Читать книгу Zarin der Vampire. Fluch der Liebe: Verrat, Rache, wahre Geschichte und düstere Erotik - Tatana Fedorovna - Страница 8
Die Flucht
ОглавлениеEinige Zeit später saßen wir alle in dem von den Tschechen reservierten Zug. Er war in einem katastrophalen Zustand, doch wir waren froh, überhaupt zu denen zu gehören, die mitreisen durften. Auf den Gleisen spielten sich Tragödien ab. Einzelne Zivilisten versuchten abermals, auf die Waggondächer zu klettern. Inzwischen schossen die Soldaten sie herzlos herunter. Überall lagen Tote jeden Alters und verbreiteten in der Hitze süßlichen Leichengestank. Mütter bettelten die Reisenden an, ihre Säuglinge mitzunehmen und diesen so das Leben zu retten. Es ging das Gerücht um, dass die Roten alle Jekaterinburger bei lebendigem Leib verbrennen wollten.
Die Sonne der Gnade schien heute nur für wenige. Neunzig Prozent der Zuginsassen waren Soldaten. Nur vereinzelte Zivilisten hatten einen Platz erhalten und jedes Fleckchen war mit einer gewieften Begründung erkämpft worden. Diese Wenigen saßen alle in unserem Waggon.
Tarpen hatte seinen Platz nicht bei uns, sondern bei den anderen Offizieren des Stabs in einem anderen Abteil. Einmal in der Stunde kämpfte er sich durch, um nach unserem Wohl zu schauen.
In den Gängen lag Gepäck und darauf saßen diejenigen, die keinen Sitzplatz erhalten hatten. Die Abfahrt verzögerte sich um vier Stunden. Das war normal, machte uns dennoch Angst, da die Einschläge von Mörsern immer dichter an den Zug kamen.
„Da sind die wichtigsten Dokumente drin!“ Staatsanwalt Sokolow wies auf einen großen ledernen Koffer. Zur Sicherheit war ein breiter Gürtel um dessen Seiten gezogen. Sein Besitzer tätschelte ihn stolz.
„Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, sich ins Ausland zu retten“, erwiderte ich. Doch in meiner Brust flammten mehr und mehr Zweifel hoch, die den winzigen Funken Zuversicht verschlangen.
Endlich machte sich das eiserne Ungetüm dampfend auf den Weg. Es war der letzte Zug, wie wir später erfuhren. Wie zum Abschiedsgruß explodierte eine Granate der Bolschewiken nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt und riss Dutzende Menschen in den Tod. Einzelne, abgerissene Körperteile wurden hochgeschleudert. Panik brach aus. Die Menschen stoben in alle Richtungen davon und schrieen angstvoll.
„Mein Gott!“, tönte es entsetzt aus dem Mund von Frau Sokolow.
Ihr Mann bekreuzigte sich, gleichwohl wirkte er standhaft wie ein Felsbrocken. Angstvoll suchte sie noch mehr Schutz bei ihm. Sein Gesicht war besorgt, hellte sich jedoch mit jedem Kilometer auf, den die Bahn gen Osten zurücklegte.
„Wir schaffen es!“, stieß er endlich nach vier sprachlosen Stunden aus. Der Zug ruckelte in Richtung Zentralsibirien.
Alle begannen erleichtert zu plaudern. Bis dahin hatte keiner ein Wort geredet. Das Gebiet, das wir jetzt durchquerten, schien den Schriftzug „Sicherheit“ auf dem Erdboden zu tragen.
Ich drehte den Kopf. Neben uns saß ein kräftiger Mann, der unablässig mit Hilfe einer Perlenkette betete.
„Sind Sie Moslem?“, wandte sich Sokolow interessiert an diesen. Demnach hatte er das fehlende Kreuz am Rosenkranz bemerkt. Der Krieg hatte die Bevölkerung vermischt.
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Wir Burjaten sind Buddhisten!“
„Und was hält Buddha von den Ereignissen?“, erkundigte sich der ehemalige Staatsanwalt jovial. Anscheinend wollte er sich durch die Unterhaltung ein wenig Ablenkung verschaffen.
Der Burjate überlegte eine Weile. Dann zog er seinen Mantel aus. Darunter sah man eine orangefarbene Mönchsuniform.
„Karma ist individuell“, erklärte er. „Jedes Individuum erlebt das, wofür es in früherer Zeit die Ursachen gesetzt hat.“
Das klang logisch, war aber zugleich eine bittere Botschaft. Die Antwort verschlug dem Anwalt für einen Moment die Sprache.
„Das dürfte überwiegend zutreffen“, stimmte der nach einer Weile nachdenklich zu. „Manchmal kann man wirklich glauben, Gott hat uns verlassen und die Menschen haben sich das selbst zuzuschreiben. Allerdings bin ich orthodox erzogen worden und will die Hoffnung an das Gute im Menschen nicht so schnell aufgeben.“
Der buddhistische Mönch lächelte. Eine Zeit lang sagte er nichts dazu.
„Das ist gut so!“, erwiderte er dann doch, als niemand mehr damit rechnete.
In Gedanken schob ich seine Worte mal in diese, mal in jene Schublade. Einerseits gefiel mir, was der Burjate sagte, auf der anderen Seite ängstigte es mich. Was war die Ursache dafür, dass ich zu einer rachsüchtigen Mörderin geworden war? Wo lag in dieser Betrachtungsweise meine Schuld?
„Gibt es nicht auch Menschen, die zu Unrecht etwas erleben?“, wagte ich zu fragen.
„Das ist eine verbreitete Ansicht“, versuchte er sich herauszuwinden. „Nach unserer Lehre liegen manche Ursachen aber so weit zurück, dass wir sie nicht mehr erkennen. Man muss sehr genau hinschauen und die Logik benutzen.“
„Logik ist eine effektive Methode!“, bestätigte der frühere Staatsanwalt. „Mit ihrer Hilfe haben wir schon manchen Lügner überführt.“
Ich gewahrte ein winziges Funkeln in seinen Augen. Die Plauderei lenkte ihn von den Sorgen ab. Er war froh darüber.
Der Mönch hob zu einer Entgegnung an, doch ein gigantischer Knall unterbrach das tiefgründige Gespräch. Ein Ruck erschütterte den Waggon.
Oh Gott, was geschah hier?
Im Bruchteil von einer Sekunde wurde unser Wagen in die Luft geschleudert. Menschen kreischten, mir wurde schwarz vor Augen. Explosionen, Weinen, Geschrei und Kommandos erfüllten die Umgebung. Geschosse flogen hin und her. Selbst ich konnte den rasant ablaufenden Geschehnissen nicht lückenlos folgen.
Eisen brach. Glas splitterte. Die Wucht warf meinen Körper durch eines der Fenster. Meine Arme ruderten in der Leere.
Ehe ich mich irgendwo festhalten konnte, lag ich auf dem Waldboden. Schmerz durchzuckte mich in vielen Stößen von den Beinen bis zum Bauch. Ich drückte die Kiefer aufeinander. Die Qual ließ auch sie beben und meine Schläfen pulsierten.
Mit einem zischenden Laut hob ich den Kopf aus den Grashalmen und sah meinen Körper entlang. Ein riesiges Stück Blech beschwerte mein rechtes Bein, das unter einem Metallfetzen unseres Waggons begraben lag. War es zerstochen, gebrochen, zerschmettert? Ich sah es nicht und die Wagentrümmer nagelten mich an dem Platz fest. Die höllischen Schmerzen gaben mir eine erste Antwort und ließen mich die wildesten Szenerien durchdenken. Im Oberschenkel staken Metallstücke wie fiese Zähne. Einige schauten aus wie die Gabeln für ein kannibalisches Mahl.