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Zweiter Akt

Ort der Handlung: Thronsaal Trojas

Der Kriegsrat von König Priamos ist zusammengetreten. Paris und Helena sind weniger am Gespräch als vielmehr an sich interessiert.

(Kassandra betritt die Szene und reckt die Arme gen Himmel.)

Kassandra Ein Wunder! Ich kann sehen!

Priamos (verdreht die Augen)

Hektor (mitleidig) Was ist denn jetzt schon wieder?

Kassandra Die Götter sprechen zu mir.

Aeneas Das wissen wir. Die Frage wäre eher: Wann schläfst du überhaupt mal? Die Götter scheinen ja ein Dauergespräch mit dir zu führen.

Kassandra (naserümpfend) Die Frage wäre eher: Wann glaubt ihr mir endlich mal? Ich rede mir den Mund fusselig, und ihr macht es immer anders, als ich empfehle. Und deshalb haben wir hier schon im zehnten Jahr den Krieg.

Penthesilea Da muss ich aber ausnahmsweise mal Kassandra recht geben. Ein wenig mehr Frauenquote wäre schon angebracht bei den Entscheidungen hier.

Hektor Frauenquote? Dass ich nicht lache. Die habt ihr Amazonen doch mit 100% übererfüllt.

Penthesilea Hat sich ja auch bewährt.

Hektor (abschätzig Penthesilea von oben bis unten betrachtend) Na, ich weiß nicht. (dann zu Helena zeigend, die immer noch mit Paris herumknutscht) Oder möchtest du ihr auch eine Führungsrolle geben?

Penthesilea Also, so weit möchte ich dann doch nicht gehen.

Priamos Kinder, es ist wie immer mit euch. Alles wird zerredet, und wir fällen keine Beschlüsse. Wir müssen uns jetzt mal um den Krieg kümmern.

Kassandra Oh Vater, das möchte ich doch gerne. Ich weiß, wie wir den Krieg beenden können! (tanzt um Priamos herum)

Laokoon (skeptisch) Aha.

Aeneas Und was schwebt dir - Verzeihung - was schwebt den Göttern da so vor?

Kassandra Ich sehe einen Stall.

(Ungläubiges Erstaunen aller anderen. Selbst Helena und Paris lassen kurz voneinander ab)

Helena Stall ist nicht gut. Das verdirbt meine Fingernägel. Der ganze Dreck da und so.

Priamos (traurig) Und sperren wir dann die Griechen einfach in einem Stall ein?

Kassandra Nein! Ich sehe ein Paar im Stall und ein Kind in einer Krippe.

Aeneas (schaut zu Hektor und dreht mit einem Finger neben seiner Schläfe)

Penthesilea Und wieso ist das Kind in der Krippe? Haben die kein Bett, oder was?

Kassandra Der Junge und seine Eltern …

Penthesilea Ach so, ein Junge! Na, dann ist eine Krippe ja eher noch gut für ihn. Für uns Amazonen sind nur Mädchen nützliche Kinder.

Priamos (versucht, das Gespräch wieder zu fokussieren) Wie gewinnen wir den Krieg mit einem Kind in einer Krippe?

Kassandra Der Junge und seine Eltern sind nicht alleine. Ein Ochse und ein Esel sind bei ihnen.

Aeneas Na, dann kann uns ja nichts mehr passieren. Da rennen die Griechen sofort davon. Vielleicht können wir den Ochsen als Minotauros verkleiden? (hält die Hand vor den Mund, da er lachen muss)

Kassandra Du bist ein unwürdiger Ignorant. Ein Stern leuchtet über dem Stall, und es kommen Könige. Drei Könige.

Hektor Wer denn? Bekommen wir Verstärkung?

Kassandra Ich kann sie nicht genau erkennen, aber es könnten Agamemnon, Menelaos und Odysseus sein. Und sie reiten auf Kamelen.

(Die anderen starren sich mit aufgerissenen Augen an)

Helena Ich will nicht, dass Menelaos kommt. Paris, sag du doch auch mal was.

Paris Muss Menelaos einer von den drei Königen sein?

Kassandra Nein, muss nicht. Vielleicht ist es auch Achilles. Entscheidend ist aber, dass meine Vision zeigt, dass sie vor dem Kind niederknien und Geschenke überreichen. Gold bringt der eine, …

Priamos (zu sich) Na, wenn das mal Agamemnon wäre, der alte Knauser. Dem würde ich das aber gönnen, dass er was abgeben muss.

Kassandra … die anderen Geschenke kann ich nicht erkennen. Aber ich habe heute einen merkwürdigen Weihrauchduft in der Nase, und meine Hände sind ölig.

Hektor Fassen wir mal zusammen: Ein Kind in einer Krippe in einem Stall samt Ochs’ und Esel und einem Stern darüber bringen Agamemnon, Odysseus und Achilles dazu, Geschenke zu überreichen und niederzuknien? Na, das wär’ doch mal was! Und wo finden wir so ein Zauberkind?

Kassandra Ich weiß es nicht. Ich muss ja nicht alles machen. (blickt zu Laokoon) Vielleicht findest du den Ort, wo ...

Laokoon Ich? Wieso ich jetzt? Nein, ich mache so etwas nicht mehr. Wenn ich Visionen habe, tauchen immer Schlangen auf. Ich habe Familie.

Hektor (folgt offenbar dem Zeichen einer Wache und geht ab)

Penthesilea Mir ist alles recht, was diesen Krieg beendet. Langsam habe sogar ich meine Rüstung satt. Aber ein Kind als Friedensbringer? Und dann auch noch ein Junge? Das ist doch albern, Kassandra!

Kassandra Das ist doch mal wieder typisch. Nur weil ich von den Göttern mit dieser Gabe beschenkt bin, seid ihr eifersüchtig und glaubt mir aus Prinzip nicht.

Aeneas Vielleicht liegt es auch daran, dass du ständig etwas Merkwürdiges von dir gibst? Demnächst erzählst du uns auch noch, Tote könnten wiederauferstehen.

Hektor (kehrt zurück) Mir wurde soeben von unseren Spionen bei den Griechen Erstaunliches gemeldet.

Priamos Was denn? Bauen die jetzt das Pferd, von dem sie glauben, dass wir so blöd seien, es in unsere Stadt zu ziehen, während sich dort Griechen im Inneren verstecken?

(Alle lachen boshaft)

Hektor Nein. Odysseus ist abgereist.

Penthesilea Na, um den ist’s auch nicht schade.

Helena Vielleicht hat er auch nur Sehnsucht nach seiner Frau?

Hektor Er ist auf der Suche nach einem Tannenbaum.

(Alle schauen sich an und schütteln amüsiert die Köpfe)

Hektor Außerdem ist der tägliche Nachmittagskampf mit den Griechen ausgefallen.

Priamos Deswegen ist das so ruhig hier. Was haben die vor?

Hektor Das wissen unsere Spione nicht. Aber die Griechen basteln jetzt alle Strohsterne, schnitzen Holzpferdchen und schmelzen Sand ein, um ihn danach bunt anzumalen.

Aeneas Ein Sonnenstich kann das nicht sein. Schließlich wird es Winter.

Laokoon (mehr zu sich) Die führen Übles im Schilde, diese Schurken! Die basteln doch Strohsterne nicht ohne Grund!

Helena Ob die mir auch so ein Holzpferdchen machen könnten?

Kassandra (tanzt wieder um ihren Vater herum) Das ist ein Zeichen, ein Zeichen der Götter! Die Griechen werden dem Kind huldigen!

Aeneas Mit Holzpferdchen?

Priamos Wie soll daraus Gutes entstehen?

Paris Wir könnten auch etwas schnitzen. Vielleicht die Krippe? Samt Kind. Und Ochse und Esel, das kann ich gut.

Helena Oh, du Großartiger. Das würdest du für mich machen? (sie umarmt und küsst Paris)

Paris Ich baue eine ganz tolle Krippe für dich. Da können sich die Griechen anstrengen, wie sie wollen. Diesen Kampf verlieren sie!

Helena Und vergiss den Stern nicht!

Kassandra Da sind auch Musiker auf dem Dach.

Laokoon Auf dem Dach? Aber klar doch!

Kassandra Und die Musiker haben Flügel, und die singen irgendwas, aber das verstehe ich nicht, weil es die Sprache, die die singen, noch gar nicht so richtig gibt. Außerdem kommen ganz viele Hirten mit ihren Schafen. Das ist ein riesiges Hallo da am Stall.

Aeneas Und wir machen die Griechen dann mit geflügelten Musikern und einer Armee von Schafen unter dem Befehl eines unbekannten Kindes in einer Krippe platt? Kassandra, ich habe schon Vieles gehört, aber heute übertriffst du dich selbst.

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