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Der Beckenspieler gibt einen Tusch, da geht sie los, die Kern Cilli, im Gleichschritt mit der Kapelle. Brust raus, Schultern gerade, Kinn hoch, auch den Lippenstift hat sie sich angelegt, aber schickt sich das? Ja, Mama, das schickt sich, denkt sich die Cilli. Der Rock flattert, die Knöpf der Bluse gespannt, es drückt ihr fast den Busen heraus, den hat sie heut zusammengepresst, sollen’s alle sehen, wie sehr sie einen Stolz vor sich herträgt. Da hat sich schon das vierte Mannsbild heut nach ihr umgedreht, sich den Schädel verrenkt, sie verteilt ihre Großzügigkeit samt damenhaftem Lächeln, mach es damenhaft, ja, Mama, was sich nicht alles schickt, als Tochter des Kaufmanns und nun des Bürgermeisters, du hast eine Verantwortung auszustrahlen, ja, das weiß die Tochter, sie macht heut der Familie alle Ehre, ihren Brüdern, ihrem Vater, dem Onkel, der vor ihr den Taktstock schwingt, sie marschiert als Marketenderin.

Sie hat sich extra aus der Messe geschlichen, damit sie Zeit hat, sich nochmals ein wenig mehr herzurichten. Und überhaupt ist zu überlegen, jetzt, wo der Vater der Bürgermeister, wie man’s mit dem Messgang in der Zukunft halten wird. Es war ja kein Zustand mehr, so hat’s der Vater immer gesagt, da wird der Glaubensinhalt schon zum Parteiinhalt und umgekehrt, eine Knebelung des aufrechten Christen, der Nationalsozialist dagegen ist ein freier Mensch, der geht in die Kirch aus einem freien Willen heraus. Der ist überhaupt viel klarer in allem, was er denkt und tut. Kein Geducke mehr, sondern ein aufrechtes Handeln. Daher hat sie sich auch, als Bürgermeistertochter, diese Aufgerichtetheit zugelegt, hat lange vorm Spiegel sich angeschaut und gemerkt, es stimmt. Zu sehr lässt man sich hängen. Die Jugend überhaupt, durch die Jahre der Arbeitslosigkeit, es ist ein Rumhängen und sinnloses Zeitvergeuden.

Verwahrloster Seelenzustand, so hat’s der Wimmer Eduard genannt, dem hat sie mal gefallen wollen, dem Edi aus der Bezirkshauptstadt. Hat was weniger Bäuerliches als die Mannsbilder vom Ort, hat ja auch ein Geschäft, die Familie, wie ihre eigene, nur noch mondäner. Cilli, der Wimmer hat wieder was, das musst sehen. Und sie fährt in die Bezirkshauptstadt und flaniert über die Hauptstraße, hofft, dem Edi über den Weg zu laufen, in einer Zufälligkeit, freilich. Man will nicht aufdringlich sich den Männern hinwerfen. Überhaupt, der Edi spricht ja von der Autonomie der Jugend, die sich bald erheben wird, ganz feurig hat er ihr das am Schießstand erläutert. Als die Schützen der Altpartei alle angetreten sind, eine Jahrmarktsstimmung war’s. Der Vater hat ganz passabel abgeschnitten, hat den damaligen Ortsgruppenleiter hinter sich gelassen, weißt, Mädl, der Baron, der ist Geschichte, mit seinem geschichtlichen Getue, seinem lächerlichen Schloss. Und fast lächerlich war’s, wie der Baron am Schießstand beinah nicht in die Kreise getroffen hat, ist ein versoffener Hund am End. Das hat den Baron gedemütigt und in einer unverfrorenen Hochnäsigkeit hat er dann gewütet, dass es doch die Pistole gewesen wär, die sei nicht ganz gerade, ja, so ist’s immer, wennst dich mit diesem Pack einlässt. Und der Edi hat beigepflichtet, als sie nach dem Schießen noch eine Zuckerwatte am Stadtplatz. Dem sollt man mal die Zeichen der Zeit, und der Vater und der Edi haben sich angeschaut. Ein sonderbares Anschauen war’s, das hat die Cilli damals nicht verstanden. Aber heute weiß sie, dass es der Wimmer Edi war, mit dem Stein Hansi, die in der darauffolgenden Nacht dem Baron ein Hakenkreuz aufs Schloss gemalt haben. So groß, es dauerte Tage, bis der Baron alles reinigen konnte, mit eigener Hand, denn seine Dienstboten hatte er wieder einmal in einem cholerischen Anfall entlassen. So ergeht’s dem hochnäsigen Pack, Cilli! Recht so, wenn denen mal die Wadln nach vorne gerichtet werden. – Hast du ihm damals die Wadln gerichtet, Edi? – Nein, sagt der Edi zur Cilli in Gedanken, ich wollt dir nur eine Liebesnachricht schreiben, daraus ist ein Hakenkreuz geworden.

Du bist so verrückt, Cilli, sagt dann die Klara. Wenn sie Kleider ausprobieren, die die Klara über die Luzi aus Salzburg mitgebracht hat, das Schickste der Saison, und sie reden über die Mannsbilder, als wären’s wie die Wäsch zum Wechseln. Du spekulierst echt noch mit dem Wimmer Edi? Der ist keiner fürs Langfristige, weißt, Cilli, und die Klara hat so ihre Theorie. Der ist ein Abenteurer, aber mehr nicht. – Du hast keine Ahnung, schimpft die Cilli dann zurück. Und sie erzählt, wie der Wimmer Edi mit ebenjenem Stein Hansi nicht nur die Schmierereien an den Wänden veranstaltet hat. Die beiden sind auch für die Lahmlegung der gesamten elektrischen Leitung in der Bezirkshauptstadt verantwortlich gewesen. – Ein terroristischer Anschlag war das, sagt die Klara, die das eben wieder von der Luzi hat, die sich da auskennt, weil deren Papa ja bei der Gendarmerie ist. Und Terror ist zwar für die Umsetzung einer unerhörten Meinungsäußerung oft ein notwendiges Mittel, so die Luzi, aber man sollt sich doch nicht die Finger an den Terroristen selber schmutzig machen. Außerdem sind die allzu Feurigen auch bald an der Front, meint die Klara, das hat sie jetzt nicht von der Luzi, sondern das denkt sie sich selbst, ein Mannsbild sollt nicht allzu politisch sein, das verdirbt nur das Mittagessen. Da hat die Cilli sie ausgelacht. Die Cilli lacht auch jetzt noch, als sie wieder dran denken muss, im Marsch durch den Ort, der ihr an diesem Palmsonntag wie ein Blumenmeer vorkommt.

Grad die Politischen haben es ihr neuerdings angetan. Das sind doch die viel Vitaleren, und auch die Fescheren. Das hat bei ihr schon bald begonnen, nämlich den Männern in der Uniform nachzuschauen, auch an den Kasernen immer zu stehen, bei Paraden und Kundgebungen. Als sich in der Bezirkshauptstadt die Vaterländische Front in einer großen Ansprach gezeigt hat, da hat sie überall die Fotos vom Heimwehrführer zusammengesammelt, dem Fey Emil. Die Mutter hat gemeint, das schickt sich nun wirklich nicht, denk dir den Altersunterschied, aber von der Reife lässt sie sich durchaus anziehen, die Cilli. Freilich, jetzt ist ein anderer über die Fotosammlung des Fey Emil gelegt worden, in noch größeren Abzügen, und auch politisch größer als die provinziellen Vaterländler. Einmal ist die Cilli sogar, als sie die Großmutter ins Spital in die Landeshauptstadt begleiten hat müssen, da hat sie die freien Minuten genützt und einige internationale Magazine erstanden, in einem Buchladen, und auf einem, da ist der Adolf Hitler gewesen in einer seiner beeindruckendsten Posen. Sie hat es sich geschnappt und das Bild vom Umschlag heruntergerissen, fein säuberlich dann zurechtgeschnitten, und unter die Bluse gesteckt. Denn sie hat gewusst, dass sie Probleme kriegen könnt, wenn man sie damit erwischt. Nicht wegen der Mutter oder dem Altersunterschied zwischen ihr und dem Führer, sondern weil die Zeit, wie der Oskar das genannt hat, noch nicht reif war.

Damals haben sie immer nur dann über die Taten des Führers reden können, wenn keiner sonst dabei war. Wenn man ausschließen hat können, dass ein Spitzel im Raum. Weil das sonst den Gang ins Gefängnis hätt bedeuten können. Die Cilli hat das alles deswegen nur umso reizvoller gefunden und hat sich gern recht versteckt getroffen, mit den jungen Radikalautonomen im Bezirk. Was treibst dich denn wieder rum, junges Fräulein? Aber der Vater hat genau geahnt, was sie da treibt, insgeheim war er sogar stolz, dass sie schon die Seite gewechselt hat. Und nicht ungern hat er sie gesehen, so denkt es sich die Cilli, als sie dann begonnen hat, sich mit dem Oskar aus dem Kloster zu zeigen, rein in einer Geistesverbundenheit freilich. Mademoiselle geht spazieren, mit wem? – Der Oskar ist ein ganz ein Feiner. Und gebildet ist der auch. Und keine Sorge, Mutter, der will mal Priester werden.

Das hatte alles sein Gutes, dass der Oskar ja ein Klosterschüler und dadurch einen Ruf gehabt hat, da war man dann fern von allzu viel Gerüchten. Freilich, die kamen schon auch auf. Vor allem, da ja die Cilli nie gegeizt hat mit dem, was sie zu zeigen hat, das ist nun mal ihre Natur. Und die braucht man nicht verbergen, im Gegenteil, der giftige Modernismus hat uns ja geradezu entfremdet, von unserer Abstammung, dem Boden, aus dem wir (natürlicherweise!) entsprungen. So und noch weiter redet die neue Jugend insgesamt: Der Cilli ihr Naturdekolleté ist reiner Ausdruck ihrer patriotischen Heimatverbundenheit also. Ein freches und freies Mädel ist sie.

Ach, Cilli, was wird mal werden, wenn wir alt und die Haare grau, fragt dann sentimental die Klara. Und sieht sich dann am Herd und mit Kindern und einem anständigen Garten, in dem sie die Nachbarsgschroppn bewirtet. Nicht so die Cilli. Die stramme Marketenderin vom Wahltag sieht sich vielleicht in einem Kampfflugzeug über den Alpen, ihrem Kriegshelden die Hand haltend (oder lenkt sie bereits selbst das Kampfgerät?). Nach der Landung werden sie in München oder Hamburg oder Berlin empfangen. Der Oskar redet ihr das ein. Wir werden weggehen, Cilli. Und dann wird noch was viel Größeres eintreten.

Der Oskar war einer der Ersten, der auch im Kloster die neue Zeit verbreitet hat. Musst nicht glauben, dass die Jugend sich im Katholischen einsperren lassen will, Cilli, wir begehren auf. Wir wissen, wo es hingehen wird, und die überkommene, schwächliche Doktrin, die uns der Abt und seine Schergen hier nahelegen, in die Hirne zu pressen, ist nicht mehr zeitgemäß. Der Zeit gemäß, so der Cilli ihr Oskar, der bereits in seinem Maturajahrgang die Revolte von innen heraus angegangen ist, der Zeit gemäß sei der moderne, freie und deutsche Mann, der aufrechten Geistes sich bewusst ist, dass die Welt nur durch ihn besser werden wird. Was für eine Ansprache, dabei hätte sie gern nur mit ihm eine Weile auf der Bank gesessen und ihn vielleicht geküsst. Er aber in einer Überzeugung, erzählt, wie sie demnächst aufmarschieren werden und Flagge bekennen. Haltung zeigen. Da wird dann die Studentenschaft im Stiftshof das alte, beschämende Denkmal, das man dem lachhaft winzigen Dollfuß gemacht hat, abreißen. Und die Matura werden wir boykottieren. Keiner wird sie bestehen. Aus einem Anstand heraus. Da hat sie dann gar nicht mehr anders können, die Küsse waren von einer unerhörten Direktheit, ja schickt sich das, junge Dame?

Die Cilli hat ihre Geheimnisse. Und auch wenn sie jetzt lächelnd im Marsch die Ortsstraße heranschreitet, es schlummert auch das Bittere und Unversöhnliche drin. Sie weiß um ihre Waffen. Sie weiß um den nahenden Krieg. Erahnt sie, mit welcher Ungeheuerlichkeit gegen jene vorgegangen werden wird, die hier nicht mitmarschieren? Es ist ein mörderisches Schreiten der Kern Cilli, sie wird sich irgendwann mal fragen müssen, wer hat mich gelehrt, so im Takt zu gehen? Oder glaubt sie daran, an die neue Bewegung, die eine Freiheit für einen jeden und eine jede verspricht? Die der Frau einen anderen Rang? Ist die Größe, die nun in aller Munde, eine Verlockung für das junge Mädchen, das ansonst wohl nichts weiter bliebe als die Einfache vom Land, in Unbedeutsamkeit. Die neue Politik gibt neuen Sinn. Und der Cilli ihrem Vater ein Amt und der Tochter ein Ansehen.

Das merkt sie jetzt besonders, als die Kapelle vor der Gemeinde hält, freudig empfangen wird, und als alle nun mit den Gesichtern der großen Erwartung aus dem Amt treten und den Vater der Cilli umringen, die Hände schütteln, tun sie es aus vorsorglicher Beflissenheit, nur keine Zweifel aufkommen zu lassen, oder hat es sie so erfasst wie die Cilli? In ihren Augen ist es klar, heute wird für die Veränderung gestimmt. Die eine unabwendbare ist. Es ist die Natur einer Veränderung. Überrollt und von der Geschichte aussortiert, wer jetzt nicht mitmarschiert. Der Vater sagt ein paar Worte, es gibt Applaus, dann wird wieder aufgespielt. Die gesamte Gefolgschaft rund um den Bürgermeister begibt sich zum Wirten, da ist der Braten schon fast auf den Tellern. Die Tochter wird brav am Tisch des Vaters sitzen, ihre beiden Brüder daneben.

Es dampft in der Wirtsstube, es legen die Leut ihre Mäntel ab, man war sich nicht sicher, ob Regen kommt. Hättet’s vertraut, sagt der Förster, die Sonn scheint immer, wenn der Führer es braucht, es ist warm geworden. Die Cilli schaut sich um, vom Oskar keine Spur, der muss heut in seinem eigenen Ort Parade stehen, schad. Die Klara winkt rüber, die Cilli ärgert sich. Halt deine patscherte Hand unten, Kind, ist jetzt keine Zeit fürs Naive! Die Cilli hat’s den Filmschauspielerinnen abgeschaut, im Kino: Es gibt die Frauen, die sich etwas Schmeichelndes umlegen, den Hauch der Zartheit, die immer kurz vor der Ohnmacht stehen, das ekelt die Cilli zunehmend an. Diesen Schmeichlerinnen wird die Härte das Gesicht zerstören! Dagegen steht die resolute Stolze, die sich ein klares Vokabular zulegt, und so sagt die Cilli, wir werden noch lang an diesen Tag zurückdenken, Vater, spätestens, wenn uns am Schlachtfeld der unbedingte Wille abverlangt wird. Der Vater, mit dem Schweinsbraten schon im Mund, wendet sich her, die Tochter sehr korrekt und ohne noch den Teller berührt zu haben, was sagst? Und da weiß die Cilli, auch der Vater ist nicht der neuen Zeit gewachsen. Was redest da, Kind, die Mutter verschluckt sich am Krautsalat. Der ältere Bruder kämpft mit einer Flaxen vom Schwein, der jüngere aber stockt, schaut rüber, Bruder und Schwester im Geiste vereint, weiß sie, dass er demnächst fallen wird? Ein jeder Toter ein nötiges Opfer, so wird sie’s dann am Brudergrab gesagt haben. Und die kleinbürgerliche Tochter wächst über den kleinbürgerlichen Wirtshaustisch hinaus, sie trägt unter ihrer Marketenderinnenbluse das Bild des Führers auf der nackten Brust.

Lasst’s mich durch, sagt da plötzlich wer, in die dunstige Schweinsbratengemütlichkeit, der Nagl ist’s. Hörst, was bist nicht am Amt? – Hermann, und der Nagl schaut der Cilli ihren Vater an, solltest besser kommen. – Was ist? Und der Vater schiebt ein zu großes Stück Fleisch ungekaut den Rachen runter. Kann’s nicht warten? – Hat einen Vorfall geben. Da bedeckt er seine Stimme, der Nagl, geht näher ran, an den Vater, aber die Cilli hat schon viel an heimlichem Gerede rausgehört, setzt sich aufrecht, mit leichter Neigung, was für ein Vorfall? Des Vaters Gesicht verfällt (so ist es immer mit ihm, dass er nie die Größe bewahrt in dieser aufwühlenden Zeit, auch wenn die Mutter mit ihm ein ernstes Wort, er hat einfach nicht die nötige Beherrschung: Wer führen will, muss zuallererst die eigene Unruhe zähmen!) Der Bleimfeldner Bub, schießt’s dem zerfallenen Vatergesicht aus dem Mund, samt Schwein und Saft und Kraut. Na wart. – Was ist, fragt (wer sonst) die Mutter in der Rolle der immer Fragenden, Hermann, was ist? Was wird schon sein, Mutter, wenn der Vater nun der Bürgermeister, dann wird da nimmer so im Plauderton, es wird schon Wichtiges sein, und die Cilli kann sich’s denken, der Karl, den sie doch in der Früh noch am Weg in den Ort rauf, da hat er ja schon so. So irgendwie unangenehm angespannt, sowieso immer ein Unangenehmer, sagt auch der Oskar, der mit ihm im Stift. Hat drum auch gesagt, wenn wer was Dummes heut, dann der Karl. Ein moralischer Besserwisser. Uninteressantes Kanonenfutter, so nennt’s der Oskar, und das sagt er nicht nur so, das weiß die Cilli. Sie hat schon den schwächlichen Bleimfeldner Karl vor sich.

Wo ist er hin? fragt der Vater. Und der Nagl sagt nur, aus dem Amt ist er raus und runter zur Familie. Der kriegt heut noch was zu hören.

Die Gegenstimme

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