Читать книгу Zarin der Vampire. Schatten der Nächte + Fluch der Liebe: Verrat, Rache, wahre Geschichte und düstere Erotik - Tatana Fedorovna - Страница 10

Die Reise nach Omsk

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Erst einige Tage später traf ich meinen Freund wieder. Unentwegt und bis in die tiefe Nacht hinein gab es nicht enden wollende Stabsbesprechungen in der Tschechischen Legion. Diese nahmen meinen Beschützer vollkommen in Beschlag. Die Ereignisse überschlugen sich über den Winter. Die weißgardistischen Kräfte bereiteten offenbar eine geheime Aktion vor. Wir sahen uns immer weniger …

Bei seinem nächsten Besuch umarmte Tarpen mich dermaßen innig, als würde etwas Besonderes auf uns warten. Ich spürte es, diese Geste bereitete einen langen Abschied vor. Ein kurzer, schmerzhafter Stich fuhr in mein Herz.

„Was ist los mit dir?“, fragte ich in der Hoffnung, dass ich mich vielleicht täuschte. Sein Gehabe machte mir Angst. Ich hatte instinktiv Furcht, ihn zu verlieren. Inzwischen bedeutete er mir anscheinend mehr, als ich mir eingestehen wollte.

„Ich reise als Verbindungsoffizier zum Admiral Koltschak. Wir müssen wichtige Entscheidungen treffen.“

„Wer sagt das?“, fragte ich brüsk. Zu gern würde ich ihn ans Bett fesseln, damit er blieb.

„Unser General hat mich mit dieser Aufgabe beauftragt.“

Ich mahlte mit den Zähnen. General Radola Gajda war der charismatische Kommandeur der Tschechischen Legion. Diese hatte im Juli 1918 Jekaterinburg befreit, um meine Familie zu retten. Doch dieser Heldentrupp war zwei Tage zu spät gekommen. Da hatte man meine Familie bereits hingemetzelt.

Das Zuspätkommen hatte mich zu dem gemacht, was ich jetzt war. Die Rache lag nun in meiner Hand und forderte, dass jedes menschliche Gefühl hinten an stand.

„Der Admiral wurde in Omsk zum neuen Regenten von Russland gewählt“, dozierte mein Geliebter. „Die Entente hat ihn bereits diplomatisch anerkannt.“

„Aha“, sagte ich nach Außen gelangweilt. „Und welche Großtaten können wir von ihm erwarten?“

Niemand sollte mir Tarpen nehmen. Er war alles, was ich hatte.

„Er will die roten Banditen mit einem Angriff überraschen, den Bolschewismus zerstören und einen Rechtsstaat wie in Amerika errichten.“

Verblüfft weitete ich die Augen. War das machbar? Schwand die Macht der Bolschewiken so schnell? Bestimmt kam ich durch einen solchen Sieg leichter an die Mörder meiner Familie heran und konnte mein geheimes Vorhaben vollenden. Doch Zweifel blieben.

„Ist das nicht zu gewagt?“, hakte ich nach.

„Meine liebe Olga, du unterschätzt uns.“ Er lächelte verschmitzt und etwas stolz. „Admiral Koltschak hat eine komplett neue Armee aufgestellt. Die Roten richten ihre Blicke zu sehr nach Westen, sie sehen nicht, was im Osten geschieht.“

„Also ein überraschender Einfall von hinten?“

„Genau das ist der Plan. Lenin träumt von der Weltrevolution, schaut nur nach Deutschland. Sie rechnen nicht mit einem Angriff von der anderen Seite. Halten uns für zu schwach dafür. Der Admiral will die Gunst der Stunde nutzen.“

„Ich begleite dich!“, erklärte ich bestimmt.

„Das würdest du wirklich tun?“ Tarpens Augen sahen mich ungläubig an, dann füllten sie sich feucht mit Tränen der Rührung. Er drückte mich ganz fest, beinahe so, als hätte er unermessliche Kraft.

„Ich dachte schon, ich würde dich für immer verlieren“, hauchte er. „Dabei liebe ich dich mehr als alles andere auf der Welt.“

Sein Geständnis bewegte mich. Deshalb schenkte ich ihm ebenfalls einige wahre Worte.

„Du bist mein einziger und wahrer Freund“, sagte ich. Liebevoll strich ich seinen starken Arm entlang, der im Militärmantel steckte. „Ich stehe tief in deiner Schuld!“

„Ist es nur das?“ Seine Augen suchten nach einer bedeutenderen Antwort. Er wollte mehr hören, ich wollte ihn jedoch nicht anlügen. Dazu stand er mir zu nahe und ich war mir selbst nicht genau über mein Inneres klar. Konnte ich überhaupt noch menschliche Gefühle entwickeln und lieben?

„Von allen Menschen auf dieser Welt, bedeutest du mir am meisten. Alle Gefühle, zu denen ich in der Lage bin, gehören dir!“ Ich versuchte ihm meine Empfindungen so gut wie möglich zu gestehen. Wiederum sollte er nicht denken, es wäre echte Liebe. Dazu war ich nicht fähig, nach all dem, was man mir angetan hatte.

Für einen Moment überlegte er. Meine kunstvoll gesetzten Worte deutete er jedoch als ein Geständnis des größten Gefühls, zu denen Menschen in der Lage sind. Erfreut näherten sich seine Lippen den meinen. Seine warmen Küsse bedeckten mein Gesicht. Ich ließ ihn gewähren, so gut ich es vermochte. Bloß nicht an seine Halsschlagader denken …

„Du bist so kalt, Teuerste!“

„Das ist nur der Blutdruck!“, lenkte ich ab. Es wurde Zeit, mich wieder zu wärmen. Wir Wesen der Finsternis kühlen aus, wenn wir nicht genug Lebenssaft bekommen.

„Das alte Leiden!“, erwiderte ich.

Er ließ besorgt von mir ab.

„Dann erhole dich erst einmal.“

Ich ließ mich auf einen Sessel nieder.

„Übrigens, Medwedew ist tot.“

Ich tat vollkommen erstaunt.

„Wie das? Hat er wenigstens genug verraten?“

„Sein Tod gibt viele Rätsel auf. Eigentlich darf ich dir das nicht erzählen. Offiziell ist er an Typhus gestorben. In Wirklichkeit hat ihn sein Wärter ermordet und sich danach selbst in der Zelle erhängt. Seltsam war auch, dass Medwedew kein Blut mehr hatte. Sein Körper war davon absolut leer.“

„Das Blut fehlte?“ Ich ließ meinen Mund erstaunt offen stehen. Innerlich lachte ich aber. Mein Plan war aufgegangen. Sie stocherten im Sand herum und verstanden gar nichts.

Tarpen öffnete seinen Mantel etwas. Anscheinend wurde es ihm zu warm.

„Keiner kann sich das erklären“, fügte er hinzu. „Wir haben in Jekaterinburg schon oft Tote ohne Blut gefunden. Entweder haben die eine merkwürdige Seuche oder jemand saugt es ihnen aus.“

Ich lachte.

„Meinst du wirklich?“

„Die abergläubischen Russen erzählen so etwas. Wir Tschechen lachen darüber, es passieren aber viele mysteriöse Dinge. Wir suchen schon lange nach den Bolschewiken, die nachts unsere Männer umbringen. Zwei Zeugen berichteten, sie hätten mal eine vornehme Frau in deren Nähe gesehen. Auch der tote Wärter wurde einmal mit einer jungen Frau erwischt. Vielleicht besteht da sogar ein Zusammenhang.“

Ich nickte bedeutungsvoll. Man kam mir langsam auf die Spur, ich musste noch vorsichtiger sein. Es war gut, diese Stadt zu verlassen. Obwohl sie meiner Familie Unglück gebracht hatte, war sie für mich zu einem letzten Stück Heimat geworden. Was hatte ich sonst?

„Merkwürdig ist ebenso, dass die anderen Wachen nichts mitbekommen haben. Der Staatsanwalt will das genau untersuchen. Medwedew war sein wichtigster Zeuge.“

Ich machte weiterhin große Augen.

„Das klingt alles äußerst schauerlich. Ganz nach einem russischen Märchen. Ist das vielleicht ein Geist, der auf Rache sinnt?“

„Man weiß nie.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Was ist mit den anderen drei gefangenen Bewachern geschehen?“, hakte ich nach. Sie waren ja nicht in der Zelle gewesen.

„Sie waren ohne Wert. Man hat sie erschossen.“

Oh, die Gerechtigkeit schritt voran. Ich rechnete auch sie meinem Rachefeldzug zu. Tot war tot.

„Wir sollten Jekaterinburg verlassen!“, stellte ich energisch heraus. „Wann fahren wir?“

„In zwei Tagen.“

Die Reise begann am Bahnhof. Zusammen warteten wir dort.

Zu Tarpens Kommando gehörten fünf weitere tschechische Offiziere und zwanzig Soldaten als Bedienstete. Bei einem Ausfall der Telefone und Telegrafen würde man sie als Boten entsenden. In dieser Kriegszeit funktionierte die Technik nicht zuverlässig.

Auf uns wartete ein reservierter Zug. Die Heizer schmissen bereits eifrig Kohlen in den Kessel. Dampf stieg von dem Ungetüm in den blauen Frühlingshimmel empor. Für unsere Gruppe war ein richtiger Reisewaggon vorgesehen. Der Rest des Zuges bestand aus Güterwaggons. Sie waren mit jungen russischen Soldaten gefüllt, die sich Koltschaks Armee angeschlossen hatten und mich frech durch die offenen Türen musterten. Einige machten in russischer Manier obszöne Bemerkungen oder pfiffen mir nach.


Überall auf dem Weg lagen Unmengen von Schalen ausgekauter Sonnenblumenkerne. Die russischen Soldaten vertilgten solche Mengen von dem Zeug, dass es ihre Zähne regelrecht abschliff. Es war das Konfekt des einfachen Mannes.

Unter den tschechischen Offizieren erkannte ich auch jenen, der mich damals im Wald vor dem Tod gerettet hatte. Die Plünderer hatten mich dort mehrfach vergewaltigt und er hatte mich im letzten Moment befreit. Meine Peiniger hatten mich nach der Schändung verbrennen wollen.

Ich hatte ihn auch schon einmal in Jekaterinburg gesehen, war ihm jedoch aus dem Weg gegangen. Bei seinem Anblick fuhr mir der Schreck durch alle Glieder. Würde er mich erkennen und verraten? Ich wurde ganz bleich und mein Hals trocken.

Die kleine Offiziersgruppe stand umringt von ihren Soldaten auf dem schäbigen Gleis und rauchte Zigaretten. Als Tarpen von Radewitz auf mich wies, nahmen sie eine aufrechte Haltung an. Der mich begleitende Gefreite stieß mir den Weg frei.

Tarpen stellte mir die Männer einzeln vor.

„Das ist Leutnant von Radewitz, ein Cousin und alter Freund von mir“, verkündete er stolz. Dabei zeigte er auf den Mann, der mir im Wald zu Hilfe geeilt war. „Nachdem er sich in vielen Kämpfen bewehrt hat, wurde er jetzt dem Stab zugeteilt.“

Der Leutnant knallte wie die anderen die Hacken zusammen und gab mir dezent wie seine vier Vorgänger einen Handkuss. „Es freut mich, Sie kennenzulernen“, fügte er hinzu, als würde er mich das erste Mal im Leben begrüßen. Nichts im Gesicht des Offiziers aus dem Koptyaki-Wald verriet, dass er sich an mich erinnerte. Ich atmete innerlich auf. In der Dame von heute erkannte er nicht das nackte gefesselte Mädchen von damals. Das Glück war auf meiner Seite.

„Komm mal mit!“ Tarpen ging zu einem Waggon, in dem Pferde untergebracht waren. Ich folgte ihm.

Er wies auf meinen abgemagerten schwarzbraunen Wallach, der durch die geöffnete Tür heraussah.

„Ich hab Karuschka für dich mitgenommen!“

Das Tier sah noch immer etwas kränklich und schwach aus. Die Legion hatte es deswegen freigegeben. Er hatte Angst in der ungewohnten Umgebung und ahnte nichts Gutes. Als ich ihn streicheln wollte, versuchte Karuschka aufwiehernd in den Schutz des Inneren zurück zu den anderen Tieren zu gelangen. Da kaum Platz war, gelang es ihm nicht gleich. Für einen Moment berührte meine eisige Hand sein warmes Fell. Karuschka zitterte förmlich und sah mich mit aufgerissenen Augen an.

„Das ist aber ein sehr scheues Tier!“, staunte der Oberst. „Ob das je vergeht?“

„Vorsicht kann in diesen Zeiten nicht schaden. Daran kommt man seltener zu Schaden als durch Leichtsinn!“, scherzte ich gutgelaunt. Ich freute mich und beschloss, alles zu tun, um Karuschka zu zähmen. Früher war ich sehr gern geritten und hatte selbst ein Kosakenkommando als Warentochter angeführt. Das war Tradition. Ein wenig meines Blutes würde ihn schnell gesunden lassen.

Unsere Reise dauerte drei Tage. Unterwegs wurde unser Zug immer wieder aufgehalten. Teilweise hatten Partisanen die Gleise zerstört oder es gab Kämpfe, die die Weiterfahrt behinderten. Am ersten März 1919 erreichten wir Omsk. Die Stadt war die gegenwärtige Residenz von Admiral Koltschak. Bei unserer Ankunft tauchten erste Sonnenstahlen, welche den nahenden Frühling ankündigten, die Umgebung in zartes Licht. Bisher hatten monatelang dunkle Wolken den Himmel bestimmt. Das erschien uns als ein gutes Omen, aber bereitete meinen Augen trotz Sonnenbrille erhebliche Schmerzen. In dieser Stadt befand sich die wichtigste Garnison des Ostens, sie glich einer großen Kaserne. Das Straßenbild bestimmten Offiziere und Soldaten, die eifrig irgendwohin marschierten. Ich reckte die Nase in die Luft, suchte spielerisch schnüffelnd schon einmal unter all den „ehrbaren Männern“ ein paar Exemplare, deren Saft ich getrost trinken konnte.

Währenddessen vermittelte mir mein Freund ein wenig Ortskunde.

Im November 1918 war in Omsk das „Direktorium“ gestürzt worden. So nannte man die damalige, aus Sozialrevolutionären bestehende sibirische Regierung. Daraufhin hatten die Putschisten Koltschak zum Ministerpräsidenten und Regenten Russlands gewählt. Alle setzten große Hoffnungen in seine einigende Kraft.

Vielleicht waren das zu große Hoffnungen. Aus meiner Sicht konnte keiner besser regieren als mein toter Vater, der Zar, der wahre Herrscher Russlands. Sogar dieser war an der unermesslichen Aufgabe gescheitert. Konnte der Admiral das wirklich leisten? Große Zweifel blieben in mir.

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