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Der Auftrag

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Der Anwalt lebte sogar noch. Seine Gesundheit erwies sich als äußerst robust. Er hatte nun schon acht Tage durchgehalten. Das war ein Tag länger als der Durchschnitt. Drei Tage trennten ihn noch von dem absoluten Rekord. Er würde diesen jedoch sicher nicht brechen, mein Durst war einfach zu groß. Zwar erhielt sein Körper Kochsalzlösung, aber sein Blut war schon äußerst dünn und enthielt durch den fortwährenden Schwund nur noch wenig Plasma. Sein Knochenmark war ausgezehrt und vermochte nicht schnell genug Ersatz zu produzieren.

Ich tanzte gerade von dem Lebenselixier beschwingt barfuß zur Musik. Es war eine dieser neuartigen Richtungen, die man Rap nannte. Der Sänger sang den Titel auf Deutsch. Obwohl der Sinn des Textes sehr oberflächlich und die Melodie keine besondere Komposition war, genoss ich es zuweilen, mich dem Sog dieser modernen Rhythmen auszusetzen und mich mit der Wärme des frischen Blutes in den Adern in einen transzendenten Rausch zu tanzen. In solchen Momenten fühlte ich mich so unglaublich lebendig.

Der Saft war gut, voller Bosheit, Durchtriebenheit und voller Sauerstoff, da er in der Nähe der Lunge gezapft wurde. In meiner Euphorie beschloss ich, mir noch mehr von dem guten Tropfen zu genehmigen. Sollte der Mann mit dem kleinen Schwanz meinetwegen heute sterben. Sein Leben war bedeutungslos angesichts der Probleme in der heutigen Welt. Diese drohte inzwischen aus ihrer millionenjährigen Umlaufbahn geworfen zu werden und schlingerte ihrem Untergang entgegen. Nun denn!

Meine beiden Möpse beobachteten mich. Sie wussten genau, wohin ich ging, und sprangen begeistert vom Diwan herunter.

Als ich den kleinen Raum erneut betrat, sahen mir hohle Augen aus einem ausgemergelten Gesicht entgegen. Der müde und verzweifelte Blick zeigte mir, dass er fühlte, dass es bald zu Ende war. Diese Entwicklung erinnerte mich an die unschuldigen Opfer, um derentwillen ich zu diesem Monster geworden war.

Nun, mein Bester, so fühlt sich das an, wenn Menschen wie du ihrem bösen, herzlosen Werk nachgehen.

„Fürchtest du den Tod?“, fragte ich gelassen und öffnete den aus der Achselhöhle herausragenden Drehhahn des Katheders. Die Haut drumherum hatte sich leicht infiziert.

Er nickte mühsam.

„Bald hast du das Leiden hinter dir“, nahm ich ihm jede Hoffnung auf ein Weiterleben. Sein Körper zitterte und Tränen kullerten aus seinen Augen. Ging es schon jetzt mit ihm zu Ende? So hatte er sich das eigene Lebensende nicht vorgestellt. Langsam, in der Rhythmik seines Herzschlages pulsierend, ergoss sich der rote Saft in den kristallenen Kelch. Sollte ich Mitleid zeigen und ihn ganz entleeren? Etwas Unbestimmtes hielt mich zurück! Meine Hand drehte den Hahn zu.

Die beiden Hunde saßen erwartungsvoll und brav auf ihrem Hinterteil und blickten mich mit warmen Augen an.

Die Rasse war einzigartig, fast menschlich. Ihre anfängliche Furcht vor mir war inzwischen tiefer Anhänglichkeit gewichen. Sie schienen zu glauben, dass ich ihnen nichts tun würde. Auch ich hoffte dies.

„Na gut, ihr beiden. Ihr sollt auch etwas bekommen“, schnurrte ich freundlich auf Russisch. Meine Muttersprache benutzte ich immer dann, wenn ich mich besonders wohl fühlte. Mein Opfer ahnte wohl was ich vorhatte und zappelte wild.

Beide Möpse wedelten erwartungsvoll mit ihren Schwänzchen, sprangen begeistert an seinen Beinen hoch und kratzten dort mit ihren Pfötchen die Haut auf.

Man musste ihnen helfen. Sie warteten auf eine Leckerei. Mit einem scharfen Messer das ich oft benutzte, löste ich kurzerhand ein Stückchen Haut aus dem Bein heraus und warf es Wenjera zu. Davon würde er nicht sterben. Dann schnitt ich aus dem anderen ein weiteres Stück heraus und warf es vor Aurora. Beide stürzten sich begierig darauf und schlangen die blutig frischen Fetzen genüsslich kauend herunter. Dabei schauten sie mich mit ihren großen Augen zufrieden an. Ab und zu schlossen sie wohlig ihre Lider. Das war herzallerliebst. Sie hofften auf mehr.

Durch den Klebestreifen hörte ich das verzweifelte Gewimmer des Geplagten. Er hatte doch selbst zu mir gesagt, dass er es besonders hart mochte. Er kam nun voll auf seine Kosten. Ich kicherte in der Erinnerung daran.

Gut gelaunt schloss ich die Tür hinter mir und tanzte meinen wahnsinnigen Tanz weiter. Wie wunderbar warm mir inzwischen war! Ja auch ich war ein Monster. Das verband mich mit meinen Opfern.


Vielleicht würde ich heute doch noch sein Leid beenden. Noch ein, zwei Gläser und es war vorbei mit ihm.

Sollte man es darauf ankommen lassen? Es war doch alles nur ein Spiel. Er war ohnehin sterblich und der Tod für jeden Menschen doch nur eine Frage der Zeit. Da sie alle ihr Leben mit Unsinnigkeiten oder Bosheiten verschwendeten, war es egal, wann sie starben. Niemand würde sie wirklich vermissen.

Das Handy riss mich aus der Trance und den Gedanken. Als Klingelton erscholl die alte russische Zarenhymne in einer recht modernen Version. Die beiden Musiker hatten sie vor ihrem unfreiwilligen Ende als letzten Gruß für mich erstellt. Heute bedauerte ich ihren schnellen Tod, den ich als Lohn gewährt hatte. Diese Melodie gefiel mir noch immer. Sie waren talentiert gewesen.

„Ja?“, meldete ich mich leicht außer Atem.

Die Detektei war auf der anderen Seite. Es ging um einen neuen Auftrag. Hatte ich Lust darauf?

„Gut, ich komme gleich!“

Meine Stimme klang normal und geschäftlich.

Nachdenklich ging ich zum Spiegel und schaute hinein. Die Geschichte vom fehlenden Bild darin ist auch eines dieser Märchen über Vampire.

War es eine gute Zeit, um einen neuen Auftrag zu übernehmen? Langsam trank ich das Glas aus und betrachtete dabei das Gesicht. Durch das viele Blut wirkte meine Hautfarbe fast menschlich, selbst die Hände waren für den Moment warm. Der Anruf hatte dem Anwalt einige Stunden Leben geschenkt.

Es wurde Zeit, sich anzuziehen. Über eine schwarze Hose und eine dazu passende Bluse streifte ich einen dünnen Wollmantel. Des Pelzes bedurfte es heute nicht, denn die innere Temperatur war ausreichend.

Zum Glück war es bereits später Nachmittag, sodass die Augen nicht mehr lange unter dem starken Licht leiden musste. Eine schwächere Sonnenbrille reichte deshalb.

Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass mein Appartement gut verschlossen und gesichert war, fuhr ich mit dem Lift in den Keller. Das war der kürzeste Weg aus dem Haus.

Am Taxistand um die Ecke standen zumeist genügend Fahrzeuge. Es war am Tag nicht notwendig eines mit dem Handy zu bestellen. Das eigene Auto sollte heute in der Tiefgarage bleiben. Der Verkehr in Berlin war recht dicht und oft stand man wartend im Stau. Taxis durften dann die Busspur benutzen. So war man deutlich schneller.

Der Fahrer erkannte mich leider. Er hatte mich bereits letzte Woche befördert und wohl das Gesicht in Erinnerung behalten. Das lag an dem Lockstoff meines Blutes.

„Wieder zur Detektei?“

„Ja.“

„Ich kann gar nicht glauben, dass Sie dort arbeiten. Sie sehen noch so jung aus! “

Das sollte offenbar ein Kompliment sein. Ich musste mich etwas auf seine Konversation einlassen, um nicht unhöflich zu wirken.

„Das gibt sich irgendwann!“, scherzte ich.

„Ich habe zudem nur gelegentlich mit der Detektei zu tun.“

„Das sagen alle“, versuchte der Mann mich weiter in das Gespräch einzubinden. Seine Bemerkung gefiel mir nicht.

Das nächste Mal sollte ich doch lieber mit dem eigenen Wagen fahren. Neugierige Menschen waren mir ein Graus und stellten eine Gefahr dar. Er sollte lieber nicht weiter fragen!

Demonstrativ begann ich etwas in mein Smartphone einzugeben. Aus meiner Sicht hatte ich genug Höflichkeiten ausgetauscht. Er akzeptierte das notgedrungen.

Die Filiale der internationalen Detektei Barnes & Gobler befand sich etwa fünfzehn Fahrminuten von mir entfernt in einer der besten Straßen Berlins. Die gute und teure Lage verdeutlichte ihre Bedeutung. Das traditionelle Luxushotel Adlon war nur wenige Gehminuten entfernt. Dort hatte bei meiner Ankunft der Filialleiter als Willkommensgeste mit mir gespeist.

Die Arbeit für die Detektei hatte für mich mehrere Vorzüge. Zum einen war ich gut getarnt und erhielt Einblicke, die bei meiner eigenen Jagd von Nutzen waren. Weiterhin war man vor Nachforschungen recht gut geschützt, durfte Waffen besitzen und konnte meist frei über die Zeit verfügen. Nach einigen Jahren – wenn es auffiel, dass ich nicht alterte – wechselte ich dann die Stadt, das Land, die Detektei oder die Arbeit.

Ich war froh, als ich das Taxi endlich verlassen konnte. Das Wiedererkennen und die Fragerei hatten sehr genervt. Ausrutscher passierten mir zwar selten, aber war ich erst gereizt, war es doppelt schwer, die Kontrolle zu behalten. Meist floh ich dann aus dieser Situation. Das ist in einem fahrenden Taxi schwierig.

Das Gebäude der Detektei war auch von außen sehenswert. Sauber abgestrahlter gelber Sandstein, dunkles Glas und dezente Ornamente verliehen ihm gediegene Würde. Eine Drehtür empfing den Besucher. Das Foyer war wie immer menschenleer.

Wertvolle antike Skulpturen verdeutlichten dem Kunden, dass er genug Reichtum und Besitz haben sollte, bevor er hier einen Auftrag erteilte. Einzig der elegant gekleidete Portier am Empfang belebte die vornehme Einsamkeit. Ich mochte solche ruhigen Orte.

Der Mann erkannte mich und nickte mir zu.

„Man erwartet Sie schon, sechster Stock bitte!“

Er stand auf und betätigte hilfsbereit für mich den Rufknopf. An dem Zeiger der Fahrstuhluhr konnte man beobachten, wie sich der Aufzug in unsere Richtung bewegte. Ein dezentes Ding Dong öffnete die Tür. Das Innere war mit kühlem Granit an den Seitenflächen und dunklem Hartholz auf dem Boden gestaltet.

Ich trat in die offene Kabine ein und fuhr nach oben. Dezent wandte sich mein Helfer ab und wieder seiner Tätigkeit zu. Auf dem oberen Flur erwartete mich schon der Leiter der hiesigen Filiale. Der Wachmann hatte ihn offensichtlich benachrichtigt.

„Schön, dass Sie so schnell kommen konnten, Frau Woromanowa!“

Ich lächelte.

Er reichte mir seine Hand. Dieser persönliche Gruß war hier in Deutschland üblich. Mir war er immer etwas unangenehm, da meine Hände zumeist recht kühl waren. Leider war es inzwischen verpönt, Handschuhe bei diesem Ritual zu tragen. Zum Glück hatte ich zuvor noch das wärmende frische Blut getrunken.

„Gern doch.“

Unsere Hände schüttelten sich geschäftsmäßig.

„Sie sprechen das Deutsch so bezaubernd, fast akzentfrei“, lobte mein Gastgeber.

„Es ist eben die Sprache meiner geliebten Mutter“, erwiderte ich.

Wir gingen in sein geschmackvolles Büro.

Ein wunderbarer Blick auf eines der schönsten Viertel Berlins bot sich. Für meinen russischen Geschmack war der Raum jedoch einen Tick zu puristisch eingerichtet, obgleich ich grundsätzlich Ordnung mochte. Die Deutschen übertrieben wie meistens in ihrem Bemühen etwas. Sie hatten diesen unseligen Hang, alles ganz richtig und noch besser machen zu müssen. Selbst ein Zen-Meister hätten diesen Raum als kahl empfunden.

Wir setzten uns in zwei fast durchsichtige Kunststoffsessel. Sie schufen die Illusion, als schwebte der Gegenüber in der Luft.

„Kaffee? Tee?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Worum geht es?“, kam ich unmittelbar zur Sache.

„Diesmal handelt es sich gleich um zwei Aufträge. Sie haben natürlich wie immer die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden. Der eine könnte durchaus gefährlich sein.“

„Angst ist mir recht fremd“, entgegnete ich.

Der Filialleiter lachte auf.

„Das dachte ich mir. Ihre bisherige Arbeit ließ mich das vermuten. Sie dürften deswegen genau die Richtige für den Job sein. Ich habe sofort an Sie gedacht.“

Mein Gegenüber zog an seinem Schreibtisch eine Schublade auf und holte zwei darin befindliche Dossiers hervor.

Max Kräger, so hieß der Filialleiter, war mir zwar optisch nicht sympathisch, aber er roch ehrlich. Somit stand er auf der richtigen Seite. Das erleichterte die Zusammenarbeit.

Seine schulterlangen, dünnen und grauen Haare passten nicht zu dem ansonsten dezenten Aussehen. Das dürfte eine Marotte aus der Jugendzeit oder die Furcht vor dem Alter sein. Zu allem Unglück band er sie noch mit einer auffällig bunten Schleife im Nacken zusammen. Vielleicht wollte er seiner bitteren Arbeit so einen künstlerischen Anstrich verleihen. Eine richtige Herrenfrisur hätte ihm aus meiner Sicht deutlich besser gestanden.

Jeder trägt seine speziellen Lasten. Ein berühmter Gelehrter hat einmal gesagt, dass die Menschen von Weitem alle nett und fröhlich aussehen. Je dichter man ihnen jedoch kommt, umso mehr erkennt man ihre Probleme. Irgendwann würde ich den Grund für diese eigenwillige Frisur erfahren.

„Die Kriminalpolizei hat uns um Hilfe ersucht. Wir benötigen immer einen guten Kontakt zu den hiesigen Behörden, darum habe ich schon einmal zugesagt. Bezahlt werden Sie von uns, denn wir werden einen Teil der Kosten selbst tragen müssen. Später zahlt sich das jedoch wieder aus.“

Ich hörte in Ruhe zu.

„Sie arbeiten mit einem Kommissar zusammen. Er heißt Gordon von Mirbach und ist ein Verwandter des Außenministers, sogar ein waschechter Graf. Seine Familie ist seit Jahrhunderten politisch aktiv und war zeitweise sehr einflussreich. Der Kommissar ist ein guter Mann. Ein Vorfahre von ihm hat vor fast hundert Jahren als kaiserlicher Botschafter sogar versucht, die Zarenfamilie vor ihrem Tod zu bewahren. Ein anderer, der Oberstleutnant Andreas von Mirbach, hat sich 1975 bei einem Botschaftsüberfall durch die Rote Armee Fraktion in Stockholm als Geisel austauschen lassen und opferte dabei sein Leben. Graf Gordon von Mirbachs Eltern, seine Frau und die einzige Tochter wurden vor einigen Jahren während eines Besuches in Nordafrika von arabischen Terroristen entführt. Dem Vater wurde vor laufenden Kameras der Kopf abgetrennt und die anderen lebendig begraben. Man hat sie bis heute nicht gefunden. Sehr bitter war das. Deswegen hat ihr Verbindungsmann die Diplomatenlaufbahn aufgegeben und ist in die Kriminalistik gewechselt. Aufopferung hat also Tradition in der Familie.“

Das war eine sehr merkwürdige Geschichte, die mich neugierig gemacht hatte. Den Hintergrund mit dem früheren Grafen von Mirbach-Harff kannte ich nur zu gut. Er war in Moskau am 07. Juli 1918 durch ein Attentat von Sozialisten ums Leben gekommen. Dieser Graf von Mirbach-Harff hatte zuvor alles getan, um die Freiheit für meine Familie zu erreichen. Der deutsche Kaiser hatte ihn beauftragt. Er hatte sogar ein Sonderkommando für unsere heimliche Befreiung zusammengestellt. Die unglückliche Fügung, die zu seiner Ermordung führte, hatte auch unseren Tod beschleunigt. Nur zehn Tage später folgten wir ihm.

War dieses Zusammentreffen mit einem seiner Nachkommen ein gutes Omen? Merkwürdig war es schon. Wir Russen sind abergläubisch, selbst als Vampire.

„Nun zu den Fällen“, fuhr Max Kräger fort.

„Hier in Berlin verschwinden seit einiger Zeit immer wieder junge Mädchen. Es fehlt jede Spur, jegliches Muster. Auch eine Verbindung zwischen den Mädchen lässt sich bisher nicht herstellen. Die Polizei tappt seit Monaten vollkommen im Dunkeln. Das Thema ist inzwischen bei der Presse angekommen und sowohl der Innenminister als auch der Berliner Bürgermeister werden verantwortlich gemacht. Sie wollen endlich Ergebnisse sehen.“

Dann erzählte er von dem zweiten Fall.

„Es bestand der Verdacht, dass bei einer bekannten Großbaustelle viele Millionen von irgendjemandem veruntreut wurden. Nun ist auch noch der leitende Staatsanwalt plötzlich spurlos verschwunden! Dieser Fall hängt zwar nicht mit den vermissten Mädchen zusammen, aber das Ministerium will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Polizei bevorzuge die Aufklärung des einen oder anderen. Daraus könnten die Berliner auch wieder Schlüsse ziehen. Um diesen Eindruck zu vermeiden, hat man gleich bei beiden Untersuchungen um unsere Mithilfe gebeten.“

Er schob mir die umfangreichen Dossiers zu.

Mein Gott! Was war das für ein merkwürdiger Zufall?Auf der zweiten Seite schaute mich das Bild meines jetzigen Opfers an! Es war der gesuchte Staatsanwalt. Ich hatte ihn nie konkret nach seiner Arbeit gefragt, denn das war bisher für mich ohne Bedeutung. Solche eigenwilligen Fügungen sind selten. Das waren gleich zwei mysteriöse Verbindungen zu meinem Leben an einem Tag. Unwillkürlich sah ich mich um. Diese Gewohnheit bildet sich in wenigen Jahren des Vampirdaseins heraus, da man sich immer als verfolgt betrachtet.

Waren die beiden Fälle und die Beauftragung eines Mitglieds der Familie des Grafen von Mirbach-Harff auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden?

Oft erkennen gewöhnliche Menschen solche Zusammenhänge nicht, da ihre Lebenszeit zu kurz ist. Durch mein langes Leben hatte ich jedoch mehr Möglichkeiten. Gerade Aufträge dieser Art machten mich besonders neugierig, da sie eine gewisse mystische Komponente hatten, die mich herausforderte. Muster reichen oft weit hinter das jetzige Leben zurück. Die einen sagen „Schicksal“, andere „Karma“ und Dummköpfe „Zufall“ dazu.

Wir begegnen in der Regel keinen Unbekannten, sondern jenen, mit denen wir auf eine besondere Weise etwas offen haben – auf gute oder auf schlechte Art. In der Physik sagt man, dass in einem geschlossenen System niemals etwas verschwinden kann, nicht einmal Energie. Alles wandelt sich nur. Ob sich meine Ahnung bestätigen würde?

Leider war somit auch ich zum Ziel der Ermittlungen geworden. Vielleicht wurde auch schon das Mädchen, mein vorletztes Opfer, vermisst und man bezweifelte den Anruf, der ihr Verschwinden erklärte?

Ich blätterte neugierig die Bilder durch. Es war nicht einmal dabei. Das war gut. Meine primitive Vertuschung hatte also doch funktioniert. Es würden Monate vergehen, bis man Verdacht schöpfte. Im besten Fall erinnerte sich bald niemand mehr an sie. Das war häufig so.

Der Filialleiter bemerkte meine Anspannung.

„Gibt es Probleme? Erscheint Ihnen etwas bekannt? Sie wirken ein wenig verdutzt.“

Ich lenkte ihn auf eine andere Fährte.

„Das wirkt sehr kompliziert. Was werde ich verdienen?“

Sein Misstrauen verflog im Nu. Meine Reaktion erschien ihm wieder verständlich.

„Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“

„Dann wäre von meiner Seite alles klar. Ich übernehme die beiden Aufträge.“

„Das freut mich! Sie können diese Kopien mitnehmen. Über Geheimhaltung, Vernichtung der Akten nach Abschluss der Fälle und so weiter brauche ich Ihnen sicher nichts mehr sagen. Das ist alles wie gehabt. Bei Fragen stehe ich Ihnen zur Verfügung, ansonsten haben Sie vollkommen freie Hand, Zugriff auf alle Dienste und die Unterstützung aller unserer Niederlassungen.“

„Ich werde zusätzliche Sicherheiten benötigen.“

„Wir werden diese erbitten. Teilen Sie mir Ihre persönlichen Forderungen per mail mit. Sie können bei irgendwelchen Problemen natürlich jederzeit ablehnen.“

Der Filialleiter gab sich sehr professionell. Er war die Zusammenarbeit mit besonderen Mitarbeitern gewohnt. Diese hatten ihren Preis, wie auch die Arbeit der Detektei. Das machte die Verhandlung mit ihm einfach.

Er reichte mir erneut in deutscher Weise die Hand. Ich erwiderte die Verabschiedung.

„Ihre Hände sind endlich einmal warm!“, stellte er fest. Er war ein guter Beobachter.

„Ich hatte mir beim letzten Mal schon Sorgen gemacht!“

„Das liegt am niedrigen Blutdruck und der Epilepsie“, erklärte ich zum tausendsten Mal.

„Ich habe diesmal extra etwas Warmes getrunken.“

„Sie haben ihre Krankheit unter Kontrolle?“

Max Kräger wirkte besorgt.

Ich nickte.

„Dann bringen Sie das Gesindel zur Strecke!“

„Das ist nur eine Frage der Zeit.“

Er lächelte zufrieden und begleitete mich zum Fahrstuhl.

Dieser stand noch immer auf unserer Etage. Die Unterredung hatte also nicht lange gedauert.

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