Читать книгу Zarin der Vampire. Schatten der Nächte + Fluch der Liebe: Verrat, Rache, wahre Geschichte und düstere Erotik - Tatana Fedorovna - Страница 11

Admiral Koltschak

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Admiral Koltschak hatte ich bisher nie persönlich getroffen, allerdings müsste er ein Mann im besten Alter sein. Im Krieg hatte er als blutjunger Offizier bei der Marine gedient und viele Heldentaten im Kampf gegen die Deutschen vollbracht. Deswegen hatte ihn mein Vater, als er kaum dreißig Jahre alt gewesen war, zum Leiter der russischen Pazifikflotte ernannt. Im Oktober 1917 hatten die Bolschewiken seine Mannschaft zur Meuterei bewegt und dabei fast alle Offiziere lebendig ins eisige Meer geworfen. Als einem der wenigen war es Koltschak gelungen, ans Ufer zu schwimmen.

Noch konnte ich ihn nicht einschätzen, doch wenn mein Vater ihn befördert hatte, würde er so untauglich nicht sein. Womöglich erwies er sich als nützlich für mein Vorhaben.

Ein Kontrollposten hielt uns auf. Das Banner mit dem Wappen von Koltschaks neuer Regierung wehte stolz über dem Eingang. Es trug wie das alte russische Wappen zwei Adlerköpfe. Über diesen prangte ein orthodoxes Kreuz. Auf der einen Seite trug der Adler einen Reichsapfel, auf der anderen ein Schwert.

Die Soldaten, die unsere Pässe kontrollierten, sahen wie Kinder in Uniformen aus. Sie rochen unschuldig und hatten noch nie Blut vergossen. Sicher hatten sie bis vor Kurzem die Schulbank gedrückt. Einzig der Offizier wirkte älter. Sie alle waren in aufgekratzter Stimmung, als wäre der Sieg eine beschlossene Sache und das Vorhaben mehr ein Manöver als eine Schlacht.

Vermutlich hatte der Admiral die jüngeren Jahrgänge eingezogen, weil er durch die Meuterei den alten misstraute. Diese waren oft stark mit dem Gedankengut der Bolschewiken infiltriert.

Wir wurden in einem noblen Hotel in der Nähe des Regierungssitzes untergebracht. Hier wohnten zumeist Offiziere der neuen Armee, ihre Angehörigen und einige ausländische Besucher. Es herrschte das übliche Treiben. Alles präsentierte sich friedlich, als lebten die guten alten Zeiten fort. Trotzdem war der Frieden eine Illusion.

Bereits an diesem Abend hatte man im Residenzsaal einen großen Empfang angesetzt, zu dem auch Oberst Tarpen von Radewitz und die anderen tschechischen Offiziere geladen waren. Da ich offiziell als Dolmetscherin geführt wurde, durfte ich ebenfalls teilnehmen. Ich war neugierig auf das, was uns erwartete.

Der große Saal war früh bis auf den letzten Platz gefüllt. Eine befrackte Kapelle spielte klassische und russische Musik. Man hatte Tische für je dreißig Personen aufgebaut. Weiße Decken, Silberbestecke und kunstvolles Kristall verbreiteten Glanz und Glorie. Neunzig Prozent der Gäste waren Männer, in der Regel Offiziere und Diplomaten. Ich entdeckte nur wenige weibliche Begleiterinnen. Darum fiel es besonders auf, dass neben dem Admiral, der jetzt das Staatsoberhaupt war, eine sehr hübsche, aber äußerst schüchtern wirkende, junge Frau saß. Koltschak redete sehr vertraut mit ihr und ging äußerst liebevoll auf sie ein. Von Zeit zu Zeit ergriff er ihre Hand und küsste diese öffentlichkeitswirksam. Sie schäkerten wie ein frisch verliebtes Paar.

„Ist das Koltschaks Ehefrau?“, wandte ich mich neugierig an Tarpen. „Ich dachte, sie sei im Asyl in Paris.“

Er runzelte seine hohe Stirn. Das ließ ihn immer so intelligent erscheinen, was mir besonders gefiel. Allerdings sagte er nur: „Ich weiß es nicht.“ Danach wandte er sich auf Tschechisch an seine Offizierskollegen.

Einer schmunzelte und gab etwas auf Tschechisch preis. Alle anderen in der Runde machten erstaunte Gesichter. Mein lieber Kamerad übersetzte mir diese Worte leise: „Das ist Anna Wassiljewna Timirjowa. Sie ist die Ehefrau eines ehemaligen Offizierskameraden, der zu den Bolschewiken übergelaufen ist. Angeblich ist sie erst vor wenigen Tagen hier eingetroffen und hat sich ganz allein durch das Kampfgebiet bis zu Koltschak durchgeschlagen. Der Admiral und sie haben seit Jahren eine Affäre. Heute zeigt er sich das erste Mal mit ihr in der Öffentlichkeit. Das gefällt vielen nicht.“

Was für eine seltsame Geschichte. Ich schaute wieder zu den Turteltäubchen hin. Die beiden plauderten glücklich und genossen die kurze Zeit des Beisammenseins. Bald würde der Krieg sie wieder trennen.

War es richtig, die Liebe vor die Ehe zu stellen? Das könnte den Admiral die Unterstützung der orthodoxen Christen kosten. Ehebruch und solche Tändeleien akzeptierten diese nicht. Es war für sie schon ein Affront gewesen, dass mein Vater aus Liebe eine Deutsche geheiratet hatte. Heimlich hatten die Kirchenoberen dagegen gehetzt. Nur Vater Grigorij, den alle Rasputin nannten, hatte meine Mutter verehrt. Deswegen wurde er 1916 ermordet.

Aus der Ferne machte Admiral Koltschak einen sehr vertrauenserweckenden Eindruck. Ich gönnte ihm das wenige Glück, womit ich wahrscheinlich eine Ausnahme darstellte. Die normalen Menschen neideten anderen jegliche wahre Freude. Sie waren böse und hinterhältiger als die Wölfe. Der Krieg brachte ihre schlechtesten Eigenschaften zutage, nur bei einigen wenigen förderte er wertvolle Handlungsmuster. So offenbar beim Admiral. Mit ihrem Bekenntnis zur Liebe setzten sich der Befehlshaber und die Timirjowa über jegliche Konvention hinweg. Das war gewagt und gefiel mir. Gab es auch für mich und Tarpen eine kleine Nische in dieser boshaften Welt?

Vergiss es! Ich fegte diese Gedanken beiseite und schüttelte den Kopf. Was waren das für unsinnige Träume? Solche Gedanken machten mich nur angreifbar und schwach. Es war keine Zeit für romantische Gefühle.

Erneut musterte ich den Admiral. An sich wirkte er wie eine Persönlichkeit, die auf Ausgleich und Versöhnung bedacht war. Es sah beinahe aus, als wollte er es jedem recht machen. Während des langen Abendmahls setzte er sich alle paar Minuten an einen anderen Tisch, um seine Nähe zu allen Gästen zu verdeutlichen. Nach etwa einer Stunde stattete das neue russische Staatsoberhaupt auch unserem Tisch einen Besuch ab.

„Es ist wunderbar, dass Sie sich unserer heroischen Sache angeschlossen haben!“, begrüßte der Admiral jovial die tschechischen Offiziere. Er trug seine weiße Paradeuniform. Die vielen Orden klimperten wie Musik dazu. „Richtige Freunde erkennt man in der Not“, gab er ein altes russisches Sprichwort zum Besten. „Wenn wir siegen, ist der Weg in eure Heimat endlich frei!“

Die Tschechen lächelten freundlich, jedoch leicht reserviert.

„Man hat uns schon viel versprochen und oft enttäuscht“, antwortete Tarpen als ranghöchster Offizier in gebrochenem Russisch.

Das Staatsoberhaupt setzte eine vertrauensvolle Mine auf. „Sie haben mein Wort, Oberst!“

Der Kellner brachte für den Admiral ein kleines Gedeck und goss Wein in ein Glas.

„Waren Sie nicht der Offizier, der beinahe den Zaren befreit hätte?“, fragte unser Besucher gut informiert nach. Im Inneren blieb er wohl Monarchist.

„Ja, ich war vor Ort, aber zu spät“, gestand Tarpen.

„Wenn wir Moskau einnehmen, hat das Mördergesindel kein Schlupfloch mehr!“, prophezeite der Admiral.

„Wir werden sie mit Recht und Gesetz zur Rechenschaft ziehen. Staatsanwalt Sokolow hat schon vieles herausgefunden und auch wir haben neue Erkenntnisse.“

Ein Offizier sagte etwas auf Tschechisch zu einem anderen.

Ich tat, als übersetzte ich dies. In Wahrheit stellte ich meine eigene Frage, denn ich konnte nur wenige Brocken Tschechisch.

„Die Offiziere fragen, welche neuen Erkenntnisse das sind?“, fragte ich nach, als übersetze ich aus dem Tschechischen.

Tarpen, der etwas Russisch verstand, sah mich erstaunt an. Sein Cousin ebenfalls. Es war nicht üblich, dass Frauen sich in die Offiziersgespräche einbrachten. Zudem erzählte ich eine Lüge.

Nachdenklich kaute Admiral Koltschak auf einer gesalzenen Nuss. Für einen Moment blieb sein Blick auf mir haften, etwas zu lange. Mir war das unangenehm, da ich befürchtete, dass er mich erkannte.

Es dauerte eine Weile, bis er sich entschloss, sein Wissen preiszugeben. Als introvertierter Mensch und Politiker wog er gut ab, was er von sich gab.

„Diese Erkenntnisse werden Sie sicher erstaunen. Wir wissen inzwischen, dass Rasputins Mörder mit dem englischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Man wollte den Zaren auf diese Weise davon abhalten, einen Separatfrieden mit den Deutschen zu schließen. Rasputin hatte ihm dazu geraten. Dann wäre Frankreich gefallen und die englischen Kolonien wären bedroht gewesen. Das deutsche Kaiserreich hätte so den Krieg gewonnen.“

Perplex ließ ich meinen Mund offen. Konnte das wirklich sein? Das ließ die damaligen Ereignisse in einem ganz neuen Licht erscheinen. Die Mörder, die teilweise sogar Romanows waren oder aus deren Umfeld stammten, hatten also nicht nur unsere Familie, sondern ebenso das eigene Vaterland verraten. Wie abscheulich! Ich hasste sie noch mehr. Der halbschwule Großfürst Dimitij und sein Bückling Jussupow hatten sich also mit den Engländern prostituiert und so unserem Untergang herbeigeführt. Und der Abgeordnete Purischkewitz war dabei ihr williger Helfer gewesen.

Schade, dass kein Engländer in Greifweite war. Der englische Geheimdienst kam nun ebenfalls auf meine Racheliste. Ich hatte viel zu tun in den nächsten Jahren.

Wie lange konnte ich noch bei Tarpen bleiben?

Wichtiger war jedoch, dass wir den Krieg gewannen. Unser Sieg würde den bolschewistischen Mördern meiner Familie ihren Fluchtweg nehmen und es mir einfacher machen, sie zu finden. Die Rotgardisten wären umzingelt und könnten nicht entwischen. Einige würden in den Kämpfen umkommen, andere nicht. Vor allem ging es mir zuerst um den sadistischen Kommandanten Jakow Michailowitsch Jurowski, der das Schützenkommando angeführt hatte.

Das erschütternde Bild, wie er meine geliebte Mama und dann meinen Papa, den Zaren von Russland, erschoss, hatte sich in meine Träume gebrannt. Meinem verletzten, wimmernden Bruder schoss die Bestie zweimal hintereinander ins Ohr. Er hatte keine Gnade gewährt. Ihm sollte das Gleiche widerfahren. Nein, er würde von mir auch keine Gnade erhalten. Zuletzt waren da noch Swerdlow und Beloborodow. Diese Befehlsgeber sollten genauso ihre gerechte Strafe erhalten. Keiner durfte meiner Rache entgehen. Das war ich meiner Familie schuldig. Welcher Sinn sollte sonst hinter meinem Überleben stecken?

„Sie erinnern mich an irgendjemanden“, sagte der Admiral nachsinnend, während er mich betrachtete.

Zum Glück machte sein Attaché deutlich, dass es Zeit war, den nächsten Tisch zu besuchen. Das Staatsoberhaupt stand mit entschuldigendem Schulterzucken auf.

„Die Pflicht ruft!“

Die Offiziere erhoben sich zum Abschied. Auch ich erwies ihm diese Ehre.

So verging eine weitere Stunde. Uns erwartete köstliches Essen, einfach alles, was der Mund begehrte: Stör, Filet, Kaviar, Pelmeni verschiedenster Art, französische Küchlein und vieles mehr. Die Tschechen lobten diesen Festschmaus begeistert. Im Kriegsalltag deckten sie den Tisch anders.

Nachdem der neu ernannte Herrscher Russlands seine Runde beendet hatte, kehrte er zu seiner Geliebten an den Tisch zurück, die dort tapfer und wortkarg ausgeharrt hatte.

Würde er sich von seiner Gemahlin scheiden lassen? Wusste diese überhaupt von dessen Liaison?

Admiral Koltschak hob nun sein Champagnerglas in Richtung der Gäste.

„Lassen Sie uns diesen friedlichen Abend mit einem Kelch Champagner beenden! Es wurde genug geredet. Die Zeit der Waffen ist gekommen. Ich hoffe, dies wird das letzte Gefecht vor einem dauerhaften Frieden sein. Unser Volk muss sich aussöhnen. Vorher aber werden wir die roten Verbrecher bestrafen, wie es das Gesetz verlangt. Wir wollen keine Rache, einzig Gerechtigkeit. Morgen breche ich mit der gesamten Armee auf und beziehe das Feldlager.“

Er machte eine lange Pause, als fielen ihm die folgenden Worte sehr schwer oder er wollte ihnen eine ganz besondere Bedeutung verleihen:

„Feuer und Stahl über die Feinde Russlands! In drei Tagen überschreiten wir den Rubico! Das nächste Mal feiern wir in Moskau!“, schrie er fast. Ja, er war nun unsere Hoffnung. Wir vertrauten ihn in diesem Moment und ließen uns von seiner Begeisterung mitreißen.

„Auf Admiral Koltschak, auf Russland!“, schrien die Gäste feierlich und standen applaudierend von ihren Plätzen auf.

Einige wenige riefen: „Auf den Zaren!“

Begeistert stimmten einige Gäste die ehemalige russische Nationalhymne an. Dann stimmten ergriffen alle ein. Das war nicht vorgesehen. Koltschak sang notgedrungen mit. Er wollte die nationalistische Stimmung nicht trüben und möglichst viele in seinen Krieg einbeziehen.

In meinen Augen standen kühle Tränen, es war ein bewegender Moment. Liebevoll drückte Tarpen meine Hand, während wir alle in hoffnungsvoller Stimmung schwelgten. Die Männer träumten von einem Sieg, ich von Blutrache.

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