Читать книгу (Kranken-) Bettgeflüster - Sylwester Dr. Minko - Страница 6

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Zwei Lieben

„Ich kann das nicht verstehen, Herr Professor, ich war immer gesund. Und plötzlich so ein Drama.“

„Und bei mir dasselbe. Vierzig Jahre und nichts, gar nichts. Dann Krach und der Willi wurde rausgetragen.“

„Sie sind ein Metzger, nicht wahr?“

„Ein Metzgermeister, Herr Professor.“

„Dann wissen Sie sicherlich, dass selbst eine einfache Fleischmaschine eines Tages kaputtgeht. Ein so kompliziertes Organ wie das Herz versagt umso eher.“

„Aber gleich nach dem vierzigsten Geburtstag?“

„Ich habe bisher nicht einmal eine Grippe gehabt“, bemerkte sein Bettnachbar. „Sogar meine Zähne sind komplett. Ich wünsche allen das Beste, doch warum gerade ich?“

„Sie haben fleißig Punkte gesammelt, Herr Karl. Es kam, wie es kommen musste“, antwortete der Professor. „Ihr ausgedehnter Herzinfarkt geschah nicht ohne Grund. Sie müssten die ersten Anzeichen übersehen haben. Es ist selten so, dass ein gesunder Mensch plötzlich auf der Intensivstation landet. Übergewicht, Zigaretten, ungesunder Lebensstil. Sie haben auch schon Ihr Alter.“

„Sicher habe ich das, doch selbst jetzt fühle ich mich nicht alt.“

„Egal wie Sie es sehen, das Alter kann Krankheit, Sklerose und Demenz, aber auch Weisheit und Reife bedeuten. Zudem Befreiung von der Verrücktheit und den Zwängen der Jugendzeit.“

„Keine der weltlichen Begehrlichkeiten wird die Macht deines Geistes einschränken“, scherzte Wilhelm, sein Bettnachbar.

„Herr Professor, machen wir uns nichts vor. Das Altern, ob klug oder dumm, ist immer schrecklich. Weder Wörter noch Scherze können das ändern. Selbst der Pakt mit dem Teufel nicht. Diese, wie Sie sagten, Verrücktheiten, bleiben uns bis zum Ende erhalten und das eben ist tragisch.“

„Genau getroffen, Herr Nachbar. Ich verstehe Sie voll und ganz.“

„Ich bezweifle das, Herr Wilhelm“, mischte sich der Professor ein. „Ich war auch jung und ich weiß, was das bedeutet. Und Sie waren noch nie alt, und das macht den Unterschied. Gut, haben Sie Sport getrieben?“

„Ich war Bodybuilder“, antwortete Wilhelm.

„Ich weiß, das war aber eine Frage an Herrn Karl.“

„Ja, habe ich, im Gymnasium. Ich habe sogar den Sportlehrer gebeten, mich für den Fünfkampf aufzustellen. Ich wollte einem Mädchen imponieren. Ohne Erfolg. Sie hat sich für einen noch größeren Trottel entschieden. Danach war lange nichts. Zwischendurch bin ich etwas Fahrrad gefahren. Zwei Fahrräder wurden mir geklaut. Danach habe ich aufgehört. Meine Bekannten sind sogar Marathon gelaufen, versuchten mich auch zu überreden …“

„Sie hätten auf sie hören sollen“, unterbrach ihn der Professor.

„Ich hatte nie das Bedürfnis, an solchen kollektiven Demonstrationen des Glaubens in die ewige Jugend und Gesundheit teilzunehmen.“

„Jammerschade. Andererseits wurde Ihr Nachbar direkt aus dem Sportstudio auf die Station gebracht.“

„Ach, wenn man es früher gewusst hätte.“

„Pah. Alles sieht einfach aus, wenn es bereits geschieht.“

„Ja, genau“, schaltete sich Wilhelm ein. „Ich greife die Scheibenhantel, ich drücke und drücke, der Coach ruft: Streck dich, Willi! Ich strecke mich und strecke, dann sehe ich Sterne vor Augen. Schwer zu sagen, plötzlich sehe ich nichts, ewige Dunkelheit. Wenn es Sie, Herr Professor, nicht gäbe, würde ich sicherlich …“

„Klar gab es früher kleine Unvollkommenheiten, das Gedächtnis schwang.“ Karl ist es wieder gelungen, zu Wort zu kommen. „Abends habe ich oft gegrübelt: Wie viel ist mir noch geblieben? Wie wird das Ende wohl aussehen? Kann ich mich darauf irgendwie vorbereiten?“

„Damit müssen Sie zu unserem Seelsorger“, fügte der Professor hinzu.

„Ich dachte an die alte Weisheit, dass alle Krankheiten im Kopf beginnen.“

„Vielleicht ist eine Brise Wahrheit in diesem Spruch“, bestätigte der Professor. „Die beste Gesundheit wird demnach Bastarden, Egoisten und kompletten Idioten garantiert.“

„In der Tat weise Wörter. Ein Flegel braucht keine Krankheit zu befürchten, vielleicht nur den Alkohol, aber auch nicht jeder“, bezeugte Wilhelm.

„Sie sind Lehrer gewesen, nicht wahr?“, fragte der Professor. „Hochschullehrer, Privatdozent“, bestätigte Karl.

„Hoho, mit so einer Persönlichkeit teile ich das Krankenzimmer“, argwöhnte der Metzgermeister.

„Ich habe Philosophie an der Hochschule für Krankenpflege unterrichtet“, sagte Karl mit Stolz.

„Ja, es stimmt alles. Die Intellektuellen, die haben immer schon ein erhöhtes kardiologisches Risiko gehabt“, bemerkte der Professor.

„Sie haben sicherlich recht“, bestätigte der Dozent. „Doch glauben Sie mir, jeden Tag wachte ich rüstig auf, fühlte mich immer besser, und gesünder. Das Gefühl entstand aus dem naiven Glauben, dass die Zeit der turbulenten Veränderungen in meinem Leben vorbei ist. Gute Rente und zusätzliche regelmäßige Einnahmen, sorgten für stoische Ruhe. Ich lebte jenseits der Freude und Traurigkeit in einem Rhythmus der täglichen Pflichten. Ohne jede Leidenschaft. Obwohl es mir manchmal, gebe ich zu, schwerfiel, gewissen Versuchungen zu widerstehen. Vor allem in der Zeit der Prüfungen.“ Der Dozent lachte lüstern.

„Das wäre etwas für mich“, bemerkte Metzger Willi lachend.

„Beruhigen Sie sich“, mahnte ihn der Professor ab. „Gerade habe ich Sie dem Bestatter von der Schippe gerettet und Sie haben es wieder eilig, dorthin zu kommen? Bitte sprechen Sie weiter, Herr Dozent.“

„Ich spürte zwar ein Verlangen nach etwas, zum Beispiel nach Vollendung meiner wissenschaftlichen Kariere, doch im Allgemeinen konnte ich mich nicht beklagen. Bis an einem schönen Tag alles zusammengebrochen war. Alles platzte und dann öffnete sich der Abgrund des Unbekannten.

„Eine Frau?“, fragte der Professor.

„Schlimmer noch: meine eigene Frau. Eines Tages schlief ich wie ein Baby, als mich plötzlich ihr bedeutungsvolles Räuspern weckte.“

„Warum räusperst du dich, Edeltraud“, fragte ich.

„Na endlich, der gnädige Herr vermochte aufzuwachen. Ich räuspere mich, denn der Gedanke, dich nackt aus dem Bett zu zerren, bereitet mir Ekel. Schluss mit uns, Karl, Schluss! Gleich verlasse ich diese muffige Wohnung, in der ich mit dir die furchtbaren dreißig Jahre verbracht habe.“

„Warum denn, Schatz, was ist geschehen?“, fragte ich.

„Hör doch auf, dich zum Narren zu machen! Schatz … Schatz – von wegen. Zu spät! Ich bin bereits mit dem Packen meiner Sachen fertig. Ich verlasse dich. Ich habe gerade jemanden kennengelernt, der in mir eine Frau sieht.“

„Ich habe nie etwas anderes behauptet“, antwortete ich bestürzt.

„Diese Dämlichkeiten kannst du dir sparen. Ich sehne mich nach Freiheit, nach Raum. Ich will wieder tanzen, unter Menschen sein, ich will lieben und geliebt werden. Nach so vielen Jahren deiner bedauernswerten Albernheiten, habe ich endlich verstanden, was echte Leidenschaft ist. Ich will ausgelassen feiern, reisen, einfach leben. Was hätte mich mit dir erwartet? Langsamer Verfall. Zertretene Pantoffeln, Nachttöpfe und die Pflege deiner akademischen Demenz.“

„Welche Nachttöpfe meinst du? Immerhin kann ich es mit Gottes Hilfe noch halten! Ich halte mich immer noch gut. Bei der Arbeit werde ich geachtet, meine Dissertation über die sokratische Methodik wird im nächsten Quartal in der „Zeitschrift für philosophische Forschung“ erscheinen.“

„Weißt du, wo ich deinen Sokrates habe?“, spottete sie. „Wen juck das, was einem Männlein vor tausenden von Jahren in seinem Kopf vorschwebte? Wie dir bekannt ist, stamme ich aus einer langlebigen Familie. Ich gebe mir noch vierzig Jahre und ich habe nicht die Absicht, diese Jahre zu verschwenden. Mir reichen diese verfluchte dreißig mit dir, Karl.“

„Und was ist mit den Erinnerungen an die glücklichen Tage unserer Jugend?“, fragte ich.

„Und diese letzten sieben Jahre, auf getrennten Betten, im Gestank deiner Zigaretten. Es reicht mir! Die Uhr läuft unaufhaltsam. Ich gehe!“

„Wie du meinst. Erlaubst du, dass ich mir etwas anziehe und dir mit den Koffern helfe?“

„Lass es sein, ich wünsche mir keine verlogenen Freundlichkeiten von dir.“

„Traudi, aber ich -“

„Sei so freundlich und halte dein Maul.“ Sie wählte eine Nummer auf ihrem Mobiltelefon. „Liebster, du kannst schon die Koffer runterbringen. Nein, nein. Er hat’s überlebt. Du müsstest seinen Gesichtsausdruck sehen: Schatz, Traudi … Jetzt hat er sich daran erinnert, was er in all den Jahren vergessen hat, der Idiot.“

„Bei mir ist es ähnlich abgelaufen“, schaltete sich der Metzger ein. „Nur dass ich es war, der auszog, und zwar zu einer Verkäuferin. Was für ein Mädel. Katja. Zwanzig Jahre jünger, genauer gesagt dreiundzwanzig.“

„Also fast minderjährig“, unterbrach ihn der Professor.

„Und so ist es um mich geschehen, meinen Verstand habe ich verloren. Zuerst -“

„Und was geschah dann? Herr Dozent“, stoppte der Professor die Ausführungen des Metzgers.

„Nach einem Moment erschien an der Tür ein stattlicher Mann, hob die Koffer locker an, als wären sie mit Federn gefüllt und verschwand wortlos. Hinter ihm her verschwand auch meine angetraute Edeltraud.“

„Und versuch gar nicht erst, mich zu suchen! Wir verreisen nach Paris“, rief sie noch. „Ich habe keine Gewissensbisse, genauso wenig wie auch unsere Tochter und der Schwiegersohn. Lebe wohl, du Pfeife.“

„Kannten sie diesen Mann von früher?“, fragte der Professor.

„Nein. Erst nach einigen Tagen wurde mir bewusst, dass ich dieses Gesicht schon mal gesehen hatte. Wahrscheinlich in den Fernsehserien auf RTL II.“

„Mit denen kann keiner von uns konkurrieren“, bemerkte der Metzger.

„Reden Sie weiter, bitte“, bat der Professor.

„Nach dem ersten Schock befiel mich eine tiefe Trauer. Meine Frau erschien in meinen Gedanken wie die schönste, die beste Frau der Welt und die plötzliche Einsamkeit wie eine düstere Vorahnung eines suizidalen Todes.“

„Typische Verlustsymptomatik“, warf der Professor kurz ein.

„Doch ich lebe lange genug auf dieser Welt, um zu wissen, dass fast jeder Schmerz vorübergeht. Er kann eine Stunde, einen Tag oder ein Jahr dauern, dann lässt er nach. An seiner Stelle kommt etwas anderes.“

„Eine andere Frau?“, fragte der Professor.

„Gut getroffen, Herr Professor“, bestätigte Karl. „Die Beschreibung, wie ich sie kennengelernt habe und wie in mir das sogenannte Gefühl aufglomm, erspare ich Ihnen, meine Herren. Sie hieß Elisabeth und war verwitwet. Zum dritten Mal. Der letzte Mann war ein bekannter Gourmetkritiker. An einem sonnigen Nachmittag im Oktober lud mich Frau Elisabeth zum Mittagessen ein. Sie war eine ausgezeichnete Köchin.“

„Und das ist der eigentliche Grund. Die Liebe ist da oder auch nicht, doch der Hunger meldet sich immer“, fügte der Metzger hinzu.

„Nach dem Essen setzte sie mich in einen tiefen Sessel. Sie selbst setzte sich an das Klavier und spielte Schubert.“

„Hat Ihnen das Mittagessen geschmeckt, Herr Karl?“, fragte sie.

„Deliziös, Frau Elisabeth. Mir fehlen einfach die Worte.“

„Übertreiben Sie bitte nicht. Es war eines der einfachsten Rezepte aus dem Buch meines letzten Ehemannes - Adalbert. Sie ernähren sich aktuell wie ein Junggeselle, nicht wahr?“ Die Klänge der Serenade wirkten auf mich beruhigend und entspannend.

„Ich habe fast gar nichts gegessen“, sagte ich.

„Und wie kochte Ihre Frau?“

„Mit Abstand nicht so gut wie Sie. Eine Frikadelle, eine Pizza, gebratene Leber. Wenn sie in guter Stimmung war, machte sie uns ein Wiener Schnitzel.“

„Das habe ich leider vermutet. Etwas Auserlesenes würde Ihrem Magen sicherlich schaden. Nein, nein, damit müssen wir noch etwas warten. Es wäre so, als würde man einem Eremiten, der jahrelang von Wurzeln lebte, ein Wildschweinragout mit Trüffeln in einer Soße à la Richelieu servieren.“ Elisabeth begann schneller und tiefer zu atmen. „Doch dieses Gulasch mit Rotkohl haben Sie gut verdaut?“

„Mit größtem Vergnügen, Elisabeth.“

„Fühlen Sie sich bequem in diesem Sessel?“

„Meine Anatomie passt sich, sozusagen, dem Sessel optimal an.“

„Ach, an diesem herbstlichen Abend erinnern Sie mich an meinen Adalbert.“

„Das ist ein sehr schmeichelnder Vergleich.“

„So oft saß er in diesem Sessel vertieft in seine Gedanken. Das Zimmer wurde vom Aroma seiner Pfeife erfüllt. Stundenlang konnte Adalbert so verharren, dem Knurren seiner Lieblingskatze Basil lauschend. Ja, er war ein großer und subtiler Virtuose der Organoleptik. Vielleich kocht er gerade in der Küche im Paradies zusammen mit Paul Bocuse und anderen berühmten Köchen der Welt.“ Elisabeths sanfte Stimme floss wie ein Gesang langsam und beseelt durch den Raum, zusammen mit den Klängen der Serenade.

„Entschuldigung, der Name sagt mir nichts.“

„Der Koch von Louis des XIV. Er erstach sich selbst mit einem Degen wegen der Verspätung des Abendessens. Ach, solche Männer gibt es nicht mehr. Leider.“

„Das, was Sie spielen, Elisabeth, ist so schön.“

„Danke.“

„Dieses unerwartete Konzert bewirkte, dass ich endlich verstanden habe, was Sokrates meinte, als er behauptete, dass für die Unglücklichen selbst die kleinen Freuden ein großen Glück bedeuten können.“

„Schuberts Musik beeinflusst die Verdauungsprozesse sehr zum Vorteil. Nach jeder Mahlzeit spielte ich für Adalbert etwas Klassisches, denn bei der Arbeit musste er verschiedenen Fraß zu sich nehmen. Der Ärmste. Dadurch litt er unter chronischer Verstopfung. Nur meine Musik bracht ihm eine Erleichterung.“

„Sie verzeihen mir die Frage. Haben die von Ihnen erwähnten gastrischen Unpässlichkeiten etwas mit seinem Hinscheiden zu tun?“

„Keineswegs. Ich habe ihm immer bis zum Erfolg gespielt. Er ist im

Frühling in unserem Schrebergarten dahingegangen. Für einen Moment hat er das Buddeln unterbrochen, um den Schweiß von seiner Stirn zu wischen. Er streckte seine Hand, als wolle er mir einen Vogel am endlosen Himmelblau zeigen. In wenigen Sekunden schied er dahin.“

„Das Herz?“

„Wegen Verfettung. Das stellte der Arzt bei der Obduktion fest. Doch ich bin davon überzeugt, dass Adalbert selbst entschied, diese gemeine Welt zu verlassen, wo auf ihn nur Verbitterung und fehlendes Verständnis für sein Genie wartete.“

„Das ist sehr, sehr traurig Elisabeth. Erlauben Sie, dass ich Ihre Hand küsse?“

„Aber bitte. Was tun Sie?! Bitte, nur die Hand. Wir kennen uns doch kaum. Es reicht, sage ich. Seit wann ist das eine Hand? Sie verzeihen, aber ein Gulasch mit Rotkohl begründet noch nicht solche Intimität.“

„Ich wollte Ihnen nur meine tiefe Wertschätzung zum Ausdruck bringen.“

„Ist schon gut. Ziehen Sie sich aus.“ Elisabeths Stimme klang plötzlich viel härter.

„Ich?“

„Schnell, machen sie es, zügig. Wir sind doch keine Kinder. Die Hose bitte. Die Schuhe, und die Socken auch.“

„Und was weiter? Unterbrechen Sie bitte nicht in so einem romantischen Augenblick“, ermutigte der Metzger den Erzähler.„Und übrigens, es war nicht Bocuse, sondern Francois Vatel“

„Respekt für Ihr kulinarisches Wissen. Aber ich werde Sie enttäuschen, lieber Bettnachbar. Das, was dann geschah, hatte mit Romantik nichts zu tun. Und mit der Romantik, wie Sie sie verstehen, schon gar nichts.“

„Stellen Sie sich mehr ans Licht“, bat Elisabeth.

„Gerne, gerne.“

„Oh ja, so ist es gut. Ja, jetzt sehen Sie wie ein anderer Mann aus. Wie ein richtiger Mann. Ziehen Sie bitte noch diese Jacke aus und jetzt bitte diesen Nadelstreifenanzug an. Ja, so ist es richtig.“

„Das Sakko scheint mir etwas locker zu sein. Und die zu große Hose fällt runter.“

„Was erzählen Sie für einen Unsinn? Knöpfen Sie den Hosenträger fest und hören Sie auf herumzunörgeln. Na bitte. Es sitzt fast wie bei meinem Adalbert.“

„Ich weiß nicht …“

„Doch ich weiß es ganz bestimmt. Alle meine Männer waren hundertprozentige Gentlemen. Sie könnten von denen noch viel lernen. Ich wollte eigentlich alle Sachen zur Altkleidersammlung bringen, aber ich sehe, Sie können einige davon gut gebrauchen.“

„Danke, danke schön. Sie haben so ein gutes Herz.“

„Schon gut, schon gut. Ich weiß selbst, was ich Gutes habe. Würden Sie etwas für mich tun?“

„Alles. Ja, alles, selbst wenn Sie mir befehlen würden, Ziegenmilch zu trinken.“

„Setzen Sie sich jetzt in den Sessel und nehmen Sie diese Pfeife in den Mund.“

Ihr imperativer Ton klang alles andere als angenehm. Mit voller Kraft steckte sie mir eine mit Tabak gefüllte Pfeife zwischen die Zähne und zündete sie mit einem Streichholz an. Schon beim ersten Zug bekam ich eine Hustenattacke, die ich nicht beherrschen konnte.

„Was für ein Barbar sind Sie. Sie sollten keinen Zug machen. O Gott, was für Unannehmlichkeiten habe ich mit Ihnen. Nee. Ich sehe, es wird lange dauern, bis ich aus Ihnen einen zivilisierten Europäer mache.“

„Ich bin schon lange ein Europäer, und zwar seit sehr, sehr langer Zeit.“

„Mag sein, doch Sie sehen wie ein Asiat aus. Ein Vollbart, lange Haare, ein Sakko mit Löchern an den Ärmeln und ein Pullover aus dem Discountladen. Und noch diese Hose, die aussieht wie ein Rohr aus der Industrieheizung.“

„Mein großes Vorbild – Sokrates – legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten.“

„Aber Sie sind kein Sokrates, Herr Klaus, sondern ein Dozent auf einer geachteten Hochschule und Sie sehen so aus, wie es einem Dozenten gebührt. Morgen früh geht es Abmarsch zum Friseur, die Haare werden geschnitten, der Schnurrbart kann bleiben, nur deutlich gekürzt. Ich kann es nicht leiden, wenn sich ein Stalin durch die Wohnung treibt. Und Ihre Klamotten in die Altkleidersammlung oder besser gleich in die Mülltonne.“

„Keine Beleidigung, Herr Dozent, aber ich würde nie Kleider eines Verstorbenen anziehen. Vielleich waren das auch mehrere Verstorbene. Es könnte sein, dass Adalbert auch die Kleider der vorherigen Ehemänner Elisabeths trug“, mischte sich der Metzger ein.

„Ich kann das nicht ausschließen, aber als ehemaliger Marxist konnte ich schon immer den Geist von der Materie trennen, zumal alles von bester Qualität war. Kleine Gebrauchsspuren gaben der Kleidung noch einen besonderen, edlen Charakter. So. Danach war die Markenunterwäsche mit Monogramm an der Reihe. Leider passten mir nur die Boxershorts des zweiten Ehemannes. Über den erlaube ich mir noch ein paar Sätze zu sagen.“

„Wie ich sehe, haben Sie eine Last auf sich genommen“, bedauerte der Metzger.

„Jeder wird in seinem Leben auf seine Xanthippe treffen, Sie auch Herr Wilhelm“, sagte der Professor.

„Glauben Sie mir, meine Herren. In meinem damaligen Zustand brauchte ich genauso einen Frauentypus. Übrigens, als ich von Elisabeths Wohnung mit Säcken voller Kleidung fortging, überfiel mich plötzlich eine Erleuchtung. Ja, sie ist meine letzte große Liebe. Ein Geschenk der Vorsehung, die mir einen Engel herabsendet, der mir Trost spendet. In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen und am Montagmorgen -“

„An so eine Liebe zu glauben, ist, als würde man an den Storch glauben, der Kinder in die Welt bringt“, unterbrach ihn der Metzger. „Ich zum Beispiel, als ich mich in die Kleine verliebt habe -“

„Herr Wilhelm“, ermahnte ihn der Professor. „Halten Sie gefälligst die Klappe! Sonst lasse ich Sie aus dem Saal abtransportieren.“

„Sorry“, entschuldigte sich der Metzger.

„Montagfrüh schellte jemand an der Haustür. Ich öffnete und da stand sie:

„Frau Elisabeth! Sind Sie es?“

„Ab heute kannst du mich beim Namen nennen. Hör zu, Karl, ich habe alles überdacht. Ich habe mich entschieden, dir noch eine Chance zu

geben.“

„Wirklich? Unglaublich. Bitte komm rein, Elisabeth.“

„Nein, nein, vorläufig bleibe ich so. Ich muss sicher sein, dass ich mich auf dich verlassen kann.“

„Du auf mich? Hast du noch Zweifel? Ich bin bereit, alles für dich …“

„Das passt doch ausgezeichnet. Bitte, das sind einige Überweisungen für dich. Lass dich bitte durchchecken und dann kommen wir eventuell noch auf das Gespräch zurück.“

Ich habe keine Ahnung, wie sie das hingekriegt hat. Nach zwei Tagen hatte ich zahlreiche Befunde von zehn Fachärzten in der Tasche. Elisabeth nahm alle Berichte mit, las sie aufmerksam und brachte mich zu ihrem Arzt:

„Sehr gut … Ja … Gut. Langsam sind wir im Klaren“, murmelte der Arzt.

„Karl, könntest du uns für einen Augenblick alleine lassen, bitte? Ich würde gerne mit dem Herrn Doktor reden.“

„Und was?“, fragte der Metzger ungeduldig.

„Und nichts. Ich bin rausgegangen. Doch die Tür war nicht ganz zu und ich konnte ein paar Sätze mithören.“

„Liebe Frau Elisabeth. Angesichts des Alters des Patienten sind die Ergebnisse der Untersuchungen im Normbereich. Nicht, dass er ein Action Hero wäre, doch es ist zu erwarten, dass er noch einige Zeit seinen passablen Zustand halten kann.“

„Und konkret, Herr Doktor?“

„Konkret was?“

„Eine Prognose. Wie lange kann er noch?“

„Sie meinen: Wie lange kann er noch leben?“

„Ja, zum Beispiel.“

„Woher soll ich das wissen? Vielleicht wird er morgen unaufmerksam und von einer Straßenbahn erwischt, oder in zwei Wochen bricht ein Weltkrieg aus.“

„Um Gottes willen, klopfen Sie, Herr Doktor, auf Holz.“

„Klopfen kann ich, aber ob das etwas bewirkt? Es gibt aber noch einen Aspekt. Ihr Verlobter beschäftigt sich mit Philosophie, nicht wahr?“

„In der Tat, er ist ein Dozent der Philosophie.“

„Ein Philosoph ist ein Vieldenker. Wenn ihn das Leben langweilen wird, wird er am Leben bleiben wollen? Und was dann?“

„Ich werde es ihm niemals erlauben! Doch sagen Sie mir – als Arzt: Wie viele Jahre geben Sie ihm? Fünf? Zehn? Vielleicht auch fünfzehn Jahre?“

„Warum schätzen Sie ihn in diesen fünfjährigen Perioden ein?“

„Ich muss mir mein Leben genau planen. Im Leben einer Frau kommt eine Zeit, wo für fröhliche Improvisationen keinen Platz mehr ist. Also, was meinen Sie?“

„So um zehn Jahre werden es schon sein und dann schauen wir mal.“

„Zehn, sagen Sie. Sie müssen es wissen. Ähm … Wissen Sie … Wir lieben uns sehr. Ich hätte da eine Bitte an Sie. Dass Sie ihm etwas verschreiben … Ein Rezept ausstellen für geeignete Tabletten -“

„Table… ach, Tabletten, ich verstehe. Lassen Sie ihn eines Tages zu mir kommen.“

„Nein, nein. Das Rezept soll auf mich ausgestellt werden. Er soll gar nichts davon wissen. Karl hatte in der letzten Zeit viele unangenehme Erlebnisse. Er befand sich am Rande einer Depression. Sie wissen schon, Selbstmordgedanken und ähnliches. Ich denke an etwas, was zu einer psychischen Unterstützung geeignet wäre und natürlich zu einer Befestigung unseres Verhältnisses beitragen würde.“

„Ich verstehe, Verstärkung und Befestigung. Damit muss man leider sehr aufpassen. Ihre Libido dürfte den Gesundheitszustand des Patienten nicht beeinträchtigen.“

„Aber natürlich. Ich verstehe. Die Mäßigung, die Mäßigung in jeder Hinsicht.“ Die Hustengeräusche der zahlreichen Patienten aus dem Wartezimmer waren nicht zu überhören.

„Aber wie soll ich es ihm diskret verabreichen? Was halten Sie von Suppe?“

„Davon rate ich eher ab. Wer weiß, welchen Einfluss eine heiße Suppe auf die Wirkung des Präparates haben kann.“

„Dann vielleicht eine kalte Obstsuppe? O Gott, was erzähle ich für einen Unsinn. Der Winter kommt und ich rede von einer kalten Suppe. Ich flehe Sie an, finden Sie etwas Geeignetes, Herr Doktor.“

„Vielleicht doch ein Tee mit Rum, da merkt er gar nichts.“

„Oh nein, ausgeschlossen. Ich hatte schon einen Alkoholiker als Mann. Einen genialen Violinisten übrigens. Nein, nein, ich will nicht noch einmal diesen Alptraum erleben. Während einem seiner Konzerte hat mein Mann Engelbert unter, hm, Einfluss … Sich … sein Auge mit dem Bogen aushöhlte.“

„Unglaublich! Sagten Sie, während eines Konzerts?“

„In der Philharmonie. In Wien. Sie spielten ein Konzert von Paganini. Sein außergewöhnliches Talent erlaubte ihm nicht, die Geige abzulegen und mit dem Alkohol aufzuhören. Er übte mit Leidenschaft weiter. Er verlegte die Seiten und wechselte die Hand und … Auf diese Weise verlor er auch das andere Auge.“

„Das ist nicht Ihr Ernst?!“

„Das war noch nicht das Ende meiner Qual. Als blinder Virtuose begann Engelbert in einem Restaurant zu arbeiten und so war es mit ihm geschehen.“

„Ich kann das nicht glauben. Sie haben sich diese Geschichte ausgedacht. Das gibt es einfach nicht, es ist unmöglich!“

„Bei einen alkoholisierten Künstler ist alles möglich, Herr Doktor. Wie viele große Künstler stärken ihr Selbstwertgefühl mit Alkohol und Drogen? Darüber lesen und hören Sie ja jeden Tag. Wie wäre es mit einem Fruchtsaftgetränk?“

„Fruchtsaftgetränk? Da spricht nichts dagegen. Wie viele Rezepte soll ich Ihnen ausstellen?“

„Zuerst bitte für ein halbes Jahr, und später, kann ich auf Sie zählen?“

„Aber natürlich. Unser Patient ist unser König. Gleich schreiben wir. Könnten Sie, gnädige Frau, die Tür zum Wartezimmer schließen? Es zieht nämlich sehr und es könnte hier möglicherweise einen Coronavirus oder eine seiner Mutationen hineinblasen.“

„Natürlich, Herr Doktor.“

„Die Tür knallte zu und ich hörte nichts mehr.“

„Herr Dozent, der Arzt hatte recht“, mischte sich der Metzger wieder ein. „Ich kannte den blinden Engelbert aus der Isola Bella. Das andere Auge verlor er nicht durch den Bogen, sondern durch eine Gabel mit Roulade. Er hat einfach seinen Mund verfehlt und stach sich ins Auge. So sieht die Wahrheit aus, leider.“

„Das ist kein bedeutendes Detail, Meister. Bitte, Herr Dozent, erzählen Sie weiter.“

„Ach, Herr Professor, wenn das menschliche Auge für Sie kein bedeutendes Detail darstellt, dann werde ich nichts mehr dazu sagen. Gute Nacht.“ Der Metzger drehte sich beleidigt in seinem Bett auf die Seite zur Wand.

„Es folgten wunderbare Tage und Nächte. Üppige Dinner mit Fruchtsaftgetränken. Fruchtsaftgetränke zum Frühstück, zum Mittagessen. Wir waren einfach unzertrennlich. Elisabeth besuchte meine Vorlesungen, saß zwischen gähnenden Studentinnen und hörte eifrig jedes meiner Wörter. Zum vollkommenen Glück fehlte nur, dass meine Edeltraud nicht sehen konnte, wie mein Leben einen wunderbaren Wandel nahm. Eines Tages kam ich in meine Wohnung, um einige Notizen mitzunehmen. Als ich in einer Schublade nach Unterlagen suchte, hörte ich ein Geräusch an der Tür. Sie quietschte und vor mir stand wer?“

„Ha. Eine Studentin mit dem Studienbuch zur Unterschrift!“, rief der Metzger enthusiastisch.

„Fehlschuss, Herr Kollege, meine eigene Ehefrau Edeltraud mit den beiden Koffern in ihren Händen. Sie wirkte bedrückt und selbst ihr dickes Make-up vermochte den großen blauen Fleck am Jochbein nicht zu verbergen.“

„Guten Tag, Karl“, sagte sie leise. „Ich habe alles überdacht und … und habe beschlossen, dir – uns – noch eine Chance zu geben.“

„Grüß dich, Edeltraud. Bist du doch aus Paris zurückgekommen?“

„Aus Bad Salzuflen. Ich bin hier gemeldet und ich begriff, dass hier mein Platz zum Leben ist. Oh, du hast zugenommen, sehe ich. Dieser elegante Anzug, und die Fliege. Bist du zum Professor ernannt worden?“

„Der Senat der Universität erwägt gerade diese Möglichkeit.“

„Hören Sie doch auf“, unterbrach der Metzger wieder und erhob sich aufgeregt im Bett. „Ich kann das nicht mehr hören. Wozu haben Sie mit ihr noch diskutiert? Sie sollten Ihre Trudi die Treppe runterwerfen und die Koffer aus dem Fenster hinterher.“

„Was machen Sie, Herr Wilhelm“, rief der Professor tadelnd. „Wollen Sie, dass die Fäden auseinandergehen und die Wunde sich öffnet? Nebenbei gesagt, Ihre gnädige Frau, Herr Dozent, hätte das verdient.“

„Genauso wollte ich handeln. Ich möchte nicht verschweigen, dass ich ein starkes Bedürfnis der sofortigen Genugtuung empfand. Doch ich spürte den strengen Blick, der aus den beiden Augenhöhlen der Sokrates-Büste auf mich gerichtet war. Und ich dachte, vielleicht ist das der wichtige Augenblick, in dem alles das, was ich jahrelang ergründet hatte, endlich einen Sinn bekommt. Ich lächelte sie an und verließ stoisch die Wohnung.“

„Sie haben mich beschämt, Herr Dozent“, bemerkte der Professor.

„Nein, nein. Nicht alles war am Ende sauber und großmütig. Ich konnte mir einige kleine Boshaftigkeiten nicht verkneifen. Jedes Mal, als ich in meine Wohnung gehen musste, habe ich mich reichlich mit Elisabeths Parfüm besprüht. Im Badezimmer sammelte ich Elisabeths Haare und heftete sie im Treppenhaus an meine Bekleidung. Ja, ein Mensch ist doch kleinmütig, auch dann, wenn er glaubt, diese schmerzhafte Prise der Großzügigkeit aus sich herausgepresst zu haben.“ Karl wurde plötzlich kurzatmig von Aufregung. „Entschuldigt bitte, ich muss etwas ausruhen.“

„Kann vielleicht jetzt ein einfacher Handwerker zu Wort kommen?“, fragte der Metzger.

„Nichts wie los“, ermutigte ihn der Professor. „Aber nur kurz und zur Sache.“

„Ja, kurz. Also, ich bin zu Katja gezogen. Im Geschäft waren wir auch immer zusammen. Sie bei der Wurstecke, ich bei den Steaks. Ich zu ihr Küsschen, Küsschen, sie schmeißt das Kalbsherz in meine Richtung. Zu Hause ebenfalls so, wie es sich gehört, vorläufig ohne Trauung. Gesundheit und die Kasse stimmten, gemeinsame Gesprächsthemen gab es sowieso und das Leben war schön. Nach drei Monaten sagt sie: „Willi, es kann nicht so weitergehen. Nur Bett und Metzgerei, Metzgerei und Bett, man muss was vom Leben haben.“

„Was denn?“, frage ich.

„Irgendwohin fahren, zum Beispiel nach Ägypten“, antwortet sie. „Alle fahren, nur wir sind ständig im Geschäft. Du muss irgendwas mit deinem Bauch machen. Wie können wir uns den Menschen am Strand zeigen mit so einem Bierbauch?“, sagt sie.

„Und dein Bauch, ist er vielleicht kleiner?“, sag ich. „Und der Rest?“

Und sie schickte mich zu einem Reisebüro. Abreise in zwei Wochen. Ich habe mich wirklich bemüht. Ich habe geschwitzt, Gewichte gestemmt und statt in Hurghada bin ich hier unter Ihrem Messer gelandet. Ich wusste nicht mal, wo ich bin.“

„Jetzt wissen Sie es schon“, sagte der Professor. „Und Sie, Herr Dozent, geht’s Ihnen schon besser?“

„Danke, schon besser, viel besser.“

„Wann wurde es bei Ihnen kritisch?“, fragte der Professor.

„Eine banale Geschichte. Ich weiß nicht, ob es sich lohnt …“

„Es lohnt sich, sicher lohnt es sich“, ermutigte ihn der Professor. „Wir hier in der Klinik beschäftigen uns nur mit dem tragischen Finale der scheinbar banalen Ereignisse. Aus meiner Sicht ist das menschliche Leben, von der Wiege bis zur Bahre, im Grunde genommen eine Krankengeschichte und ich würde gerne etwas mehr davon verstehen.“

„Also gut. An einem wolkenreichen Novembertag fuhr ich zusammen mit Elisabeth mit ihrem Wagen zum Schrebergarten. Ich buddelte im Boden, beseitigte das Unkraut, streute Mist, das ich von einem Bauern mit einer Schubkarre geholt hatte. Bis mich meine Kräfte komplett verlassen haben. Doch ich wollte meine Schwäche nicht zeigen und streute weiter.“

„Und sie?“, fragte der Professor.

„Sie saß an der Feuerstelle und beschenkte mich mit sachkündigen Ratschlägen. Von Zeit zu Zeit kam sie zu mir, um den Schweiß von meiner Stirn abzuwischen oder brachte mir einen Fruchtsaft mit.

„Wie tapfer du bist, Karl. Na bitte. Ein Intellektueller und schwingt die Gabel so, als hätte er in seinem Leben nichts anders gemacht. O mein Gott, mein Lieber, vor einer Sekunde hatte ich ein unglaubliches Déjà-vu. Warte doch, warte. Du stehst genau an der Stelle an der mein armer Adalbert dahingegangen ist. Nein, nein, beweg dich nicht. Ein Lächeln bitte.“

Klick. Ein Foto war fertig.

„Ah, wie schön“, lächelte sie.

„Vielleicht machen wir Schluss für heute?“

„Grab noch bitte dieses Beet um, dort, wo die wilden Erdbeeren wachsen.“

„Wie du es dir wünschst, mein Schatz.“ Ich buddelte weiter, bis ich auf etwas Hartes gestoßen bin.

„Komm bitte, schau mal hier, da sind … mal sehen. Ja, das sind Knochen.“

„Ah du, mein liebster Basil, wo sind jetzt deine Schnurrhaare? Wo ist dein Fell, mit dem du meine Knie gerieben hast? Oje, und deine Spiele mit der Maus am Schnürchen. Und deine großen Augen, mit denen du, als du auf den Knien des armen Adalberts ruhtest, die Welt betrachtetest.“

„Verzeih bitte, Liebes, es beginnt gerade zu regnen.“

„Ja, ja, die Werkzeuge in den Schuppen. Den Basil nehmen wir mit.“

„Wie denn, soll ich bei diesem Regen das Katzengrab öffnen?“

„Es reicht, den Kopf herauszunehmen. Beeil dich doch, Charles, pack den Kopf in die Tüte, trink deinen Fruchtsaft aus und dann fahren wir zu unserem kleinen Nest.“

„Wir sind im starken Regen zurückgefahren. Die Scheibenwischer haben es kaum geschafft, das Wasser von der Windschutzscheibe abzuwischen. Elisabeth ist gefahren und ich saß auf dem Beifahrersitz mit dem Kopf von Basil in der Tüte. Plötzlich wurde mir übel, schwindlig, schwarz von den Augen, und eine Hitzewelle erreichte meinen Kopf. Ich sah, wie Basils Schädel aus der Tasche herausrutschte, begann sich mit Fell zu bedecken und wie in seinen Augenhöhlen wieder die Augen erschienen. Ich verspürte plötzlich den verhassten Blick der Katzenaugen auf mir und eine unaussprechliche Angst. Einige Sekunden kam es mir vor, als würde ich im Regen über unserem Auto, das im Wasser versinkt, fliegen und mich an der Antenne festhalten. So war es.“

„Sie hat Sie in der letzten Minute hierhergebracht“, lobte der Professor.

„Meine tapfere Elisabeth rettete mir wieder das Leben.“

„Als Sie auf dem Tisch lagen, während der Vorbereitung des Eingriffs, gab es einige lustige Momente, denn … Na ja, sei es drum. Hauptsache, es ist gut gelungen.“ Der Professor lächelte andeutungsvoll.

„Ihre Frau, die Edeltraud, saß zwei Tage hier an Ihrem Bett, bis Sie aufgewacht sind“, bemerkte der Metzger.

„Wirklich?“

„Und die Frau Elisabeth habe ich hier noch nicht gesehen“, bekräftigte er.

„So ist das Leben, Herr Dozent. Der Arzt gab ihr für Sie zehn Jahre Garantie und Sie haben nur ein halbes Jahr ausgehalten. Die Intelligenz, verdammt noch mal. Meine Katja, ein einfaches Mädchen aus der Metzgerei, seit zwei Wochen verlässt sie das Krankenhaus nicht.“

„Na ja, ich bin hier zu lange schon sitzen geblieben.“ Der Professor erhob sich vom Stuhl. „Morgen früh, meine Herren, bereite ich Ihre Entlassungspapiere vor und Sie gehen zurück nach Hause. Auf Ihre Betten wartet schon eine Reihe von neuen Patienten. Herr Dozent, es ist Ihnen sicherlich bewusst, dass das Rauchen für Sie der Vergangenheit angehört.“

„Aber natürlich. Doch eine kleine Pfeife nach dem Essen …?“

„Wollen Sie unbedingt mit dem Tod verhandeln? Und diese Fruchtsäfte natürlich auch absetzen.“

„Und den Alkohol ebenfalls?“, fragte der Metzger.

„Für das nächste halbe Jahr ebenfalls. Eventuell ein kleines Schlückchen Cognac.“

„Und was ist mit diesen Dingen, Sie verstehen schon?“, fragte der Dozent.

„Was meinen Sie?“

„Der Kollege schämt sich zu fragen. Es geht um diese Dinge … die mit dem Fruchtsaft, nicht wahr, Herr Dozent?“

„Genau.“

„Sehen Sie, da gibt es verschiedene Schulen. Ich persönlich bin dafür, nur ohne überflüssige Akrobatik.“

„Herr Professor, bitte, gehen Sie noch nicht. Ich habe hier so eine … Kleinigkeit für Sie. Ein bescheidener Anhang dafür, dass Sie mir das Leben gerettet haben.“

„Stecken Sie bitte diesen Umschlag zurück“, rief der Professor empört zurück.

„Das ist doch für Ihre Mühe. Ohne Ihre Hilfe wäre meine Trauerfeier längst vorüber.“

„Sie sehen selbst, Herr Dozent, wie die Menschen sind. Nichts, nur Leben, Tod und das Geld.“

„Stimmt genau“, bestätigte der Metzger. Es gibt Leute und Menschen. Ich bin ein Mensch, der weiß, was einem zusteht. Die anderen nahmen bisher ohne zu zögern dem Rang nach und machten mir keine Unannehmlichkeiten.“

„Herr Wilhelm, gehen Sie mir, zum Teufel, mit diesem Umschlag aus den Augen.“

„Warten Sie bitte, Herr Professor, warten Sie. In diesem Fall sollte es so sein – Leben fürs Leben. Essen Sie nie mehr Bockwürste und auf keinem Fall die Mettwurst.“

„Danke, Meister, ich werde es nicht vergessen. Es ist Zeit für mich zu gehen. Ich sage nicht auf Wiedersehen und auch nicht Lebewohl. Halten Sie sich gesund, meine Herren.“ Der Professor verließ das Zimmer und begab sich in sein Kabinett. Dort klingelte schon das Telefon:

„Hallo, ich höre.“

„Ich bin es, Katja, die Freundin von Wilhelm. Erkennen Sie mich?“ „Natürlich, weiß ich, wer Sie sind. Frau Katja. Was gibt’s?“

„Wie steht es mit meinem Freund?“

„Ja, die Prognose ist nicht schlecht.“

„Ach, das freut mich so sehr. Dann können wir nach Ägypten fliegen.“

„Davon kann nicht die Rede sein. Kein Ägypten, kein Sex, kein Bodybuilding.“

„Und wie lange?“

„Mindestens ein Jahr.“

„Aber wie kann man so leben?“ Die Frau am Telefon brach hörbar in Tränen aus.

„Aber bitte, es gibt keinen Grund zu weinen!“

„Haben Sie eine Lösung für mich?“

„Natürlich. Für alles gibt es eine Lösung. Auch dafür. Kommen Sie einfach zu mir. Zu meinem Kabinett.“

„Zu Ihnen, Herr Professor? Und wann?“

„Wenn Sie wollen, noch heute, gleich.“

Kurz nach dem Telefonat war ein Stakkato von Frauenschuhen auf dem steinernen Fußboden vor dem Kabinett des Professors zu hören.

(Kranken-) Bettgeflüster

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