Читать книгу Der Tod hält Einzug: Kriminalroman - Theodor Horschelt - Страница 5
ОглавлениеProlog
Letzte Woche in Guatemala ...
In der „Casa Antica“ verkehrten: Schieber, Mädchenhändler, Rauschgiftspekulanten und Kongressabgeordnete. Minister erschienen an Sonntagen seltener.
Pedro Dominguez sah den Gringo mit scheelen Augen an. Wie alle Guatemalteken liebte der Wirt den U.S. Dollar und hasste den U.S. Staatsbürger.
An jenem Juni-Sonntag hatte sich auch John Lee in das Lokal verirrt. Krank vor Heimweh saß er am Barhocker und stierte in sein Glas, aber dadurch wurde es auch nicht wieder voll.
Langsam schaukelte der Mixer näher, ein adretter, gutaussehender Latino mit einem unwahrscheinlichen Brillantineverbrauch.
Lee sah ihn an und lächelte. „Ich hatte ein Cuba Libre bestellt, cholo.“
„Nennen Sie mich nicht cholo, Señor!“, entrüstete sich der Mann. „Ihr ... Getränk kommt schon noch. Señor. Es muy occupado – viel Arbeit, Señor.“
„Bestellen Sie lieber ein unverfängliches Getränk, Sir“, sagte plötzlich ein humorvoller Alt. „Fidel Castro steht hier hoch im Kurs, und das Wort Freies Kuba hört man gar nicht gern.“
Als er den Blick hob, sah er das Profil der jungen Frau. Sie hatte rotblondes Haar und eine weiße Haut, wie sie Frauen nur haben, wenn diese Haarfarbe echt ist. Sie saß zwei Hocker weiter rechts von ihm. Ihre Augen schillerten wie irische Bergseen.
Er wandte den Blick und sah sie groß an.
„Verzeihen Sie, wenn ich Sie so anstarre. In Chubut und Santa Cruz gibt es keine rothaarigen Frauen. Während dreier Jahre habe ich dort keine einzige gesehen.“
„Oh!“, rief sie überrascht. „Sie leben im südlichen Argentinien?“
„Ich lebe überall, wo es Erdöl gibt.“
„Sie sind Bohrmeister?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin Mineningenieur, Ölsucher und Einmann-Feuerwehr. Im Augenblick bin ich krank vor Heimweh. Ich war sechs Jahre nicht mehr zu Hause in England und fliege morgen oder übermorgen über New York nach London.“
„Warum haben Sie den großen Umweg über Guatemala City gemacht?“ Sie sah ihn prüfend an. „Erdöl gibt es hier auch keines ...“
Er lächelte. „Ich wollte einen alten Freund treffen, aber er hat telegraphisch abgesagt. Ich ... “ Er unterbrach sich mitten im Satz, weil der betrunkene Gringo, der den allgemeinen Unwillen auf sich gelenkt hatte, etwas schwankend aus seiner Separeenische heraus zur Theke kam und die Rotblonde ansprach.
„Kennen wir uns nicht vom Sehen, Schätzchen?“
Er wandte dabei Lee den Rücken zu. Er war etwa in Lees Alter. Klein, drahtig, schwarzhaarig, ein spanischer Typ mit einem rasiermesserdünnen Schnurrbart auf der Oberlippe. Auf der linken Wange trug er eine schlecht verheilte, blutrote Narbe in Blitzform.
Die Unbekannte wandte sich schweigend und unwillig von ihm ab, was ihn nicht daran hinderte, weiter auf sie einzusprechen. Lee verstand nur einzelne Wortfetzen: „Herbert ... Rausch ... tot.“ Oder: ... rot?
„Lassen Sie mich bitte in Frieden, Señor!“, bat die Rotblonde unwillig.
„Das könnte dir so passen, Schätzchen! Und von wegen Señor! Du weißt ganz genau ... “
„Halt!“ Hier legte sich John Lee ins Mittel. Er sprang vom Hocker herunter, packte den Gringo bei den Schultern und wirbelte ihn zu sich herum. „Halt, Sir, Sie sehen doch, dass die Dame auf eine Unterhaltung mit Ihnen keinen Wert legt. Lassen Sie sie zufrieden, ich bitte Sie.“
Der Mann mit der Narbe stutzte und dachte nach. „Sir“, erwiderte er sodann mit Würde, „mischen Sie sich da besser nicht ein!“
„Doch, ich mische mich ein“, beharrte Lee auf Spanisch – er wusste, warum! – auf seinem Standpunkt, „weil Sie eine Dame unverschämt belästigen! Señores: Que el hombre salga de aqui en ol acto!“ Auf Englisch fuhr er, für den Nordamerikaner bestimmt, energisch fort: „Falls Sie kein Spanisch verstehen, Sir. Dort ist die Tür!, habe ich soeben gesagt.“ Er zeigte mit dem Finger in die Richtung.
Der Gringo starrte ihn an und schlug plötzlich zu. Er war sehr gewandt und verstand zu boxen. Lee war noch gewandter und verstand noch mehr davon. Er fing den Aufwärtshaken mit der linken Schulter ab, riss die linke Hand deckend hoch und versetzte dem Amerikaner einen kurzen geraden Haken auf die Kinnspitze. Ein hässliches, trockenes Geräusch erklang, als Ober- und Unterkiefer des Geschlagenen zusammenklappten. Der Mann, der diese Behandlung selbst herausgefordert hatte, kippte nach hinten um und blieb bewusstlos liegen. Die Zeugen des Blitzkampfes klatschten und trampelten begeistert Beifall. Der Rausschmeißer des Lokals – ein zwei Zentner schwerer Mestize – packte den Bewusstlosen und warf ihn achtlos vor die Tür.
„Señores“, verkündete Lee mit Würde, „wollen Sie mir die unverdiente Ehre antun, zu einer Lokalrunde meine geehrten Gäste zu sein?“
Danach kannte die Begeisterung keine Grenzen.
„Danke!“, sagte die Rotblonde strahlend. „Sie haben mich aus einer recht unangenehmen Lage befreit, Mister ... Mister ...?“
„Lee, John Robson Lee. Meine Freunde nennen mich John.“
„Charlotte Eshley – für meine Freunde Charlie.“
Danach fiel ihm ein, dass er ebenso gut auf dem Hocker neben ihr sitzen könne und nahm dort Platz.
*
„KENNEN SIE DEN GRINGO, Charlie?“, fragte Lee neugierig.
„Seit heute Abend“, erwiderte sie trocken. „Er verfolgte mich seit Stunden auf Schritt und Tritt. Warum hat er sich nicht für eine andere Frau interessiert? Es gibt hier doch soviel davon.“
„Aber nur eine Charlie! Ich kann den Burschen schon verstehen.“
„Danke!“
Er fasste sich ein Herz und sagte: „Sie sind ganz allein hier – ich bin ganz allein hier – was hindert mich, Sie zum Essen zu entführen?“
„Dauert es bei Ihnen immer so lange, bis gute Gedanken zur Reife gedeihen?“, fragte sie augenzwinkernd.
John fand sie hinreißend. Sie war etwas über mittelgroß, sehr schlank und hatte eine makellose Figur mit einer hohen, straffen Brust, einer schmalen Taille und zärtlichen Hüften. Ihre Beine waren gerade und rassig, aber sie zeigte nicht mehr davon, als eine Dame zeigen darf, ohne sich etwas zu vergeben. Ihr dünnes Silberlamé-Kleid schien mit einer Spritzpistole auf die Haut aufgetragen. Das hätte sich eine nur ein wenig fülligere Frau nicht leisten dürfen. Ihr stand es. Make-up verwandte sie nur sehr sparsam. Dank ihrer zart gebräunten Haut hatte sie es auch gar nicht nötig. Allein ihr üppiger, rot geschminkter Mund hätte einen lyrischen Dichter zu herrlichen Versen inspiriert.
Später aßen sie in einem chinesischen Restaurant ein fernöstliches Dinner mit 20 Gängen.
John erzählte Charlie, dass er Maracaibo und Feuerland so gut kenne wie Saudi-Arabien und Persien, und sie berichtete ihm, dass sie ebenfalls beruflich die ganze Welt kennengelernt habe. Zuletzt sei sie jahrelang Südamerikakorrespondentin des „Australian Globe“, Canberra, gewesen, momentan aber ohne Job. Sie wolle sich, wie er, einen Halbjahresurlaub gönnen, wisse aber noch nicht, ob in Übersee oder in der alten Heimat.
Auch ein Dinner mit 20 Gängen geht einmal zu Ende. Er fragte Charlie: „Was machen wir jetzt mit dem angefangenen Abend?“
Und sie erwiderte: „Gehen wir tanzen!“
Er machte ihr eine schwungvolle Verbeugung und war fair genug, sie zu warnen. „Meine Gelenke sind eingerostet wie die Glieder einer alten Ritterrüstung, aber ich möchte meinen Arm um Sie legen, selbst um den Preis, dafür tanzen zu müssen.“
„Kommen Sie mir jetzt ja nicht mit faulen Ausreden, John!“ Sie drohte ihm mit dem Finger.
Später gingen sie ins „El Cruceiro“ und fanden die Bar und das Barorchester überwältigend. Um halb vier Uhr brachte er sie zu ihrem Hotel. Charlie gab ihm die Hand und bedankte sich für den reizenden Abend.
„Wenn Sie mich jetzt bitten, Sie zu einem Drink auf meinem Zimmer einzuladen, sage ich nicht nein“, murmelte sie mit halb geschlossenen Augen, „es wäre aber sehr zartfühlend und verständnisvoll, wenn Sie sich die Bitte verkneifen würden.“
Er verkniff sich die Bitte und küsste sie zum Abschied. Es war ein vielversprechender Kuss, der sein Blut in Wallung brachte, und er fragte sie heiser, ob er sie zum Mittagessen abholen dürfe.
„Ich wäre sehr enttäuscht, wenn Sie es nicht tun würden“, hauchte sie.
*
ALS ER SIE ZUM ESSEN abholte, hatte sich zwischen ihnen nichts geändert, und er glaubte sie tausend Jahre schon zu kennen. Er sagte es ihr auch, und es schien sie glücklich zu machen.
„Wie lange werden Sie noch in Guatemala City bleiben, John?“, fragte sie beim Nachtisch und der Unterton ungeweinter Tränen schwang in ihrer Stimme mit.
„Solange Sie wollen, Charlie“, erwiderte er und ließ sie dabei nicht aus den Augen. „Eines Tages wird unsere Trennung ja doch kommen müssen – es sei denn, Sie könnten sich dazu entschließen, mich nach London zu begleiten ...“
Er hatte Herzklopfen, als er sie nach dieser Einladung ansah.
„Schön müsste es sein, wieder einmal die alte Heimat zu sehen“, murmelte sie zögernd und niedergeschlagen, „aber es würde unsere Trennung nur hinausschieben, und eines Tages stünde ich allein und verlassen in der Riesenstadt, hilflos den Schatten der Vergangenheit preisgegeben.“
Sie sah auf. „Mit meinen sechsundzwanzig Jahren bin ich manchmal wie ein romantischer Teenager. Es gab zu Hause eine Zeit, da war ich unsagbar glücklich. Ich heiratete ganz jung. Der Himmel hing uns voller Geigen. Nach kaum einjähriger Ehe verunglückte mein Mann tödlich. Seitdem ist mir England verleidet.“
„Schlimm“, sagte er, „sehr schlimm!“, und kam sich dabei schrecklich töricht und primitiv vor. „Aber in unserem Alter kann man die Fesseln der Vergangenheit noch abstreifen und ein neues, dauerhaftes Glück aufbauen.“
„Ja, wirklich?“ Sie sah ihn aus tränenfeuchten Augen an. „Ich weiß nicht recht. Manchmal bin ich so mutlos.“
„Aber wenn Sie einen festen Halt hätten, hätten Sie keine Angst mehr, zu fallen. Ist es das?“
Sie nickte scheu.
„Kommen Sie mit!“ Er sah sie beschwörend an. „Kommen Sie mit als meine Frau.“
*
ES DAUERTE DREISSIG Minuten, bis er ihr die letzten Einwände ausgeredet hatte.
Um sofort heiraten zu können, brauchten sie eine Lizenz und wandten sich darum an die Britische Gesandtschaft. Dort wäre der Plan um ein Haar ins Wasser gefallen, weil Charlie nur einen britischen Fremdenpass aus Singapore besaß. Zum ersten Male lernte sie die dynamische Energie ihres zukünftigen Mannes kennen, als er den Gesandschaftsrat bearbeitete. Dass Charlie britische Staatsangehörige und seit Jahren verwitwet sei, sei doch klar, nicht wahr! Klar sei dementsprechend auch, dass sie einen Landsmann heiraten könne, der ledig und auch sonst ehefähig sei. Etwas anderes wolle man doch gar nicht, als die Heirat. Na bitte!
Der wackere Beamte gab sich geschlagen und murmelte vorsichtig, bei wohlwollender Auslegung der diesbezüglichen Vorschriften und Gesetze und in Anbetracht des Umstandes, dass ein echter Notfall vorliege – hier zwinkerte er unverschämt mit den Augen – könne er die Trauung gerade noch zur Not verantworten.
Als die Zeremonie vorüber war, war es Charlie, die ihm spontan an den Hals flog und unter Tränen flüsterte, dass sie ihn über alles liebe und sich redlich Mühe geben wolle, ihm eine gute, treue und gehorsame Ehefrau zu sein.
„Und falls du eines Tages doch zu der Überzeugung gelangen solltest, dass unsere Heirat ein voreiliger, unvernünftiger Schritt gewesen sei, sagst du es mir, und ich gebe dir ohne jede Hysterie deine Freiheit.“
„Halt, kein Wort weiter, Mrs. John Robson Lee!“, unterbrach er sie streng. „Oder die erste eheliche Körperverletzung findet vor Zeugen noch am Tatort statt!“
Charlie weinte vor Glück und Rührung.