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3. Degenovskis Bestes
ОглавлениеAls Ken Degenovski nach einem langen Schlaf erwachte, war das Erste, wonach er fragte: »Welches Jahrhundert?«
Er konnte sich sofort bewegen, seine Stimme gehorchte ihm, und im Kopf schien alles klar zu sein. Das konnte nur bedeuten, dass man ihn zu einer Zeit aufgetaut und ins Leben zurückgerufen hatte, in der die Medizin weit fortgeschritten war. Die Welt, in der er lebte, gab es nicht mehr. Der Raum, in dem er sich befand, sah aus, wie ein freundliches Hotelzimmer. Das Fenster zeigte ein Stück sauberen Himmel. Es gab weder Gerüche noch Geräusche, keine Infusionen oder Instrumente. Auf dem flachen Tisch, neben seinem Bett, stand ein Glas, daneben eine Karaffe. Er trank.
Bevor es dunkel um ihn wurde, dachte er noch: Das war es also? Es war ein bisschen zu perfekt.
Als Ken Degenovski erneut erwachte, saß ein Mann an seinem Bett und sah ihn an.
»Vierundzwanzigstes«, sagte er seltsam ernst, »Jahrhundert.«
»Dann bin ich mal gespannt«, lachte Ken beschwingt, als wäre er noch zwanzig. »Sind Sie der Arzt?«
Nun lächelte der Mann. »So würden Sie es vielleicht ausdrücken«, sagte er, »mein Name ist«, er klopfte mit zwei Fingern an seinen kahlen Schädel, »Tom. Gerne auch Thomas, wenn Sie möchten.«
»Haben Sie mich geweckt?« »So würden Sie es nennen, ja. Ein Programm. Möchten Sie weiter schlafen?«
Ken Degenovski hob rasch die Hand. »Um Himmels willen, nein! Das reicht erst einmal, oder?« Sie lächelten beide.
»Um Himmels willen ...«, wiederholte Thomas amüsiert.
Ken durchfuhr ein schrecklicher Gedanke. »Bin ich tot? Im Himmel?«
Der Mann musste kurz überlegen. Dann verstand er. »Sie haben sich einfrieren lassen, sind wieder aufgetaut. Es hat alles seine Ordnung.«
Aber etwas ist faul, dachte Ken. Mühelos stand er auf. Kein Schwindel, nicht einmal ein Prickeln in den Fußsohlen. Die haben ganze Arbeit geleistet. Er spürte den warmen Bodenbelag, während er zum Fenster schritt.
»Ein Programm hat mich geweckt? Verstehe, so etwas erledigen heute Maschinen. Computer. Richtig?«
Thomas nickte.
Die Hochhäuser, die weit unter dem Fenster aus einem Waldstück ragten, scherten sich vermutlich nicht viel um die Schwerkraft. Manche waren filigran oder geradezu durchsichtig. Ken sah lautlos dahinschwebende Objekte, wie in einem Sciencefiction Film. Das ist die Zukunft, dachte er. Ich habe es geschafft. Er fragte: »Und was machen wir jetzt?«
Thomas stand plötzlich neben ihm am Fenster und sah mit einem Blick hinaus, als versuchte er, die Landschaft mit seinen Augen zu sehen. »Ich weiß nicht, was möchten Sie?«
Ken wirbelte herum. »Sagen Sie schon! Fliegen wir zu den Sternen? Haben wir den Warp-Antrieb? Reisen wir durch die Zeit?«
»Ach du meine Güte«, Thomas kratzte sich am Kopf. Er setzte sich, seufzte, und es klang ein bisschen hohl. Als würde er versuchen, traurig zu sein, ohne zu wissen, wie das ging. »Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen.«
Ken wurde blass. »Nein? Machen wir nicht?« Thomas legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die Anspannung in Kens Körper ließ nach. Er begann zu schluchzen, lehnte sich an die Schulter des Arztes - oder was immer dieser Tom sein mochte - und ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Spürte Furcht und Verlust - und die Frage nach dem Warum.
»Tut mir leid. Ist alles ein bisschen viel.« Er schniefte, um nicht das perfekte Hemd des anderen zu beschmutzen. »Ich bin normalerweise nicht so.« Er zuckte mit den Schultern.
»Ein bisschen viel«, wiederholte Thomas, »das ist ...«, er suchte nach Worten.
»Ja?«, fragte Ken, begierig auf eine Erklärung. »Das ist schön gesagt.« Ken sprang auf, baute sich vor Tom hin und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Jetzt sagen Sie mir endlich, was los ist!« Thomas schüttelte den Kopf. »Herr Degenovski, setzen Sie sich bitte.«
Ken schielte nach der Tür. Sie hatte keinen Drücker.
Tom begann: »Wir haben Sie ... geweckt, weil es in ihrem Vertrag stand. Vielleicht haben Sie auch eine Art moralisches Recht darauf. Oder einfach, weil es technisch möglich ist.«
»Aber?«
Thomas sah ihn verwirrt an. »Nichts aber. Sie leben. So gut wie jeder andere bei uns. Herzlichen Glückwunsch.«
»Ja und?«
Thomas schlug die Augen nieder und schwieg eine Weile. Dann sagte er sanft: »Was möchten Sie denn? Was können wir für Sie tun?«
In Kens Kopf rasten die Gedanken. »Was ich möchte? Herrgott! Auf dem Mars spazieren? Mit Außerirdischen sprechen? Mit Marylin Monroe schlafen - was weiß ich denn? Sagen Sie mir, was geht!«
Thomas nickte. »Ach so, ich verstehe. Das mit Marylin stellt kein Problem dar. Die Menschen heute machen so etwas nicht mehr, aber ... sicher. Gern. Warum nicht?«
Ken wurde rot. »Das war natürlich nur ein Beispiel.« Er stockte. Sein Hals fühlte sich trocken an.
Thomas reichte ihm das Wasserglas.
Ken winkte entsetzt ab, aus Angst, in einen ungewissen Schlaf geschickt zu werden. »Sie ist immer noch bekannt?« Er biss sich auf die Lippen.
»Wenn man sich für ihre Zeit interessiert, ja. Sie begehren sie? Sie können sie haben.«
»Nein nein, ich bin verheiratet. Das heißt - ich war es.«
»Sie hieß Lydia, nicht wahr?«
Ken erschrak und dachte: Ich war es, der sterben sollte, und jetzt ist sie lange fort. Lydia. »Wie würde das denn funktionieren ...«, fragte er eine Spur zu beiläufig, »per Zeitreise, oder virtuell? Ich meine ...« Seine Hände machten Gesten, zu etwas, das er nicht auszusprechen wagte, »nur, um mal bei dem Beispiel zu bleiben.«
Thomas schmunzelte nur kurz: »Es ist so, Ken, wir waren auf dem Mars. Natürlich. Es verschlang maßlos Ressourcen und rechnete sich nicht. Ebenso - interstellares Reisen - so etwas in der Richtung meinten sie doch?«
Kens Kopf bewegte sich automatisch auf und ab. Thomas fuhr fort: »Es hätte uns eher zerstört als weiter gebracht. Ebenso wie Zeitreisen. Zu teuer.«
»Natürlich.«
»Theoretisch wäre es machbar gewesen, hätten wir schwarze Löcher gebeugt und den Raum gekrümmt, Sie verstehen.«
»Ja sicher.«
»Die Ideen gab es schon zu Ihrer Zeit, nicht wahr? Aber es war nichts als ... Größenwahn, Hybris, Sciencefiction.« Thomas zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wir lernten rechnen und erkannten, was sinnvoll war. Auch wenn wir die Sonne selbst anzapften, würden wir doch nur ein paar Lichtjahre weit kommen. Aber dort - ist niemand. Tja. Solchen ... Abenteuern hat die Menschheit entsagt - als sie gerade noch zu retten war.«
Ken spürte die Gänsehaut auf seinen Armen. Weltraumopern zerplatzten in seinem Kopf - wie Seifenblasen im Regen. Er fühlte Übelkeit. Wäre ihm gesagt worden, dass er noch einen Tag leben würde - er hätte es hingenommen. Aber dass die Menschheit nicht mehr nach den Sternen griff, erschütterte ihn zutiefst.
»Sie haben ihre Frau geliebt?«
Ken starrte die Wand an. Abenteuer ... Hybris. »Doch. Ja. Sicher.«
»Das dachten wir uns. Wir haben da mal etwas für Sie vorbereitet. Überraschung! Sie wartet eine Tür weiter.«
»Wer?«
»Ihre Frau. Lydia.«
»Ach. Hat sie sich auch einfrieren lassen?«
»Nein. Wir haben sie aus Ihren Erinnerungen rekonstruiert.« »Sie haben was ...?«
»Das ist heute völlig normal. Alles ist öffentlich. Es braucht Ihnen nichts peinlich zu sein. Viele Menschen haben teil, an dem, was Sie denken und fühlen. Sie sind ein Star, Kenny.«
Ken sah sich erschrocken um. »Nennen sie mich nicht so! Sie haben meine Erinnerungen geplündert? Das habe ich ihnen nicht erlaubt.«
Thomas nickte kalt. »Davon stand nichts in ihrem Vertrag.«
Kens Muskeln spannten sich. »Mal ehrlich, Thomas - sind sie ein Roboter?«
Der lächelte düster. »Das - kann man heute bei niemandem so genau sagen.«
Ken sprang auf. Noch bevor Thomas sich rühren konnte, war er an ihm vorbei. Mit Wucht warf er sich gegen die Tür, hörte jedoch ein Geräusch, wie von einer Luftpumpe. Anstatt gegen hartes Material zu prallen, flog er hinaus, auf den Flur, landete krachend auf der Schulter und rutschte über den Bodenbelag.
Wenigstens hatten sie seinen Körper gut in Schuss gebracht. Fluchend rappelte er sich auf.
»Aber Herr Degenovski ...«, in dem offenen Durchgang tauchte das Gesicht von Thomas auf. Nur ein paar Meter weiter war eine identische Tür. Ken stürmte auf sie zu, war bereits in dem Zimmer und zerrte sie vom Bett hoch. Es war tatsächlich - Lydia.
»Ken, du lebst«, flüsterte sie. Sie war schön, so schön wie in ihren besten Zeiten. Die kleinen Falten. Die Sommersprossen. »Wir müssen hier raus, komm mit!«
»Aber wohin, Kenny, wo sind wir?«
»Erkläre ich dir später.« Und sie rannten. Den Flur hinauf.
»Herr Degenovski, das hat doch keinen Sinn!«, rief Thomas ihm leise nach. Türen öffneten und schlossen sich. Sie rannten an anderen Menschen vorbei, die sie verwundert anstarrten, erschrocken beiseite sprangen oder applaudierten. Ein Alarm ertönte. Wachpersonal stellte sich Ken entgegen. Er brüllte und stieß beiseite, wer ihnen zu nahe kam.
Am Ende des Flurs war eine Terrasse, mit einem kleinen Café, Palmen und einem Swimmingpool. Die Aussicht war atemberaubend. Weit unter ihnen glänzte ein Meer. »Machen Sie keinen Unsinn!«, hörte er Thomas rufen.
»Lassen Sie uns reden!« Im Laufen sah Ken die Augen seiner Frau. Sie war immer schön gewesen, aber niemals - so schön. Er riss sie mit sich, als er über das Geländer sprang.
Als Ken Degenovski zum dritten Mal an diesem Tag erwachte, sah er in das sanfte Lächeln von Lydia. »Er hätte es dir sagen müssen, Kenny. Nicht er hat uns geweckt. Es war ... das Programm. Dein Körper war schon vor vierhundert Jahren nicht mehr zu retten. Wir konnten nur deine Erinnerungen erhalten.«
Ken starrte seine Hände an, kniff sich. »Das heißt ...«
Lydia nickte. »Wir alle sind DAS PROGRAMM. Du bist eine Bereicherung für die gesamte Menschheit. Deine rebellischen Impulse, deine Irrationalität, die mittelalterlichen Träume – Aliens, Zeitreisen - all das lieben wir. Es gibt uns eine Ahnung davon, was es heißt, lebendig gewesen zu sein.«
Ken bäumte sich auf, taumelte durch den Raum. »Das ist alles? Ich bin … nichts als ein Unterhaltungsprogramm? Ein Computerspiel!«
»Sei nicht so hart mit uns. Wir kennen dich genau und wollen nur dein Bestes. Genieße es. Geh nur. Viel Spaß! Marilyn findest du eine Tür weiter.«