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ZWEI AUF EINEM PFERD BEI EINER KEILEREI

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oder

Bouvard et Pécuchet zwischen Tübingen und Marktl

Alt ist er schon, der Streit, und auch bekannt. Alt sind sie schon, die Streitparteien, und auch bekannt. Immer noch sitzen sie im gleichen Boot, bekennen beide. Das Boot selbst ist noch älter und auch bekannt, altbekannt. Unisono behaupten beide Kontrahenten vehement, sie wollen das so ungeheuer wertvolle, das, wie sie auch behaupten, ‘unverzichtbare’ Boot retten, den morschen Kahn gar voranbringen. Jeder der Kontrahenten rudert deshalb kräftig … in die jeweils andere Richtung. Sieht man genau hin, hört man ihnen aufmerksam zu, sitzen sie nicht auf der selben, auch nicht auf der gleichen Ruderbank, nicht einmal im selben Boot. Genau betrachtet sitzen beide auf dem Trockenen, wohin sie letztlich der eine von ihnen voller Überzeugung gebracht – der Ober sticht den Unter –, der andere ihm dabei in christlicher Güte assistiert hat. Trockene Wissenschaft. Theologie für ausschließlich Theologen, auch wenn jeder weiß, schon ihre Vorgänger logen. Christentum ist schließlich beider Gewerbe. So sitzen sie dann eigentlich wiederum nicht und nie auf dem Trockenen, ist ihr Geschäft doch eines der einträglichsten überhaupt. Ein Dienstleistungsbetrieb. Hier und da ein bißchen vielleicht Dienst, aber vollkommen leistungsfrei, frei von Leistung. Auch ohne jede Gewährleistung. Von Garantie ganz zu schweigen!

Worum sie streiten? Etwa um das Kirchenschiff, besser Schiff Kirche, katholische Kirche? Eine ganz eigene Titanic! Muß es sie, Mutter Kirche, Untergangsboot, Glaubensschiff der Kleriker, Mutterschiff der Denkzwerge, muß es das Kirchenschiff unter solchen Ruderknechten nicht zerreißen, untergehen? In Wahrheit aber streiten sie um Windmühlen und ihre Flügel.

Nein, sie gleichen darin nicht dem edlen Ritter Don Quijano der Gute aus der Mancha und seinem treuen Sancho Panza, sind nicht Don Quijote und sein schlecht berittener Diener, entsagen im feierlichen Gelöbnis jeder Dulcinea, von Tübingen bis Toboso, von Marktl bis Rom, sind auch nicht Jacques le Fataliste und sein gut berittener Herr, wenngleich jener gewisse klerikale Kämpe sich gerne als Herr, als Stellvertreter Gottes sieht, ohne jede Gottesfurcht quasi Vize-Gott, der andere, jener, der immer das letzte Wort hat, der Radikale, der Widerspenstige, keinen Herrn über sich duldet, keinen Vize-Herrn, nicht einmal fremde Götter neben sich, schon gar keinen unfehlbaren Menschen, und sei er nur … Papst.

Gefragt sein muß deshalb: Wie waren sie zueinander gekommen? – „Von ungefähr, wie das gewöhnlich der Fall ist.“ – Wie heißen sie? – „Was kann euch daran liegen?“ Nennen wir den einen der Streithähne Joseph Ratzinger. Heißt er so? Dann kann der andere Streithammel nur Hans Küng heißen. – Wo kamen sie her?„Aus dem nächst gelegenen Orte.“ Aus teutschen Landen, dem Lande des Reformators Martin Luther kam der eine, der andere aus dem alemannischen des Reformators Huldrych Zwingli. – Wo wollten sie hin? – „Weiß man je, wohin man will?“ Auf jeden Fall wollten sie nach oben, nach ganz oben, auf den Gipfel! Auf jeden Fall geht das für sie nur über Rom. Auf jeden Fall geht es von jedem Gipfel immer nur bergab, haben jedenfalls beide zu sehr unterschiedlichen Zeiten aus sehr verschiedenen Anlässen sehr deutlich erfahren. – Was sprachen sie? – „Der Herr, derjenige, der sich für den Herrn und den Stellvertreter des Herrn hält, Bruder Joseph, sprach kein Wort, jedenfalls kein verständliches, auch kein verständiges, aber Bruder Hans: Sein Hauptmann (Johannes XXIII.) habe gesagt, alles, was uns hienieden Gutes oder Böses begegnet, stehe dort oben geschrieben.“

... Das war ein verständiges Wort. Natürlich auch ein fatales, ja fatalistisches.

Wollte man nun hinzusetzen, jede Kugel, die aus einem Musketenlauf abgeschossen wird, hat einen Adressaten, hat man nicht unrecht, müßte füglich hinzugefügt sein: jede Kugel, die aus einem Musketenlauf abgeschossen wird, hat einen Adressanten. Erst dann hat man Recht.

Also doch und frei nach Denis Diderot wenigstens Jakob und sein Herr? Oder einmal mehr nur die Geschichte, welche Miguel de Cervantes Saavedra nur deshalb erzählen konnte, weil Sidi Hamét Benengeli sie ihm erzählt hatte? Bei allen guten Engeln, sind sie schlechte Engel, sind sie nur Teufel, bei allen guten Engeln also wäre das zu einfach für zwei so große Geister, die man rief und einfach nicht mehr los wird. Nun ja, Hans Küng, der Diener, der sich für keinen solchen hält, verfuhr mit seinem Herrn, für den sich Josef Ratzinger durchaus hält, nicht so zurückhaltend und schonend ... Er überging nicht den geringsten Umstand und ließ es darauf ankommen …

Worauf aber kommt es an? Hatten nicht beide Kontrahenten, zwei Meister der Selbstinszenierung, die gleiche Wissenschaft betrieben? Sofern man es Wissenschaft nennen darf, wenn alles unter dem Zeichen „Katholisches Christentum“ als unabdingbare Prämisse immer und immer wieder verifiziert, niemals und nichts falsifiziert, unter gar keinen Umständen die Prämisse selbst in Frage gestellt wird. Was, außer Zirkelschluß, mag solche scheinbare Wissenschaftlichkeit hervorbringen? Theologie heute nach Regeln der Wissenschaft, Logik und Verantwortbarkeit legt nahe, Christentum ist geistig so gut wie bankrott. Gleichwohl methodisch haben sich die beiden Helden jedes Wissensgebiet untertan gemacht, es christisch, aber linear zum Wissensgebet degradiert, daraus windmühlenartig, Entschuldigung(!), gebetsmühlenartig deklamiert, gleich Bouvard und Pécuchet ungeheures Wissen angehäuft, aufgetürmt, ohne auch nur von einer der Sachen, ohne überhaupt von irgendwelchen Sachen, von wirklichen Sachen wirklich etwas zu verstehen. An der Quantität erfreuen sie sich, berühmen sich ihrer, klopfen sich ihretwegen selbst und gegenseitig auf die Schulter, ermangeln der Qualität, nicht so sehr des Klopfens, mehr des Kopfes, des Denkens darinnen, weil sie sich der Theologie verbunden, verpflichtet fühlen, sich ihr verschrieben haben, ignorieren, auf diesem ihrem ureigenen Wissensgebiet ist qualifiziertes Wissen, bleibt Wissenschaftlichkeit unmöglich. Es wollte und will ihnen nicht gelingen, sich aus Sokratischer Aporie zu befreien, Dialektik frei nach Marx walten zu lassen, wie seinerzeit Gottlob Frege die Russellsche Antinomie anzuerkennen. Ein Circulus vitiosus, ein Teufelskreis zweier eheloser, christischer Männer, welche dem Widerspruch zwischen ehelos und christlich gnadenlos ausgeliefert sind, weder wissenschaftlich der Paradoxie zu begegnen, noch pragmatisch den gelobten Zustand zu beenden vermögen. Kampf zwischen Samiel und Mephisto. Austauschbare Rollen. Immer sitzt der eine auf des anderen Stuhl. Immer sitzen beide fest im Sattel. Und doch schlagen sie aufeinander ein.

Der eine, Sie wissen schon, der Wir-sind-Papst, Nachfolger auf dem Stuhl Petri, obwohl von letzterem nicht einmal erwiesen ist, er kam in Rom zu Potte, habe dort auf einem Stuhl gesessen, ausgerechnet auf dem, der heute nicht mehr sein Hinterteil, nur noch seinen Namen trägt, jener Nachfolger Petri, Stellvertreter des Nazareners und Gottessohnes, Vizegott und Papst Emeritus, befolgt ‘unfehlbar’ die Parole des Originals, seines Helden, Herrn und Gottes: Ich bringe euch nicht den Frieden. Recht hat er, der Held, vor allem sein Nachfolger, könnte man darauf vertrauen, dies seien wahrhaft Worte Jesu, verkündeten doch schon die Engel vor Geburt des Zimmermannssohnes: Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind. Eine außerordentlich heikle Geschichte, die Sache mit dem Willen und der Welt als Vorstellung für einen Stellvertreter Gottes. Wer kann sich schon vorstellen, auf der Welt herrscht Friede anstatt Angela, Barak, Wladimir oder so?! Für einen Vizegott nichts als häretische Gedanken! Starken Willen braucht selbst ein Vizegott im Wartestand, Präfekt der katholischen Glaubenskongregation, Chef des Heiligen Offiziums, dreiundzwanzig lange Jahre lang jeden Freitag den wöchentlichen Bericht über Mißbrauchsfälle katholischer Kleriker aus aller Welt zur Kenntnis zu nehmen. Pädophilie als praktizierte Nächstenliebe? Noch viel stärker muß der Wille sein, die allfälligen Rapporte sorgfältig wegzusperren, unter Verschluß zu halten. Streng vertraulich. Geheim. Weniger bis gar keines Willen bedarf es, schon gar keines guten Willens, die Inquisition als Segen für Europa zu bezeichnen, auf Unfehlbarkeit, Zölibat, Ablehnung der Empfängnisverhütung, Verweigerung aktiver Gleichstellung der Frau und Eucharistieverbot für wiederverheiratete Geschiedene zu beharren. Weder guter Wille also, noch Wille zum Frieden! Um Frieden sollen sich die Menschen, die Gläubigen gefälligst selber balgen; freilich mit von Klerikern aller möglichen und unmöglichen Glaubensbekenntnisse gesegneten Waffen. Wahrlich ein gerüttelt Maß an Streitpunkten. Ohne Unterlaß ständiger Anlaß für Unfrieden. Unfriede mit der Ostkirche, Unfriede mit den Protestanten Westeuropas, Unfriede mit all jenen, welche die Dogmata und Zumutungen des Glaubens zu hinterfragen wagen, besonders dann, wenn sie dabei an friedliche Ökumene denken, wie der Theologe Gotthold Hasenhüttel.

Jedenfalls hat Joseph Wir-sind-Pabst Ratzinger viel gelehrt. Viele Bücher zu theologischen Themen hat er verfaßt. Ob sich daraus etwas lernen läßt? Neben aller professoralen Lehrtätigkeit mit dem Gehalt eines Professors sind so rund 48 Buchtitel religiösen Inhaltes erschienen, so daß der allein und zölibatär lebende Herr Professor ein Anwesen in Regensburg erwerben konnte und mit der Annahme seiner Berufung zum Chef der Glaubenskongegration sich von Johannes Paul II. ausdrücklich die Fortsetzung seiner quasi privaten Schriftstellertätigkeit garantieren ließ. Lernen läßt sich daraus, auch nach 2000 Jahren gilt im weltlichen wie katholischen Rom immer noch: Pecuniam non olet. Allerdings adelt es auch nicht.

Ungefähr achtzig Lebensjahre des freien Schriftstellers, Theologieprofessors, Klerikers sind ins Land gegangen, bis Joseph Ratzinger es geschafft hat, den ersten Band seiner Trilogie Jesus von Nazareth herauszugeben. Ein gewisser Rudolf Augstein, in Theologie nicht mit summa cum laude promoviert, nicht habilitiert, völlig ohne Studium, aber mit quasi magna cum laude beruflicher Schreibpflicht für sein Wochenmagazin, nur Journalist und Vaterlandsverräter von Adenauers bis Strauß Gnaden, hatte bereits im zarten Alter von 49 Jahren Jesus Menschensohn publiziert, den Theologen aller Konfessionen eine längst überfällige Rechnung präsentiert, durchaus auch nicht unterlassen, Theologie und Politik zu verbinden. Insofern begegnet ausgerechnet Joseph Ratzinger dem Atheisten Michail Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das Amt des Papstes auf Zeit ist da nur schwacher Trost.

Zurückstehen mag der andere der Kontrahenten dahinter selbstverständlich nicht. Ein Haus am ehemaligen Dienstort Tübingen, ein anderes am Sempachersee im schönen Kanton Luzern wirft die Veröffentlichung von mehr als 80 Buchtiteln schon ab für einen zur Ehelosigkeit degradierten, bescheidenen Diener eines katholischen Gottes. Was bedeutet im Vergleich zu solchen Einnahmen schon das Gehalt eines Professors, der nur katholischer Priester ist? Was bedeutet vor allem der Streit unter Theologen, wer der bessere, der richtige Theologe, der echte Katholik ist? Nur fest daran glauben, die Fehde zweier anerkannter Theologen sei beste Werbung für deren Bücher, schon generiert sie Umsatz, Verdienst! Der Glaube versetzt immer noch Berge … von Geld.

Verdienst hingegen des vom Katholizismus bedienten Rudolf Augstein ist es, in sehr einprägsamer Manier längst vor öffentlichem Ausbruch des Theologenstreites in seinem Buch Jesus Menschensohn dargestellt zu haben, wie sich die Exegeten des verschrifteten, als Offenbarung apostrophierten Wortes stets selbst und einander belügen, jeder historischen Unklarheit die eine und die andere Klarheit abgewinnen, indem sie den schwankenden Boden ihrer Exegese einfach für fest erklären. Wird dies auf den Kanzeln und in den Werken der beiden Streithähne auch heftigst verschwiegen bis bestritten, ist der Boden ihrer Exegese alles, nur nicht fest. Zwei in ihrem Kirchenschiff, in einem Boot, das schwankt, das leckt. Und die Gläubigen verlassen das Schiff bereits in Scharen. Was Marie von Ebner Eschenbach vor mehr als einhundert Jahren für die Demokratie konstatierte, gilt heute, im Juli 2016, dem Jahr der Barmherzigkeit, mit der Möglichkeit, im Durchschreiten der Heiligen Pforte einen Ablaß zu gewinnen, heute, da Papst Franziskus via Internet mit unerwünschter Werbeinblendung, mit Spam seine Schäflein in Deutschland auffordern läßt, ihm bei der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche hierzulande behilflich zu sein, gilt auch für die edle Glaubensgemeinschaft: Zwei auf einem Pferd bei einer Keilerei. Erstaunlich, wenn ausgerechnet das von Klerikern als Wahrheit gepredigte Wort Gottes währenddessen und danach der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit bedarf, nicht wahr?!

Beileibe sind jene zwei Kirchenritter nicht auf dem Rosinante unterwegs, bedienen sie sich doch mehr der Gerätschaften, deren Pferdestärken nicht in Hufen, sondern in Verbrennungsmotoren stecken. Hindert sie das am Streit? Ihr Klepper, ihr Steckenpferd heißt Theologie. Ein seit Jahrtausenden von zig Religionen zuschanden gerittener Gaul. Eine Wissenschaft, die kein Wissen schafft, mit Wissen nichts zu schaffen hat. Um so geschäftiger machen sich die Kontrahenten an und in allen anderen Wissenschaften zu schaffen, nehmen sie in Dienst für ihren scharfen Ritt durchs Niemandsland, verpflichten sie zum Dienst an, zum Diener ihrer katholischen Theologie. Da bleibt kein Auge trocken.

Wohin es führt, wenn zwei sich intensiv mit Wissenschaften beschäftigen, in allen Sätteln gerecht sein wollen, läßt Gustav Flaubert seine beiden Protagonisten Bouvard und Pécuchet genüßlich durchleben. Jene zwei Pariser Büroangestellten mit dem gleichen Beruf gelangen durch göttliche Fügung und menschliche Verfügung über eine Erbschaft zu sorgenfreiem Leben, ziehen sich aufs Land zurück, frönen der Wissenschaft. Zuerst wenden sie sich Landwirtschaft, Garten- und Landschaftsbau und der Obstverwertung mittels Schnapsbrennerei zu. Nicht einmal zu einem gescheiten Rausch hat’ s gelangt, so berauscht waren sie von ihrem Wissen. Dann sollten es die Naturwissenschaften richten, auch Chemie, Anatomie, Medizin, Biologie und Geologie. An und in der Komplexität scheitern sie. Warum es dann nicht mit Archäologie, Geschichte, Architektur versuchen? Erfolglos! Also gut, dann schöngeistig zu Literatur, Drama, Grammatik, Ästhetik. Schon wieder zu nichts zu gebrauchen. Nun aber, als ob sie miteinander zu tun hätten, erst zur Politik, dann zur Liebe und weiter zur Gymnastik, die bei vorletzterer gelegentlich auch vorkommt, nicht aber die Philosophie, welche irgendwann irgendwie immer die Religion streift und in Pädagogik und gesellschaftliche Reformen übergeht.

Landbevölkerung und Nachbarn haben die beiden Klugscheißer recht bald dick. Eine Menge Wissen haben sie, doch keinerlei Erfolg bei ständig voranschreitender, zerrinnender Zeit, aber ihre dicke Freundschaft. Sie möchten zurück. Nicht an die Fleischtöpfe Ägyptens. Nur nach Paris in das kleine, spießige, miefige Büro, zurück hinters Schreibpult. So sind Bouvard und Pécuchet am Ende bei eifrigen Vorbereitungen für die Herstellung eines Doppelschreibtisches anzutreffen. Wissenschaftlicher Gesamtertrag zweier gelebter Leben. Wissenschaft hin oder her, was sich mit Theologie nicht richten läßt, ließ sich für Joseph Ratzinger wenigstens für eine Weile mit päpstlicher Unfehlbarkeit bedeckt halten, zumindest bis Vatileaks 1.0 über Seilschaften, Korruption, Intrigen unter den mächtigsten Kirchenmännern der Welt, die durchaus auch zu Überlegungen fähig sind, wie sich der mächtigste Kirchenmann beseitigen läßt, wenn und weil man ihn dick hat. So wird aus dem Eremit im Vatikan der Papst Emeritus.

Obwohl nur ein Jahr jünger als sein Papst Emeritus, hatte ihn der Vatikan schon viel eher dick, den Dogmatikprofessor Hans Küng, führte ihn noch vor seiner Zeit als Koadiutor und Peritus des Zweiten Vatikanischen Konzils seit 1957 auf der schwarzen Liste. So sind sie halt, die Schwarzen, auch wenn Gloria von Thurn und Taxis über die Schwarzen ganz etwas anderes denkt. Selbstverständlich verliert ein Dogmatikprofessor seine katholische kirchenrechtliche Lehrbefugnis, die Missio canonica, wenn er die Dogmen, die er lehren soll, in ihrer Gültigkeit hinterfragt, gar bestreitet. Im Dezember 1979 war es soweit. Und nach Vollzug der Entziehung der Lehrbefugnis übernahm 1981 Joseph Ratzinger für 23 lange Jahre das Amt des Großinquisitors. Hans Küng hingegen kämpft seit 1980 um die Rechtfertigung seiner Thesen und seine Rehabilitation, welche er sich qua Amt als Dogmatiker und Priester gleich selbst erteilt. Frei von römischen Zwängen, beschäftigt sich Hans Küng wie es euch gefällt mit was ihr wollt, wie es ihm gerade einfällt, selbstredend immer als katholischer Theologe, quasi 25 Stunden am Tage im Amt. Unverdrossen begibt sich Küng in die Problemfelder der Wissenschafts- und Paradigmentheorie, Frauenforschung und, wie er es nennt, Grenzgebiete von Theologie und Literatur, Religion und Musik und in die Welt der Religionen. Mühelos erklärt er uns bedeutende Schriftsteller und Komponisten neu aus der Sicht seiner katholischen Theologie. Mühelos gelangt er zu und in SEINE Welt des Islam, SEINE Welt des Judentums. Garantiert behält er immer und überall das letzte Wort. Reicht in Rom „der Papst hat gesprochen“ zur letzten Gültigkeit, lautet der Satz in Tübingen: Küng hat geschrieben. Weil das so ist, erscheint bei Herder eine 1,5 Meter lange Küng-Werkausgabe in 23 Bänden, der erste Band zum Preis von 70,00 Euro. Dreiundzwanzig Bände, für jedes Jahr Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation ein (1) Band Hans Küngs Theologie, Thomas von Aquin des 21. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist Küngs These Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden durchaus beachtenswert, wenn auch ohne Trinität oder zumindest Trias. Hätte er doch wenigstens nachgeschoben: Kein Weltfriede ohne Frieden unter den Geschlechtern, und dann noch: Kein Weltfriede ohne Sozialfrieden. Ohnehin traut er sich nicht an Gegenwart und reale Politik, auch wenn er sich im Lichte von Politikern gerne sonnt.

Gewiß, vieles von dem, was Ratzinger und Küng publizieren, ist richtig. Gewiß haben vieles davon andere längst gedacht, gesagt, geschrieben, veröffentlicht. Gewiß ist vieles falsch von dem, was Küng und Ratzinger veröffentlichen. Darüber gibt es nichts zu sagen. Gewiß ist alles, was sie über Gott sagen und schreiben, so unterschiedlich es sein mag, ungewiß. Wo Joseph Ratzinger mit absolutem Anspruch auf Schriftexegese als Benedikt XVI. unfehlbar scheitert, emeritiert, irrt Küng über seine Rehabilitation aus seinem Wirken nach dem Entzug der Missio canonica. Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden beinhaltet die Russellsche Antinomie, umfaßt Joseph Ratzinger und Hans Küng in sich. Dabei sind Ratzinger und Küng methodisch Brüder im Geiste, geraten doch ihre Darlegungen zur Existenz Gottes und zur Existenzberechtigung ihrer katholischen Kirche in den sogenannten infiniten Regreß, also in die Endlosschleife des Begründungsprozesses, der immer neue Begründung abruft, von dort gleich über die Behauptungen zu den Glaubensphänomen zum Zirkelschluß, oder sie brechen das Begründungsverfahren willkürlich am Punkt ihres Beliebens ab. Willkommen beim Dogma! So sind sie Gefangene dessen, was in allen Wissenschaften Bias heißt: Einseitige, aus der Perspektive der eigenen Religion und laut bekennend praktizierten Konfession befangene Grundhaltung und Sichtweise. In kognitiver Verzerrung gipfelt beider Theologie und endet im Spekulativen. Spekulatius für die Gläubigen. Spektakel für die Massen. Unbekömmlich der Vernunft. Woher also soll er kommen, der Religionsfriede, wenn nicht einmal die führenden katholischen Theologen ihn kennen wollen? Nun stehen sie da, zwei Siebengescheite am Abend ihres Lebens, wissen so viel, wie Bouvard und Pécuchet in aller Vergeblichkeit. Gelehrtes Christentum ist leeres Christentum. Was ihnen bleibt, den unbelehrbaren Kontrahenten? Ihre unverbrüchliche Feindschaft und eifrige Vorbereitungen für die Herstellung eines von beiden auf beiden Seiten zu nutzenden Doppelbeichtstuhls. Flaubert wäre zufrieden. Marie von Ebner Eschenbach und ihre Freiherrn zu Gemperlein wären zufrieden, Miguel de Cervantes wäre zufrieden, die Windmühlen auch, sogar Monsieur Jakob. Und ich erst! Wüßte Gott aber nur halb so viel von Theologie, wie Joseph Ratzinger oder Hans Küng, GOTT würde angesichts der Umwertung allen Göttlichens, der Umwertung des menschlichen Allzumenschlichen sofort zurücktreten! Natürlich würden Ratzinger und Küng seinen Rücktritt niemals annehmen.

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