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Tatsächlich klopft Johann einen Tag später am frühen Nachmittag an Katharinas Zimmertür, damit sie gemeinsam mit den Rädern zur Stadt fahren können. Die gläserne Eingangstür zur Schwimmhalle öffnet automatisch vor ihnen. Johann bleibt unvermittelt davor stehen, bis die Tür wieder zugeht. Katharina tritt einen Schritt zurück, um noch einmal in die Reichweite des Bewegungsmelders zu kommen und schiebt Johann am Ellenbogen durch die sich erneut öffnende Tür.

Während sie von ihrem Taschengeld die Eintrittskarten und Badekleidung kauft, beobachtet Johann an einer breiten Glasscheibe am Ende des Raums, was eine Etage tiefer im Bad vor sich geht. In den Ferien und bei dem kühlen Herbstwetter wimmelt es nur so von Menschen. Eine Weile schauen Katharina und Johann nach unten auf die Menge von Leuten, die planschen, schwimmen, vom Turm springen, im Whirlpool sitzen, rutschen oder einfach nur auf den Liegen ausruhen. Dann lotst sie ihn durch eine Drehtür hinein ins Bad.

Für jemanden, der noch nie im Leben einen Plastikchip in so eine hüfthohe Eingangsschleuse gesteckt hat, ist das System offenbar nicht gerade selbsterklärend. Katharina schiebt Johann in eine Umkleidekabine und zeigt ihm, wie man die Türen auf- und zumacht.

»Hier musst du deine Badehose anziehen«, flüstert sie. Er nickt und zieht die Augenbrauen skeptisch zusammen, folgt aber ihren Anweisungen.

Draußen schließt sie ihre Sachen in einem der Garderobenschränke ein und schnallt sich das Band mit dem Schlüssel ums Handgelenk. Johann beobachtet alles genau. Er gibt sich sichtlich Mühe, so auszusehen, als seien Schwimmbadbesuche für ihn das Normalste auf der Welt.

Katharina trägt ihren schwarzen Sportbadeanzug, in dem sie sich am wohlsten fühlt. Sie reicht Johann ein Handtuch und läuft voraus zu den beiden Milchglastüren, die zu den Duschräumen führen – links für Männer, rechts für Frauen.

»Dort drinnen muss man sich abduschen und dann geht man durch eine andere Tür in die Schwimmhalle«, erklärt Katharina.

»Abduschen?«, wiederholt Johann mit hochgezogener Augenbraue.

»Ja, man stellt sich unter die Dusche und von oben kommt Wasser und spült einen sauber.«

Johann nickt und öffnet dann zögernd die Tür. Katharina hat sich den Badbesuch einfacher vorgestellt. Kaum zu glauben, wie viele Dinge es in einem Hallenbad gibt, die Johann nicht kennt!

Wenig später steht sie triefend nass in der Halle und verstaut ihre Handtücher in einem dafür vorgesehenen Regal. Dann wartet sie auf Johann. Minuten vergehen, aber er bleibt verschwunden. Sie kann sich nicht überwinden, in die Herrendusche zu gehen, um ihn zu suchen. Als das nächste Mal jemand durch die Tür tritt, fragt sie höflich, ob er einen jungen Mann mit langen braunen Haaren gesehen hätte.

»Moment, ich glaube schon«, antwortet er und weil Katharina ihn darum bittet, geht er noch einmal zurück, um wenig später mit einem pitschnassen Johann wiederzukommen. Katharina dankt dem Helfer und greift nach Johanns Hand. Doch der zieht sie trotzig weg.

»Ich fühl mich wie ein kleines Kind«, schimpft er. »Ich bin hier fehl am Platz! Alles musst du mir erklären! Nicht einmal das Wasser bringe ich zum Herausfließen aus der Dusche!« Er klingt wütend.

Katharina sieht sich seufzend um. Genau in diesem Moment laufen zwei Mädchen in ihrem Alter vorbei. Die eine rückt soeben ihre knappe rosa Bikinihose zurecht, die zwischen die Pobacken gerutscht ist. Johann dreht die Augen zur Decke und seine Mundwinkel zucken. Da muss Katharina kichern, so absurd kommt ihr die Situation auf einmal vor.

»Sieh es als Landeskunde«, gluckst sie, als die beiden Mädchen in einiger Entfernung stehen bleiben und in ihre Richtung schauen. Die schlanke Blondine im rosa Bikini starrt Johann ungeniert an. Dann reckt sie sich, drückt die Brust nach vorn und löst ihren langen Zopf, um filmreif die Haare zu schwingen. Johann dreht der Unbekannten den Rücken zu, damit sie seinen Lachanfall nicht mitbekommt. Katharina muss ebenfalls lachen, bis ihr Bauch verkrampft und sie kaum mehr weiß, was so lustig gewesen ist.

»Wenn ich einmal hier bin, sollte ich auch alles ausprobieren, bevor ich zurück nach Hause muss«, sagt Johann schließlich, als sie sich beruhigt haben. Er sieht hoch zum Sprungturm, was bei Katharina einen Schluckauf auslöst.

»Das ist eine Mutprobe für alle, die echte Krieger werden wollen«, erklärt er feierlich und strafft die Schultern. Katharina unterdrückt erneut ein Kichern, was augenblicklich mit dem Schluckauf kollidiert. Johann sieht sie aus zusammengekniffenen Augen an.

»Du lachst mich aus? Dann musst du die Mutprobe auch bestehen!«

Panisch stellt Katharina fest, dass er direkt den Fünf-Meter-Turm anvisiert, auf den sie sich noch nie getraut hat.

»So eine Übung ist sicher von Vorteil, wenn es einmal darum geht, eine feindliche Burg zu stürmen!«, sagt Johann und zwinkert ihr zu.

»Falls es sich dabei um eine Wasserburg handelt«, scherzt Katharina, um das unangenehme Gefühl in der Magengegend loszuwerden. Johann meint es ernst, denn er stellt sich unverzüglich in die überschaubare Schlange der Leute, die am Fünf-Meter-Turm warten.

»Ich glaube nicht, dass ich da runterspringen will. Das sieht total hoch aus!«, stammelt Katharina.

»Du darfst auch nicht nach unten schauen«, lacht Johann. »Außerdem weißt du doch, wie weich du im Wasser landest! Weit und breit kein Felsbrocken, man kann sogar den Grund sehen!«

Er schiebt sie vor sich her die Leiter hinauf bis sie hinter dem letzten Jungen steht, der auf seinen Sprung wartet.

»Das wäre ja noch schöner, wenn es im Sprungbecken Felsen gäbe!«, ruft Katharina empört. In ihrem Magen verstärkt sich der unschöne Druck, als sie sich Stufe um Stufe weiter nach oben bewegen. Immerhin haben sie hier im Bad keinen Zehn-Meter-Turm, versucht sie sich selbst zu beruhigen.

»Ich kann das nicht«, jammert sie leise, als ihr auffällt wie klein die Leute aussehen, die drüben im anderen Becken schwimmen.

»Natürlich schaffst du das«, bemüht sich Johann jetzt, sie zu motivieren. »Wer weiß, wozu es einmal gut sein wird, wenn du gelernt hast, deine Angst zu überwinden!«

Katharina schnaubt nur empört, woraufhin Johann sie tadelnd ansieht.

»Ich hab mal ein Feuer erlebt. Da gab es ein Mädchen, das stand starr vor Schreck an einem Dachbodenfenster. Beinahe wäre sie verbrannt, hätte sie nicht einer der Schildknappen noch rechtzeitig gerettet. Aber so einer ist selten zur Stelle. Es ist lebenswichtig, dass man lernt, seine Angst zu bezwingen und einen kühlen Kopf zu behalten!«

Katharina schweigt betroffen. Ihre Kehle schnürt sich trotzdem zusammen, als sie plötzlich ganz oben auf der Plattform steht. Der Junge vor ihr nimmt Anlauf und hüpft routiniert hinunter ins Wasser.

Nicht hinschauen, denkt sie. Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen bis sie sich am vordersten Rand des Sprungturms befindet. In ihren Ohren rauscht das Blut und sie kann sich das Mädchen, das vor Panik starr in dem brennenden Gebäude steht, auf einmal lebhaft vorstellen. Der Gedanke an das heiße Feuer bringt sie zuletzt doch dazu, sich aus ihrer Lähmung zu lösen. Kerzengerade und mit geschlossenen Augen rast sie auf die Wasserfläche zu und taucht dann tief ein. Erleichtert paddelt sie nach oben zur Leiter am Beckenrand und sieht aus den Augenwinkeln, wie Johann entschlossen springt. Sie muss zugeben, sie ist stolz, es geschafft zu haben! Aber einmal reicht.

»Jetzt die große Rutsche«, sagt sie zu Johann, bevor er eine zweite Runde vorschlagen kann.

Durch ein Panoramafenster sehen sie, wie sich eine rote Plastikröhre wie eine Riesenschlange außen am Gebäude entlangwindet.

»Eine Rutsche?«, wiederholt Johann.

»Diese lange Röhre dort, durch die man nach unten ins Wasser rast«, erklärt Katharina, während sie ihn zu der Treppe zieht, über die man hinauf zum Anfang der Wasserrutsche gelangt. Beim Anblick des roten Tunnels sieht Johann nervös aus. Aber dann strafft er die Schultern und sagt mit einem Augenzwinkern: »Nun gut, auf zur nächsten Übungseinheit: Der Schlund des Drachens!«

Katharina lacht. Sie kennt die Rutsche bereits und muss sich nicht mehr überwinden.

»Allein nacheinander oder beide gemeinsam?«, fragt sie, als sie Johanns konzentrierten Blick auffängt. Er sieht aus, als sammle er all seinen Mut.

»Ich schaff das alleine«, presst er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Katharina lacht fröhlich.

»Natürlich schaffst du das! Ich zuerst. Du darfst erst starten, wenn das grüne Licht leuchtet, sonst stoßen wir unterwegs zusammen!«

Katharina hält sich mit den Händen an einer dafür vorgesehenen Stange fest und als die Ampel auf Grün schaltet, lässt sie los. Augenblicklich reißt sie das durch die Röhre strömende Wasser mit, sodass sie in Schräglage den langen roten Tunnel entlangsegelt. Dabei kreischt sie so lange, bis sie unten ins Wasserbecken schießt. Es dauert eine ganze Weile bis Johann dort ebenfalls keuchend vor ihr auftaucht.

»Nochmal«, sagt er bloß und steigt aus dem Wasser. Katharina folgt ihm lachend: »Aber nur noch einmal, dann müssen wir zurück, sonst wirst du vermisst!«

»Du klingst wie mein Kindermädchen«, schimpft er mit gespielt strengem Blick.

Katharina wirft ihm ihr süßestes Lächeln zu. Sicher ist die Ausbildung bei Herrn Ludowig härter, als er ihr glauben machen will. Für jeden Besuch braucht Johann eine gute Ausrede. Was er in Wirklichkeit tut, kann auf Burg Grünfels niemand erahnen. Wie sollen sie auch auf die Idee kommen, dass Johann in einer völlig anderen Zeit neben ihr am Anfang einer langen roten Wasserrutsche steht?

»Jetzt zusammen«, sagt Johann, runzelt allerdings im nächsten Moment die Stirn. »Aber wie soll das gehen?«

»Du setzt dich einfach hinter mich«, erklärt Katharina. »Hier, deine Beine müssen neben meine.«

Als sie Johann direkt an ihrem Rücken spürt und seine Hand dann ihren Bauch umfasst, steht Katharinas Körper urplötzlich unter Strom. Er ist so furchtbar nah! In dem Moment springt die Ampel auf Grün.

»Jetzt!«, ruft sie und lässt los. Nach hinten gelehnt, liegt sie fast auf Johanns Oberkörper, während er sie mit einem Arm umklammert. Katharina kreischt vor Übermut, als sie wahnsinnig schnell hin und her geworfen werden. Lange Sekunden später landen sie mit den Füßen zuerst im Becken.

Johann lässt sie nicht los, sondern zieht sie noch näher heran.

»Aufregend, so ein Schwimmbad«, krächzt er mit belegter Stimme. In Katharinas Ohren rauscht es genau wie das Wasser um sie herum. Einen Moment lang lehnt sie mit dem Rücken an Johanns Körper. In ihrem Bauch muss sich ebenfalls eine Wasserrutsche befinden, so aufgewühlt fühlt der sich an. Johann atmet tief ein und aus, als falle ihm das Luftholen schwer. Sie weiß selbst nicht, wieso, aber Katharina dreht sich in seiner Umarmung zu ihm um und legt die Hände auf seine Schultern. Sein Atem pustet ihr ins Gesicht, ansonsten verharrt er wie erstarrt. Katharina kommt sich vor wie berauscht. Aus einem Impuls heraus, drückt sie ihm ihre Lippen auf den Mund. Das fühlt sich unerwartet warm und weich an. Hastig zieht sie ihren Kopf wieder zurück. Johann schaut sie mit weit aufgerissenen Augen an, lässt sie aber trotzdem nicht los.

»Ich glaube, ich muss sterben«, keucht er und legt sein Kinn auf ihre Schulter. Katharina hängt zitternd in seinen Armen. »Ich auch«, flüstert sie.

In dem Moment spuckt die Rutsche zwei laut quietschende Mädchen aus, die hustend und keuchend neben ihnen aus dem Wasser auftauchen. Die Blondine im rosa Bikini! Johann lässt Katharina eilig los und bringt einen sicheren Abstand zwischen sie. Katharina weiß nicht recht, was sie sagen soll. Ihr Herz rast immer noch einen Takt schneller als sonst. Um sie beide abzulenken, beginnt sie, belanglose Sätze zu plaudern. Das hilft, damit sie nach einer Weile wieder normal nebeneinander her zur Umkleide gehen können.

***

Auf dem Heimweg nieselt es ein wenig. Sie radeln zügig und wortkarg nach Grünfels. Johann fährt vorneweg und findet den Rückweg zu Katharinas Verwunderung ohne Hilfe. Sie verstauen die Räder im Schuppen, bevor sie die ausgetretenen Stufen hinauf ins Obergeschoss gehen. Vor dem Spiegel bleiben sie stehen. Katharina sieht höflich aus dem Fenster, während Johann seine Kleider tauscht.

»Allein der Geruch nach Schwimmbad und Seife wird mich verraten«, meint er, als er wieder die blaue, langärmlige Tunika zu den grauen Wollhosen trägt. Dann schnüffelt er an seinem Ärmel und zieht einen Mundwinkel nach oben: »Gut, vielleicht auch nicht. Der letzte Waschtag ist schon eine Weile her!«

Sein Gesichtsausdruck wechselt jedoch gleich wieder zu ernsthaft.

»Danke für den Ausflug«, sagt er. »Den werde ich nie vergessen!«

Vorsichtig berührt er mit der Hand ihre Wange. Katharinas Herz schlägt heftig, aber mehr als ein kleines Lächeln bringt sie nicht zu Stande. Dann wendet Johann sich ab, legt seine Stirn an das Spiegelglas und verschwindet.

Nachdem Katharina die Tür zu diesem Zimmer wieder sorgfältig verschlossen hat, starrt sie lange zum Fenster hinaus. Draußen taucht die Dämmerung das Dorf und die Obstwiese in ein graues Licht. Die widersprüchlichsten Gedanken schleichen sich in ihren Kopf, lassen sich einfach nicht sortieren.

Allen voran: Was bitte soll das werden? Für sie und Johann gibt es niemals eine gemeinsame Zukunft, denn seine liegt in der Vergangenheit. Sie gesteht es sich ein: Sie ist verliebt, obwohl sie ihn kaum kennt und er sie oft verwirrt. Aber noch nie zuvor hat sie sich so aufgewühlt gefühlt, so elektrisiert, so voller Energie! Trotzdem will sie niemals in seiner Zeit leben und er wird weiter seine Ziele verfolgen, um zum Ritter aufzusteigen. Selbst den Besuch im Schwimmbad hat er als Teil seiner Ausbildung betrachtet. Dabei nimmt sie ihn überhaupt nicht als Krieger wahr, sondern findet ihn neugierig, intelligent, feinfühlig – er könnte auch andere Dinge lernen als das Kriegshandwerk. Aber in seiner Welt sieht er das als seine Bestimmung, seine einzige Chance im Leben, denn eine Wahl gibt es nicht. Er stellt das keineswegs in Frage. Katharina wühlt mit den Händen durch ihre Locken. Dass sie ausgerechnet ihn mögen muss! Doch dann breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, denn sie ist sich sicher, ihm geht es genauso.

Lindenherz

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