Читать книгу Schöne Maid - Bittersüße Erinnerungen - Theresa Roberts - Страница 5

Kann denn Liebe Sünde sein?

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Ich muss weit zurückgehen, in meiner Erinnerung. Weit zurück, ich schließe die Augen – und alles ist wieder da. Als wäre es gestern gewesen, es war nie wirklich weg, es war immer dabei!

Ich sitze neben meiner großen Schwester auf dem Küchentisch. Ich quetsche krampfhaft meine Augen zu, ich will nichts mehr sehen, von diesem grausamen Vorfall, der sich vor meinen entsetzten Augen wirklich und wahrhaftig abspielt. Ich halte mir mit den Händen beide Ohren zu, weil ich nicht mehr hören will, wie gellend meine Mami schreit!

„Sei still“, herrscht mich meine Schwester an. „Sei still, du machst mit deinem Weinen nur alles schlimmer!“ Ich wimmere nur noch, weil ich nicht schuld sein will, an Mamis Qualen!

Meine Mutter wird brutal zusammengeschlagen. Der Mann, der das vor unseren entsetzten Augen fertigbringt, - ist unser eigener, geliebter Vater! Sie hält ihre beiden Hände schützend vor ihr Gesicht, um die brutalen Schläge abzuwehren. Aber es nützt nicht viel. Sie ist viel zu schwach, sie ist hilflos seinem brutalen, niederbayrischen Jähzorn ausgeliefert. Ihre Lippe ist aufgeplatzt, Blut rinnt über ihr Kinn. Ein Auge beginnt bereits zu zu- schwellen, sie wird ein schlimmes Veilchen davontragen. Trotzdem wird sie zur Arbeit gehen, mit einer Sonnenbrille. Sie wird wieder einmal sagen, sie wäre auf dem dunklen Dachboden gegen den Kamin gerannt! Worum es ging bei dieser Auseinandersetzung? Ich weiß es nicht mehr, ich war zu klein, vielleicht fünf Jahre alt?! Mein Bruder war noch nicht geboren, der arme kleine Kerl.

Meine Schwester nimmt den Vorfall relativ cool, vielleicht tut sie auch nur so. Sie lässt sich nicht allzu viel anmerken. Sie ist nicht besonders weich besaitet, vielleicht ist das auch besser so. Außerdem ist sie ein totales Papakind, eifersüchtig auf jeden, der ihrem heiß geliebten Papi zu nahekommt. Auch immer eifersüchtig auf meine Mami, extrem auf mich. Wir sind Konkurrenten in der Gunst seiner Liebe. Armes kleines Mädchen, schon da wurde der Grundstein für deine spätere Liebesfähigkeit – oder soll ich besser sagen, Liebesunfähigkeit gelegt! Was wird der Grund für diesen Jähzorn Ausbruch gewesen sein? Bestimmt die Eifersucht meiner Mama, wahrscheinlich hat er sie wieder einmal betrogen, ihr wunderschöner, toller, heißgeliebter Ehemann. Er hat sie ständig betrogen, er konnte gar nicht anders.“ Heißes Blut,“ hat sie später einmal zu mir gesagt, „das hat er von seinem Vater geerbt, er kann nichts dafür. Wir waren so jung, als wir geheiratet haben, er konnte sich nicht austoben! Die Frauen sind alle hinter ihm her, sie machen es ihm leicht. Er ist zu triebhaft, er kann gar nicht anders. Aber er liebt euch, er ist ein wunderbarer Vater!“

Ja, so hat sie wirklich über ihn gesprochen, trotz allem, hat sie ihn innig geliebt!

Als ich älter wurde, habe ich oft gedacht, „schön blöd, wenn man so ausschließlich liebt. Das wird ja nur ausgenutzt vom anderen. Das soll mir einmal nicht passieren! Und so einen Schönling, auf den man sich null verlassen kann, ohne jegliche Fürsorge für die Seinen, will ich schon zweimal nicht!“ Bloß nicht!“ Dennoch wurde ich zu dieser Zeit von vielen Kindern beneidet, um meinen super tollen Vater. Er war so lustig, so aufregend, so spannend, so gutaussehend, - ja – für die andern! Stimmt, er war wirklich ein Kinderfreund. Er hat Kinder geliebt, - und sie ihn. Er war nie zu erwachsen, auf Bäume zu klettern, -oder Streiche auszuhecken. Aber er war ohne jegliches Verantwortungsgefühl. Er war sehr beliebt, und er war wirklich fleißig, wirklich tüchtig. Er war Automechaniker, hatte eine kleine Werkstatt und selbstständig gearbeitet. Für keine Arbeit war er sich zu schade, morgens der Erste, abends der Letzte. Leider hat er jeden Pfennig zur Spielbank, bevorzugt Roulette getragen. Nie war Geld übrig. Er hat sein Leben lang geschuftet, für die Spielsucht! Noch heute, als alter Mann, erzählt er von einem neuen System, das er ausprobieren muss. Er würde dir jeden Spargroschen zum Kartentisch tragen. Obwohl schon zitternd, leuchten noch immer seine Augen, wenn er vom Zocken spricht! Ja ein Spieler, mit Leib und Seele. Leider, schade um ihn, er hätte sehr viel erreichen können in seinem Leben! Er hatte so unglaubliches Charisma, unwahrscheinlichen Charme, ein blendendes Auftreten, die Herzen flogen ihm nur so zu. Aber er hat leider nicht viel gemacht aus seinen wirklich guten Eigenschaften, die Spielsucht war immer stärker. Der Motor seines Lebens! Bis heute! Ich bin schon zufrieden, dass er nicht kriminell wurde, trotz vieler Versuchungen, denen er ausgesetzt war. Aber ich brauche mir nichts vorzumachen, er war und ist immer ein grenzenloser Egoist gewesen, ohne jegliche Rücksichten auf andere, speziell auf uns, seine eigenen Kinder!

Er lebt gar nicht mal so schlecht, aber er könnte unter anderen Umständen heute ein wirklich vermögender Mann sein! Vielleicht ganz gut so, nach allem, was ich bisher erlebt habe, würde es dann womöglich noch einen schmutzigen Krieg ums Geld geben. Wer weiß, ich bin nicht enttäuscht, ich habe nie etwas erwartet, da konnte ich nicht enttäuscht werden.

Zumindest seit vielen Jahren nicht!

Wir lebten damals in einem winzig kleinen Häuschen, dass meiner Großmutter gehörte. Meine Mutter hat es von ganzem Herzen gehasst, weil es ohne jeglichen häuslichen Komfort war. Kein Badezimmer, Plumps-Klo im Schuppen draußen, kein Keller, kaum Platz. Wie hat sie ihn angebettelt, um eine andere Wohnung. Überall wurden neue Wohnblöcke gebaut, mit Zentralheizung und Badezimmern. Aber er wollte gar nichts davon wissen. Sie musste weiterhin mit Holz und Ölofen heizen, schleppen und so erbärmlich leben, bis sie den Mut fand, ihn endlich zu verlassen. Trotzdem erinnere ich mich noch an wohlige Gefühle, wenn wir alle zusammen in einem Bett lagen, und ich -bevorzugt in seiner Arm Kuhle, meine Füßchen auf seinem Bauch, da war es immer schön warm. Wie gemütlich ich es fand, wenn Mami die einzige Stube warm heizte, der heiße Kakao im kleinen Töpfchen, der Badewannen-Zuber mitten im Zimmer, mühsam von Hand mit heißem Wasser gefüllt. Das gab es wirklich, das Waschritual am Wochenende. Keine Ahnung nach wem ich ins Wasser steigen durfte, wahrscheinlich nach meiner Schwester. Ich erinnere mich noch, wie regelmäßig abends nach der Arbeit mein Vater in der Stube stand, meine Mutter brav und gehorsam wie eine Magd, bzw. Opferlamm, den kleineren Waschzuber hereinschleppte, er lange und sorgfältig seine Hände und Finger mit einer kleinen Wurzelbürste schruppte, damit auch die letzten Ölspuren verschwanden. Ja er war ziemlich eitel mein Vater, sein gutes und gepflegtes Aussehen war ihm immer wichtig. Dann kleidete er sich sorgfältig an, mit den wenigen Sachen die er besaß und stieg in sein zitronengelbes Auto, sein ganzer Stolz- und fuhr davon. Freudig und bereit sich in ein weiteres Abenteuer zu stürzen. Ich glaube- er fuhr damals einen hellgelben Opel, das war schon etwas Besonderes zu dieser Zeit in den späten Fünfziger -Jahren. Später wurden die Autos immer prächtiger, bevorzugt ist er Mercedes – Cabrios gefahren, das war eine Schau- für die anderen! Die Wohnungen wurden nicht besser, im Gegenteil. Unwichtiger Faktor für ihn, sein Leben fand „draußen“ in der Bewunderung der anderen, statt. Mami war in diesen Jahren noch schrecklich verliebt in ihren schönen, begehrenswerten Ehemann. Sie litt höllische Qualen der Eifersucht, und ein oder zweimal so erinnere ich, hat sie sogar auf diverse Nebenbuhlerinnen eingedroschen. Genützt hat es nichts. Er fühlte sich wahrscheinlich dadurch nur besonders begehrenswert!

Ein besonders schlimmer Vorfall ist aus dieser Zeit auch unvergessen für mich. Nach einem besonders heftigen Streit, meine Mutter war schwanger mit meinem Bruder, drosch er so brutal auf sie ein, dass sie einen Schädelbruch erlitt. Sie musste ins Krankenhaus gebracht werden, die Polizei kam und nahm meinen Vater mit. Aber sie konnten ihm gar nichts anhaben, weil sie ihn wie üblich gedeckt hatte. Die Geschichte vom Dachboden und dem Kaminzusammenstoß wurde sogar mir eingebläut, falls es zu einer Befragung käme. Tatsächlich wurde auch ich befragt, aber ich habe brav gemacht, was von mir verlangt wurde. Mami bekam den heißersehnten Stammhalter. Das freudigste Ereignis ohne Zweifel für meinen Papa, noch vor einem großen Spieltischsieg! Aber die Harmonie darüber hat nicht lange angehalten. Er verliebte sich heftig in die Frau eines Zufallskunden, und kam bis zum heutigen Tage nicht mehr von ihr los. In ihr hatte er endlich seinen Meister gefunden. Sie konnte ihm Parole bieten, war stärker als er, hatte keine Angst vor ihm, ließ sich nicht einschüchtern. Noch heute versucht er alles, um es ihr recht zu machen, trotzdem hat er seine Spielerei nie aufgegeben, auch sein Fremdgehen nicht. Aber die Spielbank machte auch ihr großen Spaß, zumindest der Auftritt dort und beide waren und sind sich einig, wie schön es ist, aufzufallen und anzugeben. Mehr Schein als Sein war für beide das Lebensmotto. Aber heute habe ich schon lange meinen Frieden mit der zweiten Frau seines Lebens gemacht. Sie haben einander wirklich verdient und passen extrem gut zusammen. In späteren Jahren war es meiner Mami immer ein Dorn im Auge, wenn ich freundlich zu ihrer „Nebenbuhlerin“ war, sie konnte mir das nie ganz nachsehen. Damals jedoch war es eine große Katastrophe für unser aller Leben, als die andere Frau massiv in unser Leben trat. Ich erinnere mich noch gut an unsere regelmäßigen Wochenendausflüge zu irgendeiner Spielbank unseres Landes, die mein Vater unbedingt besuchen wollte – um dort wieder einmal verbissen sein Glück zu suchen. Die Stimmungslage auf der Heimreise war dann anderntags, nach durchzechter Nacht ( wir mussten alle im Auto schlafen, bis Papa endlich wieder erschien im Morgengrauen), je nach Spielergebnis, entweder völlig frustriert und extrem schlecht gelaunt, oder total euphorisch und großzügig! Trotzdem haben wir unverdrossen diese Ausflüge gemacht, manchmal gehasst – manchmal geliebt. Wenn Papa die Anfahrt in so freudiger Erwartung auf das kommende genoss, erzählte er die schönsten Räubergeschichten, so dass ich, auch wenn sich die Erzählungen wiederholten, diese Rituale des Erzählens erfundener Geschichten über alles liebte. Außerdem fuhren wir an sehr interessante Orte, es gab immer viel zu sehen. Am Bodensee zum Beispiel die schönen Schiffe, die Obsternte, die vielen fröhlichen Urlauber, es gab durchaus schöne Erlebnisse. Die dann allerdings ein jähes Ende fanden, als Papa sich ernsthaft neu verliebte. Mami hat nicht aufgehört, ihn zu entschuldigen, sie wollte nicht, dass wir mit ihm brechen, sie tat alles, um ihren Kindern den Vater zu erhalten!

Ach Mami, Dein liebevolles gutherziges Wesen, Dein unglaublicher Charakter, Deinem Herzen voller Liebe und Barmherzigkeit und Güte. Mami, Du warst wirklich viel zu gut für diese Welt, wahrscheinlich hast Du deshalb auch so früh, viel zu früh für Wolfi und mich, -sterben müssen!? Oder war dein überraschender Tod womöglich ein großes Geschenk für dich von unserem Herrgott, an den du so fest und unverbrüchlich geglaubt hast!? Damit Du heimgehen kannst, wo all die Liebe, alle Wärme, alles Licht auf dich wartet und du glücklich sein kannst? Ach meine wunderbare Mami, dass wünschte ich Dir von Herzen. Wo Du mit Deiner geliebten Schwester Anni und all den Menschen zusammen bist, die du so schmerzlich, all die Jahre vermisst hast!? Wäre schön, und so tröstlich, wenn es so wäre. Werden wir Dich wiedersehen, eines Tages? Jetzt vermissen wir Dich schmerzhaft und unendlich, jeden Tag und jede Stunde unseres Lebens, Mami!

Ich weiß noch ganz genau, wie schmerzerfüllt du uns vom frühen Tode deiner geliebten Schwester erzählt hast, wie viele Jahre seitdem vergangen waren, und wie sehr du dennoch um sie geweint hast. Wie ich versuchte dich abzulenken, damit du nicht so traurig bist, Mami.

Nun geht es mir so, der Schmerz ist unglaublich, aber niemand lenkt mich ab, ich bin allein mit meinem Kummer. Und deshalb muss ich Mittel und Wege finden, irgendwie damit zurechtzukommen, denn ich weiß ganz genau, dass du böse mit mir wärst, würde ich daran zerbrechen. So schreibe ich über dich und dein trauriges Leben mit so wenigen Glücksmomenten, damit Du niemals in Vergessenheit geraten kannst., solange ich lesen und mich erinnern kann. Vielleicht ist es noch zu früh für mich über dich zu schreiben, der Schmerz, die Trauer ist noch viel zu frisch- zu groß um neutral über dich berichten zu können! Aber ich will es dennoch versuchen, ich denke sowieso täglich an Dich, Du beherrschst so sehr meine Gedanken, dann kann ich es auch aufs Papier bringen! Du warst so ein großartiger Mensch, niemals darf man dich vergessen!

Meine Gedanken schweifen ab, ich muss mich konzentrieren! Damals, als die neue Frau in unser Leben trat, spürte ich sofort die Gefahr, die von ihr ausging. Wir waren im Zirkus, mein Papa, ich, die Frau und ihr Ehemann. Ich war zwischen 10 und 11 Jahre alt! Mein Vater hatte für alle Süßigkeiten gekauft, und wischte ihr zärtlich die Hände sauber. Ich habe zugesehen, genauso wie dieser Trottel von Ehemann, der lautlos und stumm alles mit sich machen ließ! Sie sang leise „Rote Rosen, roter Mund“ – und ich hasste sie aus ganzem Herzen!

Ja dieses Gefühl hat mich tatsächlich nicht getäuscht, wie mich eigentlich noch nie ein Gefühl getäuscht hat, in meinem späteren Leben. Leider habe ich mein Bauchgefühl nicht immer ernst genommen, teilweise wurde es mir auch von anderen ausgeredet, aber hinterher habe ich immer gedacht, dass dieses Warngefühl die richtige Reaktion gewesen wäre! Heute weiß ich, dass ich immer auf diese Antenne hören kann, aber wahrscheinlich ist es nun sowieso zu spät, für gravierende Lebenskorrekturen!

Wir sind damals drei Mal ausgezogen, immer wieder hat sich meine Mutter mit mir und meinem kleinen Bruder zu ihrer Mutter geflüchtet. Die ihr jedes Mal die Hölle machte, nach dem Motto „ ich hab’s dir ja gleich gesagt, der Kerl taugt nichts, jetzt hast du die Bälger am Hals, dein Leben ist verpfuscht!“ Diese Umzüge waren die reinste Hölle für mich. Erstens wollte ich meinen geliebten Papa nicht verlassen. Zweitens habe ich mich doch schon zweimal in meiner Schulklasse verabschieden müssen. Beim dritten Mal wurden die anderen Kinder richtig grausam und hänselten mich wo sie nur konnten! Es war die erste, große Demütigung für mich, die ich von so genannten Freunden erfahren habe. Sie klebten Zettel an meinen Stuhl, „bei der zu Hause stinkt’s“! Das tat weh, aber tatsächlich stank bei uns zu Hause wirklich so manches zum Himmel, kein Wunder das die Leute emsig tratschten über all die Vorkommnisse, die sich bei uns taten. Die Kinder plapperten munter weiter, was daheim erzählt wurde, an Wahrem oder Erfundenem. Eine dieser wahren Begebenheiten spielte sich so ab-: Trotz der nun festen Geliebten wollte mein Vater keinesfalls auf die Annehmlichkeiten seiner Familie verzichten. Meine Mutter kämpfte auf ihre Art so gut sie konnte. Sie hatte nicht die geringste Chance. Sie war viel zu harmlos, viel zu anständig, viel zu durchschaubar für ihren Ehemann. Eines Morgens, es war noch dunkel, schlüpfte ich aus dem gemeinsamen Bett um zur Schule zu gehen. Meine Mama war schon weg zur Arbeit. Ausnahmsweise schlief mein Vater noch, was eigentlich so gut wie nie vorkam, denn – egal wie spät er ins Bett kam, er stand frühmorgens wieder auf. Das hat er sein ganzes Leben so gehalten.

(Seine niederbayrischen Vorfahren haben ihn mit unglaublichen Kraft u. Energien versorgt, schade das er nicht mehr damit angefangen hat. Aber es ist sein Leben, wir haben gar nicht wirklich das Recht zur Kritik!)? Der warme Kakao stand für mich abgedeckt auf dem Tisch. Nachdem ich nie zu Hause frühmorgens gefrühstückt habe, habe ich wie üblich nach meinem morgendlichen Vespergeld gesucht. (In der Schule gab es erfreulicherweise schon damals die Möglichkeit, Brötchen und Brezen zu kaufen, in der großen Pause!) Normalerweise hat mir mein Vater jeden Morgen ein bisschen Geld in die Hand gedrückt, damit ich was zum Frühstück kaufen kann. An diesem Tag aber schlief er fest, ich konnte ihn nicht wach bekommen! Also habe ich seinen Arbeits-Overall gesucht, seinen Geldbeutel genommen, mir ein paar Groschen herausgenommen, und ihn wieder zurückgelegt. Nach der zweiten Unterrichtsstunde klopfte es plötzlich an der Klassenzimmertür. Mein Vater stand draußen! Ich erschrak fürchterlich, war mir doch gleich klar, dass etwas passiert sein musste. Ich wurde also vor die Tür gerufen, da er mich dringend sprechen wollte, und hörte mit klopfendem Herzen was er mir zu sagen hatte. „Hast Du mein Geld gesehen“, fragte er, „jemand hat mein ganzes Geld gestohlen. Ich bin verzweifelt, habe alles abgesucht, alles kurz und klein geschlagen, aber es ist unauffindbar!“ Mit zitternden Fingern fasste ich an seine Brusttasche. Dort war die ganze Zeit das Portemonnaie, er hatte es die ganze Zeit mit sich herumgetragen! Es war wohl viel Geld darin, vielleicht wurde ein Geschäft bar ausbezahlt, oder vielleicht hatte er die Nacht zuvor in der Spielbank gewonnen, ich weiß es nicht mehr. Er sah mich jedenfalls schweigend an, und meinte dann „dann will ich mal wieder die Möbel hereinschaffen, die jetzt alle im Hof liegen. Schau, dass du bald nach Hause kommst, damit du mir helfen kannst, bevor Deine Mutter heimkommt!“ Kein Wort des Vorwurfes an mich, er ging wortlos um das Resultat seines Tobsuchtsanfalls wieder zu beseitigen. Gott sei Dank war meine Mami nicht zu Hause gewesen. Als ich heimkam, lagen die kompletten Küchenmöbel im Garten. Mein Vater hatte gewütet wie ein Wahnsinniger. Trotzdem hat er niemals ernsthaft die Hand gegen seine eigenen Kinder erhoben. Wirklich niemals, da wusste er sich zu beherrschen! Arme Mami, das war natürlich mal wieder ein gefundenes Fressen für die gesamte Nachbarschaft. Da konnten sie wieder tratschen! Ich habe wirklich mein gesamtes Kinderleben die so genannten „Spießerkinder „von „Spießereltern“ beneidet. Die Kontrolle und Ordnung dort waren für mich so erstrebenswerte Liebesbeweise, ich sehnte mich danach, nach so einer Geborgenheit, dieser Normalität. Oft habe ich später zu meiner Mami gesagt, “Ihr seid zwei verrückte Eltern- mit so normalen Kindern“, aber heute weiß ich auch, dass auch wir nicht ganz normal geworden sind. Wie könnten wir auch, dieses Leben hat natürlich Spuren hinterlassen, wie könnte es auch anders sein. Bei jedem von uns Kindern hat sich das anders ausgewirkt oder ausgeprägt! Wir sehnten uns so sehr nach einem normalen Familienleben, mein kleiner Bruder und ich, so wie wir es bei all den anderen Kindern sehen konnten. Zu den damaligen Zeiten waren Scheidungskinder (obwohl meine Eltern niemals geschieden wurden), noch keinesfalls die Normalität. In all dieser Zeit wurde das Verhältnis zwischen meiner älteren Schwester Rena (Verena ) und meiner Mutter immer schwieriger. Die kleine Maus versuchte anscheinend wohl immer meinen Vater zu decken, und egal was vorfiel, sie war immer auf seiner Seite. Sie blieb auch immer bei Ihrem geliebten Papi und hat ihn erst als Erwachsene verlassen. Sie erzählte mir auch, sie sagte zu den verschiedenen Damen die sie durch Papi kennenlernte brav „Tante“, Hauptsache Papi war mit ihr zufrieden. Ich glaube auch, sie war von Herzen froh, als ich mit meinem Brüderchen erst einmal aus ihrem Leben verschwunden war. Hatte sie Ihren Papi doch endlich für sich alleine! Dieses freie Lotterleben, das sie dann führen konnte, hat sich nicht gut auf ihre spätere Entwicklung ausgewirkt. Ihre fatale Hingabe zum geliebten Vater hat keine glückliche Frau aus ihr gemacht. Sie hat immer versucht den Mann zu finden, der ihrem geliebten Vater gleicht, was ihr niemals gelungen ist. Ihr ganzes Leben hat sie leider an wertlose Playboys verschwendet, die alles im Sinn hatten, nur niemals das Glück einer Frau sahen. Meine schöne, begehrenswerte Schwester blickt heute ebenfalls auf ein ziemlich verpfuschtes Leben zurück! Leider hat sie niemals die Eifersucht auf mich verloren, darunter habe ich mein Leben lang wirklich gelitten! ( Unvergessen ihre Aktion mich damals im Wald auszusetzen, in der Hoffnung, die ungeliebte kleine Schwester möge niemals mehr zurück finden! Ich habe mir fast in die Hosen gemacht vor Angst. Vertrauensvoll bin ich ihr in das Wäldchen gefolgt, voller Vorfreude auf das spannende Versteckspiel, dass sie mir versprach. Konnte mein Glück kaum fassen, dass sie wirklich bereit war mit mir zu spielen! Sie führte mich weit hinein in den Wald, stellte mich an einen Baum und befahl mir bis Hundert zu zählen. Hundert – dessen war ich gar nicht mächtig mit meinen knapp fünf Jahren! Ich stand brav da und zählte, was mir in den Sinn kam. Eins, zwei drei, fünfzig, zwölf, acht, hundert!

Sie war weg, ich konnte sie wirklich nicht finden. Ich fing an sie zu rufen, dann zu schreien, zu weinen, aber nichts. Sie kam nicht wieder. Es wurde langsam dunkel, ich hatte Angst und Durst und wusste nicht was tun. An einem Hochstand erklomm ich zitternd zwei Stufen und blieb stehen, starr vor Angst, während die Schatten immer größer und es dann dunkel wurde.

Vor lauter Panik vor all den fremden und dunklen Gefahren die dort lauerten, stand ich lautlos, Stunden um Stunden starr vor Angst auf dieser Leiter und habe gebetet, dass mich jemand abholen kommt! Tatsächlich kam irgendwann ein Lichtschein, eine Taschenlampe, ein großer schwarzer Mann, ich fast halb wahnsinnig vor Angst, dann die Erlösung,-mein Vater. Auf seinen starken Armen hat er mich nach Haus getragen, das ist das erste und einzige Mal gewesen, dass ich sah, wie er seinen Gürtel nahm und meiner Schwester das Hinterteil verdrosch. Genützt hat es nicht viel, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, sie hätte mich sofort umgetauscht!

Beim dritten Umzug zur Oma blieben wir erst einmal für die nächsten sieben Jahre im Schwarzwald. Papa brachte uns alle unsere Sachen auf einem Lieferwagen, da war dann klar, dass es diesmal endgültig war. Mein kleines Brüderchen litt unsäglich unter diesem Verlust. Wahrscheinlich hat das seine spätere Psychose ausgelöst! Tagelang weinte er herzerweichend, wenn sein geliebter Papi einen Besuch beendete, er war untröstlich, der kleine süße Kerl. Er war erst sechs Jahre alt, und so süß und lieb. Ein ganz liebes wonniges Kerlchen, sein kleines Herzchen wurde gebrochen. Er sah so hübsch aus, seine Haare waren blond und seine Augen grün, wir hatten äußerlich nicht viel Ähnlichkeiten, aber ich liebte und liebe ihn von ganzem Herzen. Er klebte wie ein kleiner Schatten an mir, voller Vertrauen, ich war seine ganze Welt. Zum Glück habe ich ihm nie etwas Schlimmes angetan, ihn nie enttäuscht, bis auf zwei sehr schlechte Ratschläge, in viel späteren Jahren. Diese Jahre im Schwarzwald waren im Nachhinein das beste was uns zur damaligen Zeit passieren konnte. Auch wenn die Großmutter sehr lieblos mit uns umging, so hatten wir doch endlich Ruhe vor den ständigen Krächen und Prügelszenen, die uns so belasteten. Die Menschen dort waren freundlich und gutmütig ohne jegliche Feindseligkeit zu uns, wir lebten fast ein normales Leben. Mami nahm jeden Job an den sie finden konnte, denn das Geld war äußerst knapp, und sie bekam keinerlei Unterstützung. Für unsere kleine Wohnung im Haus der Großmutter das sie dem einzigen Sohn überschrieben hatte, musste sie natürlich Miete bezahlen, was ihr immer schwerer fiel. Dazu kam, dass Großmutter sehr schlampig war, was abstoßend auf uns wirkte, und sie bei aller Arbeit die sie hatte, auch noch ständig alles hinter und bei ihr putzen musste. Sie hat geschuftet wie ein Pferd, und bekam dennoch keinerlei Dank oder Anerkennung. Ein so hartes Leben für so eine junge, wunderschöne Frau. Ihr ganzes Glück waren ihre Kinder und sie wurde nie müde uns das zu sagen. Trotz aller schlimmen Erlebnisse mit unserem Vater erzählte sie uns immer wieder unermüdlich, was für eine große, romantische Liebe sie doch verbunden hatte. Das arme Flüchtlingsmädchen und der schöne junge Mann aus gutem Hause, der ihretwegen enterbt wurde, und weil er anständig war und- sie- weil schwanger- sogar geheiratet hat, all seiner Möglichkeiten beraubt wurde. „Er war ja noch so jung, neunzehn Jahre alt, ein Kind noch und der Verantwortung gar nicht gewachsen. Und dann der Leichtsinn und überhaupt, die falschen, schlechten Freunde haben ihn verführt. Meine geliebten Kinder, aber euer Vater liebt euch, dass weiß ich!“ So sprach sie wirklich über ihn, bei allem was er ihr antat. Sie bekam nicht einmal Unterhalt, und wusste meistens nicht wie sie zu Geld kommen konnte. Nie vergesse ich, wie ich als kleines Mädchen, vielleicht elfjährig, aus dringender Geldnot ihre schönen Kleider verkauft habe. Sie schämte sich so sehr, und dennoch hatte sie die Idee die Kleider müssen weg, hatte sie ja ohne Ehemann eh keine Gelegenheiten mehr, sich schön anzuziehen. Ich erinnere mich noch sehr genau meiner Gefühle, meiner Scham, als ich, -die Kleider verschnürt auf dem Rücksitz meines Fahrrads gepackt zu einer Nachbarin fuhr, in der Hoffnung, sie würde etwas kaufen davon. Scham, weil der Sohn der Familie in meine Klasse ging, und neugierig zuschaute, wie ich die Sachen anbot!

Aber ich habe ein paar Mark nach Hause gebracht und meine Mami war so froh und dankbar.

Wir waren wirklich sehr arm und total auf Almosen angewiesen, aber es war mir damals gar nicht so sehr bewusst! Dennoch bleibt mir ewig in Erinnerung, dass mein Onkel, Mamas Bruder, seine eigene Schwester verklagte, weil sie nicht mehr in der Lage war, die Miete zu bezahlen. Keine Ahnung wie das ausging, aber seither kann ich ihn nicht leiden, weil er das meiner Mami antat. Sie liebte ihn trotzdem, diesen kaltherzigen geizigen Kerl. Er lebt noch heute, wohlhabend und total zerstritten mit seinen Kindern, weil alle mehr vom Erbe haben wollten, als ihnen zustand. Keine Liebe in dieser Familie, aber das geschieht ihm recht, ich habe kein Mitleid mit ihm. Alt -wie er ist- hat er dennoch eine langjährige Geliebte und lebt nach dem Tod meiner armen Tante wohlversorgt mit ihr im eigenen Haus. Muss man berechnend und kaltherzig sein auf dieser Welt, damit man gut durchs Leben kommt? Mami, dann haben deine Kinder wirklich schlechte Karten!

Wenn zu der damaligen Zeit mein Vater zu Besuch kam, stand die ganze Schulklasse in der Dorfschule Kopf, wenn er vorfuhr.

„Tessas Vater kommt“ riefen sie aufgeregt, das ist wirklich kein Witz. Er sah blendend aus, war immer gut drauf, die Herzen flogen ihm nur so zu. Wenn Schnee lag, band er einfach die Schlitten der Kinder an sein Auto und zog alle langsam nach Hause. Was für ein Spaß für alle, dann kaufte er Süßigkeiten, die Freunde und Spielkameraden durften mit und so viel Süßes nehmen, wie sie tragen konnten! Natürlich fanden das alle toll toll toll, und beneideten mich um so einen super Vater. Als ich älter wurde fingen die Mädchen an für ihn wie verrückt zu schwärmen und boten mir sogar Geld für ein getragenes Hemd von ihm! Unglaublich, aber es war so. Auf der anderen Seite hatten wir nichts zum Anziehen, die geliebten Ballettstunden musste ich bald wieder aufgeben. Kein Geld für den Monatsbeitrag, erst recht nicht für neue Strumpfhosen. Sie waren so geflickt, ich musste wegbleiben, es war zu peinlich. Aus mir hätte wirklich alles Schlechte werden können in dieser Zeit, denn ich wuchs völlig wild heran. Meine Idole waren die Geschichten über Tom Sayer und Huckleberry Finn, deren Leben voller Freiheit und Abenteuer war, dass war mein Vorbild. So war ich alles andere als mädchenhaft, stromerte im Wald und auf den Wiesen – sehr zur Freude meines kleinen Bruders, der immer im Schlepptau dabei war. Wir hätten dort bleiben sollen, aber im Nachhinein ist man eben immer schlauer.

Meine Schwester hatte damals einen sehr sehr netten Freund, dem ich wirklich zugetan war. Er war wie ein großer Bruder für mich und auch er war mir zugetan. Sie war zu einer richtigen Schönheit herangewachsen. So ein unglaublicher erotisch unterkühlter Frauentyp, der die Männer komplett verrückt machte. Die Liebe war ein großes witziges unterhaltsames Spielzeug für sie, die Bewunderung ihrer vielen männlichen Fans schien ihr für immer gesichert. Sie war raffiniert und komplett untreu, wie ich schon bald bemerkte. Dennoch fraß ihr ihr treuer Freund regelrecht aus der Hand, tat alles für sie, bis sie sich nach all ihren anderweitigen Flirts doch wieder ernsthaft neu verliebte und sie ihn verließ. Damals bewunderte ich meine schöne große Schwester sehr, auch wenn ich nicht verstand, warum sie so flatterhaft und so treulos lebte. Sie selbst nahm zu der Zeit relativ wenig Notiz von Ihrer kleinen Schwester, war ich doch als fünfzehnjähriges mageres Mädchen mit sehr bubenhaften Emotionen keinerlei Gefahr für ihr Leben.

Die Schule machte mir wirklich richtigen Spaß, was bestimmt an diesem unglaublich guten, einfühlsamen Schuldirektor lag, dem ich viel zu verdanken hatte, wie ich später erfuhr. Damals empfand ich ihn allerdings nur als ganz besonders streng, speziell mit mir, wie mir schien, aber er hatte wirklich mein Wohl dabei im Auge. Das Lernen fiel mir ausgesprochen leicht, die Schule forderte mich überhaupt nicht, und wenn ich interessiert war, machte mir der Unterricht richtigen Spaß. Ich schrieb oft erst morgens schnell noch meine Hausaufgaben, ließ die halbe Klasse noch abschreiben und wurde Jahr für Jahr zur Klassensprecherin gewählt. Eine schöne Zeit für mich! Mangels Geld holte ich mir oft Geschichtsbücher als privaten Lesestoff, weil ich so eine Leseratte war, und wir kein Geld für Bücher hatten. Eine Bücherei gab es in dem kleinen Ort überhaupt nicht. So wurde ich zu einer wahren Geschichtsspezialistin und fand den Unterricht dank dieser positiven Lehrer regelrecht spannend. In Deutsch, (sowieso mein Lieblingsfach) schrieb ich ganze Schulhefte voll, wenn ein Aufsatz verlangt wurde, erfand so viele Geschichten, dass ich selbst total die Zeit vergaß vor lauter Spannung und schrieb und schrieb, bis das Heft voll war. Erst dann ließ ich mir oft notgedrungen ein Ende einfallen, aber nur, weil nicht mehr Papier zu meiner Verfügung stand. Mein einziger und dringlicher Berufswunsch schon damals, unbedingt Journalistin werden zu wollen, stand für mich damals unverrückbar fest! Leider sollte sich auch dieser Traum nicht für mich erfüllen. Teilweise gefielen meine Geschichten, besser meine Aufsätze so gut, dass ich Schulpreise gewann, und oft freute sich die ganze Klasse, wenn in der Deutschstunde eine meiner Geschichten vorgelesen wurde. Von Neid habe ich damals wirklich überhaupt nichts zu spüren bekommen, eher hatte ich das Gefühl, die anderen Kinder bewunderten mich schrankenlos. Ich war glücklich zu dieser Zeit, ich freute mich auf mein weiteres Leben. Erst mit dem notwendigen Schulwechsel änderte sich dieser Zustand! Natürlich musste ich die Schule für diesen Berufswunsch wechseln und ermutigt und gefördert durch meinen Rektor glaubte ich fest an mein Weiterkommen! Aber es sollte nicht sein! Gefördert wurde ich leider zu Hause,-was meine Ausbildung betraf, überhaupt nicht. Nach leicht bestandener Aufnahmeprüfung an ein Gymnasium mit Internat (es gab keine geeignete Schule im Dorf), sollte mein Vater den Schulwechsel genehmigen, aber er ließ nicht mit sich reden. Er verbot es mir einfach! Er sagte,“ Du bist doch nur ein Mädchen, was sind denn das für Flausen? Womöglich willst Du dann auch noch studieren, dafür ist kein Geld da! Schau das du reich heiratest, eine Berufsbildung ist für ein Mädchen absolut nicht erforderlich!“ Auch der Schulrektor konnte ihn nicht umstimmen, er lehnte es schlichtweg ab, mit ihm zu sprechen. Außerdem bereitete er gedanklich den Umzug zurück nach U. vor, er wollte meinen kleinen Bruder wieder bei sich haben. Dafür versprach er mir das Blaue vom Himmel, wenn ich ihm helfen würde meine Mutter zu überzeugen. Er versprach mir ein eigenes schönes neues Zimmer, wir würden wieder alle glücklich zusammen in einer schönen Wohnung leben. Alles wäre wieder gut,- und mit der Schule könnte man dann später immer noch sehen, ob oder ob nicht! Dann fing er wirklich wieder an meine Mutter zu umgarnen, - und sie ließ sich wirklich, nach all den Jahren tatsächlich NOCHMALS darauf ein. Natürlich waren wir Kinder glücklich über die Entwicklung, glaubten wir ihm doch alle uneingeschränkt und freuten uns auf die Zukunft!

Natürlich hat er gelogen, nicht einen Moment hat er selbst daran geglaubt, er wollte nur seine Kinder wieder bei sich haben, speziell seinen einzigen Sohn! Er ging sogar soweit, mit mir ein neues Kinderzimmer auszusuchen, damit ich nicht länger misstrauisch war, und ihn unterstützte. Das habe ich dann auch gemacht und es kam so, wie er das wollte. Er holte uns mit Sack und Pack zurück nach U. in ein neues gemeinsames? In ein neues Leben voller Verheißungen!?

Was für eine grenzenlose Enttäuschung bei unserer Ankunft. Keine gemeinsame Wohnung hatte er für uns gesucht, bzw. gefunden, angeblich war die winzige Zweizimmerwohnung unterm Dach nur eine vorübergehende Notlösung, bis er das richtige für uns gefunden hatte. Aus diesem Grund könne er natürlich auch noch nicht bei uns einziehen, es war ja überhaupt kein Platz, aber alles würde sich finden! Natürlich hat er gelogen, und niemals auch nur im Ernst daran gedacht wahr zu machen, was er versprochen hatte. Er blieb weiterhin bei seiner Geliebten, aber nun war sein kleiner Sohnemann wieder bei ihm. Wie es meiner armen verzweifelnden Mutter oder mir dabei ging, interessierte ihn überhaupt nicht, und hat ihn ganz sicherlich niemals belastet! Zu meinem ganzen Kummer darüber fühlte ich mich auch noch ausgesprochen schuldig, hatte ich doch auch ganz wesentlich meine Mutter beeinflusst und war mitschuldig an ihrem Unglück und ihrer Not. Es hat wirklich kein einziger Mensch auf ihre Gefühle Rücksicht genommen, jeder hat sie einfach nur benutzt und behandelt wie er es wollte. Ich wollte ihr unbedingt zur Seite stehen und ihr helfen, der erste Schritt war meiner Meinung nach, so schnell wie möglich Geld zu verdienen, damit wir schnell wieder ausziehen konnten, und sie ein eigenes Schlafzimmer samt Möbeln bekam. In dieser kleinen Wohnung stand tatsächlich das einzige Schlafzimmer mit meinen Jugendmöbeln voll, mit denen mich mein Vater geködert hatte. (Ich erwähnte bereits, wie meine Mutter und auch Bruder schlafen gehen mussten)! Also bin ich durch das Städtchen gelaufen das mir wirklich völlig fremd war und habe geschaut, ob ich irgendwo Arbeit finden kann, die Geld bringt. (Mittlerweile war ich sechzehn Jahre alt geworden- und zu einem recht ansehnlichen Teenager herangewachsen. Ich habe mich zwar zu der Zeit nicht besonders hübsch gefunden, aber andere, speziell Männer sahen das wohl mit anderen Augen. Aber keine Sorge, ich bin anständig geblieben, wahrscheinlich sogar viel zu anständig, wie ich das heute sehe! Ich lief also durch die Stadt und sah mich um, bis ich zu einem großen, eleganten Modehaus kam. Das hatte ich so noch nie gesehen, und nachdem ich ziemlich selbstbewusst war, ging ich auch einfach hinein und habe mir alles genau angesehen. Was ich sah beeindruckte mich sehr und ich beschloss, nach Arbeit, bzw. einem Lehrvertrag zu fragen! Tatsächlich wurde ich ins Personalbüro vorgelassen und durfte den zuständigen Personalleiter sprechen. An einem Nebenschreibtisch saß ein junger Mann, der mich aufmunternd anlächelte. Also nahm ich meinen Mut zusammen, und fragte frei heraus, nachdem ich - ganz neu in der Stadt angekommen wäre, dass schöne Haus gesehen hätte, dass mich sofort so fasziniert hätte und den Wunsch in mir erweckte, unbedingt genau hier arbeiten zu dürfen!? Am allerliebsten würde ich eine Lehre machen, sagte ich noch – und wartete erwartungsvoll auf Antwort. Regelrecht amüsiert von so viel jugendlichem Enthusiasmus blickte mich der Personalchef genau an und sagte mir, sie bilden leider keine Lehrlinge aus, aber wenn ich wirklich wollte, könnte ich als Verkäuferin anfangen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und überglücklich brachte ich meiner Mama meinen Anstellungsvertrag mit nach Hause.

Das Arbeitsleben dort war allerdings nicht so schön und befriedigend, wie ich es mir ausgemalt hatte. Zu meinem großen Erstaunen hatte ich es dort mit einem ganz anderen Menschenschlag wie zuvor im Schwarzwald zu tun. Die Frauen dort waren meist mürrisch und regelrecht unfreundlich. Die jüngeren unter ihnen blockten mich regelrecht ab, so dass ich mich bald ziemlich einsam fühlte. Dazu kam das ich wesentlich hübscher war als die meisten, was mir ganz besonders verübelt wurde. Ich war einsam und trauerte sehr meinen lieben Jugendfreunden aus dem Schwarzwald hinterher. Aber Mami und ich hatten das große gemeinsame Ziel eine größere Wohnung zu finden, in der wir besser leben konnten. Ich fühlte mich grauenvoll in meinem schönen Zimmer, wenn Mami auf dem Feldbett im Abstellraum schlafen musste! Nie vergesse ich meinen ersten Gehaltsauszug. So viel Geld hatte ich noch nie besessen, und ich habe wirklich gedacht, wow…. wie viele Süßigkeiten könnte ich dafür kaufen! Mami wollte partout nichts von meinem Geld haben, sie weigerte sich auch nur einen Pfennig zu nehmen, also bearbeitete ich zumindest erfolgreich meinen Vater, er müsse ganz einfach für eine größere Wohnung sorgen. Zu dieser Zeit lebte meine große Schwester in einer anderen Stadt und hatte wohl einen recht großzügigen Verehrer. Jedenfalls trug sie die herrlichsten Kleider und natürlich war ich sehr angetan, wenn davon auch ab und an etwas für mich abfiel. Alles Burschikose war plötzlich von mir gänzlich verschwunden und buchstäblich über Nacht wurde aus dem unscheinbaren Entlein ein kleiner Schwan. Sehr zum Leidwesen meines Brüderchens, der ganz plötzlich ohne Vorwarnung seinen liebsten Spielkameraden verloren hatte. Sein großer Trost war aber die tägliche Anwesenheit seines geliebten Vaters, gleich nach der Schule sauste er täglich sofort zu seinem Werkstattgelände. Das war auch der Grund, dass meine Mutter, wenn auch schweren Herzens beschloss -in dieser kleinen Stadt zu bleiben. Das Glück ihres geliebten kleinen Bubens zu sehen, der seinen Vater abgöttisch liebte, ließ ihr gar keine andere Wahl. Aber leider sollte auch mein liebes gutes Brüderchen nicht sein Glück dort finden.

Kurz bevor der nächste Umzug anstand, -mein Vater hatte eine größere Wohnung für uns gefunden, natürlich war gar keine Rede mehr davon, dass er zu uns ziehen wollte, Er lebte ab diesem Moment sein Leben mit seinen zwei Familien, er hatte zwischenzeitlich auch noch ein Kind mit seiner neuen Frau, ein Mädchen, also keinerlei Konkurrenz für meinen Bruder, seinen einzigen Sohn!) -klingelte es plötzlich spät abends an der Wohnungstür. Vor meinen verdutzten Augen stand ein verhärmtes Mädchen, das im selben Dorf im Schwarzwald mit mir in die gleiche Klasse ging. Ein Mädchen, dass ich nicht einmal allzu gut kannte, hatte sie doch nie zu meinem Freundeskreis gehört. Ich wusste nur, dass sie in ärmlichen Verhältnissen lebte, in einer Arbeiterwohnung im dortigen Zementwerk aufwuchs. Sie war nie besonders aufgefallen, immer still und zurückhaltend, fast nur wie ein Schatten! Entsprechend groß war meine Überraschung ausgerechnet dieses Mädchen vor meiner Türe vorzufinden Herta hieß sie und auf meine Fragen schluchzte sie verzweifelt, sie wüsste sich keinen besseren Rat, sie wäre zu Hause abgehauen und hoffte auf meine Hilfe!

Meine herzensgute Mutter bat sie sofort herein, gab ihr gleich heiße Suppe zu essen und mahnte mich, es sei meine Pflicht mich ihrer anzunehmen. Ach was waren wir doch blauäugig! Sie erzählte unter Tränen eine schlimme Geschichte vom Elternhaus, und bat uns inständig um Obdach und Hilfe bei der Suche nach Arbeit. Ich versprach ihr, bei meiner Arbeitsstelle für sie nachzufragen und verabredete mich mit ihr für den nächsten Tag in meiner Mittagspause in einem kleinen Café, um ihr das Ergebnis mitzuteilen. Gutmütig wie wir waren, standen wir beide, meine Mami und ich morgens auf, ließen die vermeintlich total erschöpfte Herta schlafen und schrieben ihr noch einen Zettel mit der entsprechenden Adresse für unseren vereinbarten Treffpunkt! Sie kam nicht zum Mittagstermin. Ich machte mir Sorgen, warum hat sie es nicht gefunden, musste mich aber bis zum Arbeitsende gedulden, dann sah ich die Bescherung! Die liebe Herta hatte zu keiner Zeit die Absicht sich mit meiner Hilfe in U. niederzulassen. Im Gegenteil, ich war eine willkommene Zwischenstation auf ihrer weiteren Reise und sie bestahl mich ganz ungeniert mit allem was sie tragen und gebrauchen konnte. Was für ein Schock, mein Nachhause kommen, mein Zimmer komplett durchwühlt, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mein Reisegepäck samt meinem Schrankinhalt verschwunden. Alles was ihr gefiel packte sie in meinen eigenen Koffer, all meine ganzen schönen Anziehsachen, meinen Modeschmuck, meine Uhr, mein ganzes Hab und Gut. Und war für immer auf Nimmerwiedersehen verschwunden! Weder eine polizeiliche Anzeige noch sonst etwas brachte mir meine schönen Sachen zurück, auf die ich so stolz gewesen war. Von Ihren Eltern war erst recht nichts zu holen, sie waren dermaßen hoch verschuldet, dass es nicht die geringste Chance auf Wiedergutmachung gab. Sie blieb bis zum heutigen Tag unauffindbar!

Das war die erste große negative Erfahrung mit anderen Frauen! Soviel Gutmütigkeit bleibt wohl nicht ungestraft, grenzt wohl wirklich an Dummheit, aber das sollte noch lange nicht alles gewesen sein, was das Leben noch für uns an schlechten Erfahrungen bereithielt.

Ich musste mich wohl oder übel mit dem Verlust abfinden und dann stand der Umzug vor der Tür und damit wieder ein ganz neuer Lebensabschnitt!





Schöne Maid - Bittersüße Erinnerungen

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