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FEBRUAR

01.02.

AN DEN UFERN

des Mariagerfjords sitzt der alte Mann und wirft kleine Kieselsteinchen ins Wasser, manchmal nacheinander, manchmal gleichzeitig.

Stunde um Stunde.

Er scheint glücklich zu sein. Auf die persönliche Frage, warum er das mache, antwortet er:

Ich bin eine alte, doofe Däne. Als ich zwanzig war, stand ich schon mal genau hier und habe wütend Steine auf’s Wasser geschmettert. Jene kleine Insel habe ich damals geworfen. Ich war damals als Videohändler pleite und wusste nicht, was ich machen solle.

Als ich mich abreagiert hatte, warf ich vorsichtig kleine Steinchen und sah, dass sie viel interessanter sind, weil auch sie Wellen verursachen und manchmal sind es sogar große Wellen, die sehr weit getragen werden.

Jetzt sitze ich hier und denke über mein Leben nach. Bier nach Deutschland zu exportieren, war ein kleines Steinchen. Heute sind unsere Biere in vielen deutschen Geschäften und Bars. Angefangen hat es mit einem ganz kleinen Laden und einer verrückten Frau.

Heute werfen wir als Unternehmen in viele Länder Steinchen, und wir sind viele, die die jeweilige Welle beobachten müssen.

Das ist stressig. Vor 10 Jahren war unser Leben freudiger.

02.02.

DEUTSCHLAND IST BIERLAND NUMMER 1

Deutschland ist Bierland Nummer 1. Behauptet eigentlich jeder deutsche Bierdimpfl, und zwar nicht nur am Stammtisch, sondern leider auch, wenn er international unterwegs ist.

Oh, und wie recht er dann immer hat …

„Wir sind die größten Biertrinker der Welt!“ Aber im Pro-Kopf-Bierkonsum schlägt uns Tschechien um Längen. Österreich übrigens mittlerweile auch …

„Wir haben die meisten Brauereien!“ Nun ja, außer den Vereinigten Staaten und Großbritannien, bald auch Italien.

„Aber die meisten Brauereien pro Kopf!“ Tja, in der Anzahl der Brauereien pro Einwohner schlägt uns nicht nur die Schweiz, sondern beispielsweise auch Liechtenstein.

„Wir produzieren am meisten Bier.“ Wenn man China nicht mitrechnet, stimmt es trotzdem noch nicht.

„Wir haben die beste Bierkultur der Welt!“ Deswegen wurde ja auch die belgische Bierkultur als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt, nicht die deutsche.

„Wir haben die meisten Bierstile!“ Oh, ja, Helles, Dunkles, Weizen und Pils. Oder war da noch was? Ich frag mal den Uitbater meines belgischen Lieblingscafés, was er dazu sagt.

„Aber die beste Zapfkultur!“ Natürlich, wenn man abgestandenes und warm gewordenes Sieben-Minuten-Pils mag.

„Haben wir denn die größten Brauereien?“ Auch, wenn die Fragen jetzt vorsichtiger werden, aber: Nein! Bei weitem nicht. Selbst Oettinger ist nur ein Kleinbetrieb im internationalen Vergleich!

„Können wir uns wenigstens darauf einigen, dass unsere Brauereikultur national ist?“ Beck’s gehört AB InBev, Franziskaner, Diebels, Löwenbräu, Spaten auch.

Aber Paulaner nicht. Die gehören wie Fürstenberg und Thurn und Taxis in großen Teilen zu Heineken.

„Das Reinheitsgebot?“ Ja, vielleicht ein bisschen. Es gilt immerhin auch in so wichtigen Bierländern wie Griechenland und auf den Seychellen.

„Und was ist dann an uns Bierland Nummer 1?“ Nun, vermutlich nur die große Klappe der Bierdimpfl, wenn sie im Ausland unterwegs sind.

03.02.

ARSCHLOCHFREIE ZONE

Zu meinem 16. Geburtstag schenkten mir meine Eltern eine Party bei uns Zuhause. Nur ich, meine Freunde und Alkohol. Sie selbst verabschiedeten sich für eine Nacht zu Freunden.

Ich freute mich sehr auf die Party und wollte meinen Gästen etwas bieten. Also kaufte ich alle Sorten, die unser lokaler Supermarkt Interkauf zu bieten hatte. Und das waren überraschend viel. Sogar ein Cains Stout in einer Ein-Liter-Dose war dabei. Die Brauerei gehörte zu der Zeit der Faxe Bryggeri.

An die Party erinnere ich mich heute weniger als an die Fragen meiner Eltern am nächsten Tag, warum denn auf dem neuen Teppich auf der Treppe eine Tube Uhu verteilt war und wer zum Geier mit Lippenstift an die Wand in der Toilette gemalt hat. Geblieben ist in jedem Fall meine Liebe zum Bier in seiner unglaublichen vielfalt.

Heute arbeite ich als Chefredakteur bei Bier und Brauhaus, dem ältesten deutschen Biermagazin. Dabei habe ich viele Menschen kennengelernt, die mit sehr viel Leidenschaft diese Vielfalt ermöglichen – und seit einiger Zeit auch viele, die die Vielfalt mit viel Leidenschaft erklären: vom Hopfenbauern über die Brauer bis zu den Biersommeliers.

Manchmal frage ich mich dabei, warum sich die Liebe zum Bier nicht abnutzt und ich heute noch mit ebenso leuchtenden Augen vor vollen Bierregalen stehe wie mit 16 Jahren. In jedem Fall glaube ich, dass diese Liebe zum Bier dafür sorgt, dass die Bierbranche eine ziemlich arschlochfreie Zone geblieben ist. Ein paar Protagonisten aus dieser Zone möchte ich in diesem tollen Buch vorstellen.

04.02.

LENNARTS ECK

Aus Ilse wurde Lennart. Und Lennart fand uns cool.

„Ein bisschen rott passt zu Clean Chic“, sagte er.

Die holzvertäfelten Wände blieben, die tiefergehängte Zwischendecke verschwand. Mit ihr und Ilses Vorhängen der Zigarettengeruch von fast fünf Jahrzehnten. Wir blieben. Ilses zwei Zapfhähne nicht.

Jetzt sind es zehn. Blank poliert. „Das schreit nach Tap-Takeover“, prophezeite Lennart beim Einbau.

Wir sechs sind jetzt in die Jahre gekommenes Sitz-Plateau für gutaussehende Gäste. Für bärtige Männer mit großen Brillen und Frauen mit Dutt. Der tiefrote Lippenstift sitzt. Die Maurerknolle ist weg. Es gibt viele Biere, aber keins läuft mehr an unseren hölzernen Beinen hinunter. Man wählt mit viel Bedacht. Nicht mit Durst oder Einsamkeit. Man trinkt es aus bauchigen Gläsern mit Stil. Der Lippenstiftabdruck umschließt den Glasrand. Man doziert, man fachsimpelt. Man findet schöne Worte. Manchmal sitzt ein stiller Gast auf meiner Sitzfläche. Nimmt das Bier entgegen, das nun andere Namen trägt. Frisch gezapft. Es nennt sich Westküsten IPA, oder auch mal Sour, mal Baltic Porter. Der Gast guckt scheinbar verträumt ins Glas, hält das Glas vor Ilses Tresenleuchte. Nach dem ersten Schluck sieht er zufrieden aus, nach dem zweiten strahlt er. Er sitzt allein, seine Beine ruhen auf

meiner Querstrebe.

Und er genießt. Und schweigt.

05.02.

ZWINGENDES WISSEN

Wie schön man sich vom Nebentisch aus über den Weintrinker lustig machen konnte! Jahrzehntelang machte dieser seine Flüssigkeitszufuhr zum dominanten Thema einer Bestellung. Er legte beim Blick in die Weinkarte die Stirn in Falten, wählte die Farbe seines Getränks und entschied sich für einen Kontinent,

ein Land,

eine Region,

eine Traubensorte,

einen Winzer,

einen Jahrgang.

Er evaluierte die geografische Ausrichtung des Weinbergs, die Geologie des Untergrunds, das Alter der Weinstöcke. Zu klären hatte er die Frage nach Barrique. Und damit jeder mitbekam, mit wie viel zwingendem Wissen fortgeschrittener Konsum von Wein einhergeht, stellten Gourmetrestaurants ihren Gästen einen Sommelier zur Verfügung. So ließen sich alle Aspekte im Experten-Talk erläutern: Körper, Tannine, Textur.

Dem gemeinen Biertrinker war all diese Affigkeit fremd. Bestellte er ein Getränk, ging es schnell. Pils oder Weizen. Groß oder klein. Flasche oder Zapfhahn. Doch seit die Mengen der getrunkenen Kreativbiere Relevanz erreicht haben, beobachtet der Biertrinker an sich wunderliche Dinge. Er erkundigt sich nach der Bierkarte. Darauf finden sich

Kontinente,

Länder,

Erzeuger,

Bierstile,

Malzsorten,

Hopfensorten.

Mitunter Jahrgänge und lateinische Namen von Hefen. Da kommt auch schon der Biersommelier und will übers Terroir reden.

06.02.

DIE BIERTRINKERIN

ist von edlem Gemüt und gemeinhin dafür bekannt, sich unter vielen Optionen stets für die klügste zu entscheiden. Sie ist genügsam, aber niemals geizig und legt keinen Wert auf Statussymbole.

Die Biertrinkerin spricht stets in angemessener Lautstärke und weder zu schnell, noch zu langsam. Sie hat einen strammen Bizeps und zarte Gesichtszüge, ihr Haar ist voll und geschmeidig. In politischen Fragen zeichnet sich die Biertrinkerin durch eine konsequente und wohlüberlegte Haltung aus, bleibt dabei jedoch immer differenziert und fair gegenüber ihren Gesprächspartnern. Als Gastgeberin glänzt sie mit Großzügigkeit und einem erlesenen Musikgeschmack. Im Gegenzug ist sie selbst ein gern gesehener Gast, sowohl bei formellen Anlässen als auch im intimen Bekanntenkreis. Die Biertrinkerin verfügt über einen ausgezeichneten Humor. Sie weiß zielsicher, wie weit sie bei ihrem Publikum gehen kann und schweift nie ins Plumpe ab. Generell ist die Biertrinkerin eine wichtige Stütze der Gesellschaft. Wir alle dürfen und sollten uns ein Beispiel an ihr nehmen.

▲ alle anderen Geschlechter sind mitgemeint

07.02.

TITTIES & BIER 2

Die Idee für die Zeitschrift fermentiert knapp eine Woche. Dann beraume ich eine Redaktionssitzung ein. 30 Grad im Schatten. Ich bestelle die Craft-Bier-Vertreterin Amy, den jungen Gastronomen Jäger und die designierte Chefredakteurin in meiner Person ins klimatisierte Karstadt-Restaurant, wo es kühl genug ist.

„Titties & Bier“ soll zu einem spritzigen Konzept heranreifen. Jäger prescht vor: „Die Zeitschrift muss vor allem Stilratgeber sein. Die Leute können Helles nicht von Pils unterscheiden.“ Amy: „Überflüssig. Das kann man googeln. Oder hat deine Kneipe kein WLAN?“ Jäger dreht sich genervt weg: „Meine Gäste sollen sich mit Bier beschäftigen, nicht mit dem Smartphone.“

Ich schalte mich ein: „Stilratgeber find ich gut“, sage ich, „aber wir müssen das kreativ angehen.“ Die beiden verdrehen die Augen. Craft-Brauer, setze ich fort, hätten beispielsweise wenig Stilgefühl. Amy zustimmend: „Alle tragen Bart, Bauch, Schlabber-Jeans, Sneakers.“ Ich: „Und halten das für individuell.“ Jäger, der auf seine Figur achtet und seit Kurzem gestylte Koteletten trägt, gedankenverloren:

„Bart und Bauch lassen sich trimmen .“

Wir brainstormen über ideale Brauerkleidung: funktional und trotzdem schick! „Lasst uns eine Vorher-Nachher-Rubrik machen“, bestimme ich, „Motto: Titties & Bier machen Brauer schön.“ Jäger skeptisch: „Da findste doch keinen.“ Amy, die sich in Amerika mit „Gender Studies“ beschäftigt hat: „Wie wär’s mit einer Reportage über Craft-Bier als Ausstiegsszenario aus männlicher Konditionierung?“ Jäger schüttelt den Kopf, zieht frustriert ab. Ich hole zwei Raging Bitch aus meiner Kühltasche.

Prost, Amy! Prost, Sylvia! Auf mehr Eros im Bier!

08.02.

DR. GRÜNDELSTETT ÜBER DAS PILS

Als wir mit Dr. Gründelstett einstmals vor einem altehrwürdigen Fachwerkhaus einer altehrwürdigen Rauchbierbrauerei zu stehen kamen, hob er mit der ihm eigenen hohen Stimme zu einem seiner berüchtigten Vorträge an.

Es sei, näselte er und rückte seine Nickelbrille zurecht, freilich abgedroschen, alles mit der ersten Liebe zu vergleichen. Aber im Falle des ersten Rauchbiers dränge sich der Vergleich zu den ersten romantischen Geh- und Stehversuchen nachgerade auf. Denn hier wie da verliere man quasi eine Art der Jungfräulichkeit, die sich nicht wieder herstellen lasse. Deshalb sollte niemand unvorbereitet, sozusagen unaufgeklärt, sein erstes Mal begehen.

Und auch beim Rauchbier könne es vorkommen, dass der erste Genuss nicht nur überwältigende Freude mit sich bringe. Das erste Rauchbier, so dozierte er lautstark weiter, fordere einen, überwältige den Gaumen mit seinem Aroma, das nur von Banausen mit einer öligen Schinkigkeit verglichen werde. Im Gegenteil sei es ein vielschichtiger Genuss, den man sich erst ertrinken müsse. Denn wie beim Liebesspiel werde man feststellen, dass beim Rauchbier die Übung den Genuss vervielfältige. Und habe man sich dann gänzlich ins Rauchbier verliebt, verbrächte man nicht weniger Zeit in der Brauerei als mit seiner angetrauten Gattin. Wo aber das geliebte Rauchbier fehle, könne ein dem Liebeskummer nicht unähnlicher Trennungsschmerz entstehen!

In dem Moment zog mich ein Einheimischer am Arm und stellte mit nicht unsympathisch bierschwerer Zunge fest: „Des mit dem Bier is sogar viel besser als mit den Frauen! Zwölf Weiber an einem Abend könnt ich mir doch gar net leisten!“

09.02.

KEINE ZUKUNFT FÜR DAS BIER

Liebe Leute, glaubt es mir:

Ich sehe keine Zukunft für das Bier.

Ich sehe wirklich schwarz für das Getränk.

Jetzt achtet nur mal auf mein Handgelenk!

Schon geht das volle Glas zum Mund,

schon stürzt das Herbe in den Schlund.

Zwei Schluck, drei Schluck, vielleicht auch vier –

dann war’s das auch schon mit dem Bier.

So hopfend und so herb, so schäumend und so schön,

ach, bitte jetzt – wie könnte man da widerstehn?

Am besten: Stellt mir schnell ein neues hin, gleich hier.

Und ich will sehen, was ich tun kann – für die Zukunft von dem Bier

10.02.

BIER ZUM GLÜCK

Schreiben über Bier ist eine schöne Kunst. Gelegentlich eine brotlose, man wird mit Bier entlohnt. Das trinkt man, während man darüber schreibt. Das ist dann ein Kreislauf. Der ist OK, nur das Konto meckert manchmal. Die Leber nicht. Das ist die Hauptsache.

Wenn Schreiben über Bier bezahlt wird, freut sich der Autor nicht minder. Er nimmt dann das Geld und kauft Bier. Das trinkt er dann, während er darüber schreibt.

Bierautoren sind seltsame Menschen. Aber glückliche.

11.02.

EISBOCK

Das Bier fließt in das bauchige Glas. Ein erstes Schnuppern offenbart seine Aromenvielfalt. Der Kenner erfreut sich am rubinroten Schimmer, schwenkt das Glas und betrachtet die feinen Schlieren, die sich bilden.

„Ein Eisbock?“, fragt er mit wissender Miene.

Ich nicke.

Er nimmt einen Schluck, lässt ihn über die Zunge rinnen und schmeckt einen Moment dem Bier hinterher. Er nickt anerkennend. „Ein großes Bier. Vorzüglich! Aus welcher Brauerei ist es?“

„Das ist selbstgemacht“, lautet die Antwort.

„Selbstgemacht?“ Der Kenner schaut zweifelnd.

„Ganz einfach: Ich friere einen Liter Bockbier im Tiefkühlfach ein, und anschließend lasse ich bei Zimmertemperatur den Extrakt aus dem Eis heraustropfen, bis ich etwa 200 ml beisammen habe.“

„Ach!“ Der Kenner schaut verwundert. „Und dafür gibt es bestimmt eine Apparatur?“

„Nö“, antworte ich. „Ich nehme einfach eine PET-Flasche, eine simple Wasserflasche.“

Angewidert lässt der Kenner das Glas fallen. Der Eisbock fließt über den Tisch. „Eine Plastikflasche? Widerlich. Ich wusste es, habe das Vinyl ja schon geschmeckt. Igitt! Wollen Sie mich etwa vergiften?“

Entrüstet tritt er ab. Die Tür knallt zu, und in der kleinen Karaffe kräuseln sich zarte Wellen im Rest des ach so vorzüglichen Eisbocks …

12.02.

DER KÖLSCHKONVENT

— wirklich wichtig oder vielmehr Kölscher Klüngel?

Wie kam es eigentlich zum Kölschkonvent? Dafür werfen wir einen Blick über Kölsche Stadtgrenzen hinaus nach Wuppertal.

Hier brachte die Wicküler Brauerei in den frühen 60er Jahren — also lange vor dem Erlass des Kölschkonvents — ein Kölsch heraus und füllte es unter dem klangvollen Namen ,Küppers’ in Flaschen. Diese wurden dann von Wuppertal nach Köln gebracht und dort sehr erfolgreich vermarktet.

In Köln wurde Kölsch zu dieser Zeit nur in Hausbrauereien und zudem nur als Fassbier hergestellt, das dann den klangvollen Namen Pittermännchen erhielt und bis heute so heißt.

Zurück zum Kölsch der Wuppertaler: Da der Erfolg von Wicküler den Kölner Brauereien so gar nicht mundete, stoppten sie den Eindringling aus dem Bergischen Land mit einer einstweiligen Verfügung. Ihr Argument lautete: Kölsch ist eine Herkunftsbezeichnung und darf deshalb selbstredend nicht aus Wuppertal kommen.

Doch die damals finanzstarke Brauerei Wicküler störte die Verfügung nicht sonderlich, sie nahm diese zum Anlass, in Rekordzeit im Kölner Stadtteil Bayental eine moderne Brauerei mit dem Potential von mehr als 1 Million Hektoliter pro Jahr zu errichten.

So wurde Köln weiterhin mit Küppers in Flaschen überschwemmt und folglich mussten auch die anderen Kölner Brauereien mit flaschenabgefülltem Kölsch nachziehen.

In den 80er Jahren endlich formulierte der Kölner Brauereiverband den Kölschkonvent. Hierin wurde das Kölsch — dem damaligen Zeitgeist entsprechend — als hell und gefiltert definiert. Kein ganz unbekanntes Phänomen, wenn wir die vielen Lagerbiere dieser Zeit betrachten …

13.02.

DAS LÄCHELN VON ELISABETH

„Kind, sprich ned so affektiert. Sag’s richtig. Dass ma di verstehn. Was is dir vorhin weggflogn?“

„Mei Brachdbabbagei!“ „Allmächd!“ „Brauchsd ned weina.“ Fünf Finger legten sich dort ab, wo sie einem kleinen Mädchen am allerlästigsten sind, in seinem Haar, und kraulten dort, vollzogen Kreisbewegungen, minimale, die aber reichten, dass sich da was Blondes zu Strähnen verpappte und es ziepte.

Ich kannte das. Von früher. Ich wusste schon, warum ich mich vor 30 Jahren fortgemacht hatte. Aus diesem Landstrich. Wo sie mit jedem Atemzug dafür sorgen, dass die Luft nach Bier riecht. Als würden sie mit jedes Mal den Pumphebel eines Raumsprays betätigten. Hier drinnen emittierte obendrein noch immer Nikotin. Obwohl das Rauchverbot schon vor Jahren in Kraft getreten war.

„Elma, hasd nu a Daschnduch für die Klanaa, bringst ans mid“, gellte es Richtung Theke. Ich nickte, als Elmar kurz zu mir herüber sah, ein Fragezeichen im Gesicht. Weil mein Sitzplatz auf seinem Weg lag, bekam ich als erster. Als Elmar dann bei ihnen drüben ankam, lösten sich die Finger aus den Haaren der Kleinen. „Der kommt glei wieder“, tröstete er seine Enkelin.

Brav legte Elisabeth auf jeder Seite ihres Glases eine Hand an, ihre Patschen waren ja noch klein. Souverän und sicher hob sie ihren zweiten Fastenbock des Tages an, um, wie sie es gelernt hatte, aus dem oberen Rand des Glases und den Lippen eine Rinne zu formen, damit ihr ein tropffreies Umfüllen möglich war. „Und? Spürst es scho? Tut's fladdern?“ Elisabeth strahlte. Bis über beide Ohren. „Ja, Großbaba, jetzt issa wieda da.“

14.02.

DAS HOHE LIED DER BIERLIEBE

S: Thomas!

S: Würdest du eine Frau daten, die kein Bier trinkt?

T: ???

S: Hab gerade ne Freundin getroffen und mir ist rausgerutscht, dass ich ihr neues Date unsympathisch und sonderbar finde.

S: Der trinkt kein Bier. Mit dem stimmt doch was nicht. Totales Alarmsignal, oder?

T: Das ist in der Tat sehr sonderbar. Was trinkt er denn?

S: Weißweinschorle.

S: Und Tee.

T: Oha!

T: Du meinst aber nicht Britta, oder?

S: Doch …

T: Die Biersommelière-Britta …?!

S: Gerade die!

T: Heftig!

T: Was macht sie dann abends mit dem?

T: Also, nicht zu Hause … Aber worüber schnacken die denn? Und in welche Bar gehen die zusammen?

S: Weißweinschorle kriegt man ja zum Glück in jedem Restaurant :-D

S: Ich will das alles gar nicht so genau wissen.

S: Aber ich würde niemals einen Mann daten, der kein Bier trinkt und der eine Bierflasche nicht mitm Feuerzeug öffnen kann …

T: Word!

T: Das gleiche gilt übrigens auch für Frauen!

S: Kann mir vorstellen, dass das so manches Mal ein K.o.-Kriterium ist, oder? Ich muss zugeben, ich bin selbst nicht die talentierteste Bierflaschenöffnerin.

S: Auch wenn ich groß rumtöne, dass man ja ne Flasche auch locker mitm Knie aufkriegt. Aber sag das bitte niemandem …

T: Mit dem Knie? Noch nie gesehen! Mit dem Auge: ja, Knie: noch nie. Musst du mir mal zeigen. Oder wir üben gemeinsam.

T: Aber ehrlich gesagt …

T: Hauptsache sie trinkt Bier. Das Talent, die Korken locker durch die Luft springen zu lassen, wäre aber ein Extrapunkt und absoluter Coolness-Faktor.

T: Aber sag, würdest du eigentlich auch einen Mann daten, der nur Industriebier trinkt und sich von dir nicht zu anderen Bieren verführen lassen will?

S: Ach, tatsächlich bin ich da entspannt. Es sei denn, es ist Industrie-Weizen. Da bin ich etwas eigen …

S: Mal wieder

T: Erzähl!

S: Ach, das ist jetzt womöglich total Banane …

S: Also meine Abneigung gegen Industrie - Weizen-Trinker.

S: Aber das Zeug duftet 3 Meter gegen den Wind nach Banane.

S: So riecht doch kein Bier …

T: Wie gut, dass das nicht auch für das gelegentliche Biertrinken gilt!

T: Ich trink sehr gerne mal ein Weizen — und finde einige der Großen sehr lecker.

T: Aber das beste Weizenbier gibt es in Danzig im PG4! Unbedingte Urlaubs- und Bierempfehlung!

T: Was mir jede noch so hübsche und herzliche Frau zerstört, ist eine Zuneigung zu künstlich schmeckenden Biermischgetränken. Geht gar nicht!

S: Bei Hitze find ich n Alster vollkommen legitim!

S: Thomas???

S: Komm, so schlimm ist das Geständnis nun auch nicht.

S: Lass uns das später beim Bier bequatschen, ja? Ich lass auch nix reinmischen … Entscheide schnell, Akku ist gleich leer.

T: Was für ein Geständnis denn bitteschön?! Das war ne reine Ansage! ;-)

T: Für Hitze gibt es doch tolle Session-Biere und die leichten Sauerbiere wie Berliner Weisse!

S: Klar, aber manchmal hab ich echt Durst auf n eiskaltes Alster!

T: Aber ein Alster ist auch voll ok, da gibt es wesentlich schlimmere Varianten, alle schon fertig in der Flasche gemischt.

T: Aber für ein Bier bin ich trotzdem immer zu haben! Um 20h am Tresen?

T: Und bring am besten Britta und ihr Date mit. Ich bin mir sicher, der hat einfach nur noch nicht das richtige Bier für sich entdeckt!

S: Hammer-Idee! Bis später

15.02.

ATHEN

Griechenland – ein Traumland für Schlemmer und Genießer. Eine wunderbare und vielfältige Küche. In den kleinen Gassen Athens findet man kulinarische Überraschungen, dazu den passenden Wein und verschiedenste Destillate, die das Mahl krönen. Bier spielt dabei keine Rolle. Höchstens als Einlaufbier, um die vom Straßenstaub belegte Zunge für spannende Geschmäcker frei zu spülen. Welche Marke es ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle: Amstel? Heineken? Alfa? Egal!

Doch langsam ändert sich dies. Restaurants machen sich Gedanken, wie sie den Gast mit spannenden Biersorten überraschen können, und es entstehen Bierbars mit einem Dutzend Zapfhähnen und einem Kühlschrank voller verschiedener Biere. Die Neugier auf neue Geschmäcker steigt.

Am Anfang der Bewegung standen deutsche und englische Touristen, die auch fern der Heimat ihr vertrautes Getränk haben wollten, und Namen wie Bock Bier Restaurant oder Molly Malones bedienen ihre Erwartungen. Aber Löwenbräu und Guinness sind nicht der Weisheit letzter Schluss.

Im Athena’s Cook machen große Regale mit endlosen Reihen von Bierflaschen klar, dass das empfohlene Getränk zum Mahl hier nicht der Wein ist. Moderne Küche, sechs verschiedene Biere vom Fass und viele, viele Biere aus der Flasche. Belgische Spezialitäten, deutsche Biere, englische Ales und … griechisches Craftbier. Kleine Brauereien aus der griechischen Provinz etablieren sich, und wer ein Septem aus Orologio oder ein Voreia aus Serres trinkt, wird nicht enttäuscht.

Ähnlich das Konzept im Hops Beer and Burgers. Der Name ist Programm. Junge Küche, gute Fleischklopse, viele Biere. Ein leckeres Witbier aus der Brauerei Volkan von der Insel Santorini gefällig? Lieber ein Ali aus Thessaloniki? Oder ein Chios von der gleichnamigen Insel?

Wer gar nicht viel essen möchte, sondern von vornherein nur auf das Bier aus ist, geht in’s Barley Cargo. Sechs Reihen Holzkisten, auf die Seite gelegt und gestapelt, zwölf Spalten lang, mit Bierflaschen gefüllt und mit weißen und blauen LEDs cool angestrahlt. Auf Fässern oder Kisten sitzt man an niedrigen Tischen, oder man stellt sich an die Bar mit der langen Reihe von Zapfhähnen. Die Jungs und Mädels hinter der Theke sind hilfsbereit, sie unterstützen gerne bei der Auswahl — wer kennt sich schließlich in der jungen griechischen Craftbierszene schon aus? Wer möchte, kann das Bier auch mitnehmen. Ruckzuck ist ein großer Karton gefüllt und unter den Arm geklemmt.

Zentraler Ankerpunkt am Abend ist die Bar Beer Time am Iroon-Platz. Junge Damen und Herren sausen bis in den frühen Morgen mit Tabletts durch die Bar und über die Straße zu den Sitzgruppen in der Platzmitte. Bunte Flaschenetiketten zeugen von griechischem Craftbier aus Korfu oder Sparta.

Bereits mittags um eins, für Athener Verhältnisse also früh am Morgen, offeriert der English Pub The Lazy Bulldog alles, was das Herz begehrt: Deftiges Pub Food, klassisch-englische Pub-Atmosphäre und eine große Auswahl an Fassbieren. Englische, deutsche und viele griechische Biere von kleinen Brauern. Ganz besonders: Biere der Marke Noctua. Noctua, der Steinkauz, das Wappentier Athens — gleichzeitig der Name der ersten und (noch) einzigen Craftbrauerei im Herzen Athens, nur drei Minuten zu Fuß entfernt.

Eine weitere Brauerei findet man im Norden der Stadt: The Local Pub. Vor‘m Eingang sitzt die Jugend am Stadtbrunnen und auf Bänken rundherum und verwandelt den Platz in ein Open-Air Bierfestival.

Es tut sich also was in Griechenland. Nicht mehr nur kleine Wassergläser mit Industriebier als nebensächlicher Durstlöscher, sondern mehr und mehr Genussbiere zum Essen oder anstatt.

16.02.

EIN WINTERMORGEN (LIMERICK)

Ist’s morgens im Winter noch sehr dunkel,

prahlt der Himmel mit Sternengefunkel,

dann denk ich: „Wie nett,

wär jetzt so im Bett

ein Gläschen mit Kupferkarfunkel.“

„Ein Gerstensäftchen am Morgen,

vertreibt doch bekanntlich die Sorgen,“

hab ich mir gedacht

und fröhlich gelacht,

und fühl mich im Dunkeln geborgen.

Jedoch, mir wird flau, ich werd’ fahl,

hab ich doch die Qual jetzt der Wahl.

Was schenk ich mir ein?

Was soll’s denn nur sein?

Was nehm‘ ich als Flüssigkeitsstrahl?

Ich schrei laut: „Die Lösung , hurra,

ein Schwarzbier, ein Bock, Stout und ja,

ein Trappist noch und ein

gereifter Barley Wine,

ein perfekter Morgen ist da!“

17.02.

BIER IST FÜR ALLE DA

Ein altehrwürdiges Café in Brüssel. Eine Gesellschaft älterer Damen — ondulierte Haare mit Blauspülung, feiner Zwirn. Sie erzählen sich Geschichten, lachen, verbringen einen netten Nachmittag miteinander. Jede hält ein anderes, schönes Glas Bier in der Hand. Versetzte man die Gesellschaft an die Spree, säßen die Damen im alten Café Kranzler am Ku’damm bei Schwarzwälder Kirschtorte und Kaffee.

Ein Bauernhof in Flämisch Brabant. Es wird allerlei angebaut und Bier gebraut. Aus der eigenen Gerste und mit allem, was das Land sonst noch hergibt. Müde Nachbarn, auch Bauern, kommen nach einem harten Tag auf ein Bier vorbei. Sie tauschen sich aus, wie die Ernte gerade läuft, wie es den Kindern geht.

London, Shoreditch. Pub an der Ecke. Morty, der alte Pub-Kater, hält Audienz auf seinem Barhocker. Hippes Jungvolk an den Tischen. Ältere Herrschaften an der Bar. Familien mit Kindern auf der Couch. Nachbarn.

… Bier verbindet. Woher die Menschen auch kommen, wohin sie auch gehen. Bei einem gemeinsamen Bier finden sie zusammen.

18.02.

DOKTOR DEINZER

Doktor Deinzer war der beliebteste Dozent an der ganzen Uni. Ich weiß gar nicht mehr, worin er uns unterrichtete – Chemie?

Infektionskrankheiten? Spektakel? Er ist mir nur wegen eines Kunststückes in Erinnerung geblieben, mit dem er am Ende jeder seiner Vorlesungen uns Studenten in den Tag entließ. Hierfür brachte ein Assistent ein frisch eingeschenktes Glas Kristallweizen zum Katheder.

Am Boden des Glases lag ein Reiskorn, von dem ein ununterbrochener Strom Bläschen aufstieg. „Seien Sie vorsichtig“, verkündete Dr. Deinzer, „es bedarf großer Übung, Schaum zu speien.“

Woraufhin er das charakteristisch geformte Weizenglas in einem Zug austrank und derweil nicht unterließ, das Reiskorn zu schlucken. Er grinste zwei oder drei Mal, dann öffnete er den Mund und spie Schaum. Gewaltige Mengen Schaum. So gewaltig, dass stets der nervenschwächste Student in den Rängen nach vorne rief: „Eine Frage Herr Doktor, nur zu meinem Verständnis: Wann hört das wieder auf?“ Anstelle einer Antwort grinste Deinzer nur noch mehr und spie weiter Schaum. Als er endlich damit aufhörte, brandete gewaltiger Applaus auf und Deinzer verbeugte sich. Ach! Welch liebliche Erinnerung an die süßen Zeiten des Studiums!

In den 1980ern, als Kristallweizen DAS Ding war. Und als auch noch nicht in jeder Ecke ein doofer Feuerlöscher stand, so dass es beruhigend war, einen Doktor Deinzer im Raum zu wissen. Falls halt doch einmal Feuer ausbrach. Denn geraucht wurde ja in dem Hörsaal, dass es nicht mehr feierlich war.

19.02.

WARUM DAS BIER SCHON VOR DEM TRINKEN IM KOPF IST ODER

VOM WERT DES IMMATERIELLEN

Normalerweise klagt man erst am Morgen danach über den Brummschädel. Doch genau genommen raucht der Kopf schon lange vor dem Biergenuss. Jedenfalls bei denen, die das Bier ursprünglich mal ersonnen haben. Bis alles beim Bier perfekt ist und es wirklich gut schmeckt, kann es eine Weile dauern. Da müssen die richtigen Zutaten gefunden werden, die passende Dosierung und Kombination. Da wird mit der Temperatur gespielt und immer viel Geduld aufgebracht. Der Biersud, also der gesamte Vorgang des Bierbrauens inklusive Kochen, Gären und Reifen, braucht Tage,

Wochen, Monate — wenn man auch die Kopfarbeit berücksichtigt. Rezepte und Alternativen bei den Zutaten wollen immer wieder neu durchdacht werden, bis am Ende dieser unverwechselbare Geschmack entsteht.

Einem Außenstehenden ist der immense Aufwand oft nicht klar. Woher auch, wenn man nicht vom Fach ist. Der geistige Überbau eines Produktes oder einer Dienstleistung erschließt sich nicht automatisch. Was also tun? Darüber reden, reden und nochmals reden! Und genau das machen die Bierbrauer: Sie schreiben über ihr Tüfteln und Ausprobieren, lassen sich beim Experimentieren über die Schulter und in die Kessel schauen, geben Interviews und erklären ihr Tun immer wieder aufs Neue. Auch, warum handwerklich gebrautes Bier mehr kostet als Mainstream-Bier. Was Zeit und wertvolle, natürliche Zutaten braucht, hat seinen Preis. Das leuchtet jedem ein. Dennoch müssen Verbraucher und Kundschaft aufgeklärt und informiert sein. Die Bierbrauer tun es. Davon können auch andere Berufe und „Gewerke“ lernen. Alle jene, die ebenfalls lange Denk- und Entwicklungsprozesse durchlaufen, bevor das Endprodukt steht: Künstler und Kreative etwa. „Die Wurzel alles Materiellen liegt im Immateriellen.“ — hat ein unbekannter Denker mal gesagt. Recht hat er. Nur muss man das unsichtbare Immaterielle irgendwie sichtbar machen.

20.02.

LIEB LINGS FILM

„Welche Nationalität haben Sie?“

Ich bin Trinker

Antwortet Humphrey Bogart als Rick

Casablanca

Im Film trinkt Rick Champagner-Cocktails

Privat trank Bogart Whisky und Martinis

„Scotch ist ein sehr wertvoller Teil meines Lebens“, erklärte er

Bogart war klein

Ingrid Bergmann war schön

Und größer

Und er schaute ihr in die Augen und sagte:

„Ich schau dir in die Augen, Kleines“

„Here’s looking at you, kid“

Damit es funktionierte, musste er auf einer Kiste stehen

So wurde er größer

Vielleicht war es ein Bierkasten.

Groß, blond, blaue Augen,

Norddeutscher, E-Gitarrist.

Er kommt regelmäßig in den

Laden. Sein Übungsbunker

ist um die Ecke.

Ansonsten würde er seltener

kommen. Er kommt aus

der holsteinischen Pampa.

Er ist nett und heißt Jens.

Viele heißen Jens, viele Jens

kommen aus Schleswig-

Holstein, also bekommt er

den Namen: Der mit der

blauen Kiste.

So eine blaue Kiste trägt er

nämlich immer bei sich und

er sammelt so lange, bis sie

randvoll ist. Jens schnackt

nicht viel, aber nett ist er.

21.02.

EIN AUTHENTISCHES BIER

Eines Tages kommt er mit einer vollen Kiste in den Laden, eine Kiste Selbstgebrautes. Er braut schon seit Jahren und nun dürfen wir kosten. An diesem Tag redet er mehr, bestimmt 100 Wörter sagt er:

„Hier, das ist mein frisches hanf- und hopfengestopftes Bier. Der Hopfen, Cascade, trägt in diesem Jahr schon richtig gut.“

„Und der Hanf? Woher kommt der?“ „Den baut mein Bruder an.“ „Wie? Ist das etwa so richtiger Hanf?“

„Bei uns wird nur mit echten Zutaten gebraut!“

Ein göttlicher Tropfen, aber ohne jegliche Rauscherscheinungen. Hopfen gehört zur Familie der Hanfgewächse und blaue Kisten sind gute Kisten.

Jahre später: Manchmal kommt ein blauer Karton per Post und dann weiß ich: Es ist ein authentisches Bier mit nur echten, selbstangebauten Zutaten.

22.02.

ÖKOLOGISCH FRAGWÜRDIGES HOBBY

Denkt man an den ökologischen Fußabdruck beim Bierentdecken, gibt es viele Faktoren, die einem die Freude an einem guten Glas Bier zunichte machen könnten. Die Herstellung von Rohstoffen, der Weg, den diese zurücklegen. Das viele Wasser, das für den Rohstoffanbau notwendig ist. Das viele Wasser zum Putzen, Spülen und nicht zuletzt Brauen. Die Brauanlagen, die massig Energie benötigen. Die Gebindeformen, alle mit ihren Pros und Contras. Die Bewertung dieser, in oftmals von Herstellern beauftragten Studien meist umstritten. Die erhöhte Mobilität der Biere, die eine einfache Bewertung noch schwieriger macht. Die Versuche, das transportierte Gewicht zu minimieren, die oftmals zu Plastik und Aluminium führen. Das schwierige Recycling da, wo es kein Pfand gibt. Und ein Pfandsystem, überkomplex und ausgehungert.

All das sind Punkte, die man nicht vergessen sollte. Doch dabei sollte man auch nicht auf den Genuss vergessen. Am Ende reflektiert es sich nämlich noch immer am besten über einem Glas guten Bieres.

23.02.

UNSER TÄGLICH BIER GIB UNS HEUTE

Unser täglich Bier gib uns heute

so drücken wir die Wertschätzung aus,

die wir für unser flüssiges Brot empfinden.

Wer wertschätzt, der lässt sein.

Lässt den andern sein wie er ist.

Lässt sein Bier sein wie es ist.

Wer wertschätzt, der gibt Freiheit.

Der kämpft für Brau- und Genussfreiheit.

Freiheit ist dynamisch, Freiheit wird gegeben.

Unser täglich Text gib uns heute.

Wie die Brauer so auch die Autoren,

jeder darf schreiben, was er will.

Unser täglich Grafik gib uns heute.

auch die Grafikerin hat die Freiheit,

ihr schönstes Layout zu schaffen.

Wem unser täglich Bier gegeben wird,

der gibt auch ab, der teilt, der gönnt.

Unser täglich Bier gib uns heute und

morgen und so weiter und immerfort.

24.02.

ALLZU OFT

muss die Bierlaune als Rechtfertigung und Ausrede ex post herhalten für die Dinge, die wir nicht zu ernst genommen wissen wollen. Für die Projekte, die nicht ganz zu Ende gedacht waren und deren Scheitern schon von Anfang an vorprogrammiert schien. Bierlaune, das ist die geistige Gemütsverfassung, in der wir uns befinden, wenn das Morgen noch unendlichweit und das sechste oder siebte Bier ganz nah und unmittelbar vor uns auf dem Tresen steht. Was in der Bierlaune erdacht ist, das geht im Nachhinein getrost auch als Quatsch durch. Aber die Bierlaune wäre dialektisch nicht zu Ende gedacht, wenn ihr nicht ein Kern der Genialität, der Schaffenskraft und der Unumgänglichkeit innewohnen würde. Wenn nicht doch fast immer in ihr und durch sie grandiose Ideen das Licht der Welt erblicken, die ganz ernste Dinge nach sich ziehen. Vor dem Hintergrund dessen muss man sich doch ganz schön wundern, wenn jemand nicht zu seiner Bierlaune steht und diese nicht mit breiter Brust selbstbewusst vertritt. Kopfschüttelnd lesen wir deshalb bei „Panorama“, dass Waldemar Hartmann – der Fußball- und Bierfachmann, der Sportreporter und joviale Gesprächskumpel von Trainern und Spielern, der nicht erst nach drei Weizenbier locker wird – dass eben dieser Waldemar Hartmann zu Protokoll gibt, dass er sich nicht „aus einer Bierlaune heraus als Wahlkämpfer für die CDU angeboten“ habe. „Herr Hartmann leg[e] Wert darauf, von einer Agentur angefragt worden zu sein. Daraus habe sich auf Nachfrage der CDU eine weitere Zusammenarbeit entwickelt“. Bei so viel technokratischer Vernünftigkeit kann einem die Bierlaune doch nur vergehen.

25.02.

EINE LEKTION IN DEMUT

„Man findet, was man sucht!“ lautet eine der wichtigsten Erkenntnisse zur Psychologie des Geschmacks. Wer weiß, dass ein Bier ein bestimmtes Aroma haben soll, hat eine signifikant erhöhte Chance, dieses im wilden Mix des Bouquets auch tatsächlich aufzuspüren. Gleiches gilt auch für Qualitäten. Wer also ein Bier probiert, von dem er weiß, dass es zu den besten seiner Art zählt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Bier auch als besonders gut wahrnehmen.

Unser Wissen bestimmt unsere Wahrnehmung — unterbewusst, tiefer, vor allem aber unkontrollierbarer, als es unserer Selbstsicht als rational gesteuertes Wesen recht sein kann. Was auch der Grund dafür ist, dass auf ernst zu nehmenden Wettbewerben die Biere „blind“, also ohne Kenntnis davon, was man gerade vor sich hat, verkostet werden. Es ist die einzige Möglichkeit, zu neutralen und vorurteilsfreien Urteilen zu kommen.

Deshalb sollte jeder ab und an die eigenen Überzeugungen zu Lieblingen und Verhasstem durch Blindproben überprüfen. Wichtig: dabei auch Biere gleichen Stils einzubauen, die man eher geringschätzt (Discounter-Ware, z. B.). Ich garantiere einiges an Überraschung und Verblüffung. Nicht umsonst heißt es bei den Sommeliers: „Blindprobe lehrt Demut!“

26.02.

SINNE

In der Ferne heulte ein Hund, und der Bleistift auf dem Tisch fauchte. Zwei Geräusche, die eigentlich eher zum Abend, zum Dunkel, passten. Und doch hatte der Tag soeben begonnen. Der Mond nicht mehr als eine schwache Sichel gegen eine scharfe Sonnenklinge. Der Ringfinger roch nach Limette. Er leckte ihn ab.

Doch statt Tequila trank er: Ein Rodenbach Vintage 2015.

27.02.

AN DER GETRÄNKEABFÜLLANLAGE

Sein Kopf ist vom Geklirre der Gebinde

so wirr geworden, dass er gar nichts denkt.

Ihm ist, als würd’ er tausend Flaschen waschen,

und dahinter öffne sichkein Firmament.

Harmonisch gleiten sie in die Bierkästen

in feinster Ordnung, fein in Reih und Glied,

befüllt und verkorkt zu den großen Festen,

das immerwährende Klirren ist sein Lied.

Manchmal im Gehör eine Scherbe klingt,

dringt übers Ohr als Wonnenklang, als Jubel gar,

wird umgedichtet und schnellstens korrigiert,

Flaschenabfüllung ist kein Aufbauseminar.

28.02.

2015

entdeckte ich bei einem Beer-Tasting in Kiel das, was heute den Titel neue Bierkultur trägt. Ich ging nach zahllosen Hopfentrünken, hefegestählten Charakteren und malzig-samtigen Schwergewichten beglückt nach Hause. Betrunken auch. Der letztgenannte Zustand war ein flüchtiger, das Bier aber blieb. Das ist toll, aber macht das Leben nicht immer einfacher. Beispiel: Jüngst traf ich mich mit Freundinnen in einem dieser Burgerläden, in der eine Bestellung von unsäglich vielen Mikro-Entscheidungen flankiert ist (Weiß-, Vollkorn-, Roggen-, Sauerteig- oder lieber Chiasamenbrötchen? …) Meine Begleiterinnen brauchten für den Speiseplan gefühlte fünf Minuten, für die Getränkewahl hingegen gerade mal 7 Sekunden. Bei mir war es umgekehrt. „Welches Bier habt ihr? In der Flasche? IRGENDETWAS anderes? Ah. OK.“

Grübel, hektisches Kartenblättern. Ich spürte den Druck, ich überlegte. Ich wählte. Einen Grauburgunder.

Szenen wie diese stellen mich vor die Frage: Bin ich Bierfan? Oder schon ein Bier-Snob? Um das beantworten zu können, habe ich folgende Checkliste zusammen gestellt. Mein Tipp: Ehrlich sein. Ab drei mal „Ja“ wird der Fan zum Snob. Cheers!

1. Bier am Strand? Du erscheinst mit Kühltasche (NIEMALS die KÜHLKETTE unterbrechen) und einer kleinen Auswahl an Gläsern.

2. Du bist entsetzt, wenn Deine Freunde ihr Bier liegend lagern. Und sagst es ihnen auch.

3. Du verachtest Deine Freunde, wenn sie ihr Bier wie früher in der WG auf dem Balkon lagern. Mit Südlage. (Du hast übrigens recht).

4. Du bevorratest Dich bei privaten Feiern mit eigener Bierauswahl. Je nach Snobismus-Grad versteckst Du sie an neuralgischen Punkten, aus Angst, die anderen Gäste könnten sie aus Versehen trinken. (Das Bier ist teuer, vor allem aber: Sie wüssten es nicht zu würdigen.)

5. Du suchst ständig den neuesten Shit auf der Bier-Karte. Und Du bist pikiert, wenn andere das nicht tun. (Wie, Du bestellst nur ein Pils??)

6. Freunde lotsen Dich in eine handelsübliche Eckkneipe mit viel Patina und darauf abgestimmter klassizistischer Bierauswahl? Das wird ein harter Abend. Es wird das letzte Treffen sein, bei dem Du ihnen die Ortswahl überlässt.

7. Du redest genauso gerne über Bier, wie Du es trinkst.

29.02.

HAT BIER SICH SCHULDIG GEMACHT?

Bier ist ein altes Getränk. Älter als die Sünde vielleicht. Zumindest aber älter als die christliche Vorstellung von Sünde. Bevor das Christentum Bier, wie wir es heute kennen, für sich entdeckte und das sogenannte Hopfenzeitalter begann, wurde Bier viel häufiger als heute anlassbezogen gebraut. Als schwach alkoholisches, stärkendes Getränk war es – aufgrund seiner Kochzeit – die gesunde Alternative zum oftmals verschmutzten Wasser, die bereits kleine Kinder tranken.

Daneben existierte eine Reihe an Bieren, die aufgrund ihrer Zutaten stärker – auch stark berauschend – wirkten und für bestimmte Rituale und Kulte genutzt wurden. Dann nahm sich das Christentum, speziell die Klöster, des Bieres an und setzte es gezielt für seine Zwecke ein. Ein mit Wasser, (Gersten-) Malz, Hefe und Hopfen gebrautes Bier wirkte nicht nur sättigend, sondern – dem Hopfen sei Dank – gleichzeitig beruhigend auf den Sexualtrieb der Mönche. Wie praktisch!

Unser täglich Bier gib uns heute

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