Читать книгу Somatische Intelligenz - Thomas Frankenbach - Страница 7

Оглавление

2. IST NATURKOST WIRKLICH EIN UNEINGESCHRÄNKTES HEILMITTEL?

Auch wenn es angesichts einer oft uneingeschränkten und undifferenzierten Anpreisung von Natur- und Vollwertkost in den vergangenen drei Jahrzehnten so manchem unglaublich erscheinen mag: Nicht für jeden ist Naturkost vorbehaltlos zu empfehlen.

Obgleich Vollwertkost und ein höherer Anteil an gering verarbeiteter Nahrung unzähligen Menschen geholfen hat, ihren Gesundheitszustand und ihr Wohlbefinden zu verbessern, lässt sich die Idee der Naturkost als Heilkost nicht auf alle Menschen in ein und derselben Weise übertragen. Denn je nach individueller Konstitution und Lebenssituation kann Naturkost gesundheitliche Probleme verursachen. Und diese müssen nicht einmal von Agrarpestiziden ausgehen. Auch ganz natürliche Inhaltsstoffe von Früchten können dafür verantwortlich sein.

Ließen sich solche negativen Wirkungen womöglich vermeiden, wenn wir über die allgegenwärtigen Ernährungsempfehlungen hinaus den Signalen des Körpers größere Beachtung beimessen würden, etwa durch eine gezielte Verbesserung unseres Körper- und Bauchgefühls?

Naturkost – nicht immer die beste Kost

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum bei uns Vollkorn als das gesündeste Brot gehandelt wird, während es in vielen anderen Ländern so gut wie keine Beachtung findet? Und weshalb gilt es bei uns als besonders gesund, sich vegetarisch zu ernähren, während der Vegetarismus in so vielen anderen Ländern und naturverbundeneren Kulturen, selbst zum Gebrauch als kurzfristige Heilnahrung, praktisch so gut wie keine Rolle spielt? Und warum wird immer wieder die pauschale Empfehlung gegeben, Äpfel aus Gesundheitsgründen mit Schale zu essen, obwohl sie manchen Menschen ohne Schale viel besser bekommen würden?

Nicht jeder braucht das Gleiche

Stellen Sie sich vor, Sie kommen mit Ihrem Auto nach einer längeren Fahrt an eine Tankstelle. Die Zapfsäule bietet Diesel, Super, ein neues, für den Motor noch besseres Super und Erdgas. Welche Zapfpistole würden Sie, in der Absicht, das Bestmögliche für Ihr Auto zu tun, in die Hand nehmen? Mit Sicherheit würden Sie die Entscheidung davon abhängig machen, welchen Motor Ihr Auto hat.

Zwar sind alle an der Tankstelle angebotenen Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren geeignet, doch gibt es je nach Beschaffenheit des Motors Unterschiede in seinen »Kraftstoffbedürfnissen«. Deshalb würden Sie vermutlich nicht auf die Idee kommen, die höchste, besonders motorverträgliche Qualitätsstufe Super zu tanken, obwohl Sie einen Diesel fahren, oder Erdgas, wenn Ihr Motor Benzin braucht. Selbstverständlich lassen sich weder die Prinzipien noch die Effekte der Verbrennung in einem Motor auf die ungleich komplexeren Vorgänge beim Menschen übertragen. Doch können wir auch bei Menschen davon ausgehen, dass nicht jeder Körper die gleichen Bedürfnisse hat. Menschen unterscheiden sich voneinander, jeder ist anders: anatomisch, immunologisch sowie hinsichtlich seiner Nahrungsbedürfnisse. Zwar brauchen wir alle letztlich Nahrung, jedoch nicht in der gleichen Zusammensetzung und Beschaffenheit.

Betrachten wir hingegen die gängigen Ernährungsempfehlungen, so scheint offenbar bereits seit Jahrzehnten die Frage nach der optimalen Nährstoffform für den Menschen einheitlich geklärt: Vollkorngetreide ist der Gesundheit zuträglicher als Weißmehl; Obst und Gemüse sind per se Gesundheitskost; und je höher der Grad der Naturbelassenheit der Nahrung, desto besser ist sie.

Anders als bei der richtigen Treibstoffart für den jeweiligen Motor spielt in der Frage nach der passenden Energieversorgung für den Menschen die Beschaffenheit des individuellen Organismus bislang keine große Rolle. Von Mensch zu Mensch kann es jedoch ganz beträchtliche Unterschiede in den Nahrungsbedürfnissen geben. Und oft lassen sich die individuellen Ernährungsbedürfnisse von der betreffenden Person, ist sie erst einmal dafür sensibilisiert, sogar erspüren.

»Ein Apfel am Tag« und die möglichen Folgen

Schon seit Ende der 1970er-Jahre pflegt Herr Meier einen Lebensstil, den wir landläufig als ›gesund‹ bezeichnen würden: Er trinkt keinen Alkohol, treibt regelmäßig Sport und nimmt keinerlei Medikamente. Als Student kam Herr Meier mit der damals sich bildenden Ökologie- und Friedensbewegung in Kontakt, die ihn nachhaltig beeindruckte und zu einer Lebensweise inspirierte, die er im Großen und Ganzen bis heute beibehalten hat. Auch in Sachen Ernährung: Wenn machbar, bezieht Herr Meier sein Essen aus ökologischer Landwirtschaft. Er legt Wert auf wenig Fleisch, auf Vollkornbrot und Rohkost. Morgens gibt es Frischkornbrei oder Müsli. Äpfel isst er mehrmals täglich ungeschält, weil sich direkt unter der Schale angeblich die meisten Schutzstoffe wie Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe befinden.

Wegen eines umgeknickten Knöchels stattet Herr Meier seinem Hausarzt einen Besuch ab. Der Arzt macht, da Herr Meier schon einmal da ist, ein Blutbild, das ihm erhöhte Leberwerte attestiert, obwohl er weder Alkohol trinkt noch Medikamente nimmt. Ein erster Tastbefund wie auch die direkt folgende Ultraschalluntersuchung ergeben eine Vergrößerung der Leber, sodass der Hausarzt den Patienten zu einer Gewebsentnahme in die Uniklinik überweist. Dort diagnostiziert man eine Fettleber.

Über die Ursache herrscht Unklarheit, bis sich herausstellt, dass es sich bei dem in der Leber abgelagerten Fett um natürliches Apfelwachs handelt, dem Fett also, das die Apfelschale bildet. Es hat die Funktion, den Apfel vor Austrocknung und Aufweichung zu schützen.

Herr Meier, nach der Diagnose auf seine Ernährungsgewohnheiten angesprochen, berichtet von seiner vollwertorientierten Form der Ernährung und von seinem seit Jahrzehnten reichhaltigen Apfelkonsum. Auf die Frage, wie ihm denn in all den Jahren die ungeschälten Äpfel bekommen seien, erwähnt Herr Meier, die Äpfel hätten nach dem Essen »oft noch den ganzen Tag mit ihm gesprochen«; sie seien ihm – obgleich doch so »gesund« – oft ausgesprochen schlecht bekommen.

An diesem Punkt kommt Herrn Meier und den Ärzten ein Verdacht: Ist es möglich, dass Herrn Meiers Körper durch das Gefühl des Unwohlseins jahrzehntelang zu signalisieren versuchte, dass er die Äpfel mit Schale nicht möchte? Wenn ja, dann hätte sich Herr Meier jahrzehntelang über diese Botschaft seines Körpers hinweggesetzt.

Könnte es sein, dass wir mehr auf die permanente mediale Expertendominanz zum Thema Ernährung hören als auf unser Bauchgefühl, unsere innere Stimme in Sachen Nahrungsauswahl? Dass wir die Signale unseres Körpers einfach ignorieren?

Lassen Sie uns, um eine Antwort zu finden, einen gedanklichen Sprung machen in die Jugendzeit unserer Groß- und Urgroßeltern, in eine Zeit, die zumindest auf dem Land noch nicht durchdrungen war von permanenter Ernährungsaufklärung und einem riesigen Markt für Gesundheitsprodukte und -ratgeber.

Damals, 1906, wurde in einem Dorf im Taunus mein Großvater August Frankenbach als eines von elf Geschwistern geboren. Sein Vater hatte ein Zimmereigeschäft. Verglichen mit heute, herrschte Armut. Und so erforderten die Verhältnisse, dass mein Großvater bereits mit zwölf Jahren fest im elterlichen Betrieb mitarbeiten musste. Eine seiner täglichen Aufgaben war es, den Arbeitern die Tender mit frischem Essen an die Plätze zu bringen, an denen Holz gemacht und gezimmert wurde. Fünf Kilometer über Wald- und Flurwege, allein hin und zurück, waren nichts Ungewöhnliches für den Jungen. Er brachte also mehrere Stunden am Tag ganz mit sich allein in Wald und Wiesen zu; ohne Smartphone, Internet und Kinderfernsehen, ohne Werbung und Videospiele. Sie können sich vermutlich ausmalen, welch günstige Auswirkungen dieses Freisein von Medienflut und Hochfrequenz auf das Körperbewusstsein der Menschen dieser Zeit hatte.

Neuzeitliche Reizdichte versus Körperintelligenz

Nachdem mein Großvater mit über 40 Jahren aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt war, bepflanzte er das Familienanwesen mit Massen von Apfelbäumen. Ich kann mich gut erinnern, wie oft ich ihn mit einem Apfel in Hand, Mund oder Tasche antraf: Im Garten sitzend, im Hof beim Warten auf die nach Hause kommenden Arbeiter des Betriebs, den er mit meiner Großmutter und meinen Eltern zusammen führte, oder abends an der Seite meiner Oma und bei der Tagesschau: Regelmäßig hatte er Äpfel bei sich. Und immer ein Utensil, ohne dessen vorherigen Einsatz er so gut wie nie Äpfel aß: nämlich ein Taschenmesser. Damit schälte er jeden Apfel. Seit seiner Kindheit. Hätten Sie August Frankenbach gefragt, weshalb er seine Äpfel schält, hätte er Ihnen nicht geantwortet: »Wegen der Pestizide«, oder: »Wegen der Bakterien auf der Schale.« Er hätte gesagt: »Weil ich meine Äpfel so besser vertrage.«

Als 13-köpfige Landfamilie waren die Frankenbachs schlichtweg auf alles Essbare angewiesen, das sich ihnen bot. Wollte man die Kinder durchbekommen, konnte man auf die Äpfel als Sattmacher nicht verzichten. Vertrug ein Familienmitglied die Äpfel im Ganzen nicht, so war es angehalten, sie so zu bearbeiten und von unbekömmlichen Anteilen zu trennen, dass sie schließlich verträglich wurden. Ernährungsberatung im heutigen Sinne gab es keine. Stattdessen war man geübter, auf die Signale des Körpers zu achten und gegebenenfalls bestimmte Anteile von Früchten, die individuell nicht bekömmlich waren, zu meiden. Dazu bedurfte es allerdings einer ausgeprägten Fähigkeit, das eigene Bauchgefühl in Bezug auf die verwendete Nahrung zu erspüren. Eine Fähigkeit, die die Menschen damals leichter erlernten als wir.

Untersuchungen aus der Stressforschung belegen, dass mit zunehmender Reizdichte durch Außeneinflüsse – wie wachsende Anforderungen am Arbeitsplatz, Zeitökonomie, Telekommunikation, Internet, Fernsehen und Freizeitstress – die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, zum Erspüren der eigenen Bedürfnisse abnimmt. Ein Risiko, dem sich die Menschen auf dem Land vor 100 Jahren nicht stellen mussten. Und dadurch wussten sie nicht selten besser, sich gut zu ernähren, als heutige, vermeintlich gut informierte Bildungsbürger.

Jeder Mensch ist anders, und jeder isst anders

Jeder Mensch ist anders. Jeder verträgt etwas anderes. So gab es auch immer schon Menschen, die einen Apfel am liebsten mit Schale, manchmal sogar mit Stumpf und Stiel aufaßen. Und es ging bzw. geht ihnen gut dabei. Andere hingegen mögen ihn lieber geschält: manchmal intuitiv, unbewusst; manchmal, weil sie wissen, dass sie ihn anders nicht vertragen – und wie wir sehen konnten, aus gutem Grund . Denn nicht jeder Körper kommt mit den Inhaltsstoffen von jedem Essen gleich gut zurecht.

Vielleicht kennen auch Sie ältere Menschen, die es bei den Äpfeln so hielten oder so halten wie mein Opa. Vielleicht aus dem gleichen Grund: Sie haben es sich meist schon im Kindesalter angewöhnt, den Apfel zu schälen, weil sie ihn so besser vertragen oder weil sie zwar Lust auf einen Apfel haben, intuitiv aber nicht auf die Schale.

Besonders gut können wir solche Indizien für körperliche (oder: somatische) Intelligenz an Kindern beobachten. Kleinkinder sind noch zu jung, um zu erklären, was sie möchten, und um die allgegenwärtigen Ernährungsempfehlungen zu verstehen. Oft wissen sie dennoch intuitiv, was sie wollen und was nicht. Vielleicht kennen Sie selbst Kinder, die für ihr Leben gern Äpfel mit Schale genießen, und andere, die sie nur ohne deren reichhaltige Schutzhülle essen. Und das womöglich aus triftigem Grund.

Ernährungsaufklärung und Körpergefühl

Anstatt auf die individuelle Bekömmlichkeit dessen zu achten, was sie essen, vertrauen immer mehr Menschen den gängigen, oft verallgemeinernden Empfehlungen der Ernährungsaufklärung. Danach sind fünf Portionen Obst und Gemüse, Vollkorn statt Weißmehl und Äpfel mit Schale denen ohne vorzuziehen. Dabei mehren sich die Zeichen dafür, dass sich selbst bei gesunden Menschen die Ernährungsbedürfnisse individuell deutlich voneinander unterscheiden können.

Dass nicht jeder Mensch alles verträgt, kann unterschiedliche Ursachen haben und sich unterschiedlich äußern. Im Falle einer Nahrungsmittelunverträglichkeit oder -intoleranz etwa ist der betreffende Mensch nicht in der Lage, ganz bestimmte Nahrungsbestandteile zu verdauen oder über den Stoffwechsel zu verwerten, weil ihm zum Beispiel die hierzu erforderlichen Enzyme fehlen. In anderen Fällen wiederum können bestimmte Inhaltsstoffe einer Nahrung beim einen toxische Wirkungen hervorrufen, während einem anderen die gleiche Dosis keinerlei Probleme bereitet.

Nicht nur Wissen, auch Spüren ist wichtig

Waren in den 1970er-Jahren Naturköstler noch eine exotische Minderheit, so bilden – dank über drei Jahrzehnten Aufklärung – die Vollwertgrundlagen sogar mittlerweile die ideelle Grundlage für neun von zehn Frühstücken in deutschen Kindergärten.

Mit der stetigen Zunahme von Ernährungsinformationen durch die Medien wurde Essen und Trinken zunehmend ein Bereich des Wissens und immer weniger eine Angelegenheit des Spürens. War vor 100 Jahren Essen und die Frage nach einer gesunden Ernährung noch zu wesentlich größeren Anteilen eine Bauchfrage, so wurde sie durch die zunehmende Bedeutung der Massenmedien und die damit einhergehenden Informationskampagnen zur Ernährung mehr und mehr in den Kopf verlagert.

Sprechen wir weiterhin nur vom Apfel, so ist es nach 30-jähriger Ernährungsaufklärung mittlerweile etabliertes Standardwissen: Wenn Äpfel gewaschen und nicht übermäßig mit Pestiziden behandelt wurden, gilt es als gesund, sie mit Schale zu essen. Ein Trend, dem die Mehrheit auch Folge leistet, ohne dass dies zu gesundheitlichen Schäden führt. Manchen Menschen kann es jedoch schaden.

Ist der Apfel mit seiner schutzstoffreichen Schale nun gesund oder nicht? Dies lässt sich nicht einfach pauschal beantworten, sondern immer nur in Abhängigkeit vom jeweiligen Menschen mit seiner individuellen Konstitution und seinen jeweiligen Lebensumständen.

Und das gilt sinngemäß für alle anderen Lebensmittel. So gibt es – wissenschaftlich belegt – eine Reihe Menschen, die mit der Umstellung auf eine naturgemäße Kostform ihren Gesundheitszustand deutlich verbessern konnten, während andere von einer solchen Umstellung ganz und gar nicht profitierten und sogar zum Teil mit einer Zustandsverschlechterung zu kämpfen hatten. Kurz-, mittel- oder zum Teil erst langfristig war in den meisten Fällen nur das der Gesundheit zuträglich, was wirklich gut vertragen wurde.

Pflanzen und ihre natürlichen Mechanismen zur Selbstverteidigung

Seit den späten 1970er-Jahren kam es über die Medien zunehmend zu Ernährungsratschlägen: Im Sinne der nun immer populärer werdenden Vollwertkampagne gehörte dazu auch das klassische Apfelmit-Schale-Essen. Dieser Sichtweise liegt eine (zum Teil romantisch verklärte) naturistische Weltsicht zugrunde, die davon ausgeht, dass die Inhaltsstoffe, die die Frucht vor aggressiven, bedrohlichen Umwelteinflüssen wie Wetter und Fraßfeinden schützen, auch dem Menschen guttun (aber: Sind wir nicht selbst für viele Früchte Fraßfeinde?). Im echten Leben ist diese Überlegung jedoch manchmal schlichtweg falsch. Nicht jedem bekommt die Kost, die aufgrund ihrer Naturbelassenheit in der oft undifferenzierten öffentlichen Ernährungsaufklärung als besonders gesund angepriesen wird. Und für manche Menschen sind diese Empfehlungen obendrein sogar gesundheitsschädigend.

Im Prinzip stellt so gut wie jede essbare Frucht Abwehrstoffe her, mit denen sie sich gegen bedrohliche Außeneinflüsse, wie Wetter, Mikroorganismen oder Fraßfeinde, zu schützen versucht. Da aber die Pflanze und ihre Frucht, anders als Tier und Mensch, nicht vor Bedrohungen flüchten oder mit Muskelaktivität dagegen ankämpfen können, ist die Existenz und die Wirksamkeit dieser Stoffe für die Pflanze hochgradig überlebenswichtig, und zwar als Gift zur Selbstverteidigung. Problematisch mitunter auch für Menschen: Mittlerweile sind uns in der landläufig als gesund bezeichneten Kost eine Reihe natürlich vorkommender Stoffgruppen bekannt, die nicht je dem Menschen bekommen und die manchmal sogar schwere Schäden hervorrufen können.

Kartoffeln und das Problem der Alkaloide

Auch in der Schale der Kartoffelknolle befindet sich eine besonders hohe Konzentration natürlicher Schutzstoffe. Neben verschiedenen Vitaminen, Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen enthalten die Schale der Kartoffel sowie grüne Stellen und Triebe eine weitere, besonders effektive, giftige Waffe, um sich vor den besonders aggressiven Einflüssen unterirdischer Fraßfeinde und Schädlinge zu schützen: die Pflanzenalkaloide. Alkaloide sind mit dem Gift Strichnin verwandte Substanzen. Ihre Hauptvertreter in der Kartoffel sind das Solanin und das Chaconin, die auch beim Menschen höchst unangenehme und gesundheitsschädigende Wirkungen hervorrufen.

Noch vor 100 Jahren waren Solaninvergiftungen, medizinisch auch Solanismus genannt, mit Übelkeit und Benommenheit, Berührungsempfindlichkeit, Nierenversagen bis hin zu Todesfällen weit verbreitet. Zumindest bei moderneren Zuchtfrüchten sind inzwischen die Solaninkonzentrationen in der Kartoffel weit niedriger. Dennoch fühlen sich auch heute viele Menschen nach dem Genuss gekochter, jedoch ungeschälter Kartoffeln unwohl, oder sie haben von vornherein eine Abneigung gegen Kartoffelgerichte – außer die Kartoffeln wurden gebraten oder frittiert, wodurch das Solanin zu größeren Anteilen unwirksam gemacht wird. Die Möglichkeit, dass es sich in solchen Fällen bei den Betroffenen nicht um dekadente Verwöhnung, sondern um eine höchst vitale, somatische Intelligenzleistung handelt, muss dabei dringend bedacht werden.

Daher sollte die in der Naturkostszene weit verbreitete Auffassung, Kartoffeln gehörten mitsamt Schale gegessen, mit Vorsicht genossen werden. Gleiches gilt für den Tipp, das Kochwasser der Kartoffeln aufgrund seiner reichhaltigen, aus der Kartoffel übergegangenen Konzentration an Vitalstoffen nicht wegzuschütten, sondern für die Zubereitung anderer Speisen weiterzuverwenden. Schließlich sind während des Kochens auch Solaninanteile aus der Kartoffel in den Sud übergegangen.

Gehen wir beim Thema Solanin nochmals in die Zeit unserer Groß- und Urgroßeltern zurück, so zeigt sich uns folgendes Bild: Den meisten kinderreichen Familien sicherte damals die tägliche Kartoffel- und somit Kalorienration das Überleben. Auch bei meinen Großeltern kamen regelmäßig Brat- und Pellkartoffeln auf den Tisch. Aufgrund des Kinderreichtums der Familien und der dadurch notwendigen hohen Portionszahlen bei einer gleichzeitig hohen anderweitigen Arbeitsbelastung war die durchschnittliche Hausfrau zeitlich in aller Regel nicht in der Lage, täglich für 15 Personen Kartoffeln zu schälen. Dies hätte einfach zu viel Zeit gekostet. So wurden die Kartoffeln lediglich gewaschen, von besonders solaninreichen Trieben und grünen Stellen befreit, in den Kochtopf geworfen und gegart. Zum Mittag- oder Abendessen gab es dann Pellkartoffeln mit Butter. Die Familienmitglieder, denen die Schale mit den Alkaloiden keine Probleme bereitete und denen die Kartoffeln so schmeckten, verzehrten sie ganz, während jene, denen die Kartoffel ohne Schale besser bekam, sie vor dem Essen schälten. Ähnlich wie beim Apfelverzehr lernten also früher bereits die kleinen Kinder, ihr Essen nach dem Kriterium der Bekömmlichkeit bestmöglich vorzubehandeln, bevor sie es aßen.

Und wie wurden zur Zeit unserer Ahnen die Kartoffeln gelagert? Dunkel, kühl und möglichst so, dass keine Druckstellen entstanden. Dann bekamen sie den Menschen nämlich besser. Der Grund dafür war: Werden Kartoffeln zu lang dem Licht ausgesetzt oder gedellt, kommt es zu einem deutlichen Anstieg des Solaningehalts in Schale und Trieben. Auch bei diesem Sachverhalt spielt die Somatische Intelligenz unserer Altvorderen vermutlich eine entscheidende Rolle. Sie ist der Grund für die traditionelle Bearbeitung und Behandlung der Nahrung. Aufgrund ihrer körperlichen Erfahrung wussten sie, wie ihnen ihr Essen am besten bekam. Und so richteten sie ihre Lagerungs-, Zubereitungs- und Verzehrgewohnheiten daran aus. Nicht zufällig zeichnet sich die traditionelle oder gutbürgerlich genannte Hausmannskost durch eine sehr geringe Reiz- und Abwehrstoffdichte sowie durch ihre für viele Menschen besonders gute Verträglichkeit aus.

Außer in der Kartoffel finden sich auch in anderen Nachtschattengewächsen nennenswerte Mengen an Pflanzenalkaloiden. So etwa in Tomaten – besonders, wenn sie grün sind – sowie in Auberginen und Paprika. Schon beim einmaligen Verzehr von einem Pfund unreifer Tomaten kann es zu schwerwiegenden Symptomen von Solanismus kommen. Dies mag im Sinne Somatischer Intelligenz ein Grund dafür sein, dass manche Menschen eine Abneigungen gegen diese Früchte haben oder nach dem Verzehr schon geringer Mengen eine schlechte Bekömmlichkeit wahrnehmen und sich einfach nicht wohlfühlen.

Zahnschäden durch Rohkost

Obwohl Obstrohkost von Vertretern der Naturkost und von praktisch allen etablierten Ernährungsverbänden als gesundheitsfördernd empfohlen wird, müssen wir im Einzelfall abwägen, ob rohes Obst gesundheitlich wirklich uneingeschränkt so vorteilhaft ist, wie immer propagiert wird. Zweifellos gibt es viele Menschen, denen ein hoher Anteil Frischkost kurz- wie langfristig gesundheitliche Erleichterung, Linderung und sogar Heilung von Krankheit bringen konnte. Allerdings darf man aus diesem Sachverhalt keine pauschale Empfehlung für die Allgemeinheit ableiten.

Meine Erfahrung in der klinischen Ernährungsberatung hat mir immer wieder gezeigt, dass etwa hohe Mengen Obst oder anderer Rohkost bei bestimmten Menschen zwar kurzfristig zu einer enormen Zustandsverbesserung beisteuern; die gleiche Kost trug jedoch bei anderen bereits mittelfristig nicht mehr zu einer Zustandserhaltung bei. So scheinen bestimmte Ernährungsformen für viele Menschen heilsam zu sein. Ob jedoch, wie bei Medikamenten, dieser Heilimpuls auf Dauer zu einer Verbesserung der Vitalität beitragen kann, ist dadurch noch lang nicht klar und offenbar stark vom Individuum abhängig.

Bereits nach zwei vitalstoffreichen Frischobsttagen klagen manche Menschen über einen unangenehm angegriffenen Zahnschmelz – neben einer Reihe anderer möglicher Symptome. Diese Tatsache ist für viele Menschen ein Körpersignal, das sie im Sinne der Körperintelligenz vor einem dauerhaften Zuviel an Obstrohkost bewahrt.

Obgleich sie anfänglich klare positive Effekte feststellten, haben manche Menschen durch den dauerhaft hohen Verzehr von Obst Schädigungen ihres Zahnschmelzes davongetragen, da sie für ihre Belange zu viele saure Früchte zu sich nahmen. Andere Rohköstler wiederum, die durch die Umstellung auf Rohkost eine deutliche Verbesserung ihres Gesundheitszustandes erleben durften, erfreuen sich nach wie vor einer stabilen Gesundheit und eines gesunden Zahnschmelzes, obwohl sie seit Jahrzehnten sehr viel Kernobst, Beeren und Zitrusfrüchte konsumieren.

Dass es offenbar möglich ist, ohne viel Frischkost auszukommen, zeigen jene Menschen, die einfach eine Abneigung gegen frisches Obst entwickelt haben und dennoch nach lebenslanger Obstkarenz gesund blieben und ein hohes Alter erreichten. Ich kenne sogar Weltklasse-Athleten, die über Jahrzehnte hinweg keinerlei rohes Obst gegessen haben, sich bester Gesundheit erfreuen und langfristig und beständig hervorragende Leistungen erbringen.

Auch Getreide kann Probleme bereiten

Dem bereits geschilderten biologischen Prinzip der Arterhaltung bei Pflanzen folgend, befindet sich auch beim Getreide die höchste Konzentration an natürlichen Schutzstoffen in der Randschicht und zum Teil im Keimling, in jenen Anteilen des Korns also, die in Vollkornprodukten noch enthalten sind und die wir in Weißmehl vergeblich suchen. Die wertgebenden Inhaltsstoffe, die wir daher in Vollkorngetreide in weit höherer Konzentration finden, sind Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe. Zu Letzteren zählen die Lektine und Phytate; das sind zwei Stoffgruppen, die die Bekömmlichkeit einschränken und problematische Wirkungen hervorrufen können.

Die Lektine sind beim Getreide die natürlichen Abwehrstoffe, mit denen es sich vor Fraßfeinden schützt. Wie so mancher andere pflanzeneigene Schutzstoff können sie im Menschen allerdings zu Unverträglichkeiten führen.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Lektine Entzündungen im Darm hervorrufen, die Durchlässigkeit der Darmwand verstärken und dadurch das Gleichgewicht der Darmflora stören könnten. Obwohl Lektine im Getreide meist nur in sehr niedriger Konzentration vorkommen, in manchen Obst- und Gemüsesorten jedoch in höherer Konzentration, führen sie bei etlichen Menschen und unter bestimmten Voraussetzungen zu Unverträglichkeitserscheinungen. Bei diesem Leaky-Gut- oder Sickerdarm-Syndrom gelangen bei entsprechend konstituierten Menschen Bakterien und andere Fremdproteine aus dem Darm ins Blut – was Allergien und Autoimmunerkrankungen auslösen kann. Darüber hinaus besteht der wissenschaftlich begründete Verdacht, dass Lektine bestimmte Erkrankungen wie Rheuma und chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn verstärken können.

Ebenfalls in den Randschichten sowie im Keimling des Getreidekorns findet sich die Phytinsäure. Dem Korn dient sie als Nährstoffspeicher, um seine Versorgung sicherzustellen für den Fall, dass es einmal keimen sollte. Im Verdauungstrakt des Menschen können Phytate allerdings Effekte hervorrufen, die je nach individueller Bedarfslage des Betroffenen ausgesprochen ungünstig sein können. Sie binden die in der Nahrung enthaltenen Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Eisen und Zink an sich und hemmen dadurch deren Aufnahme in den Blutkreislauf. Besonders hohe Konzentrationen von Phytinsäure sind in Weizen-, Gersten- und Roggenrandschichten, in Mais sowie in den Hülsenfrüchten Soja und Erdnuss nachweisbar. Dies hat zur Folge, dass sie trotz ihres eigentlich hohen Mineralgehalts als Mineralstoffquelle nur beschränkt geeignet sind. Je nach Bedarfslage des jeweiligen Menschen kann dieser Sachverhalt zu einer Unterversorgung mit Mineralstoffen führen, die wiederum Problemen Vorschub leistet. Oft bleibt diese Tatsache selbst von den Menschen unbeachtet, die sich sehr stark mit ihrer Ernährung auseinandersetzen.

Auch im Fall von Vollkorngetreide stimmt daher das Prädikat gesundheitsfördernd nicht uneingeschränkt für alle Menschen. Vielen bekommt eben Vollkorn nicht so gut, wie oft propagiert wird. Womöglich ist dieser Umstand auch ein Grund – neben der immer wieder zitierten besseren Haltbarkeit von Weißmehl –, weshalb man in sehr vielen Ländern und Kulturen geschältem Getreide und Brot aus Weißmehl den Vorzug gegenüber Vollkorn gibt.

Anders als typische Pflanzenfresser wie Rinder oder Federvieh verfügt der Mensch weder über Pansen noch Kropf, die ihm dabei behilflich sind, volles Getreide aufzuschließen und bekömmlich zu machen. Er nutzt Getreide erst seit etwa zehntausend Jahren als mengenmäßig relevantes Nahrungsmittel und musste daher aufwendige Verarbeitungsmethoden wie Mahlen, Fermentieren und Backen entwickeln, um es schadlos verdauen und seine Nährstoffe verstoffwechseln zu können. Dort wiederum, wo moderne Mühlentechnik die Entfernung von Randschicht und Keimling nicht ermöglicht, wird traditionell das Getreide vor dem Verzehr oft speziellen Einweichungs- oder Fermentationsverfahren unterzogen, um es in seiner Bekömmlichkeit und seinen Eigenschaften für den Menschen zu verbessern. Potenziell schädigende Anteile, besonders aus den Randschichten der Früchte, lassen sich so biologisch abbauen und unschädlich machen.

Auch dieser Sachverhalt kann als Beleg für die Existenz Somatischer Intelligenz verstanden werden, die in Kombination mit erfahrungsheilkundlichem Wissen und dem jeweils regionalen Lebensmittelhandwerk die landläufigen Ernährungstraditionen mitformte: So werden etwa in der indischen und tamilischen Küche Reis, Linsen und Urdbohnen traditionell mindestens zwei Tage lang fermentativ behandelt, bevor damit die klassischen Pfannkuchengerichte wie Idli und Dosa zubereitet werden. In Afrika wird grob geschroteter Mais über Nacht eingeweicht, bevor man ihn Suppen und Eintöpfen zugibt. Mais und Hirse werden mehrere Tage lang fermentiert, wenn man daraus Ogi, einen sauren Getreidebrei, zubereiten möchte.

In walisischen Töpfen verfährt man ähnlich mit Hafer, um den auch bei uns so populären Porridge zuzubereiten, der vielen Menschen weit besser bekommt als das bei uns seit einiger Zeit so populäre Müsli mit Haferflocken. Und in Äthiopien wird das traditionelle Injerabrot hergestellt, indem man Teff, eine Zwerghirseart, über mehrere Tage hinweg zuerst einmal ausreichend fermentiert, bevor man es zum Brotbacken nimmt. Der Teig für mexikanische Maismehlkuchen, Pozol genannt, wird zuerst einmal für bis zu zwei Wochen in Bananenblätter eingeschlagen und einem Fermentierungsprozess unterzogen.

Und als die ersten Europäer in Amerika ihre Sauerteigbrote, -pfannkuchen und -brötchen backten, ließen sie meistens das Getreide zuerst mehrere Tage in Wasser oder Sauermilch quellen, bevor sie es durch Kochen etwa zu dem heute noch gängigen Haferschleim-Porridge weiterverarbeiteten.

Um die Bekömmlichkeit von Vollkornmehl in unseren Breiten, besonders beim Roggen, zu verbessern, griff man althergebracht zu Sauerteig, den man vor dem Brotbacken mehrere Stunden aufs Getreide einwirken ließ. Heute wissen wir, dass Phytinsäure und Lektine dadurch zu einem bedeutenden Anteil ausgeschaltet werden.

Heutige Vollkornbrote hingegen sind oft per Schnellsauerteig behandelt, der manchmal nur wenige Minuten auf den Teig einwirkt. Während traditionelle Sauerteige bis zu 96 Stunden (also vier Tage und vier Nächte!) gehen durften. Für viele Experten besteht ein Zusammenhang zwischen der zunehmenden Verwendung von Schnellsauer und der Rate an Magen-Darm-Problemen, wobei zur gleichen Zeit paradoxerweise die Vorzüge von Vollkorn propagiert werden.

Spätestens hier muss die Frage erlaubt sein, ob die gebetsmühlenartig gepriesene Überlegenheit von Vollkorn als bestmögliche Getreideform wirklich die Krone der ernährungsphysiologischen Erkenntnis ist oder ob sie womöglich vielmehr ein Resultat von postindustriellem, bizarr die Natur verklärendem Aberglauben ist.

Antinutritive Stoffe in Lebensmitteln

SubstanzQuellenMögliche WirkungWirkung hebt sich auf
SaponineSpinat, Rote Beete, Spargel, grüne Bohnen, Sojabohnen, Blätter von grünem Tee, Erdnüsse, ZuckerrübenHämolyse (verkürzte Lebensdauer von roten Blutkörperchen)Hämolytische Wirkung durch Erhitzung teilweise verhinderbar
Biogene AmineBananen, Hülsenfrüchte, Orangen, Pflaumen, Tomaten, NüsseKontraktion von glatter Muskulatur, Effekt z.B. Blutdrucksteigerung
CyanogeneRüben, Fruchtkerne, Hülsenfrüchte, Leinsamen, Holunder, GräserEinschränkung des Sauerstofftransports im Blut
OxalsäureSpinat, Rote Beete, Mangold, RhabarberVerstärkte Neigung zu Störungen der Blutgerinnung und HarnsteinbildungDurch Blanchieren, Erhitzen, Kochen zum Teil abbaubar
Cucurbitacine (Tetrazyklische Triterpene)Zier- und Wildkürbisse, selten auch andere Kürbisgewächse wie Melonen, Gurken, Kürbisse, ZucchiniZelltoxisch; Reizung der Mundschleimhaut, vermehrte Speichelbildung, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, bis hin zu KreislaufversagenAußer bei Zier- und Wildkürbissen sind neuere Züchtungen frei von Belastung, selten aber dennoch Toxizität aufgrund von Kreuzungen oder Rückmutation (bei Bittergeschmack nicht essen!)
CumarinderivateWaldmeister, Datteln, Erdbeeren, Brombeeren, Aprikosen, Kirschen, Sellerie, CassavaHemmung von Blutgerinnungsfaktoren in der Leber, gesteigerte Lichtempfindlichkeit
GlukosinolateKohl- und Krautarten, Rüben, Senfkörner, Meerrettich, Raps, Kresse, ZwiebelnFörderung von Schilddrüsenvergrößerung, dadurch Förderung von Stoffwechsel- und WachstumsstörungenBlanchieren und Kochen vermindert den Glukosinolatgehalt durch Übergang ins Zubereitungswasser; zum Teil glukosinolatfreie Züchtungen (z.B. bei Raps)
AntivitamineSojabohnen, Rosenkohl, Rüben, Mungobohnen, Nierenbohnen, Zitrusfrüchte, LeinsamenKönnen Aufnahme von Vitaminen in den Stoffwechsel erschweren oder den Grad ihrer Verwertung hemmenMeist hitzelabil; durch Blanchieren, Erhitzen, Kochen zum Teil abbaubar
phenoleKaffeebohnen, Kartoffeln, Heidelbeeren, Äpfel, Karotten, GetreideZum Teil: Antivitamincharakter, Förderung der Salzsäuresekretion im Magen sowie Lebertoxizität
Ätherische öleMuskatnuss, Dill, Petersilie, Estragon, Fenchel, Basilikum, Lorbeer, Ingwer, Anis u.v.a.Zum Teil leber- und nierentoxisch
Favismus verursachende SubstanzenSaubohnen (Vicia faba)Bei angeborenem, speziellem Enzymmangel: Destabilisierung der Zellmembran, Hämolytische Anämie, Veränderung der Blutgerinnung, Milz- und LeberschwellungKochen vermindert Komplikationsrisiko
Lathyrismus verursachende SubstanzenLathyrus-Arten: Wicken, Kicher- und PlatterbsenNervöse StörungenKochen der geschälten Früchte eliminiert das Toxin fast vollständig

Nach Elmadfa und Leitzmann, 2008

Antinutritiva in vielen weiteren Früchten

Pflanzen und Früchte sind mit sogenannten Antinutritiva bis aufs Äußerste bewaffnet. Da sie nicht wie Tiere vor Bedrohungen flüchten, mit Muskelkraft oder technischen Hilfsmitteln kämpfen können, verteidigen sie sich von Natur aus mit eigens hierfür produzierten Giften gegen Fraßfeinde. Dabei handelt es sich um Stoffe, die oberhalb sehr individueller Konzentrationen im menschlichen Körper zu vorübergehenden Einschränkungen, dauerhaften Schädigungen und sogar bis zum Tod führen können.

Wir Menschen sind verschieden, auch hinsichtlich unserer Empfindlichkeit gegenüber solchen Stoffen. So bewirkt konstitutionsund situationsbedingt nicht jeder der in der Tabelle aufgeführten Stoffe bei jedem Menschen unbedingt das Gleiche.

Bei manchen Menschen kommt es beim Einstieg in die Vollwertkost aufgrund der aufgenommenen Antinutritiva zu unangenehmen, jedoch meist harmlosen Blähungen. Über einen längeren Zeitraum konsumiert, können Antinutritiva, je nach Konstitution des betreffenden Menschen, allerdings auch regelrechte Selbstvergiftungszustände des Magen-Darm-Traktes hervorrufen. Ein Grund hierfür ist, dass die Amylase-Inhibitoren aus dem Vollkorn die körpereigenen Enzyme an der Stärkeverdauung hindern. Diese Aufgabe müssen in diesem Fall die Darmbakterien übernehmen. Im Darm führt dann die nun einsetzende Aufspaltung der Stärke zu einer stark erhöhten Zuckerkonzentration. Diese wiederum löst die Bildung giftiger und stark riechender Stoffe aus, zum Beispiel Gärungsalkohole, Fuselöle und Fäulnisstoffe. Je nach Konstitution des betreffenden Menschen können diese Stoffe Schleimhaut, Drüsen, Muskeln, Nerven und das Immunsystem des Darms schädigen. Nach Angaben von Professor Dr. Karl Pirlet, dem ehemaligen Ordinarius für Internistische Medizin und Diätetik an der Universitätsklinik Frankfurt, der jahrzehntelang über die naturgemäße Ernährung des Menschen forschte, begünstigt diese toxische Wirkung nicht nur Erkrankungen der Verdauungsorgane, sondern auch chronische Katarrh- und Infektionszustände, Gefäßerkrankungen sowie entzündliche und degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates und führt darüber hinaus zu einer allgemeinen Beschleunigung von Alterungsprozessen.

Wenn also bereits gesunde Menschen Probleme mit der Bekömmlichkeit naturbelassener Nahrung haben, sollten kranke Menschen erst recht auf die Reaktionen achten, die ihnen ihr Körper in Bezug auf ihre Kost hin vermittelt.

So sagte Pirlet: »Eine Ernährungsweise, die sich monoman an der Vollwertigkeit, an der Nährstoffdichte der Nahrungsmittel orientiert, aber die jeweilige Besonderheit des Nahrungskonsumenten, die Not des Patienten, übersieht oder vernachlässigt – eine solche Ernährungsweise kann aus wissenschaftlicher und ärztlicher Sicht nicht als vernünftig bezeichnet werden.«

Das Maß aller Diätetik ist letztlich der Mensch und nicht das Nahrungsmittel. Eine Ernährungsform, so Pirlet, sei folglich nur dann naturgemäß, wenn sie der Natur des Einzelnen und seiner Verdauung entspricht.

Eine dogmenhaft betriebene Naturkost, wie sie von vielen Seiten propagiert und praktiziert wird, birgt die Gefahr, mehr zu schaden als zu nützen.

Wie reagiere ich?

Ein wichtiges Kriterium, die eigene, individuelle Verträglichkeit gegenüber antinutritiven Stoffen oder anderweitig unverträglichen Stoffen herauszufinden, bietet uns die Beschäftigung mit unserer Somatischen Intelligenz und den Signalen, die sie uns zukommen lässt: Wie reagiere ich auf bestimmte Speisen? Warum fühle ich mich von manchen Nahrungsmitteln lustvoll angezogen, während ich anderen regelrecht aus dem Weg gehe und sie meide? Und nicht zuletzt: Wie bekommt mir das, was ich esse? Fühle ich mich mit meiner Nahrung gut, oder kommt es vor, dass ich mich nach bestimmten Nahrungsmitteln unmittelbar, mittel- oder langfristig in meiner Stimmung oder körperlich beeinträchtigt fühle?

Rätselhafte Sternfruchtvergiftung

Dank des weltweiten Handels werden immer mehr exotische Früchte bei uns angeboten. So auch die meist aus den Tropen oder den Subtropen stammende Karambole, die bei uns gewöhnlich als Sternfrucht verkauft wird. Sie wird landläufig als Obstrohkost uneingeschränkt empfohlen. Ihr leicht säuerliches bis süßes Fruchtfleisch bereitet gesunden Menschen meist keine größeren Probleme: Bei Menschen mit Niereninsuffizienz führt ihr Genuss jedoch oft zu fatalen Vergiftungserscheinungen, die von Erbrechen und einer Eintrübung des Bewusstseins über Muskelschwäche und Taubheit der Extremitäten bis hin zu Lähmungen und Krampfanfällen reichen können. Eine unverzügliche Dialyse (»Blutwäsche«) kann hier Leben retten. Patienten, bei denen nicht dialysiert wird, versterben häufig. Das für die Vergiftungswirkung zuständige Gift in der Karambole konnte von Forschern bisher nicht identifiziert werden.

Die Wirkung vermeintlich harmloser Nahrungsmittel

Die sogenannte Weintrauben-Vergiftung gilt als ein veterinärmedizinisch gesichertes Krankheitsbild: Bereits eine verabreichte Menge von etwa 10 Gramm Trauben pro Kilogramm Körpergewicht oder vergleichbar knapp 3 Gramm Rosinen führt bei manchen Hunden zu Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit und in schweren Fällen sogar zum Tod des Tieres durch Nierenversagen. Die dafür verantwortlichen Substanzen konnten bislang nicht gefunden werden. Als sicher gilt jedoch, dass es sich um Stoffe handelt, die sowohl in den Weintrauben selbst als auch im bei der Traubenpressung anfallenden Trester vorhanden sind. Auch reagieren nicht alle Hunde gleich auf Weintrauben. Offenbar besteht bei den Vierbeinern eine individuelle Disposition zur Verträglichkeit oder Unverträglichkeit der Beeren, so wie wir es im Hinblick auf viele andere, oft als harmlos angesehene Nahrungsmittel bei den Menschen kennen.

Natürlich lässt sich dieses Beispiel nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. Es zeigt jedoch, zu welch drastischen Reaktionen eine von uns oft verklärend angesehene »Gesundkost« mit den in ihr natürlich enthaltenen Giften in der Lage sein kann.

Wechselwirkungen von Naturkost und Medikamenten

Ohne Frage tut Naturkost vielen Menschen gut. Wie wir gesehen haben, muss sie dennoch nicht immer und uneingeschränkt so harmlos und heilbringend sein, wie oft dogmatisch behauptet wird. Trotz – oder gerade wegen – ihrer vielen möglichen positiven Eigenschaften kann Vorsicht geboten sein. Und zwar auch aufgrund der Wechselwirkungen mit einer ganzen Reihe von Arzneistoffen. Es ist sogar zu vermuten, dass mit zunehmenden Forschungserkenntnissen auf diesem Gebiet noch weitere Wechselwirkungen entdeckt werden.

Gerade als gesund bezeichnete Nahrungsmittel können Arzneimittel in ihrer Wirkung abschwächen, sie aufheben, verstärken oder auch deren Nebenwirkungen verstärken. Die Folgen können je nach Kombination in schweren Fällen sogar Therapieversagen und Tod durch Vergiftung sein.

Zuweilen zeigt sich allerdings nicht nur im Rahmen bestimmter Erkrankungen eine Veränderung der Ernährungsvorlieben des betreffenden Patienten, sondern auch, wenn ein Mensch bestimmte Medikamente einnimmt. Nicht selten verändern sich durch Medikamente sowohl die Essgelüste eines Menschen als auch die Bekömmlichkeit dessen, was er zu sich nimmt.

Selbst wenn der Somatischen Intelligenz bezüglich der Wechselwirkungen zwischen Nahrung und Medikamenten enge Grenzen gesetzt sind, ist es ausgesprochen hilfreich, mit den Signalen des Körpers achtsam umzugehen.

Um den Gesundheitsstatus zu verbessern, greifen immer mehr Menschen zu Vitaminpräparaten. In Kombination mit bestimmten Arzneien kann die Einnahme der Präparate allerdings schwerwiegende Folgen haben. Wird etwa zu dem Antiepileptikum Phenytoin zusätzlich Folsäure verabreicht, führt dies unter Umständen zu längeren und häufiger auftretenden epileptischen Anfällen.

Werden Mineralstoffe und Spurenelemente, wie Calcium, Eisen oder Zink, ohne fachlichen Rat eingenommen, kann dies die Aufnahme und Wirkung von Antibiotika hemmen. Durch die in Vollkornprodukten vorkommende Phytinsäure wiederum kommt es zu einer beträchtlichen Drosselung der Mineralstoffaufnahme ( siehe auch den Abschnitt »Getreide«).

Auch die Tannine genannten Gerbstoffe – zum Beispiel im oft völlig ahnungslos als uneingeschränkt gesund bezeichneten und damit beworbenen Grünen Tee sowie in Walnüssen, der Heilpflanze Hamamelis oder in Schwarztee – können die Aufnahme von Eisen und eisenhaltigen Medikamenten behindern. Tannine können außerdem die Wirkung des Asthmamittels Theophyllin unerwünscht verstärken. Ebenfalls aufgrund des erhöhten Tanningehalts können ähnliche Effekte bei Kakifrüchten auftreten, allerdings nahezu ausschließlich, wenn sie in unreifem Zustand gegessen werden; die reifen Früchte enthalten ungleich weniger Tannin und sind daher wesentlich besser bekömmlich.

Ballaststoffe aus faserreicher Ernährung, wie Müsli, Weizenkleie, Haferflocken, Haferkleie sowie Vollkornbrot oder -nudeln, können Körperfunktionen günstig oder ungünstig beeinflussen. Zudem schränken sie häufig die Wirkung von Schmerzmitteln, Antibiotika, Schilddrüsenmedikamenten und Antidepressiva ein.

Besonders schwerwiegenden Einfluss haben Grapefruit, Pampelmuse, Bitterorange mit ihren Säften auf die Wirkung von Herz- und Blutdruckmitteln, Cholesterinsenkern, Antiallergika, Schlaf- und Schmerzmitteln, Antidepressiva und Asthmamitteln: Die bitteren Zitrusfrüchte enthalten nämlich die sekundären Pflanzenstoffe Naringin und Bergamottin, die den Abbau der genannten Medikamente in der Leber stark hemmen. Medikamentenvergiftungen, mitunter sogar mit Todesfolge, können daraus resultieren.

Piperin, der Träger des scharfen Geschmacks im schwarzen Pfeffer, hemmt den Abbau des Bronchien-erweiternden Asthmamittels Theophyllin. So kann der rege Gebrauch von Pfeffer unerwünschte Wirkungsverstärkungen des häufig verordneten Asthmamittels nach sich ziehen.

Antidepressiva enthalten vielfach sogenannte MAO-Hemmer. Diese schränken die Funktion der Enzyme ein, die bestimmte Botenstoffe abbauen und so die Konzentration stimmungsaufhellender Botenstoffe im Gehirn erhöhen. Allerdings geraten die Stimmungsaufheller in Konflikt mit protein- und tyraminhaltigen, gegärten, fermentierten, lange gelagerten Lebensmitteln wie Sauerkraut, weißen Bohnen, Käse, Joghurt, Sojasoße und Rosinen. Werden nun solche Lebensmittel zusammen mit MAO-Hemmern eingenommen, kann dies zum Teil drastische Bluthochdruckkrisen auslösen. Als problematisch gelten wegen ihres Tyramingehalts auch Bananen, Ananas, Muskatnuss und Feigen, wenn diese zusammen mit MAO-Hemmern verzehrt werden.

Auch die Kombination von Nahrungsmitteln beeinflusst die Bekömmlichkeit

Einerseits gibt es Unverträglichkeiten gegenüber Nahrungsmitteln, weil diese bestimmte Stoffe enthalten, mit denen der betreffende Organismus nicht zurechtkommt. Darüber hinaus kann der gleichzeitige Verzehr mehrerer, einzeln eigentlich gut verträglicher Speisen Probleme bereiten, weil es zwischen den einzelnen Komponenten zu Wechselwirkungen kommt. Häufigstes Beispiel hierfür ist die Kombination von Obstrohkost und gutbürgerlicher Garkost.

Vielen Menschen bekommt rohes Obst, etwa Äpfel, Birnen oder Orangen, ohne andere Nahrungskomponenten und auf leeren Magen sehr gut. Wird das gleiche Obst hingegen als Dessert genommen, zum Beispiel im Anschluss auf Nudeln mit Gulasch, kommt es bei manchen Menschen zu Problemen.

Die Erklärung: Aufgrund seines hohen Wasser- und niedrigen Fett- und Proteingehalts passiert frisches Obst einen ansonsten leeren Magen (z. B. beim Frühstück) leicht und schnell. Befindet sich dort hingegen bereits die besagte, frisch eingenommene Mahlzeit mit entsprechenden Protein- und Fettanteilen, wird diese eine Magenverweildauer von mindestens vier bis fünf Stunden haben. Isst man nun zum Nachtisch Frischobst, verhindern die Nudeln mit Gulasch eine schnelle Magenpassage. Und so beginnt das Obst in den folgenden fünf oder sechs Stunden bei einer Magentemperatur von 37 Grad zu gären. Dabei entstehen im Magen unter anderem Gase, die Blähungen machen und die weitere Verdauung behindern. Die Magen- und Darmschleimhaut werden dabei strapaziert, und für den Organismus zusätzlich erschwerend können diese Gase in den Blutkreislauf übergehen.

Ob jemand davon betroffen ist, lasst sich nur feststellen, wenn der Betreffende achtsam wahrnimmt, ob ihm die kombinierten Nahrungsmittel bekommen. Sensibel reagierende Menschen sollten deshalb darauf achten, Obstsorten, die sie normalerweise gut vertragen, am besten nur morgens oder zu Beginn einer Mahlzeit zu sich zu nehmen.

Was tut mir gut?

Seit den 1970er-Jahren gilt Naturkost vorbehaltlos als Garant für Gesundheit. Möglichst naturbelassen zu essen, thermische, mechanische und chemische Verarbeitungsschritte möglichst gering zu halten, avancierte von der Kostform einiger Außenseiter zum zeitgemäßen, uneingeschränkt gesunden Mainstream. Nicht beachtet wird dabei oft, dass gerade eine solche Kost ein weites Spektrum an Stoffen enthält, die für den Menschen, je nach individueller Konstitution und Lebenslage, auch Probleme verursacht. Denn nicht jeder Mensch verträgt die Stoffe, die die Pflanze produziert, um sich Fraßfeinde oder andere aggressive Umweltreize vom Leib zu halten.

Neben der Empfehlung, sich über mögliche schädigende Wirkungen verschiedener Früchte, Pflanzen und Kräuter kundig zu machen, können wir uns durchaus auch an den Esstraditionen der Weltbevölkerung orientieren. So gut wie überall begannen die Menschen bereits vor langer Zeit, ihre Nahrung zu verarbeiten, sie zu kochen, zu braten, einzulegen oder zu fermentieren, um sie von unliebsamen Anteilen zu befreien. So stellte man Genießbarkeit und Bekömmlichkeit her und betrieb zugleich Gesundheitsvorsorge.

Um individuell kritische Nahrungssubstanzen zu vermeiden, sollten wir unbedingt darauf achten, wie uns welche Nahrung bekommt. Selbstverständlich gilt die Anregung, auf die individuelle Bekömmlichkeit dessen zu achten, was wir essen, nicht nur für naturbelassene Kost, sondern sollte auf alle Speisen angewendet werden, die uns zur Verfügung stehen.

Ich habe den Bereich Naturkost nur deswegen so ausführlich beleuchtet, weil er in den herkömmlichen Ernährungsempfehlungen selten kritisch behandelt wird. Wer spürt, dass er etwas nicht verträgt, sollte es weglassen. Für manch einen mag das ein Gurkensalat sein, für den anderen rohe grüne Paprika, für den Dritten ist es der Bohneneintopf und für den Vierten der Schokoriegel. Entwickeln Sie Selbstbewusstsein: Beobachten, spüren, erfahren Sie für sich, wie Ihnen die Dinge, die Sie essen, bekommen.

Ernährungskonzepte und individuelle Ernährungsbedürfnisse

Einige traditionelle, auf Erfahrungsheilkunde basierende Ernährungskonzepte vertreten genau diese Sichtweise: Nicht für jeden Menschen ist die gleiche Kost die richtige. So sind zum Beispiel in den Ernährungssystemen der über viele Jahrhunderte hinweg entwickelten Traditionellen Chinesischen Medizin oder im Ayurveda die genetische Konstitution, die Lebenssituation und die Bekömmlichkeit der Speisen wesentliche Kriterien typgerechter Kost. Niemand würde in einem solchen System einem Menschen anhand einer Ernährungspyramide oder standardisierter Nährstoffmengentabellen gesunde Ernährung näherbringen wollen.

Auch in der als traditionell europäisch bezeichneten Medizin der Hildegard von Bingen geht man noch heute von der Bekömmlichkeit der gegessenen Kost als einem der wichtigsten Kriterien einer artgerechten Kost aus.

Untermauert wird die etablierte moderne Medizin durch die Erkenntnisse des bereits erwähnten Internisten und Neurologen Karl Pirlet. Pirlet kam nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit der Thematik zu dem Schluss, dass die Bekömmlichkeit einer Kost auf Dauer den wichtigsten Faktor für ihre Gesundheitswirkung ausmache. Das Problem sah er dabei weniger in der Naturbelassenheit der Nahrung an sich, sondern in den individuell unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen, diese Nahrung zu verdauen und zu vertragen.

Entsprechend kritisierte Pirlet schon damals Ernährungsberater, die Roh- oder Vollwertkost für alle Menschen per se als die ideale Kost empfahlen. Pirlet war wie den vielen Vertretern Traditioneller Chinesischer Medizin und Ayurveda bewusst, dass ein diätetischer Therapeut die komplexen Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittel einerseits und dem jeweiligen verdauenden und verstoffwechselnden Menschen andererseits mit berücksichtigen müsse.

Wer einen diätetischen Rat geben will, sich dabei aber nur an standardisierten Zufuhrempfehlungen orientiert, ohne die immer wieder andere, individuelle Konstellation des betreffenden Menschen zu verstehen, der handelt eindimensional und präventiv wie therapeutisch unvernünftig. Hier wird, wie bereits so oft, Ernährungslehre zur Ideologie.

Wer eine deutlich naturbelassene Kost verträgt, wem sie bekömmlich ist und bei wem keine problematischen Wechselwirkungen (z.B. mit notwendigen Medikamenten) auftreten, für den besteht kein Grund, seine Ernährung umzustellen. Für viele Menschen ist eine deutlich naturbelassene Kost sogar ein wichtiger Gesundheitsfaktor. Wer jedoch nicht damit zurechtkommt und mit seiner täglichen Kost Verdauungsbeschwerden entwickelt, der sollte seine Ernährungsgewohnheiten zugunsten einer bestmöglichen Verträglichkeit variieren, selbst wenn diese Beschwerden nur geringfügig sind. Das bedeutet nicht, jegliche Frisch-, Vollwert- oder Naturkost zu meiden, sondern die entsprechende Auswahl durch Probieren individuell so zu gestalten, dass der betreffende Mensch eine bestmögliche Verträglichkeit erreicht.

Somatische Intelligenz

Подняться наверх