Читать книгу Mac Dolan und die letzte Chance - Theodor Horschelt - Страница 6

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Hinter der Senke ging es steil bergan. Dolan schaltete in den zweiten Gang zurück und gab kräftig Gas. Mit knapp 25 Meilen fuhr der Mercury zum höchsten Punkt hinauf. Dort bremste der Major und schaltete die Zündung aus. Durch die weit geöffneten Fenster drang laue, salzige Luft in das Innere des Wagens. Halbrechts lag ein ausgedehntes Sumpfgelände, zwischen diesem und der Straße ein wilder Zedernwald und links senkte sich der sandige Boden zu einem ausgedehnten lichten Fichtenbestand, wo der idyllische Badesee lag, den das Ehepaar für die Dauer seines Aufenthalts in Florida zu seinem eigenen privaten Swimmingpool erklärt hatte. Knapp 15 Meilen trennten ihn vom Golf von Mexiko und seinen warmen Winden.

Dolan brannte zwei Zigaretten an und schob eine davon seiner Frau zwischen die Lippen.

Eine ganze Weile rauchten die beiden schweigend, bis June endlich andächtig sagte: „Es ist der sechste Januar, und wir fahren zum Baden; wir haben volle zwei Monate Urlaub und davon noch nicht einmal vierzehn Tage verbraucht – es ist einfach nicht zu fassen!“

Der Abend war sehr mild. June hatte einen Dress angezogen, den Mac an ihr so sehr liebte: knappe weiße Shorts und eine giftgrüne Bluse, deren Farbe gewagt zu ihrem tizianroten Haar kontrastierte. Ihre Haut hatte längst die Patina alter Bronze angenommen. Dolan selbst trug eine graue Flanellhose, ein einfarbiges Buschhemd und Tennisschuhe. Er fühlte sich in diesem Augenblick restlos glücklich. Der schwierige, entsagungsvolle Dienst bei der Bundeskriminalpolizei war weit weg und seine Frau war ganz, ganz nahe – nicht nur körperlich.

„Wir sollten weiterfahren, Lieber“, mahnte June sanft. „Ich möchte zu gerne noch vor Mitternacht ins Bett kommen“, fügte sie, leise seufzend, hinzu. „Was hast du bloß für eine schrecklich faule Frau! Von mir aus dürfte es nämlich jahrelang so weitergehen: keine Arbeit, keine Pflichten, immer genügend Geld in der Tasche, ständig auf der Achse. Von Autostraße zu Autostraße, von Ort zu Ort, von Hotel zu Hotel. Warum bin ich bloß nicht als Multimillionärin auf die Welt gekommen?“

„Damit du mich heiraten konntest!“

„Wie bitte?“ June sah ihren Mann irritiert an.

„Ich meine“, sagte Dolan grinsend, „dass ich als Major der Bundeskriminalpolizei ein ganz ordentliches Gehalt beziehe, dass ich aber nie eine Millionärin geheiratet hätte. Ich eigne mich nicht dafür, nur der Mann meiner Frau, zu sein und mich von ihr aushalten zu lassen! Außerdem ist es wunderhübsch, für sechs bis acht Wochen ein wahres Zigeunerleben führen zu dürfen, aber jahrelang so weitermachen – nein!“

„Was heißt hier nein, Mac?“, murmelte June empört. „Ein Mann, der eine Frau wahrhaftig liebt, heiratet sie auch dann, wenn sie ein schielendes Auge, O-Beine oder Millionen auf dem Bankkonto hat!“

„Sehr logisch, Darling, aber schon sehr!“

„Unterbrich mich nicht immer, Mac, du machst mich ganz nervös! Außerdem – ich an deiner Stelle hätte mich schon längst von einer so faulen Frau scheiden lassen!“

Dolan hob ergeben beide Arme. „Tausend zu Null für dich, June-Liebling! Ich kapituliere vor deiner weiblichen Logik.“

„Das möchte ich dir auch geraten haben!“

Dolan nahm einen letzten Zug aus der Zigarette, drückte sie im Aschenbecher aus und warf die Kippe auf die Asphaltstraße. Dann startete er den Motor wieder und fuhr langsam bergab.

„Warum begegnet uns hier kein Fahrzeug?“, wollte June wissen.

„Wenn du vorhin aufgepasst hättest … “

„Ich habe es schließlich nicht nötig aufzupassen“, unterbrach ihn June, „denn ich habe dich!“ „… aufgepasst hättest“, fuhr Mac unbeirrt fort, „könntest du dir die Frage selbst beantworten. Der Highway einundvierzig ist zwischen Lutz und Denham gesperrt; zwei Meilen vor Denham ist die Straßendecke aufgerissen. Wer also nicht – wie wir – zum See fahren will, muss schon die Umleitung über Odessa wählen.“

„Odessa? – Bis zum Schwarzen Meer und zurück weit über fünftausend Meilen sein!“

Dolan zuckte stirnrunzelnd die Achseln.

„Wenn du dich dauernd über deinen Mann lustig machst, wird er dich eines Tages kurzerhand packen und …“

„Und was? Warum sprichst du nicht weiter?“

„Weil ich keine Lust habe, dir einen Grund zu liefern, gegen mich wegen seelischer Grausamkeit auf Scheidung zu klagen.“

June fiel ihrem Mann einfach um den Hals und küsste ihn. Sekundenlang fuhr der Mercury Schlangenlinien und geriet in Gefahr, mit beiden Straßengräben Bekanntschaft zu machen.

„Goddam!“, fluchte der Major, jetzt nahezu ernstlich böse. „So was Verrücktes habe ich doch noch nicht erlebt! Wenn uns jetzt etwas entgegengekommen wäre …“

„Aber es kann doch nichts entgegenkommen, Mac; das hast du selbst eben festgestellt!“

„Sag mir Bescheid, wenn du irgendwo einen Drugstore siehst“, bat Dolan verzweifelt.

„Sag mir noch einmal was von weiblicher Logik. Wie sollen wir hier einen Drugstore finden? Und außerdem – wozu brauchst du einen?“

„Um Guttaperchapflaster zu kaufen. Ich habe das untrügliche Gefühl, dass man einem von uns beiden den Mund verpflastern sollte.“

June setzte sich wohlig in den Polstern zurecht und lehnte sich entspannt zurück. Die Straße setzte sich als ein Gewirr von Schlängelkurven fort, an die sich eine kurze Gerade und danach eine sanfte, langgezogene Rechtskurve anschloss.

Beide – Mac und June schrien plötzlich erschrocken auf. Mac trat abrupt auf die Bremse und brachte den Mercury zum Stehen. Der Scheinwerferstrahl hatte einen einzelnen Avocadobaum an der Peripherie der Kurve erfasst. Neben diesem lag eine völlig zertrümmerter Ford Thunderbird halb im Straßengraben.

„Um Gottes willen“, stöhnte June, „Irina Gittens‘ Thunderbird! Ist sie wieder so verrückt gefahren, hat die Kurve nicht mehr bekommen, und der Wagen ist am Baum zerschellt – aus!“

Dolan hörte schon gar nicht mehr hin. Er sprang aus dem Wagen und überquerte die Straße, June folgte ihm.

Der Thunderbird bot einen schauderhaften Anblick. Er musste mit großer Geschwindigkeit frontal mit dem riesigen Baum zusammengeprallt sein. Die Wucht des Aufpralls hatte Vorderfront und Motorraum förmlich glattgebügelt. Das Dach hatte sich zu einer spitzen Pyramide nach oben gewölbt. Die linke Seitentür war aufgesprungen, an den Scharnieren abgebrochen und lag, zehn Meter von dem Wrack entfernt, in einer Sandkuhle. Neben der türlosen Öffnung entdeckte der Major eine zusammengekrümmte Gestalt, eine schwarzhaarige Frau in Bluse und langer Hose.

„Bleib zurück, June, das ist kein Anblick für dich!“, rief der Major hastig, ehe er niederkniete. Er hob das Gesicht der regungslosen Frau an. Die Augen waren halb geöffnet und glasig, das Kinn hing herab, so dass die Zähne sichtbar waren und der makabre Eindruck entstand, als seien sie zu einer grauenerregenden Grimasse gefletscht. Die Haut war noch warm; äußerliche Spuren einer Verletzung waren nicht zu sehen.

„Ist … sie …“, fragte June schluchzend. „Ist sie …“

Mac erhob sich rasch, wandte sich um und nahm seine erschütterte Frau tröstend in die Arme.

Aber auch in dieser Situation konnte er den Kriminalisten nicht verleugnen. „Es ist jetzt einundzwanzig Uhr zehn“, flüsterte er. „Das Schreckliche muss gegen zwanzig Uhr fünfzig geschehen sein, also vor zwanzig Minuten. Da ist nichts mehr zu wollen! Einer von beiden muss hierbleiben, ich. Sei jetzt ein braves tapferes Mädchen, June. Du musst nach Lake Fern Park zurückfahren und den Sheriff alarmieren.“

June machte sich schnell aus der Umarmung frei und trat einen Schritt zurück. „Warum nicht die Staatspolizei?“

„Weil das Gelände hier noch zu Lake Fern Park gehört, und deshalb der Sheriff zuständig ist.“

„So ist das also!“, murmelte June tonlos. „Zigarette, bitte!“

Als ihr Wunsch erfüllt war, fragte sie kläglich: „Könnten wir nicht … könnten wir nicht beide …“

„Nein, einer muss schon hierbleiben!“ Mac schüttelte ernst den Kopf. „Bitte, June, je früher du es hinter dich bringst, desto besser ist es. Fahr jetzt, bitte!“

Mac begleitete June zum Wagen, wies sie beim Wenden ein, denn inzwischen war es vollkommen finster geworden, und sah dem sich in rascher Fahrt entfernenden Wagen so lange nach, bis die roten Schlusslichter in der Dunkelheit verschwunden waren. Danach ging er wieder zu der Toten zurück und musterte sie stumm und erschüttert.

Er hatte sie flüchtig gekannt und sogar während des großen Neujahrsballs im Hotel „Sarasota“, zwei- oder dreimal mit ihr getanzt. Er ließ die Ereignisse der letzten Tage noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren …

*

Das „Sarasota“, war ein hübsches, neuerbautes Hotel, das an einen riesigen Bungalow erinnerte, und lag etwas abseits der Autostraße in einem lichten Kiefernbestand, ganz in der Nähe des kleinen Ortes Lake Fern Park. Seit über einer Woche streifte das Ehepaar Dolan ziel- und planlos durch den Osten der Vereinigten Staaten. Auf die Nachricht hin, dass Mac ab sofort unwiderruflich zwei Monate Sonderurlaub erhalte, um endlich seine abgelaufenen Ansprüche abzugelten, waren sich Mac und June rasch drüber einig geworden, dass man dieses Mal etwas Ungewöhnliches unternehmen werde. Sie hatten in aller Eile gepackt, sich in den Mercury gesetzt und waren einfach gen Süden losgefahren, immer der Nase nach. Und so hatte es sich gefügt, dass sie den letzten Tag des alten Jahres an der Westküste Floridas erlebten. June hatte den Wunsch gehabt, einmal einen zünftigen Silvesterrummel mitzumachen, und der Zufall hatte sie ins „Sarasota“, geführt.

Neben der Drehtür zur Halle war ein mächtiges Schild aufgestellt: „Großer Silvesterball – Feenhafte Dekorationen. Es spielt Sid Collins mit seinem Show Orchestra – Sichern Sie sich rechtzeitig einen Tisch!“

„Hier sind wir richtig“, sagte June überzeugt, und ihr gehorsamer Ehemann pflichtete ihr bei.

Sie ließen den Mercury am Parkplatz stehen und betraten die Hotelhalle. Dort war es angenehm kühl. An einem von mächtigen Topfpalmen flankierten runden Tisch saß eine bildschöne vollschlanke Frau von etwa fünfunddreißig Jahren in eifrigem Gespräch mit einem um etwa zehn Jahre älteren Elegant, dem nur Kniehosen, Samtwams und Zierdegen fehlten, um den Eindruck entstehen zu lassen, er sei eben dem Rahmen eines Murillobildes entstiegen.

June nahm am Nebentisch Platz, während Dolan zur Rezeption ging. Dort saß ein kleiner, kahlköpfiger Mann unbestimmbaren Alters vor dem Klappenschrank und las in einem broschierten Roman. Er legte ihn aus der Hand, erhob sich und erwiderte höflich Dolans Gruß.

Sekundenlang musterte der Major prüfend ein rundliches, derbes Gesicht, dem allerdings Züge von Intelligenz und Beharrlichkeit nicht fehlten, und er wusste sofort, dass er eine vertrauenswürdige Persönlichkeit vor sich hatte.

Der Mann im korrekten dunklen Anzug sagte höflich: „Ich bin José Bordona, der Hotelbesitzer. Womit kann ich Ihnen dienen, Sir?“

„Ich brauche ein Doppelzimmer. Ist noch eines frei? Wenn es meiner Frau hier gefällt, werden wir einige Tage bleiben. Reservieren Sie uns außerdem einen Tisch für den Ball heute Abend.“

„Sehr wohl, Sir“, erwiderte Bordona. „Ich habe gerade noch ein Doppelzimmer frei – Nummer einundzwanzig. Darf ich um Ihren Ausweis bitten?“

„Wozu denn das?“, fragte Mac verwundert.

„Ja … wissen Sie, Sir“, der Hotelier wand sich in einer gewissen Verlegenheit, „auf die Gefahr hin, dass Sie mich für altmodisch und lächerlich ansehen: Doppelzimmer erhalten bei uns nur Paare, die tatsächlich verheiratet sind.“

„Ihre Einstellung ist weder altmodisch noch lächerlich; selbstverständlich bin ich mit der Dame verheiratet – Gott sei Dank!“

„Jeder andere an Ihrer Stelle hätte jetzt gesagt: Tausend Dollar würde ich geben, wenn Sie mit Ihrem Verdacht recht hätten!“

Mac lachte. „Aber ich habe nicht die mindeste Veranlassung zu einer derart taktlosen Äußerung!“

Die Formalitäten waren schnell erledigt. Als sich Mac umwandte, um nach June zu sehen, fand er sie in eifriger Unterhaltung mit dem Paar vom Nebentisch.

Sie sollte tatsächlich in den aktiven FBI-Dienst eintreten!, dachte er amüsiert. Mir zum Beispiel wäre es nie und nimmer gelungen, innerhalb so kurzer Zeit mit den beiden Tuchfühlung aufzunehmen.

Unter diesen Umständen verzichtete er darauf, June zur Zimmerbesichtigung einzuladen, sondern folgte allein dem Hotelier über eine teppichbelegte Treppe in die erste Etage. Zimmer einundzwanzig war das erste an der Vorderfront des Gebäudes. Mac brauchte nur einen Blick hineinzuwerfen, um zu wissen, dass er sich hier wohlfühlen würde. Der große Raum war mit einem bunten Nylonteppich ausgelegt. Das mächtige Doppelbett lud zum Ausruhen geradezu ein. Zwei runde Tischchen, einige subtropische Topfpflanzen und vier bequeme Sessel vervollständigten das Mobiliar. Ein Einbauschrank, dessen Schiebetüren mit Schleiflack gestrichen waren, boten der Garderobe mehr als genügend Platz. Eine schmale Tapetentür führte zum gekachelten Baderaum, in dem es außer einer geräumigen Wanne eine eigene Duschecke und ein großes Waschbecken gab.

„Ich nehme es“, sagte der Major, „lassen Sie bitte unser Gepäck heraufschaffen und meinen Wagen in die Garage fahren.“

*

Laura Morney sah in ihrem einfachen Sommerkleid, dessen raffinierter Schnitt das Auge auf ihre schmale Taille hin und von ihren etwas zu rundlichen Hüften ablenkte, sehr anziehend aus. Das Dekolleté gab – sehr dezent – den Ansatz einer vollen, straffen Brust frei. Ihr Gesicht war schmal und faltenlos mit einem etwas zu breiten, aber schön geschnittenen Mund, Lachgrübchen in den Wangen und einer fast klassischen Nase. Die Augenbrauen an der hohen klugen Stirn waren sorgfältig nachgezogen, und das rot getönte Haar zu einer asymmetrischen Frisur aufgekämmt, die das rechte Ohr bedeckte und das linke freiließ. Dolan schätzte die schöne Frau auf etwa fünfunddreißig, gewisse Anzeichen sprachen dafür, aber ein unbefangener Betrachter hätte sie ebenso gut für zehn Jahre jünger schätzen können.

Als er in die Halle zurückgekommen war, um June zu holen, hatte sie ihn herangewinkt und ihren neuen Bekannten vorgestellt: „Das ist Mac, mein Mann. Mac, wir werden heute Abend zum Ball reizende Tischgenossen haben: Miss Morney und Mr. de Rueda.“

Alfonso de Rueda mochte etwa zehn Jahre älter sein als seine Begleiterin, also knapp fünfundvierzig. Er war fast so groß wie Dolan, sehr breitschultrig, aber wesentlich schlanker. Sein Gesicht hätte wie eine altspanische Gemmendarstellung gewirkt, wenn der modische, dünn ausrasierte Schnurrbart nicht gewesen wäre. Er trug trotz des lauen Wetters einen nachtblauen Zweireiher, ein weißes Seidenhemd und einen hell-gestreiften Binder. Zum ersten Mal seit Langem konnte Dolan bei ihm nicht sofort aus der äußeren Erscheinung auf den Beruf schließen. Er hätte auf Diplomat getippt, aber ebenso gut konnte de Rueda Gutsbesitzer oder Manager sein.

„Haben wir ein schönes Zimmer?“, fragte June lebhaft.

„Haben wir – dank meiner alleinigen Fürsorge!“

Miss Morney lachte klingend und wandte sich temperamentvoll an de Rueda. „Da siehst du, Alfonso, wie es einem verheirateten Mann geht – das sollte dich eigentlich davon abhalten, mir noch einmal einen Heiratsantrag zu machen; denn beim nächsten Mal sage ich wahrscheinlich ja.“

Sie sprach ein ungewöhnlich korrektes, kultiviertes Amerikanisch, und doch schien in ihrem Tonfall hin und wieder der leise Anflug eines Akzentes mitzuschwingen, den Dolan freilich nicht zu deuten vermochte.

De Rueda zuckte zusammen, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. Dass er spanischer Abstammung war, offenbarte sich nicht nur in seinem Namen; ihn schien die Preisgabe intimer Geheimnisse vor Fremden etwas zu schockieren. „Wir reden besser später darüber, Laura!“ Sekundenbruchteile lang sah er sie strafend an; dann glitt sein Blick zu Dolan weiter.

„Wie wäre es mit einem Schluck vor dem Abendessen?“, meinte er leichthin. „Die Bar des Sarasota ist eine Sehenswürdigkeit für sich, und die Getränke sind entsprechend. Darf ich mir erlauben, die Herrschaften einzuladen?“

„Das sei Ihnen gestattet, Mr. de Rueda“, erklärte June vergnügt. „Erstens brauchen wir nicht mehr Auto zu fahren, zweitens geht heute das alte Jahr zu Ende, und drittens bedarf es überhaupt keines besonderen Anlasses, um einmal am Glas zu nippen! Habe ich recht?“ Sie sah sich beifallheischend im Kreise um.

Die unterirdische Bar entpuppte sich tatsächlich als ein Traum in Chrom und Glas, und Dolan hatte sofort den Eindruck, dass er dort in den nächsten Tagen eine ganze Reihe harter Dollars loswerden würde.

Der weiß gekleidete Mixer, ein sympathischer, drahtiger Bursche, nickte höflich, als die beiden Paare an der Theke Platz nahmen.

„Wie geht es, Luis?“, fragte de Rueda. „Was macht das charmante Schwesterchen?“

„Gut, Sir“, erwiderte der Mixer. Er sprach das Amerikanische mit deutlich spanischem Akzent. „Isabella bereitet sich schlafenderweise auf den nächtlichen Ansturm der Gäste vor. Was darf es sein?“

„Zunächst einmal vier Daiquiri“, schlug de Rueda vor. „Ist es den Herrschaften recht?“

Den Herrschaften war es recht.

„Luis und Isabella Feij ôo sind Geschwister“, sagte Miss Morneys Freund erklärend. Sie sind beide hier in der Hotelbar als Mixer beschäftigt – eine seltene Kombination! – Ah“, fügte er etwas leiser hinzu, „da hätten wir auch einen der Drei Musketiere.“

Am anderen Ende der Theke brütete ein charmanter Vierziger über seinem Glas Whisky. Er hatte schneeweiße Shorts an und darüber ein mit Palmen und Affen farbenprächtig bedrucktes Buschhemd, das gar nicht zu seinem sonstigen Habit passen wollte, denn sein nachdenkliches, kluges, willensstarkes Gesicht mit der achteckigen Brille schien einem Gelehrten zu gehören.

June legte sekundenlang ihre rechte Hand auf de Ruedas Unterarm. „Drei Musketiere? Ich wittere eine Geschichte!“

„Ich bitte dich, Alfonso“, bat Laura Morney unangenehm berührt, „was gehen uns denn fremde Leute an?“

„Aber es ist doch nichts Unrechtes“, meinte de Rueda. Er deutete verstohlen mit dem Kinn auf den Mann. „Ross Plank, Dwight Astayre und Jeannot Hiller sind seine Mitbewerber um die Gunst einer interessanten Witwe: Irina Gittens. Sie kommt sicher heute Abend zum Ball – da werden wir etwas zum Lachen haben.“ Inzwischen wurden die Daiquiris serviert. Sie waren gut gemixt und richtig temperiert. June sparte nicht mit anerkennenden Worten.

Luis Feijôo bedankte sich mit einem Lächeln und einem Kopfnicken, aber unvermittelt wurde seine Miene finster. Er schien sich über einen neuen Gast, der eben die Bar betrat, nicht gerade zu freuen, einen jungen Mann von etwa dreißig Jahren. Er war groß, schlank, schwarzhaarig und trug einen feudalen Tennisdress. In seiner rechten Augenhöhle saß wie eingefroren ein randloses Monokel. Dolan wunderte sich insgeheim. Gerade dadurch musste der junge Mann doch die Spottlust jedes durchschnittlichen Amerikaners herausfordern!

„Guten Abend, Mr. Hiller!“, sagte der Barmixer. „Was darf es sein?“

„Das weißt du doch genau, Spaniole!“, antwortete Hiller verächtlich.

Luis lief dunkelrot an, unterdrückte gerade noch eine heftige Erwiderung, und goss einen Whisky ein.

„Aber du weißt doch, dass ich Johnny Walker haben will!“, ereiferte sich Hiller.

„Das müssen Sie Mr. Bordona sagen, Sir; ich entscheide nicht, welche Sorten eingekauft werden.“

Hiller warf Plank einen herausfordernden Blick zu. „Üble Kaschemme, wie? Haben nicht einmal Johnny Walker da!“

„Das stört mich verdammt wenig!“, stieß Plank heraus und musterte Hiller böse. „Kaufen Sie sich doch Ihre eigene Flasche und stellen Sie sie hier auf!“

Hiller verbeugte sich ironisch im Sitzen. „Ein ausgezeichneter Rat, Mr. Plank, vielen herzlichen Dank.“

„Mon dieu!“, murmelte Laura Morney vernehmlich und entsetzt. „Jetzt naht auch noch der Dritte Mann!“

Ein breitschultriger, rothaariger Hüne kam mit erstaunlich elastischen Schritten in die Bar

und nahm zwischen Plank und Hiller Platz. Er bestellte einen „Cuba Libre“.

Der Mixer goss Rum in ein Wasserglas, warf einen Eiswürfel hinein und schüttete eine Flasche Coca Cola hinterher.

Der Dritte Mann?, überlegte Dolan. Es kann sich also nur um den dritten Bewerber handeln, um Dwight Astayre.

Laura schien Gedankenleserin zu sein. Sie bestätigte die Richtigkeit seiner Überlegung.

Astayre hatte ein derbes, grobes Gesicht, dessen Züge wie aus Stein gehauen, aber alles andere als unintelligent wirkten.

Er trank seinen „Cuba Libre“, zur Hälfte aus, setzte das Glas hart auf die Theke zurück und leckte sich schmatzend die Lippen.

„Verdammtes Weibergesöff!“, kläffte Hiller verächtlich.

Wenn ich deine Figur besäße, dachte Dolan unbehaglich, würde ich diesen Astayre nicht auf den Arm nehmen!

Dieser schien aber die unverschämte, herausfordernde Zwischenbemerkung bewusst zu überhören und warf seinerseits Plank eine Bemerkung an den Kopf: „Wie ist das werte Befinden, Mr. Plank? Gehen die Geschäfte gut, ja?“

Plank erwachte aus seinem dumpfen Brüten und richtete sich steif auf. Sekundenlang funkelte aus seinem Blick ein solcher Hass heraus, dass Dolan entsetzt zusammenzuckte.

„Vielen Dank für die liebenswürdige Nachfrage, Mr. Astayre!“, versetzte Plank eisig. „Wenn Ihre Geschäfte so gut liefen wie meine, würden Sie sooo hoch springen.“

„So – meinen Sie?“ Astayre schmunzelte.

„Das meine ich tatsächlich!“

„Er meint es tatsächlich!“, kommentierte Hiller.

Nein, sie wolle keinen Daiquiri mehr, erwiderte Laura Morney auf eine leise vorgebrachte Frage de Ruedas, sie wolle überhaupt nichts mehr trinken; die Atmosphäre in der Bar sei plötzlich so unangenehm geworden.

Das fanden die Dolans eigentlich auch. Man brach auf und beschloss vor der Verabschiedung endgültig, die Silvesternacht gemeinsam zu verbringen.

Als sich das Ehepaar auf Zimmer einundzwanzig zum Essen umzog, fragte Mac seine Frau kopfschüttelnd: „Sag mal – welcher Teufel hat dich eigentlich geritten, mit dem spanischen Schönheitskönig und seiner Flamme anzubändeln?“

June bemühte sich gerade vergeblich, ihre enge Bluse über den Kopf zu streifen und bat zuckersüß: „Würdest du so freundlich sein, meinen Reißverschluss ein Stück weiter aufzuziehen?“

Mac war so freundlich.

„Ich habe dich etwas gefragt, June.“

Sie hatte sich endlich von dem Kleidungsstück befreit und meinte arglos: „Ich kenne deine Schwäche für interessante Frauen, Mac, und Miss Morney ist zweifellos eine interessante Frau.“

„Du hast natürlich ausnahmsweise Recht“, gab Mac zu, „aber eigentlich solltest du mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich mich interessanten Frauen nur dann widme, wenn du nicht dabei bist!“

„Pfui!“, sagte June. Nur das eine Wort.

*

Der große Silvesterball begann um einundzwanzig Uhr. Das Personal hatte alles getan, um eine stilvolle Atmosphäre zu schaffen. Der einzige Saal des Hotels war mit Luftschlangen, Lampions und frech auf Packpapier hingekritzelten Zeichnungen geschmückt, die hintere Schmalseite hatte ein Holzpodium für das Show-Orchester erhalten, und in den Nebenräumen waren Separees, eine Sektbar und eine Pergola mit Pappsäulen hingezaubert worden. Dolan fand das alles recht nett.

Pünktlich nahmen die beiden Paare an ihrem reservierten Tisch Platz. Die Herren waren im Smoking erschienen, die Damen trugen kleine Abendkleider. June hatte ein kniefreies Kleid aus nilgrünem Samt angelegt, das ihren Mann zu der Bemerkung herausforderte, sie werde darin Blut schwitzen, worauf sie ihm schnippisch erwiderte, sie würde lieber sterben, als diese gewagte Kreation im Koffer zu lassen.

Laura Morney, einige Jahre älter als June, hatte ein schwarzes Seidenkleid gewählt und dazu um ihre erstaunlich schmale – laut Junes Behauptung geschnürte – Taille eine Schärpe aus Satin gewickelt, die – ausgerechnet – hinten zu einer riesigen Schleife verschlungen war.

Der Saal war dicht gefüllt, jeder Platz besetzt. Außer den Hotelgästen schienen auch Paare aus Palmas und den umliegenden Orten gekommen zu sein.

Die Kapelle begann mit dem Tango Bolero.

Wohl oder übel musste Dolan Laura Morney auffordern und sich mit ihr aufs Parkett begeben. Sie tanzte ausgezeichnet. Dolan, der selbst ein guter Tänzer war, machte die fließende, weiche Bewegung ihres Körpers Spaß, und die beiden erregten allgemeines Aufsehen.

June machte mit Alfonso de Rueda keine schlechtere Figur. So oft sie ihrem Mann in die Augen sehen konnte, warf sie ihm mit gespitzten Monroe-Lippen einen Kuss zu.

Die erste Stunde ging vorüber. Beide Paare amüsierten sich königlich. Die Kapelle legte eine Pause ein. Sid Collins und seine sieben Boys räumten das Podium und verschwanden in den Wirtschaftsräumen, um etwas für ihren inneren Menschen zu tun.

Die Saaltür öffnete sich, ein allgemeines Raunen ging durch die Reihen der Gäste: Eine schlanke, etwas über mittelgroße Frau kam herein. Sie hatte einen geschmeidigen Körper und lange Beine, nur ihr Busen war für Dolans Geschmack etwas zu voll. Obwohl ihr Gesicht ein klein wenig rundlich wirkte, haftete ihm nichts Kindliches an. Herrliche blauschwarze Naturlocken lagen in schlichten Wellen am Hinterkopf an und ließen wohlgeformte, ringlose Ohren frei. Sie trug ein hautenges hochgeschlossenes kleines Abendkleid, dessen Rocksaum über dem Knie endete, was Dolan bedauerlich fand, obwohl sich ihre Beine in jeder Hinsicht sehen lassen konnten.

Mit der Miene einer Königin schritt sie zu der reservierten Nische neben dem Tisch, an dem Mac und June mit ihren neuen Freunden saßen.

„Irina Gittens!“, erläuterte de Rueda entzückt. „Eine hinreißende Frau!“ Er wandte sich an June. „Sie werden es nicht glauben wollen, aber sie ist tatsächlich schon vierzig.“

„Wenn ich gewusst hätte, dass dich Mrs. Gittens so hinreißt, hätte ich für dich Scheuklappen mitgebracht!“, kommentierte Laura Morney sauer-süß.

June lachte amüsiert. Die anderen fielen schallend ein.

Die Kapelle kehrte zurück; der Tanz ging weiter.

Nacheinander ließen sich Ross Plank, Dwight Astayre und Jeannot Hiller bei Irina Gittens sehen. Die schöne Frau versäumte keine Tour und schien nicht zu ermüden.

„Unerhört!“, zischte Laura Morney. „Ihr Ehemann ist wenig mehr als sechs Monate tot – und die lustige Witwe tröstet sich!“

„Das ist der Lauf der Welt!“, meinte Dolan philosophisch.

Mitternacht war vorüber – das alte Jahr ins Grab gesunken. June hatte sich mit de Rueda in die Sektbar verzogen; Laura tanzte mit irgendeinem anonymen Gast.

Dolan beschloss die Gelegenheit zu nutzen, den Körper etwas auslüften zu lassen. Er verließ den Tanzsaal, durchquerte die Halle und trat ins Freie. Rechts, am Parkplatz, standen dicht nebeneinander die abgestellten Kraftfahrzeuge. Links ragte eine Baumgruppe seltsam anklagend in den nächtlichen Himmel. Wolkenfetzen wurden durch die Gewalt einer frischen Brise über die Erde gejagt. Gewohnheitsmäßig griff Dolans Hand zum Zigarettenetui, aber bevor er es aufschnappen ließ, fiel ihm ein, dass der Vorrat zu Ende gegangen war. Er wollte sich ärgerlich umwenden und zurückgehen, als er eine bekannte Stimme hörte – die des unsympathischen Monokelmannes Hiller.

„Aber Liebling – so lass dir doch erklären!“

„Danke, mein Lieber“, erwiderte ein klarer Alt eisig, „hier gibt es nichts zu erklären. Was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, lasse ich mir auch von dir nicht wegdiskutieren!“

„Verdammt und dicke Tinte: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!“

„Und was soll diese vulgäre Bemerkung besagen?“

„… dass ich dich liebe – dass ich aber aus rein geschäftlichen Erwägungen mit Irina Gittens auf Teufel komm raus turteln muss!“

„So! Ich dachte, wir seien zu unserem Vergnügen hierher gekommen?“, fragte der klare Alt böse.

„Im Denken warst du schon immer groß, Gladys!“, meinte Hiller höhnisch.

Der Alt wurde gedämpft. „Schluss der Diskussion; ich habe das Gefühl, dass wir nicht allein sind.“

Dolan trat hastig den Rückzug an.

In der Hotelhalle stand Plank in einem wunderbar sitzenden Smoking. Mac erkannte ihn nur an der achteckigen Brille. Vor dem eleganten Mann stand ein üppiges blondes Mädchen in einem billigen, herausfordernden Cocktailkleid. Die beiden flüsterten erregt miteinander. Das Mädchen schien Plank Vorwürfe zu machen, und dies nicht allzu sanft.

Als die beiden Dolans ansichtig wurden, verstummten sie jäh und wandten sich verdrossen ab.

Mac ging lächelnd weiter. Ob es hier auch um Mrs. Gittens geht?, dachte er amüsiert. Well, nicht meine Sache!

Er kehrte in den Tanzsaal zurück, wo die Kapelle inzwischen als konzertante Einlage den „Tiger Rag“ intoniert hatte, und fand seine schöne Frau glänzend gelaunt in eifriger Unterhaltung mit Laura Morney und de Rueda.

„Hallo, Mac, wir sprechen gerade von dir“, rief ihm June entgegen.

„Hoffentlich nur Gutes!“

Mac nahm Platz.

„Der Sekt ist ausgegangen“, fuhr June eifrig fort, „und wir überlegen gerade, wo wir einen edlen Spender hernehmen, der eine Flasche Black & White auffahren lässt.“

„Dreimal darfst du raten, Liebling, wo der edle Spender sitzt“, lächelte Mac zurück.

Für die Dolans und ihre neuen Freunde endete die Ballnacht so harmonisch, wie sie begonnen hatte. Auch in den folgenden Tagen befand sich das Ehepaar, das an dem Hotel Sarasota Gefallen gefunden hatte, fast ständig in Begleitung von Miss Morney und Alfonso de Rueda. Mrs. Gittens kam jeden Abend ins Hotel, und wer sie nicht sah, konnte sie hören, denn sie war eine rücksichtslose Autofahrerin und pflegte ihr Erscheinen jeweils in der letzten Kurve vor dem Hotel dadurch anzuzeigen, dass sie ihren hellroten Thunderbird in verbotenem Tempo querstellte, wobei dann jedes Mal die radierenden Reifen auf dem Asphalt ein Geräusch erzeugten, das etwa so klang, als wimmere eine ganze Kompanie hungriger Teufel nach einem Kanten Brot.

Mac Dolan und die letzte Chance

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