Читать книгу Sünde der Zarin. Geheimnisse + Racheengel + Das Fabergé-Ei: Gesamtausgabe - Tatana Fedorovna - Страница 12
Aufzeichnungen des Kommissars Gordon von Mirbach
ОглавлениеDie Schmerzen hinter der Brust waren unerträglich. Meine hypochondrische Vermutung, dass es Speiseröhrenkrebs war, hatte sich glücklicherweise nicht bestätigt. Auch Herz und Lunge waren in Ordnung. Die dazu notwendige Diagnostik war eine schmerzhafte Tortur gewesen.
Das Herunterwürgen dieses schrecklich dicken Schlauches zur Kontrolle der Speiseröhre und des Magens war eine Grenzerfahrung.
Somit war der Schmerz wieder nur eine dieser vegetativen Attacken gewesen, die sich jedes halbe Jahr einen neuen Kriegsschauplatz in meinem Körper suchten und meine Lebensqualität stark einschränkten.
Zuerst wollte mir der Arzt eine dieser enorm teuren Psychopharmaka verschreiben. Zum Glück wusste ich durch die zahlreichen Selbstmorde, mit denen ich bei der Arbeit zu tun hatte, wohin deren Einnahme häufig führte. Medikamentenhersteller und die von diesen hofierten Ärzten verdienten sehr viel Geld mit der Verschreibung dieses Giftes, das in Wirklichkeit die Menschen noch kranker machte und keinerlei wirklichen Nutzen besaß. Obwohl die Beipackzettel nach mehreren Opferprozessen auch Selbstmordgedanken als häufige Nebenwirkung aufführten, hieß es dann latent in der Presse, dass die verstorbene Person sich in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung befand. Hinterfragt wurde das selten. Für die Pharmakonzerne hatte dann der Suizid natürlich gar nichts mit dem Medikament zu tun und die Ärzte versteckten ihr schlechtes Gewissen hinter der Schweigepflicht.
Die von Gerichten in Einzelfällen erzwungene Offenlegung der Versuchsreihen ergab jedoch ein ganz anderes Bild. Erst durch die Verordnung entwickelten sich bei vielen fälschlich Behandelten solche Gedanken. Nur wenige durchschauten dieses perfide Spiel im Namen Äskulaps.
Nur aufgrund meiner konsequenten Weigerung riet der Arzt mir schließlich, ich sollte dann doch einfach alles aufschreiben. Ich sollte wie in alten Zeiten ein Tagebuch führen. Das helfe bei der Bewältigung und sei eigentlich genauso gut. Er rückte sogar mit der Wahrheit heraus. In Amerika werde schon sehr lange offen über die Nutzlosigkeit jeglicher Psychopharmaka diskutiert.
Das meiste vollbringe ohnehin die Zeit. Das vegetative System hinke der übrigen Entwicklung immer stark hinterher und es dauere eben, bis es sich reguliert. Wir Menschen seien nun einmal biologische Wesen und nicht für Großstädte und das Industriezeitalter geschaffen.
Ich schreibe zwar nicht gern, aber es muss wohl sein. Diese Empfehlung war weitaus besser als der beabsichtigte Mord auf Raten.
Es ist nicht so, dass ich den Tod meiner Familie wirklich hinter mir gelassen habe. Die Arbeit gab mir nur zu wenig Zeit, mich dem Verlust der liebsten Menschen dieser Welt emotional hinzugeben. So war Jahr um Jahr vergangen und ich hatte den Schmerz über den Verlust meiner Liebsten mit Ablenkung verdrängt. Menschliche Dämonen hatten sie mir auf bestialische Art genommen. Die unangenehmen körperlichen Auswirkungen waren somit ein Ergebnis des nicht Abfinden wollen und der fehlenden Verarbeitung.
Mein Körper fühlte sich schlapp, müde, erschöpft und ich fand wenig Sinn darin, mich überhaupt zu erheben. Eigentlich stand ich nicht für mich auf, sondern für all die anderen Menschen, die schutzlos diesen Bestien da draußen ausgeliefert waren, die heutzutage überall lauerten. Für diese Schwachen kämpfte ich meine eigene mentale Erschöpfung nieder. Das klingt vielleicht depressiv, aber das heutige Leben ist die wahre Depression.
Die Liebe soll der Sinn des Lebens sein, doch verliert man die Menschen, auf die sie sich bezog, spürt man sehr rasch, dass gerade die Größe dieses Gefühls die Menge der Leiden bestimmt. Die vorherige Zuneigung und der anschließende Schmerz des Verlustes wiegen immer gleich schwer.
Welchen Wert hat aber wiederum das Leben ohne Liebe?
Denkt man andererseits nur an sich, verstrickt man sich immer tiefer in die niederen Gefilde dieser boshaften Welt und wird mehr und mehr zu einem Geschöpf der Selbstsucht und Ignoranz.
Tief im Inneren wissen wir, dass das nicht der richtige Weg sein kann, und bewundern instinktiv die, die altruistisch handeln.
Ich versuche nun, diese Guten zumindest etwas zu beschützen. Vielleicht gelingt es mir so, den eigenen Frieden zu finden. Es ist nicht Rache, die ich will. Den Respekt vor dem anderen fordere ich ein und zeige, dass man auch inmitten des Schmutzes innere Reinheit bewahren kann.
Wir selbst müssen nicht in die Niederungen der Bosheit herabsteigen, nur weil viele es tun. Nein, ich will keine Freude an den Schmerzen der anderen haben, selbst bei den schlechtesten Menschen nicht. Sie können tun, was sie wollen, ich werde nie wie sie denken und stattdessen die wenigen Werte dieser Welt verteidigen, so wie einst die Ritter, die den Inhalt ihres Schwurs ernst nahmen.
Seit sechs Jahren arbeite ich nun bei der Kriminalpolizei. Diese Entscheidung war richtig. Ich trauere der familiär üblichen Diplomatenlaufbahn nicht nach. Mein Onkel und andere Verwandte meinten, meine Entscheidung wäre eine Kurzschlussreaktion. Kriminalkommissare stammten gewöhnlich aus einfacheren Schichten.
Doch nichts erfüllt mich so sehr mit Zufriedenheit wie der Erfolg gegen das Verbrechen. Kein Unschuldiger soll das erleiden, was meine Familie erleiden musste. Ich verabscheue das Verbrechen und die Bosheit zutiefst. Da mein Leben sonst keinerlei Wert für jemanden besitzt, werfe ich es furchtlos in die Wagschale.
Natürlich ist mir bewusst, dass Kriminelles gerade hier in Berlin wie Unkraut nachwächst, da Selbstsucht, Gier und Hass als Nährboden in ausreichendem Maß vorhanden sind. Gerade hat man einen Teil des Gartens vom Unkraut befreit, sprießt schon an der nächsten Stelle neues hervor.
In der Sache der verschwundenen Mädchen und des verschwundenen Staatsanwaltes gehen wir jetzt einen neuen Weg. Die Mittel der Polizeiarbeit sind leider begrenzt. Es mangelt an Freiheit und Geld für die Ermittlung. Doch bei der Suche nach dem Anwalt werden diese Grenzen nun aufgehoben.
Der Innenminister drang darauf, dass wir eine bekannte private Detektei einschalten, egal was es koste. Das renommierte Unternehmen Barnes & Gobler ist international sehr erfolgreich. Auch andere Regierungen, selbst Königshäuser und reiche Privatiers nutzen den diskreten Service. Zuvor war eine Zusammenarbeit nicht gewünscht oder aus Kostengründen abgelehnt worden. Im Falle des Anwaltes ist jedoch alles anders. Meine Vorgesetzten und sogar der Minister selbst, wollen ihn um jeden Preis finden. Öffentlichkeit und Presse machen Druck.
Die Detektei hat Möglichkeiten, die die unsrigen überschreiten. Sie ist nicht an den engen rechtlichen Rahmen wie wir gebunden. Heute traf ich mich zu einer ersten Sondierung mit der von der Detektei beauftragten Mitarbeiterin.
Eigentlich hatte ich nach dem Verlust meiner Familie kein Interesse an Frauen, aber diese weckte auf sehr seltsame Weise meine männliche Neugier. Fast schäme ich mich dafür. Ich will aber in diesem Tagebuch immer ganz offen sein, auch mir selbst gegenüber.
Wir trafen uns in den eleganten Räumen von Barnes & Gobler. Das Ambiente ist nicht vergleichbar mit unseren einfachen Diensträumen. Fleißige Mitarbeiter arbeiteten an den neuesten Computern. Sie saßen in großen Räumen auf teuren Drehstühlen. Alles wirkte gediegen und werthaltig. Einzig die Kühle des Besprechungsraumes war ungewöhnlich. Ich fröstelte sogar ein wenig. Die Mitarbeiterin hatte von diesen niedrigen Temperaturen eiskalte Hände. Da spart die Firma wohl an der falschen Stelle.
Fräulein Woromanowa trug eine Sonnenbrille, obwohl die Zimmer um diese Tageszeit nicht gerade lichtüberflutet waren. Zuerst glaubte ich, es wäre ein eitler Tick wie bei den Rappern, doch dann entschuldigte sie sich vollkommen natürlich und unexaltiert dafür. Sie litt durch ihre Epilepsie unter einer extremen Lichtempfindlichkeit. Das erklärte natürlich alles.
Ihre Stimme hatte einen leichten, unterschwellig russischen Akzent. Das klang recht angenehm und verlieh ihr eine reizvolle Fremdheit. Sie wirkte eigentlich zu jung, um diesen gefährlichen Auftrag zu bearbeiten. Anderseits ist oft gerade die Jugend ein Vorteil, da der Gegner diese unterschätzt. Sicher wurde ihre Wahl nicht ohne Grund getroffen.
Auf meine Frage, ob sie keine Angst vor den Gefahren hätte, lachte sie nur.
„Vor mir muss man Angst haben!“
Sie sagte es so selbstsicher, dass ich das Gefühl hatte, dies könnte wahr sein.
Sie sah mädchenhaft jung aus. Ihr Auftreten wirkte im Gegensatz dazu erfahren. Laut den uns zur Verfügung gestellten Unterlagen war sie bereits zweiunddreißig Jahre alt. Das war schwer zu glauben. Doch warum sollte unser Partner sie älter machen? Dafür gab es keinen Grund.
Olga, so war ihr Vorname, bestand auf besonderer Geheimhaltung unserer Zusammenarbeit. Ich sollte zukünftig nur allgemein sagen, dass unsere Behörde mit Barnes & Gobler zusammenarbeite. Die von dort beauftragten Mitarbeiter sollte ich aber nicht nennen.
Fräulein Woromanowa erbat zudem eine vollkommen freie Hand sowie ungewöhnliche Garantien. Solche Forderungen waren mir bisher noch nie begegnet. Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz. Die Detektivin verlangte Sicherheit vor jeglicher Strafverfolgung innerhalb und außerhalb Deutschlands, Schutz durch die deutschen Behörden sowie die Möglichkeit der freien Ausreise aus Europa als auch politisches Asyl, sofern sie es wünschte.
Lehnte eine einfache Mitarbeiterin sich dabei nicht etwas zu weit aus dem Fenster? Als ich meine Skepsis zum Ausdruck brachte, lachte sie und gab mir sehr selbstsicher zu verstehen, dass sie noch weitere spezielle Bedingungen für unsere Zusammenarbeit hatte.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was es noch geben könnte.
Sie meinte darauf, dass wir diese Kleinigkeiten in einem guten Restaurant besprechen sollten, nachdem die schriftlichen Garantien da wären.
Was für eine merkwürdige Partnerin hatte Barnes & Gobler da für mich ausgesucht? Bei der Verabschiedung, erschienen mir ihre Hände noch kälter.
„Hoffentlich erkälten Sie sich nicht. Ihr Unternehmen spart wohl an den Heizkosten?“
Ihr Händedruck war unerwartet kraftvoll, sodass ich vor Schmerz fast in die Knie ging. Fräulein Woromanowa musste bärenstark sein.
Sie zwinkerte mit einem Auge. „Immer noch in Sorge, dass ich das nicht schaffe?“
Plötzlich verharrte die seltsame Mitarbeiterin in ihrer Haltung und musterte mich sehr genau. Die Detektivin war irgendwie aus ihrem Konzept geraten.
„Ihr Parfüm erinnert mich an irgendetwas“, murmelte sie nachdenklich.
Das verwirrte mich, denn ich hatte keines benutzt. Wie ein verdutzter Schuljunge ging ich zum Fahrstuhl davon. Diese Frau war merkwürdig. Gleichwohl ging von ihr eine sehr ungewöhnliche Faszination aus.
Ich nahm mir vor, mich nicht noch einmal umzusehen und zumindest einen respektablen, kommissarischen Abgang vorzuführen. Ein innerer Zwang, ließ mich jedoch anders handeln. Das war, als kämpfte ich gegen eine Hypnose.
Gegen meinen eigentlichen Willen wandte mein Kopf sich nach hinten. Notgedrungen versuchte ich, dies ganz gewöhnlich und normal wirken zu lassen.
Das zauberhafte Gesicht der ungewöhnlichen Detektivin war mir noch immer zugewandt. Es schien, als hätte sie genau gewusst, dass ich noch einmal nach ihr sehen würde.
In diesem Moment wurde mir gewahr, dass ihr Anblick bei mir sogar unterbewusst erotische Fantasien ausgelöst und ich schon während der Unterhaltung ihre Weiblichkeit taxiert hatte. Der Mann in mir war plötzlich aus seinem Schlaf erwacht. Das war erstaunlich.
Unsere Augen trafen sich für einen kurzen Moment. Ich errötete. Sie hatte die Sonnenbrille inzwischen sogar abgesetzt und hielt sie in der zauberhaft geformten, eisigen Hand. Faszinierende, gefährliche Wolfsaugen musterten mich neugierig. Der Versuch, diesen standzuhalten, scheiterte. In ihrem Blick lag eine unbeschreibliche Stärke. Las die hübsche russische Mitarbeiterin der Detektei meine recht gewöhnlichen Gedanken?
Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Wangen. Es war weder warm, noch abschätzig, mehr nachdenklich oder sogar geschäftlich, eben nur ein Lächeln. Hatte ich Gefühlsnarr mir mehr versprochen?
Ich nickte irritiert. Sie reagierte nicht direkt auf den erneuten Abschiedsgruß, doch ihre sinnlichen Mundwinkel erschienen mir ein wenig spöttisch.