … Gerry, der zu ihren Füßen saß, drückte ihren Knöchel, so dass er schmerzte. Sie riss ihren Fuß weg.

„Thomas!“ Doch sie fühlte eine Schwäche, die es ihr unmöglich machte, aus dem Sessel aufzustehen.

Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Sie hatten mit der Jagd bisher keinen Erfolg gehabt. Am vierten Tag ließ sich Thomas überreden und begab sich auf den Beobachtungsturm. Im Grunde verachtete er diese Art des Jagens, wo der Jäger hoch über den Bäumen auf die wehrlose Tiere lauerte, die keine Chance hatten, ihn durch sehen oder durch riechen zu entdecken. Diesmal hatte er sich ausnahmsweise durch den Förster zu einer ihn bisher unbekannte Stelle bringen lassen. Liv wusste genau, was er wollte. Er wollte, durch das Erlegen eines Bullen als Erster, Gerry besiegen. Sie hatten vereinbart, dass Liv in den Wald gehen würde, um Pilze zu sammeln. Es blieb nur das Problem, mit wem Taxi gehen würde. Thomas befürchtete, dass die Hündin sich im Wald verlieren könnte. Liv wollte nicht mit ihr an der Leine, wie eine Dame in der Fußgängerzone, durch den Wald marschieren. Schließlich hatten sie beschlossen, dass Taxi mit Thomas auf dem Turm bleiben sollte.

Gerry wartete schon auf sie in seinem Auto in der Nähe der Hütte. Sie hatte zugestimmt, dass sie zusammen „nur“ auf die Suche gehen würden. Sie konnte sich nicht erklären, warum gerade hier ihre Untreue für Thomas doppelt so demütigend sein sollte. So dachte sie, in dieser Weise seine Würde zu bewahren.

Doch all das fiel in sich zusammen, als ihr Liebhaber endlich seinen erträumten Bullen schoss. Gerade in ihrer Gegenwart. Als er in der Nähe die raue Stimme des Tieres hörte, griff er ihren Arm bis er schmerzte und flüsterte: „Keinen Schritt weiter. Bleib hier stehen. Hier werde ich dich finden“, und verschwand.

Plötzlich merkte sie, dass der Wald furchterregend war. Selbst am Tage war es dunkel. Auch bei Windstille raschelte immer etwas zwischen den Zweigen.

Sie setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und starrte in die Richtung, in die Gerry verschwunden war, sehnsüchtig mit der ganzen Weiberangst. Dann dieser schreckliche Schuss und die noch schrecklichere Stille, minutenlang. Was war geschehen? Plötzlich überfiel sie eine idiotische Vorahnung – Thomas hatte ihn erschossen! Sie verstand es, es war absurd, doch das Absurde hörte nicht auf, furchterregend zu sein. Sie wollte nach Gerry rufen, doch sie ahnte, ihre eigene Stimme wäre noch finsterer als die finstere Stille. Endlich das Geräusch eines knackenden Zweiges, so nah, dass es sich wie ein Schuss anhörte. Gerry erschien. Ohne Waffe, mit den von getrocknetem Blut roten, widerlichen Händen.

„Komm, ich habe ihn -“

„Ich will es nicht sehen“, grölte sie, jetzt schon selbstsicher genug, um beleidigt zu sein und Rache für ihre Angst zu nehmen. Und auch dafür, dass ein Vieh für ihn wichtiger war als sie.

„Aber wir müssen zurück. Ich habe mich so beeilt, zu dir zu kommen, dass ich mein Jagdgewehr dort gelassen habe.“ Er war so glücklich, dass er ihre Aufregung nicht bemerkte.

Die Größe des erlegten Tieres. Demütigung der königlichen Krone des Geweihs. Doch es war sein Werk, das Werk ihres Liebhabers. Das Gewehr, das am Baum angelehnt gewesen war, hatte er vergessen. Als sie sich hinunterbeugte und das Geweih berührte, spürte sie, dass er sich ihr genähert hatte. Sie erlebte eine merkwürdige Mischung aus Begierde und Abscheu. Sie knieten auf dem Gras. Er küsste sie tief. Er war schon über ihr, schon in ihr. Das Kleid schob er hoch über die Brüste. Diese blutgetränkte Hand. Er nahm sie leidenschaftlich wie nie zuvor, gewaltig und unbesiegbar.

Zurück kamen sie wie vereinbart. Zuerst Liv, die er einen halben Kilometer vor der Hütte aussteigen ließ, eine halbe Stunde später Gerry.

Thomas war bereits da. Aufgebracht, als hätte er einen Löwen erlegt, berichtete er, dass er eine „fantastische Begegnung“ gehabt hatte.

„Ich saß auf dem Beobachtungsturm – ihr wisst, ich mag das nicht, doch hatte ich mich vom Förster überreden lassen“, – ja, du magst das nicht, aber du wolltest um jeden Preis besser sein als Gerry — „also dort oben mit Taxi am Bein und in tiefen Gedanken versenkt, wurde ich vom leisen Knurren der Hündin geweckt. Nicht weit vom Turm erschien ein Hirsch. Noch bevor ich mein Gewehr greifen konnte, bewegte er sich in unsere Richtung. In diesem Moment, als ich anfing zu zielen, erhob er sein Haupt und begann an einem Zweig zu knabbern. Durch das Fernglas des Gewehres sah ich sein Auge und seine Wimpern. Versteht ihr, seine Wimpern, jedes einzelne Haar. Ich konnte nicht schießen. Taxi hätte das nicht ausgehalten. Als sie bellte, dachte ich, der Wald fällt in sich zusammen, so wie der Bulle begann zu galoppieren“, erzählte er wie im Fieber.

Sie dachte: Dieser Versager! Taxi hat gebellt und er schaffte es nicht, sein Gewehr herauszuholen und diese Erzählung über seine Gnade ist nur eine Ausrede. In Wirklichkeit sind die alle gnadenlos.

Sie sorgte sich um sich selbst – zu stark beherrschte Gerry ihre Gedanken. Die Umstände zwangen sie dazu, etwas mehr Distanz zu bewahren. Rechtsanwalt Korbach war mit seinem Sohn Edward gekommen und das, was ihr gehörnter Ehemann nicht sah, konnte dem ewigen, platonischen Verehrer nicht verborgen bleiben. Edward hatte sich gar nicht bemüht, sein Interesse an ihr zu verbergen. Direkt danach, als er aus dem Wagen ausgestiegen war und alle Anwesenden begrüßte, sagte er feierlich: „Meine Damen und Herren. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass Liv und ich Kinder erwarten.“

Er öffnete den Kofferraum des Wagens, aus dem ein prächtiger junger, goldener Cockerspaniel heraussprang.

„Ajax, bei Fuß. Ein schöner, antiker Name. Beste Referenzen. Nur zwei Jahre und schon die erste Goldmedaille auf einer erstklassigen Ausstellung.“

„Taxi, komm hierher. Es ist Zeit, deinen Bräutigam kennenzulernen“, kaufte Liv den Scherz. Sie sah Gerrys wütenden Blick, als er Edward ansah.

Fantastisch, er soll auch leiden.

Gerry hatte eine Vorahnung. Er begann über Jäger, die mit Haushunden zur Jagd gehen, zu scherzen. Seinen Otto hatte er zu Hause gelassen, obwohl er ein guter Jagdhund war.

Es war eine gute Zeit für Liv. Sie genoss die ruhige Anbetung des Ehemannes, das begehrliche Gezappel des Liebhabers und die ständige Bereitschaft dieses Dritten. Sie blühte in ihrem weiblichen Wohlstand auf.

Gerry war der Wichtigste, doch das Schönste war, er durfte das nicht erfahren, sie durfte es ihm nicht zeigen. Und es war gut so. Es tat gut, einem Mann, der über eine angeborene Hochmut und Selbstsicherheit verfügte, in Unsicherheit zu halten. Nur Thomas war frei davon. Gerade jetzt lebte er als der offiziell Herrschende im Kreis der Prätendenten auf. Ihn hatte sie verschont. Gerry dagegen wurde von ihr in Sachen Eifersucht trainiert. Es reichte aus, dass sie nach dem Abendessen schnell aufstand, ihren Ehemann an die Hand fasste und mit ihm nach oben ging. Sie wusste, was mit den anderen geschehen würde. Gerry war beherrscht, Edward dagegen - frustriert. Und sie? Sie war im Prinzip ihrem Mann treu. Die Episode bei dem erschossenen Hirschbullen? Es war eigentlich ohne ihre Zustimmung passiert. Edward? Mühte er sich nicht seit einem Jahr ohne Erfolg? Thomas sollte auf sie stolz sein, so wie auch sie auf sich stolz war.

Und Thomas war auch stolz. Er war in Balance, nachsichtig, Herr im Hause. Gewichtiger. Nicht nur für seine Kumpel. Seine literarischen Minderwertigkeitsgefühle hatte er abgeworfen. Einmal bei Regen, als die Jagd nicht möglich war, begann er zu lesen. Noch einmal las er Das kurze und glückliche Leben des Francis Macomber von Ernest Hemingway. Dort befreit sich ein Mann in einem mutigen Akt von einem attackierenden Tier und von der Dominanz seiner Frau – und wird von ihr sofort erschossen.

Thomas schloss das Buch und sagte, als hätte er eine Story eines minderbegabten Kollegen durchgeblättert: „Na ja, der alte Ernest hatte nicht immer die besten Ideen. Ich muss dir sagen, ich hätte diese Situation anders gelöst.“

„Und wie?“, fragte sie zögerlich, beschäftigt mit eigenen Gedanken. Sie war glücklich. Wer wusste schon, ob ihr Mann nicht vielleicht besser als so ein Hemingway war. Eigentlich stünde ihr so ein Mann zu. Sie war doch rein und treu. Sie hatte sich nicht ihr Bildnis in den Augen der begeisterten Männer angeschaut. Genauso wenig hatte sie ihre Entzückung künstlich angefeuert.

Nach dem regnerischen Tag hatte sich das Wetter verbessert. Es war sogar wärmer als sonst zu dieser Jahreszeit. Sie hatten sich alle entschlossen, ein einstündiges Sonnenbad am Ufer des Waldsees zu nehmen. Man konnte von ihr nicht verlangen, dass sie es in einem Kleid tat. Dank ihrer Intuition hatte sie, Mitte September, einen Bikini mitgebracht. Und das er so war wie er war? Nicht sie selbst, sondern die aktuelle Mode hatte ihn so ausgeschnitten, dass die Beine bis zur Hüfte und die beiden Gesäßhälften enthüllt waren. Es wirkte auf sie belustigend, als sie sah, dass Gerry die ganze Zeit seinen Rücken bräunte und seine Vorderseite im Sand versteckte, um nicht zu zeigen, wie sehr er von ihrer Erscheinung beeindruckt war. Und dass der junge Korbach, trotz der herbstlichen Kälte, immer wieder ins Wasser sprang. Nur ihr Herr, gesättigt und befriedigt, streifte am Ufer des Sees herum und überlegte die abendliche Jagdstrategie. Gerrys Erfolg ätzte zweifelsohne seinen Jägerehrgeiz. Edward gab als Erster nach. Er zog sich an und stieg in seinen Mercedes. Und dann geschah etwas, das ihre Romanze beinahe überraschend beendet hätte.

Thomas marschierte am Ufer entlang und suchte nach den Spuren von durstigen Hirschen. Gerry drehte sich endlich um und legte sich auf den Rücken. Vielleicht war es ihr Fehler, dass sie auf gewisse körperliche Erscheinungen bei ihm mit einem Lächeln reagierte, denn er legte einen Arm um sie und mit dem anderen streichelte er ihre Oberschenkel.

„Thomas könnte etwas merken“, versuchte sie sich verärgert wegzureißen, doch er fixierte sie an der Stelle durch einen starken Griff am Nacken. Das wirkte auf sie immer stimulierend. Ein tiefer Kuss hielt sie fest.

„Lass es“, bat sie ihn und schob ihre Beine etwas auseinander. Als sie sich überstreckte, um nach Thomas Ausschau zu halten, spürte sie, dass seine Finger in sie eindrangen. Es dauerte eine Weile, bis er seine Finger wieder zurückzog, was bei ihr einen Krampf auslöste. Sie hyperventilierte noch vor Vergnügen, als sie dem Liebhaber androhte, dass nie wieder … Seine Hände machten sie wehrlos, wie der Wind das Schilf. Sie reagierte zwar lebhaft, sinnlich und instinktiv, doch nach der Vollziehung fand eine moralische Gegenreaktion statt. So erfuhr er, dass sie von ihm die Nase voll hatte, dass sie es nicht zuließe, wie ein Gegenstand behandelt zu werden und ihren Mann dadurch zu beleidigen.

Er lachte, nicht ahnend, dass ihre Beziehung sich einer gefährlichen Kurve näherte.

Thomas kam zurück. Glücklich, männlich, sicher, dass er auf ihrer „Playlist“ die Nummer eins war.

„Du liegst hier in der Sonne und ich habe die Paarungsstätte ganz in der Nähe gefunden“, sagte er triumphierend. Gerry lachte laut und Liv bedachte ihn mit einem strafenden Blick.

Jetzt ging alles kaputt. Diese Jagd. Diese auf den Hof der Hütte gelieferten Kadaver von Hirschkühen. Thomas verfolgte vergebens einen Hirschbullen. Der alte Korbach mit einer Trophäe und Edward, enttäuscht, dass Liv nicht ein einziges Mal mit ihm in den Wald gehen wollte, packten ihre Sachen zusammen und verließen die Hütte.

Gerry, der stets vergebens versuchte, sie zu einem gemeinsamen „Spaziergang“ zu überreden, wechselte anschließend seine Taktik und hörte damit auf. Eines Abends, als sie oben in ihr Zimmer, in dem sie zusammen mit Thomas schlief, kam, schrie sie vor Schreck. Auf der Wand über ihrem Bett hing ein blutgetränkter Hundeschwanz. Sie lief schreiend die Treppe hinunter. Der Förster, der sie zu beruhigen versuchte, erzählte, dass Herr Gerry endlich einen schon lange gesuchten, großen, wildgewordenen Hund erschossen hatte.

„Für ihn ist das wohl eine Trophäe“, verteidigte er dessen „Dekoration“. Doch sie interpretierte es anders. Nämlich, dass ihr „witziger“ Liebhaber auf diese Art ihren Ehemann – seinen Feind – symbolisch kastrierte.

Am nächsten Tag verließ sie die beiden und fuhr zurück nach Berlin.

Noch in diesem Herbst hatte sie einen Unfall. Als moderne Frau machte sie gerne Sport. Schwimmen, Wasserski – wo sie sich gut präsentieren konnte, und das, was sie am liebsten mochte: Reiten. „Unanständiger Sport“, scherzte sie, um Gerry zu erregen, als sie ihn bei ihren Treffen wie eine Reiterin bestieg. Denn er schaffte es, das verlorene Terrain wieder zu erobern.

Es geschah vor einem Pferderennen im November. Beim Aufsteigen des Pferdes wurde sie von diesem schmerzhaft an die Boxenwand gepresst. Danach fühlte sie sich schlecht, vermutete einen Rippenbruch, verzichtete auf die Teilnahme am Wettbewerb und ließ sich von Thomas ins Auto stecken.

Der, wie immer in solchen Fällen, furchtbar aufgeregt, fuhr sie in eine Klinik. Sie musste ihm den Weg sagen, musste diktieren, wann er den Blinker betätigen sollte und vor der Glätte warnen.

„Pass doch auf, sonst verursachst du noch einen viel ernsteren Unfall!“, schimpfte sie, als er bei roter Ampel eine Kreuzung überfuhr.

Er nahm ihre Kritik schweigend an. Fuhr langsamer weiter, doch nachdem er in die Straße, wo sich die Klinik befand, abgebogen war, drehte er sich zu ihr um und sagte prahlerisch: „Siehst du? Habe keinen verursacht.“

„Was hast du nicht verursacht?“

„Einen Unfall“, antwortete er, doch seine Stimme wurde von dem Krach überlagert, der durch den Zusammenstoß ihres Wagens mit einem abbiegenden Taxi entstand.

Liv, obgleich wütend, begann zu lachen. Ihre Rippen taten weh, doch sie lachte weiter, bis Tränen flossen.

„Jetzt werden wir zu Fuß gehen“, sagte sie.

„Ich nicht“, hörte sie. „Wahrscheinlich ist mein Bein gebrochen!“

Während Thomas zwei Wochen im Krankenhaus lag, machte es sich Gerry bei ihr bequem. Sie war ratlos. Nicht mal der elastische Verband störte ihn. Nur eine Rippe war gebrochen.

Einen Tag bevor Thomas entlassen wurde, hatte er wirklich übertrieben. Sie hatte keinen Verband mehr an. Das reichlich mit Wein begleitete Abendessen hatten sie mit einem erotischen Paukenschlag abgeschlossen. Ausgestreckt und auf die Ellenbogen gestützt, spürte sie, wie er sie füllte und weiter unbewegt hielt. Er legte seine Brust auf ihren Rücken und schob ihr ein Weinglas vor das Gesicht.

So, von ihm gefüllt, nahm sie das Glas und spürte, dass er sein Glas auf ihr Gesäß stellte.

Mit kreisenden Bewegungen schaukelte er sie. Auf einmal flüsterte er: „Ich sehe mich. Ich sehe mich im Glas. Schade, dass Thomas das nicht sehen kann.“

Sie befreite sich von ihm. Sein Glas zersprang am Boden. Den Inhalt des ihrigen schüttete sie auf sein Gesicht.

„Schluss damit! Du bist seiner nicht würdig“, schrie sie, komplett betrunken. „Nie mehr, du wirst sehen, diesmal wirklich nie mehr!“

So wie eine Frau einen Mann belohnen kann, kann sie ihn in derselbe Art und Weise auch bestrafen. Ein zu eingebildeter Liebhaber kann nur in einer Weise mit dem betrogenen Ehemann gleichgestellt werden – durch Untreue. Liv dachte kurz nach. Edward Korbach kam nicht infrage. Zu offensichtlich wären ihre Absichten gewesen. Solch eine Strafe wäre nicht zielführend. Es ging nämlich darum, dass Gerry sehen müsste, dass es jemanden gab, der besser war als er. Es müsste jemand sein, den er nicht kannte.

Eine so schöne und attraktive Frau wie Liv konnte natürlich mit einem glücklichen Zufall rechnen. Die männliche Begierde sorgte dafür, dass die Zufälle haufenweise geschahen.

Ein gutaussehender Jurastudent, der Sohn eines Mannes, der über ihnen wohnte, wurde für diese einmalige Aufgabe auserwählt. Er sollte Gerry, der in seiner Arroganz Liv und Thomas beleidigte, bestrafen. Obwohl eiskalt kalkuliert, erwies sich diese „Initiation“ als viel angenehmer, als erwartet. Doch die eigentliche Befriedigung sollte ihre Beichte vor Gerry werden, die ihn auf die gleiche Ebene wie Thomas degradierte. Auch er war der Betrogene.

Es war eine köstliche Vorstellung. Sie herrschte über die Emotionen eines entwerteten „König des Lebens“. Über seine bis auf die Grenzen des Obszönen reichende eifersüchtige Neugier. Mit großem Genuss beichtete sie und wunderte sich, wie unersättlich seine Neugier war. Er verlangte von ihr Details, die sie selbst bereits vergessen hatte, obwohl die Muskeln ihrer ermüdeten Oberschenkel noch nicht alles vergessen hatten. Eine wunderbare Möglichkeit der Entwürdigung eines erfolgsgewöhnten Machos. Sie hielt ihn in sich ständig erregt und gleichwohl durch wiederholte Anstrengung körperlich entkräftet. Sie sagte ihm einfach: „Du bist schlechter.“

Viel, sehr viel Befriedigung gab ihr dieses neue Abenteuer. Der Student sollte ein einmaliges Ereignis sein, dennoch wurde er zu einem konstanten Element ihrer Landschaft. So viel Charme besaß dieser junge Mann. „Was für ein Körper“, jaulte sie unter Gerry, der nicht mal warten wollte, bis sie sich ausgezogen hatte und sie mit seiner glühenden Eifersucht überfiel. Immer wieder fragte er hastig: „War er bei dir? War er wieder hier?“

Wie könnte er nicht „kommen“. Der Student kam auf die Idee, zu jedem Treffen eine Blume mitzubringen. Zum ersten mit einer, zum zweiten mit zwei …

„Es sind schon zwölf“, zählte sie zuletzt die Blumen im Blumenstrauß.

„Du hast ein größeres Schlafzimmer“, sagte er, als er sich, auf die Elenbogen gestützt, umgesehen hatte. Nackt und schön vor dieser Ermüdung, die einem Mann nach der Liebesanstrengung gut zu Gesicht stand. Zudem nach der vierten.

„Größeres?“

„Größer als unseres.“

Sie lachte nur und zog sich näher zu ihm. Seine Naivität, und glühende Scham, mit der er ihre Zuwendungen annahm, erregten sie.

„Denkst du, es kann ein Zimmer, eine Etage höher, größer sein?“ Sie kam mit ihren Lippen näher.

„Wahrscheinlich täusche ich mich. In deiner Gegenwart wird bei mir alles größer“, jaulte er und drehte sich auf den Rücken.

Zwei Tage später, als die dreizehnte Rose kam, versuchte er, das Zimmer mit Schritten zu bemessen.

„Tatsächlich“, murmelte er und begann sich auszuziehen.

War es ihre Schuld, dass sie so viel vom Leben erwartete? Von Männern? Die Armseligkeit jedes Partners, seine „Begrenztheit“ ermüdete sie. Thomas’ sanfte Nichtigkeit, Gerrys derbe Arroganz. Immer enttäuscht, suchte sie nach einer Alternative bei einem anderen Mann. Am Anfang hatte sie sich ihn ausgedacht. Danach brachte jeder der Männer eine brutale Korrektur dieses einheitlichen Bildes mit. Sie hatte begriffen, dass eine Frau das begehrt, was sie nicht hatte. Und das würde sie suchen, trotz Religion, Kirche, Erziehung, beinahe trotz sich selbst. Sie wollte diese drei Männer eigentlich gar nicht.

„Den ganzen Tag ziehe ich mich nur an und aus“, ätzte sie Gerrys Eifersucht. Nun das hatte sich erst jetzt bewahrheitet. Es geschah, dass der Einmalige zum Opfer ihrer Bereinigung des Lebens wurde, und das bei seinem fünfzehntem Besuch.

„Stiehlst du eigentlich deinem Vater Geld?“, demütigte sie ihn bereits an der Tür. Sie kündigte den Bruch an.

Gerrys geistige Armseligkeit und Thomas’ Flauschigkeit hatten sie angeödet, doch das, was dieser Knabe repräsentierte … Es ging nicht um die blöden Wörter, als er rief, dass er aus dem Fenster spränge! Gleichgültig schaute sie zu, als er begann, auf die Fensterbank zu klettern. Als er genauestens das Fenster überprüfte, damit es sich nicht öffnete und er nicht springen musste. Letztes Mal hatte sie ihn getröstet.

„Es war das letzte Mal“, wiederholte sie und schubste ihn aus der Wohnung.

Sie konnte nicht ahnen, dass er so lästig bleiben würde. Am nächsten Tag besetzte er für eine Stunde ihre Fußmatte. „Kniend“, wie er beschwor. Sie hatte Lust, die Tür zu öffnen, aber nur um den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu überprüfen. Nur deshalb. Ein Mann, der sich „dafür“ erniedrigte, existierte für sie nicht. Sie hatte die Tür nicht geöffnet.

Eines Spätnachmittags, gerade hatte sie die Lichter eingeschaltet und korrigierte das Manuskript des neuen Drehbuchs ihres Mannes.

Er, gebeugt über den Schreibtisch, erarbeitete Details seiner neuen Krimiserie. Sie bewunderte seine Vorstellungskraft an der Grenze des Wissens.

„Du könntest der begabteste Untersuchungsrichter der Welt werden“, lobte sie ihn und erschrak zugleich. Ist es möglich, dass er immer noch nichts ahnt? In meinem Fall geht es nicht um eine kriminelle Handlung, beruhigte sie ihr Gewissen. Thomas’ Spezialität war das Verbrechen, die Untreue war da was anderes.

Als sie darüber sinnierte, klingelte die Hausschelle.

„Wer ist da?“, fragte sie, und aufgeregt berührte sie instinktiv die Klinke, denn sie dachte, die Stimme des jugendlichen Liebhabers zu hören.

„Hausverwaltung“, hörte sie verblüfft. „Bitte öffnen.“

Sie tat es und sah erstaunt den Partner der vergangenen Liebesspiele in Begleitung von zwei Herren mit Aktentaschen.

„Wer ist das?“, fragte Thomas und begann, den Stuhl vom Schreibtisch zu schieben.

Sie zögerte einen Moment.

„Die Baukommission“, rief einer der Herren. Er zog gleich seinen Mantel aus, während der andere die duftende Hand der Hausherrin küsste.

„Hier entlang“, ihr Liebhaber führte wie der Hausherr beide Männer durch die Wohnung bis zum Schlafzimmer.

Thomas stand schweigend am Schreibtisch.

„Bitte, vielleicht schieben wir das Bett etwas an die Seite“, schlug der Junge vor.

Liv stand mit zugeschnürter Kehle und weit geöffneten Augen da und sah zu, wie der superfreche junge Bengel den Altar der gemeinsamen Höhepunkte von der Wand schob. Ein Herr von der Administration zog ein metallisches Maßband aus der Tasche.

„Sehen Sie? Ein Meter zwanzig Differenz“, triumphierte der Junge.

Erst jetzt wandte er sich mit einer Erklärung zum verwirrten Thomas um.

„Wissen Sie, bei uns in der Wohnung eine Etage höher ist das Schlafzimmer einen Meter kürzer als hier“, begann er seine geistreiche Ausführung. Liv hielt den Atem an und wartete darauf, wann Thomas fragen würde, woher er so genau die Größe dieses Schlafzimmers kannte. Thomas schwieg beharrlich. Sie entschloss sich, der Frage mit einer Vermutung zuvorzukommen.

„Und Sie haben einfach beschlossen, eine Etage tiefer zu kommen? Es ist wirklich unverständlich. Einen Meter zwanzig kürzer?“

„Ich bin Architekt“, sagte der charmante Herr stolz. „Mit so etwas wurde ich noch nie zuvor konfrontiert. Das sind ja tragende Wände.“

Ihre Anspannung ließ nach.

„Mein Gott, wie faszinierend. Einfach unglaublich.“

„Ich lade Sie in mein Schlafzimmer ein“, grölte der junge Bengel, der diese peinliche Vorstellung absichtlich arrangiert hatte. Thomas, wie ein Idiot, beschloss enthusiastisch, mitzugehen und bestieg die Treppe nach oben.

„Ich habe meinen Schal vergessen“, hörte sie die Stimme ihres Liebhabers, der plötzlich blass und hyperventilierend vor ihr stand.

„Wage es nicht zu denken“, begann er kläglich und zugleich brach seine Stimme. „Sorry, ich weiß nicht, was ich tue, du kannst mich nicht so lassen“, jaulte er. „Ich komme morgen wieder“, sagte er plötzlich bestimmend. Liv hörte, dass die anderen stehenblieben.

„Soll ich Ihnen bei der Suche helfen?“, fragte der unsichtbare Thomas. „Morgen bin ich aber nicht da.“

„Ich komme übermorgen nach zwölf“, flüsterte der Junge und schob seine feuchten Lippen über ihre Wange.

Und er kam. Sie wusste, dass sie ihn, um einen Skandal zu vermeiden, verabschieden musste. Sie landeten im Bett.

„Weißt du, was ich gefühlt habe, als ich vor den Augen deines Mannes das Bett verschob?“ Auf ihre Frage, wie er es wagen konnte, das ganze Theater mit der Baukommission zu arrangieren, antwortete er nüchtern: „Es ist doch wahr, dass das Zimmer kleiner ist. Darüber hatte ich dir zuvor ja erzählt. Übrigens, es hat sich alles aufgeklärt.“

„Was denn?“

„Warum das Zimmer kürzer ist.“

„Ist es das nicht mehr?“

„Nein, in der Wand wurde ein Betonmischer eingemauert. Der Architekt sagte, dass offensichtlich das Baugerüst zu früh abgebaut wurde. Bei der Bauabnahme haben sie den Betonmischer gesehen, den sie nicht mehr runterbringen konnten. Sie hatten keine andere Wahl.“

„Welche Wahl denn?“

„Sage ich ja; das Baugerüst und die Kräne abmontiert, durch das Treppenhaus geht der Mischer nicht durch, also blieb nur eines – zumauern. Jetzt steht er im Zimmer. Meine Mutter beabsichtigt, ihn zu verkleiden, eine Art Eckschrank daraus zu machen.“

Sie setzte sich nackt auf das Bett und lachte, eine Hand auf der noch schmerzenden Rippe. Sie sah wunderbar aus. Sie erblickte Bewunderung in den zunehmend traurigen Augen des jungen Mannes.

„Ich dachte nicht, dass du unsere Trennung so lustig findest“, beklagte er kindisch.

„Ich lache doch nicht wegen uns, sondern über diese Story mit dem Betonmischer.“

Nur Thomas. Nur er hatte sie wirklich verdient. Liv beschloss, mit allen Seitensprüngen Schluss zu machen. Eine „Abschiedsserie“, könnte jemand sarkastisch sagen, doch es war wirklich so.

Gerry wollte es nicht wahrhaben. Sie glauben immer, dass du bereit bist und können sich nicht damit abfinden, wenn sie mit eigenen Augen sehen, dass sie nicht mehr gewollt sind.

Es war nicht ihr Pech. Es war selbstverständlich Thomas’ Pech. Zum Abschied traf sie Gerry in einem Café. Er hatte so gebettelt. Er hatte sie einfach geliebt. Kein Wunder, dass er sich nicht beherrschen konnte. Er weinte in den Hörer, die Stimme verändert. Und sie erlag. Sie könnten sich noch einmal treffen, aber nur im Café. Kein Techtelmechtel.

Jemand sagte einmal, das Schönste an einer Romanze sei ihr Beginn. Das stimmte nicht. Die schönste Freude kam am Ende. Dieses tolle Gefühl der moralischen Ordnung, ethischer Luxusladen, alles war da. Das Bewusstsein der ehelichen Treue. (Na gut, der wiedererlangten Treue.) Das Gefühl der Überlegenheit – erstens DU machst Schluss, zweitens, der Mann fleht dich an, weint beinahe …

Liv hatte schon als Kind ein gutes Herzchen und mit einem guten Gefühl der seelischen Notwendigkeit begann sie zu zögern. Nicht grundsätzlich, die Trennung war eine beschlossene Sache. Aber sollte sie dieses allerletzte Mal nicht nachgeben? Er beschwor sie so. Und sie stieg in sein Auto ein.

Ja, das war Thomas’ Pech und nur sein Pech, das als sie in eine kleine Seitenstraße abbogen, Thomas’ Auto erschien. Beide Autos standen Stoßstange an Stoßstange. Dieses Bein von Thomas! Immer noch konnte er nicht richtig mit ihm bremsen. Liv rutschte instinktiv vom Sitz runter und ihr Mann bemerkte nur Gerry.

„Ich habe ein Geschenk für dich. Komme gerade vom Präparator zurück.“

Thomas öffnete den Kofferraum und holte das Geweih des Hirsches hervor, neben dem sie sich geliebt hatten. Er hielt es mit beiden Händen hoch und schritt Richtung Gerrys Auto. Noch ein Schritt und er würde Liv bemerken.

„Ein schöner Zufall“, sagte Gerry entspannt. „Ich habe sie getroffen, sie wollte zurück nach Hause und ich musste noch zurückfahren, um Papiere zu holen. Es ist wirklich nicht schön, solch einer hübschen Frau den Wagen zu nehmen, dass sie zu Fuß laufen muss. Wenn es so ist, fahren Sie mit Ihrem Mann zurück“, er verbeugte sich charmant.

Thomas sah blas aus, war aber beherrscht. Er reichte dem Kollegen das Geweih. Gerry griff nach der Brieftasche.

„Nein, nein, wir rechnen später ab“, sagte er mit rauer, dunkler Stimme.

So viele Male musste sie sich später an diese schrecklichen Worte erinnern.

Letztendlich sagte Gerry die Wahrheit. Er sollte sie danach nach Hause bringen. Ein für alle Mal. Und Thomas … Er brachte sie vor das Haus, ohne ein Wort zu verlieren. Er kam sehr viel später zurück.

„Ich habe schon zu Abend gegessen.“ Kein einziges Wort über das Geschehene. Sie hatte zwar gesagt, sie verbringe den ganzen Vormittag bei ihrer Mutter und die wohnte in einem ganz anderen Stadtteil, nur es konnte ja inzwischen so viel passieren. Sie konnte sich immer auf ihre zuverlässige Fähigkeit zu lügen verlassen, aber wie konnte man lügen, wenn er keine Fragen stellte? Und es geschah, was geschehen sollte. Thomas schlief in seinem Arbeitszimmer und am nächsten Morgen verkündete er plötzlich, er fahre zur Jagd. Sie war alarmiert. Sie begann ihn zu bitten: „Dein noch nicht geheiltes Bein!“ Mit wem fuhr er?

„Ich bin eingeladen, du kennst die Leute nicht“, hatte er gelogen.

Als er sagte, er hätte keinen Appetit und würde nicht frühstücken, geriet sie in Panik. Sie hatte sich immer so um ihn gekümmert, dass es ihn nicht wundern sollte, dass sie eine Thermoskanne vorbereitete, um sie danach mit ungesüßtem Tee geöffnet stehen zu lassen. Sie erschien vor ihm in ihrer kurzen Pelzjacke: „Ich fahre Benzin tanken, du könntest dich erkälten.“ Apathisch war er damit einverstanden. Sie überlegte sogar, das Auto in eine Werkstatt zu bringen und eine Panne vorzutäuschen. Doch schließlich beschloss sie, ihn fahren zu lassen. Es war besser, dass er fuhr, dort würde er sicher erkennen, wie absurd sein Verdacht war. In diesem Moment war sie eine wahrhaftig treue Ehefrau. Sie betankte den Wagen und notierte pedantisch den Zählerstand. In Panik fuhr sie durch die Stadt, verließ die Kreuzungen bei Gelb und einmal sogar bei Rot. Dieser Wahnsinnige wartete schon mit einem Rucksack am Fuß und seinem Gewehr an der Wand vor dem Haus. Wortlos warf er den Rucksack in den Kofferraum. Sie hatte ihn umarmt.

„Komm morgen, ich warte auf dich“, versprach sie mit einem feuchten Kuss. Die Tür schloss.

Er sollte als Mörder zurückkommen.

Das hatte es noch nie gegeben. Gerry hatte in seinem, reichlich mit Frauen gefüllten Leben, noch nie so eine Situation erlebt. Er konnte die Trennung mit Liv nicht verkraften. Nachdem, was er von ihr gehört hatte, konnte er sich nicht mehr weiter und noch mehr erniedrigen. Er konnte sie jederzeit anrufen und tat es so oft wie möglich, um ihre Stimme zu hören. Egal, ob sie ihn verhöhnte, belächelte oder ablehnte, mindestens ihre Stimme …

Zwei Tage nach der „finalen Lösung“ nahm Gerry seine Flinte und den Hund und verreiste in den Wald. Niemand wurde benachrichtigt.

Dieser höllische Urinstinkt, den naive Menschen Liebe nennen, war im Grunde genommen genauso primitiv, böse und leidbringend wie der archaische Jagdtrieb. Blut, Tod und betäubte Befriedigung.

Die Wanderung durch bereits verschneite Waldwege gab ihm die Gelegenheit zu meditieren, doch auch hier wurde er von seinen Erinnerungen überrascht. Das Liebesgeflecht neben dem Kadaver des erlegten Hirsches … Jetzt wurde er zum Kadaver, auf dem Liv ihren verdammten Thomas getröstet hatte. Er ist so sanft, hörte er in Gedanken ihre Stimme und bemerkte nicht, dass sein Foxterrier plötzlich ein Wildschwein witterte. Interessant, was macht der Sanfte, wenn er sich an ihre Seitensprünge erinnert?, dachte er. Seine Erinnerung an ihre Berichte über die Treffen mit dem „Einmaligen“ machten ihn wahnsinnig.

Der Hund knurrte kurz. Gerrys Jägersinn öffnete sich plötzlich für den Wald und die vielversprechende Spur.

„Halt!“ Das kurze Kommando brachte den Hund zum Stehen, und er nahm ihn an die Leine. Sein Hund galt als diszipliniert. Sein Herr beschloss, das schlafende Wildschwein auf dessen Rastplatz zu überraschen und hielt den Hund am Bein. Danach würde er weitersehen. Würde das Schwein weglaufen, ließe er den Hund sofort hinterherfolgen. Der würde das Wildschwein sicherlich anhalten und provozieren, vor das Gewehr des Jägers bringen. Darin war Otto spezialisiert. Vielleich liebte er Liv, doch den Otto liebte er bestimmt. Er nahm seine Flinte in die Hände und bewegte sich fort.

Es dauerte eine ganze Stunde oder sogar länger. Das Wildschwein lief ausdauernd. Gerry kannte diesen Waldabschnitt und ahnte, wohin es laufen würde. Dort wurden die Bedingungen schwieriger, viel Gehölz, Wacholder und Douglasien. Solange möglich, würden sie zusammen gehen, danach ließe er den Hund freilaufen.

Jetzt waren sie schon am Rande des Waldes, wo auf einer Seite der See und auf der anderen die Felder an ihn grenzten.

„Noch fünfhundert Meter und ich lasse den Hund laufen“, beschloss er und schritt gebückt weiter unter den Zweigen.

Den Schuss hörte er nicht. Die letzte Sekunde seines Lebens war ein blendender Blitz. Die Welt war zu Ende.

Die Nachricht von Gerrys Verschwinden kam zwei Tage nach Thomas’ Rückkehr. Die erste Nachricht vom Förster hörte sich nicht besonders ernsthaft an. Sicherlich war es ein Spaß von Gerry. Er hatte schon immer einen Sinn für Scherze gehabt. Doch nachdem seine Jagdfreunde über harte Tatsachen berichtet hatten, wurde es düster.

Ein Jäger verlässt morgens die Jagdhütte zusammen mit seinem Hund. Während des Tages beginnt es zu schneien und der Förster wundert sich, dass der Jäger nicht zurückkommt. Die Wetterumstände machen eine weitere Jägerei unmöglich. Sie warten noch. Wie sollen sie ihn suchen? In der Dunkelheit ist die Suche unmöglich, sie wissen nicht mal, in welche Richtung er gegangen ist. Er hatte sicherlich nicht die Absicht, weit zu gehen - sein Auto steht auf dem Hof. Die halbe Nacht kreuzt der Dienst-Jeep durch den Wald, die Stimme des Försters wird heiser. Nichts. Der Schnee bedeckt die Spuren.

Am Morgen ist es noch schlimmer. Tauwetter schmilzt den Schnee. Nach zwei Tagen durchkämmt die Polizei den Wald. Nichts. Ein plötzlicher Tod, eine Herzattacke? Und was ist mit dem Hund? Warum kommt der nicht zurück? Jede Hypothese erscheint sinnlos, bis nur eine bleibt: ein Wilderer. Eine verhängnisvolle Begegnung mit einem Wilderer. Noch im Herbst hatte man einen erlegten Hirsch gefunden, man hörte Schüsse, doch wer geschossen hat, ließ sich nicht feststellen. Ein Wilderer! Nur diese Version scheint plausibel zu sein. Es besteht nur ein Schatten einer Chance, dass im Frühling, nach dem Tauen des Schnees, eine vergrabene Leiche gefunden werden kann.

Livs Erforschungen, die sie auf eigene Faust führte, sprachen eine andere Sprache.

Thomas kam von seinem Exkurs in einer versöhnlichen Stimmung zurück. Es sah so aus, als hätte er in der Einsamkeit alles durchdacht und begriffen, wie sehr er sie mit seinen Verdächtigungen verletzt hatte. Das Erste, was sie stutzig machte, war, dass sie erst von Rechtsanwalt Korbach über Gerrys Verschwinden erfuhr. Er, in seiner Eigenschaft als Präsident des Jagdklubs, rief sie an. Er wollte von Thomas erfahren, ob der ebenfalls jagen gegangen war. „In Bezug zum Fall Gerry.“

„Zu welchem Fall Gerry?“, fragte sie und so erfuhr sie über die rätselhafte Geschichte.

„Warst du jagen bei der Jagdhütte?“, fragte sie Thomas.

„Nein, ich war ganz woanders“, log er, ohne zu zucken.

„Hör zu, ich möchte morgen nach Potsdam fahren, wie ist es mit Benzin?“

„Du musst tanken.“

„Hast du nicht getankt?“

„Es hat gereicht, war gar nicht so weit.“ Er sagte nicht, wohin er angeblich gefahren war. Sie sagte nichts über das Telefonat mit Korbach. Sie sah ihren Mann mit dem in ihrer Brust rasenden Herzen an. Mein Gott! Wie hatte er so etwas tun können? Ihre Furcht vermischte sich mit der Trauer um Gerry und mit dem ängstlichen Respekt vor diesem Ungeheuer. Nie, nie hätte sie gedacht, er wäre zu so einer Tat fähig.

Ihr Gedächtnis lieferte den scheinbar harmlosen Satz, den er bei ihrem letzten Treffen bei der Überreichung des Hirschgeweihs gesagt hatte: „Wir rechnen später ab.“ Dazu die von Gerry ausgesprochenen Worte: „Wir haben Gewehre, wir beide wollen dich, wir gehen in den Wald und die Sache wird geklärt.“

Thomas schlief nach Livs intensiven Liebeszuwendungen schnell ein. Sie schlich sich „unten ohne“ aus dem Bett und begab sich zu seinem Arbeitszimmer. Mit rasendem Herzen fand sie den Gewehrständer. Ein unerklärlicher Instinkt zwang sie dazu, die Tatwaffe berühren zu wollen, die zu einer männlichen, wilden und von der Welt verborgenen Liebeserklärung wurde.

Die Waffe war nicht da. Hatte er sie versteckt? Begraben. Fingerabdrücke. Vor ihren Augen spielten sich Szenen aus den Krimiserien ihres Mannes ab.

Am nächsten Morgen beschloss sie, einiges zu überprüfen. Sie nahm das Auto, betankte es, prüfte den Zählerstand und verglich diesen mit der letzten Tankfüllung. Ja. Thomas war etwa einhundert Kilometer mehr gefahren, als nötig war, um die Hütte zu erreichen und zurückzukommen. Man sprach allerdings darüber, dass der Verbrecher die Leiche viel weiter gebracht haben musste. Verbrecher! Mein Gott, Thomas, was hast du getan?!

Eine Welle von uferloser Zärtlichkeit hielt sie an der Gurgel und sie spürte eine fließende Träne an ihrer Wange. Sie fuhr einige Meter von der Tanksäule weiter, blieb stehen und öffnete den Kofferraum. Sie sah geronnenes Blut. Mein Gott, wie unvorsichtig! Wahnsinnig. Eine Liebeswelle überflog sie. Ekstatische Erregung überraschte sie. Sie kehrte in die Garage zurück und trotz der klirrenden Kälte schrubbte sie, wie Lady Macbeth, mit einem Handbesen und einem Waschlappen den befleckten Kofferraum. Mit den rotverfärbten Händen musste sie immer wieder den Lappen auswringen. Sie stellte sich ihren ausblutenden Liebhaber unter dem Kofferraumdeckel vor und ihr wurde schlecht. Selbst auf dem Deckel fand sie noch gefrorene Blutstropfen.

„Ich werde wahnsinnig“, flüsterte sie zu sich selbst, als sie merkte, dass sie das Blech wie die Stirn des betrogenen Liebhabers streichelte.

Thomas ist zu einer makaber nüchternen Größe geworden.

Es waren mehrere betörende Tage und besonders die Nächte. Sie bediente ihn mit allen, beim Liebhaber erlernten, ausschweifenden Praktiken. Ja, Gerry war beim Kampf um sie gefallen, und der Gewinner war jeglicher Belohnung würdig. Wie im Mittelalter ein siegreicher Ritter die Rüstung und das Pferd des Besiegten bekam, so vererbte Gerry alles, was er ihr beigebracht hatte. Ja, Thomas war Gerrys moralischer und materieller Erbe. Erschöpft und wortkarg herrschte er. Er nahm seinen Status als etwas, das ihm völlig selbstverständlich zustand. Über das Verbrechen sprachen sie nicht. Es fiel nicht ein einziges Wort darüber und seine ruhige Beherrschung imponierte ihr grenzenlos.

In allen Bereichen gab es keinen Vergleich damit, wie es früher war. Es hatte sich herausgestellt, dass eine dominierende Frau nach einem dominanten Mann sucht. Daher ihre frühere Untreue für die ehemals unmännliche Nachgiebigkeit von Thomas. Jetzt war das anders geworden und sollte so bleiben.

Am Ende dieser „Flitterwoche“ passierte etwas Schreckliches. Es war spätabends. Ihre Vorbereitung für die nahenden Glücksstunden unterbrach die schellende Türklingel. Um diese Zeit? Ungerne öffnete sie die Tür.

Dieser erschreckende, vielleicht im Unterbewusstsein erwartete Augenblick. Ein Polizist steht vor der Tür. Zum Glück nur einer, denkt sie. Sie sieht in ihrer Einbildung Thomas, wie er seinen Verfolger mit den Händen auf den Boden legt. Noch steht der Polizist mit einem Futteral in der Hand da. Sie erkennt die Waffe ihres Mannes. Es ist also geschehen, denkt sie. Die anderen stehen auf der Treppe in der Zwischenetage. Sie steht wie eingemauert. Thomas nähert sich. Der hat Nerven, er rennt nicht weg! Thomas begrüßt ihn mit Genugtuung wie einen lange erwarteten Gast.

„Endlich wurde sie gefunden“, sagt er mit einer wunderbar gespielten Erleichterung. Das raubt ihr den Atem.

Liv ist verwirrt. Wie soll sie das alles verstehen? Der Polizist sucht eine Ausrede, will gehen, schließlich bleibt er für eine Weile. Hier wächst Thomas über sich hinaus. Er ist einfach so. Er könnte keiner Fliege etwas zu Leide tun, bloß für sie ist er bereit zu töten. Jetzt, wo sie weiß, dass er durch Leidenschaft bereit ist zu Morden, bewundert sie seine eiserne Disziplin. Während sie in Panik überlegt, was hier gespielt wird, plaudert er freundschaftlich mit dem Polizisten bei einem Glas Cherry.

Plötzlich die Erleuchtung. Thomas erzählt die Einzelheiten. Er hat sein Gewehr an der Wand stehen lassen.

„Erinnerst du dich? Nachdem du getankt hattest, bist du wieder vor das Haus gefahren. Ich bin in Eile gewesen und die Waffe blieb.“

Genial, wie schnell er das Alibi erfindet. Er ist ohne Waffe verreist. Egal, wie er sich eine andere besorgt hat, vielleicht bei einem der Kollegen geliehen. Glühende Leidenschaft, die einen zum Verbrechen zwingt und gleichzeitig eine eiserne Disziplin. Nicht umsonst wurde er zum Krimi-Guru. Der Polizist verabschiedet sich und Liv gibt sich ihrem Mann hin.

„Hier, jetzt, am Tisch!“, befiehlt sie, gestreckt in seine Richtung. Während sie sich auf die Ellenbogen stützt, sieht sie ein Cognacglas und denkt an den ekelhaften, zu Recht Getöteten, der mit ihr zu spielen wagte, indem er auf ihre Lenden, wie auf eine Bar, ein gefülltes Glas stellte. Die Sachen am Tisch vibrieren rhythmisch. Sie legt ihr Gesicht auf die Tischdecke. Ein zitterndes Glas vor den Augen. Das Glück!

Während des nächsten halben Jahres verlor Thomas über acht Kilo an Gewicht. Großartig, schlank, vielleicht etwas müde, als die Auflösung kam.

Sie fuhren noch einmal zur Jagdhütte. Schließlich gab es dort Wald, frische Luft, eine tolle Herberge und die ausgezeichnet kochende Frau des Försters. Doch es ging auch um etwas anderes. Der großartige, sich seiner moralischen Prinzipien bewusste Thomas hatte keine Angst. Er kehrte zurück. Liv erinnerte sich an seine Krimis. Der Verbrecher kehrte immer an den Tatort zurück. Doch er fürchtete sich nicht.

Der Ferienanfang war perfekt. Sie waren alleine. Nur Taxi war dabei. Gerade durch sie ergaben sich einige Komplikationen. Die Hündin war läufig. Sie passten höllisch auf sie auf, denn die Hunde aus dem benachbarten Dorf hatten es schon bemerkt. Sie schickte eine SMS an Korbach: „Warte auf Ajax, Liv.“

Thomas übernahm die Funktion des Wärters der Antikonzeption. Er ging mit ihr und mit einem Stock, um einen eindringlichen „Prätender“ abzuwehren. Die „Wache“ funktionierte bis zum Mittag des Tages, an dem Korbach mit Ajax kommen sollte.

So ein Pech und noch ein Unglück dazu. Es ist Sonntag. Nach dem Mittagessen legt sich Liv auf die Couch, um auszuruhen und Thomas bringt einen Liegestuhl auf die sonnige Wiese vor die Jagdhütte. Nach einer halben Stunde kommt Liv zum Fenster und das, was sie sieht, lässt ihr Blut gefrieren. Einige Schritte vom auf dem Liegestuhl eingeschlafenen Thomas, gibt sich Taxi mit einem gemeinen Mischling das Jawort. Sie versucht das Fenster zu öffnen, doch sie versteht, dass alles verloren ist. Das Einzige, was sie tun kann, ist, die Hunde mit Wasser zu begießen, damit sie sich so schnell wie möglich voneinander trennen. Vor Verärgerung fast weinend, füllt sie einen kleinen Eimer mit Wasser und geht die Treppe hinunter. Als sie aus dem Haus kommt, verschwindet der Mischling. Es ist sowieso zu spät. Taxi liegt hechelnd zu Thomas Füßen, der tief und fest schläft.

Liv ärgert sich nicht mehr, sie beginnt zu lachen. Im ersten Moment überlegt sie, das Wasser auf den Schlafenden Antikonzeptionswächter zu schütten. Doch dann packt sie ein empathisches Mitgefühl. Er ist eingeschlafen. Schließlich lässt sie ihn in der Nacht nicht viel schlafen.

Was solls, ich mache ihm ein Geschenk und ich sage nichts. Dazu noch der Edward mit dem Ajax. Er wird wütend, wenn er erfährt, dass er umsonst so weit gefahren ist. Sie gießt das Wasser auf die wasserdurstigen Rosen, küsst, ohne ihn zu wecken, Thomas’ Haare und geht zurück ins Haus.

Nach einer Stunde kam Edward in seinem Mercedes. Ajax sprang als Erster aus dem Wagen und als hätte er selbst die SMS gelesen, lief er direkt zu Taxi. Doch die Hündin, ermüdet nach dem letzten Abenteuer, begrüßte ihn mit einem warnenden Brummen. Edward beachtete das nicht, er rannte fast in ihre Richtung.

„Stellt euch vor, was für eine Nachricht. Sie haben Gerrys Mörder gefasst!“

Liv bekam einen Schwindelanfall. Instinktiv griff sie ihren Mann am Ärmel.

„Unmöglich!“ Thomas war tief bewegt.

„Sie haben es zugegeben!“, rief Edward. „Es gibt unwiderlegbare Beweise. Sie sind Gerry bei der Jagd begegnet, sie zeigten das Grab, das heißt den Ort, wo sie die Leiche begraben haben. Fast sechzig Kilometer von hier.“

Das waren die letzten Sekunden, wo sie die Angelegenheit noch verzweifelt auf die alte Weise sah. Der Zähler ihres Autos hatte einhundert (zwei mal fünfzig) Kilometer mehr angezeigt. Nun, es waren endgültig die letzten Momente der Täuschung. Der Förster kam und sie musste Edwards Ausführungen, wie alles geschah, zuhören. Die Wilderer sagten Folgendes aus: Am Abend dieses Unglückstages war es schon ziemlich dunkel und einer der Wilderer saß auf der, auf einem Baum eingerichteten, Falle. Und dann sah er ein Wildschwein. Dunkle Masse.

Offensichtlich beugte sich Gerry unter einen tiefhängenden, beschneiten Zweig. Der Wilderer schoss, ohne zu zögern, ins Dunkle. Und das war schon alles. Den Rest konnte sich jeder gut denken. Sie hatten den Hund erschossen, damit er nicht zurücklief und die Angehörigen alarmierte. Die zwei berieten sich.

„Sie haben, Herr Förster, seit einigen Jahren Ihr Gebiet aufgesucht.“ Edward konnte sich diese stichelnde Bemerkung nicht verkneifen. „Sie brachten die Leiche etwa fünfzig Kilometer weiter in die Sumpfgebiete, die sie von den früheren Exkursionen kannten. Und wenn sie nicht den heißen Wunsch gehabt hätten, Gerrys Gewehr zu behalten …“

„Was wohl verständlich ist bei der Qualität dieser Waffe“, murmelte der Förster anerkennend.

Liv stand blass und bewegungslos.

„Vielleich etwas Wasser?“ Edward beobachtete sie mit höhnischem Mitgefühl. Er vermutete es. Er wusste es. Für ihn war sie bereits eine „Witwe“.

Thomas tat das, was nur ein Idiot in diesem Moment tun würde. „Wir fahren zur Polizei. Die kennen vielleicht noch mehr Details. Vielleicht waren die Leute schon polizeilich bekannt?“

„In der Tat ungeheuerlich. Sie sagten, die Wilderer haben mein Gebiet schon seit Jahren aufgesucht?“ Der Förster war sichtbar interessiert, wer diese Verbrecher waren. Und sie fuhren tatsächlich. Er und Thomas. Thomas war so neugierig wie ein Weib. Edward war in jeder Hinsicht ein richtiger Gentleman. So dachte sie und als sie sich fragte, ob er es wirklich in jeder Hinsicht war, lächelte sie. Auch im …? Edward war sehr angespannt, doch diesmal nur als Begleiter seines Hundes. Immer wenn Ajax es versuchte, jagte Taxi ihn entschieden zurück. Er erlebte die Niederlage seines Hundes wie seine eigene. Liv dachte, die Niederlage des Hundes symbolisiere in gewissem Sinne eine Niederlage seines Herrn. Schließlich hatte er ihn gekauft, um scherzhaft sagen zu können: „Wir werden sowieso Kinder haben.“ Er versuchte die Hündin festzuhalten. Es gelang ihm nicht, sie lief ihm immer weg.

„Hilf mir“, bat er Liv.

Für ein Moment vergaß sie die katastrophale Verhaftung von Gerrys Mörder und beschäftigte sich mit der Annäherung der Vierbeiner. Sie wusste, dass die Sache längst beschlossen war, der Mischling hatte sich durchgesetzt, doch sie fand die entstandene Situation aufregend.

„Vielleicht schließen wir die Hunde in einem Zimmer ein?“, schlug er vor.

Und es geschah. Sie fanden sich zu viert in einem Raum. Schließlich begann Taxi zu reagieren. Als sie sahen, wie die Hündin sich anbot und Ajax begann sie zu lecken, vernebelte sich Livs Blick. Sie spürte Edwards Hand auf ihrem Oberschenkel.

„Hör damit auf, du Lüstling“, miaute sie leise. „Ich spreche zu Ajax“, ergänzte sie und lockerte ihre Beine.

Edward verstand. Er kniete sich zwischen ihre Beine, sie setzte sich tiefer in den Sessel und lehnte sich zurück. Als sie seine feuchte Zunge spürte, legte sie ihre Beine auf seine Schulter.

Aus dieser Perspektive, zwischen den sportlichen Schuhen auf ihren Füßen, sah sie plötzlich die sich öffnende Tür. Sie versuchte, sich zu befreien, doch Edward hielt ihre noch zitternden Gesäßhälften fest.

Thomas stand am Eingang und starrte sie an.

Es dauerte eine Sekunde, zwei; wenn es drei Sekunden gedauert hätte, könnte sie noch an das Unwahrscheinliche glauben, dass sie vielleicht zu dritt … Doch Thomas schrie etwas Unverständliches - oder vielleicht sie, die es in dieser ungewöhnlichen Position nicht deutlich hören konnte – und eilte zum Gewehrstand, wo Edward bereits seine Flinte hineingestellt hatte. Die Munition lag auf der Fensterbank. All das passierte innerhalb weniger Sekunden. Glücklicherweise war Edward angezogen. Er sprang aus dem Fenster und verschwand im Garten. Sein Hund entwich jaulend durch die Hintertür.

Liv saß noch furchtsam im Sessel; mit weit geöffneten Augen beobachte sie, wie Thomas mit der Flinte hantierte. Sie war sich sicher: Er wird mich töten.

Mit unmenschlicher Intensität stellte sie sich ihr pathetisches Ende vor. Sie erinnerte sich an seinen Kommentar, mit dem er die Lektüre von Hemingways Erzählung erörterte: „Ich würde diese Situation anders lösen.“ Das ist mein Ende.

Doch Thomas ging zum Fenster. Sie hörte einen Schuss. Jemand schrie.

Also doch. Sie hatte sich nicht geirrt. Er war so. Egal, dass es nicht Gerry war. Er war so. Diese glücklichen Monate waren nicht verloren und nicht vorgetäuscht. Umso großartiger fand sie ihn jetzt. Doch, sie hatte ihn richtig eingeschätzt. Seine männliche Leidenschaft für sie war in der Lage, ihn zu Verbrechen zu bewegen, zu allem. Sie beweinte ihr verlorenes Glück, doch ein Schatten Hoffnung erfühlte ihr rasendes Herz.

Die Scheidung erfolgte mithilfe von Rechtsanwalt Korbach, Edwards Vater, in einem rekordverdächtigen Tempo. Über Schuld wurde nicht gesprochen, nur über die Unvereinbarkeit der Charaktere. Der Rechtsanwalt führte die Verhandlung an der Seite seiner zukünftigen Schwiegertochter so, dass jeder wusste, was für ein brutaler Typ ihr Ehemann war. Einen bedeutenden Hinweis in dieser Angelegenheit lieferte die Tötung des dekorierten Hundes seines Sohnes, Cockerspaniel Ajax, durch diesen äußerst grausamen Menschen.

Pfad der Jäger

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