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Ein Freund für Polly

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Als Polly an diesem Tag nach Hause kam, war sie besonders schlecht gelaunt. Kerstin hatte sich im Schulbus neben sie gesetzt und von ihrem Pferd erzählt. Amorina hieß es. Und Polly fand, daß alles, was Kerstin sagte, überheblich und angeberisch klang. Mußte sie andere Leute unbedingt mit ihren Pferdegeschichten langweilen?

Schließlich hatte sie Kerstin kurz abgefertigt. „Wie schön für dich“, sagte sie. „Aber du begreifst wohl einfach nicht, daß es Leute gibt, die sich nicht für Pferde interessieren? Kannst du denn von gar nichts anderem reden als von deinem Pferd?“

„Du bist ja bloß neidisch“, hielt ihr Kerstin verletzt vor. „Nur weil du kein eigenes Pferd hast!“

„Ich will auch keins haben“, erwiderte Polly. „Ich mag nicht reiten, verstehst du?“

„Hast du denn schon mal im Sattel gesessen?“ fragte Kerstin. „Nein, bestimmt nicht. Sonst würdest du so etwas nicht sagen. Du könntest ja mal versuchen, auf meinem Pferd zu reiten, wenn du magst. Das wäre vielleicht gut für dich…“

„Ich werde bestimmt nicht reiten lernen, am allerwenigsten auf deinem Pferd!“ versicherte Polly entschlossen. „Auf einem Pferd sitzen und hin und her hopsen, was soll daran schon Besonderes sein?“

„Eigentlich ist’s schade um dich“, murmelte Kerstin. „Du bist wirklich zu dumm!“

Polly erwiderte nichts, aber in ihr brodelte es. Und sie war noch immer zornig, als sie nach Hause kam und ihre Schulmappe auf einen Stuhl warf.

Sven und Aila saßen in der Küche.

„Na, wie war’s heute in der Schule?“ fragte ihre Mutter.

„Wie immer“, sagte Polly mürrisch. „Sterbenslangweilig, mit anderen Worten.“

„Könntest du mir mal einen Gefallen tun und den Eimer hier in den Stall tragen?“ fragte Aila.

„Kann ich nicht vorher etwas essen? Ich bin total ausgehungert.“

„Klar“, erwiderte die Mutter und stellte ein paar belegte Brote und ein Glas Milch vor sie hin. „Iß nur.“

„Hör mal, Polly“, sagte Sven plötzlich, „ist in deiner Klasse jemand, der ein Pferd hat?“

Polly sah schnell auf. Die beiden konnten doch unmöglich wissen, daß sie mit Kerstin Streit gehabt hatte!

„Ja, die Kerstin“, murmelte sie. „Sie ist unmöglich, redet dauernd von ihrem Pferd. Man kriegt schon vom Zuhören zuviel. So ein dummes Geschwätz!“

„Aha“, erwiderte Sven nachdenklich und warf seiner Frau über den Tisch hinweg einen Blick zu. „Magst du vielleicht keine Pferde?“

„Du hast’s erraten“, sagte Polly. „Ich mag keine Pferde. Sie gehören zum Landleben, und alles, was mit dem Landleben zu tun hat, finde ich scheußlich.“

„Aha“, sagte Sven wieder. „Na ja, wenn du mit dem Essen fertig bist, kannst du vielleicht mal mit dem Eimer hier in den Stall gehen.“

Polly warf einen Blick in den Eimer.

„Was ist denn das für ein Zeug?“ fragte sie. Sie faßte hinein und ließ den Hafer durch die Finger rieseln. „Wofür braucht ihr denn das?“

„Das ist Hafer.“ Die Mutter lächelte. „Du kannst den Eimer in die Box stellen.“

„Welche Box?“

„Ach, Sven hat den Stall ein bißchen umgebaut. Du wirst es schon sehen“, sagte Aila. „Aber zieh deine Jacke an, wenn du hinausgehst, es ist kalt heute.“

Polly nahm den Eimer und verließ die Küche. Irgendwie benahmen sich ihre Mutter und Sven seltsam, fand sie. Sie war etwas verwirrt. Die beiden hatten sie so merkwürdig angesehen. Und warum um alles in der Welt sollte sie mit einem Eimer voller Hafer in den Stall gehen?

Sie öffnete die Stalltür und blieb verdutzt stehen. In dem alten Gebäude war es plötzlich so hell und sauber; alles war verändert. Und dort war eine große Box. Polly starrte hinüber. Dann sah sie über die Halbtür hinweg in zwei sanfte Pferdeaugen, hörte ein leises Schnauben, als die Stute den Eimer in ihrer Hand entdeckte.

Ein Pferd! Ein Pferd!

Woher kam es denn plötzlich? Wem gehörte es? Warum hatten ihr Mama und Sven nichts davon gesagt?

Ein ungeduldiges Wiehern riß sie aus ihrer Erstarrung.

„Stell den Eimer in die Box“, hatte Mama gesagt. Klar, Pferde fressen ja Hafer!

Polly öffnete die Boxtür und stellte den Eimer ab. Sofort fuhr das Pferd mit der Nase in den Eimer und begann zu fressen. Polly strich ihm mit der Hand leicht über den Hals. Das Fell fühlte sich warm an und weich wie Samt.

Mit großen Augen sah Polly sich um. Der Stall war kaum wiederzuerkennen. Hatte Sven in Wirklichkeit den Stall umgebaut, als er behauptete, er würde Nistkästen zimmern?

Sie merkte gar nicht, daß ihre Mutter und Sven in der Stalltür standen.

„Na, Polly, was sagst du? Magst du noch immer keine Pferde?“

Polly fuhr herum. Ihre blauen Augen waren weit geöffnet. Sie war völlig verwirrt.

„Ob ich was mag? Oh, hier ist’s wirklich wunderschön. Aber wem gehört das Pferd?“

„Dir“, sagte ihre Mutter. „Das ist dein Pferd.“

„Meins?“ Polly sah sie ungläubig an. „Meines?“

„Ja, willst du es denn nicht haben?“

„Aber… ich kann doch nicht reiten, ich kenne mich ja nicht aus mit Pferden!“ sagte Polly. Sie war zu überwältigt, um richtig begreifen zu können, was geschah.

Die Stute hatte ihren Hafer gefressen und drängte sich an Polly. Unwillkürlich legte Polly den Arm um ihren Hals.

„Mein Pferd“, wiederholte sie und glaubte zu träumen. „Aber… warum habe ich es denn bekommen?“

„Na ja, jetzt, wo wir auf dem Land wohnen und ein Pferd halten können, dachten wir, du würdest dich freuen, wenn du eines bekommst, das dir gehört“, erklärte die Mutter. „Sven hat den Stall umgebaut, wie du siehst, und jetzt ist alles da, was man für ein Pferd braucht – vom Futter bis zum Putzzeug. Sven kann dir die Grundbegriffe des Reitens beibringen und dir zeigen, wie man ein Pferd striegelt. Einen Sattel hast du auch schon. Er hängt in der Sattelkammer.“

„Bloß eins konnte ich noch nicht tun“, fügte Sven hinzu. „Ich muß die Wiese neben dem Stall einzäunen, damit die Stute draußen frei herumlaufen kann. Holz für den Zaun ist genug da, aber wir müssen erst mal die Pfosten in den Boden rammen und dann die Querlatten annageln. Hilfst du mir dabei, Polly?“

„Wenn du das Pferd nicht haben willst, machen wir den Kauf rückgängig“, sagte Aila und warf ihrer Tochter einen Blick zu.

Polly stand noch immer wie betäubt in der Box.

„Du hast ja gesagt, daß du keine Pferde magst… Oder wie ist das nun?“

Die Stute hob den Kopf und rieb ihre Nüstern an Pollys Arm. „Nein, nein“, sagte Polly bestürzt. „Ich meine… natürlich will ich das Pferd, das weißt du doch! Aber ich bin ganz durchgedreht, heiliger Strohsack…“

Und dann rannte sie los und umarmte ihre Mutter heftig. Nach einer Weile, als sie ein bißchen ruhiger wurde, sah sie, daß auch ihre Mutter Tränen in den Augen hatte.

„Dann freust du dich also“, sagte sie.

„Ja, wahnsinnig!“ erwiderte Polly und schluchzte.

„Es war Svens Einfall“, erklärte die Mutter. „Und er hat die ganze Arbeit gemacht. Er hofft nämlich, daß du dich hier wohler fühlen wirst, wenn du einen vierbeinigen Freund hast.“

Polly brachte es zwar nicht über sich, auch Sven zu umarmen, aber sie sah ihn mit leuchtenden Augen an.

„Vielen Dank“, sagte sie. „Du bist große Klasse. Klar helfe ich dir mit dem Zaun. Sollen wir jetzt gleich anfangen?“

Sven lächelte. „Gern. Die Löcher für die Zaunpfähle habe ich schon gegraben. Wir könnten sofort die Pfähle hinaustragen.“

Sie arbeiteten mehrere Stunden lang. Gegen acht Uhr rief Aila zum Abendessen; doch danach wollte Polly wieder hinaus.

„Wir haben nur noch eine Schmalseite und das Gatter“, sagte sie. „Das schaffen wir doch heute abend noch?“

„Sicher. Du warst wirklich tüchtig“, lobte Sven sie. „Ich finde, du stellst dich so geschickt an, als hättest du schon öfter geholfen, einen Zaun aufzustellen. Und Nägel schlägst du ebenso gut ein wie ich.“

Um zehn war der Zaun fertig. Er leuchtete richtig im Mondschein. Polly war froh wie schon seit langem nicht mehr. Doch sie war auch müde. Ihre Arme schmerzten von der ungewohnten Arbeit.

„Geh jetzt ins Bett“, sagte Sven. „Morgen früh füttere ich dein Pferd und striegle es. Aber danach mußt du dich selbst um die Stute kümmern. Ich zeige dir, wie man’s macht. Und bald solltest du auch reiten lernen…“

Polly schlief ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührte. Als sie aufwachte, war es mit dem neuen und ungewohnten Gefühl, daß etwas unglaublich Schönes sie erwartete. Es war fast wie in ihrer Kindheit vor dem Weihnachtsabend. Die Sonne schien ins Zimmer, als sie die Rolläden hochzog. Polly blieb eine Weile am Fenster stehen und sah auf die Weide nieder, die sie am vergangenen Abend eingezäunt hatten.

In diesem Augenblick führte Sven die Stute aus dem Stall und ließ sie auf der Wiese frei. Das frisch gestriegelte Fell der Stute glänzte, sie galoppierte voller Freude über das Gras. Ihre Mähne flatterte, die Stirnlocke bewegte sich im Takt der Galoppsprünge.

Der Anblick war so schön, daß Polly überwältigt war. Vielleicht würde sie selbst schon bald auf dem Rücken der Stute im Sattel sitzen und wie der Wind über die Felder reiten…

Nie zuvor hatten sich die Schulstunden für Polly so endlos hingezogen wie an diesem Tag. Sie hatte es eilig heimzukommen und kümmerte sich gar nicht darum, daß Kerstin sich im Bus betont auf einen anderen Platz setzte.

„Dort mag ich nicht mehr sitzen“, sagte Kerstin laut. „Nicht bei dieser eingebildeten Pute aus Stockholm. Mit der kann man ja nicht reden!“

Und da Kerstin bei den anderen beliebt war – sie ließ manchmal die eine oder andere Schulfreundin auf ihrem Pferd reiten –, mußte Polly allein sitzen. Doch es machte ihr nichts aus, so sehr freute sie sich aufs Nachhausekommen.

Sven war von einer längeren Fahrt noch nicht zurückgekehrt, und Aila hatte es nicht geschafft, die Stute auf der Weide einzufangen. Sie kam Polly über den Hofplatz entgegen.

„Deine Stute war den ganzen Tag draußen. Ich konnte ihr nicht mal das Halfter anlegen. Sie wirft bloß den Kopf zurück und galoppiert davon. Meinst du, daß du mit ihr zurechtkommst?“

Polly nahm das Halfter und ging auf die Koppel. Die Stute kam auf sie zugetrabt, und Polly spürte, daß sie überhaupt keine Angst hatte.

„Komm, Stella“, lockte sie. „Komm zu mir!“

„Stella?“ wiederholte ihre Mutter verwundert. „Soll dein Pferd so heißen?“

„Das ist mir so herausgerutscht“, sagte Polly. „Ich weiß selbst nicht, warum. Vielleicht, weil ich mir so oft eine Schwester gewünscht habe, die Stella heißt.“

Die Stute war bei Polly stehengeblieben und fing an, ihre Jackentaschen zu beschnuppern.

„Sie will wohl Zucker“, meinte Aila. „Aber das ist nicht das richtige für sie. Warte, ich hole eine Karotte aus der Küche.“

Polly versuchte der Stute das Halfter anzulegen, doch die schüttelte so heftig den Kopf, daß das Halfter zu Boden fiel.

„Sei doch vernünftig“, bat Polly. „Ich will dir nur das Halfter anlegen… Wir müssen in den Stall zurück, in deine Box, verstehst du das denn nicht?“

Doch Stella wollte sie nicht verstehen. Sie galoppierte wieder freudig über die Wiese und wieherte. Als Aila mit der Karotte kam und die Stute lockte, überlegte sie es sich jedoch anders; eifrig kam sie angetrabt und begann Ailas Hand zu beschnuppern.

„So, jetzt kannst du ihr das Halfter anlegen“, meinte Aila. „Mach schnell!“

Und Polly schaffte es ohne jede Schwierigkeit.

„Du mußt ihr Wasser, Heu und Hafer geben“, fuhr die Mutter fort. „Für mich ist es jetzt Zeit, das Abendessen zu kochen. Kommst du allein mit ihr zurecht?“

„Klar!“ sagte Polly.

Und dann erklärte Aila ihr noch, wieviel Wasser und welche Ration Heu und Hafer die Stute bekommen sollte.

Als Polly einige Armvoll Heu von der Tenne geholt, die Krippe zur Hälfte mit Hafer gefüllt und Stella getränkt hatte, fiel es ihr schwer, ihr Pferd zu verlassen. So holte sie sich einen Eimer aus der Sattelkammer, drehte ihn um und setzte sich in die Box, um noch etwas mit Stella zu reden.

Die Stute sah sie mit ihren sanften Augen an; sie fraß zufrieden ihren Hafer und schien nichts gegen ein bißchen Gesellschaft zu haben. Sie war voller Vertrauen. Als Stella alles aufgefressen hatte, hob sie den Kopf, sah aus dem Fenster und wieherte leise, als wollte sie sagen: Sieh doch mal, Polly, wie wunderbar es da draußen ist! Wollen wir nicht noch mal ein bißchen hinausgehen, du und ich?

Polly stand auf, sie legte die Arme um Stellas Hals und schmiegte ihre Wange an das warme, weiche Fell.

„Wir werden sicher Freunde“, sagte sie. „Du sollst es gut bei mir haben…, mein Pferd, meine kleine Stella!“

Am nächsten Tag war Samstag, und Polly hatte schulfrei.

„Willst du heute nicht versuchen, ein bißchen zu reiten?“ fragte Sven, nachdem er ihr gezeigt hatte, wie man ein Pferd mit langen, gleichmäßigen Strichen striegelt und die Kardätsche reinigt. „Sollen wir Stella satteln? Am besten, du lernst erst mal, auf einem Pferd zu sitzen, das sich langsam im Schrittempo bewegt.“

Er legte der Stute den Sattel auf, und sie ließ es sich so ruhig gefallen, als hätte er sie vor ein Sulky gespannt, den leichten, zweirädrigen Wagen für Trabrennen. Draußen auf dem Hofplatz hob Sven Polly hoch, nachdem sie vorher Stella ein paar Runden am Zügel geführt hatten.

Erst als Polly aufrecht im Sattel saß, entdeckten sie und Sven, daß es zum Sattel keine Steigbügel gab.

„Hm. Dann mußt du eben vorerst mal ohne Steigbügel zurechtkommen“, sagte Sven und reichte ihr die Zügel. „Sieh mal, so hält man die Zügel; der kleine Finger bleibt außerhalb. Nicht so krampfhaft festklammern, Polly!“

O Gott, das war ja schwindelerregend hoch, auf einem Pferd zu sitzen! Und es war ein seltsames Gefühl, etwas Lebendiges unter sich zu haben, das sich bewegte.

„Das lerne ich nie!“ sagte Polly unglücklich. „Ich falle bestimmt gleich runter.“

„Mach mal einen Knoten in die Zügel“, schlug Sven vor. „Dann verheddert Stella sich nicht darin, wenn du sie losläßt. Sonst kann’s passieren, daß sie die Zügel zwischen die Vorderbeine bekommt und sie zerreißt.“

Polly folgte seinem Rat. Dann hielt sie sich mit der einen Hand am Sattel fest; in der anderen hatte sie die Zügel. Sven schnalzte leicht mit der Zunge, und Stella begann langsam zur Koppel zu gehen.

„Sie will auf die Weide“, rief Sven. „Wart mal, ich mach das Gatter auf.“

Polly schüttelte den Kopf. „Muß das sein? Ich möchte viel lieber in den Wald reiten!“

„Zuerst mußt du schon mal reiten lernen, ehe du Ausflüge machen kannst“, meinte Sven. „Am besten lassen wir sie erst einfach so im Schritt gehen, damit ihr euch aneinander gewöhnt. Keine Angst, ich gehe nebenher. Die Hauptsache ist, daß du das richtige Gefühl für den Rhythmus bekommst und diese komische Kirchturmangst verlierst.“

Ja, Polly fühlte sich wie auf einer Kirchturmspitze. Es war seltsam und unheimlich, die Welt vom Pferderücken aus zu betrachten. Auf Svens Anweisung drückte sie ihre Fersen leicht in die Flanken der Stute, und Stella ging tatsächlich ganz folgsam durch das offene Gatter. Sven folgte ihnen.

In gleichmäßigem, gemächlichem Takt ging Stella über die Wiese. Langsam gewöhnte sich Polly daran, auf dem Pferderücken zu sitzen. Sie wurde mutiger und klammerte sich nicht mehr am Sattel fest. Sven fand, daß das Reiten für den ersten Versuch eigentlich ganz gut klappte.

„Das geht ja prima!“ sagte er. „Siehst du, es ist gar nicht so schwer, wie du geglaubt hast.“

Nach einer Weile wurde Sven ans Telefon gerufen. Da er das Gatter nicht hinter sich schloß, fand Stella offenbar, es wäre an der Zeit, die langweiligen Runden über die kleine Wiese zu beenden und sich ein bißchen die Gegend anzusehen. Polly hatte durchaus nichts dagegen einzuwenden. Ihrer Meinung nach konnte es nichts schaden, im Schrittempo über den Pfad zwischen den Wiesen bis zum Waldrand zu reiten. Stella war ja sanft, und sie hatte sich bisher gut im Sattel gehalten. Was sollte also schon passieren?

So verließen Pferd und Reiterin in schönstem Einvernehmen die Koppel und ritten den Pfad entlang, der zum Wald führte. Als sie die ersten Fichten erreichten, wandte sich Polly um und sah zum Hof zurück, doch Sven war nicht zu sehen. Es war wohl ein längeres Telefongespräch; so brauchten sie auch noch nicht umzukehren.

Noch während Polly sich umschaute, raschelte es im Unterholz. Ein Birkhuhn flog auf und flatterte direkt an Stellas Nase vorbei. Die Stute fuhr zurück, sie wieherte erschrocken und machte eine plötzliche Kehrtwendung. Dann galoppierte sie los. Polly verlor das Gleichgewicht, und ehe sie wußte, wie ihr geschah, lag sie schon auf dem Boden. Völlig verwirrt blieb sie liegen und sah ihr Pferd zwischen den Bäumen verschwinden.

„Stella, Stella!“ schrie sie. „Komm zurück…, komm wieder zurück zu mir!“ Doch es nützte nichts. Die Stute war schon nicht mehr zu sehen.

Polly raffte sich wieder auf; sie klopfte hastig ihre Jeans ab und begann ihrem Pferd nachzulaufen. Doch bald war sie außer Atem und mußte stehenbleiben, um Luft zu schöpfen. Während sie noch so gegen einen Baumstamm gelehnt stand, hörte sie plötzlich Hufgeklapper hinter sich.

Das ist Stella! dachte sie und drehte sich erwartungsvoll um. Doch es war Kerstin auf ihrem Pferd Amorina, die da zwischen den Bäumen auftauchte.

„Was, du bist hier im Wald?“ fragte Kerstin verblüfft. „Was machst du denn hier? Du siehst ja völlig geschafft aus… Bist du gerannt?“

„Ist das vielleicht verboten?“ zischte Polly und überlegte, ob Kerstin ihrer Stute begegnet sein konnte. Doch das war kaum anzunehmen, da sie ja aus einer anderen Richtung kam.

Kerstin hatte Reithosen an und trug eine Reitkappe. Sie zügelte Amorina mit geübter Hand, und Polly begriff, daß sie wohl noch eine ganze Menge von ihr lernen könnte. Verstohlen warf sie einen Blick auf Kerstins Hände, um zu sehen, wie diese die Zügel hielt. Ja, sie machte es genauso, wie Sven es gesagt hatte. Und sie hielt die Fersen nach unten gedrückt und hatte die Steigbügel unter dem Ballen der Fußsohle.

Polly sah auf ihre Jeans nieder; sie hatte ja noch keine Reithose. Doch das war eigentlich ein Glück, denn sonst hätte sie jetzt erklären müssen, weshalb sie in Reithosen und ohne Pferd im Wald herumstand.

„Willst du mal aufsitzen?“ bot ihr Kerstin an.

„Nein, hab keine Lust. Ich mag einfach nicht“, sagte Polly.

„Ach, du traust dich ja bloß nicht“, erwiderte Kerstin spöttisch. „Gib’s doch ehrlich zu… Du bist eifersüchtig und kannst nicht reiten.“

„Nein, reiten kann ich nicht“, sagte Polly, „aber ich will es auch nicht lernen. Du mit deinem dummen Pferd kannst mir gestohlen bleiben!“

Jetzt war Kerstin böse. Sie zuckte mit den Schultern. „Es würde mir Spaß machen, dich vom Pferd fallen zu sehen, du eingebildete Gans!“ sagte sie und ließ Amorina wenden.

Dann galoppierte sie über den Pfad davon, leicht vornübergebeugt, um den Zweigen auszuweichen.

Polly sah ihr nach. Warte nur ab, dachte sie. Eines Tages – eines Tages würde sie auch so reiten können…

Als sie nach Sunnansjö kam, warteten die Mutter und Sven schon voller Unruhe auf sie.

„Ist Stella zurückgekommen?“ schrie Polly von weitem. „Gott sei Dank, daß du nicht verletzt bist!“ Aila lief ihr entgegen. „Wir fürchteten schon, du lägst vielleicht irgendwo mit einem gebrochenen Knöchel oder einer Gehirnerschütterung! Hast du dir weh getan?“

„Ach, mir ist nichts passiert. Aber wo ist Stella?“

„Dort drüben, auf der Koppel“, sagte Sven. „Du kannst wirklich von Glück sagen, daß sie heimgefunden hat. Es ist ein wahres Wunder, sie ist hier schließlich noch nicht richtig eingewöhnt. Wenn sie nun auf die Landstraße gelaufen wäre…, das hätte ein furchtbares Unglück geben können! Ich hab dir doch gesagt, daß du erst die Grundbegriffe des Reitens lernen mußt, ehe du ausreiten kannst!“

Polly machte ein zerknirschtes Gesicht. „Tut mir leid, Sven“, sagte sie. „Es war dumm von mir. Ich wollte ja bloß im Schrittempo bis zum Waldrand reiten. Aber dann ist plötzlich ein Birkhuhn vor Stellas Nase aufgeflattert, und sie hat sich furchtbar erschrocken. Ehe ich wußte, was los war, saß ich auf dem Boden, und Stella ist davongaloppiert.“

„Ich glaube auch, daß es besser ist, wenn du vorerst mit ihr auf dem Hof bleibst“, meinte ihre Mutter. „Für den Anfang ist die Wiese genau der richtige Übungsplatz.“

Sven nickte. „Wie wär’s, wenn du es jetzt noch mal versuchen würdest? Eigentlich war unsere Reitstunde ja noch nicht beendet.“

Pollys Hinterteil schmerzte ein bißchen, doch sie beschloß, nicht weiter darauf zu achten. Sven hob sie in den Sattel, und dann begann der Unterricht wieder von vorn.

„Das geht ja ganz gut!“ sagte Sven aufmunternd. „Du lernst es sicher bald.“

Polly bekommt ein Pferd

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