Читать книгу Lawrence von Arabien - Die Wüstenrebellion - Thomas Edward Lawrence - Страница 10
5. Faisal rückt nach Norden vor
ОглавлениеOberst Wilson kam zu uns nach Janbo, um uns von der Notwendigkeit eines sofortigen Unternehmens gegen Wedjh zu überzeugen. Es war dies der nächste, nordwärts von Janbo gelegene Hafen, und von dort bedrohten die Türken Faisals Verbindungen nach dem Innern. Wenn wir uns durch überraschenden Vorstoß des Ortes bemächtigten, mußte die Initiative der Kriegführung uns zufallen.
Mit Faisal war ein prächtiges Arbeiten; hatte er einmal einer Sache zugestimmt, so setzte er sich auch mit ganzem Herzen dafür ein. Er gab sein Wort, daß er baldigst marschieren werde; und am Neujahrstage kamen wir beide daher zusammen, um uns über die Einzelheiten des Unternehmens und seine Bedeutung für uns wie für die Türken zu besprechen.
Faisal schlug vor, die Djuheina annähernd vollzählig mitzunehmen und ihnen Teile der Harb, der Billi, Ateiba und Ageyl anzugliedern, um möglichst viele Stämme an dem Unternehmen zu beteiligen. Denn dieser Vorstoß, der dem Krieg im nördlichen Hedjas einen gewissen Abschluß geben würde, sollte uns dazu verhelfen, das ganze westliche Arabien in Bewegung zu bringen.
Faisal trug Bedenken, Janbo, den zweiten Hafen vom Hedjas und bisher seine unentbehrliche Basis, ungedeckt zu lassen; und während wir über Maßnahmen nachdachten, die die Türken von einer Besetzung Janbos ablenken könnten, fiel uns plötzlich Sidi Abdulla ein. Er hatte etwa fünftausend Irreguläre nebst einigen Geschützen und Maschinengewehren. Faisal schlug vor, er solle bis an den Wadi Ais vorgehen, einem historischen Quellental genau hundert Kilometer nördlich von Medina, wodurch er Fakhris Eisenbahnverbindung nach Damaskus unmittelbar bedrohte.
Das war entschieden eine glückliche Eingebung, und wir schickten sogleich Raja el Khuluwi ab, um Abdulla für den Plan zu gewinnen. So sicher waren wir seiner Zustimmung, daß ich Faisal drängte, ohne die Antwort abzuwarten, vom Wadi Janbo nordwärts einen Tagemarsch gegen Wedjh vorzurücken.
Faisal willigte ein; und am 3. Januar 1917 brachen wir auf, um auf der breiten oberen Straße durch den Wadi Messarik auf Owais vorzurücken, eine Gruppe von Brunnen, etwa fünfzehn Meilen nördlich von Janbo. Das Gebirge war herrlich an diesem Tage. Die Dezemberregen waren reichlich gefallen, und der Sonnenschein danach hatte der Erde vorgetäuscht, der Frühling sei gekommen. Ein dünner Graswuchs war in allen Mulden und Niederungen aufgesproßt, vereinzelte Halme nur, schnell und starr emporschießend zwischen den Steinen.
Das Aufbruchsignal ertönte, aber es galt nur für uns und die Ageyl. Die übrigen Teile der Armee säumten – jeder Mann neben seinem niedergegangenen Kamel – seitlich unsern Weg, und sobald Faisal herankam, wurde er schweigend begrüßt. Er rief ihnen heiter zu: »Friede über euch!« und jeder der Oberscheikhs gab den Gruß mit den gleichen Worten zurück. Sobald wir vorüber waren, saßen die Leute auf einen Wink ihrer Führer auf und schlossen sich an; so wuchs der Zug hinter uns und wurde zu einer unendlich langen Kette von Reitern und Kamelen, die sich, soweit das Auge reichte, durch den engen Paß zur Wasserscheide hinaufwand.
Außer Faisals Gruß hatte nichts die Stille des Marsches unterbrochen, bis wir den Höhenkamm erreichten, von dem aus sich das Tal öffnete, und ein sanfter, mit Sand und feinem Geröll bedeckter Hang abwärts führte. Ibn Dakhil aber, der feurige Scheikh der Russ – er hatte vor zwei Jahren das Kontingent der Ageyl zur Unterstützung der Türkei aufgestellt, nach Ausbruch des Aufstandes aber sich mit seinen Leuten vollzählig dem Scherif angeschlossen – blieb nun einige Längen zurück, ordnete die uns unmittelbar folgenden Ageyl zu einer breiten Kolonne in gegliederten Reihen und ließ die Trommeln rühren. Und alle stimmten aus voller Kehle ein in den Gesang zu Ehren des Emirs Faisal und seiner Familie.
Unser Marsch nahm nachgerade etwas barbarisch Prächtiges an. Voran ritt Faisal in Weiß, zu seiner Rechten Scharraf in rotem Kopftuch und hennafarbenem Kleid und Mantel, zu seiner Linken ich selbst in Weiß und Scharlachrot, hinter uns die drei Banner aus verblaßter karminroter Seide mit goldenen Nägeln beschlagen, dann die Trommler, einen Marsch schlagend, und hinter diesen wiederum die Masse der zwölfhundert kräftigen Kamele der Leibgarde, so dicht gedrängt wie irgend möglich, die Reiter in Kopftüchern aller erdenklichen Farben und die Kamele fast ebenso prächtig in ihrer Aufzäumung. Das ganze Tal war bis an seine Flanken von diesem buntschillernden Heerstrom angefüllt.
Die Gefahr war groß, daß während unseres Vormarsches auf Wedjh Janbo in die Hand des Feindes fallen konnte; und daher hatten wir es für richtiger gehalten, die dort lagernden Vorräte zu räumen. Boyle verschaffte uns die Möglichkeit dazu, indem er signalisierte, die »Hardinge« werde zur Aufnahme der Vorräte verfügbar gemacht werden. Die »Hardinge« war ein indisches Truppentransportschiff, und ihr unteres Deck hatte längs der Wasserlinie große, viereckige Ladepforten. Kapitän Linberry ließ sie öffnen, und nun wurde alles Vorhandene einfach da hineingestopft: achttausend Gewehre, drei Millionen Patronen, Tausende von Schrapnells, Mengen von Reis und Mehl, eine Schuppenladung von Uniformen, zwei Tonnen Brisanzpulver und unser ganzes Benzin in kunterbuntem Durcheinander. Es war, wie wenn man Briefe in den Kasten wirft. Noch nie hatte das Schiff in so kurzer Zeit über tausend Tonnen Ladung genommen.
Boyle kam, um sich über die Lage zu orientieren. Er versprach, daß uns die »Hardinge« dauernd als Transportschiff zur Verfügung stehen würde, um, wann immer es nottäte, Lebensmittel und Wasser zu landen. Damit war unsere Hauptschwierigkeit behoben. Auch die Seestreitkräfte versammelten sich bereits; die halbe Rote-Meer-Flotte sollte zur Stelle sein. Der Admiral wurde erwartet, und auf jedem Schiff wurden Landungsabteilungen ausgebildet. Alles war damit beschäftigt, weißen Drell in Khaki zu färben, Bajonette zu schleifen oder sich im Schießen zu üben.
Im stillen freilich hoffte ich trotz alledem, daß es dort nicht zum Kampfe kommen würde. Faisal hatte etwa zehntausend Mann, genug, um das ganze Land der Billi mit bewaffneten Abteilungen zu besetzen und alles daraus fortzuschaffen, was nicht niet- und nagelfest war. Daß wir Wedjh einnehmen würden, war sicher; nur bestand die Gefahr, daß viele aus Faisals Heer unterwegs durch Hunger und Durst umkommen konnten. Indessen war das Land bis Um Ledji, halbwegs nach Wedjh gelegen, freundschaftlich gesinnt, und bis dahin jedenfalls konnte sich nichts Bedenkliches ereignen. Faisal setzte daher seinen Marsch an eben dem Tage fort, als Abdullas Antwort eintraf, daß er dem Plan mit dem Wadi Ais zustimmte. Am gleichen Tage kam die Nachricht von meiner Ablösung. Newcombe, als aktiver Oberst zum Chef unserer Militärmission im Hedjas ernannt, war in Ägypten eingetroffen; und seine beiden Stabsoffiziere, Cox und Vickery, waren schon auf dem Roten Meer unterwegs, um sich Faisals Expedition anzuschließen.
Boyle brachte mich auf der »Suva« nach Um Ledji, und wir gingen an Land, um Nachrichten einzuziehen. Der Scheikh sagte uns, daß Faisal am gleichen Tage in Bir el Woheidi eintreffen würde, einer Wasserstelle vier Meilen landeinwärts. Wir sandten eine Botschaft zu ihm; und dann gingen wir nach dem Fort hinüber, das Boyle einige Monate vorher von der »Fox« aus zusammengeschossen hatte. Es war nur noch ein Schutthaufen, und Boyle, die Ruinen betrachtend, meinte: »Man muß sich ja beinah schämen, solchen Tonpott zerschmissen zu haben.« Er war mit Leib und Seele Offizier, stets auf dem Posten, tüchtig und pflichteifrig; nur manchmal etwas aufbrausend gegen jederlei Schlendrian. Rothaarige Menschen sind selten geduldig. »Ginger Boyle«, wie wir ihn nannten, war ein Sprudelkopf.
Während wir noch die Ruinen betrachteten, kamen vier in graue Lumpen gekleidete Dorfälteste heran und baten um die Erlaubnis, zu sprechen. Sie sagten, vor einigen Monaten wäre plötzlich ein Schiff mit zwei Schornsteinen angekommen und hätte ihr Fort zerstört. Man hätte ihnen nun Weisung gegeben, es für die Polizei der arabischen Regierung wieder aufzubauen. Ob sie den großmütigen Kapitän des friedfertigen Schiffes mit einem Schornstein bitten dürften, ihnen etwas Bauholz oder anderes Material zur Wiederherstellung zu überlassen? Boyle wurde ungeduldig bei dieser langen Rede und fuhr mich an: »Was ist los? Was wollen die?« Ich sagte: »Nichts weiter. Sie erzählen nur von der furchtbaren Wirkung des Bombardements durch die ›Fox‹.« Boyle blickte rundum und lächelte ingrimmig: »Na ja, das hat ganz nett geflutscht.«
Am nächsten Tag traf Vickery ein. Er war Artillerist und hatte während einer zehnjährigen Dienstzeit im Sudan so gut arabisch gelernt, die Schrift- wie Umgangssprache, daß wir der Sorge um einen Dolmetscher für ihn enthoben waren. Wir kamen überein, zusammen mit Boyle zum Lager Faisals zu gehen, um die Einzelheiten des Angriffsplanes festzusetzen. Also setzten sich denn nach dem Mittagessen Engländer und Araber zusammen, um gemeinsam über den weiteren Vormarsch auf Wedjh zu beraten.
Es wurde beschlossen, die Armee in Gruppen zu teilen, und diese sollten, unabhängig voneinander, bis zum Sammelpunkt Abu Zereibat in Hamdh vorrücken, jenseits dessen bis Wedjh keine Wasserstelle mehr vorhanden war. Boyle jedoch erklärte sich bereit, die »Hardinge« für eine Nacht den Küstenort Scherm Habban – wo man einen geeigneten Hafen vermutete – anlaufen zu lassen und dort zwanzig Tonnen Wasser für uns an Land zu schaffen. So war diese Frage erledigt.
Für den Angriff auf Wedjh boten wir Boyle eine Landungsabteilung an, bestehend aus einigen hundert Harbs und Djuheina Landvolk. Er entschied sich, sie auch noch auf einem der Decks der vollgepfropften »Hardinge« unterzubringen. Sie, nebst der Marineabteilung, sollten nördlich der Stadt an Land gehen, wo keine türkischen Truppen zur Abwehr standen und von wo aus Wedjh und sein Hafen am besten umgangen werden konnten.
Boyle würde im ganzen sechs Schiffe zur Verfügung haben mit insgesamt fünfzig Geschützen, um die Aufmerksamkeit der Türken abzulenken; außerdem hatte er zur Beobachtung und Leitung des Feuers ein Flugzeug-Mutterschiff. Wir würden am Zwanzigsten des Monats in Abu Zereibat sein; am Zweiundzwanzigsten in Habban, um das von der »Hardinge« gelieferte Wasser in Empfang zu nehmen; und die Landungsabteilung sollte in der Frühe des Dreiundzwanzigsten bei Wedjh an Land gehen, zu welcher Zeit unsere Reiterei alle von Wedjh abgehenden Wege gesperrt haben würde.
Die Nachrichten aus Rabegh lauteten günstig; die Türken hatten keinen Versuch gemacht, die Entblößung von Janbo auszunutzen. Als die Funksprüche Boyles uns über diese unsere größte Sorge endgültig beruhigten, hob sich unser Mut gewaltig. Abdulla stand schon dicht vor Ais, wir selber halbwegs nach Wedjh: die Initiative der Kriegführung war auf die Araber übergegangen. Ich war so froh darüber, daß ich für einen Augenblick meine Selbstbeherrschung vergaß und begeistert ausrief, in einem Jahr würden wir an die Tore von Damaskus pochen. Ein Frosthauch der Ernüchterung ging durch das Zelt, und meine Hoffnungsfreudigkeit erstarb. Dennoch war es kein phantastischer Traum, denn fünf Monate später war ich in Damaskus und ein Jahr darauf de facto Gouverneur der Stadt.
Faisals Armee bei Bir el Waheida belief sich auf fünftausend Kamelreiter und fünftausend Mann zu Fuß, mit vier Krupp-Gebirgskanonen und zehn Maschinengewehren; zum Transport hatten wir dreihundert Lastkamele. Unser Aufbruch war für den achtzehnten Januar gleich nach Mittag festgesetzt, und pünktlich zur Essenszeit hatte Faisal alle Vorbereitungen beendet. Nach Tisch wurde das Zelt abgebrochen; wir gingen zu unsern Kamelen, die gesattelt und beladen rings im Kreise lagen; je ein Sklave hielt sie, den Fuß auf ihr untergeschlagenes Vorderbein gestellt, nieder. Der Paukenschläger, neben Ibn Dakhil, dem Kommandanten der Leibgarde, stehend, ließ sieben oder acht Paukenschläge ertönen, worauf alles still wurde. Wir blickten auf Faisal. Er erhob sich von seinem Teppich, wo er eben noch ein paar Worte zu Abd el Kerim gesprochen hatte, ergriff beide Sattelknöpfe, stemmte das Knie gegen die Flanke des Tieres und rief laut: »Laßt Gott für euch walten.« Der Sklave ließ das Kamel los, und es sprang auf. Sobald es auf den Füßen stand, schwang Faisal das andere Bein über den Rücken, zog mit einer Armbewegung Kleid und Mantel unter sich und setzte sich im Sattel zurecht.
Als sein Kamel anritt, schwangen auch wir uns in den Sattel, und sämtliche Tiere richteten sich hoch, einige mit Gebrüll, die meisten aber ruhig, wie es sich für wohlabgerichtete Kamelstuten gehört. Sie trabten ziemlich heftig an, und wir Reiter mußten die Schenkel um die Vorderpauschen des Sattels klemmen und das Kopfhalfter aufgreifen, um das Tempo zu zügeln. Dann sahen wir uns nach Faisal um, klopften leicht den Kopf unseres Reittieres und drückten ihm die nackten Füße gegen die Schultern, bis wir in gleicher Linie mit Faisal waren. Ibn Dakhil kam heran, und nach einem raschen Blick über Gelände und Marschrichtung gab er den Ageyl einen kurzen Befehl, die daraufhin in zwei Flügel, rechts und links von uns, aufmarschierten.
Dann kam ein auffordernder Trommelwirbel; und der Dichter des rechten Flügels stimmte einen schrillen Gesang an, einen frei erfundenen Zweizeiler zum Ruhm von Faisal und von den Herrlichkeiten, die er uns in Wedjh verschaffen würde. Der rechte Flügel horchte gespannt auf den Vers, nahm ihn auf und sang ihn gemeinsam einmal, zweimal, dreimal, stolz, selbstzufrieden und herausfordernd. Aber ehe sie zum vierten Male ansetzen konnten, stimmte der Dichter des linken Flügels eine Entgegnung aus dem Stegreif an, in gleichem Vers und Rhythmus, aber noch leidenschaftlicher im Gefühl. Der linke Flügel brach in Beifallstriumph aus, die Trommeln rasselten von neuem, die Bannerträger entrollten die großen, leuchtend roten Fahnen, und alles, rechts, links und in der Mitte, stimmte im Chor den brausenden Gesang der Leibgarde an, nach der alten Melodie:
»Britannien hab' ich und Gallien verloren
Und Rom und die Schwüre, die sie geschworen,
Und verloren Lalage«;
nur sangen sie statt dessen von Nedjh, das sie verloren hatten, und den Frauen von Maabda und Djidda und Suez. Es war ein schönes Lied im rhythmischen Takt, den die Kamele liebten, so daß sie die Köpfe senkten, die Hälse vorstreckten und mit weitausgreifenden Schritten träumerisch dahinschwankten.
Der Weg war heute nicht beschwerlich, denn er ging über feste Sandhänge, lange sanft ansteigende Dünenwellen, kahl auf den Rücken, aber in den Mulden mit Gesträuch bewachsen und mit vereinzelten dürftigen Palmen in den feuchten Niederungen. Später, als wir gerade eine Senkung passierten, kamen von links zwei Reiter angaloppiert, um Faisal zu begrüßen. Den einen kannte ich, es war der alte, schmutzige, triefäugige Mohammed Ali el Beidawi, der Emir der Djuheina; aber der andere schien mir fremd. Beim Näherkommen sah ich, daß er Khakiuniform trug, mit arabischem Mantel darüber, nebst seidener Schnur und Kopftuch, das reichlich schief saß. Er sah auf, und ich erkannte Oberst Newcombes sonnenverbranntes Gesicht mit den zwingenden Augen und dem heftigen Mund, ein breites gutmütiges Lachen zwischen den kräftigen Kinnbacken. Er war am gleichen Morgen in Um Ledji angekommen, und als er hörte, daß wir gerade erst aufgebrochen waren, hatte er Scheikh Jussufs schnellstes Pferd genommen und war uns nachgeritten.
Ich bot ihm mein zweites Kamel an und stellte ihn Faisal vor, der ihn gleich einem Jugendfreund begrüßte. Und sofort stürzten sie sich mitten in die Ereignisse, berieten, debattierten, entwarfen Pläne im Handumdrehen. Newcombes rasch zupackendes Ungestüm war hinreißend; und die Frische des Tages, die freudige Bewegtheit des Heeres gaben dem Marsch begeisterten Schwung und weckten eine Fülle froher Zukunftshoffnungen in uns.
Die Einteilung der Marschroute war einigermaßen schwierig bei der recht dürftigen Hilfe der Musa Djuheina, unserer landeskundigen Führer. Sie schienen keine kleinere Zeiteinheit zu kennen als den Halbtag und keine andere Entfernungseinheit als Handspanne oder Tagemarsch; und bei ihnen konnte ein Tagemarsch sechs oder auch sechzehn Stunden bedeuten, je nach dem guten Willen von Mann oder Kamel. Die Verständigung zwischen den weit auseinandergezogenen Abteilungen war schwierig, da es oft keinen bei ihnen gab, der lesen oder schreiben konnte. Die Folge war, daß Aufenthalte, Verwirrung, Hunger und Durst den Vormarsch beeinträchtigten. Das wäre zu vermeiden gewesen, wenn wir Zeit gehabt hätten, vorher den Weg genauer zu erkunden. Die Tiere blieben fast drei Tage lang ohne Futter, und die letzten fünfzig Meilen hatte die Truppe nichts mehr zu essen und verfügte nur noch über eine halbe heißer, dürrer Tag, und es wäre um ihr Tempo und ihre Spannkraft geschehen.
Nach beendetem Tagewerk zogen Newcombe und ich uns in das Schlafzelt zurück, das uns Faisal als besonderen Luxus zur Verfügung gestellt hatte. Die Transportmöglichkeiten waren so beschränkt und zugleich von so ausschlaggebender Bedeutung für uns, daß wir Offiziere unsern Stolz darein setzten, nicht mehr Gepäck mit uns zu führen als der Mann, der sich auf das Allernotwendigste beschränken mußte; daher hatte ich bislang niemals ein eigenes Zelt besessen. Heute wurde es hart am Rande eines Abgrunds in den Vorbergen aufgeschlagen; die Schlucht war kaum breiter als das Zelt selbst und scharf gerandet, so daß der Steilhang unmittelbar vor den Stangen der Zeltklappe jäh abfiel. Hier fanden wir Abd el Kerim, den jungen Beidawi Scherif, sitzen und auf uns warten, bis an die Augen in Mantel und Kopftuch gehüllt, denn der Abend war kühl und Regen drohte. Er war gekommen, um mich um ein Maultier samt Sattel und Zaumzeug zu bitten. Die schmucke Erscheinung unserer M.-I.-Kompanie in Breeches und Gamaschen nebst ihren prächtigen jungen Tieren hatte ihm den Mund wäßrig gemacht.
Ich hielt ihn ein wenig zum Narren mit seiner Begehrlichkeit und vertröstete ihn damit, er möge nach unserm siegreichen Einzug in Wedjh mit seinem Anliegen wieder zu mir kommen; und damit gab er sich zufrieden. Wir waren todmüde, und endlich stand er auf, um zu gehen; dabei fiel sein Blick in das Tal, wo ringsum in den Niederungen die Wachtfeuer der einzelnen Heeresabteilungen weithin leuchteten. Er rief mich vor das Zelt, und mit dem Arm darüber hinweisend, sagte er mit leichter Trauer: »Jetzt sind wir keine Araber mehr, wir sind eine Masse geworden.«
Am nächsten Morgen regnete es unaufhörlich; wir waren froh, unsere Wasservorräte zu ergänzen, und fühlten uns so behaglich in den Zelten bei Semna, daß wir erst aufbrachen, als am frühen Nachmittag die Sonne wieder schien. In der erfrischten Luft marschierten wir dann westwärts das breite Tal hinab. Unmittelbar hinter uns folgten die Ageyli. Dahinter führte Abd el Kerim seine Gufaleute, ungefähr siebenhundert Berittene und mehr noch zu Fuß. Sie waren in Weiß gekleidet, mit breitem Kopftuch aus rotweiß gestreifter Baumwolle; an Stelle von Fahnen schwenkten sie grüne Palmzweige.
Dann kam Scherif Mohammed Ali abu Scharrain, ein alter Patriarch mit langem, gelocktem, grauem Vollbart, in aufrecht stolzer Haltung. Seine dreihundert Reiter waren Aschraf, vom Geschlecht der Aiaischi (Djuheina), und tatsächlich jeder ein Scherif, aber nur in ihrer Gesamtheit als solche anerkannt, da sie keinen geschriebenen Stammbaum besaßen. Sie trugen unter schwarzen Mänteln rostrote, hennagefärbte Kleider und fochten nur mit dem Säbel. Hinten auf der Kruppe des Kamels eines jeden hockte ein Sklave, der ihm im Kampf mit Flinte und Dolch zur Seite stand, das Kamel betreute und das Essen bereitete. Die Sklaven waren, wie es sich für Diener armer Herren geziemt, nur höchst spärlich bekleidet. Ihre kräftigen schwarzen Beine hielten die wolligen Flanken des Kamels wie Schraubstöcke umklammert, um nicht zu harte Stöße auf ihr knochiges Hinterteil zu bekommen, und sie hatten ihre zerlumpten Hemden unter dem geflochtenen Lendenstrick hochgeschürzt, damit das Kamel sie nicht beschmutzte beim Stallen oder Misten unterwegs. Das Wasser von Semna hatte heilkräftige Wirkung, und an diesem Tage floß der Dung unserer Tiere wie grüne Suppe an den Schenkeln herab.
Hinter den Aschraf folgte das rote Banner des letzten zu einer Truppe geordneten Stammes, der Rifaa unter Owdi ibn Zuweid, dem pfiffigen alten Piraten, der die Mission Stotzingen ausgeraubt und ihr Funkgerät samt der indischen Bedienungsmannschaft bei Janbo ins Meer geworfen hatte. Die Haie werden vermutlich das Funkgerät verschmäht haben, aber wir hatten manche nutzlose Stunde verbracht mit dem Versuch, es wieder herauszufischen. Owdi trug noch einen langen, dicken, pelzbesetzten deutschen Offiziersmantel, eine reichlich unzweckmäßige Bekleidung für dies Klima, aber, wie er geltend machte, ein prächtiges Beutestück. Er hatte ungefähr zweitausend Mann, zwei Drittel davon unberitten. Hinter ihm marschierte Rasim, der Artilleriekommandeur, mit vier alten Krupp-Geschützen, noch genau so auf den Maultieren verpackt, wie er sie von der ägyptischen Armee übernommen hatte.
Rasim war ein bärbeißiger Damaszener, der jeder wirklichen Gefahr lachend entgegenging, aber kopfhängerisch herumschlich, wenn alles gut stand. Heute gab es wieder allerhand unheilschwangeres Gemurmel: denn neben ihm ritt Abdulla el Deleimi, Führer der Maschinengewehrabteilung, ein flinker, gescheiter, leichtsinniger, aber liebenswürdiger Offizier, so recht der Typ seines Standes, der sich immer einen Hauptspaß daraus machte, irgendein Sorgengewitter in Rasims Gemüt zusammenzubrauen, bis es sich dann mit aller Gewalt über Faisal oder mich entlud. Diesmal half ich ihm noch dabei, indem ich Rasim lächelnd darauf aufmerksam machte, daß bei unserem Marsch heute die Unterstämme sich auf ganze Vierteltagsabstände seitwärts geschlagen hätten. Rasim blickte über das regenfeuchte Gesträuch, auf dessen Blättern noch die Tropfen in der eben unter einem Wolkendach hinter ferner Düne glührot versinkenden Sonne glitzerten; und er blickte auf die wilden Horden der Beduinen, die allenthalben zu Fuß hierhin und dorthin hinter Vögeln und Kaninchen, Rieseneidechsen und Springmäusen herjagten oder sich untereinander herumbalgten: und er nickte sauertöpfisch und meinte, er würde demnächst einen Unterstamm auf eigene Faust begründen und sich auf halbe Tagemarschlängen in die Büsche schlagen und sich wenigstens nicht länger mit den Fliegen herumärgern.
Beim Abmarsch hatte ein Mann in der Kolonne einen Hasen vom Sattel aus geschossen, aber wegen der Gefahr solcher wilden Schießerei hatte Faisal es verboten; und nun wurden die unter den Tritten der Kamele hochgehenden Hasen mit Stöcken gejagt. In der Kolonne gab es dann jedesmal vergnügliche Aufregung: Geschrei ertönte, Kamele wurden seitlich herausgetrieben, die Reiter sprangen ab und bemühten sich, mit wild geschwungenen Stöcken das Tier totzuschlagen oder aufzugreifen. Faisal war froh, daß seine Leute auf diese Weise reichlich Fleisch zu essen bekamen, aber ihm grauste vor dem Appetit der wenig wählerischen Djuheina auf Eidechsen und Springmäuse.
Wir marschierten über ebene Sandflächen, die dicht mit kräftigen Dornbüschen bewachsen waren, bis wir in Sicht der Küste kamen; dann wandten wir uns nordwärts und schlugen einen festgetretenen Weg ein, die Pilgerstraße von Ägypten. Sie lief etwa fünfzig Yard von der Küste entfernt und war so breit, daß die Truppe unter fröhlichem Gesang zu dreißig bis vierzig nebeneinander marschieren konnte. Ein alter, halb im Sand begrabener Lavastrom hatte sich von dem vier bis fünf Meilen landeinwärts gelegenen Gebirge vorgeschoben und bildete einen breiten Buckel. Die Straße kreuzte ihn, und links von uns tauchten sumpfige Niederungen auf, von schmalen, im letzten Abendlicht funkelnden Wasserläufen durchzogen. Das war unser vorgesehener Rastpunkt, und Faisal gab das Signal zum Halten. Die Kamele wurden versorgt, die Leute reckten die Glieder, setzten sich oder gingen zum Meer hinab, um vor dem Essen zu baden; und da gab es denn ein Geplantsche und Getobe von Hunderten von nackten Männerleibern in allen erdenklichen Hauttönungen der Erde.
Das Abendessen war diesmal sehr verlockend, da ein Djuheina am Nachmittag eine Gazelle für Faisal erlegt hatte. Gazellenfleisch wird in der Wüste allem anderen vorgezogen, denn, wie öde und wasserarm auch die Gegend sein mochte, dies Wild lieferte stets einen fetten und saftigen Braten.
Am nächsten Tag gab es einen bequemen Marsch bei heiterem, kühlem Wetter. Tagsüber ritten wir beiden Engländer natürlich stets im großen Haufen, doch besaßen wir zum Glück ein Zelt, in das wir uns, um allein zu sein, zurückziehen konnten. Das ständige Leben in Gemeinsamkeit bedeutete nicht die kleinste der vielen Plagen der Wüste; jeder hörte und sah bei Tag und Nacht, was jeder andere sprach oder tat. Einen Raum für sich zu haben, wie Newcombe und ich, bedeutete eine wahre Erlösung nach dem ewigen Beisammensein; aber natürlich beeinträchtigte eine solche Absonderung den engen Zusammenhang zwischen Führer und Mann. Die Araber kannten keine Unterschiede, weder der Geburt noch des Standes, außer der selbstverständlichen Vorherrschaft, die man einem berühmten Scheikh kraft seiner natürlichen Überlegenheit einräumte. Sie sagten mir, keiner könnte ihr Führer sein, es wäre denn, er teile ihre Kost, trüge ihre Kleider, lebe in gleicher Weise wie sie und zeige sich dabei doch tüchtiger und fähiger als alle andern.
Wir marschierten auf Abu Zereibat zu; und am Vormittag stiegen wir einen rasch fallenden Hang mit nacktem, schwarzem Kieselgrund hinab. Als wir einmal anhielten, fühlten wir, daß eine ausgedehnte Senkung vor uns lag; doch erst um zwei Uhr nachmittags, nach Überquerung eines Basaltfeldes, öffnete sich unserm Blick ein Einschnitt von fünfzehn Meilen Breite: das Tal des Wadi Hamdh, der hoch im Gebirge entsprang. Für unsere, von den Formen einer kleinlicheren Landschaft übersättigten Augen war es ein wohltuender Anblick, dieses gewaltige Schlußteil eines trockenen Stromes, länger als der Tigris. Es war das größte Tal Arabiens, zum erstenmal von DoughtyCharles M. Doughty, berühmter engl. Arabienforscher (A.d.Ü.). Vergleiche sein Werk »Die Offenbarung Arabiens«. Paul List Verlag. Leipzig 1937. erwähnt und bis heute unerforscht.
Voller Erwartung ritten wir die kiesigen, mit immer dichteren Grasbüscheln bedeckten Hänge hinab, bis wir um drei Uhr das Bett des Wadi selbst betraten. Es war eine Meile breit und mit Gruppen des Asla-Strauchs bestanden, rings umklebt von Sandhügeln, einige Fuß hoch. Der Sand war durchzogen von trockenen und brüchigen Lehmstreifen, den Rückständen einstiger Überflutungen, die den ganzen Boden in scharf abgesetzte Schichten teilten und in den unteren Lagen zu salzigem Schlamm zersetzt waren, so daß sie nachgaben und die Kamele durch die obere trockene Sandlage bis zu den Fesseln durchbrachen, mit einem Geräusch wie von zerbröckelnder Kuchenkruste. Der Nebel stieg in dicken Schwaden auf, und von der Sonne niedergehalten, verdichtete er sich mehr und mehr.
Die hinteren Reihen konnten nicht mehr erkennen, wo sie gingen, was das Vorwärtskommen sehr erschwerte; denn die Sandhügel drängten sich immer enger zusammen, und das Flußbett war zerfurcht von einem wirren Netz schmaler Rinnen, dem jahrzehntelangen Werk partieller Fluten. Gegen die Mitte des Tales hin war alles mit dichtem Buschwerk überwachsen; es sproßte seitlich aus den kleinen Hügeln und verflocht sich ineinander mit gewundenen Zweigen, dürr, hart und trocken wie alte Knochen. Wir rollten die Klappen unserer prächtigen Satteltaschen ein, damit sie nicht vom Gestrüpp zerrissen würden, knüpften die Mäntel fest zusammen, zogen zum Schutz der Augen die Kopftücher herunter und rauschten hindurch, wie Sturmwind durchs Röhricht. Der Staub blendete die Augen und benahm den Atem; und das Zurückschnappen der Zweige, das Murren der Kamele, das Geschrei und Gelächter der Leute hörten sich abenteuerlich genug an.
Kurz vor dem jenseitigen Uferrand öffnete sich das Dickicht, und lehmiger Boden erschien, in dem ein tiefer, brauner Wasserpfuhl lag, achtzig Fuß lang und etwa fünfzehn breit. Das war das Flutwasser von Abu Zereibat, unserm Ziel. Wir rückten noch einige Yard weiter, vorbei an den letzten Büschen und erreichten das offene Nordufer, wo Faisal den Lagerplatz bestimmt hatte. Wir hielten die Kamele an, die Sklaven entsattelten sie und schlugen die Zelte auf, während wir hingingen, um den Maultieren zuzuschauen, die, ausgedürstet vom langen Tagemarsch, sich samt der Begleitmannschaft in den Weiher stürzten und hier vergnügt bockend im Wasser herumplantschten. Der Überfluß an Brennholz war eine weitere Annehmlichkeit, und überall, wo sich eine Gruppe Lagergefährten ihren Platz gewählt hatte, brannte ein fauchendes Feuer – allen sehr willkommen, denn der Abendnebel lagerte acht Fuß dick über dem Tal, und die feuchte Kühle steifte unsere wollenen Mäntel und setzte sich in silbernen Tröpfchen auf dem rauhen Gewebe ab.
Die Nacht war schwarz und mondlos, doch über der Nebelschicht funkelnd von Sternen. Wir standen auf einem Hügel in der Nähe unserer Zelte beisammen und blickten über das Gewoge des weißen Nebelmeeres. Zeltspitzen ragten daraus hervor und zerfließende Rauchsäulen entstiegen ihm, die von unten her beleuchtet wurden, wenn die Wachtfeuer höher aufflammten, gleichsam emporgetrieben vom wechselnden Lärm der unsichtbaren Armee. Als ich mich in diesem Sinne äußerte, verbesserte mich der alte Owdi ibn Zuweid, indem er sagte: »Nicht eine Armee, sondern ein ganzes Volk rückt hier gegen Wedjh vor.« Ich freute mich über dieses Wort, denn um der Erweckung eben dieses Gefühls willen hatten wir uns ja die ganze Zeit auf einem so schwierigen Marsch mit einer ungelenken Männerhorde abgemüht.
Später trat, ohne Ankündigung oder Gepränge, der Scherif Nasir von Medina ins Zelt. Faisal sprang auf, umarmte ihn und führte ihn zu uns. Nasir machte einen hervorragenden Eindruck, ganz so, wie es nach allem, was wir von ihm gehört hatten, unserer Erwartung entsprach. Er war der Wegbereiter, der Vorläufer von Faisals Erhebung, der Mann, der in Medina den ersten Schuß abgefeuert hatte und der unseren letzten Schuß in Muslimijeh jenseits Aleppo abfeuern sollte, an dem Tage, als die Türkei um Waffenstillstand bat. Und von Beginn bis Schluß des Feldzuges war nur Rühmendes von ihm zu sagen.
Er war eigentlich ein Liebhaber friedlichen Gartenbaues, aber wider seinen Willen war seit der Knabenzeit sein Schicksal Krieg gewesen. Er mochte jetzt siebenundzwanzig Jahre alt sein. Seine breite, niedere Stirn fügte sich gut zu den sinnenden Augen, und der weiche, gefällige Mund und das schmale Kinn traten deutlich hervor unter seinem gestutzten schwarzen Bart.
Am nächsten Morgen schliefen wir lange, um uns für die notwendigen Audienzstunden zu stärken. Ihre Hauptlast trug Faisal selbst. Nasir, als zweiter im Kommando, unterstützte ihn, und die beiden Brüder Beidawi setzten sich auch dazu und halfen. Der Tag war klar und warm und drohte heiß zu werden. Newcombe und ich schlenderten umher, sahen uns die Mannschaften an und das Tränken an der Wasserstelle und beobachteten den Zustrom Neuankommender.
Wir waren bereits zwei Tage hinter der mit der Flotte vereinbarten Zeit zurück, und Newcombe entschloß sich noch am selben Abend nach Habban vorauszureiten. Dort wollte er Boyle treffen, um ihm mitzuteilen, daß wir die Verabredung mit der »Hardinge« nicht einhalten könnten, daß wir aber sehr froh wären, wenn das Schiff am 24. Januar nochmals in Habban sein könnte, zu welcher Zeit wir dort eintreffen und dringenden Bedarf an Wasser haben würden. Auch wollte er zusehen, ob der Angriff von See sich nicht auf den fünfundzwanzigsten verschieben ließe, damit der verabredete Plan eingehalten bliebe.
Früh am nächsten Morgen marschierten wir in aufgelösten Reihen drei Stunden den Wadi Hamdh hinunter. Dann bog das Tal nach links, wir stiegen hinauf und kamen über eine trostlose, einförmige Niederung. Es war kalt heute; ein harscher Nordwind, die graue Küste entlang, fuhr uns ins Gesicht. Während des Marsches hörten wir von Zeit zu Zeit Artilleriefeuer aus der Gegend von Wedjh, und wir mußten fürchten, daß die Flotte die Geduld verloren und ohne uns den Angriff begonnen hatte. Doch konnten wir ja die verlorenen Tage nicht wieder einholen; und so marschierten wir denn unser langweiliges Pensum ab, einen Nebenfluß des Hamdh nach dem andern überquerend. Die ganze Ebene war von diesen Wadis durchzogen, alle schmal, steil und steinig, so zahlreich und verworren wie Adern in einem Blatt. Schließlich stiegen wir bei Kurna wieder zum Hamdh hinab, und obgleich der lehmige Boden nur Schlamm hielt, wurde hier das Lager aufgeschlagen.
Während wir uns einrichteten, gab es plötzlich Lärm. Nach Osten zu hatte man weidende Kamele gesehen, und die Unternehmungslustigen unter den Djuheinas machten sich auf, fingen die Tiere und trieben sie ins Lager. Faisal war wütend und schrie ihnen zu, haltzumachen; aber sie waren zu aufgeregt, um zu hören. Er ergriff sein Gewehr und schoß auf den Vordersten; dieser purzelte vor Schreck aus dem Sattel, so daß die anderen stoppten. Faisal ließ die Gesellschaft vor sich kommen, hieb mit seinem Reitstock auf die Anführer ein, beschlagnahmte die Kamele und, zur gerechten Strafe, auch die der Diebe. Dann ließ er die Tiere ihren Eigentümern, den Billi, wieder zustellen. Hätte er nicht so gehandelt, so würde der Vorfall wahrscheinlich einen Sonderkrieg mit den ortsangesessenen Stämmen – unseren Verbündeten von morgen – entfacht und ein weiteres Vorrücken über Wedjh hinaus vereitelt haben. Von solchen Kleinigkeiten konnte unser Enderfolg abhängig sein.
Am nächsten Morgen marschierten wir bis an die Küste und erreichten um vier Uhr Habban. Die »Hardinge« lag wirklich draußen, zu unserer großen Erleichterung, und landete Wasser; aber die schmale Bucht gab nur geringen Schutz, und in der schwer rollenden See war das Ankommen für die Boote gefährlich. Die erste Ladung reservierten wir für die Maultiere und gaben, was an Wasser übrigblieb, den erschöpften Fußgängern. Es wurde eine unruhige Nacht. Haufen von Durstigen drängten sich um die Tanks im Licht der Scheinwerfer und hofften auf einen Trunk, wenn die Boote nochmals die Landung wagen würden.
Ich ging an Bord und erfuhr, daß die Flotte den Angriff, ohne die Landarmee abzuwarten, begonnen hätte; denn Boyle hatte gefürchtet, daß bei längerem Zögern die Türken davonlaufen würden. Tatsächlich hatte der türkische Kommandant, Ahmed Tewfik Bey, am gleichen Tage, als wir Abu Zereibat erreichten, eine Ansprache an die Garnison gehalten und dabei erklärt, Wedjh müßte bis zum letzten Blutstropfen gehalten werden. Dann, bei Dunkelheit, hatte er sich mit wenigen, gut berittenen Begleitern nach der Eisenbahn davongemacht. Die zweihundert Mann Infanterie beschlossen ihrerseits, die Pflicht, die er versäumt hatte, gegenüber dem Landungskorps zu erfüllen; doch standen sie einer gegen drei, und das schwere Feuer der Schiffsgeschütze hinderte sie daran, ihre Stellungen richtig auszunutzen. Soweit auf der »Hardinge« bekannt war, hatte der Kampf noch nicht geendet, aber die Stadt Wedjh war bereits von Marinesoldaten und Arabern besetzt.
Die günstigen Nachrichten belebten die Armee, und bald nach Mitternacht begann sie sich nordwärts in Bewegung zu setzen. Beim Morgengrauen sammelten wir die einzelnen Gruppen, marschierten geschlossen weiter und trafen dann auf versprengte türkische Abteilungen, von denen einzelne kurzen Widerstand leisteten. Die Ageyl saßen ab, um sich ihrer Mäntel, Kopftücher und Kleider zu entledigen; dann gingen sie in ihrer braunen Halbnacktheit vor, wodurch, wie sie erklärten, etwaige Wunden sauber und außerdem ihre kostbaren Gewänder unbeschädigt bleiben würden.
Es war hübsch anzusehen, wie diese kräftigen braunen Männer im Sonnenlicht durch das sandige Tal schritten, in dessen Mitte der türkisblaue Spiegel eines Salzsees erglänzte, von dem sich die beiden vorangetragenen Banner rot leuchtend abhoben. Sie gingen in einem langen, gleichmäßigen Schritt vor, in einem Tempo von fast sechs Meilen in der Stunde, in tiefstem Schweigen, und erreichten und erklommen die steile Höhe bei Wedjh, ohne einen Schuß abzufeuern. Auf diese Weise erfuhren wir, daß die Arbeit schon von der Flotte und dem Landungskorps für uns getan war.