Читать книгу Die Klügere gibt nach - Tanya Huff - Страница 6

Drei

Оглавление

Die Temperatur in dem schmalen Korridor war auf etwas über 47° C angestiegen, aber der Schweiß, der Torin über den Nacken ran, war der Anstrengung geschuldet – innerhalb ihres Anzugs herrschten kühle 13° C. Ihr Anzug simulierte jetzt seit einer halben Stunde optimale Bedingungen für di’Taykaner und ließ sich nicht umstellen. Wenigstens die Umweltkontrollen funktionierten.

Gleich zu Anfang hatte ein EMP ihr Navigationsprogramm lahmgelegt. Zum Glück war der Zielfunk nicht betroffen gewesen, sie hatte sich durch das Ganglabyrinth stetig weiter in Richtung Luftschleuse bewegt. Die Erbauer hatten offenbar sehr auf Sackgassen, Räume ohne erkennbaren Zweck und große Maschinenteile, die ebenso archaisch wie fremdartig wirkten, gestanden. Torin hatte eine Leiter gesehen, die ins Herz einer Dampfturbine führte und war kurz darauf auf einer langen, geraden Strecke mit etwas um die Wette gelaufen, das gut auf den Hof ihrer Familie gepasst hätte – wenn die landwirtschaftlichen Maschinen je versucht hätten, sie zu töten.

Die Luftschleuse lag jetzt nur noch acht Meter rechts von ihr.

Hinter einer Wand.

Torin stand am Ende eines L-förmigen Gangstücks. Eine weitere Sackgasse.

Sie hatte noch Luft für dreiundzwanzig Minuten.

Es musste einen Weg geben.

Sie atmete langsamer, verfolgte in Gedanken ihren Weg zurück und lächelte.

Nach drei langen Schritten Richtung Stirnwand deaktivierte sie ihre Stiefel. Der Schwung trieb sie weiter. Sie hob die Füße und stieß sich heftig ab.

Die Ecke schaffte sie nur durch Abprallen, doch sie hatte sich weit genug gedreht, um fast den richtigen Vektor zu erwischen. »Fast« bedeutete lediglich eine geprellte Schulter. Nicht schön, aber solange es funktionierte …

An der nächsten T-Kreuzung drehte sie sich wieder, schaltete ihre Magnetstiefel wieder ein und ging an der Wand hoch zu einem Korridor ein Stockwerk höher.

Die Sicht war schlecht. Schwebeteilchen erfüllten das, was sie als Atmosphäre durchging, und Torins Visier war ziemlich verschmiert. Es kostete sie fünf lange Minuten, die Röhre zu finden, an die sich erinnert hatte, aber nur Sekunden, um sich zu vergewissern, dass sie in die richtige Richtung führte.

Luftschleusenzugang in 22,86 Metern. Eine Ebene tiefer.

Eine frühere Laserpeilung hatte eine Länge der Röhre von 16,3 Metern gemessen. Das würde sie auf die andere Seite der Wand bringen, die sie gerade anstarrte.

Die Röhre war eng.

Sie hatte noch Luft für sieben Minuten.

Andererseits würde ihr die Enge erlauben, sich nach dem Aufprall abzustützen, die Erschütterung mit den Knien abzufedern, damit sie nicht dorthin zurücktrudelte, wo sie hergekommen war.

Luftschleusenzugang in 6,56 Metern. Eine Ebene tiefer.

Torin platzierte eine Hohlladung. Sie aktivierte sich beim Anbringen.

Wenn man noch Luft für vier Minuten und zwölf Sekunden hatte, kam einem ein Dreißig-Sekunden-Zeitzünder wie eine Ewigkeit vor.

Sie befreite den Anzug von allem, was sich abnehmen ließ, türmte es über die Ladung und schob sich rückwärts.

Drei Minuten und zweiundvierzig Sekunden später warf sie die Explosionsüberreste durch das Loch, rutschte selbst hinterher, magnetisierte ihre Stiefel wieder, als sie das Deck berührte, und joggte zur Luftschleuse.

Als sich die Türscheibe hinter ihr schloss, schob sie ihre Handschuhe in die Schulterschlaufen und nahm den Helm ab, sobald die Kontrollen grün wurden, um ihre Lunge mit tiefen Atemzügen von Luft zu füllen, die weniger nach Staff Sergeant stank.

Sie brauchte einen Augenblick, um das plötzlich in ihren Ohren klingende Geräusch zu identifizieren.

Applaus.

Torin drehte sich um und ließ den Blick über die im Halbkreis stehenden Marines schweifen, die ihr zugesehen hatten, bis er schließlich auf Huilin und Jynett ruhte, die schauten wie besorgte Eltern. »Ihr seid zwei sadistische Hurensöhne«, sagte sie und löste ihre leeren Tanks, zu müde, um sich eine kulturelle Entsprechung von Taykan zu überlegen.

Die Augen der beiden leuchteten.

Jynett schlug Huilin auf die Schulter und duckte sich unter seiner entsprechenden Antwort weg.

»Danke, Staff.«

»Bitte.«

»Sie hatten noch Luft für siebzehn Sekunden, Staff«, bemerkte Nivry, trat vor und fing Torins zu Boden fallende Tanks auf. »Warum die Eile?«

»Nun, Corporal, es ist so …« Sie hielt lange genug inne, um ihren linken Handschuh auszuziehen. »Ich wollte die Simulation nicht unnötig lange mit Beschlag belegen.«

»Sehr rücksichtsvoll.«

»Nicht wahr?« Ringsum ertönte schallendes Gelächter. Sie warf Guimond ihren Handschuh gegen die Brust. »Sie sind dran, Sie Spaßvogel.«

»Alles klar!« Das ewige Lächeln wurde noch breiter, und er schwenkte den Handschuh wie eine Trophäe. »Danke, Staff.«

Man musste einfach mit ihm mitlachen, dachte Torin, während sie an die Pseudo-Luftschleuse gelehnt ihren Anzug abstreifte und Guimond seinen anzog. Da sie nur für zwei Stunden Luft hatten, machten sie sich nicht die Mühe, die Fäkalwiederaufbereiter anzuschließen, weswegen die ganze Prozedur nur halb so lange dauerte wie sonst – und doppelt so lange, wie wenn es nicht so viele helfende Hände gegeben hätte.

Die Anzüge des Corps für den Einsatz in gefährlichen Umgebungen waren hochtechnisierte Wunderwerke, die es ihren Trägern ermöglichten, sich frei zu bewegen und sie vor fast allem beschützten, was ein feindliches Universum ihnen entgegenschleudern konnte – bis einschließlich Projektilen aus den meisten Handfeuerwaffen, wobei allerdings Kopf- oder Oberkörpertreffer hässliche blaue Flecken hinterließen. Der Helm nutzte H’san-Technologie und existierte in zwei verschiedenen Formen. Am Nackenscharnier hing er auf dem Rücken des Anzugs wie eine leere Tüte. Wenn man ihn über den Kopf zog, verwandelte er sich in eine starre, undurchdringliche Kugel, die durch Polarisierung jedes einprogrammierte Lichtspektrum erzeugen konnte.

Wenn man einen Helm trug, konnte der Anzug praktisch alles Atembare einfiltern, um die Lufttanks zu schonen, sofern die Außenatmosphäre eine beliebige Kombination aus Sauer- und Stickstoff enthielt. Er bereitete Körperflüssigkeiten – alle Körperflüssigkeiten – fast unendlich oft wieder auf. Man konnte die autarken Anzüge bequem sechs Stunden tragen, acht Stunden darin überleben, und wenn man danach noch Luft übrighatte, wurde es zusehends übler. Sie leuchteten bei diversen Lichtbedingungen, um den Bergungsmannschaften die Suche nach den Leichen zu erleichtern. Marines liebten und hassten sie gleichermaßen.

August Guimond war der erste Marine, den Torin erlebte, der seinen mit Begeisterung anzog.

»Na schön …« Sie ließ den Anzug fallen, stieg aus den Stiefeln und machte kreisende Bewegungen mit den Schultern, um sie zu lockern. »… sagen wir, jeweils zweieinhalb Stunden, etwas länger, wenn der Kandidat nicht überlebt und wir eine Nachbesprechung brauchen. Auch simulierte Tode sind sinnlos, wenn wir nichts aus ihnen lernen.«

Nivrys Augen leuchteten auf. »Das ist ja regelrecht philosophisch, Staff.«

»Ich werde im Laufe des Tages noch philosophischer werden. Sie dürfen sich gerne Notizen machen.« Mit ihrem Anzug in einer Hand und einem Putzset in der anderen wandte sich Torin wieder an Huilin und Jynett. »Kann das Ding noch zwölf weitere Programme ausspucken?«

»Problemlos, Staff.«

»Zwölf verschiedene Programme«, konkretisierte sie.

»Der Kurs Feindliche Umgebung 2 verfügt über eine endlose Anzahl von Schikanen.«

»Wie realistisch. Dann« – ihre Stimme wurde lauter, was sich jetzt an das gesamte Team richtete – »werden wir heute und morgen Einzelsimulationen laufen lassen und dann in Gruppen weitermachen. Guimond, so viel Munition brauchen Sie nicht für Ihr KC. Wir spielen Variationen von ›Heimweg finden‹, keine Vernichtungsmissionen.«

Der große Mensch warf einen Blick auf die zwei Handvoll Magazine, die er gerade in seine ausgebeulten Beintaschen lud und sah dann wieder zu Torin auf. »Es ist simulierte Munition«, erinnerte er sie grinsend.

»Stimmt.«

»Sie hatten Sprengstoff dabei.«

»Ich sehe da keinen Zusammenhang. Sprengstoffladungen sind Standardausrüstung bei Aufklärungsmissionen.« Sie legte ihren Anzug über eine Schulter und warf ihm eine Ladung zu. »Man sollte nie ohne aus dem Haus gehen.«

»Was ist jetzt mit der Munition?«, fragte er und hängte die Sprengstoffladung an seinen Gürtel.

Torin seufzte. »Nehmen Sie mit, so viel Sie wollen.«

»Danke, Staff.«

»Aber …« Wieder wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem gesamten Team zu. »… wenn ich den Eindruck habe, jemand verlässt sich zu sehr auf seinen Anzug, machen wir eine Reihe von Minimalausrüstungssimulationen.«

Guimond, der gerade seinen Helm aufsetzen wollte, hielt inne. »Staff, wollen Sie mir damit sagen, Sie würden mich lieber nackt und nur mit einem Messer zwischen den Zähnen da reinschicken?«

Torin machte eine Pause, die so bedeutungsschwanger war, dass sie jedem di’Taykaner Ehre gemacht hätte, und sagte dann: »Mit einem Messer in der Hand, Guimond. Es wäre mir sehr unrecht, wenn Sie sich den Kopf abschneiden würden. Überprüfen Sie jetzt Ihre Systeme und schaffen Sie sich da rein. Im Gegensatz zum Universum werden wir alle älter.«

»Eine fünfprozentige Sterberate, Staff Sergeant?« Captain Travik schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich finde, Sie machen die Simulationen zu leicht.«

»Diese Marines sind handverlesen, Sir. Sie sind gut.«

»Trotzdem – fünf Prozent. General Morris soll nicht denken, wir nähmen das Training nicht ernst.«

Torin ging davon aus, dass General Morris bisher den Kontakt des Captains mit dem Team nicht ohne Grund auf den Besprechungsraum beschränkt hatte. Andererseits konnte der Captain nichts falsch machen, wenn er nicht beteiligt war. »Die Programme stammen aus FU2, Sir.«

»Zwei?« Eine tiefe Falte bildete sich auf seiner Stirn, die seine oberen Nasenwülste berührte. »Habe ich Sie angewiesen, Zwei zu verwenden?«

»Sie haben nicht spezifiziert, welche Simulation wir nutzen sollen, Sir. Es war die beste, die wir hatten.«

Die Falte glättete sich. »Die beste. Verstehe.« Er strahlte zustimmend.

Torin ging davon aus, dass er die Wahrheit biegen und einfach behaupten würde, die FU2-Simulationen seien von Anfang an seine Idee gewesen – so machten schlechte Offiziere das. Doch von ihr aus konnte er auch behaupten, er hätte das geschlossene Exerzieren erfunden, solange er ihre Leute nicht in unnötige Gefahr brachte.

Was die FU2-Simulationen anging, so hatte Huilin eine Raubkopie der komplexen Simulation, die sein nächster Kurs werden sollte, besorgt und es gemeinsam mit Jynett unter Verwendung von Informationen aus ihrem letzten gemeinsamen Kurs geschafft, den Ausbildercode zu knacken und sie so zum Laufen zu bringen – was Captain Travik nicht wissen musste.

Sie warf einen Blick auf den zusammenfassenden Bericht, den sie gerade fertiggestellt hatte. »Wir werden auch morgen noch Einzelsimulationen durchführen, Sir.«

»Ausgezeichnet.«

»Kommen Sie vorbei?«

»Ich glaube nicht, Staff Sergeant.« Er beugte sich in seinem Stuhl nach vorn, hob das Kinn und reckte die Brust vor. »Die Soldatinnen und Soldaten haben bessere Chancen, wenn sie sich nicht von mir beobachtet fühlen.«

»Nein, ich dachte, Sie möchten vielleicht selbst mal eine Simulation durchlaufen, Captain.«

»Ich?«

Ist hier sonst noch ein Captain im Raum? Sie begegnete ruhig seinem indignierten Blick und führte weiter aus: »Als Ihre leitende Unteroffizierin ist es meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie schon eine ganze Weile keinen Anzug mehr angehabt haben.«

»Ihre Pflicht?«

»Jawohl, Sir.«

»Darauf hinzuweisen, dass ich schon eine ganze Weile keinen Anzug mehr angehabt habe?«

»Jawohl, Sir.« Es war, als spräche sie mit einem primitiven Übersetzungsprogramm, das die Pronomen veränderte und dann alles wiederholte. Leider trug das primitive Übersetzungsprogramm die Uniform eines Captains.

»Eine ganze Weile?«

»Jawohl, Sir.«

Er stand auf, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und zupfte geübt in der gleichen Bewegung seine Uniformjacke zurecht. Seine Schultern hingen, sein Kopf war leicht geneigt, und er bleckte die Zähne. Torin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er in eine Videokamera starrte, die nur er sehen konnte. »Horohn 8 war eine feindliche Umgebung, Staff Sergeant, und ich bin mir sicher, Sie haben gehört, dass ich dort einen Anzug getragen habe. Tatsächlich habe ich vier Stunden in diesem serley Anzug zugebracht. Vier Stunden lang habe ich um mein Leben gekämpft, während rings um mich Marines gefallen sind wie …« Seine Nasenwüste erröteten leicht. »Wie fallen Dinge noch mal dem menschlichen Idiom zufolge?«

»Wie die Fliegen, Sir.«

»Ja, genau. Also, rings um mich fielen die Marines wie die Fliegen. Wenn ein Offizier eine solche Situation hinter sich hat, Staff Sergeant, braucht er keinen Kurs für feindliche Umgebungen mehr. Er hat den einzigen Kurs überlebt, der wirklich etwas bedeutet.« Die linke Hälfte seiner Oberlippe kräuselte sich. »Diese Mission ist nur eine Enkamo …«

»Sir?«

»Eine Enkamo.« Seine Nasenwülste wurden dunkler. »Nicht kriegerische militärische Operation. NKMO.«

»Oh.«

»Genau. Ich werde die Mission nicht gefährden, nur weil ich an Ihren kleinen Übungen nicht teilnehme, Staff Sergeant, und ich finde es problematisch, dass Sie mir das unterstellen. Weitere Insubordination werde ich dem General melden. Davon können Sie ausgehen.«

»Jawohl, Sir.«

Er starrte sie einen Moment lang an und versuchte herauszufinden, wozu sie gerade ihre Zustimmung ausgedrückt hatte. Torin gab ihm keine Hilfe. »Gut«, sagte er schließlich und verbarg seine Unsicherheit in einer Bewegung. Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, legte einen Fuß auf den Schreibtisch und griff mit dem anderen nach seinem Tablet. »Also, wenn Sie wirklich wollen, dass diese Simulationen etwas bewirken, dann sprechen Sie mit Ihrem Freund Mr Ryder. Er hat nicht den Vorteil Ihrer Ausbildung oder meiner Erfahrung. Ich möchte die Details seines Todes nicht in meinen Bericht aufnehmen müssen, und ich bin sicher, dass Sie nicht seine Leiche mit sich herumschleppen wollen, während Sie das fremde Schiff sichern.«

***

Mit der überschüssigen Energie des Susumi-Antriebs betrieb die Berganitan ein internes Transitsystem, das sich außer in der Größe in keiner Weise von den Transportkapseln auf den Stationen unterschied. Da sie nicht direkt vom Marine-Anbau zu den Shuttlebuchten gehen konnte, fand sich Torin an einem isolierten Transferpunkt wieder. So sehr sie es auch hasste, Captain Travik in irgendetwas zuzustimmen, seine Bemerkung über die Unfähigkeit der Flotte, eine gerade Linie zu ziehen, war gar nicht so falsch.

Als die Transportkapsel schließlich kam, rannten zwei aussteigende Vakuumjockeys sie beinahe um.

Einer davon blieb stehen, drehte sich und lächelte. »Staff Sergeant Kerr.«

»Lieutenant Commander Sibley.«

»Sie haben sich doch nicht verlaufen, oder?« Der Vakuumjockey blickte sich im Korridor um, als wolle er herausfinden, wo genau sie sich befanden. »Sie sind fernab der Heimat, und Sie kennen ja das Sprichwort – Niemand bahnt sich einen Weg wie ein Marine.«

»Dieses Sprichwort gibt es, Sir?«

»Oh ja. Gemeint ist damit, dass Marines auf jeden neu entdeckten Ort einprügeln, bis er sich ergibt, und ihre Fahne aufpflanzen.«

»Wo ich herkommen, ist dieses Sprichwort unbekannt«, teilte ihm Torin nach kurzem Nachdenken mit.

Er nickte. »Verstehe. Und, haben Sie sich verlaufen?«

»Nein, Sir.« Da er offensichtlich mehr wissen wollte, fügte sie hinzu: »Ich bin auf dem Weg zu Shuttlebucht sechs, um mit Craig Ryder zu sprechen.«

»Möchten Sie einen guten Rat? Pokern Sie nicht mit ihm.«

»Hatte ich nicht vor, Sir.«

»He, Sibley!«

Torin und der Pilot drehten sich in Richtung der Stimme. Der di'Taykaner, der mit Sibley aus der Transportkapsel gestiegen war, wartete ein Stück den Gang entlang an einer offenen Luke, das zitronengelbe Haar stand ihm als Kranz um den Kopf. »Kommst du?«

»Noch nicht, ich atme noch nicht mal schwer.«

So genau wollte ich es gar nicht wissen, dachte Torin bei sich. »Entschuldigen Sie, Sir, aber ich halte hier den ganzen Verkehr auf.« Sie betrat die Transportkapsel, und der Lieutenant Commander winkte ihr freundlich nach. Er musste etwas gesagt haben, was ihr entgangen war, denn als sich die Tür schloss, hörte sie den di’Taykaner-Offizier sagen: »Nein, wir gehen nicht zu mir, nur weil es bei dir so unordentlich ist, dass ich mein kayti nicht finde!«

Das habe ich erst recht nicht wissen wollen …

***

Craig Ryders Schiff, die Promise, füllte Shuttlebucht vier fast ganz aus. Torin fand es schwer zu glauben, dass es ihm gelungen war, so sauber anzudocken, aber sowohl der Rumpf als auch die Bereiche der Außenseite der Berganitan, die sie einsehen konnte, schienen unzerkratzt. Was auch immer Ryder sonst sein mochte, er war ein exzellenter Pilot.

Mit nicht ausgefahrenen Frachtkapseln sah die Promise aus wie ein Schiff-zu-Schiff-Shuttle der Flotte, das unter einem Stapel querliegender Platten kauerte. In Anbetracht der Dimensionen des einfachsten Susumi-Antriebs verstand Torin, warum ZBUs dazu neigten, allein zu arbeiten – zwei Leute mussten einander schon sehr mögen, um sich den verbleibenden Platz zu teilen.

Die Luke war offen, die Rampe war ausgefahren.

Möglicherweise näherte sie sich aus Neugierde leiser als nötig. Als sie die Rampe hinaufging, war das einzige Geräusch das leise, allgegenwärtige Summen, mit dem der Susumiraum über die Außenhülle der Berganitan strich.

Möglicherweise.

Das Innere des Bergungsschiffes war kleiner, als sie gedacht hatte. Zu ihrer Linken befanden sich die Flugkontrollen und der Pilotensessel. Direkt gegenüber der Luke stand ein halbkreisförmiger Tisch dicht vor einer an der Wand befestigten Bank. Zu ihrer Rechten, am stumpfen Ende des Ovals, befanden sich eine Koje und eine schmale Öffnung, die – sie beugte sich durch die winzige Luftschleuse – zur Toilette führte. Es sah aus, als müsse man zum Duschen die Tür schließen, den Toilettensitz herunterklappen und sich in die Mitte des winzigen Raums stellen.

Das Bullauge über dem Bett war mit Papier- und Plastikstücken zugeklebt, und auf dem Boden lag eine zerknüllte weiße Socke. Ein blauer Plastikteller, eine Tasse und eine Gabel befanden sich auf dem Tisch neben einem kleinen, eingelassenen Bildschirm. Der Pilotensessel sah aus wie aus Ersatzteilen und Klebeband zusammengebaut – eindeutig nur auf die Maße des Erbauers zugeschnitten.

Ungefähr fünf Meter vom Rand des Bedienfelds bis zur Koje und drei, vielleicht dreieinhalb Meter von Wand zu Wand – Craig Ryders Welt war kleiner als der kleinste MTW des Marine Corps.

Wie konnte man so leben? Ihr Blick wanderte wieder zu der Socke. Oder genauer gesagt, wer wollte so leben?

»Ich erinnere mich nicht, Sie an Bord gebeten zu haben, Staff Sergeant Kerr.«

Torin sah auf ihre Stiefel hinab, ehe sie sich umdrehte. »Ich bin nicht an Bord, Mr Ryder.«

»Sie stehen auf meiner Rampe.«

»Zugegeben. Entschuldigen Sie mein Eindringen.« Ein halbes Dutzend langer Schritte brachte sie zurück auf das Deck der Shuttlebucht und fast Nase an Nase mit Craig Ryder, nah genug, um seinen Geruch wahrzunehmen, der zu gleichen Teilen aus Schweiß und Maschinenöl bestand. Er stand nur da, die nackten Arme verschränkt, einen Schraubenschlüssel locker in einer Hand, und hatte offensichtlich nicht die Absicht, sich von der Stelle zu rühren, also trat sie einen Schritt zurück. Der gesunde Menschenverstand riet ihr, Sicherheitsabstand zu halten – im Notfall brauchte sie Platz, um zuzuschlagen. »Die Schleuse und die Tür waren offen.«

»Ich habe nicht mit Besuchern gerechnet.« Er streckte einen Arm aus und kratzte sich mit charmantem Lächeln mit dem Schraubenschlüssel den Bart. Seltsamerweise wirkten die Geste und das Lächeln nicht widersprüchlich »Sie sind weit weg vom Marine-Anbau. Darf ich davon ausgehen, dass Sie hier sind, um meine Gesellschaft zu genießen?«

»Nein.«

»Nein?«

Es war, als hätte sie es mit zwei verschiedenen Männern zu tun – dem, der am Ende der Rampe gestanden und stirnrunzelnd ihren Rückzug beobachtet hatte und dem, der ihre unhöfliche Antwort gerade in einem Tonfall übertriebener Ungläubigkeit wiederholt hatte. Wenn Sie die Wahl gehabt hätte, hätte Torin es vorgezogen, sich mit dem Ersteren auseinanderzusetzen.

»Ich bin hier«, erklärte sie, »weil Sie nicht mit der Berganitan verbunden sind.«

»Wenn ich mich mit dem Schiff verbinde, verbindet es sich auch mit mir.« Ryder schüttelte den Kopf. »Ein bisschen zu viel Austausch für meinen Geschmack. Da Sie nicht anrufen konnten – was führt Sie her?«

»Ich bin hier, um zu überprüfen, wie es bei Ihnen mit feindlicher Umgebung steht.«

»Bitte?«

»Das war kein Scherz, Mr Ryder.« Auch wenn er das offenbar angenommen hatte. Der Drang, ihm das Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln, war fast übermächtig. Von einem Marine, ob Gemeiner oder Unteroffizier, hätte sie sich diesen Tonfall nicht gefallen lassen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie bei einem Zivilisten darauf reagieren sollte.

»Schauen Sie, wir haben keine Ahnung, was uns in diesem Alien-Schiff erwartet …«

Er schnaubte. »Wir haben ja nicht einmal eine Ahnung, ob wir die Schlösser aufkriegen.«

»Bitte?«

»Es ist ein Alien-Schiff, Staff Sergeant Kerr. Wir kommen möglicherweise gar nicht rein.«

Torin zuckte die Achseln. »Das ist ein technisches Problem, Mr Ryder, das betrifft mich nicht. Wenn ich nicht verhindern kann, dass Sie mit dem Aufklärungsteam an Bord gehen, muss ich wissen, dass Sie kein Problem für meine Leute darstellen – egal, was uns erwartet.«

»Staff Sergeant, wissen Sie, wie ich arbeite?«

Es gelang ihr zu verhindern, dass ihre Lippen sich kräuselten. »Nein, Mr Ryder.«

»Wenn wir eine Bergung machen, setzen wir Bergungskapseln ein, die aus diesen Platten da in der erforderlichen Größe zusammengesetzt werden.« Er deutete auf den Stapel auf der Promise, und sein Tonfall wurde seltsam spöttisch, als hasse er es, das Offensichtliche erklären zu müssen. »Die Anzahl der erforderlichen Platten hängt von der Größe des Bergungsgutes ab. Jede Platte spiegelt sich mit spezifischen Faktoren in der Susumigleichung wider. Wissen Sie, was mit einem Schiff passiert, dessen Susumigleichung auch nur um einen Integer falsch ist?«

»Oh ja. Im speziellen Fall taucht es neben einem unbekannten Alien-Schiff auf und macht mir das Leben schwer.« Als er sich ihr zuwandte, begegnete sie seinem indignierten Blick mit einem leicht genervten.

Nach einem kurzen Moment blinzelte er und grinste. »War das eine herablassende Frage?«

»Was meinen Sie?« Torin starrte zu den Platten hinauf und registrierte starke Gebrauchsspuren.

»Wollen Sie mir sagen, dass Sie bei jedem Einsatz im Vakuum spazieren gehen?«

Er folgte ihrem Blick. »Jedes Mal, wenn es eine unklare Messung gibt, ja.«

»Das kommt vor?«

»Oh, fast jedes Mal, wenn ich die Kapseln einsetze.«

Sie schüttelte den Kopf und sah ihm wieder ins Gesicht. »Sie sind wahnsinnig.«

»Ich? Sie werden dafür bezahlt, sich beschießen zu lassen.«

»Dafür werde ich nicht bezahlt, Mr Ryder. Ich werde dafür bezahlt, dafür Sorge zu tragen, dass wir unsere Missionsziele ohne Verluste erreichen.«

»Militärjargon«, blaffte er. »Sie erledigen den Job, ohne dass jemand draufgeht.«

Siebzehn kleine Metallzylinder. In jedem davon hatte sie einen Marine nach Hause gebracht. »Ich versuch’s, Mr Ryder.«

Er seufzte und warf den Schraubenschlüssel in seinen Werkzeugkasten. »Hören Sie, Staff Sergeant, ich kann Ihnen garantieren, dass ich mehr Zeit in einem Raumanzug verbracht habe als Ihr gesamtes Team zusammen. Ich werde Ihre Leute nicht in Gefahr bringen.« Er hob einen krummen Finger, um seine Worte zu unterstreichen. »Falls wir jemandem begegnen sollten, der etwas gegen unsere Anwesenheit hat, bin ich wild entschlossen, einen zügigen Abgang zu machen und mich hinter den Profis zu verstecken, wenn das nicht geht. Ich werde dort sein, um mein Bergungsgut zu schützen – und das nützt mir nichts mehr, wenn ich tot bin.«

Er hatte ehrlich geklungen. Doch zuvor hatte er genervt, charmant, amüsiert, spöttisch und sarkastisch geklungen – alles in einem kurzen Gespräch. Wieso sollte dieses letzte Gefühl echter sein als der Rest?

Aber ist das nicht auch eigentlich egal?, fragte sich Torin bei sich. Du musst ihn nicht durchschauen, nur ertragen. »Okay, Sie können also in einem Anzug arbeiten. Es wäre mir trotzdem recht, wenn Sie zu den Teamsimulationen erscheinen könnten, und sei es nur, damit mein Team sich daran gewöhnt, Sie im Rücken zu haben.«

»Wann?«

»Übermorgen. Am Nachmittag.« So konnten sie am Morgen Simulationen ohne ihn laufen lassen, um passende Gruppen zu bilden und erforderliche Veränderungen personeller Art und an der Ausrüstung vorzunehmen. Als sie sich wieder auf ihn konzentrierte, sah sie, dass er sie unter dichten Wimpern hervor musterte.

»Was läuft morgen?«

»Die restlichen Einzelsimulationen – die, von denen Sie mich überzeugt haben, dass Sie sie nicht brauchen.«

»Vielleicht komme ich trotzdem vorbei.«

»Sie würden nur stören.«

»Sie finden mich störend, Staff Sergeant?« Die Frage klang fast schüchtern.

»Ich empfinde alles außerhalb der Missionsparameter als störend, Mr Ryder.« Torin verlagerte ihr Gewicht auf die Fersen, verschränkte die Arme und sah ihm in die Augen.

»Sie sind in etwa so schlimm wie ein Kater oder Hämorrhoiden.«

Sein Lächeln wurde breiter, und in seinen Augenwinkeln bildeten sich Lachfältchen. »Ich dachte schon, Sie hätten keinen Sinn für Humor.«

»Habe ich auch nicht. Übermorgen Nachmittag. Wenn Sie nicht Ihre eigene Ausrüstung mitbringen wollen, finden wir sicher einen Anzug, der Ihnen passt.«

***

Craig Ryder stand am oben an der Rampe und holte ein paar Mal beruhigend tief Luft, bevor er in die Promise trat und die innere Luke schloss. Das war zu knapp gewesen. Staff Sergeant Kerr war nur einen langen Schritt davon entfernt gewesen, sie zu betreten.

Seine Komfortzone.

Die ausschließlich ihm gehörte.

Bett, Bank, Tisch, Bildschirm, Geschirr. Er berührte alles der Reihe nach, dann drehte er den Pilotensessel und nahm Platz. Das vertraute Nachgeben und Schwanken als Reaktion auf sein Gewicht half, aber er strich trotzdem mit der Hand über alle Kontrollen, ehe er sich zurücklehnte und die Füße genau dahin legte, wo sie schon tausendmal, nein Millionen mal gelegen hatten – da, wo seine Absätze bereits den Lack am Rand des Kontrollfeldes abgeschabt hatten.

Seine Komfortzone.

Nach einer ganzen Weile lehnte er sich schließlich zurück und schloss die Augen. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er an den Simulationen teilnehmen wollte, würde aber wohl hingehen, und sei es nur, um Staff Sergeant Kerr weiter zu nerven.

Damit sie nicht wieder hier auftauchte.

»Alles klar.«

Viel mehr war nicht zu sagen.

***

»He, Werst, die Staff schickt mich runter in die Waffenkammer, um zu überprüfen, ob die MidSector-Jungs auch wirklich eingeladen haben, was auf den Frachtpapieren steht.« Guimond grinste auf die Schädeldecke des Krai hinab. »Sie sagt, ich soll jemanden mitnehmen. Hast du Lust?«

»Nein. Ich bin beschäftigt.«

»Komm schon, du sitzt nur herum und trinkst sah, womit willst du denn beschäftigt sein?«

»Mit Ausruhen.«

»Klar, weil du morgen als Erster in die Sim musst, und das ist schon in zehn Stunden.« Er machte einen großen Schritt nach rechts, gerade weit genug, um sich bücken und Werst ins Gesicht schauen zu können. »Komm schon.«

Werst konzentrierte sich weiter auf den Inhalt seines Krugs. »Verpiss dich.«

»Ich komme mit, Guimond.« Orla erhob sich und warf ihren leeren Bierbeutel mit einer geschmeidigen Bewegung in den Wiederaufbereiter. Sie trat an die Seite des großen Menschen und rieb ihre Schulter an seiner. »Vielleicht finden wir da unten ja auch noch etwas anderes zum Zählen.«

»Ich habe immer noch denselben wie gestern.« Guimond grinste. »Aber wir müssen erst das Inventar checken. Die Staff sagt, MidSector ist es nicht gewohnt, für Aufklärungsmissionen zu packen, und sie will nicht, dass wir mit offener Hose da reingehen.«

»Das hat die Staff gesagt?«

»Wortwörtlich.«

Johnston blickte von der Platine auf, die er aus dem Essensausgabegerät gezogen hatte. Vergrößerungslinsen versilberten seine Augen zu einem di’Taykaner-Monochrom. »Wer hätte gedacht, dass die Staff so wortgewandt ist?«

Guimond wandte sich mit verwirrt zusammengezogenen goldenen Brauen Orla zu.

»Wovon redet er?«

Sie zuckte die Achseln. »Er ist Ingenieur, wer weiß das schon so genau?«

»Ich frage mich«, schaltete sich Dursinski von ihrem Platz am Billardtisch aus ein, »warum die Staff nicht selbst die Inventarkontrolle macht, wenn sie so besorgt um uns ist.«

Nivry sah von ihrem Tablet auf. »Sie ist zum Abendessen in der Messe des Chiefs und der Unteroffiziere eingeladen.«

»Woher weißt du das?«, verlangte Dursinski zu wissen.

»Harrop und ich sind gerade die Gruppenaufteilung mit ihr durchgegangen, als die Einladung von einem Warrant Officer kam. Sie kennt ihn von früheren Einsätzen auf der Berg. Ein Mensch, sie werden also nach dem Abendessen wahrscheinlich kein …« Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Tablet. »… Dessert genießen.«

»Sie meint nicht wirklich Dessert, oder?«, fragte Guimond, als er mit Orla den Raum verließ. Die sich schließende Schleuse schnitt das Lachen der di’Taykanerin ab.

»Was für ein blöder Idiot«, grunzte Werst.

Nivry fing Harrops Blick auf und zuckte die Achseln. Bei der Zusammenstellung der Gruppen hatten die beiden Corporals beschlossen, Werst und Guimond zusammen zu packen – die Größe und das positive Wesen des Menschen glichen Wersts Mangel an beidem aus –, und Nivry hatte den Kürzeren gezogen. »Was hast du gegen ihn?«, fragte sie.

»Du bist diejenige, die zwei Winkel hat«, schnaubte der Krai, »finde es selber heraus.«

»Geh doch einfach davon aus, ich hätte sie wegen meines Aussehens, nicht wegen meines Hirns bekommen, und erzähl’s mir.«

»Wie du meinst. Soll mir recht sein.« Werst trank seinen Becher aus und zerdrückte ihn beim Aufstehen mit einer Hand. »August Guimonds ist ein großer, goldiger Kerl, sieht für einen Menschen ganz gut aus, und jeder mag ihn – warum malen wir ihm nicht direkt eine Scheiß-Zielscheibe auf den Rücken, damit wir es hinter uns haben? Ihr wisst alle, dass er genau der Typ ist, der zuerst abgeknallt wird, wenn sein Trupp in Kampfhandlungen verwickelt wird.« Seine Stimme wurde eine Oktave höher. »Die haben Guimond erschossen! Diese dreckigen serley chrika haben Guimond erschossen!« Dann knurrte er: »Tja, und dann verbringen wir den Rest der Mission damit, dafür zu sorgen, dass der Tod des armen August nicht umsonst war. Nein danke.« Er warf den zerknüllten Becher so heftig in den Wiederaufbereiter, dass er hörbar darin herumhüpfte, dann stapfte er Unverständliches vor sich hin grummelnd aus dem Raum. »Was war das denn?«, fragte Harrop.

Nivry schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«

***

Chief Warrant Officer Dave Graham wartete, bis die Zwischenrufe verstummt waren, ehe er seinen Krug hob. »Danke. Auf die Techniker der Black Star Squadron, die besten der Flotte!«

Torin hob mit den anderen ebenfalls ihren Krug. Als Dave sich unter erneut aufbrandendem Lärm hinsetzte, beugte sie sich zu ihm und sagte: »Sollte ich dankbar sein, dass ein frisch beförderter, großmächtiger Chief Warrant sich dazu herablässt, mit einer einfachen Staff Sergeant zu essen?«

Er grinste. »Du solltest dankbar sein, dass ich mich dazu herablasse, mit einer Marine zu essen.«

»Weißt du, ich habe gehört, du trinkst wieder Brandbeschleuniger.«

»Wie ist dein Steak?«

»Toll, danke.« Sie schnitt sich noch ein Stück Fleisch ab und kaute zufrieden. Die Flotte aß gut, das stand mal fest. »Wenn ich dein Master Chief wäre, wäre ich vorsichtig. Wenn du weiter in dem Tempo befördert wirst, kriegst du in fünf Jahren ihren Job.«

»Ich weiß nicht … der Rang eines Master Chiefs hat viel mit Politik zu tun. Ich bleibe lieber bei meinen Maschinen. Auf Schubdüsen ist Verlass.« Er spülte einen Mund voller geschmorter tabros mit einem Schluck Bier hinunter. »Auf Menschen hingegen …«

»Apropos, ich glaube, ich habe auf dem Herweg einen deiner Leute kennengelernt. Ein gewisser Lieutenant Commander Sibley hat mich von MidSector hergebracht, und ich erinnere mich dunkel an schwarze Sterne auf seiner Jade

»Ja, Sibley gehört zu uns. Guter Pilot, steht aber ein bisschen zu sehr auf schlechte Witze, wenn du mich fragst.«

»Ich scheine unversehrt davongekommen zu sein.«

»Dann hat er sich aber zusammengerissen.«

Torin erinnerte sich an die zahlreichen Beschleunigungsmanöver und ruckartigen Richtungswechsel beim Verlassen der Station. »Soweit würde ich nicht gehen.«

»Naja, wenn wir das Schiff erreichen, wird er Spähmissionen für euch fliegen. Die Black Stars und die Red Maces haben den Flugüberwachungsdienst – heute Nachmittag ist der Befehl gekommen.«

»Zwei Staffeln?«

»Es ist ein großes Schiff. Das Oberkommando will so viel wie möglich wissen, bevor man euch da reinschickt.«

»Das wissen wir zu schätzen.«

»Es geht das Gerücht, dass Sie mit einem zusammengewürfelten Team arbeiten – keine zwei Marines aus derselben Einheit.«

»Das Gerücht?«

Dave schnaubte und bestrich eine weitere dicke Scheibe Brot mit Butter. »Scheiße, Torin, auf einem Schiff im Susumi verbreitet sich Klatsch mit Überlichtgeschwindigkeit. Wenn man an die Eishockeyergebnisse nicht rankommt, muss man eben über was anderes reden.«

»Dann trifft das Gerücht zu. General Morris möchte nicht, dass die Information, dass ein Anderen-Schiff entdeckt wurde, an die Medien gelangt, bevor wir wissen, worum es sich handelt, also hat er beschlossen, dass das Verlegen von Einzelpersonen weniger auffällig wäre. Sie sind aber ein guter Trupp. Die besten aus einem ganzen Sektor.«

»Ja, aber du hast nur vier Tage, höchstens fünf, um aus dem Nichts ein Team aufzubauen. Dann begebt ihr euch ins Unbekannte.«

»Marines sind unglaublich flexibel.«

»Das macht das Ducken leichter.«

»Ich stehe auf Ducken.«

»Ich bin beeindruckt, dass euer General Morris Captain Travik von MidSector weggelotst hat, ohne dass er die Medien alarmiert hat.« Dave grunzte. »Hast du vor, ihn in einem Stück zurückzubringen?« Sein Tonfall machte seine Präferenz in dieser Frage deutlich.

»Das ist meine Aufgabe«, entgegnete sie in ziemlich genau demselben Tonfall.

»Es heißt, der General hätte dich persönlich ausgewählt.« Als Torin die Augen verdrehte, fügte er hinzu: »Also, was hast du angestellt, um General Morris so zu verärgern, dass er dich mit diesem Egomanen zusammensteckt?«

Da sie bestimmte Kraispezialitäten nicht von den prosaischeren menschlichen Varianten unterscheiden konnte, winkte sie ab, als man ihr eine Käseplatte hinhielt. »Ob du es glaubst oder nicht, er hat mir diese Aufgabe übertragen, weil er will, dass sie ordentlich erledigt wird.«

»Nein, jetzt mal im Ernst.« Er grinste. »Ging es um unaussprechliche Taten?«

Überall lagen Leichen, die meisten hatten sowohl Brand- als auch Schusswunden. An der Südwand des verbleibenden Gebäudes waren die Leichen an manchen Stellen in drei Reihen gestapelt. Den Gestank des brennenden Fleisches konnte man ignorieren, aber der des kochenden Blutes war fast unerträglich.

»Könnte man sagen.«

Torin warf einen Blick auf ihr Tablet und schüttelte den Kopf. »Trupp eins, Missionsziel. Finden Sie die Quelle des SFMS-Signals und schaffen Sie sie zur Luftschleuse zurück, ohne dass Mr Ryder etwas zustößt.« Alle Köpfe drehten sich in Richtung des Bergungsunternehmers.

»Mr Ryder …«

»Staff Sergeant Kerr.«

»… Ihre Zielperson«, fuhr sie fort und ignorierte die fröhliche Unterbrechung, »muss unter allen Umständen am Leben bleiben.«

»Ich glaube, das schaffe ich.« Sein Lächeln hatte wieder diese nervige intime Qualität angenommen.

»Corporal Harrop ist der Gruppenführer. Sie werden seinen Befehlen gehorchen. Corporal.«

»Staff?«

»Sie werden bei Ihren Befehlen berücksichtigen, dass Mr Ryder Zivilist ist.«

»Zivilist.« Wegen des Visiers seines Helmes musste Harrop den Kopf schieflegen, um den anderen Mann unbeeindruckt von Kopf bis Fuß zu mustern. Es dauerte eine Weile. »Alles klar, Staff.«

»Führen Sie sie rein, Corporal.«

***

Er war in erster Linie aus Langeweile und Neugier gekommen – Und weil ihm klar geworden war, dass Staff Sergeant Kerr recht gehabt hatte. Sie hatten keine Ahnung, was in diesem Alien-Schiff auf sie wartete, und Vorbereitung konnte nie schaden. Doch wenn sie fragte, hatte er deutlich machen wollen, dass die Notwendigkeit der Vorbereitung der unwichtigste Grund für ihn gewesen war.

Sie hatte nicht gefragt.

Kerr hatte den Kopf gehoben, als hätte sie niemals angezweifelt, dass ihre Logik ihn davon überzeugen würde aufzutauchen, den Raum voller schwarzer Uniformen noch einmal daran erinnert, wer er war und ihm mitgeteilt, er gehöre zu Trupp eins. Keine Überraschung. Kein frohes Lächeln des Wiedererkennens. Er hatte mit beidem nicht gerechnet, hätte sich aber über etwas Dankbarkeit dafür gefreut, dass er sich freiwillig mit einer Gruppe bewaffneter Fremder in eine gefährliche Umgebung begab.

Ryder schob sich neben Heer, dem Krai-Ingenieur, durch die Luftschleuse des Simulators, beugte sich vor und tippte ihm auf die Schulter. »Was bedeutet SFMS, Kumpel?«, fragte er, als der Marine den Kopf hob.

»Scheiße – findet mich schnell.«

»Wir suchen einen SFMS-Signalgeber?«

»Haben Sie Probleme mit Ihrem Empfänger? Das ist ein Flishing 117, oder? Den kann ich zerlegen, ohne ein Siegel Ihres Anzugs zu beschädigen …«

»Danke, mein Empfänger funktioniert.« Er wehrte mit dem Unterarm Heers ausgestreckte Hand ab. »Ihr Marines seid schon ein ganz besonderer Schlag, oder?«

Heer lachte. »Sie haben ja keine Ahnung.«

»Pokern Sie?«

»Schmeckt gruinitan mit roter Sauce besser?«

»Vermutlich … ja?«

Torin war überrascht gewesen, Ryder mit einem FU-Anzug über dem Arm durch die Schleuse treten zu sehen. Er hatte die Grundausrüstung selbst mitgebracht, sich Tanks ausgeliehen, und jetzt fragte sie sich, warum er aufgetaucht war, während sie zusah, wie sich die Luftschleuse hinter ihm schloss.

Wahrscheinlich war ihm langweilig gewesen.

Sie kannte im äußeren Sektor mehr als einen Ma­rine, der nur zum Spaß in die Simulation ging. Angesichts dessen, womit Marines ihren Lebensunterhalt verdienten, hatte sie den Lieblingszeitvertreib der di’Taykaner schon immer für deutlich sinnvoller gehalten.

»He, Staff, geht Ryder noch mal mit durch oder kriegt Trupp zwei ein anderes Ziel?«

Nivrys Frage riss sie aus ihren Gedanken. »Trupp zwei«, teilte sie ihr mit, »muss einen verwundeten Kameraden rausholen.«

»Wen?«

»Sie erfahren es, sobald die es selbst wissen.«

Der gesamte Trupp sah August Guimond an, der die Vorgänge in der Kammer beobachtete, als handle es sich um ein Abenteuervid, von dem er schon viel Gutes gehört hatte. Er war größer als alle anderen Marines. Nur Craig Ryder spielte einigermaßen in derselben Liga, aber der würde nicht da sein, um die »Leiche« zu tragen.

Nach ein paar Sekunden lenkte ihn der Druck von einem halben Dutzend Augenpaaren von der Simulation ab. »Was ist?«

»Niemand sagt, dass es Private Guimond sein wird«, merkte Torin an.

Als daraufhin alle sie ansahen, lächelte sie.

Werst bleckte die Zähne. »Scheiße. Scheiße. Serley Scheiße.« Niemand widersprach.

Die Klügere gibt nach

Подняться наверх