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Vorwort

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Und die Politik bei alldem? Das Ende vorneweg.

Vieles, was 1992 und 1993 in Sarajevo geschehen ist, kann man wohl heute erst richtig verstehen und zuordnen. Oder man wird es nie verstehen. Wie ich. Was mich und sicher auch den Großteil meiner Kameraden betrifft, so kann ich guten Gewissens behaupten, dass der politische Aspekt der Sache Sarajevo uns damals zwar nicht total entging, er uns aber irgendwie egal war. Wir waren stets voller Vertrauen unseren Chefs gegenüber und hatten wir Zweifel, so sprachen wir sie aus. Das geschah direkt und unverblümt. Wir waren zwar kritische, aber in erster Linie auch pragmatische, auf unser Metier fokussierte Soldaten. Das Menschliche und die Anteilnahme haben jedoch viele von uns schneller eingeholt als man glauben könnte. Das Verhältnis Recht und Unrecht war in diesem Krieg so unproportioniert verteilt, dass man automatisch die Tendenz hatte, die Dinge eher gefühlsmäßig, also nach Bauchgefühl zuzuordnen, was natürlich ein Fehler war. Andrerseits aber war es sicherlich nicht verkehrt auf den Bauch zu hören, einzuschreiten und zu helfen, wenn Frauen und Kinder litten, weil sie Schmerzen oder Hunger hatten. Das ist universell und wir Legionäre waren dabei gerodet genug, Recht von zumindest dieser Art Unrecht zu unterscheiden. Ausnahmen, auf die wir kaum Einflussnahme hatten, bestätigen die Regel umso mehr. Manchmal, meist um Leid zu lindern, handelten wir entgegen den Anweisungen, entgegen Befehle. Das geschah vor allem nachts, während der Mission Crossing. Die absolute Neutralität wie Blauhelmsoldaten sie haben müssten? Nun im Angesicht halb verhungerter Kinder und verwundeter Frauen verflog sie manchmal. Legionäre stammen aus allen Gesellschaftsschichten. Um zu wissen was im Leben zählt, dafür brauchten wir keine UN Resolutionen oder irgendwelche irrsinnigen Rules of Engagements! Unsere Erfahrungen, errungen in langen, teilweise blutigen Einsätzen, unser eigensinniges, spartanisches Leben und nicht zuletzt der Spiegel an der Wand genügten uns völlig, damit uns das Essentiellste niemals entging. Etwas Eigensinn, vor allem wenn es um Menschlichkeit geht, stellt einen Soldaten nicht infrage, sondern es unterstreicht seinen Status: Den eines mündigen Menschen in Uniform. Irgendwann im Frühjahr 1993 stieg ich mit einer Gruppe von Blauhelmen am Flughafen Sarajevo an Bord einer russischen Antonov. Es war eine kleine Maschine mit höchstens dreißig Sitzplätzen. Die Propeller dröhnten, die Heckklappe schloss sich hinter uns, doch die Maschine hob nicht ab. Wir warteten und warteten. Zwanzig Minuten später öffnete sich die Heckklappe wieder und ein kleiner, hagerer Mann und eine Frau, beide begleitet von einigen, bis an die Zähne bewaffneten Milizen, kletterten an Bord. Es war Alija Izetbegović, der Präsident der Republik Bosnien und Herzegowina 1990 –1995. Er setzte sich mir genau gegenüber. Es war derselbe Mann, der als Autor der sogenannten islamischen Deklaration zu einer neun Jahre langen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er, so sagte man, auf jugoslawischem Boden einen islamischen Staat errichten wollte. Das war natürlich eine spannende und höchst explosive Situation. Der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schoss war, dass die Serben mit Sicherheit nichts von seiner Anwesenheit in dieser Antonov wussten. Sicherlich hätten sie das Flugzeug vom neutralen Flughafen abheben lassen, nur um es dann in der Luft über Ilidza abzuschießen. Die Mittel und Möglichkeiten dazu hatten sie allemal.

Kurz vorher, im Januar 1993 wurde der bosnische Vize-Regierungschef Turalic zwischen Sarajevo Airport und der Sniper Alley in einem Konvoi der UN von serbischen Soldaten ermordet. Turalic hatte kein Glück. Sein Transport an Bord eines VAB der UNPROFOR wurde den Serben wahrscheinlich gesteckt. Der Konvoi, bestehend hauptsächlich aus Blauhelmsoldaten unserer schweren Kompanie (CEA -Abkürzungen siehe Anhang) bewegte sich vom Flughafen Sarajevo Richtung Stadtmitte. Die Soldaten standen unter dem Befehl eines Adjudanten unseres Regiments. Der wiederum erhielt seine Order direkt vom Hauptquartier der UN Truppen des Sektors Sarajevo im PTT Building über Funk. Am 08. Januar 1993 wurde die Kolonne an einem Serben Checkpoint angehalten. Der Checkpoint befand sich unweit der Teoloski Fakultet (Theologische Hochschule) und in Sichtweite mit der Stup- Brücke. Die serbischen Kräfte vor Ort waren schwer bewaffnet. Zumindest ein T-55 Kampfpanzer (einige Soldaten schworen, es wären zwei gewesen) befand sich vor Ort und ein gutes Dutzend Panzerfäuste waren aus guten Deckungen heraus auf die UNPROFOR Schützenpanzer gerichtet. Es war ein eindrucksvolles Aufgebot, dem die UN Soldaten kaum etwas entgegenzustellen hatten. Noch eindrucksvoller jedoch war die Tatsache, dass es an dieser Stelle gar keinen Serben Checkpoint hätte geben dürfen. Die Serben hatten ihn wohl in aller Hast errichtet, nachdem ihnen zu Ohren gekommen war, dass Turalic den Flughafen wieder verlässt. Nach langen Verhandlungen (die Legionäre weigerten sich strikt, Turalic an die Serben auszuliefern) und auf ausdrücklichem Befehl des Hauptquartiers der UNPROFOR im PTT Building, öffneten die Blauhelme schließlich das Fahrzeug, in dem er saß. Serbische Milizen der Armee der Republika Srpska (VRS) erschossen Turalic vor den Augen der UN Soldaten. Von acht Kugeln getroffen brach er zusammen. Er war eine Hinrichtung: Nicht mehr, nicht weniger. Die Ohnmacht der UN wurde hier auf eine grausame, sehr eindringlich Art und Weise demonstriert. Wie das Verhalten der Offiziere, die den Befehl gegeben haben, Turalic den Serben quasi ans Messer zu liefern, einzuordnen ist, ist nicht Sache des einfachen Unteroffiziers, der ich damals war. Nach meiner Einschätzung traf die Blauhelm- Soldaten des Konvois keine Schuld. Ich kannte fast jeden von ihnen. Noch besser kannte ich den verantwortlichen Adjudanten. Hätte er den Befehl erhalten, Turalic nicht an die Serben auszuliefern, also die Türe des Schützenpanzers nicht zu öffnen, sondern im Gegenteil, sein Leben zu schützen, dann wären er und seine Männer an diesem Tag alle gestorben, denn für Legionäre ist der Auftrag heilig, T-55 hin, Panzerfäuste her. Der ganze Krieg hätte wohl sehr früh schon eine andere Wende bekommen. Vielleicht passte das so machen Verantwortlichen in New York, Paris oder in Brüssel oder anderswo ganz gut in den Kram, dass um die Affäre Turalic danach kaum ein großes Aufheben gemacht wurde.


Ausgedient!

Ich hatte mich nie groß mit Geschichte abgegeben, wusste auch damals nichts über eventuelle Verknüpfungen eines Alija Izetbegović mit dem Naziregime. Man munkelte, dass er während des Zweiten Weltkrieges junge, bosnische Freiwillige für die 13. SS-Gebirgsdivision Handschar rekrutiert hatte. Und mir war damals nicht bewusst, dass in den Jahren 1992 – 1995 nahezu 3.000 Mudschaheddin aus Algerien, Afghanistan und anderen islamischen Staaten auf Seite der Bosnier kämpften. Oft – sicher zu Recht, keimte der Verdacht in mir, dass die meisten unserer Legionsoffiziere pro serbisch eingestellt waren und hinter unserem Rücken auch in diesem Sinne handelten. Was mir wichtiger schien und was mich heute noch sprachlos lässt, ist die Tatsache, dass Europa, die UN und die USA in den Jahren 1992, 1993, 1994 bis ins Jahr 1995 fast tatenlos zugesehen haben, wie tausende, ja hunderttausende von Menschen, welcher Seite auch immer, Opfer eines brutalen, an Grausamkeit kaum zu überbietenden Krieges wurden, eines Kriegs noch dazu, der mitten in Europa tobte.

Eine Frage der Ehre Sarajevo 1992 1993

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