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Reise auf die Insel der Glückseeligen

Die schwarze Stretchlimousine wartete bereits vor dem Flughafen, als das kleine Sportflugzeug den Boden der Insel berührte. Als der Ankömmling das Flughafengebäude verließ, stieg ein Mann mittleren Alters mit einer Chauffeurmütze aus dem Wagen, öffnete die Hintertür und ließ den Gast einsteigen. Dort wartete bereits ein elegant angezogener, grauhaariger Mann mit einem ebenfalls grauen Schnurrbart. Die Männer begrüßten sich und plauderten freundlich während der Fahrt zum Hotel.

„Im Ernst?“, fragte der Ankömmling.

„Ja, im Ernst!“, bestätigte der Gastgeber.

„Sie werden meine Neugier vollständig befriedigen?“

„Selbstverständlich, Herr Minister!“

„Nennen Sie mich bitte nicht so. Ich bin hier inkognito, es reicht Herr Staatssekretär.“

„Weiß Ihre Regierung über Ihren Besuch Bescheid?“

„Nein. Ich bin hier auf einer Privatreise. Ich bin mit einem kleinen Sportflugzeug auf die Insel geflogen.“

„Nur mit einem Piloten?“

„Nein, ich fliege gerne selbst.“

„Respekt, Herr Staatssekretär!“

„Ich würde gern wissen, wie ich Sie ansprechen soll“, fragte der Gast.

„Es genügt Exzellenz. Was ist also der Gegenstand Ihres besonderen Interesses?“

„Alles. Alles, was auf Ihrer vortrefflichen Insel geschieht, von der mittlerweile die halbe Welt spricht.“

„Wir streben hier auf der Insel keine touristischen Aktivitäten an.“

„Trotzdem sprechen viele Menschen über Ihre Insel. Ich habe einige Persönlichkeiten gesprochen, die sie besuchen möchten.“

„Haben Sie auch mit jemandem gesprochen, der von der Insel zurückgekommen ist?“

„Nein. Bis jetzt nicht. Warum fragen Sie?“

„Mich würden deren Eindrücke interessieren. Unsere Insel ist ein kleiner und bescheidener Staat.“

„Es kommt hier nicht auf die industrielle Stärke des Staates an. Es geht um die Menschen. Über die Bewohner der Insel werden schon Legenden erzählt.“

„In der Tat, die Inselbewohner haben ein sehr angenehmes Wesen.“

„Hm, angenehmes Wesen“, der Gast lachte leise. „Wenn man dem, was so erzählt wird, Glauben schenkt, sind die Menschen hier einzigartig in unserer Welt. Ist es wahr, Exzellenz, dass die Inselbewohner äußerst diszipliniert sind? Dass sie opferbereit sind, milde gestimmt und sich außergewöhnlich loyal verhalten?“

„Ja, das stimmt!“

„Und dass es hier keine Extremisten, Banditen, Terroristen und Verschwörungstheoretiker gibt?“

„In der Tat, Herr Staatssekretär, die gibt es hier nicht.“

„Dass sie mit dem, was sie haben, zufrieden sind, dass sie in die Zukunft mit Zuversicht blicken?“

„Völlig zutreffend, Herr Staatssekretär.“

„Wohlwollend, solidarisch und gönnerhaft sind?“

„Sie haben, Herr Staatssekretär, meine Landsleute vortrefflich charakterisiert“, bestätigte der Gastgeber.

„Ihr seid, Exzellenz, eine soziale Offenbarung. Ihr seid eine gegenwärtige Vermenschlichung eines Engels.“ Der Gastgeber lachte. Der Gast fragte weiter: „Wie haben Sie das alles erreicht?“

„Das hat verschiedene Ursachen. Das Klima -“

„Tatsächlich, es ist sehr milde und menschenfreundlich hier, doch nicht nur auf dieser Insel“, unterbrach der Gast.

„… die Lage, die die Gefährdung der Insel mindert“, fuhr der Gastgeber fort.

„Es gibt weltweit hunderte von Inseln …“

„Schließlich hatten wir einige besonders begabte und fortschrittsorientierte Psychologen und Soziologen, die es ermöglichten, dieses Experiment zu beginnen.“

„Jetzt kommen wir in medias res. Es gibt also ein Experiment.“

„Ja. Ein erzieherisches Experiment, würde ich sagen.“

„Ausgezeichnet. Das ist eben das, was ich gerne kennenlernen würde“, begeisterte sich der Gast. „Sind Sie damit einverstanden, Exzellenz?“

„Warum auch nicht?“, stimmte der Gastgeber zu.

„Es gibt Staaten, die ihre Errungenschaften gerne verbergen.“

„Es ist ja weder neue Technologie noch eine Wunderwaffe. Wir werden Sie mit dem Charakter unseres Experiments vertraut machen.“

„Wirklich?“

„Ohne Einschränkung!“

„Dann bin ich ganz Ohr.“

„Etwas Geduld bitte. Es reicht nicht anzuhören, man muss es sehen und selbst erleben. Oh, ich sehe, wir sind da.“ Die Limousine blieb vor einem Hotel stehen. „Ich schlage vor, Sie nehmen ein Bad, frühstücken in Ruhe und ich komme in eineinhalb Stunden mit meinem Auto wieder zurück.“

„Und wir beginnen ein großes, faszinierendes Abenteuer.“

„Wenn Sie es so nennen möchten“, der Gastgeber lachte herzlich, „beginnen wir mit einem großen Abenteuer.“

***

„Was für ein Gebäude ist das? Stehen wir vor einer Fabrik, Exzellenz?“

„Man kann es so bezeichnen. Wir gehen durch das Magazin, dann einige Korridore entlang bis zum Büro des Direktors.“

„Haben Sie ihn vorgewarnt?“

„Aber nein, es ist sowieso ohne Bedeutung. Er ist es gewöhnt, unerwartete Besuche zu empfangen.“ Sie gingen einige Zeit durch die Räumlichkeiten des Magazins.

„Es scheint mir …“, begann der Besucher.

„Was bitte?“

„Ach nein, nichts.“

„Sagen Sie doch bitte.“

„Natürlich sind das nur die Korridore und das Magazin. Wir kamen noch gar nicht zu den Produktionshallen. Nur alles scheint mir hier ziemlich unordentlich zu sein“, bemerkte der Besucher vorsichtig.

„Unordentlich? Ihre Wortwahl, Herr Staatssekretär, ist außerordentlich elegant. Hier herrscht einfach gesagt ein schreckliches Durcheinander.“

„Na ja, wie soll ich es sagen, all die Menschen, die vor dem Gebäude sitzen, ihre Zigaretten rauchen, Zeitungen lesen und sich der Sonne zuwenden …“

„Das sind unsere Mitarbeiter.“

„Ach ja?“

„Sie wollen sicherlich fragen, wie die Produktion so läuft, wenn die Mitarbeiter alles machen, außer sich mit der Arbeit zu befleißigen? – So, wir sind da. Hier ist das Vorzimmer und diese Tür führt zum Büro des Direktors.“

„Aha, und wo ist seine Sekretärin?“

„Wir werden sie sicherlich gleich woanders finden. Bitte gehen Sie rein. Nach Ihnen, bitte.“ Die Tür öffnete sich und eine überraschte weibliche Stimme des Entsetzens war zu hören. Die Besucher erblickten eine Frau, die mit einer aufgeknöpften Bluse und unordentlicher Frisur vor einem Mann mit heruntergezogener Hose, der im großen Sessel hinter dem Schreibtisch saß, kniete.

„Entschuldigen Sie vielmals. Wir haben uns wahrscheinlich in der Tür geirrt“, rechtfertigte sich der Gast.

„Aber nein, nein, keineswegs, Sie sind hier mit Sicherheit richtig. Willkommen, Exzellenz.“ Die joviale Stimme des Direktors verriet seine hedonistische Natur.

„Guten Tag, Herr Direktor. Ich habe einen Gast mitgebracht. Er ist auf unsere Insel gereist und würde gern erfahren -“

„Oh, es ist für mich eine Ehre“, unterbrach der Direktor und wandte sich an seine Sekretärin: „Mäuschen, knöpfe deine Bluse wieder zu, mach dich wieder zurecht und bring uns Kaffee.“ Er sah die Ankömmlinge mit einem schelmischen Lächeln an.

„Sie ist meine Sekretärin“, sagte er nicht ohne Stolz.

„Kaffee gibt’s nicht mehr. Ich habe nicht rechtzeitig bemerkt, dass er aufgebraucht ist und nicht nachgekauft“, rechtfertigte sich die Sekretärin.

„Dann bring uns bitte irgendwas zu trinken und lass uns allein. Bitte, die Herren mögen Platz nehmen, setzen Sie sich.“

„Was für ein hübsches Mädchen“, bemerkte der Gastgeber.

„Unsere neue Errungenschaft für das Sekretariat. Kein Wunder dass … Sie wissen schon …“ Der Direktor lachte lustvoll. „Sie wissen ja, Mensch ist Mensch, nicht wahr? Aber zur Sache. Was kann ich für Sie tun?“

„Unser Gast würde gern die Funktionsweise Ihres Betriebes kennenlernen. Vielleicht gehen wir in die Produktionshalle?“

„Davon würde ich allerdings abraten. Unter den dort herrschenden Umständen kann es leicht zu einem Unfall kommen. Die dort waltende Anarchie ist komplett, absolut radikal.“

„Ich verstehe nicht so ganz?“, versuchte der Gast zu fragen.

„Was ist denn hier zu verstehen, Herr, Herr …?“

„Staatssekretär“, ergänzte der Gastgeber.

„Danke. Herr Staatssekretär, wir beherrschen die Arbeitsabläufe nicht. Die Arbeiter sind faul und desorientiert, die Vorarbeiter inkompetent und alles zerfällt. Ja, das ist der richtige Begriff: zerfällt“, antwortete der Direktor heiter.

„Und wie sieht es mit der Produktion in diesem Monat aus, Herr Direktor?“, fragte der Gastgeber. Der Direktor lachte immer noch.

„Beinahe null.“ Er lachte noch lauter. Die Sekretärin erschien erneut im Zimmer.

„Ich habe zwei Säfte und Mineralwasser mitgebracht. Es gibt nichts anderes“, sagte sie.

„Ach Mäuschen, Mäuschen, wie kümmerst du dich um unsere Gäste? Auf jedem Glas sind Abdrücke deines Lippenstiftes zu sehen. Du, du, du!“ Der Direktor bedachte sie mit einem Patsch auf den Hintern.

„Sooo schöne Lippen dürfen ja überall ihre Spuren hinterlassen, nicht wahr, Herr Staatssekretär“, ergänzte der Gastgeber mit einem Augenzwinkern.

„Jaja, selbstverständlich“, stotterte der Staatssekretär verlegen.

„Mäuschen, ich habe dich gebeten, deine Frisur nachzubessern. Steh hier nicht so herum und lass uns allein. Na geh schon, geh! Bitte, meine Herren, bedienen Sie sich. Es gab hier einst eine Flasche vom heimischen Wein, nur in diesem Chaos ist sie nicht mehr auffindbar. Also, was könnte ich Ihnen noch erklären, bevor wir uns in diese gefährliche Gebiete wagen?“

„Unser Gast fragte mich bereits, wie die personelle Situation in der Fabrik aussieht. Immer noch so dramatisch?“, fragte der Gastgeber.

„Na ja, die Menschen verlassen fluchtartig unsere Fabrik. Sie kennen das mit den Ratten und dem sinkenden Schiff, nicht wahr?“ Der Direktor lachte erneut herzhaft. „Letzte Woche hat etwa zwanzig Prozent der Belegschaft gekündigt.“

„Doch ihr habt die freien Stellen mit den neuen Mitarbeitern besetzt, hoffe ich“, bemerkte der Gastgeber.

„Aber natürlich, der Zufluss neuer Kräfte ist dauerhaft gesichert.“

Plötzlich erschütterte eine gewaltige Explosion das Gebäude. Sie war so stark, dass die Bilder im Büro des Direktors runterfielen und die Stühle wackelten.

Der Direktor lachte selbstzufrieden. „Na bitte, seht ihr? Habe ich es nicht gesagt?“

„O Gott, was war das?“, erschrak der Gast.

„Ruhig Blut, bleiben Sie ruhig. Gleich kommen Telefonate und wir werden es genau wissen.“ Das Telefon läutete. „Verzeihen Sie bitte, ich muss rangehen. – Hallo? Ja … ich bin es, der Direktor. Das darf nicht wahr sein!“, sagte er mit einer Befriedigung, sogar Trumpf in der Stimme. „Der größte Kessel ist in die Luft geflogen.“ Eine tiefe Zufriedenheit malte sich in sein Gesicht. „Welche Folgen? Ja … ich verstehe, ja, ich verstehe. Es gibt keine Verletzten, denn bei diesem schönen Wetter waren alle Mitarbeiter draußen. Nur der Schaden ist gewaltig, richtig gewaltig. Ja, ich höre … die Polizei und die Feuerwehr sind unterwegs … und die Presse ebenfalls. Aber selbstverständlich dürfen Sie! Alle reinlassen, in ersten Linie die Fotografen. Ja, ja … ich stehe persönlich für die Interviews zur Verfügung. Danke, danke. Ich warte.“ Der Direktor wandte sich an seine Gäste.

„Die Herren verstehen, dass unter diesen Umständen …“

„Natürlich, natürlich. Wir danken Ihnen, Herr Direktor. Die Visite war sehr aufschlussreich“, bedankte sich der Gastgeber.

„Ich bemühe mich, wie ich kann.“

„Und wir begeben uns in eine Kaffeebar. Der Herr Staatssekretär hat sicherlich Gesprächsbedarf.“

„Hier auf dem Industriegelände?“, fragte der Gast unsicher.

„Aber nein, wir besuchen lieber ein normales heimisches Kaffeehaus.“

***

„Wie schön ist es hier, wie gemütlich und sauber, und überall lächelnde Menschen“, bemerkte der Gast erfreut.

„Es ist eines von vielen Cafés. Sie finden auf der Insel dutzende davon. In jeder größeren Straße. Möchten Sie etwas trinken? Ich empfehle Obstcocktails, die sind hier hervorragend. – Hallo! Kommen Sie bitte!“ Die Kellnerin kam schnell zu den Gästen.

„Die Herren wünschen etwas zu trinken? Hier ist die Getränkekarte. Leider gibt es heute nur zweiundzwanzig verschiedene Cocktails.“

„Unglaublich! Nur zweiundzwanzig.“ Der Gast lachte überrascht.

„Wir sind ein subtropisches Land, deshalb haben wir große Mengen an verschiedenem Obst“, belehrte ihn der Gastgeber. „Es ist nicht schwierig, eine große Auswahl anzubieten. Ich empfehle eine Mischung von Kokosmilch, Mango und Ananas.“

„Sehr wohl, die Herren.“ Die hübsche und gutgebaute Kellnerin marschierte in Richtung Bar, begleitet von den vergnügungssüchtigen Blicken der Gäste.

„Leider sind wir in den anderen Bereichen des Wirtschaftslebens etwas zurückgeblieben. Wir produzieren nur zwölf Weinsorten, stärkere Alkoholgetränke werden kaum getrunken“, rechtfertigte sich der Gastgeber.

„Bitte sehr, Ihre Getränke.“ Die Kellnerin bedachte beide Herren mit einem zauberhaften Lächeln.

„Herzlichen Dank, danke.“

„Nun wir sind hierhergekommen, um über etwas anderes zu sprechen. Wie sind Ihre Eindrücke von dem Betrieb, den wir gerade besucht haben?“

„Ich muss zugeben, ich bin von dem, was ich gesehen habe, erschüttert.“

„Bravo“, lachte der Gastgeber. „So reagieren meistens unsere Gäste.“

„Es ist eine Mischung aus Schock und Erstaunen, dieser Leichtsinn und, wie der Direktor es sagte, Anarchie, die ich selbst beobachten konnte. Diese erstaunliche Katastrophe und die darauffolgende Reaktion.“

„Richtig, alles richtig. So wie es geschehen soll. Das ist das Wesen des Experiments“, sagte der begeisterte Gastgeber.

„Ehrlich gesagt begreife ich das nicht“, bemerkte der Gast etwas verwirrt.

„Ich sehe, ich muss beginnen, wie wir hier sagen: Ab ovo. Bereiten Sie sich bitte auf eine kleine Vorlesung vor. Werden Sie es aushalten?“

„Aber selbstverständlich.“

„Sowohl Individuen wie auch Gesellschaften, die sich ja aus einzelnen Individuen zusammensetzen, besitzen gute und schlechte Eigenschaften. Die letzten konnte man bisher nicht aus der Welt schaffen. Weder Religionen noch verschiedene Philosophien haben es geschafft. Nehmen wir zum Beispiel das, was die Franzosen als esprit de contradiction – Geist des Widerspruchs um des Widerspruchs willens – bezeichnen. Eine Neigung zu negieren einfach nur, um zu negieren, einen unüberwindbaren Drang zu Kritik. Diese Neigung kann einem so sensiblen Organismus wie dem Staat irreparablen Schaden zufügen.“

„Und?“

„Wir haben unrealistische Träumereien, solche Neigungen zu beseitigen, verlassen und versuchen sie gezielt in eine entsprechende Richtung zu führen.“

„Hm. Ich fürchte, ich habe Ihr Konzept noch nicht ganz verstanden.“

„Wir haben eine Institution geschaffen, die Sie gerade besucht haben. Ihre Funktionalität weckt völlig begründeten Widerspruch. An ihr können sich die Presse und alle Massenmedien austoben. Die Menschen bekommen es zu sehen, zu hören und zu lesen. Sie bekommen gute Gründe, sich aufzuregen, zu empören und zu beklagen. So lassen sich soziale Spannungen in einer harmlosen Weise abbauen.“

„Ganz harmlos?“

„Ja, weil dieser Betrieb nichts produziert.“

„Ach so?“

„Als Rohstoff dient allerlei Abfall und das Endprodukt ist ein undefinierter Klumpen, der wiederum als Rohstoff gebraucht wird.“

Der Gast lachte herzlich. „Moment mal. Wollen Sie mir sagen, es existiert nur ein solcher Betrieb auf der Insel?“

„Unsere Insel besteht aus drei Gemeinden. Jede Gemeinde besitzt so einen experimentalen Betrieb. Auf der ganzen Insel existieren nur drei; drei Blitzableiter zur Entladung von Spannungen.“

„Jetzt beginne ich zu begreifen. Es ist äußerst interessant.“

„Ich sage Ihnen noch etwas. Wir geben uns die Mühe, jeden Bürger in so einem Betrieb, selbst eine kurze Zeit, arbeiten zu lassen. Ermüdet durch diese sinnlose Arbeit und das Durcheinander, flüchtet er in eine andere Betriebstätte, wo er zu einem fleißigen vorbildlichen Mitarbeiter wird. Natürlich funktionieren alle anderen Institutionen auf der Insel fehlerfrei, was für Sie natürlich langweilig ist und sicherlich nicht von Interesse.“

„Ich finde, es ist einfach genial.“

„Sie sind zu freundlich. Es ist einfach eine gute Idee gewesen. Übrigens, wie schmeckt Ihnen der Cocktail?“

„Köstlich, einfach köstlich.“

„Trinken Sie den bitte schnell, ich habe Ihnen noch etwas zu zeigen.“ Der Gast genoss sichtlich die Reste des Cocktails.

***

Das Auto blieb stehen und die Männer begaben sich ins Gebäude.

„Wir sind da. Wir warten nur einen Moment, bis der Aufzug herunterkommt und dann fahren wir nach oben“, versprach der Gastgeber.

„Dritte Etage, bitte!“

„Guten Tag, Exzellenz“, begrüßte ihn ein Mann, der den Aufzug bediente.

„Oh, Herr Superintendant, arbeiten Sie jetzt hier?“

„Wie die Exzellenz sehen. Der Vize-Präses Korn hat mich rausgemobbt. Eine Affäre, Untersuchungen, gekaufte Zeugen, letztendlich bin ich hier gelandet als Aufzugbediensteter.“

„Etwas zu drastisch, finde ich“, empörte sich der Gastgeber.

„Beschämend. Ich bin ein Opfer der Manipulationen und Machenschaften, doch ich werde noch zurückschlagen. Exzellenz werden es sehen“, versprach der Mann. „Dritte Etage, bitte aussteigen.“

„Vielen Dank und gutes Gelingen. Gehen wir, Herr Staatssekretär.“

„Willkommen, willkommen, Exzellenz. Schön, dass ich Sie sehe.“ Ein junger Mann begegnete den Besuchern auf dem Flur. „Ich wollte Ihnen gerade dieses hier per Post zukommen lassen, mache es aber lieber persönlich.“ Er streckte seine Hand mit einem Zettel vor.

„Was ist das?“, fragte die Exzellenz.

„Ein kleiner Report. Ich habe diese Clique genau unter die Lupe genommen. Ihre Tätigkeit überschreitet mittlerweile jede Grenze des Anstands. Alle Namen, Fakten und Daten. Eine Bombe wird hochgehen, sage ich Ihnen. Ich hoffe, die Resultate werden nicht lange auf sich warten lassen.“

„Sicher nicht. Bitte werfen Sie mir das in die Tasche.“

„Danke, danke, Exzellenz. Sie können immer auf mich zählen.“

„So, jetzt sind wir am Ziel“, bemerkte der Gastgeber und öffnete die Kabinettstür. „Guten Tag. Bitte melden Sie uns beim Chef an“, sagte er zur Sekretärin.

„Ich befürchte, das ist derzeit nicht möglich. Im Moment findet eine Sitzung des Aufsichtsrates statt, bei der er von seinen Pflichten entbunden wird.“

„Oh, schade. Vielleicht öffnen wir für einen Augenblick ein wenig die Tür zum Sitzungssaal.“ Die Besucher lauschten einer Rede, die gerade vorgetragen wurde.

„… und nur der exzellenten Leitung unseres ehrwürdigen Chefs verdanken wir diese ausgezeichneten Resultate, die wir in der letzten Zeit erreicht haben. Seine Opferbereitschaft, seine hohe Kompetenz und enorme persönliche Einsatzbereitschaft bewirkte …“

„Das klingt nicht gerade nach einer vernichtenden Kritik“, argwohnte der Gastgeber.

„Sie haben gerade den ersten Redner gehört, der überhaupt keine Ahnung hat, was vor sich geht“, antwortete die Sekretärin. „Erst der zweite Redner fängt mit den Attacken an, und die Nächsten werden sie fortsetzen.“

„Ich verstehe. Und wer folgt auf seinem Posten?“, fragte der Gastgeber.

„Sein derzeitiger Stellvertreter, Herr Korn.“

„Ach ja. Dann stören wir lieber nicht in so einem wichtigen Moment. Lassen Sie uns gehen, Herr Staatssekretär“, entschied seine Exzellenz.

***

„Wie sind Ihre Eindrücke, Herr Staatssekretär?“

„Hm, nach dem letzten Erlebnis war der Schock nicht mehr so erschütternd. Ich glaube, ich beginne, das Prinzip Ihres Experiments zu begreifen.“

„Exakt. Diesmal geht es um andere Eigenschaften, die sich ebenfalls nachteilig auf die zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken können. Das sind Neid, Intrigen, übergroßes Ego, Schadenfreude, Rachsucht. Alles, was wir als Unruhestiftung bezeichnen. Ein Mensch, der hier sein Praktikum absolviert – und wir versuchen, dass alle Bürger das machen –, bekommt eine Art Impfung. Er wird immun gegen all diese virulenten Bazillen.“

„Befürchten Sie nicht, dass der Einfluss auf das niedere Personal ein wenig demoralisierend wirken könnte?“

„Ausgeschlossen! Verstehen Sie, so wie es im Betrieb keine Produktion gibt, so gibt es hier keine Untergebenen. Es gibt nur die Leitung. Sie wütet, bekämpft sich gegenseitig und wandelt sich um in ihrem eigenen geschlossenen Kreis.“

„Und das, wie bei den Betrieben, drei in drei verschiedenen Gemeinden?“

„Nein. Wir haben beschlossen, dass nur eine Zentrale, völlig ausreicht.“

„Das alles hier ist außerordentlich interessant, würde fast sagen faszinierend. Eigentlich weiß ich schon, was ich wissen wollte. Ich muss es mir noch durch den Kopf gehen lassen. Bringen Sie mich jetzt ins Hotel, Exzellenz?“

„O nein, bitte noch etwas Geduld. Jetzt kommen wir zu dem Höhepunkt der Besichtigung, Herr Staatssekretär.“

***

„Was für ein düsteres Gebäude“, bemerkte der Gast, nachdem der Wagen stehengeblieben war und die Fahrgäste ausstiegen.

„In der Tat!“

„Ist es …?“

„Lassen Sie uns hineingehen“, unterbrach ihn der Gastgeber. Der Klang der sich schließenden, metallischen Eingangstür versprach nichts Gutes.

„Ein ungewöhnlich langer Korridor, nicht wahr?“, wunderte sich der Gast.

„Sehr lang“, bestätigte der Gastgeber nüchtern. Die düstere Stimmung des Gebäudes schien sich auf das Gemüt des Gastgebers zu übertragen.

„So viele Türen. Was befindet sich dahinter?“

„Versuchen Sie, eine von denen ein Stückchen zu öffnen“, schlug der Gastgeber vor.

„Oh!“ Der Gast schloss die Tür und sprang zurück.

„Haben Sie sich erschreckt? Warum?“ Der Gastgeber schien nicht überrascht zu sein.

„Dort waren einige Menschen drin. Es schien mir, als würden sie ihre Gewehre reinigen“, antwortete der Gast sichtbar unsicher. „Einer von ihnen erhob sein Haupt und starrte mich an. Das hat mich erschreckt. In seinen Augen war etwas … etwas Schweres, etwas wie Blei.“ Der Gastgeber schwieg, während die beiden noch weiter fortschritten.

„Sehen Sie, Herr Staatssekretär, unter den bekämpfungswürdigen Eigenschaften dürfen wir nicht die bedeutendsten vergessen. Ich denke hier an Grausamkeit und Gewalt“, begann der Gastgeber mit seiner Erklärung.

„Aha?“

„Die Insulaner könnten nicht so werden wie sie sind, wenn man sie von diesem Gift nicht befreit hätte. Deshalb werden all diejenigen, die selbst in kleinstem Maße solche Neigungen zeigen, durch dieses Haus geschickt. Sie erleben hier die Katharsis, Bereinigung.“

„Ja, Bereinigung“, bestätigte der Gast.

„Und sie kommen zurück in die Gesellschaft befreit, genesen und normal.“

„Und … und … was geschieht hier?“

„Eine Art von Selbstjustiz – Vollstreckungen. Sie haben mit der Justiz nicht das Geringste zu tun. Sie ist zufällig und gedankenlos wie jede Grausamkeit.“

„Tja … so … wir sind am Ende des Korridors angekommen.“ Der Gast sah sich noch einmal um.

„Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden Sie sich bitte mit dem Gesicht zur Wand drehen? Und bitte nicht umdrehen.“

„Warum soll ich das tun?“

„Ist so ein kleines Ritual von uns“, beruhigte ihn der Gastgeber. „Wie Sie bisher sicherlich bemerkt haben, wir legen großen Wert auf Resultate und verarbeiten die Situationen nach einem genauen Drehbuch. Gleich werden sie hören, wie sich Ihnen Schritte von dutzenden Personen nähern.“

„A-aber … Eines interessiert mich noch … ob … vielleicht ist es besser, jetzt nicht darüber zu reden.“ Die Stimme des Gastes begann zu zittern.

„Aber bitte, reden Sie doch.“

„Wenn all das hier in gewissem Sinne nur scheinbar geschieht, kann das alles den angeborenen Instinkt der Grausamkeit wirklich ausradieren?“

„Hier ist es etwas anders. Hier geschieht nichts scheinbar. Hier sind die Schusswaffen mit scharfer Munition geladen, hier fließt echtes Blut und echtes Gehirn spritzt an die Wände und die Böden.“

„Unglaublich! Aber woher nehmen Sie die Opfer?“

„Kommen Sie wirklich nicht darauf? Selbst dann nicht, als ich Sie fragte ob Sie mit jemandem gesprochen haben, der von der Insel zurückgekommen ist? Sie sind die Opfer, Herr Staatssekretär. – Herr Kapitän, Sie sind jetzt dran!“ Drei nacheinander folgende Schüsse brachten den Gast zu Boden.

„Verbinden Sie mich bitte mit dem Oval Office. Guten Abend, ich bin es. Ich möchte berichten, dass der Besuch gut verlief und planmäßig endete. Gibt es Signale, ob jemand die Absicht hat, unsere Insel zu besuchen? Wer? Dieser Schriftsteller und Philosoph aus Australien? Eine strikt private Reise? Mit seiner Einpersonenyacht? Ausgezeichnet. Bringen Sie ihn bitte zum Hotel und ich hole ihn morgen früh mit meinem Auto ab.“

Pfad der Jäger

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