Читать книгу Polly bekommt ein Pferd - Thea Oljelund - Страница 6
Stella – Thunderbird
ОглавлениеAls Polly von der Schule zurückkam, hörte sie seltsame Geräusche aus dem Nebengebäude. Sie schleuderte ihre Schulmappe auf den Boden, aß die frischgebackenen Dampfnudeln und trank eine Tasse Milch dazu.
„Was ist denn draußen im Kuhstall los?“ sagte sie gleichgültig. „Das ist ja ein toller Lärm!“
„Sven zimmert etwas.“ Aila wollte nicht verraten, was sie vorhatten, ehe es sicher war, ob sie wirklich ein Pferd kaufen konnten.
„Ach so“, sagte Polly und tauchte ihre Dampfnudeln in die Milch. „Was zimmert er denn?“
„Ein paar Nistkästen“, schwindelte ihre Mutter. „Jetzt kommt doch der Frühling bald, da wär’s schön, wenn wir auch ein paar Vogelfamilien auf unserem Hof hätten.“
„Nistkästen“, wiederholte Polly herablassend. „Gibt’s bei den Vögeln denn auch Wohnungsnot? Können sie nicht selbst ihre Nester bauen? Wer weiß, vielleicht müssen sie eines Tages auch noch umziehen…, in die Stadt.“
„Rede keinen Unsinn“, erwiderte ihre Mutter.
„Das tu ich doch dauernd“, sagte Polly bitter. „Ich wollte, Sven könnte mir auch so einen Kasten zimmern, in dem ich dann leben könnte. Aber in Stockholm natürlich.“
„Vielleicht tut er das“, antwortete Aila. Und ihr Ton war so seltsam, daß Polly aufsah. „Was hast du übrigens gegen Sven, weil du bei jeder Gelegenheit auf ihm herumhackst?“
„Ich hab nichts gegen ihn“, erwiderte Polly. „Nur wenn du meinst, daß ich ihn als Vater ansehen soll, werde ich böse. Er ist Sven, nicht mehr und nicht weniger; jemand, mit dem du zusammenleben wolltest. Aber nicht ich.“
„Aber wenn er jetzt zufällig dein richtiger Vater wäre? Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen, wie du weißt. Wie wäre es dann?“
„Keine Ahnung. Sven ist jedenfalls nicht mein Vater.“
„Nein. Dein Vater ist tot. Ich finde jedenfalls, daß er nicht so nett war wie Sven. Dein Vater konnte sehr wütend werden. Glaub mir, er war ein guter Mensch, aber er ging wegen jeder Kleinigkeit in die Luft. Herr im Himmel, war er leicht zu reizen! Es war schwierig, mit ihm zu leben. Ich weiß nicht, ob ihr beide nicht häufig aneinandergeraten wärt. Du und Sven, ihr beide streitet wenigstens nicht.“
„Vielleicht ist es das gerade“, meinte Polly. „Ich möchte manchmal streiten.“
„Das hat dein Vater auch oft gesagt. Aber ich will keinen Streit. Ich finde Streitereien dumm und kindisch.“
„Na gut, dann bin ich eben kindisch“, sagte Polly. „Was gibt’s zum Abendessen?“
„Wirsinggemüse und Fleisch.“
Pollys Miene heiterte sich auf. „Wenigstens etwas, worauf ich mich freuen kann“, sagte sie. „Du bist schon in Ordnung, Mama. Wenn du nicht wärst, wäre ich bestimmt schon längst weggelaufen.“
Aila sah ihre Tochter bekümmert an. „Warum denn nur? Gefällt es dir denn so wenig hier? Wie ist’s in der Schule?“
„Ach, ich hab ja keine Freunde. Die Mädchen sind unmöglich… Sie interessieren sich für gar nichts.“
„Und wofür interessierst du dich?“
„Hier kann man ja keine Interessen haben. Was soll man hier draußen schon tun?“
„Aha. Und was willst du heute nachmittag machen?“
„Ich gehe in mein Zimmer und lese. Schularbeiten muß ich auch erledigen. Dann gibt’s Essen. Und Fernsehen…“
„Könntest du nicht mal ein Mädchen aus deiner Klasse mit nach Hause bringen?“
„ Wen denn? Die meisten wohnen in Lindesberg und wollen nicht hierher. Und Kerstin, die in der Nähe wohnt, ist vollauf beschäftigt.“
„Womit denn?“
„Sie hat ein Reitpferd. Von morgens bis abends redet sie in der Schule bloß von ihrem Pferd! Es ist früher ein Trabrennpferd gewesen. Und ihrer Meinung nach ist es das klügste und beste Pferd der Welt. Aber das ist natürlich Quatsch!“
Ein seltsamer Unterton schwang in Pollys Stimme.
Ihre Mutter betrachtete sie nachdenklich. „Pferde sind teuer“, sagte sie langsam.
„Das weiß ich“, erwiderte Polly gereizt. „Und jetzt geh ich in mein Zimmer. Tschüs.“
Erst abends, als Polly ins Bett gegangen war, konnte Aila mit Sven reden. Den ganzen Tag hatte er im alten Stall gesägt und gehämmert, genagelt und gelärmt.
„Wie kommst du mit der Arbeit voran?“ fragte sie.
„Gut. Ich hab die alten Zwischenwände herausgebrochen und eine Box gezimmert. Morgen gehe ich zum Glaser und lasse die Fenster reparieren. Wenn man dann noch die Wände weiß kalkt, sieht die Sache schon viel besser aus. Natürlich müssen die elektrischen Leitungen von einem Fachmann überprüft werden. Aber das Holz ist in viel besserem Zustand, als ich geglaubt habe. Sogar die Wasserleitung ist noch in Ordnung.“
„Aber haben wir denn genug Geld, um ein Pferd zu kaufen?“
„Ja, wenn’s nicht zu teuer ist“, meinte Sven. „Ich werde mich mal umhören, wenn ich wieder eine Fahrt zur Trabrennbahn in Fornaboda habe. Dort gibt’s viele Pferde. Vielleicht haben wir Glück.“
Polly interessierte sich nicht weiter dafür, was Sven da im Kuhstall machte. Sie ging nicht zu ihm. Als sie die neu verglasten Fenster an der Stallmauer lehnen sah, wunderte sie sich aber doch ein bißchen.
„Machst du Nistkästen mit Fenstern?“ fragte sie verdutzt.
Sven lächelte. „Ja, das ist die neueste Mode. Vögel wollen schließlich auch nicht im Dunkeln sitzen.“
Polly mußte lachen. „Wie wär’s, dann noch mit einem Fernseher?“
„Ja, vielleicht. Das ist die Idee!“ sagte Sven vergnügt. „Die Vogeljungen hätten bestimmt Spaß daran.“
„Du spinnst ja“, sagte Polly.
Der alte Stall war wie verwandelt. Sven war oft in Fornaboda gewesen und hatte gesehen, wie die Trabrennpferde dort untergebracht waren. So hatte er eine geräumige Box gezimmert, dazu eine neue Futterkrippe gebaut und ein großes Fenster in die Mauer gebrochen, das viel Licht hereinließ. Vor die Glasscheibe hatte er ein Drahtgeflecht gesetzt, damit sich das Pferd nicht verletzen konnte, falls die Fensterscheibe einmal zerbrach. Die Wände hatte er zuerst mit Lauge abgewaschen und dann weiß gestrichen.
Der große Raum sah richig sauber und freundlich aus. Eine Ecke des Stalles hatte Sven zur Sattelkammer umgebaut, in der genug Platz war, um alle Geräte aufzubewahren. Er hatte sogar eine Treppe zum Heuboden hinauf gezimmert und das schadhafte Dach repariert.
Polly hatte noch keinen Fuß in den Stall gesetzt. Sie wollte zeigen, daß es ihr gleichgültig war, womit Sven seine Freizeit verbrachte. Helfen wollte sie ihm auch nicht. Doch in diesem besonderen Fall waren Aila und Sven froh über ihre Gleichgültigkeit. Um so größer würde die Überraschung werden, hofften sie.
Als Sven wieder einmal eine Fahrt nach Fornaboda hatte, hörte er sich um, welche Pferde zu verkaufen waren. Einer der Trainer, ein Mann namens Andersson, hatte eine Stute, mit der er nicht zufrieden war. Er sagte, er hätte sich seit einiger Zeit schon überlegt, ob er sie nicht verkaufen sollte.
„Anfangs war sie große Klasse, folgsam und lammfromm. Doch im letzten Herbst, nachdem sie ein paar Wochen auf der Weide war, wurde sie plötzlich schwierig. Und im Februar kam ich beim Training einfach nicht mehr mit ihr zurecht. Sie war wie ausgewechselt. Ein bißchen Zeit wollte ich ihr noch lassen, aber wenn Sie sie haben wollen, können Sie sie kriegen. Ich hab schon eine andere Stute im Auge, die ich kaufen möchte, und wir haben sowieso nicht genug Boxen hier im Stall.“
Sven hatte bisher nur mit Arbeitspferden und Reitpferden zu tun gehabt; von Trabrennpferden verstand er nichts. Doch er war ein guter Reiter. Die Stute gefiel ihm. Sie war ein Fuchs mit weißen Fesseln und einem weißen Stern auf der Stirn. Er fand, daß sie sanft und freundlich aussah.
„Ja, sanft und freundlich ist sie – im Übermaß“, sagte der Trainer, dem die Stute gehörte. „Aber sie ist auch eigensinnig und verausgabt sich nicht. Für einen Fünfjährigen ist das kein gutes Zeichen. In unserem Beruf brauchen wir Tiere, die in Feuer geraten, wenn’s darum geht, sich mit anderen Pferden zu messen – beim Training und beim Wettkampf. Thunderbird hat einfach kein Feuer mehr. Es kann natürlich wiederkommen, vielleicht ist das nur ein vorübergehender Zustand. Im Herbst hatte sie einen leichten Hufschaden und durfte einen Monat lang auf der Weide bleiben. Vielleicht gefällt es ihr nicht, daß sie wieder im Stall eingesperrt ist. Man weiß ja nicht, was in so einem Tier vorgeht…“
Manche Leute wissen es, dachte Sven bei sich.
„Aber als Reitpferd könnte sie doch vielleicht besser sein?“ fragte Sven. „Ist sie zugeritten?“
„O ja. Als Reitpferd ist sie sicher gut.“
„Wieviel wollen Sie denn für Ihre Stute haben?“
„Ich habe fünftausend Kronen für sie bezahlt. Dreitausend sind mir vor kurzem schon angeboten worden…“
„Aber ich kann nicht mehr als zweitausend bezahlen“, sagte Sven.
„Wenn Sie mir zweitausend auf die Hand bezahlen, können Sie sie mitnehmen“, sagte Andersson nach kurzem Überlegen. „Ich kann Ihnen auch einen Pferdetransportwagen leihen, wenn Sie wollen. Natürlich ist es ein Verlustgeschäft für mich. Andererseits brauche ich Platz im Stall und könnte dann das andere Pferd kaufen, das mir angeboten worden ist. Es wird gerade billig abgegeben, aber meiner Meinung nach könnte man einen großartigen Traber aus ihm machen. Wenn Sie also zweitausend Kronen hier auf den Tisch des Hauses legen…“
Sven zögerte nicht lange. Er zog seine Brieftasche heraus und zählte die Hundertkronenscheine ab.
Andersson nahm das Geld zufrieden entgegen. „Gut“, sagte er. „Dann brauchen wir nur noch den Pferdeanhänger an Ihren Wagen anzukoppeln. Haben Sie einen weiten Weg?“
„Ach, nur etwa fünf Kilometer“, erwiderte Sven. „Ich bringe Ihnen den Anhänger dann gleich wieder zurück. Aber ich brauche ja auch Heu und Hafer und all das…“
„Das bekommen Sie beim Landhandel. Ich kann Ihnen auch die Adresse eines hiesigen Bauern geben, der noch Landwirtschaft betreibt, obwohl er selbst keine Tiere mehr hat. Dort bekommen Sie alles billiger. Wollen Sie das Pferd für sich selbst?“
Sven schüttelte den Kopf. „Unsere Tochter soll es bekommen. Auf dem Land gefällt es ihr nicht, wissen Sie; sie sehnt sich nach der Stadt zurück. Und meine Frau und ich dachten, wenn sie etwas hätte, womit sie sich beschäftigen kann… Sie liebt Tiere sehr. Vielleicht vermißt sie ihre Freunde in der Stadt dann nicht mehr so, wenn sie für ein Tier sorgen muß!“
„Aha“, erwiderte der Trainer und nickte. „Ich verstehe. Haben Sie schon einen Sattel?“
„Nein. Ich wußte ja nicht, daß es mit dem Pferdekauf so schnell gehen würde.“
An den Sattel hatte Sven noch nicht gedacht. Kardätsche und Decke und einiges andere, das war ihm eingefallen, aber der Sattel nicht. Er rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Kein Problem“, sagte Herr Andersson. „Ich wollte Ihnen sowieso eine gebrauchte Trense mit dazugeben; da schenke ich Ihnen eben auch noch einen alten Sattel. Es ist eigentlich ein Rennsattel, der schon lange bei uns im Stall herumliegt. Für den Anfang geht er schon, und er paßt so gut wie allen Pferden. Später müssen Sie aber zusehen, daß Ihre Tochter einen besseren Sattel bekommt.“
Svens Miene hellte sich auf; er nickte. Fürs erste war dieses Problem gelöst. Später würde sich schon eine Möglichkeit ergeben, Polly einen neuen Sattel zu kaufen.
„Lassen Sie doch mal von sich hören“, sagte der Trainer zum Abschied. „Ich wüßte gern, wie Ihre Tochter mit der Stute zurechtkommt. Thunderbird ist gutmütig und ausgeglichen; wenn die beiden Freunde werden, läuft bestimmt alles prima. Falls es nicht klappt, liegt das an Ihrem Mädchen, nicht an dem Pferd. Das muß ich gleich vorausschicken.“
Alles war so schnell gegangen, daß Sven richtig überwältigt war. Er fuhr gleich noch beim Landhandel vorbei, und dort versprach man ihm, sofort Heu und Hafer nach Sunnansjö zu liefern. So hieß der Hof, auf dem Sven, Aila und Polly wohnten.
Aila war außer sich vor Freude, als Sven mit der Stute nach Hause kam.
„Herrje, wird Polly überrascht sein!“ rief sie. „Heute kommt sie mit dem Halbfünfuhr-Bus zurück. Da kannst du vorher noch den Anhänger zurückbringen.“
Die Stute schnaubte und sah sich ängstlich um. Sven führte sie in den Stall und in die Box, die er schon vor einigen Tagen mit Torfstreu ausgelegt hatte. Aila rannte ins Haus und holte Karotten.
„Einen kleinen Begrüßungsimbiß muß sie kriegen“, rief sie. „Hoffentlich kommt die Lieferung mit dem Heu und dem Hafer bald. Und jetzt mußt du mir alles erzählen… Wie heißt das Pferd überhaupt?“
„Ich habe eine Menge Papierkram von ihrem früheren Besitzer bekommen“, sagte Sven und wühlte in seiner Aktentasche. „Hier ist die Stammtafel. Da steht es, Thunderbird. Das bedeutet soviel wie Donnervogel. Aber Polly kann die Stute natürlich anders nennen, wenn sie will. Glaubst du, daß sie sich freuen wird?“
In diesem Augenblick kam ein Lastwagen auf den Hofplatz gefahren. Aila und Sven schlossen die Boxtür und verließen den Stall. Ein Mann im blauen Arbeitsmantel sprang aus dem Führerhaus des Lastautos. Er sah abgehetzt aus.
„Wohin wollen Sie es haben?“ fragte er. „Die Heuballen und die Hafersäcke, meine ich?“
Sven half beim Abladen, und bald hatten sie das Heu auf die Tenne über dem Stall gebracht. Die Hafersäcke leerten sie in eine riesige Kiste, die Sven selbst zusammengezimmert und in den Geräteschuppen gestellt hatte.
„Gut, dann unterschreiben Sie bitte hier. Die Rechnung bekommen Sie dann zugeschickt“, sagte der Mann im blauen Mantel und sprang wieder ins Auto. Er hatte es eilig.
Auch Sven fuhr gleich darauf wieder los, um den Anhänger nach Fornaboda zurückzubringen.
Aila fütterte die Stute. Sie hatte seit ihrer Kindheit kein Pferd mehr gefüttert, und das duftende Heu erinnerte sie an glückliche Ferientage in ihrer finnischen Heimat. Vorsichtig strich sie über den weichen Hals der Stute, kraulte sie mit den Fingern in der kupferroten Mähne und redete leise zu ihr.
„Du sollst Pollys beste Freundin werden“, sagte sie. „Denk daran! Sei nett zu Polly, damit sie sich endlich hier wohl fühlen kann…“
Die Stute hatte schöne, sanfte Augen, fand Aila, fast wie ein Reh. Sie schmiegte ihr Maul vertrauensvoll in Ailas Handfläche und schnaubte leise.
„So, jetzt lasse ich dich aber allein“, sagte Aila nach einer Weile. „Damit du dich an deine neue Box gewöhnst und dein Futter in aller Ruhe fressen kannst, ehe Polly kommt!“