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JANUAR

01.01.

DIESER TAG IST VIELLEICHT NOCH ZU JUNG

ein wenig zu frisch,

vielleicht auch zu kühl;

ein wenig zu bitter, muffig vielleicht.

Vielleicht wird er ein ausgewogener,

vielleicht sogar sehr schmeichelhaft.

Auch stark und schäumend könnte er werden.

Auf jeden Fall wird er fließen.

Auf jeden Fall wird er ein ungetrunkener Tag sein.

02.01.

BIER-GELÜSTE

Ich schenke mir ein frisches Glas ein und höre, wie das Bier schäumt und sprudelt.

Dann steht es vor mir, golden glänzend, rötlich schimmernd oder tiefschwarz und edel. Das Glas ist kühl, aber nicht zu kalt.

Außen bilden sich kleine Kondenswassertropfen. Ich spüre die Kühle mit der Hand und mit den Lippen, die das Glas berühren.

Schon der Duft betört. Feiner tschechischer oder steirischer Aromahopfen erzeugt einen dezenten Hauch von in der Sonne trocknendem Heu und erinnert mich an die Sommerferien meiner Kindheit in den Bergen. Neue US-amerikanische oder neuseeländische Hopfenzüchtungen bringen spielerischfruchtige Noten ins Bouquet, und ich fühle mich zurückversetzt auf einen Obstmarkt am Mittelmeer im letzten Urlaub.

Dunkle Malze verleihen dem Bier einen kräftigen, brotigen, vielleicht auch röstigen Geruch, und ich träume davon, wie ich bei der Großmutter auf dem Land vor dem riesigen Steinbackofen stehe und die frischen Brote aus der Glut ziehe. Bei den schweren und komplexen, weinigen und fruchtigen Noten eines mit einer belgischen Hefe vergorenen Biers denke ich an die selbstgemachten Rumtöpfe, von denen bestimmt noch ein paar Gläser bei den Eltern im kühlen Keller stehen, und das kräftige Aroma eines mit über Buchenholz geräuchertem Malz gebrauten Rauchbiers erinnert mich an die wunderbaren Schinken, die der Onkel im Nachbardorf selbst im kalten Rauch getrocknet hat.

Noch habe ich keinen einzigen Schluck getrunken, und doch bin ich schon im Geiste um die Welt und durch die Zeit gereist und habe längst vergessen geglaubte Erinnerungen zutage gefördert.

„He!“, reißt mich eine raue Stimme aus meinen Gedanken. „Was ist? Trinkst Du gar nicht?“ Mein Nachbar, der Bierbanause, hat sein großes Glas bereits alle und greift nach einer weiteren Dose Billigbier aus seiner Kühlbox.

„Hier, das muss auch noch weg“, höre ich ihn sagen, und meine Bierträume zerplatzen.

03.01.

DER ERSTE SCHLUCK

Mein erster Schluck Bier war kein Schluck. Er war ein Bissen. Er bestand aus Schaum und damit zur Hauptsache aus Gas. Was mein Vater mir, dem 10-Jährigen, damals von seinem Feierabendbier gönnte, war im Wesentlichen ein Anteil am Kohlendioxid. Nach dem Öffnen der Bierflasche perlte das Gas aus und verließ in Bläschenform die Flüssigkeit – eine Folge des Druckverlusts in der Flasche und des Umschüttens beim Einschenken. Das Gas versammelte sich im oberen Drittel des Glases und reckte sich neckisch darüber hinaus, wie der Zipfel eines schneebedeckten Bergs.

Der Vater schob mir das Bier hin: „Da, der Schaum gehört dir.“

Wie geschlagenes Eiweiß verharrte das Gas über dem Rand des Willibechers – schließlich war das Kohlendioxid als Schaum ja nicht auf sich allein gestellt. Proteine und Hopfenrückstände fungierten als Verstärkung. Sie bildeten die Hüllen der Bläschen und sorgten dafür, dass das CO2 auf dem Bier nicht davonflog und sich auflöste im Gasgemisch der irdischen Atmosphäre. Ich füllte mir mutig den Mund. Und heute, beim Erinnern, bestehe ich auf der Sinnlichkeit jenes ersten Mals. Obwohl mich später noch unzählige Nuancen des Biergeschmacks beeindrucken sollten – keine tat dies so nachhaltig wie die radikale Bittere der Hopfenrückstände, die damals den Bissen Schaum zusammenhielten.

04.0 1.

ILSES ECK

Mit Pauken und Trompeten, mit Korn und Pumpernickel 1971 eröffnet.

Seitdem standen wir in Reih und Glied am Tresen. Auf dem Tresen die braunen Maurerflaschen mit Pils drin, das manchmal an unseren gedrechselten Beinen runterlief. Und wochenlang klebte. Auf unserer Sitzfläche die Nachbarn vom Kiez. Rechts in der Ecke meist Eberhard, manchmal bereits vor dem Tagesschau-Gong mit Armen und Kopf auf dem Tresen. Hinterm Tresen Chefin Ilse. Resolut, aber warmherzig, nüchtern bis in die frühen Morgenstunden. Wir sechs hölzernen Hocker als Plateau für ihre Gäste.

Ihre Familie – das waren Ilses Worte. Haben die Feste mitgefeiert, wie sie gefallen sind. Gefallen sind auch die Gäste, manchmal mit uns zusammen. Dann richtete man uns samt Gast wieder auf, und Ilse teilte Wasser aus. Jahrzehnt für Jahrzehnt. Montags Ruhetag. Ich rechnete jedes Jahr damit, dass wir ausrangiert werden. Zerkratztes Holz, dutzendfach geleimt, in die Sitzfläche geritzte Strichlisten. Ein Bier, zwei, drei… acht, neun. Eine Maurerpulle eine Mark, bitte. Irgendwann später war es ein Euro. Kann ich anschreiben? Jo.

Dann kam der Tag, Ilse hatte etwas auf dem Herzen. Zu müde Glieder, zu kaputte Knie und nicht mehr ihr alter Kiez - Familie, ich kann nicht mehr.

Bitte besenrein übergeben.

05.01.

BIERHIMMEL

Ich sehe einen Bierhimmel, leuchtend, trübgelb wie die Heilige Apfelsaft NEIPA, und mich darin sitzend oder liegend, Gläser und Flaschen um mich, es gibt auch heiße Tage im Bierhimmel, dann trinke ich ein saures Bier, den Blick nach unten in die Hölle:

Es ist nämlich so, dass Himmel und Hölle ganz verdammt nah beieinander liegen, die Bierhimmel-Trinker steigen ab und zu, es ist nur ein einziger Schritt, ein winziger Schritt, quasi ein Entenfußschritt hinunter in die Hölle und lösen einen Verdammten ab, der für diese Zeit kurz in den Himmel darf und mit Bieren seiner Wahl seinen immerwährenden Durst löschen darf. Die Verdammten setzen an und exen das voll-fette Bier mit einem Zug in sich hinein, und dann ein zweites und ein drittes Bier, sie hören nicht auf, und dann sinken sie schließlich benommen und federleicht hinab an ihren Kohleofen, an dem sie einer nicht näher erkennbaren Arbeit nachgehen.

Ab und zu sehe ich Hitler unter mir, er arbeitet alleine für sich, die Neuankömmlinge werfen ihm verstohlene Blicke zu. Ab und zu kommt Hitler auch nach oben, weil ein Bier-Himmler Erbarmen hat, und stürzt seine Biere stumm hinunter, niemand hat ihn bis heute etwas gefragt. Wozu auch? Im Bierhimmel kommen die Antworten vor den Fragen.

Im Folgenden, liebe Leserin und lieber Leser, möchte ich Ihnen vom sogenannten Schnitt erzählen, auf dass er sich mit Ihrer Mithilfe in allen Schankbetrieben des Landes etablieren möge. Der Schnitt ist bereits in diversen Regionen verbreitet, zum Teil mit leicht divergierenden Prinzipien.

In meiner oberfränkischen Heimat funktioniert er folgendermaßen: Nimmt der Bierdurst gegen Ende des Abends ab, hat jeder Gast die Möglichkeit, noch einen Schnitt zu bestellen. (Der Schnitt ist immer die letzte Bestellung – wer danach noch etwas bestellt, wird mit berechtigtem Hohn und Spott gestraft.)

06.01.

DER GOLDENE SCHNITT

Grundsätzlich ist der Schnitt ein halbes gezapftes Bier zum halben Preis. Doch der Clou ist: Die tatsächliche Füllhöhe korreliert mit der Sympathie zwischen der bewirtenden Person und ihrem Gast. Wo geschätzten Gästen das Glas bis knapp unter den Eichstrich gefüllt wird, bekommen unbekannte oder sich schlecht

benehmende Gäste keinen Milliliter mehr als exakt die Hälfte. So wird der Schnitt zu einer eleganten Möglichkeit, Treue zu belohnen und sowohl Wert- als auch Geringschätzung auszudrücken. Sprechen Sie Ihre Wirtin oder Ihren Wirt darauf an. Die Stammgäste des Landes werden es Ihnen danken.

07.01.

TITTIES & BIER 1

Wenn ich „Titties & Bier“ erwähne, ruft oft eine: „Ich kauf dir ein T-Shirt“, überwältigt von Begeisterung, so als käme endlich zusammen, was zusammengehört. Wie jetzt, als ich mit ein paar Verkoster-Kollegen bei meinem Lieblingsimporteur im Lager sitze. Er hat uns eingeladen, seine Neuzugänge aus USA zu probieren. Wir kosten jede Menge Pale Ales und India Pale Ales – West-Coast- und New-England-Style, einmalige Single-Hop-Auflagen. Davon angeregt, schießt es durch mich durch: „Lasst uns eine Zeitschrift mit dem Titel ,Titties & Bier' gründen.“ Der junge Gastronom Jäger neben mir ironisch: „Klingt wie 'ne hypermoderne Themenkreuzung“, wendet sich ab. Die Amerikanerin Amy, die als Vertreterin für Craft-Biere arbeitet, hingegen wird wach, stellt im Geiste ein Frauenteam für die Posten im Vorstand zusammen. Wir diskutieren kurz die Dekolletés der Kandidatinnen und nehmen die, die echt was vorzuweisen haben.

„Nee, nee“, sag ich, „Wir müssen die Inhalte kreativ umsetzen. Zum Beispiel das Centerfold.“ Der junge Gastronom schielt herüber. „Ich möchte da keine Playmates sehen“, sage ich entschieden. Da ich unausgesprochen aber einvernehmlich die Rolle der Chefredakteurin übernehme, verfüge ich: „In der Erstausgabe will ich im Centerfold Orval in voller Pracht. Und in den weiteren Ausgaben Orval-Klone!“

Betroffenes Schweigen.

„Und dann will ich einen investigativen Report darüber, inwieweit das Biertrinken bei Männern zur Brustbildung führt.“ Der junge Gastronom muss aufs Klo. „Außerdem eine Umfrage“, setze ich fort, „ob extrem-gehopfte Biere auf Frauen luststeigernd wirken.“ Amy frustriert: „Und auf Männer einschläfernd.“ Ich bin kaum zu stoppen. Mein Lieblingsimporteur schenkt uns ein kaltgehopftes Saison ein. Jäger setzt sich wieder zu uns. Amy googelt in ihrem Smartphone, wo sie T-Shirts mit Aufdruck kaufen kann.

08.01.

DR. GRÜNDELSTETT ÜBER DAS PILS

Es war ein verregneter Hamburger Montag, montags gehe ich immer zum Tennis, müssen Sie wissen, und danach trinke ich mit meinem Tennispartner ein gepflegtes Pils in meiner Stammkneipe. Und an jenem Montag betrat Dr. Gründelstett ebenfalls die Lokalität und stellte sich neben uns an den Tresen.

Welch ein Zufall, dass man sich hier treffe, begann er sogleich, als er meiner ansichtig wurde. Er sei eben von der Universität gekommen und habe das Bedürfnis nach einem kühlen Biere verspürt, was ihn dazu veranlasst habe, zufällig diese Kneipe aufzusuchen. Die Frage, ob er sich denn uns anschließen dürfe, konnten wir schlecht verneinen. So besetzte er den Barhocker neben uns und begann mit einem seiner berühmten Vorträge.

Um das Pils, raunte er meinem Tennispartner zu, rankten sich zahlreiche Mythen und falsche Vorstellungen, dass es ein Wunder sei, dass das Pils überhaupt noch getrunken werde. Kein Mensch wisse heute noch, dass man bei den ersten Pilsnern ausdrücklich von bayerischem Bier sprach, obwohl die Bayern doch so gut wie kein Pils tränken! Überhaupt habe das nordisch-herbe Pils, dass man sich gerade schmecken lassen wolle, mit dem Pils, das Joseph Groll 1842 in Pilsen erfunden habe, kaum etwas zu tun. Aus dem Norden stamme höchstens die Legende, dass man sieben Minuten brauche, um ein gutes Pils zu zapfen. Die weiland hier verwendeten Zapfhähne hätten eine Regulierung des Zapfdrucks nicht zugelassen. So habe das Bier zu sehr geschäumt und der Zapfvorgang habe sich verlängert. Ein Umstand, der ihn jetzt so lange auf sein so lange ersehntes Pils warten lasse.

„Na, mein Jung“, unterbrach ihn da der Mann am Zapfhahn trocken, „hätteste man nicht so lange geredet, hätteste dein Pils schon längst gehabt!“

09.01.

KOMMT EIN FERNSEHBIER NACH BAYERN

Kommt ein Fernsehbier nach Bayern,

schon fängt's beleidigt an zu eiern:

Mein Gott, ist das hier voll im Bierregal,

die ganzen Sorten, schau bloß mal!

Märzen, Helles, Doppelbock, Export,

Weizen, Zwickel, Wies'n und so fort –

da kommt doch kein Mensch mehr mit klar.

Erklärt auch, wie's hier bisher für mich war:

Ich bin ein weltbekanntes Fernsehbier!

Doch hier greift keine Sau zu mir.

Das ist mir echt zu blöd. Ich bin jetzt schlau:

Ich gehe heim – zurück in mein TV.

10.01.

DATE MIT BIER

Im Sommer 2013 hatte ich mein erstes Online-Date. Eine Premiere, meine digitale Flirtkompetenz war quasi nicht vorhanden. Aber da sich meine analoge Bilanz in Sachen Liebe zu diesem Zeitpunkt auch eher ernüchternd gestaltete, meldete ich mich bei einer dieser Single-Plattformen an. Und zack, wenige Tage später saß ich in einer Kneipe mit Jörg. Groß, blond, sportlich. So weit ok.

Wir bestellten ein kleines Bier. Pils, unkompliziert. Jörg steigt ins Gespräch ein. „Ich hatte schon diverse Dates über diese Plattform. Echt anstrengend. Wie viele hattest du?“ Ich schaue ihn an. Ein „Wie geht es dir“ oder ein saloppes „Hey, schön dich zu sehen“ als Dialogbeginn ist vielleicht nicht originell, hätte mir aber gereicht. Ich trinke.

Ich antworte. „Null.“ „Echt. Oh.“ Pause.

Jörg hebt sein Glas.

Meine „Was will-er-mir-damit-sagen-Möglichkeitsmaschine“ im Hirn beginnt zu laufen und spuckt diverse Antworten aus. Hält der mich jetzt für eine Versagerin, oder was? Ich trinke. Jörg dreht an seinem Glas. Ich trinke. Er räuspert sich. „Erst gestern hatte ich ein Date, das war vollkommen öde.“ Ich trinke. „Schade“, sage ich und lasse mich zu der Frage hinreissen: „Woran lag's?“ Jörg freut sich sichtlich über diese Einladung und legt los. „Sie hat mich gar nicht gefragt, wie es mir geht, was ich so mache. Vollkommen professionell hat sie das durchgezogen. So kann man sich doch nicht kennenlernen. Ich finde schon, dass man auf sein Gegenüber eingehen muss.“

Ich trinke schweigend, er hält einen Monolog über Empathie, die Grundlage einer jeden Partnerschaft. „Trinkst du gerne Bier?“, fragt er plötzlich. „Nein“, sage ich und bestelle mir ein mittleres Bier. „Ach so.“ Jörg zuckt mit den Achseln. „Also ich bin in der Woche ja ein ganz ruhiger, eigentlich gehe ich da wenig aus, man muss sich fokussieren, weißt du?“ „Hmm“, murmele ich und fokussiere mich auf mein neues Bier. Jörg nippt an seinem kleinen Pils. „Frauen trinken ja lieber Sekt“, sagt er. „Jeder, wie er mag.“ „Jede“, sage ich und trinke in großen SCHLÜCKEN. Er lacht ein empathisches „Ha Ha“ und nippt erneut an seinem Glas. Diese sparsame Art des Trinkens macht mich wahnsinnig. Ich kompensiere das – mit Trinken und bestelle mir ein großes BIER. Jörg nippt. Irgendwann geht er. Komisch, er hat mich gar nicht eingeladen.

11.01.

DIE RETTUNG DES BIERERNST

Es ist noch nicht allzu lange her, da ich den Begriff „Bierernst“ verstanden habe, lassen wir es zehn Jahre sein, als sich auch der verbale Dunst um „Lachgummi“ und „passierte Tomaten“ lichtete. Wer hätte auch wissen können, dass passierte Tomaten nicht bloß deshalb verarbeitet werden wie sie es werden, weil ihnen etwas passiert ist? (Ich nicht.)

Jedenfalls wurde da schlagartig klar, dass bierernste Erzählungen von Menschen keine sind, die so ernst sind, als würde der Wahrheitsgehalt an dem existenziellen Wert von Bier hängen. Sondern, dass diese Leute Dinge so ernst meinen, als hätten sie keinen Humor. Und ja, diese Interpretation mag sich stellenweise decken. Schließlich ist Bier kein Witz. Nichts desto trotz möchte ich mir diese negative Konnotation des Terminus „Bierernst“ verbitten. Weil Bier bekanntlicherweise ja eben gerade nicht humorlos macht; und weil, wenn man etwas ernst meint, dieses Ernst an etwas gemessen werden sollte. Bier, wäre mein Vorschlag. Jeder vernünftig denkende Mensch glaubt einem anderen Menschen, der Dinge in diesem Sinne bierernst meint.

12.01.

WER WAR PETER AUSTIN?

Peter Austin war ein Pionier der neuen Bierkultur, dem die Craftbeer-Szene viel zu verdanken hat. Geboren in Edmonton, Nord London, wuchs Austin in einer Familie auf, die einen direkten Bezug zur Brauindustrie hatte, arbeitete sein Vater doch beim Brauereimaschinenhersteller Pontifex.

Nachdem Peter Austin in verschiedenen Brauereien gearbeitet hatte und in der Hull Brewery Braumeister war, wollte er eigentlich sein Geld mit einem Charterboot für Touristen verdienen. Da kam – der Sage nach – Terry Gilliam von den Monthy Python auf ihn zu und bat ihn, ihm beim Bau einer kleinen Brauerei zu helfen. Davon inspiriert, gründete er schließlich 1978 seine eigene Brauerei, die Ringwood Brewery. In dieser ehemaligen Bäckerei ließ er einen direkt befeuerten, gemauerten Sudkessel installieren und braute sehr erfolgreich gute Biere. Mit diesem Konzept überzeugte er in den folgenden Jahren auch viele andere, kleine neue Brauereien.

Die Zahlen sprechen für sich:

Schließlich stattete Peter Austin in England 40 und in den USA sogar 74 Brauereien aus.

13.01.

DAS LÄCHELN VOM HEINER

Um 17 Uhr 24 waren sie derart niedergedrückt von ihren Sorgen, dass sie übereinkamen, jetzt doch zu telefonieren. Sie entschieden sich für die Freiwillige Feuerwehr. „Die Helga solls machen“, lautete der letzte Satz. Dann war es mucksmäuschenstill. So still, erstmals in der Geschichte des Dorfes konnte die Nachricht bis hierher vordringen, dass jemand droben in der Neubausiedlung seinen Rasen mähte. „Hörst as a? Im April!“ „Pssst! Er geht glei dra.“ „Jo, Eichele hier, was gibts?“

„Du, Eichele, hast du n Heina gsehn? Der Doldi hockd ned do.“ Ob - wohl er das Glas nach dem Spülen in Zeitlupe aufs Tropfgitter manövrierte, kam der Bräu dem anderen zu nah, das dort schon stand. „Pscht jetzt, herrgottzefix!“ „Was meinst? Versteh di ned!“ „War ned für di, Eichele. Der Bräu hat an Lärm gmachd.“ „A so. Ja na.“ „Weißt also nix vom Heina?“

Durchkämmt hat die Feuerwehr an diesem Abend sogar das kleine Waldstück, das sich selbst überlassen war, seit Luther dort seine Notdurft verrichtet hatte. Der Sage nach. Auf seiner Fahrt zum Reichstag. Wo sie den Deifel, den elendigen, ham am Leben lassen. „Nix. Au da ned“, gab der Eichele um 23 Uhr 36 an Helga durch. Wo es ihnen der Heiner doch angekündigt hatte. Dass er sein Leben von Grund auf neu gestalten wolle. So lange er noch die Kraft dazu hat. „Dann bleibt nur no eins. Habts da a nachgschaut? Der sitzt im Ochs!“ „Mit hom kei Zeit zu verschwendn.“ Und genau jetzt, in diesem Moment, legte sich ein Schalter um, war allen alles klar.

14.0 1.

DIE ALTE FRAU UND DAS BIER

(Ein innerer Monolog)

Bier ist Gottes Entschuldigung für die… Frau.

Öh. Man wird ja wohl noch denken dürfen. Freedom of Thought. Ein bissel sexistisch sein. Astra hat sich mit dem „Väterinnentag“ ja auch das Unaussprechliche getraut. Wie mir ein recht spinnerter Brauer sagte, dessen Fliegenpilz-Bier weder perlte, schmeckte noch wirkte, setzten dereinst Mönche dem Bier Hopfen zu, um ihr sexuelles Verlangen zu dämpfen. Etwas Hopfen, wie der Mensch zweigeschlechtlich und mit Windesinn ausgestattet, hätte des Brauers Pilz-Pils aber gut getan. Es hätte die Hefe in die Schranken gewiesen. Ungehopft war die Säure gelinde gesagt überbetont. Aber was rede ich? Als hätte ich Ahnung.

15.01.

DIE WAHRHEIT IST,

dass warmes Bier nicht schmeckt. Doch das gilt nicht unbedingt für Starkbiere. Die Wahrheit ist, die schmecken oft besser, wenn sie warm sind.

Dann entfalten sich ihre Aromen besser. Die Wahrheit ist, morgens schmeckt Bier nicht. Die Wahrheit ist aber auch, dass es irgendwo immer abends ist. Die Wahrheit ist „Kein Bier vor vier“ und „Ein Bier vor vier“.

Das Problem mit der Wahrheit wird deutlich, oder?

Genau aus diesem Grund pflegen die Mexikaner zwei Begriffe für Wahrheit: La verdad und la neta. Während verdad relativ ist, ist neta absolut. Beispiel gefällig?

Biertrinken ist schädlich: La verdad

Biertrinken ist toll: La neta

16.01.

CO2 IN BIER

Nehmen wir an, wir vergären 100l (1hl) Stammwürze mit 12P (Plato) – entsprechend in etwa 12 % Zucker – davon sind dann ca. 10 % vergärbarer Zucker enthalten.

Circa die Hälfte davon wird zu Alkohol und die andere Hälfte zu CO2, also etwa 5kg. Um es in Volumen umzurechnen, teilen wir die 5kg durch das Molgewicht von CO2 (44g), ergibt 114. Dies multiplizieren wir mit 22,4 (Avogadro-Konstante – bei 20 Grad) ergibt 2.545 Liter, also über 2 Kubikmeter an CO2, entspricht ca. 25,45 Liter Gasvolumen pro Liter Flüssigkeit.

Davon löst sich ein Teil im Bier. Bei 5,5g Karbonisierung passen also ca. 2,5l CO2 in den Liter. Die Differenz (fast zehn mal soviel) ist beim Gären in die Atmosphäreentwichen.

17.01.

EIN HOCH AUF DIE BIERVIELFALT. DIE ECHTE.

Hier ist Tchibo und dann kommt Deichmann. Als nächstes C&A und gleich daneben ist auch schon H&M. Wo bin ich eigentlich? Egal, ich finde mich zurecht. Es ist schließlich eine deutsche Fußgängerzone. Ob München, Aachen, Cottbus oder Stralsund, ich weiß Bescheid. Pils, Weizen, IPA, DIPA, NEIPA. Wo bin ich eigentlich? Egal, ich finde mich zurecht. Ein Hoch auf die Biervielfalt. Ich möchte alles haben. Hier, jetzt, sofort. Egal ob München, Aachen, Cottbus oder Stralsund. Manchmal möchte ich aber doch genauer wissen, wo ich bin. Ein Glück, wenn ich dann z.B. ein Kölsch bekomme.

Ein Hoch auf die Biervielfalt. Die Echte. Die ein Zuhause hat. Die zu mir spricht. Die mir Geschichten erzählt.

Vom kleinen Örtchen Tryavna zum Beispiel. Tief im Balkangebirge. Die Sonne brennt. Der kleine Fluss plätschert leise vor meinen Füßen. Zwei Biere stehen auf der Karte: Ein Blondes mit Früchten. Mit welchen? Na, was Saison hat. Jetzt gerade sind es Mirabellen.

Und ein Dunkles mit Tschubritza. Mit … was? Tschubritza, Bohnenkraut. Kaum ein Kraut schreit so laut „Bulgarien!“ wie Bohnenkraut. So tief verwurzelt in der nationalen Küche wie Basilikum in der italienischen. Ich rieche, trinke, staune und lausche den Geschichten, die mir dieses Bier erzählt.

18.01.

HARRY

– was soll ich über Harry erzählen? Er trinkt gerne Bier, sehr gerne. So viel ist klar. Er wird darüber dicker und dicker. Wenn er im Sommer im Biergarten sitzt, trauen sich die mutigeren Kinder ganz nah zu ihm hin und fragen: Was ist da drin in deinem Bauch? Und Harry lächelt freundlich und sagt: Ein Bierfass. Im Winter, wenn er drinnen sitzt in der Brauereigaststätte, kommen ständig Kumpels vorbei und kaum einer vergisst, auf Harrys gewaltigen Bauch zu deuten und zu fragen: Harry, alter Maßkrug, was brütest denn du da drin aus? Und Harry lächelt verständnisvoll und sagt: Ein Bierfass. So kennt man den Harry, mehr gibt es da nicht zu berichten.

Obwohl – eine Sache ist vielleicht noch interessant: Letztes Jahr brachte Harry tatsächlich ein Bierfass zur Welt. Bei sich in der Wohnung, auf dem Wasserbett. Hausgeburt. Er presste zehn Minuten, dann war es schon geschehen. Ein wenig blass um die Nase sah er noch aus, als Harry das kleine Bierfass zum ersten Mal in die Arme nahm. Alle seine Freunde vom Stammtisch und vom Altbierverein waren dabei. Und was soll ich sagen? Nachdem wir es erst einmal auf Trinktemperatur gekühlt hatten, schmeckte Harrys Selbstgebrautes ausgezeichnet!

Harry arbeitet derzeit übrigens am nächsten Fass …

19.01.

OPER UND BIER

Oper und Bier?! – Empfehle ich Dir!

Oper und Wein – das passt fein. Oper und Bier – irgendwie nicht so. Gegen dieses Klischee haben angehende Akademiker schon vor über 100 Jahren vehement angekämpft. Studentische Freigeister in Wien kombinierten im 19. Jahrhundert ihre Leidenschaft fürs Biertrinken mit ihrer Begeisterung für die Oper. Sie sangen launige Volks- und Studentenlieder und mixten sie mit aktuellen politischen Ereignissen, Klatsch und Tratsch. Hinzu kam dann noch eine Prise verwegener Kreativität und fertig war: die Bieroper! „Biergläser statt Operngläser und Wirtshäuser statt Tannhäuser“ – so definiert das 1972 gegründete „Erste Wiener Bieropernensemble“ die seltsame Gattung irgendwo zwischen Kunst, Unterhaltung und Politik. Im Grunde ähnlich wie der Rheinische Karneval.

Besonders häufig haben die jungen Wilden Richard Wagners „Tannhäuser“ aufs Korn genommen und den seriösen Titel genüsslich erweitert: „Tannhäuser und die Prügelei auf der Wartburg“ oder „Tannhäuser im Fegefeuer“. So nannte z. B. der Komponist Richard Thiele seine Kreation. Im echten Leben war er Organist an der Berliner St.-George's-Kirche. Manche Regel aus der Bieroper hätte er sicher gerne auf seine Gemeinde übertragen. Gab es Szenenapplaus für besonders beliebte Stücke, dann wurden sie auf Zuruf kurzerhand wiederholt. Da capo in der Kirche, warum eigentlich nicht?!

Übrigens: Bei einem multisensorischen Geschmacksexperiment haben belgische Forscher der Freien Universität Brüssel und der Katholischen Universität Leuven herausgefunden: Wer beim Biertrinken Musik hört, dem schmeckt das Bier noch besser. Das gilt allerdings nur, wenn Bier und Musikstil zusammenpassen. Die richtige Paarung überlasse ich Ihnen.

20.01.

MAYFLOWER

Die Fäuste des Steuermanns

Weiß leuchten die Knöchel

Es geht an Land

Der Wind weht stramm und kalt

Käpt'n Jones bricht die Fahrt ab

November 1620

200 Meilen südwärts sollte es noch gehen

Aber das Bier wird knapp

Und muss noch für die Rückfahrt reichen

Die Pilger gehen an Land

Hier also

Plymouth Rock, Cape Cod

Massachusetts wird das hier irgendwann heißen

Willkommen in der Neuen Welt

Zuweilen ist es der Mangel

beispielsweise an Bier

der den neuen, aufregenden Weg weist.

21.01.

ICH HABE EIN PROBLEM

Ich bin ein zu großer Körper, der grün ist.

Als grüne 0,5l Mehrwegflasche komme ich nur an den Hals von Männern über vierzig. Es ist immer in Friesland, wo die Gespräche so wortkarg wie das Land sind.

Da sitzen sie dann auf ihrem Kunstleder und schwadronieren von alten Zeiten, von Zeiten, als sie noch einen Kuhstall hatten, als die Frau noch nicht in die Stadt geflohen war, als alles noch besser war.

Das ist ja alles völlig in Ordnung, aber ich habe diese Gespräche nun bereits zwanzig mal gehört und kenne meine Konsumenten schon mit Vornamen: Jens, Björn, Jürgen, Fiete und Ole.

Mein Psychologe und ich haben lange beraten und sind zum Entschluss gekommen, dass es nur eine Möglichkeit für mich gibt: Reinkarnation. Darum habe ich beschlossen, bei der nächsten Gelegenheit so zu fallen, dass ich nicht mehr verwendbar bin, und dann hoffe ich auf eine Transformation in eine grüne Schale oder, wenn ich sehr viel Glück habe, in eine 0,33l Flasche mit Prägung. Dann käme ich zumindest mal bis Bremen.

22.01.

DAS KLEINE BBB: BIER-BULLSHIT-BIWGO

Die letzte Batch war besser.

Die Brauerei ist mir groß zu geworden. Zu sehr Mainstream.

Ein Hauch zu stark karbonisiert.

Für mich zu viel Brett.

Etwas wenig Körper.

Die Biere sind mir allesamt nicht mutig genug.

Moment, ich check’ mal bei Untappd,

ob ich das schon mal getrunken habe.

Acht Euro ist nicht zu viel für dieses Imperial Stout!

Ich bestelle NIE zwei mal das gleiche Bier an einem Abend.

Unter 80 IBU geht eigentlich nichts!

Industriebier? Trinke ich NIE.

Trillium. Du MUSST Trillium trinken.

Eigentlich rede ich nicht gern über Bier, aber …

Schlimm, wenn eine Brauerei ihre Qualität einbüßt.

In der Nase tropische Früchte, ganz dezent im Hintergrund und retronasal eine grasige Hopfennote, …

Goose Island? Trinke ich nicht mehr.

23.01.

WIE DER SCHAUM AUF´S KÖLSCH KOMMT

In Köln lebte ein Brauer, der braute lange Jahre Woche für Woche sein frisches kölsches Bier. Er tat seine Arbeit recht, und die Kundschaft dankte es ihm.

Eines Tages aber, da wollte ihm so gar nichts mehr gelingen. Die Hefe schäumte zu stark, das Bier war schnell sauer, es schmeckte fade.

Das sprach sich schnell herum, und die Leute redeten hinter seinem Rücken, er sei wohl zu schlampig geworden. Oder, er kaufe wohl nicht mehr den guten Hopfen und das beste Malz. Er wolle sich auf ihre Kosten bereichern. So hörte man es in der Stadt.

Der Brauer rackerte sich ab, und wenn ihm ein Sud mit Müh und Not gelang, dann war er froh. Aber man konnte sich auf ihn und sein Bier nicht mehr verlassen. Das beschämte ihn und machte ihn todunglücklich.

Osterzeit, die Zeit der Auferstehung des Herren. Die Glocken durften wieder läuten und die Menschen erfreuten sich an ihrem Klang. Es war Frühling, die helle Zeit des Jahres begann.

Nur für den Brauer änderte sich nichts. Gerade in der wärmer werdenen Jahreszeit bewies sich die Kunst des Brauens in besonderer Weise. Er tat sein Werk, aber es gelang ihm immer seltener. „Ach, käme doch einer, der mir zur Seite steht, dass alle Welt meine Redlichkeit erkenne und mein Bier wieder munde. Was gäbe ich darum, wenn ich wieder so fröhlich lachen könnte, wie die Glocken klingen.“

Er liebte das Geläut der Glocken von den über hundert Kirchtürmen im Hillije Kölle.

Es kam der Sommer, es kam der Winter, die Fastenzeit brach an. Die Glocken verstummten. Sie sollten nach Rom geflogen sein, so wurde den Kindern erzählt.

Aber sie waren natürlich in ihrem Glockenstuhl fest verankert, und sie bewegten sich nicht. Das Ruhen war ihnen bald zu langweilig. Sie waren es gewohnt emsig den Menschen der Stadt die Uhrzeit zu sagen, zur Messe zu laden oder den Tod eines Kölner Bürgers anzuzeigen.

„Ach könnten wir doch den Menschen unsere Töne geben, dass es in ihnen klinge und schwinge, auch wenn wir stumm sind.“

Da fiel einer kleinen Glocke in der Sternengasse der Brauer ein, der jeden Tag, wenn sie läutete, zu ihr hochblickte und sich an ihr erfreute. Sie hatte bemerkt, dass es ihm immer schwerer fiel, seinen Kopf zu erheben. Und sie hörte auch das Geschwätz der Leute.

„Wenn es in seinem Herz tut klingen, dann wird sein Bier ihm wohl gelingen.

Ach könnt erfreuen mein Geläut, die Sinne und das Herz der Leut.“

So summte sie vor sich hin. Der Wind umschmeichelte ihre rundliche Form. Er trug ihre Gedanken mit sich fort. Die anderen Glocken vernahmen es und stimmten in das Summen der kleinen Glocke mit ein. Über der Stadt war ein sanftes Sausen zu vernehmen. Aber kaum jemand bemerkte es.

Dem Brauer jedoch wurde es warm ums Herz. Er rannte in sein Sudhaus und rührte heftig die gärende Würze um. Noch mal und noch mal rührte er. Und es wogte und wabberte und brauste heftig. Dann ließ er alles stehen und liegen und legte sich erschöpft in sein Bett.

Wer jetzt gedacht hat, die Heinzelmännchen würden sein Werk vollenden, der hat sich getäuscht. – Beim Rühren drang das Summen der Glocken in das gärende junge Bier hinein, belebte es, und es gelang besser als je zuvor.

Der Brauer staunte nur. Denn beim Eingießen in den Krug oder die Kanne schäumte sein Bier immer heftiger – so wie an dem Tag, als er das erste Mal seinen Sud umrührte. Und jedes Mal, wenn das Bier kurz vor seiner Reife stand, ging er hin und rührte fröhlich vor sich hinsummend den Sud um.

Auf diese Weise gelangte ein neuer Klang in das Bier hinein, und der Schaum auf dem eingeschenkten Krug versetzte die Menschen in Freude. Denn mit dem Trinken eines jeden Bläschen gelangte auch ein kleiner frischer Klang in ihr Herz, und sie fühlten sich wohl.

Der Brauer war angesehen, wie zuvor.

Und die Glocken? Sie schauen seitdem um so neugieriger aus ihren Stühlen auf die Stadt und erfreuen sich an dem Frohsinn der Menschen, wenn die ein leckeres, süffiges, schäumendes Kölsch trinken.

24.01.

MONTREAL

How Can I Begin Anything New with all of Yesterday in Me?

Schnee bis zum Bauchnabel an beiden Seiten der Straßen. Er glitzert hier nicht, obwohl er zu Eis gepresst wurde. Dafür glitzert es im Parc du Portugal, wo Leonard wohnte.

Es war ein warmer Winter bislang, sagen die Montrealer. Ich friere mir den Arsch ab auf meinem Weg zu den Brasserien der Stadt. Zu Fuß gehe ich trotzdem. Zumindest von den Metrostationen aus. Das gehört sich so. In der Metro ist es zugig. In den Brasserien der Stadt ist es warm.

Einen Schluck Bier für jede Zeile von Leonard, die mich berührt. Das habe ich mir vorgenommen. Ich werde grandios scheitern. Aber auch dem hoffnungslosen Unterfangen liegt etwas Nobles zugrunde, wenn es mit Herzblut angegangen wird. Ich war schon immer gut darin, den Sieg aus meinen Niederlagen herauszukitzeln.

Wie erwartet trinke ich wenige, dafür aber viele hervorragende Biere. Gebraut in den kleinen Brauereien der Stadt, die beinahe in jedem Stadtteil zu finden sind. Da ist Leonard dann schnell Hintergrundmusik. Zumindest für den Moment. Er mag nicht zu den vielen Glücksmomenten passen, denen so jede Melancholik fehlt.

Besonders gefällt es mir in der Brasserie Harricana im italienisch-geprägten Stadtteil „Piccola Italia“. Ein Brauerei-Restaurant mit regionaler Küche, in dem ausschließlich Biere ausgeschenkt werden. Allesamt abgestimmt auf die Speisekarte. Die Bierkarte ist mit 23 Bieren lang, jedoch durch die Einteilung der Biere in verschiedene Kategorien übersichtlich. Erstaunlich, dass es bei solch einer Karte nur vier dauerhafte Biere gibt, die anderen werden nur ab und an oder aber einmalig gebraut.

Auch geblendet wird vor Ort. 70 Fässer stehen für die Reifung der Biere zur Verfügung. Das Essen ist hervorragend.

Ich trinke das zweitbeste Grodziskie meines Lebens in Montreal. Niemals hätte ich damit gerechnet.

Ich bin begeistert. Wie schön ist es bitte, dass es so viele Menschen in allen Ecken der Welt gibt, die gutem Bier wieder eine Bühne geben wollen?!

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne … “ Nicht von Leonard. Hätte er aber bestimmt im reiferen Alter geschrieben, wenn nicht jemand anderes bereits die Worte gefunden hätte. Ich suche noch nach Worten, als ich wieder durch Januarkälte und Schnee stapfe. Aber den Zauber spüre ich. Von ganz tief drinnen kommt er und glitzert – wie der Schnee im Parc du Portugal.

Hallelujah and goodbye yesterday in me.

25.01.

WHATSAPP TEXTE

Heute trinken wir uns die Welt schön

Situation: Samstag, 18 Uhr in Hamburg. Sünje ist zu Hause am Schreibtisch. Thomas sitzt in der S-Bahn-Linie 3. Die Bahn ist proppevoll.

Mit grölenden Fans eines Hamburger Fußballvereins. Ausgerechnet heute hat ihr Club seit Ewigkeiten mal wieder gewonnen und sich damit vor dem Abstieg gerettet. Außerdem an Bord: Jede Menge komischer Gestalten, die auf dem Weg zum Public Viewing des Eurovision Song Contests auf dem Spielbudenplatz sind. Thomas greift zum Handy.

S: Hallo?

T: Es gibt ja Studien, die aussagen, dass man sich andere Menschen schöntrinken kann.

S: Hö? Thomas? Was fährst du denn für einen Film?

T: Ich überlege halt gerade: Funktioniert das eigentlich auch mit der Welt?

S: Naja, mit begrenzter Haltbarkeit, nä? Ist halt wie beim Menschen schöntrinken. Am nächsten Morgen ist dann alles nur noch halb so rosig. Aber ist dir schon mal aufgefallen, dass der Effekt bei hellem Bier irgendwie stärker ausfällt als bei dunklem Bier?

T: Ich bin nicht ganz überzeugt. Mir wird die Welt eher egal, aber sie wird nicht schöner, wenn ich viel Bier trinke. Bei dir wird sie schön? Mit welchem Bier machst du das? Ich will auch!

S: Sag mal, was ist das da für ein Krach bei dir? Heftigste Hintergrundstör geräusche!

T: Frag nicht! Warte, ich pack fix die Kopfhörer aus. So, besser?

S: Ja, etwas besser. Also, meine Theo rie: Bei nem schön fruchtigen Sauerbier wird die Welt lockerflockig schön. Ich bin plötzlich voller Energie und Tatendrang. Nach nem Glas Stout bin ich eher bierselig, aber nicht ganz so euphorisch, was die Welt angeht.

T: Doch, stimmt, du hast recht! So ein fruchtiges, erfrischendes Sauerbier hebt mich in einen Status der positiven Gleichgültigkeit mit einem Touch Euphorie, während so ein dunkles Machtbier eher stoisch gelassen macht.

S: Ha, siehste! Im Grunde kann man so ja ganz gezielt die Welt schön trinken. Oder?

T: Mensch, du hast vollkommen recht! Sünje, ich bin gerade in Stellingen, kann ich gleich auf ein Russian Imperial Stout mit Berliner-Weisse-Schuss vorbeikommen?

S: Na klar, ich stelle schon mal ein Repertoire an Bieren parat und wir entscheiden zusammen, in welchen Maßen wir die Welt heute schöntrinken müssen.

T: Ich befürchte, das wird heftig!

26.01.

DER MENSCH ALS SAMMLER, JÄGER UND BIERTRINKER

Der Mensch ist Sammler, Jäger und Biertrinker. Junge Menschen sammeln Aufklebebildchen von Fußballern. Greise jagen Briefmarken. Mittelalte Menschen sammeln Biere. Genauer gesagt: Craft Beer, handwerklich hergestellte Biere aus guten Zutaten, inner- oder außerhalb des Reinheitsgebots, alte oder neue Stile und Interpretationen. Möglichst kreativ und ausgefallen sollte es sein. Was dem Jäger das Hirschgeweih an der Wand, ist dem Craft-Beer-Freund das Smartphone in der Hand. Mittels einer App namens Untappd zeigt er den mit ihm verbundenen Mitbiertrinkern, was er soeben Tolles und Einzigartiges verkostet hat und versieht dies mit einer persönlichen Bewertung. Für jedes neu bewertete Bier wiederum erhält der Nutzer einen Punkt. Über hohes soziales Biertrinker-App-Nutzer-Ansehen verfügt, wer über einen mindestens mittleren vierstelligen Punktestand verfügt. Und so nippt der Nutzer kurz an möglichst vielen verschiedenen Bieren. Wohl dem Genießer, der sein Lieblingsbier auch trinkt und das Telefon dabei zur Seite legen kann – ein großes Glas, ein ganzer Kasten, ein frisches Fass. Prost!

27.01.

FRAGE AN DEN REICHSKANZLER OTTO VON BISMARCK:

?„Es heißt, Sie hätten das Biertrinken in die Politik gebracht: Wie kam es zu diesem Beschluss?“

!Gnädigste, lassen Sie es mich in aller Deutlichkeit sagen: Das ist hanebüchener Unsinn!

Das Volk dichtet sich nun mal die Welt, wie es sie gerne hätte. Zu meiner Amtszeit fiel mir auf, dass diejenigen, die am uneffizientesten in den Amtsstuben, die aktivsten in den Wirtshäusern waren. Darum bemängelte ich, dass so viel kostbare Lebenszeit mit Biertrinken vertrödelt werde.

Da ich ja nun für meine Trinkfestigkeit bekannt war, erlaubte ich mir, besonders komplizierte Verhandlungen in eine Gastwirtschaft zu verlegen.

Alle Beteiligten freuten sich recht dümmlich darüber, und ich konnte sicher gehen, dass die Ergebnisse der Verhandlungen meinem Anspruch genügen würden.

28.01.

BROUWERIJ ’T IJ

Jedes Mal, wenn ich die Brouwerij ’t IJ betrat, war mein Gesichtsausdruck der gleiche. Überwältigung traf auf Freude und beim Anblick der einfachen silbernen Hähne, aus denen das Bier mit Hochdruck gezapft wurde, wusste ich, dass ich am richtigen Ort war.

Ich war hier am liebsten, wenn der Herbst die Blätter von den Bäumen gejagt hatte und die schweren Böcke, manchmal bis zu fünf auf einmal, an den Hahn kamen. Draußen peitschte der Wind große Regentropfen an die Fenster, aber drinnen war es immer gemütlich. Es gab Tage, an denen sich die Menschen hier auf den Füßen herum trampelten. Ärger gab es deshalb nie. Die Masse, die sich hier versammelte, wollte dasselbe, und das wurde von fleißigen Mitarbeitern bereitgestellt, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließen. Fast schon stoisch ruhig und immer mit einem ehrlichen Lächeln reichten sie einem das Bier.

Hier hatte ich trotz der stärker werdenden Abneigung gegen Touristen das Gefühl, dass es mit ihnen und den Einheimischen doch irgendwie passte. Hier war man zu jeder Zeit von unterschiedlichen Sprachen umgeben, und ich mochte die angriffslustige Lautstärke, die fast schon beißend über allem lag.

Irgendwann, gegen kurz vor zwanzig Uhr, kam der nicht zu überhörende Ruf zur letzten Runde, denn der Ausschank hatte ohne Ausnahme ab Punkt 14 Uhr bis um Punkt 20 Uhr offen. Wenn ich nach meinen Besuchen bei der Brouwerij ’t IJ auf meinem Fahrrad saß, fuhr ich häufig noch kreuz und quer durch Amsterdam Oost, aber ich kehrte niemals noch mal irgendwo ein, weil ich zumindest für einen Abend das unfassbar stimmige Schauspiel im Kopf behalten wollte, das mir dort geboten wurde.

29.01.

ODE ANS PITTERMÄNNCHEN

Der Goldstandard einer rheinischen Familienfeier sieht vor, dass das ausgeschenkte Bier gezapft wird. Flaschenbier ist eine Unsitte, die Pilstrinkern oder anderen Häretikern vorbehalten bleibt.

Richtiges Bier, so will es das Gesetz über den großen, sonst unüberwindlichen Alt-/Kölschgraben hinweg, kommt aus dem Fass. Bis heute gehört deshalb der Zapfhahn zum Inventar eines gut ausgestatteten rheinischen Haushalts.

Pittermännchen nennt man diese Fässer im Rheinland, meist sind sie 10 Liter groß, aber auch größere Volumina bis zu 30 Litern fallen unter den erweiterten Pittermännchen-Begriff. Wichtiger ist ohnehin, dass im bayrischen Anstich, also nur mit Hilfe von Zapfhahn und Schwerkraft, ohne Druck oder Zwischenkühlung ausgeschenkt wird. Die Herkunft des Namens ist nicht sicher geklärt. Die plausibelste These führt nicht auf den Namen Peter zurück sondern auf rheinisch verschliffenes petit aus napoleonischen Besatzungszeiten.

Doch wo auch immer der Name herstammt – für Biere wie Alt und Kölsch, aber auch für untergärige Helle, Land- und Kellerbiere gibt es keine Schankform, die Süffigkeit und Geschmack des Bieres so perfekt betont, wie ein Pittermännchen im bayrischen Anstich.

30.01.

FAMILIENMENSCH

Frauen trinken weniger Bier, weil sie so den CO2 Fußabdruck der Familie verringern können.

31.01.

WAS IST GOSE?

Faulheit und Dummheit sind Ursache dafür, dass wir auf Marketingsprech hereinfallen. Zum Thema Aufklärung gehört auch die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortung.

1. Nachschlagen, was Gose eigentlich ist. Der Bierstil kommt wohl aus Goslar und ist nach dem Flüsschen Gose benannt. Früher war dieses Bier, wie alle Biere im Mittelalter, eine Spontangärung. Heute wird obergärige Hefe genommen, die meistens mit einer bakteriellen Milchsäuregärung einhergeht.

2. Koriander und Salz gehören in die Gose? Man weiß, dass Koriander sich erst im 15. Jahrhundert über Nordeuropa ausbreitete. In Großbritannien wurde Koriander zum ersten Mal 1066 erwähnt. Goslar wird schriftlich erwähnt 979; die Zeit von Otto II. Der Harz war schon während der Römerzeit ein begehrtes Erzabbaugebiet.

3. Wann war die Römerzeit? 7. Jahrhundert v. Chr. bis 8. Jahrhundert n. Chr.

4. Schlussfolgerung: Unwahrscheinlich, dass im Frühen Mittelalter (500 - 1050) die Gose schon mit Koriander gemacht wurde. Es könnte jedoch sein, dass mit der Kaiserpfalz auch neue Gewürze nach Goslar kamen. Das wäre dann so um 1050 gewesen.

5. Was war noch die Kaiserpfalz? Irgendwas mit deutsch-römischen Kaisern und Königen. Frage wird zurückgestellt.

6. Mit andern forschen. Wir kommen ins Grübeln, wann wohl das Salz dazugekommen sein könnte, und der Brauer meint, dass vielleicht das Brauwasser an sich zu den damaligen Zeiten salziger war. Der Hobbyhistoriker widerspricht dieser Theorie vehement.

8. Andere fragen. Vielleicht weiß ja jemand von den Lesern mehr dazu. Wer selbstbestimmt und verantwortungsbewusst Bier genießen will, hat keine Langeweile: Aufklärung ist die Maxime, selber zu denken.

Unser täglich Bier gib uns heute

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